Leseprobe - Wilhelm Fink Verlag

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Leseprobe - Wilhelm Fink Verlag
1
Die Wiener Klassiker und das Italien ihrer Zeit
2
Studien zur Musik
Begründet von Rudolf Bockholdt
Herausgegeben von Petra Weber
Band 19
3
Die Wiener Klassiker
und das Italien ihrer Zeit
Festschrift für Christian Speck
zum 60. Geburtstag
Herausgegeben von
Petra Weber
Wilhelm Fink
4
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© 2015 Wilhelm Fink, Paderborn
(Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)
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Layout: Emmerig DTP, Lappersdorf
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN 978-3-7705-5875-9
5
INHALT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Rudolph Angermüller
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...] – ein Handbuch
für die Mozarts auf ihrer ersten Reise nach Italien (1769–1771) . . . . . . .
9
Klaus Aringer
Haydn, Neapel und die Lira organizzata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Biancamaria Brumana
La Cantata in lode della caccia di Francesco Bianchi (dedicata a
Maria Amalia di Asburgo Lorena ed eseguita da Luigi Marchesi) . . . . . . 43
Enrico Careri
I classici di Vienna e l’uso espressivo del silenzio
. . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Bernd Edelmann
Der Salzburger Geiger Antonio Brunetti und Mozarts Adagio KV 261 . . . 81
Roberto Illiano
Clementi in Vienna.
A new source for his Due Canzonette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Walter Kurt Kreyszig
Traditionalität, Originalität und Experimentierfreudigkeit in
Wolfgang Amadeus Mozarts Lodi-Quartett, KV 80 (= 73f)
im Vorfeld seiner Annäherung zum klassischen Streichquartett
als Gattung der Wiener Klassik.
Zu den beiden Fassungen des Trios als Zeugnis der
Zusammenarbeit von Vater und Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Raffaele Mellace
1770/71: Jommelli, Hasse and Mozart Confronting the
Opera Seria Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Fulvia Morabito
The recovered Divertimento G 406 by Luigi Boccherini
. . . . . . . . . . . . 189
6
Inhalt
Gerhard Poppe
Boccherini-Quellen in Dresden – Versuch einer Ortsbestimmung
. . . . . 205
Luca Lévi Sala
Le fonti secondarie francesi dello Stabat Mater Op. 61 di
Luigi Boccherini: due manoscritti inediti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Glenn Stanley
Beethoven und Italien, Beethoven und die italienische Kunst in Wien . . 227
Andreas Traub
Zum vierten Violinkonzert des Ernst von Gemmingen
Register der Namen und Quellen
. . . . . . . . . . . . . . 249
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Christian Speck: Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
7
VORWORT
Dieser Band vereinigt die Beiträge zu einer Festgabe zum 60. Geburtstag von
Christian Speck. Teilweise wurden sie als Referate auf dem wissenschaftlichen
Symposium gehalten, das ihm zu Ehren am 26.10.2012 in den Räumen des Instituts für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität KoblenzLandau, Campus Koblenz, stattfand, teilweise werden sie ihm hier nun schriftlich überreicht.
Christian Specks volles Interesse gilt dem Italien des 17. und 18. Jahrhunderts
und allen damit in Zusammenhang stehenden Phänomenen der Musikgeschichte;
daher haben wir die Palette der Beiträge breit anlegen können. Wir wünschen uns,
dass diese Geburtstagsgabe unseren engagierten und unermüdlichen Kollegen
und Freund in seiner Arbeit beflügle und ihm Freude bereite.
Ohne das wirklich große Engagement von Richard Sänger, M.A., hätte ich Festkonzert und Symposium für meinen lieben Kollegen nicht durchführen können;
die Herstellung des Bandes lag in den bewährten Händen von Dr. Thomas Emmerig, das Register wurde von Nina Bandurski erstellt. Diesen dreien danke ich besonders. Zu meiner dankbaren Freude konnten die Freunde der Universität unsere Einladungen zum Symposium unterstützen. Dem Verlag ist für die gewohnt
sorgfältige Betreuung des Bandes zu danken.
Esch, im Oktober 2014
Petra Weber
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Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
9
Rudolph Angermüller
JOHANN GEORG KEYSSLERS REISEFÜHRER DURCH [...] ITALIEN [...]
– EIN HANDBUCH FÜR DIE MOZARTS
AUF IHRER ERSTEN REISE NACH ITALIEN (1769–1771)
Am 7. Januar 1770 schrieb Leopold Mozart seiner Frau aus Verona nach Salzburg, dass er zweimal beim Grafen Ercole Giusti del Giardino (*1732) gewesen
sei, „der einen schönen Garten und Gallerie hat“. „du wirst in Keyßlers Reisebeschreibungen solches vielleicht finden […].“1 Und am 11. Januar 1770 notierte
er für seine Frau aus Mantua: „Unterdessen muss ich dir noch eines und anders
von Verona melden. Wir haben das Amphiteatrum und das Musaeum Lapidarium2
gesehen. In Keyßlers Reisebeschreibungen wirst du es lesen und ich werde ein
Buch wegen der Altertümer von Verona mitbringen.“3 Und er fuhr fort, dass Herr
Johann Wenzel von Helmreichen zu Brunnfeld (1722–1803) ihr die zwei Bände des Keyßler in Salzburg wohl leihen würde. Aus Rom meinte er dann am
14. April 1770, dass seine Frau im Keyßler über diese Stadt alles nachlesen könne, er wäre eben nicht im Stande, alles zu beschreiben. „Ich rate dir noch einmal
Keyßlers Reisebeschreibung zu lesen.“4
In ihrem Reisegepäck führten die Salzburger neben wertvollen Empfehlungsschreiben auch diesen renommierten Reiseführer mit sich:
Johann Georg Keyßlers, / der Königlich Großbrittanischen Societät der Wissenschaften / Mitgliedes, / Neueste Reisen / durch / Deutschland, Böhmen, Ungarn, die
Schweiz, / Italien und Lothringen, / worinnen der / Zustand und das Merkwürdigste
dieser Länder / beschrieben, und vermittelst der Natürlichen, Gelehrten und Politischen Geschichte, / der Mechanik, Maler- Bau- und Bildhauerkunst, Münzen und Altertümer, / wie auch mit verschiedenen Kupfern / erläutert wird. / Neue und vermehrte
Auflage, / welche / mit Zusätzen und mit einer Vorrede / von dem Leben des Verfassers / begleitet hat / M. Gottfried Schütze5 / Königlich Dänischer Konsistorial-Asses-
1
2
3
4
5
Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hg. von der Internationalen Stiftung
Mozarteum Salzburg. Gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch
(= Bauer-Deutsch), 4 Textbände, Kassel etc. 1962–1963, hier Band I, Nr. 152, S. 299.
Das Museo Lapidario war eine Hofhalle im Gesellschaftsgebäude der Accademia Filarmonica.
Hier konnte man allerlei Altertümer bestaunen, die an den Mauern befestigt waren. Man hatte
sie im Laufe der Jahre in Verona und Umgebung gefunden. Es waren Altäre, Grabmäler,
Meilensäulen, Basreliefs, Inschriften. Vergleiche dazu: Goethes Italienische Reise und dessen
Reise-Tagebuch vom 16. September 1786.
Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 155, S. 303.
Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 176, S. 335.
Gottfried Schütze (7. Mai 1719 Wernigerode im Harz–1. Juli 1784 Hamburg) war evangelischer Theologe und Historiker.
10
Rudolph Angermüller
sor, des Pädagogii zu Altona Rector, der Königlichen Preußischen / Akademie wie
auch der Königlichen Dänischen Societät der Wissenschaften Mitglied. / Mit Königlichen Polnischen und Churfürstlichen Sächsischen allergnädigster Freiheit. / Hannover, 1751. / Im Verlage seligen Nicolai Försters und Sohns Erben / Hof-Buchhandlung. 2 Bände, LXXVIII, (4), 728 S.; (12), S. 729–1556, (64) S., 4°. 6
Der Altertumskundler und Reiseschriftsteller Johann Georg Keyßler7, Sohn eines Hofrats, studierte seit 1711 Rechtswissenschaften und germanische Altertumskunde in Halle an der Saale, wurde 1713 Hofmeister zweier Grafen von
Giech, mit denen er Reisen durch Deutschland, Holland und Frankreich unternahm. 1716 diente er der Familie Bernstorff auf deren Stammgut in Gartow im
Wendland als Gutsverwalter, Hauslehrer und Bibliothekar. Er reiste mit den
Enkeln des Grafen Bernstorff nach England und hielt sich dort mehrere Jahre auf.
Hier wurde er Mitglied der Londoner Royal Society und verfasste altertumskundliche Abhandlungen wie etwa Antiquitates Selectae Septentrionales et Celticae (1720). 1727/29 finden wir ihn mit den Enkeln in Deutschland, der Schweiz
und Italien, später in Frankreich, Holland und Dänemark. Bedeutend war seine
musterhafte, polyhistorisch-enzyklopädische Reisebeschreibung einer Kavalierstour der beiden Grafen Bernstorff (Andras Gottlieb, 1706–1768, und Johann
Hartwig Ernst, 1712–1772, dänischer Diplomat und Politiker), die in den Neuesten Reisen... ihren Niederschlag fanden. In den letzten Jahren seines Lebens
widmete er sich den Sammlungen und der Bibliothek des Grafen Bernstorff.
Keyßlers Reisebeschreibungen sind in Form von weitschweifigen Briefen abgefasst. Er berichtet über Dinge der Gelehrsamkeit, Denkmale, Museen, Kuriositäten der Kunst und Natur, politische und wirtschaftliche Verhältnisse, über das
Leben und die Sitten an verschiedenen Höfen. Keyßlers Neueste Reisen... waren
lange das wichtigste Nachschlagewerk über Italien, die umfangreiche und sorgfältige Materialsammlung war auch in der Hand Johann Wolfgang von Goethes
(1749–1832).
Im Herbst 1769 plante Leopold Mozart mit seinem Sohn Wolfgang in das
berühmte Musikland Italien zu reisen, Wolfgang sollte hier neue Bekanntschaften
machen, neue Eindrücke gewinnen. Die Reise begann am 13. Dezember 1769
und endete am 28. März 1771. Sie brachte Vater und Sohn bis nach Neapel.8
6
7
8
Neuausgabe in moderner Transkription von Rudolph Angermüller, in: Wolfgang Amadeus
Mozart. Leben und Werk. Redaktion: Gertraud Götz, Berlin 2005.
Johann Georg Keyßler, 13. April 1693 Thurnau in Oberfranken – 21. Juni 1743 Gut Stintenburg am Schaalsee.
Zu Mozarts Italien-Reisen vgl. Rudolph Angermüller unter Mitarbeit von Geneviève Geffray /
Photographie: Vera von Glasner-Ostenwall, Delitiæ Italiæ. Mozarts Reisen in Italien, Bad
Honnef 1994. – Dies., Delitiae Italiae. I viaggi di Mozart in Italia. Traduzione de Martha Canestrini. Revisione italiana di Rosanna Carrozzini, Rovereto 1995. – Rudolph Angermüller,
Mozarts Reisen in Europa 1762–1791, Bad Honnef 2004. – Rudolph Angermüller con la
collaborazione di Geneviève Geffray, presentazione di Maria Majno, I viaggi di Mozart in
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
11
Die Reise führte die Mozarts zunächst durch Tirol, das Eingangstor nach Italien
war. Keyßler über die Tiroler Bauern: „Das gemeine Bauervolk zieht in Tirol gar
elend auf, und sieht den Zigeunern nicht gar unähnlich. Manns- und Frauenspersonen tragen Hüte von allerlei Farben; sie sind übrigens in ihrer Religion gar
eifrig, [...]. Die Bauerhäuser und Viehstallungen sind in Vergleichung mit andern
Ländern sehr elend [...].“ (S. 19)
Am Freitag, dem 15. Dezember 1771, kamen die Reisenden in Tirols Hauptstadt Innsbruck9 um 17.30 Uhr an, wo sie mit allen Ehren empfangen wurden. Sie
fanden Logis beim Wirt Jakob Philipp Pichler, einem angesehenen Mann, der
Bürgermeister der Inn-Stadt war, im Gasthof Zum weißen Kreuz (heute: HerzogFriedrich-Straße 31, Gedenktafel an dem noch heute existierenden Gebäude). Am
folgenden Tag gab es ein Konzert beim Grafen Leopold Künigl (1726–1813).
Reichsgraf Künigl, kaiserlicher geheimer Rat, Kämmerer und rangältester Gubernialrat, auch Präsident „bey dem o. ö. Comerzionsconseß“, wohnte in der Wolkenburg (Doppelhaus Maria-Theresia-Straße 38, gegenüber dem Landhaus), seit
1804 Palais Trapp.
Keyßler über Innsbruck: „Innsbruck ist eine schöne Stadt, die mit ebenen Gassen und großen Palästen, welche nach italienischer Art mit platten Dächern
gebaut sind, prangt. [...] Das berühmte goldene Dach ist nur über einem Erker der
Hofkanzlei. Die Stücke Kupfer, aus welchen es besteht, sind mit Goldblech überzogen [...].“ (S. 21)
Am 24. Dezember kamen Leopold und sein Sohn nach Rovereto.10 Die Salzburger stiegen im Gasthof Zur Rose ab (heute etwas Osteria Pettirosso, Corso
Bettini 24).
Nicolò Cristani di Rallo (1731–1776) schrieb 1766 in seiner Breve descrizione
della pretura di Rovereto über Rovereto: „Alli confini Italiani della Contea del
Tirolo, nella così detta Valle Lagarina è situata la Pretura di Roveredo: questa
comprende la Città di Roveredo con otto circonvicine Communità: Lizzana,
Sacco, Volano, Marco, Noriglio, Trembeleno, Terragnolo e Val’arsa. Tutti questi
luoghi presi assieme si chiamano la Pretura di Roveredo, [...].“
Auch Adamo Chiusole (1729–1787), Historiker, Schriftsteller und Forscher,
schrieb 1787 in seinen Notizie antiche e moderne della Valle Lagarina e degli
uomini illustri über Rovereto:
Italia, Milano 2006. – Alberto Basso, I Mozart in Italia. Cronistoria dei viaggi, documenti,
lettere, dizionario dei luoghi e delle persone, Roma 2006 (L’arte armonica. 3. Serie IV.
Iconografia e cataloghi).
9 Zu Innsbruck vgl. Walter Senn, Mozarts Innsbrucker Aufenthalt im Dezember 1769, in: Tiroler
Heimatblätter 52 (1977), S. 124–127.
10 Zu Rovereto vgl. Fulvio Zanoni, Mozart ai Confini d’Italia. Narrazione di cronaca e storia,
Mori / Rovereto 2012. – Ders., Rovereto Mozartiana. Nove Itinerari, Rovereto 2012.
12
Rudolph Angermüller
„Questa citta si è molto dilatata, e notabilmente abbellita (come) si vede da nobili, e
grandiose fabbriche nuove, e le antiche furono romodernate, e assai migliorate; così
crebbe il numero delle chiese, e s’arrichiaronno gli Ospedali [...] e non dubito che
questo buon gusto andrà crescendo nel vedere che vari Signori dilettando vanno delle
due nobilissime arti ed Architettura, le quali sogliono in noi risvegliare le più nobili
idee e conoscer ci fanno il vero bello.“ [...] [i cittadini] „viaggiarono nell’Italia, e nella
Germania, e molti furono nelle grandi città educati, apprendendo oltre le scienze, e
l’arti Cavalleresche anche il buon gusto di ben ammobiliare gli appartamenti, [...].“11
Am ersten Weihnachtstag nahmen die Mozarts an einem Festessen bei Nicolò
Cristani di Rallo († 1776), der in Salzburg studierte und Violinschüler Leopold
Mozarts (1719–1787) war, teil. Hier trafen sie Max Septimus (Massimiliano Settimo) Graf Lodron (1727–1796), der Domherr und Dechant im nahegelegenen
Villa Lagarina (auch kleines Salzburg genannt) war und sich besonders um die
Ausschmückung der dortigen Pfarrkirche Santa Maria Assunta verdient machte. Abends: Konzert im Hause des Barons Giovanni Battista Todeschi di Eschfeld
(1730–1799) (Via Mercerie 14/Via Tartarotti), Bürgermeister von Rovereto – er
kannte die Mozarts aus Wien.
Bestaunt wurde Wolfgang in der Kirche von St. Marco am Nachmittrag des
Stephanitages (26. Dezember). Die Kirche war gestopft voll, als Mozart sie betrat und seine Orgelkünste zeigte.
Leopold Mozart stellte der Stadt und ihren Einwohnern am 7. Januar 1770 aus
Verona folgendes Zeugnis aus: „Dieser Ort ist nicht groß, und war einsmals ein
gar schlechter Platz, ist aber durch fleiß der Innwohner seit mannsgedenken
immer in bessere Aufnahme gekommen, indem die meisten von Weinwuchs und
SeidenHandlung leben. dermahl sind viele vermögliche Häuser da, und man ist
sehr höflich mit den fremden.“12
Am 27. Dezember 1769 kamen die Mozarts über Ala, Peri und Chiusa di
Rivoli nach Verona, wo sie bis zum 10. Januar 1770 blieben. Zwei Wochen verblieben sie somit in dieser Stadt, betraten damit zum ersten Mal den Boden der
Republik Venedig: „Jetzt hört der deutsche Tölpel auf, und fängt das welsche
Tölpel an“, schreibt Mozart am 7. Januar 1770 an seine Schwester.13 Quartier
nahmen sie im Gasthof Zu den zwei Türmen. Das Hotel Due Torri (heute Due
Torri Hotel Baglioni, Piazza San’Anastasia 4) wurde von wohlhabenden und
renommierten Gästen bevorzugt, war es doch eines der ersten Häuser am Platze. Es zählte zu seinen Gästen unter anderen Goethe, Heine, Franz I. und Maria
Theresia, Alexander von Rußland, Kaiser Franz Joseph, Viktor Emmanuel II.,
Garibaldi.
11 Vgl. auch Rudolph Angermüller / Roberto Adami, Guida mozartiana del Trentino, II edizione,
Rovereto (2005).
12 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 152, S. 299.
13 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 153, S. 301.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
13
Keyßler über diese welsche Stadt mit ca. 50.000 Einwohnern:
„Allein was die Schönheit anlangt, darf man selbige mit den meisten großen Städten
des untern Italiens keineswegs in Vergleichung ziehen. Die meisten Straßen darinnen
sind enge, krumm, kotig, mit schlechten Häusern bebauet, und fällt sie überhaupt mit
ihrer angenehmen Gegend viel besser in die Augen, wenn man sie von einer benachbarten Höhe in Augenschein nimmt, als man sie hernach in der Tat findet. [...]“
(S. 1016–1017).
„Das veronesische Erdreich bringt gute Pfirsiche, Melonen, Feigen, Erdbeeren, Trüffeln, sehr große Artischocken, Spargel, Kastanien, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Wein,
Oliven und vielerlei Kräuter hervor.“ (S. 1032)
Die Mozarts nahmen in dieser Zeit mit Geistlichkeit, Adel und Bürgertum Kontakt auf. Am 3. Januar sahen sie Pietro Guglielmis (1727–1804) Opera seria Ruggiero (Text: Caterino Mazzolà, 1745–1806), am 5. gab Mozart sein erstes Konzert in der Accademia filarmonica, das die Veroneser Noblesse organisierte.14 Hier
spielte er ein Klavierkonzert vortrefflich vom Blatt, improvisierte. Am Samstag,
dem 6. Januar, speisten die Salzburger bei dem renommierten Kaufmann Michelangelo Locatelli (* um 1715). Auf Veranlassung des hohen Finanzbeamten Pietro
Lugiati (1724–1788), der sich an der Musik ergötzte, wurde er vom 6. bis 8. Januar von Saverio Dalla Rosa (1745–1821) porträtiert. Die Lugiatis waren eine
einflußreiche, alteingesessene Familie mit großem Haus und Grundbesitz, sie
wohnten in einem Palast an der Piazza Noiosa 2 (heute Banca Popolare).
Am 10. Januar reisten die Mozarts von Verona über Villafranca und Roverbella nach Mantua15 (bis 19. Januar). „Mantua liegt in einem See oder Moraste,
welchen der in dieser Ebene austretende Fluss Mincio macht. Man zählt allhier
18 Pfarrkirchen und 40 Klöster, welche unstreitig zu viel sind für einen Ort, [...]
der nicht über zehntausend christliche Einwohner hat. Die Anzahl der Juden
beläuft sich auf 4 bis 5000, welche ihren eigenen Ghetto, oder ihr besonderes
Quartier haben [...].“ (S. 1010).
In Mantua nahmen die Mozarts im Gasthof Croce verde (hinter dem heutigen
Teatro Sociale, 1722 gebaut, gegen den heutigen Corso Umberto I°) Quartier.
Abends um 18 Uhr besuchten sie im Teatro Accademico, das Platz für 400 Personen hatte (Via Accademica 47, Piazza Dante), eine Aufführung von Johann Adolf
Hasses (1699–1783) Demetrio.
Am 20. Januar, einem Samstag, reiste man nach Cremona (über Castellaccio,
Bozzolo, Voltino, Pieve di San Giacomo) weiter. Man nächtigte hier im wahrscheinlich im Gasthof Colombina (via Sicardo 11, gegenüber dem Dom, heute
14 Vgl. Raffaelo Brenzoni, Verona nella vita di Wolfgango Amadeo Mozart, in: Studi storici Veronesi, Anno 1954, Verona 1954, und Giuseppe Ferrari / Mario Ruffini (Hg.), Sig.r Amadeo
Wolfgango Mozart. Da Verona con Mozart: personaggi, luoghi, accadimenti, Venezia (2007).
15 Vgl. Erich Schenk: Mozart in Mantua, in Studien zur Musikwissenschaft 22 (1955), S. 1–29.
14
Rudolph Angermüller
Privathaus mit Geschäften im Erdgeschoß). Abends sah man im Teatro Nazari
(heute: Teatro Ponchielli, Corso Vittorio Emmanuele II, 52) eine Aufführung von
La Clemenza di Tito von Michelangelo Valentini (ca. 1720 – nach 1786) (Text:
Pietro Metastasio [1698–1782]), die von dem Domorganisten und Komponisten
Giacomo Antonio Arrighi (1704–1797) geleitet wurde. Leopold und Wolfgang
befanden das Orchester gut.
Über Claudio Monteverdis (1567–1643) Geburtsstadt urteilte Keyßler ziemlich streng: „Cremona hat eine Universität, welche [...] jetzt aber in einem gar
schlechten Zustande ist. [...]“ (S. 1008).
Nach Mailand kamen die Reisenden über Pizzighettone, Codogno, Zurlesco,
Casalpusterlengo, Lodi und Marignano am 23. Januar (bis 15. März). Unterkunft
fanden sie im Augustiner-Kloster S. Marco – Vater und Sohn wohnten hier „bequem, sicher und nahe bei Sr: Ex: Graf [Karl Joseph] Firmian [1716–1782]“.16
Keyßler über Mailand: „Die Stadt Mayland [ca. 120.000 Einwohner] ist im
Vergleich mit Turin für hässlich zu rechnen, weil sie wenige gleiche und viele
sowohl krumme als enge Straßen hat.“ (S. 259)
In Mailand verkehrten die Mozarts in besten Häusern, Wolfgang komponierte
Arien, konzertierte, bekam hier den Auftrag für die Opera seria Mitridate, Re di
Ponto KV 87. Ausgiebig nahmen sie in der lombardischen Hauptstadt am Faschingstreiben teil.
16. März: Weiterreise über Lodi, Zurlesco, Casalposterlengo, Fombio, Piacenza, Fiorenzuola, Borgo San Donnino, Castelguelfo nach Parma.
Über die 28.000 Einwohner zählende Stadt Piacenza erfahren wir, dass es hier
„fette Pfründe und reiche Stiftungen“ des Klerus gebe. Hier wohnten 2000 Mönche, Nonnen und andere geistliche Personen.
Und von Parma mit 45.000 bis 50.000 Einwohnern heißt es: „Parma ist eine
volkreiche und große Stadt, worinnen man schöne breite Straßen und viele gute
Häuser (welche die Italiener nach ihrer Gewohnheit gleich mit den Namen von
Palazzi beehren) antrifft.“
„[...] Das durch ganz Europa berühmte große Theater hat Rainutius der erste
[Rainutio I., 1569/1592–1622] im Jahre 1618 erbauen lassen. Das Parterre desselben ist 65 und die erhöhte Schaubühne 62 gemeine Schritte lang.“ (S. 997–999)
Irdische Genüsse werden bei Keyßler aber auch nicht vergessen: „Die Güte
des Parmesankäses, der durch ganz Europa gefahren wird, kommt von der herrlichen Weide, die sonderlich um Piacenza anzutreffen ist. [...] Am besten ist der
Parmesankäse, wenn er drei bis vier Jahre alt und im Schneiden unter dem Messer
so zu reden voneinander fällt.“ (S. 1004)
Die Mozarts begegneten hier während ihres Aufenthaltes zwischen dem 16.
und 24. März 1770 der berühmten Sopranistin Lucrezia Agujari, genannt La Bas-
16 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 157, S. 308.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
15
tardella (1743–1783), die sie am Samstag, dem 17. März zu sich (Via F. Cavallotti) zum Speisen einlud und ihnen drei Arien vorsang. Nach Wolfgang hatte sie
eine schöne Stimme, eine galante Gurgel und eine unglaubliche Höhe. Die Mozarts lernten auch den Kapellmeister Giuseppe Colla (1731–1806) kennen, den
die Agujari später heiratete.
Bologna17 erreichten die Mozarts am 24. März via Castelfranco und Samoggia. Man stieg hier im besten Gasthof, Il Pellegrino genannt, ab (heute Via Ugo
Bassi, existiert nicht mehr), bezahlte jeden Tag einen Dukaten.
Am 25. März empfingen Feldmarschall Gian Luca Pallavicini-Centurioni
(1696–1773), den Freundlichkeit, Großmut, Gelassenheit und eine besondere
Liebe und Einsicht in alle Gattungen der Wissenschaft auszeichnete, und seine
Frau Maria Caterina die Salzburger. Er lebte seit 1754 in Bologna und wurde
später außerordentlicher Kaiserlicher Gesandter.
Die Mozarts besuchten auch den gelehrten Musiktheoretiker Padre Giovanni
Martini OFM (1706–1784), bei dem Wolfgang Fugen komponierte, zu denen der
Padre die Themen angab.
Auch Sänger wurden aufgesucht: so der Kastrat Carlo Broschi (1705–1782),
genannt Farinelli, so die Sopranistin la Spagnoletta (Clementina Spagnoli, ca.
1735 – nach 1779).
Die Stadt ist der teuerste Ort in Italien. Über Bologna, das 80.000 bis 90.000
Einwohner zählte, erfahren wir bei Keyßler:
„Bologna ist sowohl in Ansehung ihrer Größe, als auch wegen der Menge ihres Adels,
der Anzahl ihrer Einwohner und guten Handlung, nach Rom für die beste und reichste
Stadt des ganzen Kirchenstaats zu achten. [...] Die Einwohner passieren überhaupt für
aufgeweckte Köpfe, die ihre lustigen Einfälle und bons mots mit einem satirischen
Sticheln wohl zu vergesellschaften wissen. Gegen die Fremden brauchen sie viele
Höflichkeit, und so viel der äußerliche Augenschein gibt, sind sie in ihren Handwerken und Manufakturen fleißig und arbeitsam. Die Menge und Güte der Seide bringt
der Stadt eine starke Nahrung, [...].“ (S. 942)
„Die Esswaren finden sich in Menge und sonderbarer Güte. St. Marco und il Pelegrino
sind schon seit vielen Jahren die besten Wirtshäuser, welche man auf der ganzen Reise
durch Italien antrifft. Das Federvieh überhaupt ist groß und wohl geschmackt, vornehmlich aber muss solches von den Tauben der hiesigen Gegend und der ganzen
Lombardei gerühmt werden. Die bolognesischen Cervellat- wie auch andere geräucherte Würste, (salsicie, mortadelle &c.) Zungen und gesalzenes Fleisch sind durch
ganz Europa bekannt, und werden die geräucherten Würste sogar nach Ost- und Westindien versendet.“ (S. 943–944)
Am Freitag, dem 30. März, erreichten die Salzburger über Pianoro, Loiano, Monghidoro, Passo della Raticosa, Cavigliaio, Passo della Futa, Monte Carelli,
17 Vgl. zu Bologna: Luigi Verdi (Hg.), Mozart a Bologna. I luoghi, i personaggi e l’esame
all’Accademia Filarmonica, Bologna (1997).
16
Rudolph Angermüller
Cafagiolo, Ponte Buona und Vaglia Florenz18 (Aufenthalt bis zum 6. April). Die
Mozarts wohnten hier im Palazzo Bezzoli-Martinelli in der via Cerretani 1
(13. Jahrhundert). Am 1. April besuchten die Mozarts den Obersthofmeister Graf
Franz Xaver Wolfgang Orsini-Rosenberg (1723–1796), der später „GeneralSpektakel-Direktor“ in Wien wurde. Nach Predigt und Amt in der Hofkapelle erhielten die Mozarts eine fünfzehnminütige Audienz bei Großherzog Leopold von
Toskana (1747–1792, regierend 1790 bis 1792), dem zukünftigen Leopold II., im
Palazzo Pitti. Am 4. April trafen die Mozarts den englischen Geiger Thomas
Linley (1756–1778), mit dem Wolfgang Duette bei dem Finanzverwalter Giuseppe Maria des Pivets spielte. Eine herzliche Freundschaft verband die beiden
seither.
Über diese Stadt lesen wir bei Keyßler:
„Florenz ist in Ansehung der Merkwürdigkeiten, auf welche ein Reisender in Italien
seine Gedanken zu richten hat, nach Rom die vornehmste Stadt von ganz Italien.“
(S. 347–348)
„Florenz wird insgemein la Bella oder die Schöne genannt, welches vielleicht von der
Reinlichkeit der Straßen und ihrem guten Pflaster, meistenteils aus breiten Quadersteinen, pietre forti genannt, besteht, herkommt. [...] Die Straßen sind gleichfalls
meistenteils krumm und enge [...].“ (S. 399)
„Man rechnet in Florenz ungefähr 9.000 Häuser und 70.000 Seelen. Der größte
Handel der Stadt besteht in wollenen und seidenen Waren.“ (S. 403–404)
Die Abreise von Florenz ging am 6. April vonstatten. Der Weg führte über San
Casciano; Tavernelle, Poggibonsi, Castiglioncello, Siena – 17.000 Einwohner –,
Monterone, Buon Convento, Torrinieri, San Qurico d’Orcia (?), Scala, Passo di
Radicofani, Centno, Acquipendente (?), San Lorenzo alla Grotte, Bolsena, Monte
Fiascone, Viterbo, Ronciglione, Monterosi (?), Baccano, Storta nach Rom.
Keyßler schrieb:
„Siena liegt auf drei Hügeln, und können daher die Straßen nicht anders als sehr
ungleich sein. Hingegen hilft diese Lage zu angenehmen Aussichten und einer sehr
gesunden Luft. Die Einwohner sind höflich und von munterem Geiste; das Frauenzimmer ist wohlgestaltet und weniger eingeschränkt als in vielen andern Orten Italiens. Man hält dafür, dass allhier die italienische Sprache in ihrer größten Vollkommenheit und Reinigkeit geredet werde. [...] Die Stadt selbst ist arm an Einwohnern,
und zählt man derselben in allen kaum 17.000.“ (S. 406)
18 Zu Florenz vgl. Mozart a Firenze ... qui si dovrebbe vivere e morire. Mostra bibliografica e
catalogo, hg. von Paola Gibbin, Lucia Chimirri und Mariella Migliorini Mazzini, Firenze
(2006).
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
17
Unter Blitz und Donner erreichten die Salzach-Städter am 11. April Rom19 (Aufenthalt bis 8. Mai). Sie kamen in die Ewige Stadt durch die Via Flaminia, fuhren zur Porta Flaminia del Popolo, sahen dann die Piazza del Popolo mit dem
Obelisk und zwei vornehmen Kuppelkirchen (S. Maria dei Miracoli und S. Maria
in Monte Santo) und wussten sicher nicht, dass dies der Ort des Martyriums des
hl. Petrus war.
Leopold Mozart über seine Reise von Florenz nach Rom (300 km):
„Man hätte mich leichter bereden können, dass ich nach Salzburg als nach Rom kommen werde, da wir 5 Tage in dem abscheulichsten Regen und kalten Winde von Florenz nach Rom zu reisen hatten. [...] Stelle dir nur ein meistens ungebautes Land vor
und die abscheulichsten Wirtshäuser. Unflat, nichts zu Essen als zum Glück da und
dort Eier und Broccoli: und manchmal mochten sie sich ein Gewissen daraus machen
Eier am Fasttage herzugeben. Zum guten Glück haben wir in Viterbo noch gut zu
Nacht gespeist und wohl geschlafen.“20
Quartier nahmen die Mozarts in einem Privathaus, in einer Stube mit einem Doppelbett. Erste Besuche galten der Capella Sistina (Viale Vaticano). Nach der Fußwaschung gelang es ihnen, zur Kardinalstafel vorzudringen. Wolfgang, festlich
gekleidet, unterhielt sich mit Kardinal-Staatssekretär Lazzaro Opizio Pallavicini
(1719–1785).
Leopold in einem Brief vom 14. April:
„allein die gute Kleidung, die Teutsche sprache, meine gewöhnliche freÿheit mit
welcher ich meinen Bedienten in Teütscher sprache den schweitzern zu ruffen ließ,
daß sie Platz machen sollten, half uns aller orten bald durch. Sie hielten den wolfg:
für einen teutschen Cavallier, andere gar für einen Printzen, und der Bediente ließ sie
auf dem guten glauben; und ich ward als sein Hofmeister angesehen. Eben so giengen
wir zu der Tafl der Cardinälen. da begab sich, daß der Wolfg: zwischen die Sessel
zwener Cardinalen zu stehen kam, deren einer der Cardinal Pallavicini war. dieser gab
dem Wolfg: einen Wink, und sprach zu ihm: wollen sie nicht die güte haben mir im
vertrauen zu sagen, wer sie sind? der wolfg: sagte ihm alles. der Cardinal antwortete ihm mit der grösten verwunderung, und sagte: Eÿ, sind sie der berühmte Knab, von
dem mir so vieles geschrieben worden. auf dieses fragte der wolfg: sind sie nicht der
Cardinal Pallavicini? – – Der Cardinal antwortete: ja, der bin ich, und Warum? – –
der wolfg: sagte ihm alsdann, daß wir Briefe an Se: Emminenz zu übergeben haben,
und unsere Aufwartung machen werden. der Cardinal bezeigte ein grosses vergnügen
darüber, sagte, daß der wolfg: gut italiänisch spreche, und unter anderen sagte er. ik
kann auck ein benig deutsch sprecken. etc: etc: da wir weg giengen küsste ihm der
Wolfg: die Hand, und der Cardinal nahm das Biret vom Haupt und machte ihm ein
sehr höf: Compliment.“21
19 Zu Rom vgl. Elisabeth Luin, Mozart – Ritter vom Goldenen Sporn, in: Studien zur Musikwissenschaft 22 (1955), S. 30–84.
20 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 176, S. 333.
21 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 176, S. 334.
18
Rudolph Angermüller
Über die Ewige Stadt –160.000 bis 170.000 Einwohner – schrieb Keyßler unter
anderem:
„Wenn man auf die gegenwärtige Größe der Örter und auf die Menge ihrer Einwohner sieht, so sind freilich viele Städte sowohl in Europa, als andern Teilen der Welt,
welche das heutige Rom übertreffen.
Allein wenn man die Macht und das Ansehen, welches eine Stadt über mancherlei mächtige Völker so viele Jahrhunderte hindurch behauptet hat, in Betrachtung
zieht, so findet Rom seines gleichen in der ganzen Welt nicht. [...]“ (S. 420–421)
„Ich komme nun zu S. Pietro in Vaticano, welche wegen ihrer Größe und Schönheit
die Hauptkirche nicht nur von Rom und Italien, sondern auch von der ganzen Welt
genannt zu werden verdient. [...]“ (S. 550)
Am Dienstag, dem 8. Mai, verließen die Mozarts Rom und reisten via Marino,
Velletri (?), Cisterna, Sermoneta, Case nuove di Sezze, Piperno, Abbazia di
Fossanova, Maruti, Terracina, Fondi, Itri, Molo di Gaeta, Formia, Minturo, Sessa Aurunca, Francolisi, Capua, Aversa nach Neapel. Fahrtzeit der Mozarts:
4½ Tage, größtenteils auf der schnurgeraden Via Appia mit beidseitigen Pinienreihen.
Keyßler: „Die Tore der Stadt Rom sind niemals geschlossen und man kann
zu jeder Stunde sowohl bei Nacht als Tags nach Gefallen aus- und einkommen.“
(S. 731)
Am 14. Mai erreichten die Reisenden Neapel22 , das damals 300.000 Einwohner zählte.
Über das Königreich Neapel schreibt Keyßler: „Das Königreich Neapolis ist
in Ansehung seiner Fruchtbarkeit ein rechtes Paradies der Erden. Allerlei Arten
des Getreides, das schönste Obst, andere Gartenfrüchte, Reis, Flachs, Öl und
Wein kommen in großer Menge und Vollkommenheit hervor. [...] (S. 744) Auch
die Sitten werden beschrieben:
„Die wollüstige Lebensart ist schon in alten Zeiten an den Einwohnern dieses Landes bemerket worden. [...] Was die jetzigen Zeiten anlangt, so muss man gestehen,
dass die Freiheit und freche Lebensart der liederlichen Weibspersonen in dieser
Hauptstadt auf den höchsten Grad gestiegen und die Stadt hierin alle andere übertreffe.
Es wohnen in einer einzigen Gegend über zweitausend Kurtisanen beisammen, und
schämen sich geistliche Personen nicht, in diesen Gassen sich gleichfalls einzuquartieren. In allen rechnet man allhier über 18.000 solcher Donne libere.“ (S. 763)
„Der Hafen der Stadt Neapolis ist geräumig, und zu mehrerer Sicherheit mit einem
Molo, so bei 500 Schritte lang ist, wie auch mit einem Fanal versehen.“ (S. 769–770)
22 Zu Neapel vgl. Domenico Antonio d’Alessandro. I Mozart nella Napoli di Hamilton: gli quadri
di Fabris per Lord Hamilton, Napoli 2006.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
19
Am 26. Mai schrieb Leopold an seine Frau:
„Die Lage dieser Stadt gefällt mir täglich besser, und die Stadt überhaupt ist nicht übel;
wenn das Volk nicht so Gottlos und auch gewisse Leute nicht so dumm wären, die sich
es sonst nicht einfallen lassen, dass sie dumm sind. und der Aberglauben! – – dieser
ist hier so eingewurzelt, dass ich sicher sagen darf, dass hier eine völlige Ketzerei eingerissen, die man mit gleichgültigen Augen ansieht.“23
Leopold Mozart am 5. Juni an seine Frau:
„Es wird dir genug sein, dass wir an nichts, Gott Lob, Mangel haben, was immer uns
notwendig ist unsere Reise mit aller Ehre fortzusetzen. Eines der schönsten Sachen
ist der tägliche Passeggio, wo die Noblesse in einigen hundert Kutschen alla Strada
nuova e al Molo abends bis nach Ave Maria spazieren fährt. [...] Da diese Spazierfahrt
am Meer ist; so schießt man auf den Schiffen, wenn die Königin mitfährt, und rechts
und links halten die Kutschen stille, und grüssen die Königin, wenn sie durchfährt.
So bald es ein wenig Abend ist, werden bei allen Kutschen die Flambos angezündet,
um eine Art von Illumination zu machen. Da wir täglich mitfahren und allezeit durch
einen herrschaftlichen Wagen bedient werden [...].“24
In Neapel erhielten die Mozarts Unterkunft in einem Haus, das zum AugustinerKloster S. Giovanni a Carbonara im Zentrum der Stadt gehörte. (Die heute noch
bestehende Kirche liegt an der Via San Giovanni Carbonara in der Nähe der Stazione Centrale.)
Am Samstag, dem 19. Mai, fanden sich die Mozarts beim kaiserlichen Gesandten Graf Ernst Christoph Kaunitz-Rietberg (1737–1797) ein. Wolfgang an
seine Schwester:
„die königin [Erzherzogin Maria Carolina, 1737–1797] und den könige [Ferdinand
IV., 1752–1814] haben wir unter der Meß zu porteci in der hofcapeln gesehn, und den
fesufius haben wir auch gesehen: neapl ist schön, ist aber vollkreich wie wien und
paris. und london und neapl in der impertinenz des volks, weis ich nicht, ob nicht neapl
london übertrift, indem hier das volk, die laceroni [lazzaroni] ihren eignen obern oder
haupt haben, welcher alle monat 25 ducati d’argento von könig hat nur die laceroni
in einer ordnung zu halten.“25
Am 13. Juni brach man nach dem 14 km von Neapel entfernten Pozzuoli auf. Man
besuchte antike Kulturdenkmäler und pittoreske Landschaften westlich von
Neapel.
Keyßler zu Pozzuoli:
„Pozzuoli liegt acht italienische Meilen von Neapolis und hat den lateinischen Namen Puteoli entweder von dem schwefeligen Gestanke, oder von den vielen puteis und
Löchern, die man wegen der Schwefelfabriken und des Sandes, der zu Gebäuden und
23 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 186, S. 352.
24 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 189, S. 356.
25 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 184, S. 350.
20
Rudolph Angermüller
Mauerwerk, sonderlich unter dem Wasser, schon von Alters her sehr gut gefunden
worden, allhier machte.“ (S. 852)
„In dieser Gegend der Seeküste finden sich verschiedene warme Bäder, die Alaun,
Kupfer und Eisen bei sich führen.“ (S. 858)
Mit dem Schiff ging es dann weiter nach Baiae, 2,5 km nördlich von der Bucht
von Pozzuoli, dort besichtigen die Mozarts die Neronischen Bäder und andere
Sehenswürdigkeiten.
Keyßler zu Baiae:
„Wie wollüstig man zu alten Zeiten in dieser Gegend gelebt, ist bekannt genug. [...]
Die rückständigen Merkmale bezeugen deutlich, wie angenehm und prächtig der ganze Strand müsse bebaut gewesen sein. Heut zu Tage aber sieht man kaum ein einziges Haus in dieser ganzen Gegend, welche sich ehemals um ein gutes Teil weiter in
die See muss erstrecket haben, weil man von Baja bis an das Promontorium Penatæ
bei hellem Wetter und klarem Wasser eine große gepflasterte Straße und viele mit
Kunst gemachte Gewölbe nebst ihren Eingängen im Wasser liegend sieht. Von der ehemaligen Stadt Bajä, welche unten am Strande war, ist gar nichts mehr übrig.“ (S. 866–
867)
18./19. Juni: Ausflüge an den Vesuv, nach Pompeji, Herculaneum, Caserta und
Capodimonte. Der Vesuv bestimmt das Landschaftsbild Neapels. Er ist heute
nicht mehr aktiv, aber noch nicht erloschen. Sein erster Ausbruch war im Jahre
79. Mozart konnte 1770 keinen großen Ausbruch sehen! So schrieb Leopold an
seine Frau am 29. Mai: „Der Vesuvius hat mir das Vergnügen nicht gemacht sich
brennend oder vielmehr feuerspeiend zu zeigen. Man sieht sehr selten ein wenig Rauch.“26
Pompeji zeigte noch Ausgrabungen einer altrömischen Stadt. Die ersten planmäßigen Ausgrabungen fanden Mitte des 18. Jahrhunderts statt.
Keyßler über den Vesuv:
„Der Vesuvius ist der herum gelegenen Gegend wegen seines Feuers und Erschütterungen zwar oftmals sehr erschrecklich; allein gleich wie jede Sache, so schädlich sie
auch scheint, dennoch auch ihren Vorteil mit sich bringt: Also trägt dieser Berg durch
die schwefligen und salpetrigen Teile, womit er das Land gleichsam düngt, und wegen
der Wärme seiner unterirdischen Gänge, nicht wenig zu dessen Fruchtbarkeit bei.“
(S. 746)
Nach Rom kamen sie abermals am 26. Juni (bis 10. Juli). Am 5. Juli waren die
Mozarts mittags bei Kardinalstaatssekretär Graf Pallavincini im Palazzo Quirinale. Er überreichte Wolfgang die päpstliche Ernennung zum „Ritter vom Goldenen Sporn“. Drei Tage später empfing Papst Clemens XIV. (1706–1774, Papst
von 1769 bis 1774) Wolfgang mit seinen Insignien in seiner zeitweiligen Residenz, dem Palazzo Santa Maria Maggiore.
26 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 188, S. 355.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
21
12. bis 16. Juli: Reise über Terni, Strettura, Valico della Somma, Spoleto, Vene
und Foligno nach Loreto. Leopold an seine Frau am 21. Juli: „Die übrigen Tage
sind wir allzeit morgens um 3 oder 4 Uhr ausgefahren, bis etwa 8 Uhr oder 9 Uhr,
dann sind wir geblieben bis abends um 4 Uhr und wieder bis etwa 8 oder 9 Uhr
in die Nacht gefahren. Übrigens war dieses eine der mühsamsten Reisen, die ich
gemacht habe.“27
Über Loreto erfahren wir: „Loreto ist wegen der Casa Santa oder des Hauses,
welches die heilige Maria zu Nazareth bewohnt, in der ganzen Christenheit berühmt.“ (S. 891) „Der Zulauf von Fremden verursachet in Loreto eine starke Zufuhr von Lebensmitteln: und ob die Wirte gleich die Fremden so viel möglich
übers Ohr hauen, so wird man hingegen jedoch auch wohl gespeist. Die Einwohner sind höflich [...].“ (S. 911) Leoplold kaufte an diesem heiligen Ort Reliquien.
Der Mozartsche Aufenthalt in Turin (14. bis 31 Januar 1771) – eine Stadt von
ca. 57.000 Einwohnern –, der damaligen Hauptstadt des Königreiches Sardinien,
dauerte vom 14. bis zum 30. Januar 1771.
Keyßler über Turin:
„Die Stadt ist nicht gar groß, aber volkreich, [...] so wird diese Stadt unfehlbar, was
die Straßen anlangt, die schönste von Europa werden, und weis ich weder in Italien
noch Frankreich, England, Holland und Deutschland eine, die ihr jetzt darinnen gleich
käme.“ (S. 219–221) [...]
„Man speist in ganz Italien nirgends so schlecht als in Turin, ob es gleich einerlei Geld
kostet. Das Land bringt gute Weine im Überfluss, man bekommt aber in Wirtshäusern
das elendste Getränk, wo man es nicht außerordentlich teuer bezahlen will.“ (S. 226)
(Hier irrt Keyßler.)
Die Mozart logierten hier im Gasthof Dogana nuova, 1719 gegründet (Corso Corte d’Appello 4, heute: Dogana Vecchia).
Am 26. Dezember 1770 wurde Mozarts Opera seria Mitridate, Re di Ponto
KV 87 im Mailänder Regio Ducal Teatro mit großem Beifall uraufgeführt. Die
Besetzung war folgende:
Mitridate
Aspasia
Sifare
Farnace
Guglielmo d’Ettore (um 1740 Sizilien – Ende Dezemeber 1771/
Anfang Januar 1772 Ludwigsburg, tätig 1757–1771), Tenor
Antonia Bernasconi (18. Januar 1741 Stuttgart – 1803 Wien, tätig
1767–1786, Sopran
Pietro Benedetti, detto Sartorini (Sartorino, ca. 1745 Rom – nach
1792, tätig 1764–1792), Sopranista
Giuseppe Aldobrandi (Aldobrandini), detto Cicognani (ca. 1730
Cesena oder Bologna–nach 1778, tätig 1748–1778), Alt
27 Bauer-Deutsch, Band I, Nr. 199, S. 370.
22
Rudolph Angermüller
Ismene
Marzio
Arbate
Anna Francesca Varese (Varesi, tätig 1770–1775), Sopran
Gaspare Bassano (Bassani, tätig 1768–1776), Tenor
Pietro Muschietti (geboren in Mailand, tätig 1770–1792), Sopran28
Vom 4. bis 11. Februar 1771 reisten die Mozarts von Mailand über Canonica
D’Adda, Cologno, Palazzolo, Rovato, Brescia, Desenzano, Castelnuovo, Verona, Caldero, Montebello Vicentini, Vicenza Arlesega, Padua Dolo, Fusina nach
Venedig, „dem gefährlichsten Ort von ganz Italien“.
Über Vicenza schreibt Keyßler:
„Es hat sich in dieser Stadt eine Gesellschaft gelehrter Leute zusammen getan, so den
Namen der Olympicorum führt, und ihre Absicht hauptsächlich auf das Aufnehmen
der Beredsamkeit in der italienischen Sprache richtet. Diese hat in der Akademie oder
dem Gebäude, woselbst sie sich versammelt, durch den berühmten vicentinischen
Baumeister Andrea Palladio [1508–1580], ein Theater bauen lassen, welches wegen
seiner bequemen Einrichtung gesehen zu werden verdient. Es wird solches wenig gebraucht und ist nur ein einziges Mal die Opera Sophonisbe darauf vorgestellt worden.“
(S. 1035)
„Vicenza liegt zwischen zwei Bergen in einer weitläufigen Ebene und nennt man ihr
Gebiet wegen seiner Fruchtbarkeit insgemein den Garten und das Schlachthaus von
Venedig.“ (S. 1037)
Von Padua weiß Keyßler zu berichten:
„Die Stadt Padua rühmt sich zwar der Republik Venedig ihren Ursprung und erstes
Aufnehmen gegeben zu haben; allein sie wird selbst nun schon etliche hundert Jahre von dieser ihrer Tochter beherrscht, unter deren Regierung sie gar vieles von ihrem ehemaligen Flor verloren hat und jetzt kaum 40.000 Einwohner zählt.“ (S. 1039)
Ausführlich ging Keyßler auf Venedig, das 200.000 Einwohner zählte, ein:
„Die berühmtesten Wirtshäuser sind l’Aquila nera, il Lione bianco und il Scudo di
Francia. [...]
Der Wein, welchen man in den Wirtshäusern bekommt, ist schlecht; es handeln
aber einige Klöster mit verschiedenen Weinen und gibt es viele andere Keller, woraus man sich versorgen kann. Absonderlich finden die Liebhaber von starken Weinen,
dergleichen il Vino di Malaga, di Malvasia, di Cypro, di Capo d’Istria, und andere
sind, Gelegenheit ihren Geschmack zu vergnügen.
28 Vgl. Rudolph Angermüller, Die Sänger der Erstaufführung von Mozarts Mitridate, Re di Ponto
KV 87 (Mailand, 26. Dezember 1770). d’Ettore – Bernasconi – Benedetti – Aldobrandini
(Cicognani) – Varese – Bassano – Muschietti, in: Mitteilungen der Internationalen Stitung
Mozarteum 49 (2001), Heft 1/2, S. 10–29, und in: Mozart, seine Zeit, seine Nachwelt. Florilegium Pratense. Ausgewählte Aufsätze von Rudolph Angermüller anläßlich seines 65. Geburtstages. Im Auftrag der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, hg. von Geneviève Geffray
und Johanna Senigl, Würzburg 2005, S. 183–207.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
23
Der Redoute sieht man sich bald satt, und lässt es der meisten Reisenden Beutel
nicht zu, sich viel in das Spiel zu mischen, zumal da man mit ganz ungewöhnlichen
Karten spielt und es etwas gar rares wäre, wenn ein Fremder sich rühmen könnte, dass
er hierbei großen Vorteil gehabt habe. Es ist in dem Redoutenhause niemanden als den
Nobili erlaubt, banco zu halten und sitzt bei jedem Bankier eine oder zwei maskierte Damen, welche das Recht haben, ihn zu erinnern, wenn er etwas zu seinem Schaden versehen sollte.“ (S. 1091–1094)
Ankunft in Venedig am 11. (Rosenmontag) morgens in der Lagunen-Stadt, bei
„üblen wetter und erstaunlichen Wind“, Logis bei der Familie Ceseletti im Pfarrsprengel Rio Fantino al Ponte dei Barcaroli (wenige Schritte von S. Marco, nächst
dem Teatro nobile S. Benedetto, später Teatro Rossini; heute: Ponte dei Barcaroli
Cuoridoro). Die Ceselettis waren begüterte Bürger, Vater Angelo wurde „Cuoridoro“ tituliert, seine Frau hieß Maria. Die Kinder waren auf Chiara Nadalina
(* 1732) und Pietro Giulio Giovanni (* 1747) getauft. Abends: mit dem Kaufmann Giovanni Wider (1707–1797) und seiner Frau in der Oper. Johann Lorenz
Hagenauer (1712–1792) hatte die Mozarts an ihn vermittelt.
Ausführlich ging Keyßler auf Venedig ein:
„Es ist nicht zu leugnen, daß die zerstreuet liegende Inseln und die mitten aus dem
Wasser hervorragende Kirchen und Gebäude der Stadt von weitem ein prächtiges
Ansehen geben, auch die an den meisten Orten unmittelbar an die Häuser stoßende
Canäle einem Fremden desto wunderbarer vorkommen, je weniger man dergleichen
anderswo zu sehen bekömmt. Indessen, wenn man den St. Markusplatz und etliche
wenige andere Oerter ausnimmt, so thut man der Stadt nicht allzugroßes Unrecht,
wenn man saget, sie sey in Vergleichung vieler anderer gar nicht schön. Absonderlich sind die Häuser von schlechter Baukunst und haben hierinnen die Grachten oder
Canäle von Amsterdam einen großen Vorzug vor Venedig. Il Canale maggiore hat
zwar seine Schönheiten von der großen Breite und etlichen daran stehenden Häusern,
die etwas besser als die andern gebauet sind; allein die übrigen Canäle sind desto
schlechter, krumm und enge, haben auch die Beschwerlichkeit, daß sie im Sommer
wegen des vielen Unflats, der hereinkömmt, übel riechen.
Man hat zwar auch in der Stadt die Veränderung der Ebbe und Fluth, welche etwas
später als alle sechs Stunden abwechselt und in der Höhe des Wassers ordentlicher
Weise einen Unterschied von vier bis fünf Fuß machet; allein dieselbe ist nicht
hinlänglich, die kleinen Canäle gehörigermaßen auszuspülen, und habe ich etliche mal
bemerket, daß kleine Bündel Stroh oder andere auf dem Wasser schwimmende Dinge in zween bis drey Tagen kaum dreyßig bis vierzig Schritte von der Gegend, woselbst sie anfänglich gelegen, weggebracht worden. Das Wasser ist auch gar nicht hell,
sondern von dunkler Farbe. Die Gondoln gehen zwar sehr geschwinde, sind aber
übrigens ein trauriges Fahrzeug, weil sie schwarz angestrichen und mit schwarzem
Tuche oder Serge beschlagen sind. Es können nicht über vier oder fünf Personen
darinnen sitzen, und weil man nicht aufgerichtet seyn kann, so ist es nicht viel anders,
als wenn man in einem Sarg hinein kriechen müßte. Man zahlt täglich sieben bis acht
Lire für eine Gondol, ausgenommen am Himmelfahrtstage, da man ein mehrers geben
muß.
24
Rudolph Angermüller
In dem Fond der Gondol ist die linke Hand die vornehmste, weil der vorderste
Ruderer auf der rechten Hand sitzt und dadurch demjenigen, der auch auf dieser Seite
ist, die freye Aussicht benimmt. Die Gondoliers wissen einander mit großer Geschwindigkeit auszuweichen, und dienen ihnen die Worte stacandro oder stali zur
Losung, wenn der andere ihnen entgegen kommende rechter Hand von ihnen halten
soll; premando aber oder premi, wenn er nach der linken sich zu wenden hat. Es ist
sogar auch den Nobili verbothen, sich anderer als schwarzer Gondoln zu bedienen,
damit die Begierde, einander am Prachte dieser Fahrzeuge zu übertreffen, nicht zu
vielen unnöthigen Ausgaben Gelegenheit geben möge. Den neuvermählten Damen
der Nobili wird allein im ersten und andern Jahre ihres Ehestandes mehrere Freyheit
gegönnet.
Den Fremden würde zwar frey stehen, ihr Geld sowohl mit kostbaren Gondoln als
der dazu gehörigen Equipage nach Gefallen zu verzehren; allein dieselben bleiben
selten so lange Zeit hier, daß es rathsam wäre, auf diese besondere Einrichtung bedacht zu seyn. Es sind dannenhero die Gesandten die einzigen, welche sich mit kostbaren Gondoln von andern unterscheiden und in selbigen auch ihren Einzug halten.
Es ist an solchen weder Malerey und Bildhauerkunst noch Verguldung gesparet.
Die Canäle durchschneiden die ganze Stadt; allein man kann auch vermittelst der
kleinen Brücken (deren über fünf hundert gezählet werden), und wenn man keinen
Umweg scheuet, gar weit zu Fuße herum gehen. Die meisten Häuser, welche unmittelbar am Wasser liegen, haben auf der andern Seite auch ihre Thüren, woraus man
zu Fuße nach den benachbarten Plätzen kommen kann. Diese Straßen aber sind gar
enge, und wenn es geregnet hat, sehr schlimm zu gehen, weil man wegen der breiten
und glatten weißen Steine, womit sie beleget sind, gar leicht fällt. Absonderlich hat
man alsdann sich auf den Brücken, so fast alle zusammen ohne Geländer sind, und
ihre Treppen von obgedachten Steinen haben, wohl vorzusehen.“ (S. 1089-1090)
„Die berühmtesten Wirthshäuser sind l’Aquila nera, il Lione bianco und il Scudo di
Francia. Es ist aber daselbst etwas theuer zu zehren. à S. Giorgio ist seit einem Jahre eine gute Gelegenheit für Fremde angeleget, da man täglich für zwey Zimmer und
zwo Mahlzeiten nur sieben Lire giebt, und wenn man bisweilen außerhalb speiset,
drey Lire abzieht. Für den eigenen Diener wird die Hälfte bezahlt. Ein Miethlakey kostet täglich in allen drey Lire. Der Wein, welchen man in den Wirthshäusern bekömmt,
ist schlecht; es handeln aber einige Klöster mit verschiedenen Weinen, und giebt es
viele andere Keller, woraus man sich versorgen kann. Absonderlich finden die Liebhaber von starken Weinen, dergleichen il Vino di Malaga, di Malvasia, di Cypro, di
Capo d’Istria, und andere sind, Gelegenheit ihren Geschmack zu vergnügen.
Wer sich außerordentlich speisen lassen will, und einen guten Koch bey sich hat,
kann eine sehr gute Tafel halten, weil sowohl von Gartengewächsen als andern Eßwaaren eine große Menge aus der Terra ferma zugeführet wird. Insbesondere giebt
sowohl die See als die in den Golfo sich ergießende Flüsse eine reiche Abwechselung
von guten Fischen, Krebsen, Muscheln und Austern, welche letztern zwar groß genug
sind, am Geschmacke aber den holländischen und englischen nicht beykommen. Ihr
Fleisch ist gar weich, und die Gegend um das Arsenal, woselbst sie in großer Menge
gefangen werden, also beschaffen, daß man nicht allzuviel auf die Reinlichkeit gedenken darf, wenn man solche Austern mit Appetit essen will. Indessen kommen ihrer
auch viele von der Insel Murano.
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
25
Was die Ergötzlichkeiten, deren die Fremden in dieser Stadt genießen, anlangt,
so setzet man zwar insgemein das Carnaval oben an; ich zweifle aber, daß dasselbe
solchen Rang behaupten würde, wenn ein unparteyischer Richter den Ausspruch thun
sollte.
Junge Leute, die nur in sündlicher und ausgelassener Freyheit ihren Zeitvertreib
suchen, finden zwar hier Gelegenheit genug, ihre Begierden, wo nicht zu sättigen,
jedoch wenigstens zu ermüden; allein diese Gelegenheit fehlet ihnen auch zu anderer Zeit, und sonderlich um das Himmelfahrtsfest nicht, ist auch also beschaffen, daß
man alle Schamhaftigkeit auf die Seite gesetzt haben muß, wenn man an solcher
wilden Lebensart Belieben finden will.
Die Curtisanen, welche mit großer Unverschämtheit ihre Dienste anbiethen, sind
öfters solche cloacæ publicæ, welche wegen ihres lüderlichen Lebens und Spitzbübereyen in den benachbarten kaiserlichen Erbreichen des Landes verwiesen worden, und öfters die Kennzeichen der Ruthe oder des Galgens noch auf dem Rücken
führen.
Aus den Maskeraden machen zwar die Italiener überhaupt ein großes Wesen, und
geht man gemeiniglich die ganze Zeit des Carnavals über (die Vormittage der Freytage
bis auf den letzten, an welchem die Larven erlaubt sind, ausgenommen) verkleidet;
allein solche Vermummelungen laufen gemeiniglich auf eines hinaus, und begnügt
man sich öfters nur einen Schlafrock oder Mantel anzulegen, und eine Maske vor das
Gesicht zu nehmen. Der viele Gebrauch der Masken verursachet, daß man zu solcher
Zeit wenige Bekanntschaften machet, auch wenig oder nichts von Merkwürdigkeiten besieht, sonderlich da es verbothen ist, verkleidet in die Kirchen oder Klöster zu
gehen. Die Jahreszeit des Carnavals ist auch also beschaffen, daß man wegen des
oftmaligen Regens, Frostes und Schnees und der davon entstehenden Flüsse, Husten
und Schnuppen öfters das Zimmer hüten muß, wenn man sich der Gefahr von schlimmen Fiebern nicht unterwerfen will.
Der Redoute sieht man sich bald satt, und läßt es der meisten Reisenden Beutel
nicht zu, sich viel in das Spiel zu mischen, zumal da man mit ganz ungewöhnlichen
Karten spielet, und es etwas gar rares wäre, wenn ein Fremder sich rühmen könnte,
daß er hiebey großen Vortheil gehabt habe. Es ist in dem Redoutenhause niemanden
als den Nobili erlaubet, banco zu halten, und sitzt bey jedem Banquier eine oder zwo
maskirte Damen, welche das Recht haben, ihn zu erinnern, wenn er etwas zu seinem
Schaden versehen sollte. Die Banquiers sind ohne Masken, die Pointeurs aber behalten dieselbe vor dem Gesichte.
Der Eingang in die Redoutenzimmer wird keiner Maske versagt, und ist daher
leicht zu erachten, in was für einem Gedränge man sich gemeiniglich befindet. Der
allgemeine Sammelplatz der Thorheiten ist währenden Carnavals auf dem St. Markusplatze, allwo auch die Marktschreyer und andere aufs Geld der Einfältigen laurende
Müßiggänger ihre Schaubühnen aufgeschlagen haben.
Das venetianische Frauenzimmer erwartet alle solche Gelegenheiten mit großem
Verlangen; allein die Männer sind nicht weniger auf ihrer Hut, um vor unanständigen Zierrathen ihrer Stirn befreyet zu bleiben, und ist es niemanden zu rathen, sich
mit den verführerischen Sirenen weit einzulassen, weil solches öfters mit dem Leben
bezahlet werden muß. Indessen gleichwie der Umgang mit dem Frauenzimmer in
Italien sich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts überhaupt sehr verändert hat, also
26
Rudolph Angermüller
ist dieses auch in Venedig geschehen, indem man nicht nur ehrbaren Damen des
Morgens, da sie noch nicht in ihrem Staate sind, Visiten geben, sondern sie auch mit
anderer Gesellschaft zu Gaste haben, oder in Wirthshäusern Piquenics anstellen kann.
Ja es kömmt schon so weit, daß Gesellschaften von beyderley Geschlechte zusammen
treten und bey Tanzmeistern Bälle geben. Allein dieses sind keine Gelegenheiten,
woran Fremde leicht Theil nehmen können, sondern es gehöret eine vorhergegangene lange Bekanntschaft dazu, wenn man solcher Freyheiten mit genießen will.
Am letzten Donnerstage des Carnavals, an welchem die ausgelassene Freyheit am
höchsten getrieben wird, hätzet man hie und da in den Straßen, wie auch auf dem
Markusplatze Ochsen. Man kann aber dergleichen Feste de’ Tori auch außer der Carnavalszeit alle Freytage Vormittags bey den Fleischbänken ansehen.
Die italienischen Komödien sind überhaupt gar schlecht, und hat man sich auch
von den venetianischen nicht vieles zu versprechen. Die ganze Absicht der Acteurs
geht nur dahin, die Zuhörer lachen zu machen; und um solchen Endzweck zu erreichen, sparet man weder abgeschmackte Grimaçen und Stellungen noch grobe Zoten.
Unter die vornehmsten Ergötzlichkeiten sowohl des Carnavals, als der Himmelfahrtszeit, ist die italienische Opera zu rechnen, von welcher überhaupt ich meinem
Herrn noch nichts berichten wollen, bis ich auch die hiesige Musik gehöret hätte. Es
ist nicht zu leugnen, daß in diesem Stücke die Italiener alle Nationen übertreffen, und
ist es nicht zu verzeihen, wenn die Franzosen ihre Opernmusik mit der italienischen
in Vergleichung bringen wollen. In Paris sind die Decorationes des Theaters sehr
schön, die zwischen den Acten unterlaufende Tänze und Bälle vortrefflich; die Franzosen geben ihren Recitativen eine mehrere Annehmlichkeit, indem sie solche mehr
nach der Art von Arien einrichten, sie gebrauchen sich auch des Chores und der
Duetten mehr als die Italiener. Dieses alles sind Sachen, worinnen die Italiener von
jenen noch etwas gutes annehmen könnten; allein was die Composition und absonderlich die Execution selbst anlanget, bleiben die Franzosen weit zurück. Dieser ihre
Arien sind meistentheils als Chansons à boire eingerichtet, und mit so wenigen Veränderungen gesetzet, daß man fast glaubet, man höre immer einerley.
Die Semitonia oder Transitiones von einem Tone zum andern werden von den
Sängerinnen allzulang ausgedehnet, auch dabey gemeiniglich mit einem Triller oder
Tremulanten auf der letzten Sylbe begleitet. Wenn eine neue Opera aufgeführet wird,
und die Franzosen gleich des andern Tages eine Arie nicht mit singen können, so
gefällt sie ihnen nicht. Mit den Arien des italienischen Theaters aber verhält es sich
ganz anders, und obgleich die Nation eine große Neigung und natürliche Geschicklichkeit zur Musik hat, so gehöret doch mehrere Zeit dazu, um ihre Sänger und Sängerinnen künstliche Arien nachzuahmen, ja manche Stücke des Farinelli und der Faustina müssen auch von den geschicktesten Stimmen ungesungen bleiben. Vielleicht
treiben die Italiener die Freyheit, welche sie ihren Vocalisten geben, um nur ihre Kunst
sehen zu lassen, allzuweit, und würde erst diejenige Opera gut seyn, welche aus der
italienischen und französischen Singart zusammen gesetzt wäre. An der Instrumentalmusik ist in Paris nichts auszusetzen, und findet man die trefflichsten Meister
daselbst. [Jean-Pierre] Guignon [1702–1774], ein Italiener, hat wenige seines gleichen auf der Violin; Demarets und Battiste sind vortrefflich auf der Viola di Gamba;
[Michel] Blavet [1700–1768] auf der Flûte traverse, und Fabio auf der Archi-Lute.“
(S. 1091–1094)
Johann Georg Keyßlers Reiseführer durch [...] Italien [...]
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„Eine Maitresse zu halten, wird einigermaßen für ein unabsonderliches Recht eines
Edelmannes gehalten: und wenn einer durch seine Armuth verhindert ist, für sich
allein eine Beyschläferinn zu unterhalten; so tritt er mit drey oder vier andern Mannspersonen in eine Gesellschaft, um einander die gemeinschaftlichen Unkosten ertragen zu helfen. Jeder begnüget sich alsdann mit denen vier und zwanzig Stunden,
welche der Reihe nach an ihn kommen: und wenn des Morgens der eine seinen Schlafrock, Schlafmütze und Pantoffeln aus dem Hause der Curtisane abholen läßt; so
nimmt um eben solche Zeit das in der Ordnung folgende Mitglied der löblichen
Gesellschaft, durch Uebersendung von dergleichen Equipage, Besitz von seiner Statthalterschaft. Die Vollüste gehen in Venedig so weit, und die daraus entstehende garstigen Krankheiten sind so gemein, daß man kaum der Mühe werth achtet, sich von
etlichen Arten curiren zu lassen: und weil das Clima für dergleichen Zufälle weniger
gefährlich als an andern Orten ist; so schleppet man sich damit ohne mehreres Bedenken, als wenn andere ein Fontanell unterhalten.“ (S. 1106)
Den Karneval des Jahres 1771 haben die Mozarts in vollen Zügen genossen
(Redouten).
Mozarts erste Reise nach Italien war genussreich und ehrenvoll zugleich, sie
brachte ihm ungemein neue (Er-)Kenntnisse und Ideen, trug zu weiteren Erfahrungen und zu andersartigem Geschmack in seiner Kunst bei. Wolfgang wurde
in die italienische Kunstszenerie eingeführt, machte Bekanntschaft mit dem italienischen Großbürgertum, der Noblesse, dem höheren Adel und kirchlichen
Würdenträgern bis hin zum Papst. Er wurde in Venedig mit Gondeln von zu
Hause abgeholt, wieder nach Hause gerudert. Erste Häuser nahmen ihn auf, verwöhnten ihn. Sein Ruhm festigte sich langsam, mit Mitridate, Re di Ponto, um
den man ihn beneidete, konnte er erfolgreich seine Opernlaufbahn in Italien
beginnen – Opernaufträge blieben allerdings in Neapel und Venedig aus. Als Musiker wurde er von der Accademia Filarmonica in Bologna und von der Veroneser Akademie anerkannt, die Verleihung des Ordens vom Goldenen Sporn durch
den Papst ließ seine Kollegen aufhorchen. Das Schönheitsideal der italienischen
Musik vermittelte ihm vornehmlich Padre Giammbattista Martini.