Machtbewusster Langzeitstudent.

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Machtbewusster Langzeitstudent.
PROFILE
Illustration: Lesprenger
Moderne Zeiten
Jemen gilt nicht gerade als Musterbeispiel für Pressefreiheit und Frauenrechte. Trotzdem wurde die Arbeit der
Yemen Times mit internationalen Preisen ausgezeichnet –
und die Zeitung leitet eine Frau: Nadia al-Sakkaf
lität und ihr Führungsstil wurden 2006 mit dem
Gebran-Tueni-Preis ausgezeichnet, den die
»World Association of Newspapers and News
Publishers« jährlich in die arabische Welt vergibt.
Dass die Yemen Times relativ frei arbeiten
kann, mag auch daran liegen, dass nur sehr wenige Jemeniten die englischsprachige Zeitung
lesen. So muss die Regierung sich nicht vor zu
viel Einfluss auf die Bevölkerung fürchten. Die
Bedeutung der Proteste im Jemen im Februar
schätzt Sakkaf als sehr gering ein. Kürzlich
schrieb sie: »Die Welt schaut zu und fragt sich,
ob dies die Zeit des Wandels oder gar der Revolution ist, wie wir sie in Tunesien und Ägypten gesehen haben. Ich denke nicht.« Immerhin: Eine Frau als Chefredakteurin ist im Jemen
auf jeden Fall eine kleine gesellschaftliche ReSB
volution.
Illustration: Lesprenger
>> Auch im Jemen gingen die Menschen nach
den Protesten in Ägypten und Tunesien auf die
Straße und forderten einen politischen Wandel.
Nadia al-Sakkaf allerdings meint: »Bevor es keine Demonstrationen am Nachmittag gibt, nehmen die Jemeniten die Lage nicht ernst.« Nachmittags kauen nämlich 90 Prozent aller männlichen Jemeniten und 50 Prozent der Frauen
Kat. Die Blätter sorgen für einen leichten Rausch
und gehören zum Alltag. Sakkaf ist dafür zu beschäftigt: Sie ist Chefredakteurin der Yemen
Times. Alle zwei Wochen erscheint das eng-
lischsprachige Blatt, das seit 1997 auch im Internet zu lesen ist. Die Zeitung wurde 1990 von
Abdulaziz al-Sakkaf mit dem Ziel gegründet,
sich für Pressefreiheit, professionellen Journalismus und Menschenrechte einzusetzen. Sie
wurde seitdem mit zahlreichen Preisen für ihre
unabhängige Berichterstattung ausgezeichnet.
Seit 2005 sitzt Nadia auf dem Chefsessel, die
Tochter des Gründers, der 1998 bei einem Autounfall ums Leben kam. »Dass ich das Blatt leite, hat auch damit zu tun, dass die Zeitung ein
Familienbetrieb ist«, weiß die 33-Jährige. »Es
gibt andere Journalistinnen im Jemen, aber keine in einer so einflussreichen Position, wie ich
sie besetze.« Sakkaf studierte Informatik und
Informationsmanagement in Indien und England, bevor sie in die Firma einstieg. Ihr Einsatz
für Pressefreiheit, journalistische Professiona-
Machtbewusster Langzeitstudent
Der Schiitenführer Muqtada al-Sadr sicherte sich
eine einflussreiche Position im Hintergrund der irakischen
Regierung. Ohne den Theologiestudenten ist kaum
mehr Staat zu machen
>> Er kam, sah ... und verschwand bald wieder.
Am 5. Januar kehrte Muqtada al-Sadr nach über
drei Jahren im iranischen Exil in seine irakische
Heimat zurück. Zehntausende Anhänger bereiteten ihm in Nadschaf einen triumphalen Empfang. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im
Irak seit Mai 2007 zeigte sich Sadr spürbar gereift. Nicht nur sein Bart wird mittlerweile von
grauen Haaren durchzogen, auch die Rhetorik
des 37-Jährigen ist in Iran erwachsener geworden. Zwar beschwor er seine Anhänger, den Widerstand gegen die US-Truppen im Land fortzusetzen, gleichzeitig rief er die Iraker jedoch
zur Versöhnung auf.
Mit moderaten Tönen trägt Sadr der veränderten Rolle seiner Bewegung in der irakischen
Politik Rechnung. Bei der Parlamentswahl im
März 2009 errangen seine Kandidaten 39 Sitze
– gegen Sadrs Willen konnte also keine Regierung gebildet werden. Nach monatelangen Ver-
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handlungen sicherte sich der bisherige Regierungschef Nuri al-Maliki dessen Unterstützung.
Jener Rivale also, der 2008 rücksichtslos gegen
die Mahdi-Milizen der Sadr-Bewegung in Basra und Bagdad vorging. Die Unterstützung für
Maliki ließ sich Sadr unter anderem mit sechs
Ministerien für seine Bewegung bezahlen.
Muqtada al-Sadr selbst wird weiterhin im
Hintergrund die Fäden ziehen und sich nebenher seiner theologischen Laufbahn widmen.
Denn der Spross einer hochangesehenen Theologenfamilie steht auf der streng hierarchisch
geordneten Karriereleiter der schiitischen Geistlichkeit noch immer auf einer niedrigen Stufe.
Derzeit darf er noch nicht einmal eine Fatwa, also ein Rechtsgutachten, erlassen. Daher verbrachte Sadr die letzten drei Jahre überwiegend
in der theologischen Hochschule von Qom, um
sich über kurz oder lang mit dem Titel »Ayatollah« schmücken zu dürfen. Gerüchten zufol-
ge soll Sadr nicht zu den besonders fleißigen
Studenten gehören. Seine Kommilitonen haben
ihm den Spitznamen »Mullah Atari« gegeben,
weil er mehr Zeit mit Videospielen als dem Lesen theologischer Werke verbringen soll. Ob wegen der Spielkonsole oder des Studiums: Sadrs
Aufenthalt im Irak war nicht von Dauer. Nur
14 Tage nach seinem Auftritt in Nadschaf kehrte er nach Iran zurück, wie sein Sprecher ersyd
klärte: »auf unbestimmte Zeit«.