und Einleitung - Thüringisch Kambodschanische Gesellschaft

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und Einleitung - Thüringisch Kambodschanische Gesellschaft
Medien und
Transformation in
Südostasien
Martin Ritter (Hrsg.)
Fallstudien zu Indonesien,
Thailand, Malaysia, Kambodscha,
Laos und Vietnam
Schriftenreihe
2
Martin Ritter (Hrsg.)
Medien und Transformation in Südostasien
Schriftenreihe
Band 2
Martin Ritter (Hrsg.)
Medien und Transformation
in Südostasien
Fallstudien zu Indonesien, Malaysia, Thailand,
Kambodscha, Laos und Vietnam
Schriftenreihe der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft
Band 2
Erfurt, Januar 2008
Alle Rechte vorbehalten
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Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft e.V. (TKG)
Begegnungsstätte „Kleine Synagoge“
An der Stadtmünze 4/5
99084 Erfurt
Umschlaggestaltung und Druck: McCopy GmbH, Leipzig
Umschlagfoto: Jörg Hartmann
ISBN: 978-3-9811860-1-7
www.tkgev.org
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Sibylle Augsburger
6
10
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Eine Analyse der Medienpolitik während des Demokratisierungsprozesses
Anett Keller
46
Pressefreiheit in Indonesien – Fragen redaktioneller Autonomie in einem sich
transformierenden Mediensystem
Ein Vergleich der vier überregionalen Tageszeitungen: Kompas, Koran Tempo,
Media Indonesia und Republika
Helena Balaouras
94
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Vanessa Biese
134
Pressefreiheit in Thailand
Die Regierungszeit Thaksin Shinawatras
Martin Ritter
172
Das Fernsehen der Kambodschaner
Garant für ein erfolgreiches Khmer-Rouge-Tribunal?
Anke Timmann
204
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Ein erster Schritt in Richtung demokratischer Wandel?
Carolin Müller
232
Mediennutzung in Vietnam
5
Vorwort
Die Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft schaut über den Tellerrand. Traf dies bereits
für den ersten Band dieser Schriftenreihe zu – wo das Wort „Thüringen“ lediglich nur noch in
unserem Namen vorkam und die Autorin Charlotte Veit als Saarbrückerin nun wahrlich nicht
aus der Nähe Thüringens stammte – wird dieser zweite Band wirklich international. Nicht nur
Kambodscha steht im Mittelpunkt unseres Interesses. Denn, wir verlassen erstmalig fest etablierte Muster und schauen sprichwörtlich weit über den Tellerrand hinaus. In den Focus rücken
Kambodschas Nachbarländer Thailand, Vietnam und Laos, aber auch die beiden Staaten
Insel-Südostasiens Indonesien und Malaysia. Wie der erste Band entstammt dieser Zweite dem
Fachbereich der Medien- und Kommunikationswissenschaft, wobei nochmals explizit erwähnt werden soll, dass dies sich im weiteren Verlauf der Schriftenreihe ändern soll und auch wird. An einem
wesentlichen Bestandteil dieser Schriftenreihe haben wir auch beim zweiten Band festgehalten. Uns
liegt es am Herzen, gerade dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Forum zu bieten. Sieben junge
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen in diesem Band ihre Forschungen vor. Auch freut
es uns – um bei der einleitenden Metapher „Blick über den Tellerrand“ zu bleiben – dass zwei von
ihnen aus unseren deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und der Schweiz stammen. Wir
hoffen, dass es lediglich eine Frage der Zeit ist, bis in dieser Schriftenreihe auch asiatische – hoffentlich auch kambodschanische – Wissenschaftler publizieren. Aus unserer Sicht sind sie alle hierzu
gern aufgerufen und wir sind bereit, weit über den Tellerrand zu schauen.
Dieser Band hat eine längere Vorgeschichte. Im Wintersemester 2005/06 und im Sommersemester
2006 hielt ich, Martin Ritter, am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt zwei Einführungsseminare zu den Mediensystemen Asiens. Von Seiten der Studierenden wurde der Literaturstand mehrmals kritisiert. Zwar existieren mit dem „Handbook of the
Media in Asia”, dem „Asian Communication Handbook” und dem „Internationalen Handbuch Medien“ drei Standardwerke die überblicksartig die Strukturen der Mediensysteme vorstellen, Erklärungen für differente Muster liefern die Beiträge jedoch selten. Bei meinen sich anschließenden
Recherchen bin ich auf verschiedene Abschlussarbeiten gestoßen, die absichtlich nicht die jeweiligen Medienlandschaften in ihrer ganzen Breite ins Visier nehmen, sondern sich auf Einzelphänomene konzentrieren. Beispielsweise gelingt es Carolin Müller herauszuarbeiten, dass in Vietnam mit
deutlicher Reduzierung der Analphabetenquote zwar erwartungsgemäß die Mediennutzung von
Zeitungen zunimmt, trotzdem die Zahl der Zeitungsleser auf dem Land sehr gering bleibt. Nach
Carolin Müller ist auch nicht der verhältnismäßig hohe Kaufpreis Ursache für ihre Beobachtungen,
vielmehr spielen die Kommunikationsregeln in den Dorfgemeinschaften eine entscheidende Rolle.
Das vietnamesische Dorf unterstützt mit seinen festen Strukturen traditionell orale Kommunikation.
Das Lesen bleibt den Dorfbewohnern weiterhin fremd. Dieses Beispiel soll im Ansatz das Ziel dieses Sammelbandes verdeutlichen, wo es darum geht, mit solchen und ähnlich gelagerten Beobachtungen, uns fremde Phänomene erklärbar zu machen.
7
Es sei folglich vorweggenommen, dass die einzelnen Beiträge keiner vorgegebenen Struktur
folgen und im Aufbau miteinander nicht vergleichbar sind. Die thematische Breite variiert
deutlich und reicht von der Makro-, über die Meso- bis zur Mikroebene. Ziel dieses Sammelbandes ist es, die Mediensystemübersichten – wie sie u.a. vom Hans-Bredow-Institut im „Internationalen Handbuch Medien“ veröffentlicht werden – aufbauend zu ergänzen und zu vertiefen. Dem kundigen Sammelbandleser wird auffallen, dass eine Einleitung und ein zusammenfassendes Schlusskapitel fehlen. Dies liegt an der erwähnten thematischen Breite. Es
macht unseres Erachtens wenig Sinn, einen breit angelegten Abriss über die Pressefreiheit in
Laos mit beispielsweise der Arbeit in Zeitungsredaktionen in Indonesien oder mit der Fernsehberichterstattung über die Rote-Khmer-Zeit in Kambodscha oder auch mit dem Mediennutzungsverhalten in Vietnam in einleitender bzw. zusammenfassender Form zusammenführen zu wollen. Der Sammelband bleibt was er ist, eine Sammlung unterschiedlicher Fallstudien der Länder Südostasiens.
Als das eine zusammenfügende Element wurde das Wort „Transformation“ gewählt. Schließlich befinden sich alle berücksichtigten Länder in zum Teil stürmisch verlaufenden Wandlungsprozessen, die sich deutlich in den jeweiligen Medienlandschaften widerspiegeln. Und
somit bedauern wir – und diese Bedauerung wiegt wirklich schwer – dass alle Fallstudien
lediglich einen kurzen Moment einer sich schnell verlaufenden Entwicklung abbilden können
und es eben nur begrenzt möglich ist, die Prozesshaftigkeit umfassend darzustellen.
Letztendlich gilt unser Dank allen Autorinnen und Autoren, die bereitwillig ihre umfangreichen
Abschlussarbeiten für diesen Sammelband überarbeiteten und die somit mit ihren Analysen vor
Ort die medien- und kommunikationswissenschaftliche Südostasienforschung bereichern.
In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern beim Studieren dieses Sammelbandes viel Freude.
Erfurt, Januar 2008
Mathias Geßner
Vorsitzender
Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft e.V.
8
Martin Ritter
Oda Riehmer
Katrin Iost
Herausgeber der Schriftenreihe
Fallstudien zu Indonesien, Malaysia, Thailand,
Kambodscha, Laos und Vietnam
Abstract
In den letzten Jahren haben in Indonesien auf verschiedensten Ebenen große Veränderungen
stattgefunden: Wirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Modernisierung und der
Wandel zu einer demokratisch geprägten politischen Ordnung. In der Untersuchung wird
danach gefragt, wie sich das Mediensystem vor dem Hintergrund des politischen Wandels
verändert hat. Medienrechtliche Dokumente sowie Stellungnahmen relevanter Akteure zur
Institutionalisierung des indonesischen Mediensystems werden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Der Wandel der Gesetzesbasis und der impliziten Vorstellungen
behördlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure über Steuerung, Funktion und Autonomie der
Medien wird für den Zeitraum von 1994, als die Liberalisierungsphase eingeläutet wurde, bis
2002, als das vorläufig letzte relevante Mediengesetz verabschiedet wurde, diskutiert.
Autorin
Sibylle Augsburger, geboren 1976 in Basel/Schweiz, absolvierte nach der Matura eine Ausbildung zur Journalistin. Danach studierte sie Publizistikwissenschaft, Volkskunde und Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Seither ist Sibylle Augsburger als Redakteurin tätig. Mehrere Reisen führten sie nach Südostasien.
10
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Eine Analyse der Medienpolitik während des Demokratisierungsprozesses
Sibylle Augsburger
1
Indonesien im Umbruch – indonesisches Mediensystem im Wandel
In den letzten Jahren haben in Indonesien auf verschiedenen Ebenen große Veränderungen
stattgefunden: Wirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Modernisierung und der Wandel
zu einer demokratischen Politordnung. Die viertbevölkerungsreichste Nation wandelte sich von
einer autoritären Ordnung zu einer jungen Demokratie. Nach den letzten turbulenten Jahren der
Neuen Ordnung (Orde Baru) trat Präsident Suharto nach 32-jähriger Herrschaft 1998 aufgrund
anhaltender Proteste zurück. Die ehemals autoritäre, durch das Militär und seine zivile Gefolgschaft dominierte Gesellschaft sollte in eine funktionsfähige Demokratie umgewandelt werden.
Seit dem Ende des autoritären Regimes lassen sich nicht nur politische und gesellschaftliche Veränderungen beobachten, sondern auch verschiedene Entwicklungsverläufe im Mediensystem. Die
verfassungsgemäße Verankerung der Pressefreiheit sowie der Entwurf eines neuen Presse- und
Rundfunkgesetzes standen auf der indonesischen Reformagenda an vorderster Stelle. Ziel war die
Schaffung einer offenen und zugänglichen Öffentlichkeit.1 Während der Neuen Ordnung waren
die Massenmedien durch zwei Einflussfaktoren entscheidend geprägt: Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Einbindung in das politische System. Einerseits gewann die Werbewirtschaft an Bedeutung, so dass die Werbeeinnahmen zu einem wichtigen Faktor und die Medien zu bedeutenden Unternehmen wurden, andererseits wurden die Medien stark durch die Regierung kontrolliert. Verschiedene Gesetze und informelle Bestimmungen schränkten die Medienfreiheit ein. Eine politische Kontrollfunktion wurde nach dem Dekret des Informationsministeriums explizit abgelehnt und im Gegensatz dazu eine konsensorientierte, der Einheit und Entwicklung des Landes förderliche Presse propagiert. Die Medien sollten die Regierung in ihren Entwicklungs- und Modernisierungsprogrammen unterstützen. „Suharto described the news media
as government’s partner in the process of nation building and urged journalists to be vigilant and
attentive in efforts to discourage the growing elements of narrow individualism and to protect the
spirit of unity.“ 2 Nach einem Gesetz aus dem Jahre 1985 mussten die Medien, wie alle gesellschaftlichen, religiösen und politischen Organisationen, die fünf gesellschaftlichen Pfeiler Pancasila als ihren alleinigen Grundsatz anerkennen.3 Diese Staatsphilosophie, die bereits im Zuge des
Unabhängigkeitskampfs entstanden war und die Basis der Verfassungspräambel bildete, beruht
auf folgenden Prinzipien: (a) nationale Einheit, (b) gerechte und zivilisierte Menschheit, (c) Glaube an einen Gott, (d) soziale Gerechtigkeit für das gesamte indonesische Volk und (e) Demokratie
im Sinne allseitiger Zustimmung nach gegenseitiger Beratung. Staat und Gesellschaft wurden als
1
2
Manzella, 2000, 324.
Romano, 2003, 44.
11
Indonesisches Mediensystem im Wandel
organische Einheit begriffen und der Präsident als Vater der Nation betrachtet.4 Von der Staatsphilosophie abgeleitet galt für die Medien zudem das Prinzip SARA, ein Akronym nach welchem folgende Themen für alle Medien tabu waren: Ethnizität, Religion, Rasse und soziale Klasse. Ebenso
nicht erlaubt war Kritik an Präsident Suharto, seiner Familie oder den Streitkräften.5 In einem 1997
vom Department of Foreign Affairs publizierten Positionspapier heißt es zum Inhalt der Medienberichterstattung: „The emphasis is on information that people need for day-to-day decisionmaking (business and economic news, for example), information that will help educate and nourish intellectually, and information that inspires people to contribute to the well-being of community.” 6 Als indirekte Zensur kann die sogenannte Telefonkultur bezeichnet werden. Regierungsangehörige oder Angehörige der Streitkräfte teilten Journalisten per Telefon mit, was sie zu berichten hatten, was nicht erwähnt werden durfte und unter welchem Blickwinkel die Berichterstattung erfolgen sollte. Die Journalisten und Verleger sollten dadurch eingeschüchtert und zur Ausübung von Selbstzensur bewogen werden.7
Mit dem einsetzenden Demokratisierungsprozess haben sich die Medienstrukturen verändert,
neue Mediengesetze traten in Kraft und die Medienlandschaft scheint in neuer Vielfalt zu erblühen. Im Folgenden wird der Medienwandel im Kontext der politischen Transformation betrachtet.
Entsprechend werden Ansätze der Medien- und Kommunikations- sowie Politikwissenschaft zur
Bildung einer medienbezogenen transformationstheoretischen Grundlage verbunden. In Anlehnung an die Transformationsforschung wird der Demokratisierungsprozess in Phasen aufgeteilt
und parallel die Mediengesetzgebung dargestellt. Medienrechtliche Dokumente sowie Stellungnahmen relevanter Akteure werden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen und vergleichend
ausgewertet. Konkret wird nach Veränderungen in Bezug auf die Institutionalisierung des Mediensystems und die damit verbundenen Vorstellungen über Steuerung, gesellschaftliche Funktionen sowie Autonomie und Freiheit der Medien gefragt. Zeitlicher Rahmen der Analyse bildet der
Zeitraum von 1994, als die Opposition gegen das autoritäre Regime an Bedeutung gewann und
die Liberalisierungsphase eingeläutet wurde, bis 2002, als das vorläufig letzte relevante Mediengesetz verabschiedet wurde. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welcher Zusammenhang zwischen der Medienentwicklung und der politischen Transformation besteht. Alle vier Ansätze der erweiterten Transformationstheorien, das heißt system-, struktur-, kultur- und akteurstheoretische Überlegungen, werden in die Betrachtung einbezogen.
2
Mediensituation während der Liberalisierungsphase:
Redaktionsschließungen und erstes Rundfunkgesetz (1994-1997)
Dem Ende des autoritären Regimes ging in Indonesien eine mehrjährige Liberalisierungsphase
voraus. Diese war durch die wachsende Opposition gegenüber dem autoritären System sowie die
Währungs- und Wirtschaftskrise gekennzeichnet. Nachdem es zu Beginn der 1990er Jahre zu kei3
4
5
6
7
12
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 129.
Antlöv, 2000, 210.
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 130.
Paper by the Department of Foreign Affairs, 1997, 5.
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 130.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
nen Redaktionsschließungen mehr kam und Präsident Suharto 1990 anlässlich einer Rede zum
Unabhängigkeitstag eine neue Ära der Öffnung ankündigte und mehr Medienfreiheit versprochen
hatte, sprachen einige Analysten von einer Liberalisierungsphase, die mit glasnost in der Sowjetunion verglichen wurde.8 Umso unerwarteter war das Verbot der drei beliebten Nachrichtenmagazine Tempo, DeTik und Editor im Jahr 1994. Die drei Magazine mit einer Auflage von insgesamt 700.000 Exemplaren hatten über politisch heikle Themen, wie Korruption und die Differenzen zwischen den politischen und militärischen Eliten, berichtet. Während in der Vergangenheit
Redaktionsschließungen in der Öffentlichkeit nur spärliche Reaktionen ausgelöst hatten, führten
diesmal die Redaktionsschließungen zu Protesten sowohl auf der Strasse als auch innerhalb der
Eliten.9 Gleichzeitig formierte sich auch unter den Journalisten Widerstand. Im August 1994 wurde in Sirnagalih, West Java, als direkte Folge der Redaktionsschließungen die Aliansi Jurnalis Independent (AJI) gegründet und die Sirnagalih-Deklaration von 85 Journalisten und Intellektuellen
unterzeichnet. „We reject all kinds of interference, intimidation, censorship and media bans
which deny freedom of speech and open access to information. We reject one-side information
advanced for the benefit of individuals or groups in the name of national interest.” 10 Als radikale
Alternative zur staatlich kontrollierten Journalistenorganisation Persatuan Wartawan Indonesia
(PWI) setzte sich AJI während den letzten Jahren der Neuen Ordnung für Meinungs- und Pressefreiheit ein und publizierte im Untergrund die alternative Zeitung Suara Independen. Von der Regierung wurde AJI nicht anerkannt. Wer die Sirnagalih-Deklaration unterschrieben hatte und sich
offiziell zu AJI bekannte, musste mit Repressionen rechnen.11
Knapp ein Jahr vor seinem Rücktritt unterzeichnete Präsident Suharto am 29.09.1997 das erste
Rundfunkgesetz Indonesiens, Act no 24/1997. Der Unterzeichnung vorausgegangen war eine insgesamt zehnjährige Vorbereitungszeit. Noch im Sommer 1997 weigerte sich Suharto den ersten
Entwurf zu akzeptieren. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass das Gesetz letztendlich ohne
Einbezug zivilgesellschaftlicher Gruppen vom Informationsministerium erarbeitet wurde.12 Dass
die Einführung einer Rundfunkgesetzgebung während der Neuen Ordnung so lange herausgezögert wurde, liegt im knapp 30-jährigen Monopol des staatlichen Rundfunks begründet. Mit der
Zulassung von privaten Fernsehsendern, der expandierenden Informationsindustrie sowie der zunehmenden Internationalisierung wurde eine gesetzliche Regelung jedoch unumgänglich.13
Radio und Fernsehen werden im ersten Rundfunkgesetz als Bestandteil der nationalen Entwicklung und als Mittel zur Realisierung der indonesischen Ideale beschrieben.14 Die Regulierung des
Rundfunks basiert auf den Verfassungsgrundsätzen sowie der Pancasila-Philosophie und erfolgt
im Sinne des öffentlichen Interesses durch die Regierung.15 Im Sinne eben jenes öffentlichen Inte8
9
10
11
12
13
14
15
Sen/Hill, 2000, 54.
Romano, 2003, 167.
Article XIX, 1994, 20.
Romano, 2003, 90.
Kitley, 2000, 299.
ebenda, 300.
Act no. 24/1997 Considering.
Act no. 24/1997 Art. 2.
13
Indonesisches Mediensystem im Wandel
resses müssen verschiedene Ziele erreicht werden: Das Rundfunkangebot muss Information, Bildung und Unterhaltung beinhalten und möglichst für alle Bürger empfangbar sein. Darüber hinaus
soll Radio und Fernsehen zur Stärkung der Ideologie, der Politik, der Wirtschaft, der Soziokultur
und der Sicherheit beitragen.16 Entsprechend werden dem Rundfunk eine Reihe von Aufgaben
zugewiesen: Er soll (a) einen Beitrag zur Stärkung der intellektuellen und moralischen Charakterstärke der Gesellschaft leisten, (b) das kulturelle Bewusstsein schärfen, (c) die nationale Disziplin
und das Rechtsbewusstsein erhöhen, (d) die aktive Rolle der Gesellschaft bei der Entwicklung
fördern, (e) die nationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern sowie (f) den Aufbau einer dynamischen und prosperierenden Gesellschaft unterstützen.17 Die Entwicklung und Überwachung des
Rundfunksektors liegt in der Kompetenz der Regierung. Zu derer Unterstützung wurde ein sogenanntes National Broadcasting Advisory and Supervisory Board gegründet.18 Die Organisation
des Rundfunks ist somit unter einem nationalen Dach zusammengefasst,19 wobei grundsätzlich
zwischen staatlichen und privaten Rundfunkanbietern unterschieden wird.
Hinsichtlich der staatlichen Programme werden besondere Ziele genannt: Es muss gewährleistet sein,
dass die Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Schichten berücksichtigt und zielgruppenorientierte Bildungsprogramme ausgestrahlt werden.20 Die staatlichen Rundfunkprogramme werden durch Gebühren, staatliche Zuschüsse und einen 12½-Prozent Anteil der privatrundfunklichen Werbeeinnahmen
finanziert.21 Bereits im April 1981 verbot Suharto jegliche Werbung im staatlichen Fernsehen. Seine
Entscheidung begründete er mit der Ansicht, dass Werbung für die Entwicklung kontraproduktiv
sei.22 Dies hatte zur Folge, dass die Regierung die jährlichen Zuschüsse für das staatliche Fernsehen
TVRI auf 10 Mrd. Rupiah (116.056 US$) verzehnfachte. Trotz dieser Erhöhung konnten die steigenden Ausgaben nicht gedeckt werden und TVRI hatte zunehmend mit Finanzproblemen zu kämpfen.23
Privatrundfunk definiert sich durch seine Gewinnorientierung.24 In den Artikeln 12-13 sind die
Bestimmungen zum Besitz privater Rundfunkanstalten aufgeführt: (a) die Beteiligung von ausländischen Kapitalgebern ist untersagt,25 (b) die marktbeherrschende Stellung eines einzelnen
Anbieters ist nicht zulässig26 und (c) der gleichzeitige Besitz einer privaten Rundfunkanstalt und
eines Printunternehmens ist nur beschränkt möglich, wobei die Regierung diesbezüglich Auflagen
erlässt.27 Alle privaten Rundfunkveranstalter benötigen eine Lizenz.28 Die Rundfunklizenzen werden vom Informationsministerium für eine Zeitdauer von 5-10 Jahren vergeben.29
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14
Act no. 24/1997 Art. 3-5.
Act no. 24/1997 Art. 6.a-f.
Act no. 24/1997 Art. 7.
Act no. 24/1997 Art. 8.
Act no. 24/1997 Art. 10.4.
Act no. 24/1997 Art. 10.7.
Kitley, 2000, 276.
McDaniel, 1994, 261.
Act no. 24/1997 Art. 11.
Act no. 24/1997 Art. 12.1.
Act no. 24/1997 Art. 13.1.
Act no. 24/1997 Art. 13.2.
Act no. 24/1997 Art. 17.1.
Act no. 24/1997 Art. 17.2.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Um die Steuerungsziele des Rundfunks zu erreichen, werden Quoten vorgegeben: Der indonesische Programmanteil muss sowohl beim staatlichen als auch beim privaten Rundfunk
mindestens 70% betragen.30 Die privaten Rundfunkanbieter sind darüber hinaus verpflichtet,
gewisse Programmteile des staatlichen Rundfunks zu übernehmen. Dazu zählen Nachrichtenprogramme und öffentliche Ankündigungen durch die Regierung.31 Alle Rundfunkanbieter
müssen sich an die „good manners of broadcasting“ halten, was bedeutet, dass die Programminhalte das nationale Leben nicht negativ beeinflussen dürfen. Die Inhalte der gesamten Berichterstattung müssen mit der indonesischen Identität und Kultur übereinstimmen.32
3
Mediensituation während dem Ende des autoritären Regimes:
Suhartos Medienkontrolle schwindet (1998)
Auf Grund seiner bis 1998 zwar schwankenden, aber nach wie vor bestehenden Machtbasis,
wurde Suharto am 10.03.1998 von der verfassungsgebenden Volksversammlung MPR für
weitere fünf Jahre als Präsident gewählt. Suharto trat seine siebte Amtsperiode an, während
Studenten auf den Strassen erneut protestierten. Als die Regierung den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) folgend die Elektrizitäts- und Treibstoffpreise um bis zu 70
Prozent erhöhte, weiteten sich die Proteste auf breite Bevölkerungskreise aus. Höhepunkt bildete die Besetzung des Volkskongresses in Jakarta. Zum Andenken an die sechs Tage zuvor
durch militärische Sicherheitskräfte getöteten vier Studenten an der Trisakti-Universität besetzten die Demonstranten das Gelände und lösten dadurch im ganzen Land weitere Massendemonstrationen und teilweise gewalttätige Krawalle aus.33 Suhartos letzter politischer Versuch, sich mit einem Reformkabinett an der Macht zu halten scheiterte. Die eigenen GolkarMitglieder verweigerten ihm die Unterstützung.34 Am Morgen des 21.05.1998 verkündet Suharto nach 32-jähriger Herrschaft in einer kurzen Fernsehansprache seinen Rücktritt.
Kurz vor seinem Rücktritt versuchte Suharto die Kontrolle über die Medien nochmals zu verstärken. Ein amtlicher Zensor sollte direkt innerhalb der Rundfunkunternehmen etabliert werden.35 Dazu war es jedoch zu spät. Der private Fernsehsender IVM, der Bestandteil eines führenden indonesischen Wirtschaftskonglomerats (Salim Gruppe) war, berichtete als erster Sender über die wachsenden Proteste gegenüber dem autoritären Regime. Kurze Zeit später nahmen alle privaten Rundfunkanstalten die Berichterstattung auf. Als die Ausschreitungen am
18.05.1998 in Jakarta ihren Höhepunkt erreichten, waren erstmals auch im staatlichen Fernsehen TVRI Bilder der Studentenproteste zu sehen. „While the students were occupying the
House of Representatives, all television stations were highly competitive in looking for unique
news angles, new resources and forms of reporting.“ 36
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36
Act no. 24/1997 Art. 32.1-2.
Act no. 24/1997 Art. 35.1-2.
Act no. 24/1997 Art. 52.1-2.
Schwarz, 1999, 354 ff.
Emmerson, 1999, 302.
Neumann, 2000, 14.
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148.
15
Indonesisches Mediensystem im Wandel
4
Mediensituation während der Institutionalisierungsphase:
Zwischen alten und neuen Mediengesetzen (1998-1999)
Der Verfassung folgend übernahm Vizepräsident Habibie die Regierungsgeschäfte und rief
die verfassungsgebende Volksversammlung im November zu einer speziellen Sitzung zusammen, um für das darauf folgende Jahr demokratische Wahlen vorzubereiten.37 Unter der
Übergangsregierung wurden erste grundlegende Reformen verabschiedet. So wurde die Parteienbeschränkung aufgehoben und die Gewerkschaftsfreiheit eingeführt. In der Zeit zwischen
Mai 1998 und Juni 1999 wurden über 100 Parteien gegründet, von denen schließlich durch
ein unabhängiges Gremium 48 zu den Wahlen zugelassen wurden.38 Das die Institutionalisierungsphase kennzeichnende Nebeneinander alter und neuer Regeln, lässt sich gut anhand der
Rolle Habibies verdeutlichen. Obwohl sich Habibie als Übergangspräsident bezeichnete und
versprach, Indonesien in eine demokratische Zukunft zu führen, war sein Hauptproblem die
fehlende Legitimation seiner Macht. Habibie sowie viele seiner Kabinettsmitglieder hatten ihren Aufstieg fast ausschließlich Suharto und dessen Vertrauen in die Technokraten zu verdanken.39
Als eine seiner ersten Amtshandlungen ernannte Übergangspräsidentschaft Habibie Generalleutnant Muhammad Yunus Yosfiah zum Informationsminister. Dieser lockerte die bisher
geltenden Vorschriften, nach welchen alle Printmedien, die durch das Informationsministerium lizenziert werden wollten, im Besitz einer Publikationslizenz Surat Izin Usaha Penerbitan
Pers (SIUPP) sein mussten. Die entsprechenden Ausführungsbestimmungen zum Pressegesetz wurden aufgehoben. Folglich war es nicht mehr möglich, dass eine Lizenz aufgrund der
Berichterstattung entzogen und damit eine Redaktion, wie noch 1994 geschehen, durch das
Informationsministerium geschlossen werden konnte. Darüber hinaus wurde das Lizenzierungsverfahren vereinfacht. Die Lizenzgebühr wurde abgeschafft und anstelle von sechzehn
mussten lediglich drei, ausschließlich formelle, Lizenzvoraussetzungen erfüllt werden.40 Mit
der vereinfachten Lizenzierung wandelte sich auch das Verhältnis der Bürokraten gegenüber
der Presse. Auf die bisher gängige Kontrolle der Berichterstattung in Form von Telefonanrufen wurde größtenteils verzichtet.41 Auf dem Pressemarkt führte das vereinfachte Lizenzierungsverfahren zu einem frappanten Anstieg an Titeln: „Within his [Muhammad Yunus Yosfiah] first six months of office, nearly 500 new permits had been issued, compared to only 289
prior to reform.“ 42 Der Großteil dieser neuen Titel verschwand jedoch sehr schnell wieder.
Verantwortlich dafür waren insbesondere ökonomische Faktoren. Viele Printunternehmen
kämpften seit der Asienkrise ums Überleben. Die Werbeeinnahmen waren aufgrund der Wirtschaftskrise stark zurückgegangen und gegenüber dem Vorjahr auf die Hälfte geschrumpft.
Um Produktionskosten zu senken, mussten viele Printunternehmen den Umfang ihrer Publi37
38
39
40
41
16
Emmerson, 1999, 297.
Lustermann, 2002, 131.
Schwarz, 1999, 372.
Razak, 2000, 133.
Romano, 2003, 49.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
kationen reduzieren, andere, insbesondere kleinere Zeitungen, versuchten durch die Zusammenarbeit mit größeren Medienunternehmen ihre Zukunft zu sichern.43
Das bedeutendste Staatsorgan, die MPR, debattierte im November 1998 anlässlich einer außerordentlichen Session über mehrere internationale Konventionen und ratifizierte unter anderem die
allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Dieser Beschluss ist für die Medien insofern von Relevanz, als dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Artikel 19 die Meinungsäußerungs- und die Informationsfreiheit verankert: „Everyone has the right to freedom of opinion and
expression; this right includes the right to hold opinions without interference and to seek, receive
and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers.” 44
Bereits im Herbst 1998 bildeten sich verschiedene, teilweise fragile Koalitionen, die sich für eine
Änderung der Mediengesetzgebung stark machten. Gleichzeitig sprachen sich verschiedene Kräfte, unter ihnen insbesondere die Streitkräfte, für den Status Quo aus. Sie sahen in der Aufhebung
der staatlichen Medienkontrolle eine Gefahr, die sich in Form von sozialen Unruhen und Desintegration bemerkbar machen könnte.45 Unter der Führung von Informationsminister Muhammad
Yunus Yosfiah begannen Mitarbeiter des Informationsministeriums schließlich Vorschläge für ein
neues Pressegesetz zu erarbeiten. Es wurden erste Gespräche mit Mitgliedern von indonesischen
Medienorganisationen, Verlegern und Redakteuren geführt. Gleichzeitig wurde ein ausländisches
Expertenteam bestehend aus Vertretern der Unesco46 und von Article XIX, einer britischen NGO
die sich weltweit für unabhängige Medien einsetzt, um Unterstützung gebeten. Die involvierten
Parteien einigten sich auf vier Punkte, die dem neuen Pressegesetz zu Grunde liegen sollten: (a)
politische Interventionen sollen auf ein Minimum beschränkt bleiben, (b) es existieren keine inhaltlichen Vorschriften, (c) es sollen keine ideologisch gefärbten und nur vage definierten Ausdrücke Verwendung finden und (d) das Gesetz soll so kurz, verständlich und logisch wie möglich
sein.47 Ausgehend von diesen vier Punkten wurde ein neuer Gesetzesentwurf erarbeitet und anlässlich eines zweitägigen Seminars diskutiert.48 Sowohl Regierungsvertreter als auch Journalisten, Verleger, Vertreter von Journalistenorganisationen und im Medienbereich tätige Menschenrechtsaktivisten erhielten die Möglichkeit zur Stellungnahme.49 Im Herbst 1999 wurde das neue
Pressegesetz dem Parlament zur Beratung vorgelegt und am 13.09.1999 mit großer Mehrheit als
Act no. 40/1999 verabschiedet. Die Unterzeichnung des neuen Pressegesetzes durch Übergangspräsident Habibie erfolgte zehn Tage später, kurz vor dessen Amtsübergabe an den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Abdurrahman Wahid.50
42
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45
46
47
48
49
50
Sen/Hill, 2000, 70.
Idris/Gunaratne, 2000, 278.
UN General Assembly Resolution 217(III) Art. 19.
Romano, 2003, 50.
1998 startete die Unesco das Projekt: „Strengthening Democracy and Good Governance through Development of the Media in Indonesia“. Der Mediengesetzgebung kam dabei besondere Beachtung zu.
Seminarpaper, 1999, 2 f.
„The Media and the Government: In Search of Solutions“, 23.-24.03.1999 in Jakarta.
Communication Programm, 2000, 3.
Mangahas, 2001, 125.
17
Indonesisches Mediensystem im Wandel
In der Einleitung des neuen Pressegesetzes wird die nationale Presse als Massenmedium, das
zur Informationsverbreitung und zur Meinungsbildung beiträgt, umschrieben und in Artikel 1
als „social and mass communication institution“ definiert.51 Generell finden sich im neuen
Gesetz keine ideologischen Zuschreibungen mehr: Pancasila wird im Gesetzestext nicht erwähnt. Die Meinungsäußerungs- und die Informationsfreiheit werden als Grundrechte anerkannt und als unentbehrlicher Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft festgelegt:
„Consider that the freedom of the press is one of the many embodiments of the sovereignty of
the people and is the utmost important element in creating a democratic society, nation and
state in order to insure the freedom of expressing ideas and opinions as stated in Article 28
Indonesian Constitution of 1945.” 52
Ausgehend von der gesetzlich garantierten Pressefreiheit soll die Presse frei von jeglicher Beeinflussung ihre Aufgaben erfüllen und ihre Rechte wahrnehmen können. Artikel 4 legt Pressefreiheit als Menschenrecht fest und gesteht der nationalen Presse das Recht zu, Informationen zu sammeln, zu selektieren und zu verbreiten. Restriktionen, Verbote und Zensur dürfen
gegenüber der nationalen Presse nicht ergriffen werden.53 Wer gegen die Pressefreiheit verstößt, muss mit einem Bußgeld von maximal 500 Millionen Rupiah (58.000 US$) oder einer
bis zu zweijährigen Haftstrafe rechnen.54 Der neue Gesetzestext stellt einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem alten Pressegesetz von 1982 dar, in welchem die Presse als „instrument
of the national struggle“ und als „guardian of the Pancasila ideology“ definiert war.55 Die
Presse sollte zur Wahrung und Popularisierung von Pancasila beitragen und ausgehend von
einer verantwortungsvollen Pressefreiheit für Wahrheit und Gerechtigkeit einstehen.56 Was
unter einer verantwortungsvollen Pressefreiheit zu verstehen war, hatte die Regierung in einem vom Department of Foreign Affairs veröffentlichten Positionspapier festgeschrieben: „In
an atmosphere of development, freedom of the press should be applied with full responsibility
towards national stability, public order and security. Press freedom should also be applied on
the basis of mature attitude and in a climate of harmony towards the environment, thus encouraging the development of people’s creativity and not, controversely, including antagonism.“ 57
Das neue Pressegesetz sieht die Einrichtung eines Aufsichtsrates, eines so genannten Board of
the Press vor. Der Aufsichtsrat ist als unabhängiges Gremium, das die Pressefreiheit weiter
stärken und entwickeln und gleichzeitig die Quantität und Qualität der nationalen Presse erhöhen soll, definiert.58 Der Aufsichtsrat ist für Indonesien eine neue Institution. Mit dem neuen Pressegesetz wird auch die Lizenzierung der Presse abgeschafft. Jeder indonesische Bürger
51
52
53
54
55
56
57
58
18
Act no. 40/1999 Art. 1.1.
Act no. 40/1999 Considers.
Act no. 40/1999 Art. 4.1-4.3.
Act no. 40/1999 Art. 18.1.
Act no. 21/1982 Art. 1.
Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-c.
Paper by the Department of Foreign Affairs, 1997, 12.
Act no. 40/1999 Art. 15.1.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
sowie der Staat kann ein Presseunternehmen gründen. Einzige Bedingung ist, dass das Unternehmen eine anerkannte Rechtsform aufweist59 und sein Presseerzeugnis mit einem Impressum versieht.60 Im neuen Pressegesetz werden nur noch wenige, allgemeine inhaltliche Vorschriften gemacht. Somit ist festgelegt, dass Ereignisse und Meinungen mit Respekt gegenüber religiösen und moralischen Normen dargestellt werden sollen und dass durch die Berichterstattung, insbesondere im Zusammenhang mit laufenden Verfahren, Personen nicht
vorverurteilt werden dürfen.61
Der Act no. 40/1999 wurde als Sieg der Pressefreiheit gefeiert. Sowohl inländische als auch
ausländische Medienorganisationen sahen das neue Gesetz als wichtigen Schritt in Richtung eines neuen, demokratischen Medienverständnisses.62 Trotzdem wurden auch kritische Stimmen
laut. Insbesondere der nach wie vor existierende Indonesian Criminal Code und das AntiSubversion Law wurden kritisiert. Es wurden Befürchtungen geäußert, dass verschiedene Artikel dieser Gesetze gegenüber Journalisten zur Anwendung gelangen könnten und damit eine
unabhängige Berichterstattung weiterhin unmöglich bleiben würde. Die vage und offene Formulierung mehrerer Artikel schürte diese Befürchtungen. So verbietet der Indonesian Criminal
Code u.a. Aussagen, die unangenehme Gefühle, Unruhe und Hass hervorrufen. Ebenso unerlaubt sind Äußerungen, die dem Ansehen des Präsidenten oder Vizepräsidenten schaden.63 Des
Weiteren forderten Mitarbeiter des Informationsministeriums die Entwicklung eines so genannten Freedom of Information Act, welcher den Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung sichert. Dieser sei der Pressefreiheit dienlicher, sei als ein Pressegesetz.64
5
Mediensituation während der Konsolidierungsphase:
Vom staatlichen zum öffentlichen Rundfunk (ab 1999)
Im Juni 1999 fanden nach mehr als 50 Jahren erstmals wieder freie Parlamentswahlen statt.
Die Wahlen führten zu einer Neuverteilung der politischen Macht. Wahlsieger war die Demokratische Partei PDI-P mit 33,8% und 153 der 500 Parlamentssitze. Abdurrahman Wahid
wurde anschließend von der MPR zum Präsidenten gewählt. Obwohl Wahids Partei bei den
Parlamentswahlen nur 10% der Stimmen erreicht hatte, gelang es ihm mit Hilfe der islamischen Parteien und der Unterstützung von Golkar eine Mehrheit zu bilden. Seine Amtszeit
dauerte jedoch nur knapp zwei Jahre. Er wurde seines Amtes enthoben und im Sommer 2001
durch Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri (Tochter des Staatsgründers Sukarno) von der
Demokratischen Partei ersetzt.65 Unter ihrer Führung wurden Schritte zur Stabilisierung der
indonesischen Wirtschaft eingeleitet und im Jahre 2002 weitreichende Verfassungsreformen
verabschiedet. Die wichtigste Änderung betrifft die Machtbeschränkung der MPR. Die MPR,
die bislang den Präsidenten und den Vizepräsidenten gewählt und Richtlinien der Staatspoli59
60
61
62
63
64
Act no. 40/1999 Art. 9.1-2.
Act no. 40/1999 Art. 12.
Act no.40/1999 Art. 5.1.
Romano, 2003, 50.
Loqman, 2000, 176 f.
Romano, 2003, 50 f.
19
Indonesisches Mediensystem im Wandel
tik beschlossen hatte, ist nun nur noch für Verfassungsfragen zuständig. Der Präsident und der
Vizepräsident werden jetzt in einer Direktwahl durch das Volk gewählt. Ebenfalls wurden die
für das Militär reservierten Parlamentssitze abgeschafft. Gleichzeitig ergänzt eine Regionalvertretung, DPRD, das Parlament.
Die Bemühungen um Reformen im Mediensektor beschränkten sich nicht auf spezifische
Medienverordnungen und -gesetze. Zu Beginn der Konsolidierungsphase wurde versucht, die
Pressefreiheit auf einer höheren Gesetzesebene zu verankern.66 Die MPR debattierte anlässlich der ersten Session der neuen Legislaturperiode (1999-2004) über eine entsprechende Verfassungsänderung. In der indonesischen Verfassung aus dem Jahre 1945 wird in Artikel 28 in
einem Satz auf die Pressefreiheit verwiesen: „Freedom of association and assembly, expression of thoughts in oral and writing and the like shall be prescribed by statute.“ 67
Die Pressefreiheit ist demnach nicht konstitutionell garantiert, sondern wird durch das Pressegesetz festgelegt und ausgeführt. Konkret bedeutet dies, dass das Parlament durch Änderungen des Pressegesetzes und im Besonderen der zuständige Informationsminister durch Verordnungen die Pressefreiheit jederzeit ausdehnen oder einschränken können. Um dies künftig
zu verhindern, sollte die Verfassung nach dem Vorbild der First Amendment in der US Verfassung abgeändert werden. Von den Mitgliedern der verfassungsgebenden Volksversammlung erhielt dieser Vorschlag jedoch nicht genügend Unterstützung. Es wurde zwar eine erste
Verfassungsänderung beschlossen, diese betraf jedoch ausschließlich die Machtbeschränkung
des Präsidenten. Infolgedessen befürchteten die Reformkräfte, dass sich die Mediensituation
wieder verschlechtern und die Reform-Ära von nur vorübergehender Dauer sein würde.68
Die Befürchtungen bestätigten sich jedoch nicht. Als Abdurrahman Wahid als erster demokratisch gewählter Präsident 1999 sein Amt antrat, führte er den Reformkurs auch im Medienbereich weiter. Er verzichtete auf das Informationsministerium, welches in der mehr als dreißigjährigen Vergangenheit für die Kontrolle und Steuerung des Medien- und Informationssektors
verantwortlich gewesen war. „As explained by the President, the rationale behind this decision is philosophical; the function of information should be returned to the society at large,
not managed, controlled or decided by government.“ 69 Als Ersatz für das Informationsministerium (vor allem um Entlassungen zu verhindern) gründete die Regierung in der Folge ein
sogenanntes Informations- und Kommunikationsbüro. Diese Körperschaft hat im Gegensatz
zum Informationsministerium keinen ministeriellen Charakter.
Im April 2000 wurden die ersten Mitglieder des im neuen Pressegesetz verankerten Aufsichtsrates durch Präsident Abdurrahman Wahid ernannt. Das Gremium setzte sich aus drei Journalisten, jeweils zwei Vertretern aus dem Print- und Rundfunkbereich sowie aus zwei Publi65
66
67
68
69
20
Lustermann, 2002, 139.
Dahlan, 2000, viii.
Indonesian Constitution, 1945, Art. 28.
Dahlan, 2000, ix.
ebenda, x.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
kumsvertretern zusammen und wurde für die Amtsperiode 2000-2003 gewählt.70 Auffällig an
der Ernennung der neun Mitglieder ist der Umstand, dass die Regierung die Bezeichnung des
Gremiums trotz gleichbleibender Aufgabenzuweisung geändert hat. Der im Pressegesetz verwendete Begriff Aufsichtsrat (Board of the Press) wurde durch Presserat (Press Council) ersetzt. Mit der Aufhebung des Informationsministeriums drängten sich auch im Rundfunkbereich Veränderungen auf. Die staatlichen Fernseh- und Radiostationen TVRI und RRI, die bisher dem Informationsministerium unterstellt waren, wurden im Sommer 2000 in die öffentliche Rundfunkgesellschaft überführt,71 wobei der Staat einziger Teilhaber ist. Begründet wird
dieser Entscheid in der Einleitung des entsprechenden Regierungsbeschlusses wie folgt:
„Considering that to ensure smooth operation and management of the Television of the Republic of Indonesia economically on one side and maximum value for the nation and its people on the other side, it is therefore necessary to change the status of the Television of the Republic of Indonesia into a service-provider corporation with more authority.“ 72
Aufgabe der öffentlichen Rundfunkgesellschaft ist es, Rundfunkdienstleistungen, die mit den
Prinzipien des öffentlichen Rundfunks übereinstimmen, anzubieten.73 Zu diesen Prinzipien
zählen Unabhängigkeit, Neutralität und eine nichtkommerzielle Orientierung.74 Konkret soll
diesen Prinzipien über die Programminhalte Rechnung getragen werden. Es wird vorgeschrieben, dass die Programme des öffentlichen Rundfunks hohen Qualitätsstandards genügen
und über einen informierenden, bildenden und unterhaltenden Charakter verfügen müssen.75
Die öffentlichen Rundfunkprogramme werden wie schon während der Neuen Ordnung über
Gebühren, staatliche Zuschüsse und einen 12½-prozentigen Werbeeinnahmenanteil der privaten Rundfunkveranstalter finanziert. Zudem kann die öffentliche Rundfunkgesellschaft mit
anderen Institutionen zusammenarbeiten, um weitere Einnahmen zu generieren.76 Das Vermögen der Gesellschaft darf ausschließlich für den Rundfunkbetrieb eingesetzt und nicht in
Anteile aufgegliedert werden.77
Die meisten Bestimmungen der Government Regulation umfassen die organisatorische Ausgestaltung der öffentlichen Rundfunkgesellschaft. Die Unternehmensleitung von TVRI untersteht einem Board of Directors.78 Dieses setzt sich aus 3-5 vom Finanzminister ernannten
Mitgliedern zusammen, wobei eines dieser Mitglieder als Präsident die Leitung des Gremiums übernimmt.79 Es ist vorgesehen, dass die entsprechenden Personen ihre Tätigkeit für fünf
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
Presidental Decree no. 96/2000.
Da die Wortlaute der Regierungsbeschlüsse für TV und Radio deckungsgleich sind, wird im Folgenden nur
die Government Regulation no. 36/2000 analysiert. Alle Angaben, die für das staatliche Fernsehen gemacht
werden, gelten auch für das staatliche Radio.
Government Regulation no. 36/2000 Considering.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 3.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 6.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 7.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 8.a-d.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 10.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 1.3.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 12.2.
21
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Jahre ausführen.80 Mitglieder der Unternehmensleitung können ausschließlich indonesische
Bürger werden. Es ist den Mitgliedern untersagt, weitere Mandate in anderen staatlichen oder
privaten Unternehmen zu übernehmen.81 Zu den Hauptaufgaben der Unternehmensleitung gehören die Vermögensverwaltung, die Festlegung der Strategie in Zusammenarbeit mit dem
Finanzminister, die Personalpolitik und die Vertretung des Unternehmens gegenüber der Öffentlichkeit sowie in rechtlichen Belangen.82 Die Mitglieder müssen sich mindestens einmal
in der Woche treffen, um die Aktivitäten der öffentlichen Rundfunkgesellschaft zu diskutieren.83 Entscheidungen werden nach dem Mehrheitsprinzip gefällt.84 Zudem ist die Unternehmensleitung zur Veröffentlichung eines Jahresberichts verpflichtet. Dieser muss Informationen über die Finanzen und die Verwaltung sowie allgemeine Angaben zur Zusammensetzung
des Gremiums enthalten.85
Neben der Unternehmensleitung schreibt die Government Regulation die Einrichtung eines
Aufsichtsrates, eines Board of Supervisors, vor.86 Der Aufsichtsrat umfasst maximal fünf Personen und setzt sich aus Mitgliedern des Finanzdepartements oder aus Mitgliedern anderer
Departmente, die durch den Finanzminister ernannt werden, zusammen. Die Mitglieder des
Aufsichtsrates werden ebenfalls für eine fünfjährige Amtszeit ernannt.87 Sie haben die Aufgabe, die Unternehmensführung, das Board of Directors, zu überwachen und dieses zu beraten.
Konkret umfasst die Überwachung die langfristige Unternehmensplanung, die Programmplanung und die Budgetplanung. Als weitere Aufgabe hat der Aufsichtsrat die Einhaltung der
Government Regulation sowie der geltenden Gesetze zu kontrollieren.88 Um die Überwachung ausführen zu können, erhalten die Aufsichtsräte Zugang zu allen relevanten Dokumenten.89 Sie sind verpflichtet, dem Finanzminister regelmäßig Bericht zu erstatten und Fehlentwicklungen zu melden.90 Die Mitglieder des Aufsichtsrates treffen sich mindestens einmal
monatlich.91
Nachdem 1999 die Initiative einer Verfassungsänderung noch gescheitert war, setzten sich im
August 2000 die Reformkräfte durch. Die verfassungsgebende Volksversammlung befürwortete eine zweite Verfassungsänderung.92 Artikel 28 wurde ausgebaut und in zehn Absätze aufgeteilt.93 Folgende Absätze sind für die Medien relevant: „Every person shall have the right
to have freedom of belief, express his/her thoughts and attitudes, in accordance with his/her
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
22
Government Regulation no. 36/2000 Art. 14.2.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 15.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 16.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 21.1-2.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 21.3.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 42.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 1.4.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 24-27.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 29.a-c.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 31.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 30.
Government Regulation no. 36/2000 Art. 34.
Romano, 2003, 49.
Second Amendment to the Constitution.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
conscience.” 94 „Every person shall have the right of freedom to organize, to assemble, and to
express opinions.” 95 „Every person shall have the right to communicate and to obtain information to develop his/her personality and social environment, as well as the right to seek, to
obtain, to possess, to keep, to process, and to convey information by utilizing all available
kinds of channels.” 96
Ursprünglich war geplant, das Rundfunkgesetz gleichzeitig mit dem Pressegesetz zu verabschieden. Die beiden Gesetze sollten gleichartig und vergleichbar sein und im Sinne von Reformasi das alte Medienrecht ersetzen.97 Als das Pressegesetz im September 1999 vom Parlament verabschiedet wurde, war die neue Rundfunkordnung jedoch noch nicht erarbeitet.
Insbesondere die Gründung einer Regulierungsbehörde sorgte für Diskussionen. Es sollte
nach dem Vorbild der Federal Communication Commission in den USA eine unabhängige
Regulierungsbehörde, welche die Rundfunkpolitik gestaltet, Sendelizenzen verteilt und die
Regulierung des Rundfunkmarktes überwacht, gegründet werden.98 Mit der Aufhebung des
Informationsministeriums im Oktober 1999 geriet der Reformprozess im Rundfunkbereich
jedoch ins Stocken und kam erst Mitte 2000 wieder in Gang. Rechtsexperten der Unesco und
von Article XIX wurden wie bereits bei der Ausarbeitung des neuen Pressegesetzes als Berater einbezogen. Die involvierten Parteien waren sich jedoch über die Form des neuen Rundfunkgesetzes nicht einig. Verschiedene Gesetzesentwürfe wurden mehrmals überarbeitet.
Auch der Gesetzesentwurf, der schließlich 2002 dem Parlament zur Beratung und Genehmigung vorgelegt wurde, war stark umstritten. Hunderte von Medienschaffenden demonstrierten
zu Beginn der parlamentarischen Beratungen vor dem Parlamentsgebäude gegen das neue
Rundfunkgesetz. Am 28.11.2002 verabschiedete das Parlament das Rundfunkgesetz mit großer Mehrheit. Einzig die kleine Partei Unity and Nationhood hatte sich für weitere Verhandlungen ausgesprochen.99 Beim Act no. 32/2002 handelt es sich um Indonesiens zweites Rundfunkgesetz. Es ersetzt den mit der Aufhebung des Informationsministeriums ungültig gewordenen Act no. 24/1997, der erst drei Jahre zuvor während der Liberalisierungsphase in Kraft
trat.
In der Einleitung des neuen Rundfunkgesetzes werden Hörfunk und Fernsehen als „mass communication media, that have important roles in social, cultural, political, and economical life”
und als „media of information, education, entertainment, as well as social control and bond“ umschrieben.100 Ausgehend von der Verfassung und der Pancasila-Philosophie soll ein faires, unparteiisches und ausgeglichenes nationales Rundfunksystem errichtet werden. Dem Staat kommt
hierbei die Aufgabe zu, die Frequenzen zu schützen und im Interesse der gesamten Bevölkerung
zu verteilen. Wegen der besonderen Breitenwirkung, die dem Rundfunk zugestanden wird, sind
94
95
96
97
98
99
Second Amendment to the Constitution Art. 28E.2.
Second Amendment to the Constitution Art. 28E.3.
Second Amendment to the Constitution Art. 28F.
Razak, 2000, viii.
Neumann, 2000, 27.
Hari, 2002, 1.
23
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Hörfunk- und Fernsehveranstalter verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit die Werte, Kultur und Einheit
Indonesiens zu berücksichtigen und die Ereignisse sachgerecht und verantwortungsvoll darzustellen.101 Konkret sind die Aufgaben und Ziele des Rundfunks in Artikel 3 des Rundfunkgesetzes
festgelegt: Hörfunk und Fernsehen sollen, die nationale Integrität stärken, die Identität einer Nation, die gegenüber Gott hingebungsvoll ist, pflegen, den allgemeinen Wohlstand heben und eine
unabhängige, demokratische und prosperierende Gesellschaft fördern.102
Mehrere Bestimmungen umfassen die Einrichtung einer Aufsichts- und Regulierungsbehörde,
der KPI. Die KPI ist als staatlich unabhängige Behörde, die für beide Rundfunkformen zuständig ist, definiert.103 Sie setzt sich aus der Central KPI auf nationaler und der Regional KPI
auf provinzieller Ebene zusammen104 und wird durch Gelder der öffentlichen Hand finanziert.105 Der Aufgabenbereich der KPI ist sehr breit und in Artikel 8 des Rundfunkgesetzes
festgeschrieben. Die KPI legt demnach Programmstandards fest, ist verantwortlich für die
Entwicklung eines Code of Conduct on Broadcasting, überwacht die Umsetzung der Regulierungsmaßnahmen und der Programmstandards, verhängt bei Nichteinhaltung Sanktionen und
ist für die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Regierung, Rundfunkanbietern und
der Öffentlichkeit zuständig.106 Des Weiteren hat die KPI dafür Sorge zu leisten, dass die Öffentlichkeit relevante und korrekte Information erhält, zwischen den Rundfunkveranstaltern
ein fairer Wettbewerb herrscht und der Professionalität im Rundfunkbereich Rechnung getragen wird. Überdies ist die KPI für die Behandlung von Programmbeanstandungen zuständig.107 Grundlage für die Programmgestaltung und die Behandlung von entsprechenden Beanstandungen bildet der Code of Conduct. Neben dem Code of Conduct muss die KPI auch einen Broadcasting Code of Ethics erarbeiten.108
Auf nationaler Ebene gehören der KPI neun, auf regionaler Ebene sieben Personen an.109 Sie
bilden das operative Zentrum der Regulierungsbehörde und werden durch das Parlament
(DPR), respektive auf regionaler Ebene durch die Mitglieder des regionalen Parlaments
(DPRD) gewählt und formell durch den Präsidenten respektive durch Provincial Governors
ernannt.110 Der Präsident und der Vizepräsident der Regulierungsbehörde werden durch die
Mitglieder selber bestimmt.111 Die KPI ist gegenüber den politischen Akteuren zudem verpflichtet, in Form von Berichten regelmäßig Rechenschaft abzulegen.112 KPI Mitglieder müssen eine Reihe von formellen sowie persönlichen Kriterien erfüllen. Allgemein können nur
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
24
Act no. 32/2002 Considering.
Act no. 32/2002 Considering.
Act no. 32/2002 Art. 3.
Act no. 32/2002 Art. 6.4.
Act no. 32/2002 Art. 7.3.
Act no. 32/2002 Art. 9.6.
Act no. 32/2002 Art. 8.2.a-e.
Act no. 32/2002 Art. 8.3.a-e.
Act no. 32/2002 Art 48.5.
Act no. 32/2002 Art. 9.1.
Act no. 32/2002 Art. 10.2.
Act no. 32/2002 Art. 9.2.
Act no. 32/2002 Art. 53.1-2.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Personen Mitglied der KPI werden, die gegenüber Pancasila und der Verfassung von 1945
loyal sind, einen Hochschulabschluss besitzen, fair und ehrlich sind und Erfahrung im Rundfunkbereich aufweisen. Mitglieder der KPI dürfen weder der Regierung, dem Parlament, der
Justiz noch einer Partei angehören. Ebenfalls von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen sind
Personen, die in irgendeiner Weise durch direkten oder indirekten Besitz an Medienunternehmen beteiligt sind.113 Die Amtszeit der Mitglieder dauert drei Jahre, wobei die Mitglieder
jeweils einmal wiedergewählt werden können.114
Neu in der Rundfunkgesetzgebung ist die Differenzierung von Rundfunktypen nach vier Kategorien: Public Broadcasting, Private Broadcasting, Community Broadcasting und Suscribed
Broadcasting.115 Bei den öffentlichen Rundfunkgesellschaften handelt es sich, wie bereits in
der Government Regulation no. 36/2000 festgelegt, um RRI sowie TVRI, die im Interesse der
Öffentlichkeit landesweit unabhängige, neutrale und nicht kommerzielle Programme ausstrahlen. Auf Provinz- und Kommunalebene können zudem lokale Fernseh- und Hörfunkstudios
betrieben werden. Auf eine detaillierte Festlegung der organisatorischen Ausgestaltung des
öffentlichen Rundfunks wird im Gesetz verzichtet. Es wird lediglich auf die bereits in der Government Regulation vorgeschriebene Einrichtung einer Unternehmensleitung und eines Aufsichtrates verwiesen.116 Neben den Gebühren und den Beiträgen der öffentlichen Hand wird
der öffentliche Rundfunk nun auch durch Werbeeinnahmen finanziert.117 Im Hinblick auf die
Werbefinanzierung der Fernsehprogramme kennt das indonesische Rundfunkgesetz jedoch
eine Reihe von Einschränkungen. Beim öffentlichen Rundfunk darf der Anteil der Werbezeit
maximal 15% der gesamten Programmzeit betragen.118 Verboten sind Werbungen für Alkohol, Tabak, Religion, Ideologie sowie allgemein für Waren, die gegen moralische und religiöse Werte verstoßen. Die KPI kann zudem weitere Einschränkungen festlegen.119
Bei den privaten Rundfunkanstalten handelt es sich um gewinnorientierte Unternehmen, die
ausschließlich Hörfunk oder Fernsehen betreiben.120 Die Reichweite der privaten Sender ist
regional beschränkt. Um in allen Provinzen empfangbar zu sein, sind die privaten Rundfunkveranstalter verpflichtet, mit Lokalsendern zusammenzuarbeiten und ihre Programme über
Network-Stationen zu verbreiten.121 Die Besitzverhältnisse der privaten Rundfunkanstalten
werden durch das Rundfunkgesetz geregelt. Bei der Gründung einer privaten Rundfunkanstalt
darf ausschließlich Kapital von indonesischen Staatsbürgern oder indonesischen Institutionen
verwendet werden. Ausländisches Kapital kann für Investitionen eingesetzt werden, wobei
der ausländische Kapitalanteil auf maximal 20% des Gesamtkapitals begrenzt ist und von
113
114
115
116
117
118
119
120
121
Act no. 32/2002 Art. 10.1.b-g.
Act no. 32/2002 Art. 9.3.
Act no. 32/2002 Art. 13.2.
Act no. 32/2002 Art. 14.1-4.
Act no. 32/2002 Art. 15.1.a-d.
Act no. 32/2002 Art. 46.8.
Act no. 32/2002 Art. 46.3-4.
Act no. 32/2002 Art. 6.1.
Act no. 32/2002 Art. 31.3.
25
Indonesisches Mediensystem im Wandel
mindestens zwei Geldgebern stammen muss.122 Eine marktbeherrschende Stellung eines einzelnen Rundfunkanbieters soll verhindert werden. Weder innerhalb des Rundfunksektors noch
über verschiedene Medienbereiche hinweg ist eine starke Konzentration des Medienbesitzes
erlaubt, im Gesetzestext ist von „limited concentration of ownership and cross ownership“
die Rede. Näher ausformuliert und definiert wird die Limitierung des Medienbesitzes im Act
no. 32/2002 jedoch nicht, die KPI legt gemeinsam mit der Regierung entsprechende Regeln
fest.123 Finanziert werden die Programme privater Rundfunkanstalten über Werbung und Aktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Rundfunk stehen müssen.124 Der Werbeanteil beträgt bei privaten Anbietern maximal 20% der Sendezeit.125
Die Regulierung der Werbung sorgte bei der Erarbeitung des neuen Rundfunkgesetzes für
Diskussionsstoff. Ursprünglich sollte die Werbezeit bei privaten Anbietern auf 15% der Sendezeit beschränkt werden. Damit war die Indonesian Broadcasting Community jedoch nicht
einverstanden. Sie forderte einen Werbeanteil von mindestens 25% und begründete dies mit
der Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit der privaten Sender. „If commercial slot is limited to 15%, it would be difficult for the industry to reach the break even point. Thus, the
broadcasting industry will be less competitive.” 126
Rundfunkanbieter aus dem Community-Bereich sind als unabhängige, gemeinschaftlich organisierte, nicht gewinnorientierte Anbieter mit beschränkter Reichweite definiert.127 Über den
Community-Rundfunk werden kulturelle Programme sowie Informations- und Bildungsprogramme, welche die nationale Identität reflektieren, verbreitet.128 Finanziert wird das Programm durch einen Fonds der Gemeinschaft, wobei Spenden, die in den Fonds einfließen,
nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft sein dürfen.129 Finanzielle Unterstützung aus dem
Ausland ist nicht gestattet. Ebenso nicht zulässig ist die Ausstrahlung von Werbeprogrammen, Ausnahme bilden öffentliche, nicht kommerzielle Informationskampagnen.130 Veranstalter des Community-Rundfunks sind zudem verpflichtet, einen Ethik Code zu erarbeiten.131
Unter die Kategorie der Subscribed-Rundfunkangebote fallen die Anbieter von Pay-TV. An
diese Programme werden verschiedene Anforderungen gestellt. So muss das Programm intern
zensuriert werden und einen indonesischen Programmanteil von mindestens 10% aufweisen.132
Das hauptsächliche Mittel zur Regulierung des Rundfunks liegt unabhängig vom Rundfunktyp in der Lizenzvergabe. Zahlreiche Bestimmungen regeln die Bedingungen der Lizenzver-
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
26
Act no. 32/2002 Art. 17.1-2.
Act no. 32/2002 Art. 18.1-4.
Act no. 32/2002 Art. 19.a-b.
Act no. 32/2002 Art. 46.8.
UNESCO, 2001, 1.
Act no. 32/2002 Art. 21.1.
Act no. 32/2002 Art. 21.2.a-b.
Act no. 32/2002 Art. 22.1-2.
Act no. 32/2002 Art. 23.1-2.
Act no. 32/2002 Art. 24.1.
Act no. 32/2002 Art. 26.2.a-b.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
gabe sowie die Pflichten der Lizenzinhaber. Alle Rundfunkveranstalter müssen, damit sie auf
Sendung gehen können, im Besitz einer Broadcasting Operation License sein.133 Die Lizenzen werden von der Regierung aufgrund von Empfehlung und Diskussion mit der KPI ausgestellt134 und müssen für Hörfunkveranstalter alle fünf, für Fernsehveranstalter alle zehn Jahre
erneuert werden.135 Bevor die Lizenz erteilt wird, gilt eine Versuchsperiode von maximal
sechs Monaten für Hörfunk- und einem Jahr für Fernsehveranstalter.136 Aus verschiedenen
Gründen kann durch die Regierung die Lizenz auch wieder entzogen, das heißt suspendiert
oder nicht mehr erneuert werden. Zu diesen Gründen zählen Nichtbestehen der Versuchsperiode, Übertragen der Lizenz auf einen anderen Veranstalter und Verstöße gegen technische
Vorschriften und Programmstandards, die gerichtlich festgestellt worden sind.137
Hörfunk und Fernsehen sollen ihren Beitrag zur Information, Bildung und Unterhaltung leisten
und darüber hinaus die Einheit und Integrität des Landes erhalten sowie religiöse und kulturelle
Werte Indonesiens wahren und fördern. Diese Steuerungsziele sollen nach wie vor über quantitative Quoten erreicht werden. Die entsprechenden Richtwerte wurden mit der neuen Gesetzgebung
um 10% gesenkt. Der indonesische Programmanteil muss sowohl beim öffentlichen als auch beim
privaten Fernsehen mindestens 60% betragen.138 Neuerdings ist es den privaten Rundfunkveranstaltern erlaubt, eigene Nachrichtensendungen zu produzieren. Keine Änderung gibt es bei der
Rundfunksprache. Lokale Dialekte dürfen nach wie vor lediglich für die Ankündigung bestimmter lokaler Programme verwendet werden.139 Programme in Fremdsprachen müssen mit indonesischen Untertiteln versehen oder je nach Wichtigkeit des Programms in Bahasa Indonesia übersetzt werden.140 Zusätzlich legt das Gesetz fest, dass zu angemessener Sendezeit spezielle Programme ausgestrahlt werden, welche den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entsprechen.141 Auch nach dem neuen Rundfunkgesetz sind gewisse Themen für alle Rundfunktypen explizit verboten. Verleumdung und Lügen sind nicht zulässig. Die Verherrlichung von gewalttätigen Darstellungen, Betäubungsmitteln oder illegalen Drogen ist untersagt. Rundfunkprogramme
dürfen zudem keine ethischen oder religiösen Konflikte provozieren.142 Des Weiteren sollen religiöse Werte, das Ansehen der Bevölkerung sowie internationale Beziehungen durch die Rundfunkberichterstattung nicht gefährdet, lächerlich gemacht oder diffamiert werden.143
Weitere allgemeine Programmvorschriften werden über den von der KPI erarbeiteten Code of Conduct festgelegt. Gemäß dem Gesetz muss dieser zumindest zu folgenden Themen Angaben bereitstellen: Respekt gegenüber religiösen Ansichten, Privatsphäre, Benehmen und Moral. Einschrän133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
Act no. 32/2002 Art. 33.1.
Act no. 32/2002 Art. 33.4.
Act no. 32/2002 Art. 34.1.
Act no. 32/2002 Art. 34.3.
Act no. 32/2002 Art. 34.5.
Act no. 32/2002 Art. 36.1-2.
Act no. 32/2002 Art. 38.1.
Act no. 32/2002 Art. 39.1.
Act no. 32/2002 Art. 36.3.
Act no. 32/2002 Art. 36.5.a-c.
Act no. 32/2002 Art. 36.6.
27
Indonesisches Mediensystem im Wandel
kungen gegenüber Darstellungen von sexuellen Handlungen und Gewalt, Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen, Programmklassifizierung nach Altersgruppen, Angaben zu Programmen in
Fremdsprachen, Pünktlichkeit und Neutralität von Nachrichten, Live-Sendungen und Werbung.144
Im Gegensatz zum Pressegesetz, welches in erster Linie positive Reaktionen ausgelöst hatte,
stand das Rundfunkgesetz nach seiner Verabschiedung stark in der Kritik. Medienorganisationen kritisierten das Gesetz und warfen der Regierung vor, sie kehre zu den alten repressiven
Formen der Medienkontrolle zurück.145 Der indonesische Presserat und weitere indonesische
sowie international tätige Medienorganisationen gelangten mit Protestschreiben an die Regierung und forderten eine Überarbeitung des Gesetzes. Die Hauptkritik betraf folgende Punkte:
(a) der nach wie vor starke Einfluss der Regierung bei der Lizenzierung des Rundfunks, (b)
die inhaltlichen Restriktionen, (c) die Beschränkung von ausländischen Programmanteilen
sowie (d) die eingeschränkte Reichweite der privaten Fernsehsender.146 Trotz der Proteste
wurde das neue Gesetz schließlich durch Präsidentin Megawati Sukarnoputri unterzeichnet.
Obwohl seit der Aufhebung des Informationsministeriums im Jahr 1999 keine Regulierungsbehörde mehr existierte, ließ die vom neuen Rundfunkgesetz vorgeschriebene Einrichtung der KPI
auf sich warten. Mitglieder des Presserates äußerten Befürchtungen, dass die Regierung absichtlich die Einberufung der Regulierungsbehörde verzögere, um den gesamten Rundfunkbereich
wieder per Ministererlass regulieren zu können.147 Kurz vor Ablauf der vom Rundfunkgesetz
festgeschriebenen einjährigen Frist wurde im Dezember 2003 durch die parlamentarische
Kommission für Kommunikation und Information mit der Befragung und Anhörung von insgesamt 27 Kandidaten begonnen. Nachdem die Kommission sich für neun Kandidaten entschieden hatte, wurden diese Ende Dezember durch Präsidentin Megawati Sukarnoputri ernannt.148
6
6.1
Presse
Steuerung
Der Pressebereich genoss gleich zu Beginn der Transformation eine hohe Aufmerksamkeit. Noch
vor den ersten demokratischen Wahlen wurde ein neues Pressegesetz erarbeitet und von der Übergangsregierung verabschiedet. Die wichtigsten Änderungen betrafen die Abschaffung der Lizenzierung und die Gründung eines neunköpfigen Aufsichts- respektive Presserates. Während der Neuen
Ordnung fungierte der Informationsminister als Steuerungsakteur. Er überwachte den Inhalt der
Berichterstattung, vergab die Lizenzen und kontrollierte dadurch den Pressebesitz. Gleichzeitig
präsidierte er den damals 25 Mitglieder umfassenden Presserat, der die Regierung bei der Entwicklung der nationalen Presse zu unterstützen hatte. Mit dem Pressegesetz von 1999 verlor der
Informationsminister seinen Einfluss im Pressebereich und es wurde ein neunköpfiger Presserat
als Steuerungsakteur eingeführt. Die Aufgaben und Kompetenzen des Presserates sind im Gesetz ausführlich geregelt und umfassen neben der Behandlung von Beschwerden und dem Erar144
145
146
147
28
Act no. 32/2002 Art. 48.4.a-j.
Hari, 2002, 2.
Memorandum on Broadcasting Bill, 2002, 1-18.
Hari, 2003, 1 f.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
beiten eines Ethikcodes weitere Maßnahmen zur Stärkung und Entwicklung der Pressefreiheit
sowie der Pressequalität. So hat der Presserat unter anderem Studien zur Entwicklung der Presse zu erstellen und als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und der Regierung für die Belange der Presse einzustehen. Die Aufgabenzuschreibung geht somit über rein korrektive Maßnahmen im Zusammenhang mit der Behandlung von inhaltlichen Beschwerden hinaus. Dies
lässt darauf schließen, dass dem Presserat bei der Etablierung einer unabhängigen Presse eine
tragende Rolle zugewiesen wird und dieser im Sinne einer Selbststeuerung die Entwicklung der
Presse lenken soll. Die personelle Zusammensetzung verweist auf die Unabhängigkeit des
Gremiums. Gleichzeitig zeigt sich bei der Finanzierung des Presserates und im Besonderen bei
der Wahl und Ernennung der Mitglieder durch das Parlament und den Staatspräsident zumindest auf formeller Ebene eine Verbindung zum politischen System. Wie stark der tatsächliche
Einfluss der Regierung auf die Tätigkeit des Presserates ist, kann aufgrund dieser Analyse nicht
beurteilt werden.
Die bedeutendste Veränderung auf organisatorischer Ebene betrifft die Abschaffung der Lizenzierung. Nachdem bereits zu Beginn der Transformation die Lizenzierungskriterien gelockert worden waren, wurde mit dem neuen Pressegesetz gänzlich auf die Vergabe von Lizenzen verzichtet. Presseunternehmen können seither frei gegründet werden. Bestimmungen,
welche den Besitz der Presse festschreiben, beziehen sich im neuen Gesetz ausschließlich auf
den Besitzanteil ausländischer Personen. Zudem wurde der Zugang zum Presseberuf geöffnet.
Journalisten sind nicht mehr verpflichtet, einer bestimmten Journalistenorganisation anzugehören. Die während der Neuen Ordnung geltenden Inhaltsnormen wurden abgeschafft. Im
neuen Pressegesetz werden inhaltliche Vorschriften in erster Linie über Angaben zur redaktionellen Arbeit festgelegt. So soll wahrheitsgemäß, sorgfältig, genau und objektiv berichtet
werden. Zudem muss bei Kritik, den betroffenen Personen die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt werden.
6.2
Funktionen
Die Funktionen, die der Presse über die Gesetzgebung zugewiesen werden, haben sich im Verlauf der Transformation grundlegend geändert. Aufgrund der alten Gesetzgebung lassen sich für
die Presse während der Neuen Ordnung zwei Hauptfunktionen festlegen: Die Modernisierungsfunktion und die Integrationsfunktion. Der Modernisierungsfunktion zugerechnet werden alle
Aufgaben, die im Zusammenhang mit entwicklungspolitischen Zielen stehen. Die Presse sollte
Bildungs- und Erziehungsprogramme verbreiten, die Beteiligung der Bevölkerung an nationalen
Entwicklungsprogrammen fördern und so allgemein zur Verwirklichung der nationalen Entwicklungsziele beitragen.149 Im Zusammenhang mit der Entwicklung wurde der Presse vom
Gesetzgeber nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene eine Funktion zugewiesen. Die Presse sollte für einen ausgewogenen Informationsfluss zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern sorgen und für eine neue Weltinformationsordnung (NIIO) ein148
Unidjaja/Saraswati, 2003, 1.
29
Indonesisches Mediensystem im Wandel
stehen. Daneben kam der Presse die Aufgabe zu, die gesellschaftliche Integration sowie die
Bildung einer nationalen kulturellen Identität zu unterstützen und voranzutreiben. Die
Printmedien sollten zum Zusammenhalt des aus mehr als 100 verschiedenen ethnischen
Gruppen bestehenden Inselreichs beitragen und ein gemeinsames indonesisches Bewusstsein
fördern. Konkret hatte die Presse die Aufgabe, die nationale Einheit und Integrität zu stärken
sowie Pancasila zu schützen und zu verbreiten.150 Zu den traditionellen demokratischen Medienfunktionen Information, Kritik und Kontrolle sowie Repräsentation finden sich in der alten
Gesetzgebung nur wenige Angaben. Während auf die Repräsentationsfunktion keine Angaben
hindeuten, bezog sich die Informationsfunktion in erster Linie auf entwicklungsrelevantes Wissen. Da die Medien während der Neuen Ordnung als Partner der Regierung gesehen wurden,
war eine Überwachung der staatlichen Autorität im Sinne einer vierten Gewalt überflüssig. Die
Presse durfte ausschließlich in konstruktiver und der Entwicklung des Landes förderlicher Weise soziale Kontrolle ausüben. Die Medien hatten in diesem Sinne nicht eine Kritik- und Kontrollfunktion, sondern waren vielmehr Mittel, um die Staatsideologie zu verbreiten, die nationale Einheit und Entwicklung zu fördern und voranzutreiben.
Die Modernisierungsfunktion und die Funktion der gesellschaftlichen Integration finden sich im
neuen Pressegesetz von 1999 nicht mehr. Die Funktionen der Presse werden neu anhand von
Leistungen, welche die Massenkommunikation traditionell in einer demokratischen Gesellschaft erbringen soll, festgelegt. Zu diesen Leistungen zählen in erster Linie Information, Bildung, Unterhaltung und Kontrolle.151 Während die Bildungs- und Unterhaltungsfunktion im
Pressegesetz nicht näher festgelegt sind, finden sich zur Informations- und Kontrollfunktion
konkrete Angaben. Die Presse soll gesellschaftsrelevante Information verbreiten und so zur
Meinungsbildung beitragen. Eine derartige Informationsvermittlung alleine reicht zur Sicherung
einer chancengleichen Meinungsbildung jedoch nicht aus. Zusätzlich muss der Zugang zu den
Medien für alle offen sein und die unterschiedlichen Meinungen müssen durch die Berichterstattung angemessen berücksichtigt werden. Das neue Pressegesetz trägt diesem Anspruch und
damit indirekt auch der Repräsentationsfunktion Rechnung, indem eine Vielfalt von Sichtweisen und eine unparteiische Berichterstattung gefordert werden. Im Pressegesetz von 1999 ist
zudem die Kontrollfunktion nicht mehr eingeschränkt: Der Presse wird gegenüber allen öffentlichen Angelegenheiten eine Kontrollfunktion zugestanden. Kontrolle ist dabei weit gefasst und
beinhaltet sowohl Kritik als auch Anregungen und Vorschläge von Seiten der Presse. Zusätzlich
zu den bisher genannten Funktionen werden der indonesischen Presse eine Reihe von Aufgaben
zugeschrieben. Die Presse soll für Gerechtigkeit und Wahrheit eintreten, den Rechtsstaat und
Menschenrechte fördern sowie grundlegende demokratische Werte stärken.152 Diese stark normativ geprägten Aufgabenzuweisungen machen deutlich, dass der Presse bei der Etablierung
der noch jungen indonesischen Demokratie explizit eine bedeutende Rolle zugewiesen wird.
149
150
151
152
30
Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-e.
Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-d.
Act no. 40/1999 Art. 3.1.
Act no. 40/1999 Art. 6.b-e.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Neben den sozialen und politischen Funktionen wird der Presse auch eine ökonomische Funktion zugeschrieben.153 Es handelt sich dabei weniger um eine normative Funktionszuweisung als
vielmehr um die Anerkennung der kapitalökonomischen und warenzirkulierenden Funktion, die
der Presse zukommt. Diese Funktion wurde während der Neuen Ordnung im Rahmen der Gesetzgebung nicht berücksichtigt, obwohl in der Praxis die ökonomische Bedeutung der Presseunternehmen stark angewachsen war.154 Die kapitalökonomische Funktion umfasst den Verkauf
von Medienprodukten auf zwei Märkten: Einerseits werden redaktionell und nicht redaktionell
bearbeitete Texte und Bilder an die Konsumentenschaft verkauft, andererseits wird durch Medienunternehmen bezahlter Raum für spezifische Dienstleistungen und Botschaften angeboten.
6.3
Autonomie
Während der Neuen Ordnung griffen die politischen Akteure stark in den Pressemarkt ein und
steuerten über die Lizenzierung nicht nur die Zahl und den Besitz der Printmedien, sondern über
die Journalistenorganisation PWI auch den Zugang zum Presseberuf. Mit dem Pressegesetz von
1999 hat die Presse an Autonomie gewonnen. Dies widerspiegelt sich allgemein in der Definition der Pressefreiheit. Die Presse darf nicht an der Informationssuche und -verbreitung gehindert
werden, was bedeutet, es darf weder der Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen beschränkt werden noch sind Zensurmaßnahmen oder Drohungen im Zusammenhang mit
journalistischen Aktivitäten zulässig. Konkret wird die Unabhängigkeit der Presse gesichert, indem Presseunternehmen frei gegründet werden dürfen, der Berufszugang offen ist und die Berichterstattung ohne Zensur erfolgen kann. Aufgrund des neuen rechtlichen Rahmens kann der
indonesische Pressemarkt zusammenfassend als ein privatwirtschaftlicher, durch Angebot und
Nachfrage organisierter Medienmarkt bezeichnet werden. Die rechtliche Situation sieht praktisch keinerlei Schranken für die Entwicklung des Pressemarktes vor. Es bestehen einzig gewisse Schutzmechanismen gegenüber der Dominanz ausländischen Kapitals.
7
7.1
Rundfunk
Steuerung
Die anhand der Gesetzgebungen von 1997 und 2002 feststellbaren Veränderungen bei der
Rundfunksteuerung zeigen sich in erster Linie bei der Organisation der Rundfunkanstalten
und dem Steuerungsakteur. Während der Neuen Ordnung existierte keine unabhängige Regulierungsbehörde. Die Steuerung des Rundfunks unterlag der Regierung, konkret dem Informationsminister, der für sämtliche Regulierungsaufgaben wie die Lizenzvergabe, Anforderungen
an die Programme oder Bestimmungen zum Besitz verantwortlich war. Auch mit dem 1997
während der Liberalisierungsphase verabschiedeten ersten Rundfunkgesetz änderte sich
grundsätzlich noch nichts an den Kompetenzen der Regierung. Zwar wurde ein Aufsichtsgremium eingeführt, dieses war jedoch aufgrund seiner personellen Zusammensetzung und
der Aufgabenzuweisung an die Regierung gekoppelt und in diesem Sinne kein unabhängiges
153
154
Act no. 40/1999 Art. 3.2.
Sen/Hill, 2000, 221.
31
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Gremium. Dem ersten Aufsichtsgremium folgte mit dem Rundfunkgesetz von 2002 die KPI.
Dass die KPI im Gesetz explizit als staatlich unabhängige Regulierungsbehörde festgelegt ist
und die Mitglieder weder politische Mandate ausüben noch persönliche publizistische Interessen verfolgen dürfen, ist grundsätzlich positiv zu werten. Gewisse Vorbehalte sind hingegen
im Hinblick auf die Kompetenzen der Regulierungsbehörde angebracht. Die KPI ist einerseits
zwar mit Regelungskompetenz ausgestattet, sie kann verbindliche Bestimmungen festlegen
und die relativ allgemeinen Vorgaben des Rundfunkgesetzes durch detaillierte Regeln, wie
den Code of Conduct, konkretisieren, andererseits kommt ihr bei der Lizenzvergabe nur eine
beratende Stimme zu. Die KPI darf lediglich Empfehlungen abgeben, der Entscheid wird
schließlich durch die Regierung gefällt. Dies birgt die Gefahr, dass die Lizenzierung nach wie
vor als politisches Mittel missbraucht wird. Diese Gefahr ist umso größer, weil im neuen
Rundfunkgesetz verschiedene Bestimmungen nicht klar festgelegt, sondern explizit als von
der Regierung gemeinsam mit der KPI näher zu definierende Vorschriften festgeschrieben
sind. Dazu zählen unter anderem die Bestimmungen zu Cross-ownership. Nicht zuletzt auch
das Wahlverfahren der KPI-Mitglieder unter Einbezug von Parlament und Staatsoberhaupt
sowie die Finanzierung der KPI über Staatsgelder verweisen darauf, dass die Regulierungsbehörde immer noch an die Akteure des politischen Zentrums gebunden ist.
Mit dem Gesetz von 2002 kam es zu einer weiteren Differenzierung der Rundfunktypen. Neben
den öffentlichen und privaten Hörfunk- und Fernsehangeboten sowie dem Pay-TV wurde neu
der Community-Rundfunk eingeführt. Die rechtlichen Grundlagen für alle Rundfunktypen sind
im selben Gesetz enthalten, wobei auffällt, dass die Ausführungen zum öffentlichen Rundfunk
sehr knapp ausfallen. So fehlt eine klare Definition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und
des Service Public ebenso, wie detaillierte Angaben zu Programminhalt, Finanzierung und Aufsicht. Im Gesetz ist lediglich festgeschrieben, dass das öffentliche Angebot von TVRI und RRI
bereitgestellt wird und neben den Gebühren und den staatlichen Geldern ebenfalls über Werbeeinnahmen finanziert wird. TVRI und RRI wurden bereits zwei Jahre vor der Verabschiedung
des neuen Rundfunkgesetzes von staatlichen in öffentliche Gesellschaften mit unabhängigen
Leitungsgremien und Aufsichtsräten umgewandelt. Mit der Reorganisation sollte die Unabhängigkeit der Rundfunkgesellschaften garantiert werden. Ein Grossteil der Bestimmungen zum
privaten Rundfunk regelt den Besitz. Die Beteiligung ausländischer Kapitalgeber ist möglich,
wobei der ausländische Besitzanteil nicht mehr als 20% betragen darf. Medienkonzentration
und Cross Media-Besitz ist nur eingeschränkt zulässig. Weitere Einschränkungen gelten im
Hinblick auf die Reichweite des privaten Rundfunks. Die privaten Rundfunkveranstalter sind
verpflichtet, mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten, um in allen Provinzen ihre Programme
ausstrahlen zu können. Der Community-Rundfunk ist für Indonesien gänzlich neu. Er kann als
Stärkung vermehrt regionaler Rundfunkangebote gewertet werden. Im Gegensatz zu den Angeboten der privaten Rundfunkveranstalter ist der Community-Rundfunk nichtkommerziell und
direkt auf der Ebene der Gemeinschaften organisiert.
32
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Bezüglich der Programmbestimmungen sind die geringsten Veränderungen festzustellen. Die Erfüllung des Indonesian Content war und ist einer der fundamentalen Aspekte der indonesischen
Rundfunksteuerung. Dies spiegelt sich insbesondere in den ausführlichen Bestimmungen, die den
indonesischen Programmanteil und die Verwendung der indonesischen Sprache regeln wieder.
Zumindest theoretisch haben alle Rundfunkanbieter, die öffentlichen wie die privaten gleichermaßen, zur Wahrung der nationalen und kulturellen Identität beizutragen. Auf detaillierte Programmvorschriften und die Festlegung genauer Programmgenres für einzelne Rundfunktypen
wird im Gesetz verzichtet. Grundsätzlich wird gefordert, dass die vier Bereiche Information, Bildung, Unterhaltung und Integration berücksichtigt werden müssen. Konkreter ausgeführt werden
die Programmvorschriften über Angaben zur redaktionellen Arbeit und den Code of Conduct, der
von der KPI ausgearbeitet wird. Dem Code of Conduct müssen alle Rundfunkanbieter, unabhängig vom Typ, zustimmen. Im Code of Conduct werden unter anderen Bestimmungen zu Religion,
Gewalt und sexuellen Handlungen im Programm festgeschrieben. Es wird Respekt vor der Privatsphäre und im Besonderen der Schutz von Kindern gefordert. Besondere Bestimmungen gelten
zudem im Hinblick auf Nachrichtenprogramme und Live-Sendungen.
7.2
Funktionen
Die Funktionen, die dem Rundfunk in den Gesetzen von 1997 und 2002 zugewiesen werden,
unterscheiden sich nur minimal. Wie die Presse soll auch der Rundfunk informieren, bilden,
unterhalten und kontrollieren.155 Während sich im Gesetz zur Informations- und zur Bildungsfunktion verschiedene Hinweise finden, werden die Unterhaltungs- sowie die Kritik- und
Kontrollfunktion nicht ausgeführt. Im Hinblick auf die Informationsfunktion wird eine korrekte und ausgeglichene Informationsvermittlung gefordert. Die Informationsfunktion muss
von allen Rundfunktypen erfüllt werden, wobei sie im 1997er Rundfunkgesetz für den öffentlichen Rundfunk betont wurde, im neuen für den Community-Rundfunk hervorgehoben wird.
Dem Community-Rundfunk kommt explizit die Aufgabe zu, Informations- und Bildungsprogramme zu verbreiten. Zu den Bildungsprogrammen zählen Beiträge, die gesellschaftliche
Themen behandeln und zur Steigerung der Wohlfahrt beitragen.
Neben der Informationsfunktion nimmt im neuen Rundfunkgesetz insbesondere die Integrationsfunktion und die damit verbundene Funktion des Nation-Building eine wichtige Stellung
ein. Der Rundfunk hat die Aufgabe, die nationale Identität zu erhalten und die innerstaatliche
Einheit zu stärken.156 Die kulturelle Identität wird dabei, wie schon während der Neuen Ordnung, in erster Linie als Homogenität verstanden, was sich sowohl in der Rundfunksprache
als auch in den Programminhalten äußert. Nationale TV-Inhalte sollen gefördert und der ausländische Besitz eingeschränkt werden. Auch die von Suharto propagierte Rolle des Rundfunks für die nationale Entwicklung ist, wenn auch in leicht abgeänderter Form, im neuen
Rundfunkgesetz wieder aufgenommen worden. Der Rundfunk soll eine aktive Rolle der Ge-
155
156
Act no. 32/2002 Art. 4.
Act no. 32/2002 Art. 5.b-d.
33
Indonesisches Mediensystem im Wandel
sellschaft bei der nationalen und regionalen Entwicklung fördern.157 Auf eine präzisere Festlegung der Entwicklungsfunktion im Programmbereich wird verzichtet. Es ist allgemein die
Rede von Programminhalten, die zur Stärkung einer unabhängigen, demokratischen, fairen
und prosperierenden Gesellschaft beitragen.158 So wie die Presse, hat auch der Rundfunk die
Aufgabe, das Bewusstsein für den Rechtsstaat und die nationale Disziplin zu erhöhen.159 Die
Repräsentationsfunktion wird im neuen Rundfunkgesetz nicht explizit erwähnt. Es lassen sich
jedoch verschiedene Hinweise darauf finden. So unter anderem in der Forderung, dass möglichst alle Interessen und Bedürfnisse der indonesischen Bevölkerung abgedeckt und repräsentiert werden sollen. Das Rundfunkangebot soll grundsätzlich der gesamten indonesischen
Gesellschaft dienen. Auf der organisatorischen Ebene wird die Repräsentationsfunktion zudem in den Bedingungen zur Zusammensetzung der Regulierungsbehörde KPI sichtbar. Die
KPI soll sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene präsent sein.
Die dem Rundfunk zugewiesene ökonomische Funktion bezieht sich sowohl auf den Rundfunksektor als auch auf das gesamte ökonomische System. Allgemein soll der Rundfunk im
Umfeld der Globalisierung zur Erhöhung des Wohlstandes sowie zur Stärkung der nationalen
Wettbewerbsfähigkeit beitragen.160 Innerhalb des Rundfunksektors muss sichergestellt werden, dass ein fairer Wettbewerb herrscht und Monopole verhindert werden.161 Die dem Rundfunk zugewiesene ökonomische Funktion verweist damit auf die wirtschaftliche Souveränität
und im weiteren Sinne ebenfalls auf die nationale Eigenständigkeit.
7.3
Autonomie
Der Rundfunk ist im Vergleich zur Presse traditionell einer stärkeren Steuerung durch das politische System ausgesetzt. Die politischen Akteure nehmen eine initiierende und intervenierende
Funktion wahr. Während der Neuen Ordnung wurden die Rundfunkaktivitäten aus entwicklungspolitischen und kulturellen Überlegungen direkt der Regierung unterstellt. Insbesondere
das staatliche Fernsehen und das staatliche Radio dienten als Instrument direkter Einflussnahme
und als Sprachrohr für politische Interessen. Diese direkte Anbindung der Medien an die Politik
findet sich in der neuen Rundfunkgesetzgebung nicht mehr. Die Auflösung des Informationsministeriums und die damit zusammenhängende Überführung der staatlichen Rundfunkgesellschaften TVRI und RRI in öffentliche Gesellschaften mit unabhängigen Leitungsgremien und
Aufsichtsräten sowie die Schaffung einer Regulierungsbehörde für den Rundfunk können
grundsätzlich als Beitrag zur Trennung von Medien und Staat und damit als Autonomiegewinne
gewertet werden. Gleichzeitig hat die Begutachtung des Wahlverfahrens und der Kompetenzen
der neu gegründeten Gremien gezeigt, dass deren Unabhängigkeit beschnitten ist. Da die Mitglieder der Unternehmensleitung von TVRI und RRI als auch der Aufsichtsräte durch den Finanzminister ernannt werden, ist auf formeller Ebene eine Anbindung an das politische System
157
158
159
160
34
Act no. 32/2002 Art. 5.f.
Act no. 32/2002 Art. 3.
Act no. 32/2002 Art. 5.e.
Act no. 32/2002 Art. 5.h.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
vorhanden. Noch stärker ist diese Anbindung im Zusammenhang mit der Regulierungsbehörde
KPI. Die Unabhängigkeit der Behörde ist aufgrund ihrer im Gesetz festgeschriebenen Kompetenzen und der Bindung an den Staatshaushalt nicht garantiert. Eine gewisse Einflussnahme
durch die Politik ist im Rundfunkbereich also nach wie vor möglich. Im Zusammenhang mit der
Autonomie des Rundfunks stellt sich zudem die Frage, ob der Rundfunk vom Markt unabhängig ist. Da sowohl der öffentliche als auch der private Rundfunk stark werbeabhängig sind,
müssen gewisse Vorbehalte angebracht werden. Es bleibt offen, inwiefern das Rundfunksystem
den Public Service-Auftrag trotz dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit erfüllen kann.
Zusammenfassend fällt auf, dass sich sowohl Steuerungs- und Regulierungsmodi für Presse und
Rundfunk als auch die damit verbundenen Vorstellungen über Funktionen und Autonomie der
Medien während der Transformation gewandelt haben. Aufgrund der neuen rechtlichen Grundlagen kann das indonesische Mediensystem mehrheitlich als liberal bezeichnet werden. Insbesondere im Bereich der Steuerungsakteure sowie der Organisation der Medien kam es zu gewichtigen Veränderungen, die sich im Pressebereich in der freien Gründung von Presseunternehmen, der unzensurierten Berichterstattung und der Gründung des Presserates manifestieren.
Die Schwerpunkte im Rundfunkbereich liegen in der Schaffung einer Regulierungsbehörde, der
vierteiligen Organisation des Rundfunks sowie in den inhaltlichen Bestimmungen zum Inhalt.
Der Presse und dem Rundfunk werden neu soziale, politische und ökonomische Funktionen zugeschrieben, wobei die Funktionszuweisung nicht für beide Medientypen deckungsgleich ist.
Während für den Rundfunk die Integrationsfunktion beziehungsweise die Funktion des NationBuilding sowie die Entwicklungsfunktion nach wie vor stark gewichtet werden, steht bei der
Presse die Kontrollfunktion und die Repräsentationsfunktion im Vordergrund. Insgesamt am
stärksten beachtet werden die Informationsfunktion und die Bildung. Dies stellt einen klaren
Bruch der vormaligen Medienpolitik dar. Während der Neuen Ordnung waren die Medien in
das politische System eingebunden und durch das Informationsministerium gesteuert und kontrolliert. Die starke staatliche Medienkontrolle wurde mit der Stärkung der kulturellen und politischen Einheit des Landes begründet. Als Partner der Regierung sollten die Medien zur Verbreitung der asiatischen Werte und insbesondere der Pancasila-Philosophie beitragen und
gleichzeitig ein für die nationale Entwicklung förderliches Klima schaffen. Die Veränderungen
im Hinblick auf die Institutionalisierung des Mediensystems sind insgesamt beträchtlich.
8
Bewertung des Medienwandels im Kontext der Transformation
Die beschriebenen Redaktionsschließungen von 1994 sind für den Transformationsprozess in
zweierlei Hinsicht bedeutungsvoll. Einerseits zeigen sie, dass die Regierung trotz ersten Anzeichen einer Liberalisierung die Medien nach wie vor stark kontrollierte und immer noch die
Macht besaß, um auch gegen große Medienkonglomerate vorzugehen, andererseits können
die Redaktionsschließungen als Zeichen interpretiert werden, dass die Medien im politischen
161
Act no. 32/2002 Art. 5.g.
35
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Kampf an Bedeutung gewannen und zu einem wichtigeren Faktor wurden.162 Dafür spricht
die massive Kritik, welche das Verschwinden der drei Magazine begleitet hat und infolge
auch zur Gründung der Journalistenorganisation AJI führte. Inwiefern die Mitglieder der
Journalistenorganisation durch ihre Aktivitäten zur Transformation beigetragen haben und
damit im Sinne der Akteurstheorien zu informellen Akteuren wurden, lässt sich aufgrund der
Gesetzesanalyse und des dargestellten Verlaufs des Medienwandels nicht abschließend beurteilen. Die Herausgabe der alternativen Zeitung Suara Independen kann zumindest als Beitrag
zur Schaffung einer informellen Öffentlichkeit gewertet werden. Ebenfalls dürfte AJI bei der
Vernetzung der Opposition mit dem Ausland und den damit zusammenhängenden Demonstrationseffekten eine Rolle gespielt haben. Während AJI Sympathisanten im eigenen Land
ständigen Einschüchterungen durch die Regierung ausgesetzt waren, erhielten sie aus dem
Ausland Unterstützung und wurden mit verschiedenen Preisen, u.a. durch die International
Federation of Journalists (IFJ), für ihr Engagement geehrt.163
Dass die Belange von Hörfunk und Fernsehen kurz vor dem Ende des autoritären Regimes erstmals eine rechtliche Basis erhielten und damit das staatliche Fernsehmonopol definitiv aufgehoben wurde, zeigt, dass Dezentralisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen im indonesischen
Mediensystem nicht erst nach dem Ende des autoritären Regimes, sondern bereits während den
letzten Jahren der Neuen Ordnung auftraten. Ausschlaggebend für die Zulassung privater Fernsehsender waren in erster Linie politische und ökonomische Gründe.164 Die autoritäre Regierung
sah in der Zulassung kommerzieller Anbieter das beste Mittel, um im Zuge der zunehmenden Internationalisierung die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Fernsehindustrie zu stärken und
gleichzeitig die Kontrolle über die Fernsehprogramme zu erhalten. „Deregulation was in no sense
a liberalization of the television sector, but is best understood as motivated by state authorities’
interest in regulating the influx of foreign televisual services and programming, which became
popular in the mid-1980s.“ 165 Die Analyse des ersten Rundfunkgesetzes zeigt, dass die Programmvielfalt der privaten Fernsehsender eingeschränkt war. Die Anbieter privater Fernsehprogramme durften ebenso wie die privaten Hörfunkstationen keine eigenen Nachrichtensendungen
produzieren. Sie mussten entweder die Nachrichten des staatlichen Senders TVRI übernehmen oder
aber sich auf Unterhaltungssendungen beschränken. Über die Lizenzierung wurde zudem der Besitz
gesteuert. Alle kommerziellen Fernsehsender befanden sich in den Händen der Präsidentenfamilie
oder deren engen Vertrauten aus der Wirtschaft. „The pattern of vertical integration between private media and the ruling regime is a rare phenomenon in the world’s market economies. In
neighbouring Southeast Asian countries, e.g. Singapore and Malaysia, the media have been under
state-controlled holding companies; but in the Indonesian case, it is individual members of the
ruling elite and their cronies who personally own the media as part of their business empires.“ 166
162
163
164
165
166
36
Sen/Hill, 2000, 52.
ebenda, 56.
Chan/Ma, 1996, 48.
Kitley, 2000, 331.
Hidayat, 2002, 163.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Auch wenn die Zulassung privater Fernsehsender durch die autoritäre Regierung auf den ersten
Blick also nicht als Liberalisierung des Mediensystems, sondern lediglich als ökonomische Differenzierung des TV-Marktes gewertet werden kann, ist sie für den Verlauf des Medienwandels im
Kontext der Transformation entscheidend. Durch die Zulassung privater Rundfunkanbieter kamen
neue Medienakteure auf den Markt, die aufgrund ihrer ökonomischen Grundlagen eine größere Unabhängigkeit genossen und längerfristig dazu beitrugen, dass die Medienkontrolle durch die Regierung schwand. „In the last decade of the New Order, however, the state was losing control of media
products in a more general sense, due to changes in media technologies and economies.” 167
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, das der private Fernsehsender IVM, der erst 1991 eine
Sendelizenz erhalten hatte und mit der Salim Gruppe zu einem der größten indonesischen Wirtschaftskonglomerate gehörte, schließlich als Erster über die wachsenden Proteste gegenüber dem
autoritären Regime berichtete. Indem in verschiedenen Sendungen erstmals öffentlich Alternativen zur autoritären Regierung diskutiert wurden, trugen sie zur Eröffnung eines politischen Dialogs bei. Den privaten Fernsehstationen kam dabei die Rolle des Leitmediums zu, folgten der TVBerichterstattung doch kurze Zeit später Berichte in den Printmedien und zuletzt sogar im staatlichen Fernsehen.168 Inwiefern die Medien dabei als Motor der Transformation gesehen werden
können, das heißt zur Mobilisierung gegen das autoritäre Regime beigetragen haben, kann ohne
Daten zur Medienwirkung nur aufgrund des dargestellten Verlaufs des Medienwandels und der
Gesetzesanalyse nicht beurteilt werden. Da die Berichterstattung jedoch erst in der unmittelbaren
Umbruchphase, als die Proteste auf der Strasse ihren Höhepunkt erreicht hatten, einsetzte, ist davon auszugehen, dass die Medien die Auflösung des autoritären Regimes in erster Linie begeleitet
und nicht verursacht haben. Zudem ist zu bedenken, dass in der unmittelbaren Umbrauchphase
den lokalen Medien und denjenigen in Jakarta nicht immer dieselbe Bedeutung zukam. „We
found that some of the local media, taking into account specific internal and external considerations, became immediately involved in the reform movement in their areas, and contributed significantly to its acceleration; other local media, with other considerations, either ‚gambled’ or
were forced to support the movement at the last minute before Suharto was overthrown.“ 169
Die Debatte um die zukünftige Medienpolitik setzte direkt nach dem Rücktritt Suhartos 1998
ein. Die Übergangsregierung und im Besonderen der neu ernannte Informationsminister zeigten
sich reformfreudig und maßen einer neuen Mediengesetzgebung große Bedeutung zu. Der
Schwerpunkt lag dabei ganz klar bei der Presse. Dies liegt wohl darin begründet, dass für den
Rundfunkbereich erst ein Jahr zuvor ein erstes Gesetz verabschiedet worden war und neben
dem staatlichen Rundfunk bereits private Rundfunkanbieter existierten, die nach dem Rücktritt
Suhartos relativ frei berichten konnten.170 Zudem konnte der Pressebereich ohne legislative
Verfahren durch Erlasse des Informationsministers rascher und einfacher restrukturiert werden
als der Rundfunkbereich. Durch den Informationsminister wurden die Lizenzierungsvorschrif167
168
169
Sen/Hill, 2000, 12.
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148.
Gazali, 2002, 138.
37
Indonesisches Mediensystem im Wandel
ten für Presseunternehmen gelockert. Die ersten Veränderungen im Medienbereich waren von
der Elite initiiert und gelenkt. In der Folge führte die vereinfachte Lizenzierung nicht nur zu einem Anstieg an Pressetiteln und damit zu einer größeren Vielfalt auf dem Pressemarkt, sondern
auch zu einem für die Institutionalisierungsphase charakteristischen Nebeneinander von alten
und neuen Medien. Neben den staatlichen und kommerziellen Rundfunkangeboten sowie den
während der Neuen Ordnung lizenzierten Printmedien kamen zusätzlich neue Zeitungen und
Magazine auf den Markt, die versuchten mit teilweise spezialisierten Angeboten neue Leser zu
gewinnen.171 Die Demonopolisierung und Dezentralisierung trat nach dem Regimewechsel zunächst also bei den Printmedien ein. Gleich nach dem Ende des autoritären Regimes genossen
die Medienbetreiber, Journalisten und Journalistinnen zudem relativ große Handlungsspielräume, weil eine neue Mediengesetzgebung noch nicht in Kraft war und die alte von der Übergangsregierung ignoriert oder zumindest sehr großzügig interpretiert worden war.172
Im Zusammenhang mit der Institutionalisierungsphase stellt sich die Frage nach dem Prozess,
der schließlich zu den neuen institutionellen Strukturen und damit zur neuen Pressegesetzgebung geführt hat. Der durch den Regimewechsel entstandene Handlungsspielraum ermöglichte
eine größere Interaktion zwischen den politischen Akteuren und Vertretern aus dem Medienbereich. Da sich im Pressebereich seit den Redaktionsschließungen von 1994 und der Gründung
von AJI bereits eine organisierte Opposition gebildet hatte, konnten die Vertreter aus dem Medienbereich sowie Vertreter weiterer zivilgesellschaftlicher Gruppen ihren Einfluss relativ gut
gelten machen. Sie erhielten die Möglichkeit zur Stellungnahme und konnten ihre Forderungen
in die Debatte einbringen. Dies entspricht der generellen Verlaufsform der während der Institutionalisierungsphase stattfindenden Verhandlungen zwischen den strategischen Gruppen und ihren Herausforderern. Das neue Pressegesetz kann entsprechend als Resultat eines Aushandlungsprozesses bezeichnet werden. Im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses mussten
Leitideen zur Ausgestaltung des Mediensystems entwickelt werden. Das Besondere daran ist,
dass nicht auf Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte, weil Indonesien aus der Vergangenheit weder demokratische Regierungsformen noch eine freie Presse gekannt hatte.173 Die
Leitideen mussten von den betroffenen Akteuren neu erarbeitet werden. Dies geschah unter
Einbezug von ausländischen Vorbildern, indem Berater aus dem Ausland beigezogen wurden
und bei der Formulierung der Mediengesetzgebung mitwirkten. Die Rolle der Regierung und im
Besonderen des Informationsministers verdient spezielle Beachtung. Trotz anfänglichen Befürchtungen der Reformkräfte hielt die Übergangsregierung nicht an den alten Verhältnissen
fest. Ihre liberalen Ansichten trugen im Gegenteil dazu bei, dass das Resultat des Aushandlungsprozesses schließlich breit abgestützt und akzeptiert war.
Der Zeitrahmen der Gesetzesdebatte und der Zeitpunkt der Verabschiedung des neuen Pressegesetzes erstaunen insofern, als dass eine demokratisch nicht legitimierte Übergangsregierung
170
171
172
38
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148.
Neumann, 2000, 16.
Romano, 2003, 49.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
das Gesetz verabschiedete. Zudem war es in der Geschichte Indonesiens das erste Mal, dass
ein Gesetz in so kurzer Zeit erarbeitet und erwirkt wurde: „The proponents of reform knew
that the government then in power [under B.J. Habibie] was strongly committed for press
freedom, but they were uncertain about the attitude of the incoming legislature and government.” 174 Die hohe Dringlichkeit deutet darauf hin, dass unabhängige Medien als Voraussetzung eines demokratischen politischen Systems betrachtet wurden und der Presse bei der
Etablierung einer demokratischen Gesellschaft eine tragende Rolle zugewiesen wurde. In
der neuen Gesetzgebung sind Funktionen der Presse für die sich demokratisierende Gesellschaft festgelegt. Die Presse soll informieren, bilden, kontrollieren und zur Stärkung demokratischer Werte beitragen. Zumindest auf rechtlicher Ebene haben sich damit neue Funktionen herausgebildet und die Presse kann demnach als eigenständig bezeichnet werden. Damit
verbunden waren teilweise überzogene Erwartungen an die Wirksamkeit der Medien und ihren Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft. Unabhängige Medien wurden als Allerweltsmittel zur Lösung der mit der Neuen Ordnung in Verbindung gebrachten Probleme, wie
schlechte Staatsführung und Korruption, betrachtet.175
Mit der Abschaffung des Informationsministeriums zu Beginn der Konsolidierungsphase wurde
endgültig mit der Medienpolitik der Neuen Ordnung gebrochen und ein wichtiger Schritt zur
Trennung von Medien und Staat vollzogen. Ein Informationsminister, der für sämtliche Belangen der Mediensteuerung verantwortlich war und quasi als amtlicher Zensor über die Medienberichterstattung wachte, gab es nicht mehr. Wie der Rundfunkbereich zukünftig strukturiert
sein sollte, war mit der Aufhebung des Ministeriums jedoch noch nicht geklärt. Neue gesetzliche Grundlagen für die Regulierung des Rundfunks fehlten und mussten erst erarbeitet werden.
Aufgrund eines Regierungsbeschlusses wurden zunächst die staatlichen Rundfunkgesellschaften TVRI und RRI in öffentliche Gesellschaften überführt. Die Umwandlung von TVRI und RRI
wurde entsprechend als wichtiger angesehen als die Bildung einer Regulierungsbehörde. Dies
hatte wohl damit zu tun, dass TVRI und RRI bisher direkt dem Informationsminister unterstellt
waren. Hinzu kam die missliche finanzielle Lage der staatlichen Gesellschaften, insbesondere
von TVRI, welche die Regierung zum Handeln zwang. Seit der Zulassung privater Fernsehsender war der Konkurrenzdruck stark angewachsen. TVRI hatte mit schwindenden Zuschauerzahlen und finanziellen Problemen zu kämpfen.176
Der langwierige Verhandlungsprozess und die Reaktionen der Opposition gegenüber dem
2002er Rundfunkgesetz weisen darauf hin, dass ein mangelnder Grundkonsens über die Steuerung der elektronischen Medien bestand. Während direkt nach dem Regimewechsel ein großes Interesse nach Artikulation, Dialog und Freiheit vor staatlicher Gängelung herrschte und
sich schließlich in der neuen Pressegesetzgebung manifestierte, war die Übereinstimmung der
Interessen der verschiedenen Akteure während der Konsolidierungsphase nicht mehr gegeben.
173
174
175
Idris/Gunaratne, 2000, 266 ff.
Dahlan, 2000, viii.
Romano, 2003, 50.
39
Indonesisches Mediensystem im Wandel
Einerseits traten ökonomische Interessen in den Vordergrund. Die kommerziellen Rundfunkanbieter waren in erster Linie daran interessiert ihre Gewinne zu maximieren, gleichzeitig
wurde der Rundfunk verstärkt als Teil der Industriepolitik gesehen und sollte zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes beitragen. Andererseits kamen erneut Machtansprüche der Regierung zum Tragen. Die Analyse des neuen Rundfunkgesetzes zeigt, dass dem Rundfunk
zwar neue Funktionen zugeschrieben wurden und sich das Rundfunksystem weiter ausdifferenziert hat, die Regierung über die Kontrolle der Regulierungsbehörde und im Besonderen
über die Lizenzierung aber nach wie vor versucht, Einfluss auf den Rundfunk zu nehmen. Unter den politischen Eliten herrscht teilweise immer noch die Vorstellung, Medien müssten Politik in der Gesellschaft vermitteln und jegliche Kritik ausschalten. So sprach sich Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri zwar für Pressefreiheit aus, betonte jedoch gleichzeitig, dass
die Medien im Interesse der Entwicklungs- und Integrationsfunktion ihre Aufgaben zu erfüllen hätten.177 Die Bereitschaft der politischen Akteure, den Rundfunkmedien und im Besonderen dem Fernsehen Freiräume einzuräumen, lässt also nach wie vor zu wünschen übrig.
Was Thomaß und Tzankoff für Osteuropa festgestellt haben, gilt zumindest ansatzweise auch
für Indonesien. Der Rundfunk erweist sich als „...transformationsresistentes Relikt...“ autoritärer Medienpolitik.178 Dass die Instrumentalisierungsversuche insbesondere den Rundfunkbereich betreffen, liegt neben seiner Bedeutung als reichweitenstärkstes Medium – Fernsehen
und Hörfunk erreichen 60 bzw. 90% der indonesischen Bevölkerung – wohl auch in der Geschichte des indonesischen Rundfunks und im Besonderen des Fernsehens begründet. Das
Fernsehen wurde während der Neuen Ordnung als Sprachrohr für politische Interessen und
zur Bildung einer nationalen Einheit eingesetzt und war seit jeher stärker der politischen Einflussnahme ausgesetzt als Hörfunk und Presse.
Inwiefern die Unabhängigkeit des Rundfunks in Zukunft gestärkt werden kann, wird stark
von der Rolle und Kompetenz der Regulierungsbehörde KPI abhängen. Die KPI muss sich in
den nächsten Jahren als Regulierungsbehörde etablieren und sich sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber kommerziellen und öffentlichen Rundfunkanbietern als eigenständiger Akteur durchsetzen. Nur wenn dies gelingt, kann die KPI lenkend in den Medienmarkt eingreifen und so allenfalls als Agentin der Demokratisierung wirken. Neben der erwähnten problematischen Einflussnahme durch die Regierung besteht die Gefahr, dass die
KPI gegenüber kommerziellen Rundfunkanstalten, die sich seit der Neuen Ordnung als Teil
größerer Medienkonglomerate und Wirtschaftsunternehmen zu einflussreichen Akteuren entwickelt haben, zu schwach ist. Es bleibt zudem abzuwarten, ob die nach wie vor stark konzentrierten Besitzstrukturen, insbesondere in den Händen von ehemals regimetreuen Akteuren, aufgebrochen werden können und damit eine breitere Streuung des Medienbesitzes erreicht werden kann. Dass in der Mediengesetzgebung gewisse Schutzmechanismen gegen
Konzentrationsprozesse eingeführt wurden, ist positiv zu werten, auch wenn die Bestimmun176
177
40
D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 134.
Romano, 2003, 167.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
gen sehr allgemein gehalten sind. Offen ist in diesem Zusammenhang, wie sich die teilweise
Öffnung des indonesischen Medienmarktes gegenüber dem Ausland auswirkt. Die nächsten
Jahre werden zeigen, ob der Konzentrationsprozess weiter fortschreitet oder aber dank der
Unterstützung von ausländischen Kapitalgebern eine größere Medienvielfalt möglich wird.
Die rund 1.000 lokalen Radiostationen profitieren teilweise von ausländischem Kapital und
der Bildung von Networks.179 Inwiefern dies im Bereich des Fernsehens der Fall sein wird,
bleibt abzuwarten. Neben den fünf bereits unter der Neuen Ordnung zugelassenen privaten
Fernsehstationen, haben sich seit dem Ende des autoritären Regimes weitere acht um eine
Sendelizenz beworben.180 Da die Reichweite der kommerziellen Fernsehsender gesetzlich jedoch beschränkt ist und sie mit lokalen Anbietern zusammenarbeiten müssen, um in allen
Provinzen empfangbar zu sein, besteht die Gefahr, dass die beiden Fernsehkanäle von TVRI
für einen Großteil der Bevölkerung auch in Zukunft die einzige Alternative bleiben werden.
Für den untersuchten Zeitraum lässt sich der Wandel der indonesischen Medien zusammenfassend in vier charakteristische Phasen einteilen:
Die anfänglichen 1990er Jahre bis Mai 1998: Phase der Kommerzialisierung und des verstärkten
Konkurrenzkampfes zwischen staatlichen und kommerziellen Rundfunkanbietern. Gleichzeitig
unterliegt sowohl die Presse- als auch die Rundfunkberichterstattung der staatlichen Kontrolle.
Mai 1998 bis Ende 1999: Phase der Demonopolisierung und Dezentralisierung des Pressemarktes sowie der Erarbeitung neuer institutioneller Strukturen für das Pressesystem. Das
neue Pressegesetz entsteht relativ früh, als noch keine demokratisch gewählte Regierung im
Amt ist und neue verfassungsrechtliche Grundlagen fehlen.
2000 bis Ende 2002: Phase der Restrukturierung der audiovisuellen Medien. Die staatlichen Rundfunkgesellschaften werden in öffentliche Gesellschaften überführt und ein neues Rundfunkgesetz,
das unter anderem die Schaffung einer Regulierungsbehörde vorsieht, wird durch eine demokratisch
gewählte Regierung verabschiedet. Im Vergleich zum Presse- fällt das Rundfunkgesetz weniger liberal aus. Wie erwähnt kann dies mit den unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure, die
sich im Verlauf der Transformation ebenfalls gewandelt haben, erklärt werden.
Ende 2002: Phase der Konsolidierung des Mediensystem, wobei aus heutiger Sicht offen bleibt,
wie die Konsolidierung des Presse- und Rundfunkmarktes aussehen wird. Es bleibt abzuwarten,
ob sich die Medien als eigenständige Akteure etablieren können oder aber politische und ökonomische Interessen in den Vordergrund treten und die Medien in deren Abhängigkeit geraten.
178
179
180
Thomaß/Tzankoff, 2001, 246.
Gazali, 2002, 137.
Idris/Gunaratne, 2000, 281.
41
Indonesisches Mediensystem im Wandel
9
Die Rolle von Presse und Rundfunk im Transformationsprozess Indonesiens
Eine abschließende Bewertung des indonesischen Mediensystems während der Transformation
fällt nicht leicht. Die Entwicklung im Presse- und Rundfunkbereich zeigt unterschiedliche Tendenzen und ist noch nicht abgeschlossen. Erst die Zukunft wird zeigen, inwiefern sich das Mediensystem konsolidieren kann. Gemessen an der Mediensituation während des autoritären Regimes haben sich die Medienstrukturen grundlegend verändert und aus systemtheoretischer
Sicht kann von einer Umplatzierung der Medien vom politischen in das gesellschaftliche System gesprochen werden. Obwohl die Autonomie von Presse und Rundfunk nicht in gleichem
Masse garantiert ist, hat die Unabhängigkeit der Medien insgesamt zugenommen. Im Verlauf
der Transformation wurden sowohl auf der Ebene der Verfassung als auch auf der Ebene der
Mediengesetze neue rechtliche Grundlagen geschaffen, welche eine größere Unabhängigkeit
der Medien sichern. Das Mediensystem hat ebenfalls spezifische Funktionen herausgebildet und
sich ausdifferenziert, wobei der Differenzierungsprozess schon unter dem autoritären Regime
einsetzte. Die autoritäre Regierung hatte durch ihren liberalen Wirtschaftskurs die Kommerzialisierung des Mediensystems vorangetrieben, gleichzeitig jedoch versucht, über Programm- und
Besitzvorschriften die autoritäre Medienkontrolle aufrechtzuerhalten. Nach dem Regimewechsel kam es zu einer gegenteiligen Entwicklung: „The New Order was characterized by economic expansion and political restrictions. ‚Reformasi’ has up until now been the reverse,
marked by an erosion of political restrictions and a contraction of the economy.” 181 Viele Medienbetreiber haben seit dem Regimewechsel mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen und
die Korruption ist auch im Mediensektor in Form von finanziellen „Zuschüssen“ an Journalisten, der Envelope-Kultur, weit verbreitet.182 Gefährdet wird die Unabhängigkeit der Medien des
Weiteren durch problematische arbeits- und strafrechtliche Rahmenbedingungen unter denen
journalistische Arbeit stattfindet. Hierzu zählen u.a. politisch motivierte Strafverfolgungen,
Gewalt von der Straße, unzureichende Entlöhnungen und eine schlechte Organisation der Journalisten.183
Inwiefern die Medien zum Aufbau und zur Konsolidierung einer demokratischen Gesellschaft
beigetragen haben und weiter beitragen, ist wegen des noch nicht abgeschlossenen Prozesses
schwierig zu beantworten. Anhand der neuen Mediengesetzgebung lassen sich zumindest positive Anzeichen ausmachen. So kann der Presserat aufgrund seiner Funktionszuweisung als gesetzlich verankerte Selbstregulierung des Mediensystems bezeichnet werden. Im Sinne der Akteurstheorien werden die Medien damit zu eigenständigen Akteuren, die einen gewissen Einfluss geltend machen und entsprechend zur Konsolidierung des Mediensystems, als auch zur
Konsolidierung der Demokratie beitragen können. Gleichzeitig muss sich der Presserat als unabhängiges Gremium, welches die Pressefreiheit stärkt, im weiteren Verlauf der Konsolidierung
181
182
183
42
Sen/Hill, 2000, 221.
Romano, 2003, 150.
Vatikiotis, 2001, 147.
Indonesisches Mediensystem im Wandel
ebenfalls etablieren. Das Dilemma der Gleichzeitigkeit, dem die Medien im Transformationsprozess ausgesetzt sind, lässt sich exemplarisch also auch am Presserat feststellen.
Im Rundfunkbereich kann insbesondere der Community-Rundfunk als Beitrag zur Stärkung
der Zivilgesellschaft verstanden werden. Die auf Gemeinschaftsebene organisierten, nicht
gewinnorientierten Rundfunkangebote können als zivilgesellschaftliche Gegenmacht gelten.
Im Gegensatz zum öffentlichen Rundfunk trägt der Community-Rundfunk auf der Ebene der
Gemeinschaft zur Interessensartikulation und zur Förderung der Partizipation bei. Da in Indonesien die kulturellen Differenzen groß sind und aufgrund der ökonomischen Unterschiede
zwischen dem Zentrum und den peripheren Gebieten verstärkt werden, kann der CommunityRundfunk im Idealfall einen Beitrag zum Abbau dieser Differenzen leisten. Insbesondere im
Bereich der Bildung und Entwicklung liegen entsprechende Chancen.
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44
Abstract
Indonesiens Mediensystem befindet sich seit dem Ende der Militärdiktatur 1998 in einem rasanten Veränderungsprozess. Die staatliche Zensur und ständige Überwachung von Presse und elektronischen Medien wurde mit dem – im Zuge der Demokratisierung eingeführten – liberalen Pressegesetz von 1999 abgeschafft. Doch heißt das für indonesische Journalisten, dass sie nun unabhängig arbeiten können?
Vor dem Hintergrund des Dualismus von Pressefreiheit – als verfassungsmäßig garantiertem
Grundrecht – und überwiegend privatwirtschaftlich organisierten Medienunternehmen als Träger
dieses Grundrechtes, geht die Autorin der Frage nach, wie es um die redaktionelle Autonomie in
indonesischen Medien bestellt ist. Nach einer Schilderung der Rahmenbedingungen des indonesischen Mediensystems beschreibt der vorliegende Aufsatz die wirtschaftliche Struktur und die
redaktionelle Arbeitsweise der vier überregionalen indonesischen Morgenzeitungen Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika. Die aus Redaktionsbeobachtungen und Akteursbefragungen gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Journalisten in Zeitungen mit Mehrheitseigner
ohne eigenen journalistischen Hintergrund massiven Verlegereingriffen ausgesetzt sind. Am unabhängigsten hingegen können Journalisten arbeiten, deren Blatt mehrheitlich im Stiftungsbesitz ist.
Autorin
Anett Keller, Jahrgang 1971, hat in Leipzig und Yogyakarta (Indonesien) Journalistik, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert und bei der taz in Berlin volontiert. Zahlreiche Forschungsreisen führten sie mehrfach nach Indonesien und in andere asiatische Länder. Neben
ihrer Arbeit als Journalistin gestaltete sie verschiedene Medienprojekte des Regionalbüros der
Friedrich-Ebert-Stiftung in Jakarta mit. Derzeit ist Anett Keller als Auslandsredakteurin der
taz für die Asienberichterstattung zuständig.
46
Pressefreiheit in Indonesien
Fragen redaktioneller Autonomie in einem sich transformierenden Mediensystem
Ein Vergleich der vier überregionalen Tageszeitungen:
Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika
Anett Keller
1
Einleitung
„Ich wusste schon früh, was es heißt, vor Worten Angst zu haben.“ So schilderte einst Goenawan
Mohamad (1998: 169), einer der bekanntesten indonesischen Publizisten, das Klima der Meinungsfreiheit in seinem bis 1998 diktatorisch regierten Heimatland. Er fügte hinzu, dass nicht die
Worte an sich Furcht einflößten: „Was die Menschen wirklich ängstigt, ist die Unmöglichkeit, die
Wirkung ihrer Worte vorauszusehen“.
Goenawans Schilderungen beschreiben eine Folge dieser Angst: Selbstzensur. Wer die Wirkung
seiner Worte nicht voraussehen kann und sich deswegen fürchtet, der schweigt oder wählt berechenbare Worte. In den Jahren der Suharto-Diktatur hatte sich Selbstzensur in den indonesischen
Medien unter dem prüfenden Blick des allmächtigen Informationsministeriums fest etabliert. Wer
sich dem staatlichen Diktum einer Presse als unkritischem Aufbauhelfer des Landes nicht beugte,
musste mit physischer Bedrohung rechnen oder wurde mit Lizenzentzug zum Schweigen gebracht. 1998 wurde Suharto gestürzt. Seitdem befindet sich Indonesien auf dem Weg zur Demokratie. Staatliche Zensur wurde abgeschafft, ein Menschenrechtskatalog in die Verfassung aufgenommen, Medien können nun frei operieren. Die einschlägigen Rankings zur Pressefreiheit listen
Indonesien inzwischen als eines der Länder mit den freiesten Medien in Asien.
Doch für journalistische Unabhängigkeit bedarf es mehr als die Abwesenheit staatlicher Zensur.
Im Zuge von Konzentrationsbestrebungen auf ihren Medienmärkten und dem Verlust an publizistischer Vielfalt wird seit einiger Zeit auch in gestandenen Demokratien vor Gefahren für die
Meinungs- und Pressefreiheit gewarnt. Als Folge einer multisektoralen Konzentration werden
Eingriffe in die journalistische Autonomie vor allem dann beobachtet, wenn die Interessen der Eigentümer hoch diversifizierter Unternehmen mit Mediensparte gefährdet sind.
Wird eine Funktionalisierung von Medien für private Propaganda-Zwecke schon in etablierten Demokratien als problematisch betrachtet, so dürften ihre Folgen in Ländern mit jüngerer diktatorischer Vergangenheit verheerender sein. Zum einen gibt es dort eine Tradition der Selbstzensur aus
Diktaturzeiten und meist keine gewachsene Zivilgesellschaft, die pluralistische Positionen auffangen und vertreten kann. Zum anderen lebt die Machtakkumulation der ehemals Herrschenden im
wirtschaftlichen Bereich, auch in Medienunternehmen, häufig in Form von Oligopolen fort.
Vor diesem Hintergrund soll die Frage beantwortet werden, wie sich journalistische Autonomie
im postdiktatorischen Indonesien gestaltet. Mittels der vorliegenden qualitativen Untersuchung
der Redaktionen von vier überregionalen Tageszeitungen soll exemplifiziert werden, welchen
47
Pressefreiheit in Indonesien
Einflüssen und Zwängen indonesische Journalisten innerhalb ihrer Medienunternehmen unterworfen sind. Die Wahl fiel wegen ihrer Leitmedienfunktion auf die überregionalen Tageszeitungen
Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika.
Eine medienökonomische Theorie-Diskussion dient als Basis für die Identifizierung von Einflussfaktoren auf redaktionelle Autonomie. Im Anschluss werden die Rahmenbedingungen geschildert, unter denen das indonesische Mediensystem operiert. Die im Herbst 2004 in Jakarta1 unternommene Redaktionsbeobachtung und die im gleichen Zeitraum durchgeführten qualitativen Interviews bilden die Basis für eine detaillierte Beschreibung solcher Einflussfaktoren im journalistischen Arbeitsalltag. Die Arbeit soll helfen, die Forschungslücke zwischen einer einseitigen Fokussierung auf „Außen“ oder „Innen“ bei der Betrachtung von Pressefreiheit zu schließen, die
häufig die jeweils andere Perspektive vernachlässigt.
2
Theoretischer Hintergrund
2.1
Markt vs. öffentlicher Auftrag
Meinungsfreiheit ist in demokratischen Verfassungen als Grundrecht verankert. Medien wird eine
meinungsbildende Funktion zugeschrieben, weshalb sie vor staatlicher Zensur weitestgehend gesetzlich geschützt sind. Die Unabhängigkeit der Medien ist „nicht als Wert an sich, sondern funktional – als Basis des gesellschaftlichen Diskurses – zu verteidigen“ (Studer 2004: 107).
Diese Funktion der Medien soll mit dem Herstellen meritorischer Güter2 erfüllt werden. Mediengüter sind nur eingeschränkt marktfähig, da sie eine meritorische Komponente besitzen. Das Paradigma von Markt und Marktversagen kann nur auf Waren angewendet werden, die einer individuellen Kosten-Nutzen-Analyse unterziehbar sind (Heinrich 2001: 79ff). Das ist bei der meritorischen Komponente des Medienprodukts als Kulturgut mit einer spezifischen gesellschaftlichpolitischen Funktion (Sjurts 2004: 159) nicht der Fall. Um die Herstellung ihrer meritorischen
Produktkomponente zu finanzieren, führt die Presse ein „Doppelleben“ als Informations- und
Werbeträger. Die Orientierung auf Rezipienten- und Werbemarkt kann zu einem konfliktträchtigen Zielsystem führen. In einem potenziellen Konfliktverhältnis stehen dabei das Sachziel – also
die Herstellung von redaktionellen Medieninhalten höchster publizistischer Qualität – und das
Formalziel – die Maximierung von Gewinn oder Umsatz (Sjurts 2004: 171).
Die gesetzlich garantierte Meinungsfreiheit ist dem Grundrechtsverständnis nach ein allgemeines,
unteilbares Gut. Sie schließt sowohl das Recht zur Meinungsäußerung als auch zur Meinungsverbreitung ein (Fricke 1997: 17). Obwohl Medienfreiheit nicht mit Produzentenfreiheit gleichgesetzt werden kann (Heinrich 2001: 89f.), liegt es in der Entstehungsgeschichte der Grundrechte als
Abwehr gegen staatliche Freiheitsbeschränkungen begründet, dass als Träger der Medienfreiheit
vor allem private Unternehmer fungieren (Studer 2004: 108f.).
1
2
48
Die Feldforschung der Autorin geschah in Zusammenarbeit mit dem Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung
in Jakarta.
„Meritorische Güter sind allgemein Güter, die von den Konsumenten in einem Ausmaß konsumiert werden, das nicht
dem Ausmaß entspricht, welches die politischen Entscheidungsträger oder andere Instanzen für wünschenswert halten.
Zur Korrektur sind Eingriffe in die Konsumentenpräferenzen notwendig.“ (Heinrich 2001: 74).
Pressefreiheit in Indonesien
Die Folgen unternehmerischen Gewinnstrebens (sachimmanenter Druck) in Form von Konkurrenz,
Kostendruck und Kommerzialisierung werden für eine abnehmende Qualität im Medienbereich
verantwortlich gemacht. Diese äußert sich in Mehrfachverwertung, abnehmender Fertigungstiefe
und Vielfaltsreduktion (Karmasin 1998b: 331). Über diese Entwicklung hinaus können jedoch auch
spezifische ökonomische Interessen eines auch in anderen Wirtschaftsbereichen aktiven Verlegers
oder seine politischen Aspirationen in die Redaktionsräume hineingetragen werden. Daraus ergibt
sich ein Spannungsfeld, welches über das erwähnte „konfliktträchtige Zielsystem“ im Sinne von
materiellem Gewinnstreben vs. nicht quantifizierbarem Meritum weit hinausgeht (sachfremder
Druck). In einem pluralistischen Mediensystem, in dem Rezipienten und Journalisten über ausreichende Alternativen verfügen, ist dies zunächst nicht prekär. Medien werden ihrer Aufgabe, der
Herstellung meritorischer Güter, auch weiterhin gerecht.
Wettbewerb wird von Ökonomen jedoch selbst als meritorisches Gut gesehen, da er Handlungszwänge schafft und das Risiko der Wirtschaftsakteure erhöht. Es werden daher von Unternehmerseite Bestrebungen mit dem Ziel unternommen, an die Stelle der Ex-Post-Koordination des Marktprozesses durch Wettbewerb Formen der Ex-Ante-Koordination treten zu lassen (Kiefer 2001: 108).
Bestrebungen im genannten Sinne sind Kollusion, Kartelle, Zusammenschlüsse in Form von Konzernen und Fusionen sowie Strategien zur Diskriminierung, Ausbeutung und Verdrängung von
Marktpartnern (a.a.O.: 108f.). Damit vergrößern Wirtschaftsakteure den eigenen Spielraum und engen den der Konkurrenten ein.
Im Zuge einer zunehmenden Konzentration auf Medienmärkten und der Entstehung von Oligopolen kann die individuelle Nutzenmaximierung einzelner Unternehmer daher zu einem „gesellschaftlich suboptimalen Ergebnis“ führen (Karmasin 1998a: 85). Beziehungsweise zu einem Phänomen,
wie es einer der ersten Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe, einst salopp
formulierte: Dass Pressefreiheit nicht mehr sei, als die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu drucken und zu verbreiten (Reinowski 1968: 9).
2.2
Sachimmanente vs. sachfremde Zwänge
Bei der journalistischen Aussagenproduktion lassen sich sachimmanente und sachfremde Zwänge
unterscheiden. Nachrichtenwerte, Kostendruck, Orientierung an Konkurrenzmedien sind sachimmanent. Sachfremd sind hingegen „Pressionen, um Wahl und Bearbeitung von Themen zu unterdrücken, obwohl publizistische Werte für die Publikation sprächen, Kosten kein Hinderungsgrund
wären und die Existenz des Unternehmens nicht gefährdet erscheint“ (Studer 2004: 107ff.). Diesem
sachfremden Druck kann gesetzlich oder durch Selbstregulierung begegnet werden.
Befürworter staatlicher Regulierungsmaßnahmen verweisen darauf, dass eine privatrechtliche
Struktur der Presse zwar als verfassungsgemäß vom Staat zu schützen sei, diese aber Folgeprobleme
aufweise, um die sich der Staat dann auch zu kümmern habe. Einem Unabhängigkeitskonzept für
Medien, welches mit dem für die Justiz vergleichbar wäre, wird jedoch aus mehreren Gründen eine
Absage erteilt (Branahl 2004: 89). Wenngleich Medien auch oft als „vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet werden, sind sie nicht mit den Rechten einer Staatsgewalt (Finanzierung aus Steuermitteln,
49
Pressefreiheit in Indonesien
Verfügung über Zwangsmittel zur Informationsbeschaffung) versehen. Die Gemengelage aus dem
Bedarf an Kapitalgebern, Lesern und Anzeigenkunden schafft vielfältige Abhängigkeiten, die nicht
negiert, sondern nur ausbalanciert werden können. Diesem Zweck dient ihren Befürwortern die Innere Pressefreiheit bzw. redaktionelle Unabhängigkeit.3
2.3
Innere Pressefreiheit – (k)eine Frage der journalistischen Kultur?
Jede wissenschaftliche Arbeit, die sich mit einem Forschungsgegenstand in einer fremden Kultur auseinander setzt, steht in der Gefahr, wegen eines zu engen Blickwinkels kritisiert zu werden. Die Autorin zieht zwar auch zunächst vor allem deutsche Erklärungsmuster zu Rate, um
den Begriff der Inneren Pressefreiheit bzw. der redaktionellen Unabhängigkeit einzugrenzen.
Dies geschieht jedoch in dem Bewusstsein, dass bestimmte Voraussetzungen, die in Deutschland die Bewegung für die Innere Pressefreiheit katalysiert und zumindest zu Teilerfolgen geführt haben (68er Bewegung, staatliche Pläne für ein Presserechtsrahmengesetz, starke Gewerkschaften) nicht außer Acht gelassen werden können. Im internationalen Rahmen blieb
Kultur jahrzehntelang ein unterbelichteter Faktor, auch in der vergleichenden Kommunikationswissenschaft (Stevenson 1998). Obwohl doch schon allein die Dominanz systemischer Ansätze in der europäischen Forschung und die Betonung des Akteurs in der amerikanischen als
Beweis angeführt werden könnte, dass culture matters.
Nicht erst mit Samuel Huntingtons (1998) Warnung vor einem „Kampf der Kulturen“ wuchs das
Verständnis dafür, dass Kultur als Variable in der Untersuchung von Kommunikationsprozessen
eine Rolle spielen muss. Als prototypisch für Lernprozesse westlicher Wissenschaftler sei auf die
Aussagen des AMIC-Mitgründers Richard Dill verwiesen, der seine Begegnung mit asiatischen
Forschern wie folgt schildert: „Die sagten, dieser ganze ‚Wer sagt was zu wem?’- Zinnober der
Kommunikationswissenschaft sei nur ein schimmeliges Denkschema, das einen Buddhisten,
der den Sager, das Gesagte und den Hörer nicht getrennt zu sehen gelernt hat, nicht berühren
müsse“ (1997: 354).
2.3.1
Die Diskussion um redaktionelle Autonomie in Europa
Im Europa der 1990er Jahre kam es verstärkt zu grenzüberschreitenden Unternehmensverflechtungen im Medienbereich, beschleunigt durch die Öffnung der osteuropäischen Staaten für
westliche Medienunternehmer. Ihr Engagement kann durchaus zur Stabilisierung und zur Finanzierung von professionellem und investigativem Journalismus sorgen - wenn gleichzeitig redaktionelle
Unabhängigkeit vereinbart wird (Duve 2003: 10, Möller/Popescu 2004: 62). Deren praktische Ausgestaltung hinkte dem rasanten Investment der Verleger jedoch hinterher, was die Europäische
Journalistenunion (EFJ) wiederholt kritisierte. In Form der so genannten Milan-Deklaration (EFJ
1995), wurde schließlich die Notwendigkeit des Schutzes redaktioneller Unabhängigkeit formuliert.
Für deren Gewähr empfahl die EFJ den Medienhäusern die Festschreibung von Mindeststandards.
3
50
Bereits in den siebziger Jahren wurde im internationalen Vergleich festgestellt, dass es den Begriff „Innere
Pressefreiheit“ in anderen Ländern so nicht gibt, und dass er von europäischen und amerikanischen Medienvertretern sogar für unübersetzbar gehalten wird (Fischer/Molenveld/Petzke/Wolter 1975: 322).
Pressefreiheit in Indonesien
Diese beinhalten die Schaffung eines Redaktionsrats, der bei der Festlegung der Blattlinie und
grundlegenden inhaltlichen Entscheidungen, bei Beschwerden über die Blattpolitik sowie bei Ernennung und Entlassung des Chefredakteurs gehört werden soll. Außerdem sollte ein Gewissensschutz für Journalisten und ein Recht der Redaktion, inhaltliche Einflussnahme durch das Management und Dritter abzuwehren, verankert werden.
Was ausländische Medienunternehmen und ein Engagement, das weit in inhaltliche Fragen hinein
reichte betrifft, gerieten in den letzten Jahren deutsche und schweizerische Verlage in Osteuropa
wiederholt in die Kritik (EFJ 2003). Doch die Sorge über im Sinne eines Meinungspluralismus
ungesunde Monopole und eine inhaltliche Färbung nach Belieben der Besitzer bedarf nicht zwingend ausländischer Investitionen. Zum Prototyp des politisch ambitionierten Unternehmers, der
Medien mit fragwürdigen Methoden „auf Linie“ brachte, wurde in Europa der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Auch in Frankreich boten die Übernahmen der Socpresse-Gruppe4 durch den Waffenhersteller Serge Dassault sowie der Besitz der Hachette-Gruppe
durch den Rüstungsindustriellen Arnaud Lagardère Anlass zur Sorge (Ramonet 2005: 19, Hunter/Jaouani 2005: 16ff; Leidinger 2005). Auf internationaler Ebene hat es in den letzten Jahren eine Reihe von resolutions, declarations, recommendations, joint statements und guidelines5 zur Sicherung von Medienpluralismus und redaktioneller Unabhängigkeit gegeben. Auf den Internetseiten fast aller internationalen Journalistenvereinigungen, Gewerkschaften oder Organisationen, die
sich für Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzen, finden sich inzwischen Informationen zum
Thema Medienbesitz und -konzentration.
Den Versuch, den gutmeinenden, von Verlegerseite aber meist ignorierten, Absichtserklärungen
eine juristische Dimension zu verleihen, hat jüngst die isländische Jura-Professorin Herdís Thorgeirsdottir unternommen. Sie kritisiert den Ruf des Staates nach einer Selbstregulierung der Medien als „Privatisierung von Zensur“ ohne selbst Verantwortung zu übernehmen (Thorgeirsdottir
2004: 391). Ausgehend von den Artikeln 10(1)6 und 11(2)7 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Medien-Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
argumentiert sie, dass eine Selbstzensur von Journalisten (sei sie staatlich oder innerbetrieblich erzwungen) gegen die geltende Rechtsprechung in Europa verstoße.
2.3.2
Aktuelle Fragestellungen in Südostasien und Indonesien
Viele der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich in den letzten Jahren mit Medien und Pressefreiheit
in Südostasien beschäftigt haben, beziehen sich auf staatliche Kontrolle beziehungsweise politische
Einflüsse (Gunaratne 2000, Williams/Rich 2000, McCargo 2003). Vor dem Hintergrund, dass viele
4
5
6
gibt u.a. Le Figaro, L`Express und L´Expansion heraus.
z.B. der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (COE 1993) zur Ethik im Journalismus; die genannte Milan-Deklaration (EFJ 1995); des Komitees der Minister der Mitgliedsstaaten des Europarates (COE
1999) zu Maßnahmen, um Medienfreiheit zu unterstützen; die Gemeinsame Erklärung zu den Herausforderungen für die Meinungsfreiheit im neuen Jahrhundert des UN-Berichterstatters zur Rede- und Meinungsfreiheit, des OSZE- Medienbeauftragten und des Sonderberichterstatters zur Meinungsfreiheit der Organisation
amerikanischer Staaten (OSZE 2002: 251ff); OSZE (2003a).
Artikel 10 bezieht sich auf die Meinungsfreiheit, http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/005.htm.
51
Pressefreiheit in Indonesien
südostasiatische Staaten erst seit einigen Jahren die Transformation zur Demokratie vollziehen (z.
B. Philippinen, Indonesien), während ihre Nachbarn entweder diktatorisch (Burma) oder autoritär
(Malaysia, Singapur) regiert werden, liegt der Fokus auf staatlichen Restriktionen nahe. Zwar unterscheiden sich Journalisten im ASEAN-Raum in ihrem Selbstverständnis von ihren westlichen Kollegen, indem sie dem kritischen westlichen Watchdog-Verständnis eines des verantwortlichen und
sensitiven Informationsübermittlers gegenüberstellen (Menon 1999: 101, Masterton 1996, Hanitzsch 2003: 411ff.). Der Dualismus von verfassungsmäßig verankerter Meinungsfreiheit und privatwirtschaftlich organisierter Medienlandschaft ist indes kein Alleinstellungsmerkmal westlicher
Demokratien. Mag die Konfliktlösung bei Interessenkonflikten auch kulturspezifisch verlaufen,
Fragestellungen zur redaktionellen Unabhängigkeit bestehen in Mediensystemen mit zunehmender
ökonomischer und publizistischer Konzentration, auch wenn sie unterschiedliche journalistische
Kulturen haben. In den genannten postdiktatorischen Staaten zeichneten sich zeitlich versetzt ähnliche Entwicklungen ab. In der ersten Phase der Liberalisierung des zuvor streng staatlich geregelten
Mediensystems kam es zur sogenannten Euphorie, die durch zahlreiche Neugründungen gekennzeichnet ist. Längerfristig bleiben aber fast nur Medienbesitzer am Markt erfolgreich, die ein ausreichend großes Firmenimperium haben. Auf den Philippinen sind das häufig die auch in außermedialen Bereichen konkurrierenden Großunternehmen, die Schlüsselsektoren der philippinischen Wirtschaft kontrollieren (Coronel 1998: 25). Auch in Thailand wird die enge Verquickung zwischen
Medienbesitz und Politik kritisiert (McCargo 2000, Hirano 1999).
Die Datenbasis für eine Beschreibung der sich rasant entwickelnden nationalen Medienmärkte im
ASEAN-Raum ist dürftig. Während in Europa durch grenzüberschreitendes Unternehmertum die
Frage nach supranationaler Steuerung aufkommt und auch internationale Institutionen sich mit der
Evaluierung der Medienmärkte befassen, ist deren Akzeptanz für den ASEAN-Raum schon deshalb
begrenzt, weil Investitionen im Medienbereich vordergründig eine nationale Angelegenheit sind.
Auch für Indonesien gibt es, aus sprachlichen und aus Gründen der wissenschaftlichen Infrastruktur,
wenig international zugängliche Beschreibungen. Während Suhartos Herrschaft hatten sich die Sozialwissenschaften den Dogmen der Entwicklungsdiktatur anzupassen. Wissenschaftliche Karrieren
entschieden sich nicht nach der Menge und Güte von Publikationen, sondern an der Nähe zum Regime (Hadiz/Dhakidae 2005: 1ff.). Zusätzlich litten die Hochschulen an einer latenten finanziellen
Unterversorgung. Nach wie vor können die indonesischen Sozialwissenschaften weder auf international registrierte Theoriebildung noch auf signifikante empirische Forschungsergebnisse8 verweisen. Die bürokratisierte Hochschullandschaft erwies sich auch nach dem Ende Suhartos als weitgehend reformresistent. Wo Hochschulen privatisiert wurden, richtet sich Forschungsbemühen nun
nach der Vermarktbarkeit. Dieser neue Pragmatismus gepaart mit dem autoritären Erbe könnte die
Instrumentalisierung der Sozialwissenschaften zementieren und kritisch- reflektierende Denkschulen auch künftig verhindern (a.a.O.: 23ff.).
7
8
52
Artikel 11 bezieht sich auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, a.a.O.
Für die Gadjah Mada Universität in Yogyakarta konnte dies die Autorin während ihres einjährigen Studiums
(2000-2001) selbst beobachten, gleich lautende Feststellungen: Sudibyo (2000: 115); Hanitzsch (2003: 273).
Pressefreiheit in Indonesien
An publizistischen Forderungen, dass die Frage der Eigentümerschaft und ihre Konsequenzen
für die öffentliche Funktion der Medien genauer zu betrachten sei, fehlt es in Indonesien nicht.
In der genannten wissenschaftlichen Tradition bewegen sich Beiträge zum Thema jedoch auf
einem deskriptiven und normativen Level. Eigentümerschaft und die Benutzung von Medien
für Besitzerinteressen sowie das „Sich einkaufen“ von Unternehmern in die Medienwelt müssten genauer betrachtet werden, fordert zum Beispiel Menayang (2003). Monopole müssten verhindert und die Frage der Über-Kreuz-Beteiligungen im Mittelpunkt des Interesses stehen, verlangt Amirudin (2004). Konkrete und aktuelle Beispiele aus dem eigenen Land kommen in derartigen Artikeln jedoch nicht vor. Empirische Journalismusforschung ist derzeit vor allem in
außeruniversitären Einrichtungen, wie dem Institut für freien Informationsfluss (ISAI) oder dem
Institut für Presse- und Aufbau-Studien (LSPP), präsent. Dort wurden im Wahljahr 2004 Inhaltsanalysen zur journalistischen Unabhängigkeit im Wahlkampf durchgeführt, die Interdependenzen von Politik und Medien und die Rolle von Eigentümerschaft thematisierten.
Bei der Suche nach Lösungen für strukturell bedingte Interessenkonflikte und für eine Qualitätssicherung im Journalismus stehen unscharfe normativ-ethische Appelle im Vordergrund.
So verweist Harsono (2004) auf ein amerikanisches Journalisten-Vorbild, um dessen indonesischen Kollegen ein Beispiel von Neutralität zu geben. Ähnlich argumentiert Nguyen, indem er
pauschal an die „verantwortlichen Medienprofessionellen“ appelliert, die sicherstellen sollten,
dass die Öffentlichkeit akkurate und objektive Informationen zur rechten Zeit erhalte (Nguyen
2004). Eine differenzierte Diskussion, die nach einer Ethik von Medienunternehmen, Ethik
von Journalisten und der ethischen Verantwortung von Mediennutzern für das, was sie konsumieren, unterscheidet, findet kaum statt – ebenso wenig wie eine fundierte Betrachtung von
Medienbesitz und Einflussfaktoren auf journalistische Autonomie. Appelle der genannten Art
vernachlässigen zudem spezifische Aspekte der Landes-Kultur wie das Konfliktvermeidungsprinzip und das Respektsprinzip (vgl. 3.2.3.), die ein Emanzipieren gegenüber Vorgesetzten
und Quellen erschweren.
3
Rahmenbedingungen des Agierens indonesischer Zeitungen
3.1
Journalistische Praxis während der Diktaturjahre
Die ab Mitte der 1970er Jahre dominierende indonesische Spielart des in vielen Entwicklungsdiktaturen propagierten development journalism–Modells wird wegen ihres Bezuges auf die „fünf
Säulen“ (panca sila) der indonesischen Verfassung als „Pancasila-Journalismus“ bezeichnet. Die
Wahrung der Stabilität, der nationalen Einheit und die aktive Unterstützung des Entwicklungsprozesses galten nicht nur als staatsbürgerliche Aufgabe, sondern auch als Journalistenpflicht (Sudibyo 2004). Ein in diesem Sinne missionarischer Charakter war Forderung der politischen Akteure
und sukzessives Selbstverständnis der meisten Medienmacher (Said 1990: 39). Was den Einfluss
von Regierung und Militär auf die Medieninhalte anging, war die Forderung nach Entwicklungsjournalismus oder der Appell an eine „freie, aber verantwortliche“ Presse ein Euphemismus für
staatliche Zensur. Beispielhaft sei hier nur auf die bekanntesten Medienverbote wie das der Ta-
53
Pressefreiheit in Indonesien
geszeitung Indonesia Raya (1974) und das der drei Zeitschriften Tempo, DeTik und Editor (1994)
verwiesen.
Neben diesen repressiven Höhepunkten im Zuge politischer Krisen kam es zur ständigen Behinderung eines freien Informationsflusses mit Hilfe der so genannten „Telefonkultur“: „Wir
haben abwechselnd das Telefon bewacht. Wenn es nicht geklingelt hat, bevor wir in Druck
gingen, konnten wir in Ruhe schlafen gehen. Normalerweise gab es aber in letzter Minute
noch einen Anruf, von einer bestimmten Instanz, die uns sagte, das und das dürft ihr nicht
bringen. Es gab einen Oberst in der Informationsabteilung des Militärs, der hat ständig versucht, uns zu zensieren. [...] Der Geheimdienst wusste ja, wer irgendwo ein Statement abgegeben hatte, wo irgendwelche inoffiziellen Treffen oder kleine Workshops stattgefunden hatten. Da wurde vielleicht Kritisches geäußert und wenn da Journalisten waren, wurde an die
Chefredakteure weiter gegeben, dass darüber nicht berichtet werden darf. Für uns war das
normal.“ 9
Praktisch umgesetzt wurden Medienverbote über den Entzug der vom Informationsministerium erteilten Lizenz. Auch organisatorisch wurden Journalisten auf Linie gehalten. Ab 1969 hatten sie die
Pflicht, Mitglied im Indonesischen Journalistenverband (PWI) zu sein, in dessen Vorstand staatstreue Publizisten und hochrangige Militärs vertreten waren (Hill 1995: 67ff.). Ausschließlich PWI
durfte Presseausweise ausstellen, ein Ausschluss war de facto ein Berufsverbot. Die Tatsache, dass
der Verlegerverband mit Unterstützung des PWI gegründet wurde und dass teilweise die gleichen
Personen in den Exekutivgremien saßen, demonstriert den elitären Charakter des PWI und brachte
beiden Vereinigungen den Beinamen „siamesische Zwillinge“ ein (Hill 1995: 74). Journalisten war
es nicht erlaubt, eine Gewerkschaft zu gründen (Pontoh 2001).
Zwischen Regierung und Medienschaffenden zu vermitteln, sollte Aufgabe des Presserates (Dewan Pers) sein. Der Rat sollte die Politik bei der Vergabe von Lizenzen beraten. Schon seine
Gründung per Präsidentenerlass im Jahr 1967 zeigte sein Wesen als staatliches Instrument und
nicht als Organ der Selbstkontrolle: Den Vorsitz hatte der Informationsminister selbst inne, zu den
Mitgliedern gehörten Geheimdienstler und Ministerialbeamte (Hill 1995: 65).
Die direkte Einflussnahme des Staates über Lizenzentzug, physische Gewalt gegen Menschenrechtler und Journalisten sowie die „fürsorgliche Belagerung” der Medienvertreter mittels berufsständischer Organisationen sorgten für ein Höchstmaß an Selbstzensur. Medien, die
überleben wollten, passten sich auch semantisch und stilistisch den Sprachregelungen der Militärdiktatur an. Schlagzeilen strotzten vor Aufbaugeist, man verwendete eine überwiegend
passive Sprache und Kritisches wurde in die letzten Absätze verbannt.
Seit den 1980er Jahren investierten Mitglieder der Präsidentenfamilie und des engsten politischen Führungszirkels verstärkt in Medienunternehmen und sorgten so zusätzlich für eine Vertretung der Interessen der Machtelite. Der erste private Fernsehsender, RCTI, wurde 1987 von
9
54
Chefredakteur Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
einem Sohn Suhartos gegründet. 1989 startete mit SCTV der zweite Privatsender, Mehrheitseigner war ein Geschäftsfreund eines Cousins von Suharto. 1990 ging mit TPI die dritte private
Station auf Sendung, an der Suhartos älteste Tochter die meisten Anteile hielt. Neben Familienmitgliedern und Freunden des Diktators hielten auch Politiker Anteile an Medien. Der Arbeitsminister Abdul Latief investierte beim Magazin Tiras. Agung Laksono, führendes Mitglied von Suhartos Golkar-Partei, war Mitbesitzer der Zeitschrift Target. Informationsminister
Harmoko brachte mit der Pos Kota-Gruppe mehrere Printmedien auf den Markt (Hidayat
2000).
3.2
Journalistische Praxis seit 1998
Die 1997 einsetzende Asienkrise wirkte als Katalysator für das politische Ende Suhartos. Monatelang sah sich der Präsident mit wachsenden Protesten konfrontiert, die vor allem im städtischen,
studentischen Umfeld wurzelten und in Jakarta in einem blutigen Feldzug gegen die als privilegiert empfundene chinesische Minderheit gipfelten. Neben dem Rücktritt Suhartos und der Entmachtung der alten Cliquen forderten die Demonstranten Demokratisierungsschritte wie Presseund Gewerkschaftsfreiheit.
Die Presse war spät auf den Reformzug aufgesprungen. Der größte Teil der etablierten Medien
hielt sich zunächst an die herrschenden Spielregeln (Arismunandar 2000: 211). Die Artikel großer
Tageszeitungen muteten Anfang Mai 1998 noch wie Pressemitteilungen von Ministerien an. Die
am häufigsten zitierten Quellen waren Regierung und Militär (Triputra 2000: 407ff.). Einige Beobachter wollen einen durch das Internet beförderten Umsturz ausgemacht haben (McDaniel
2002: 116ff., Harsono 2000: 83ff.). Zwar waren vor 1998 die einzigen unzensierten Informationen nur im Internet zugänglich – die Möglichkeit, es zu nutzen, hatte indes nur 1% der Gesamtbevölkerung (Lim 2003: 121). Dennoch war die Freiheit des Internets ein Spiegel für die Unfreiheit von Presse und Rundfunk. Die grenzüberschreitenden Möglichkeiten, die Schnelligkeit und
die schwere Kontrollierbarkeit dieses Mediums gaben oppositionellen Gruppen ein Instrument in
die Hand, das sie effizient nutzten.
Nachdem die Unruhen des Mai 1998 immer gewalttätiger geworden waren, trat Suharto schließlich zurück. Bis zu den ersten freien Wahlen 1999 wurde Indonesien vom vorherigen Vizepräsidenten, Bacharuddin Jusuf Habibie regiert. Zunächst wurden die Maßgaben für eine Zeitungslizenz erheblich erleichtert. 1999 wurde schließlich das Pressegesetz 40/1999 verabschiedet, welches die Lizenzpflicht endgültig abschaffte. Im Jahr darauf wurde das Informationsministerium
aufgelöst.
3.2.1
Juristische Rahmenbedingungen
Im Zuge der 1998 eingeläuteten Reformen wurde viermal die Verfassung geändert sowie in Form
mehrerer Zusatzartikel ein Menschenrechtskatalog angehängt, der auch das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet. Juristischer Kern der Pressefreiheit in der Post-Suharto-Ära sind die 21
Artikel des „Gesetzes Nummer 40/1999 über die Presse“. Das Presserecht betont die Bedeutung
freier Medien als Manifestation der Volkssouveränität und ihre Rolle als Informationsvermittler
55
Pressefreiheit in Indonesien
und Meinungsbildner für die demokratische Gesellschaft (Art. 2-6). Zur Presse als wirtschaftlicher Unternehmung trifft das Presserecht insofern eine Aussage, dass jeder Indonesier ein Medienunternehmen in Form einer legalen Körperschaft gründen darf (Art. 9). Ausländisches Kapital
darf nur über den indonesischen Kapitalmarkt investiert werden (Art. 11 Abs. 2). Relevant hinsichtlich Konzentrationstendenzen auf dem Medienmarkt ist außerdem das Gesetz 5/1999 gegen
Monopole und unlauteren Wettbewerb. Über dessen Einhaltung wacht eine von der Regierung
eingesetzte Kommission. Mit Konzentrationsbestrebungen im Medienbereich und deren gesetzlicher Regelung befasste sich erstmals explizit das Rundfunkgesetz 32/2002, das in seinen vorangestellten Erläuterungen unter anderem auf das Anti-Monopol-Gesetz verweist. Artikel 5 betont ebenfalls die Verhinderung von Monopolen. Artikel 18 bestimmt, dass einer Konzentration von
Eigentümerschaft auf ein einziges Unternehmen pro Sendegebiet entgegengewirkt werden soll.
Außerdem sollen Über-Kreuz-Beteiligungen begrenzt werden, womit wegen ihres Fernsehbesitzes fast alle größeren Zeitungshäuser von diesem Gesetz betroffen sind. Zu diesem Zweck sollen
Regierung und die Nationale Rundfunkkommission KPI weitere Bestimmungen erlassen.
Eines der größten Herausforderungen im Demokratisierungsprozess besteht trotz Verfassungsänderungen und Gesetzesreformen in der Rechtsunsicherheit und in der Korruption im Justizwesen.
Seit der Unabhängigkeit des Landes 1949 existiert das traditionelle Adat-Recht neben den nach
wie vor gültigen Paragrafen der Kolonialgesetzgebung und jenen der nationalen Gesetzgebung.
Das Problem der Rechtsunsicherheit liegt aber auch darin begründet, dass in den Jahren der Suharto-Herrschaft Gerichte lediglich die Aufgabe hatten, mit Hilfe von Vetternwirtschaft oder
durch Zwang bereits gefällte Entscheidungen zu legitimieren. Gerichte galten und gelten nicht als
vertrauenswürdige Instanzen, sondern als Sammelbecken für nur scheinbar hauptberufliche Juristen, die ihr Einkommen aus Nebengeschäften und/oder Schmiergeldern generieren (Redway
2003: 156).
Die Spätfolgen des Mangels an gut ausgebildeten und unbestechlichen Juristen machen sich auch
im Medienbereich bemerkbar. In den letzten Jahren wurden in verstärktem Maße Journalisten
wegen Verleumdung oder Rufmord vor Gericht gestellt und sowohl zu Geld- als auch zu Freiheitsstrafen verurteilt (Keller 2004). Obwohl auch das Presserecht Geldstrafen für die Verstöße
von Medien gegen religiöse Normen, sittliche Werte oder das Prinzip der Unschuldsannahme bei
Angeklagten vorsieht, wendeten Richter bei Verleumdungsklagen gegen Journalisten das Strafrecht mit wesentlich härterem Strafmaß an.
Im Strafgesetzbuch sind mindestens 37 Paragrafen enthalten, mit denen Autoren verfolgt werden
können (Batubara 2004). Die ständige Drohung von strafrechtlicher Verfolgung im Falle der Veröffentlichung von Ergebnissen investigativer Recherchen schafft ein Klima der Angst und Selbstzensur in den Medienbetrieben (Sudibyo 2004). Mit dem Verweis auf die Rechtspraxis bei Medienfällen in anderen Staaten wird von Menschenrechtlern und Medienvertretern gefordert, Verleumdungsdelikte ausschließlich als Verstöße gegen das Zivilrecht zu betrachten (Article19 2003,
Astraatmadja 2004, Nolan 2004).
56
Pressefreiheit in Indonesien
3.2.2
Politische Rahmenbedingungen
Die positiven Einschätzungen zur Demokratisierungsfähigkeit Indonesiens blieben nicht lange so
optimistisch wie in den ersten Monaten nach Suhartos Sturz. Die wirtschaftlichen und politischen
Eliten konnten in vielen Bereichen ihre Macht konsolidieren, da sie durch Finanztransaktionen ins
Ausland und die schlichte Weigerung, ihre Schulden zu bezahlen, keine Bankrotte befürchten
mussten. Die von Weltbank und Internationalem Währungsfond vertretene Theorie, dass strukturelle Schocks für die Ablösung alter Machtkoalitionen sorgen und neue, reformistische sich formieren und die Macht übernehmen können, versagte in Indonesien weitestgehend (Robison/Hadiz
2004: 264). Durch die jahrzehntelange Blockparteien-Politik Suhartos gibt es keine Parteientradition, die sich auf eine politische Programmatik stützt und ihre Kader über eine sich dieser Programmatik verpflichtet fühlende Basis rekrutiert. Besonders deutlich wurde das im Wahlkampf
2004, in dem Personen im Vordergrund standen und es kaum um programmatische Aspekte ging.
Als Vehikel des schließlich erfolgreichen Präsidentschaftskandidaten Susilo Bambang Yudhoyono wurde eigens die „Demokratische Partei“ (PD) gegründet. Drei der Kandidatenanwärter der
stärksten Kraft im Parlament, der Golkar-Partei, für die direkten Präsidentschaftswahlen waren
Unternehmer, keine Berufspolitiker (Warta Ekonomi 2003).
Die zunächst als Reformkraft bezeichnete Partei PDI-P der Ex-Präsidentin Megawati zeigte sich
in ihrer Zusammensetzung aus Unternehmern und „statischen Nationalisten“ sowie in ihrer praktischen Politik als sehr nah an der Vorgänger-Partei Golkar (Robison/Hadiz 2004: 239). Autoritären Charakter bewies die Ex-Präsidentin auch im Umgang mit den Medien. Ihr Anspruch, Journalisten sollten für ein günstiges politisches Klima sorgen und sich genau überlegen, welche Informationen mit der Öffentlichkeit geteilt werden können und welche nicht, erinnerte sehr an die
„frei, aber verantwortlich“-Doktrin von Ex-Diktator Suharto (Romano 2003: 52). Die Tatsache,
dass Megawati das zuvor abgeschaffte Amt des Informationsministers wieder belebte, wurde ebenfalls als Indiz für einen Schritt in die Vergangenheit angesehen (AJI 2004).
Dem im September 2004 gewählten Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono wird ein liberalerer
Umgang mit den Medien bescheinigt. In der Tradition der „Telefonkultur“ stehen jedoch nach
wie vor häufige Versuche seitens der Politik, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, auch
wenn das Drohpotential von Politik und Militär nicht mehr mit Diktaturzeiten vergleichbar ist.
Eine hohe Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme ist weiterhin gegeben, weil Politik-Reporter vor
allem der überregionalen Medien meist festen Posten zugewiesen sind. Sie berichten aus dem
Präsidentenpalast, dem Justizministerium oder dem Hauptquartier der Streitkräfte. Reporter verbringen einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit in den Presseräumen von Regierungsinstitutionen, „ohne dass im engeren Sinn ein journalistisch relevanter Informationsgewinn stattfinden
würde“ (Hanitzsch 2003: 337). Begründet wird diese Praxis damit, dass die räumliche Nähe einen
besseren Zugang zu Quellen und Hintergrundinformationen ermögliche. Gleichzeitig wird jedoch
ein Mangel an investigativem Journalismus kritisiert. Viele Reporter warteten lediglich auf offizielle Statements und kopierten die Berichte ihrer Kollegen.
57
Pressefreiheit in Indonesien
Nicht nur während der Suharto-Jahre war Medienbesitz ein strategisches Mittel zur Beeinflussung
der öffentlichen Meinung. Deutlich wurde die Verquickung von Politik und Medien auch im
Wahljahr 2004. Stark in der Kritik stand der Besitzer des Nachrichtenkanals Metro TV und der
auch im Rahmen der vorliegenden Studie untersuchten Zeitung Media Indonesia, Surya Paloh.
Paloh ist alleiniger Anteilseigner von Metro TV und Media Indonesia und seit Jahrzehnten führendes Mitglied der Golkar-Partei. Während seiner Kampagne für die Nominierung als Präsidentschaftskandidat berichteten Palohs Medien in ständigen Wiederholungen über seine Wahlkampfauftritte (Pradityo 2004, AJI 2004: 26, Harsono 2004, LSPP 2004). Nach dem Fehlschlagen der
eigenen Kandidatur übte er starken Druck auf seine Redaktionen zur Unterstützung des später erfolgreichen Kandidaten Susilo Bambang Yudhoyono aus (vgl. 5.3.). Palohs und Yudhoyonos
Biograph Usamah Hisyam, ein ehemaliger Media Indonesia-Journalist, startete im Januar 2004
mit MO ein Tabloid mit einem Politik-Lifestyle-Mix, um kurz darauf als PR-Verantwortlicher in
Yudhoyonos Wahlkampfteam aufzutreten (AJI 2004: 27). Die Rekrutierung von Journalisten als
PR-Strategen für die Politik zieht sich durch alle politischen Lager. August Parengkuan, einst leitender Redakteur bei der Tageszeitung Kompas und jetzt Direktor des zum gleichen Hause gehörenden Senders TV7 heuerte während des Wahlkampfes als PR-Manager beim Team der ExPräsidentin Megawati und ihrer Partei PDI-P an, um danach wieder auf seinen Posten beim Sender zurückzukehren. Nicht immer geschieht das politische Engagement so offen wie in den gezeigten Fällen. Zahlreiche Medienkollegen verdingen sich bei den PR-Abteilungen von Parteien
und publizieren unter Pseudonym weiter (Harsono 2004).
3.2.3
Kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Auch wenn zur jährlichen Feier der Unabhängigkeit am 17. August oder anderen offiziellen Anlässen gern mit Tänzen und Bräuchen aus allen Landesteilen der kulturelle Pluralismus Indonesiens betont wird, dominieren in Politik und Wirtschaft die Einwohner Javas. Die dicht besiedelte
Insel beherbergt über die Hälfte der rund 220 Mio. Indonesier. Sie ist das politische und wirtschaftliche Zentrum des Landes und beherbergt die meisten Bildungseinrichtungen. Auch kulturell ist Indonesien stark durch die Normen und Werte der Javaner geprägt. Dazu gehören Geduld,
Schicksalsergebenheit, eine passive Haltung gegenüber Schwierigkeiten und das Prinzip der familiären Harmonie auch im außerfamiliären Kontext (Aly 1984: 74). Franz Magnis-Suseno, der mit
„Javanische Weisheit und Ethik“ das deutschsprachige Standardwerk zur javanischen Kultur verfasste, unterscheidet zwei grundlegende Prinzipien, auf denen das Zusammenleben aufbaut: (a)
das Prinzip der Konfliktvermeidung und (b) das Respektsprinzip.
Das Prinzip der Konfliktvermeidung dient der Bewahrung eines harmonischen Idealzustandes
(rukun), der als naturgegebener Zustand bewahrt werden muss. Potenzielle Dissonanzen müssen
unterdrückt werden. Da Konflikte aus unterschiedlichen Interessen resultieren, sollte der Einzelne
seine Interessen dem Gemeinschaftswohl unterordnen. Die Vermeidung offen ausgetragener Konflikte ist wichtiger als die Vermeidung von Gewissenskonflikten. Moralische Überlegungen rechtfertigen es nicht, sich über das Harmonieprinzip hinwegzusetzen (Magnis-Suseno 1981: 64). Besondere Vorsicht gilt dem Kommunizieren von Interessen. Es gilt als ebenso unhöflich, einen
58
Pressefreiheit in Indonesien
Wunsch direkt zu äußern, wie ihn klar abzulehnen. In verschlungener Kommunikation wird sich
vielmehr langsam an den Kern des Gesprächs herangetastet. Ebenso geschieht es, wenn Kritik geäußert werden soll. Missfallen kann dennoch ausgedrückt werden – indem man beispielsweise
demonstrativ eine Weile nicht miteinander spricht (Aly 1984: 77). Einen Modus zur Unterscheidung eines sachlichen von einem personellen Konflikt gibt es nicht (Magnis-Suseno 1998: 22).
Das Wohl der Gemeinschaft wird nicht nur passiv mit dem Vermeidungsprinzip sondern auch aktiv mit der Tradition des Slametan befördert. Slamet ist der Terminus für einen statischen Zustand
des allgemeinen Wohlbefindens, der ungestörten Sicherheit. Um diesen Zustand nicht zu stören,
wird zu allen erdenklichen Gelegenheiten eine Slametan-Zeremonie abgehalten. Ihre Wurzeln hat
sie in der früheren Dorfgemeinschaft, in der die Götter angebetet wurden und man sich der Hilfe
von Verwandten und Nachbarn versicherte. Diese werden eingeladen, nehmen nach streng geregelter Sitzordnung im Hause Platz und lauschen einer formellen Rede des Hausherren, bevor es
ans Essen geht. Geertz (1973: 161) bezeichnet die Zeremonie zu Recht als „Mikro-Modell“ des
javanischen Zusammenlebens. Eine Komponente eines Slametan verdeutlicht das Prinzip der
Konfliktvermeidung. Geschenke werden niemals vor den Augen der Schenkenden geöffnet, da
bei Nichtgefallen eine unerfreuliche Situation befürchtet wird. Geben und Nehmen kommt höchste Wichtigkeit zu. Einem Gast mit leeren Händen entgegen zu treten, gilt als schwerer Verstoß
gegen die guten Sitten. Gleichzeitig wird genau darüber gewacht, dass sich Geschenke und Gegengeschenke in ihrem Wert ausgleichen (Magnis-Suseno 1981: 52). Vor allem in traditionellen
Dorfgemeinschaften, aber auch im modernen, urbanen Umfeld sind die beschriebenen javanischen Traditionen immer noch präsent.
Das zweite grundlegende Prinzip ist das Respektsprinzip. Es fußt auf dem Glauben, dass nur eine
hierarchisch geordnete Gemeinschaft zur Harmonie führen kann. So lange sich jeder in die soziale
Rangordnung fügt, bleibt alles im Gleichgewicht. Statussymbolen zur Demonstration der naturgegebenen Ordnung kommt höchste Wichtigkeit zu. Die Rangordnung drückt sich auch sprachlich aus, im Javanischen gibt es einen eigenen Wortschatz je nachdem, mit wem man spricht: einen für Höherstehende, einen für Gleichgestellte, einen für niedriger Stehende. Mit zahlreichen
Zwischenstufen bringt es das Javanische auf etwa elf verschiedene Sprachebenen (Magnis-Suseno
1981: 57). Seniorität und eine hohe Stellung stehen am oberen Ende der Sozialleiter. Traditionell
ist es eine Ehre, Vorgesetzten, hochgestellten Persönlichkeiten und alten Leuten einen Dienst zu
erweisen. Das Respektsprinzip der javanischen Kultur wird wegen seines Bezuges auf den Bapak,
den altehrwürdigen Familienvater, auch als Bapakisme bezeichnet. So ist heute noch von ExDiktator Suharto, der jahrzehntelang als „Vater des Aufschwungs“ (Bapak Pembangunan) galt, in
vielen Zeitungen als Bapak Harto die Rede. Untersuchungen zu Kultur und Management in Indonesien verdeutlichen, wie sich das Bapakisme-Prinzip auch in der heutigen Unternehmenskultur
zeigt. Das Unternehmen gilt als erweiterte Familie, der Geschäftsführer hat die unangefochtene
Stellung des Bapak inne (Weidmann 1997: 152). Während im westlichen Management eine institutionalisierte Führerschaft vorherrscht, ist es in Indonesien eine personalisierte Führerschaft. Personenorientiertes Handeln hat Vorrang vor aufgabenbezogenem Handeln (a.a.O.:157). Beziehun-
59
Pressefreiheit in Indonesien
gen zu Höherstehenden werden sorgfältig gepflegt – es gereicht Untergebenen zur Ehre, ihre Vorgesetzten auch mit Privatgeschenken wohl gesonnen zu stimmen (a.a.O.: 59). Diese liefern ihnen
im Gegenzug Protektion und Führung – ein Patron-Klienten-Verhältnis. Koentjaraningrat (1969:
44) sah bereits in den sechziger Jahren in diesen Strukturen und der Abwesenheit sachbezogener
Kommunikation die Hauptursache für die grassierende Korruption in Indonesien.
Korruption ist im indonesischen Geschäftsleben wie im Medienalltag allgegenwärtig und wird nicht
nur als ökonomisches oder politisches, sondern auch als kulturelles Problem bezeichnet (Hutabarat
2002). Indonesien belegt derzeit den 130. Platz von 163 untersuchten Ländern des aktuellen Corruption Perceptions Index von Transparency International (TI 2006). Im Journalismus zeigen sich
korrupte Praktiken am deutlichsten in der so genannten „Umschlagskultur“. Es gehört zum guten
Ton der Veranstalter, auf einer Pressekonferenz nicht nur mit Informationen, sondern auch einem
Umschlag voller Bargeld aufzuwarten. Die Beträge reichen von 50.000-1,5 Mio. Rupiah (5-140 €)
(The Jakarta Post 2005a). Dieses „Geschenk“, das oft als Aufwandsentschädigung oder Fahrgeld
deklariert wird, zurückzuweisen, gilt als unhöflich. In Unternehmen und Ämtern gibt es Etats für
Propaganda, Information und Dokumentation, aus denen die Umschläge finanziert werden (Manan
2004, Haryanto 2005). Von diesen Etats profitieren Absender und Empfänger, einen Großteil stecken sich die jeweiligen PR-Kräfte in die eigene Tasche (The Jakarta Post 2005c).
Häufig wird die Akzeptanz für Umschläge mit dem niedrigen Einkommen von Journalisten begründet (Sasdi 2003, Hariyanto 2005, The Jakarta Post 2005a). Eine Befragung von Journalisten
in Jakarta ergab jedoch, dass ökonomische Zwänge nicht die stärkste Motivation für die Akzeptanz von Umschlägen sind (Eriyanto 2002). Auf ein Professionalitäts-Problem deutet hingegen,
dass mit Abstand der höchste Prozentsatz (46,5%) der Befragten der Meinung war, ein Journalist
könne trotz der Annahme materieller Leistungen ausgewogen berichten. Eriyanto betont jedoch,
dass die indonesische (javanische) Sitte, sich dankbar gegenüber jemandem zu zeigen, der einem
zuvor etwas Gutes getan hat, es gar nicht zuließe, kritisch zu schreiben, nachdem man einen Umschlag eingesteckt hat (a.a.O.).
3.2.4
Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Die indonesische Wirtschaft verdankte ihr Wachstum in den letzten Jahren vor allem der Binnennachfrage. Davon profitierte auch die Medienwirtschaft. Seit 1999 liegen die Steigerungen der
Werbeeinnahmen jährlich im zweistelligen Prozentbereich.10 Wegen der Dominanz audiovisueller Rezeption in Indonesien kommt dieses Wachstum vor allem den Fernsehsendern zugute, an
die rund 70% der Werbeeinnahmen gehen (Dyah S. 2005). Die Eigentumsverhältnisse im Fernsehbereich lassen sich nach wie vor auf wenige Namen unter hohen Anteilen der Suharto-Familie
verdichten (Koesoemawiria 2002, Piliang 2002). Auf die Liberalisierung des Presserechts war ein
beispielloser Gründungsboom von Printmedien gefolgt. 825 Drucklizenzen wurden nach der Lockerung des Lizenzzwangs 1998 allein bis April 1999 vergeben. Zunächst sahen sich also die e10
60
Für Januar-September 2006 gibt die staatliche Kommunikationsbehörde eine Steigerung von 17% gegenüber dem Vorjahr für alle Medien an, für den Printbereich beträgt sie 23%. (Depkominfo 2006).
Pressefreiheit in Indonesien
tablierten indonesischen Medienmacher, die in den neunziger Jahren noch vom streng regulierten
Medienmarkt profitiert hatten, einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. Inzwischen hat
sich der Markt konsolidiert, wovon vor allem die großen Mediengruppen profitierten. Während
zur größten Zeitungsgruppe des Landes, Jawa Pos, im Jahr 1995 lediglich 20 Tageszeitungen und
acht Wochenzeitungen gehörten, nannte sie 2004 bereits 81 Tageszeitungen, 23 Wochenzeitungen
und eine Fernsehstation ihr Eigen. Die zweitgrößte Gruppe, Kompas Gramedia, besaß im Jahr
1995 noch acht Tageszeitungen, 17 Magazine, eine Radiostation und vier Buchverlage. 2004 waren es 14 Tageszeitungen, 32 Magazine, je ein Fernseh- und ein Radiosender sowie sechs Buchverlage (AJI 2004).
Die zehn größten Anzeigenempfänger teilen knapp 50% des gesamten Werbe-Etats im Tageszeitungsbereich unter sich auf (PPPI 2004). Fünf davon gehören zur Jawa Pos-Gruppe. Von Kompas Gramedia gehört zwar lediglich die Tageszeitung Kompas dazu, doch mit der auflagenstärksten
Tageszeitung Indonesiens schöpfte die Gruppe im Jahr 2003 jedoch allein 17,7% der gesamten
Werbeeinnahmen im Tageszeitungsbereich ab. Im Zuge der Konzentrationsvorgänge im Mediensektor wird eine zunehmende Kommerzorientierung zu Lasten von journalistischer Ausbildung und
Recherche bemängelt. Sowohl etablierten Medien, als auch Neugründungen wird vorgeworfen, in
ihrer Berichterstattung eher die Partikularinteressen ihrer Besitzer zu vertreten als ihre demokratische Funktion zu erfüllen (Sudibyo 2001a). Vor allem bei Regionalzeitungen ist es üblich, dass
Provinzpolitiker (mitunter auch auf Druck der Medienmacher) ganze Zeitungsseiten kaufen und
sich so eine positive Berichterstattung sichern (AJI 2004).
4
Untersuchte Medien
Im Rahmen der Studie wurde die innere Struktur indonesischer Presseunternehmen untersucht,
wobei hauptsächlich unterschieden wurde nach der Unternehmensform, Unternehmenskultur
und Verlegerrolle. Indonesische Zeitungen fungieren nach dem angelsächsischen ReporterEditor-Prinzip. Kommentare und Debattenbeiträge, deren Funktion es ist, die Blattlinie zu vermitteln, werden meist von einem kleinen, handverlesenen Redakteurskreis verfasst. In diesem
Zusammenhang erschien der Autorin auch die Frage nach den „Meinungsmachern“ in der Redaktion von Wichtigkeit. Außerdem untersuchte sie Formen der innerbetrieblichen und redaktionellen Mitbestimmung und Konfliktregelung, sowie Anzeichen und Gründe für Zensur und
Selbstzensur. Letztere sind vor dem indonesischen Hintergrund häufig mit Praktiken der Korruption verbunden, weswegen auch auf diesen Punkt geachtet wurde.
Die Auswahl der Zeitungen stützte sich primär auf die Erhebung zu Journalismus in Indonesien
von Hanitzsch (2003: 341) die sich unter anderem mit journalistischen Leitmedien befasst. Er
nennt die überregionalen Tageszeitungen Kompas, Republika und Media Indonesia als von
Journalisten am meisten gelesene Tagespresse. Neben den genannten Blättern wurde außerdem
die seit 2001 erscheinende überregionale Zeitung Koran Tempo 11 untersucht. Sie wird vom
Tempo-Verlag herausgegeben, der auch Indonesiens erfolgreichstes und während der Suharto-
61
Pressefreiheit in Indonesien
Zeit verbotenes Nachrichtenmagazin Tempo herausgibt. Zudem unterscheidet sich Tempo in der
Eigentümerstruktur erheblich von den erstgenannten Zeitungen. Die vier genannten Zeitungen
gehören zu den auflagenstärksten überregionalen Blättern und stellen die Grundgesamtheit der
indonesischsprachigen, allgemeinen, überregionalen Morgenzeitungen dar. Die Wahl überregionaler Zeitungen trägt auch der Tatsache Rechnung, dass diese Medien, was Gehälter und Arbeitsrecht sowie professionelle Standards angeht, als Vorbilder gelten.
Die Feldforschung wurde als offene, teilnehmende Beobachtung durchgeführt. Entsprechend
des qualitativen Designs der Untersuchung war es sinnvoll, zusätzlich eine offene, nicht standardisierte Befragung in der Form von Leitfadengesprächen anzuhängen. Unter der Annahme,
dass Einflüsse auf redaktionelle Autonomie je nach Position im Medienbetrieb unterschiedlich
wahrgenommen werden, wurde pro Zeitung je ein Vertreter jeder redaktionellen Hierarchieebene befragt. Dabei handelte es sich um den Verleger, den Chefredakteur, einen Chef vom Dienst,
den Ressortleiter des Inlands-Ressorts und einen Reporter12. Zusätzlich wurde ein Gewerkschaftsvertreter nach der Rolle und der Akzeptanz der Gewerkschaften in der jeweiligen Zeitung befragt.
Auflagenzahl
Abbildung: Auflagenzahlen der untersuchten Zeitungen 13
600000
400000
200000
0
Kompas
Koran Tempo
5
Befunde
5.1
Kompas
Jahr
2000
2001
2002
2003
2004
507.000 509.000 506.000 509.000
200.000 200.000 200.000
Media Indonesia
190.000 200.000 284.745 200.000
Republika
165.000 200.000 200.000 200.000
Kompas ist seit Jahrzehnten Indonesiens auflagenstärkste, überregionale Tageszeitung. Das Blatt
wird herausgegeben von der Kompas Gramedia Gruppe (KGG), neben der Jawa Pos-Gruppe das
größte Medienunternehmen im Land. Kompas wurde 1965 gegründet. Das Blatt war während der
Diktaturjahre staatstragend und galt als „New Order newspaper par excellence“ (Hill 1995: 84).
11
12
13
62
Koran ist das indonesische Wort für Zeitung.
Pro Tageszeitung wurden neben den formellen Interviews auch mehrere informelle Gespräche geführt. Da einige der Reporter besorgt über etwaige negative Folgen ihrer Aussagen waren, unterscheidet die Autorin im
Fall der Reporter beim Zitieren nicht nach formellen Interviews und informellen Gesprächen. So soll eine klare persönliche Zuordnung vermieden werden.
Eigene Darstellung, Quelle: WAN 2002-2005
Pressefreiheit in Indonesien
Die Zeitung wird überwiegend von den Eliten des Landes gelesen14 und pflegt nach wie vor den
ausgewogenen, vorsichtigen Stil, den Benedict Anderson einst als „gepflegte Langeweile“ (Hill
1995: 84) bezeichnete. Der Verleger Jakob Oetama beschreibt die Kompas-typische Vorsicht so:
„Wir waren gezwungen zu dem, was später als „Krebs-Journalismus“ bekannt wurde. Ich sagte
zu den Journalisten: ‚Wir schreiben, schreiben, schreiben, wagen uns immer ein Stückchen weiter
vor, wenn das Warnsignal kommt, dann wird zum Rückzug geblasen.’ So wie es der Krebs macht,
der zieht sich zurück, um sich dann wieder ein Stückchen weiter vor zu wagen. Wenn das jemand
kritisieren möchte, das stört mich nicht. So war die Realität nun mal.“ 15 Jakob Oetama ist als
Gründer der Zeitung Kompas bis heute Hauptanteilseigner16 und fungiert als Geschäftsführer der
KGG. Er hat den Vorsitz im indonesischen Verlegerverband inne. Bis zum Jahr 2000 vereinte er
die publizistische und ökonomische Kompetenz als Chefredakteur und Geschäftsführer in Personalunion. Die konservative Leitlinie des Blattes wird noch immer stark von ihm geprägt. Jakob
Oetama hat einen journalistischen Hintergrund und ein solches Selbstverständnis. Er will mit seinem Blatt Bildung und Werte vermitteln. Er nimmt heute weniger tagesaktuellen Einfluss auf die
Redaktion als früher. Als Verleger entscheidet er mit über den Chefredakteur und den Chef der
Meinungsredaktion sowie über die Besetzung der Ressortleiter.
Kompas steht in der Tradition eines Familienunternehmens17 und sowohl der Verleger selbst als auch
seine Mitarbeiter sehen in Oetama die Rolle des Familienvaters, dessen Werte man vielleicht nicht uneingeschränkt teilt, der aber für das Auskommen sorgt und ohne dessen strenges Regiment die Familie
nicht zusammengehalten werden kann. In diesem Sinne stehen mehrere Äußerungen der befragten
Journalisten. So vergleicht ihn einer – allerdings mit positiver Konnotation – mit dem früheren Diktator Suharto, ein anderer setzt sogar ihn mit Gott gleich.18 Die Furcht um die Zukunft des Unternehmens nach dem Ableben des Verlegers geht aus den Äußerungen mehrerer Journalisten hervor. Im
Selbstverständnis des Verlegers als Vaterfigur, der für seine Familie sorgt, aber so, wie er es für richtig
hält, steht auch die weitgehende Ablehnung Jakob Oetamas gegenüber gewerkschaftlichen Aktivitäten
im eigenen Hause. Mitbestimmungsrechte der Redaktion werden zwar über die Betriebsgewerkschaft
wahrgenommen. Deren Agenda zielt jedoch auf soziale und materielle Verbesserungen für die Kompas-Mitarbeiter. Personelle und sachliche Entscheidungen, die die Redaktion betreffen, werden vom
Verleger oder der von ihm bestimmten Redaktionsspitze getroffen. Redaktionelle Mitbestimmung ist
bei Kompas nicht institutionalisiert. Es gibt keinen Redaktionsrat und kein Statut, das zum Beispiel ein
Mitbestimmungsrecht bei personellen Fragen, die Gewissensfreiheit für Journalisten oder die Frage
der Blattlinie im Falle eines Besitzerwechsels regeln würde. Ein ständiges Gremium zur Konfliktlö14
15
16
17
18
Über 60% der Leser haben einen Hochschulabschluss, ca. 30% monatliche Haushalts-Ausgaben von mindestens 2,25 Mio. Rupiah (200 €) (Leserumfrage Kompas 2004).
Verleger Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004.
Genaue Angaben zu den Anteilseignern waren trotz mehrfacher Nachfragen bei der Geschäftsführung nicht
zu bekommen. Nach Angaben des Verlegers halten er und die Familie von PK Ojong die meisten Anteile.
So sind die Redaktionsräume mit Fotos aus 40 Jahren Kompas-Geschichte geschmückt, die neben der redaktionellen Tätigkeit auch gemeinsame Freizeit-Aktivitäten zeigen; Das Unternehmen hat einen hauseigenen
Chor, ein Gamelanorchester, eine Tanzgruppe, einen Angelverein und ein Badminton-Team.
Chef vom Dienst (CvD) Kompas, Interview, geführt am 05.10.2004; Ressortleiter Inland, Kompas, Interview, geführt am 06.10.2004.
63
Pressefreiheit in Indonesien
sung existiert ebenfalls nicht. Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien bei Kompas sind Konsens orientiert. Zu einer Politik der kleinen Schritte scheint es für die Betriebsgewerkschaft keine Alternative zu geben.
Redaktionelle Mitbestimmungsrechte könnten theoretisch auch über die bei Kompas vorhandenen Mitarbeiteranteile institutionalisiert werden. Bei Kompas wird durch die Ausschüttung
einer Dividende zwar eine materielle Verbesserung, aber keine Mitbestimmung z.B. bei der
Besetzung der Chefredaktion erreicht. Gewissensfreiheit für Kompas-Journalisten ist ebenfalls
nicht schriftlich garantiert, sondern wird fallweise verhandelt: „Das wird eher auf der persönlichen Ebene gelöst. Wenn ein Reporter sagt: ‚Ich kann das nicht schreiben’, kann sein Redakteur es jemand anderem geben. Aber prinzipiell kann es der Journalist nicht ablehnen. Was er
an Aufgaben bekommt, muss er erfüllen. Aber weil wir eine javanische Kultur haben, kann das
auf der persönlichen Ebene verhandelt werden.“ 19
Kompas hat sich während der drei Diktatur-Jahrzehnte als äußerst anpassungsfähiges Medium
erwiesen und hat wirtschaftlich von dieser Anpassungsfähigkeit in hohem Maße profitiert. Dementsprechend akkommodabel ist der Umgang mit Politikern heute noch. Die Wahrung der guten
Beziehung beginnt mitunter schon bei Gegebenheiten, deren Relevanz im journalistischen Tagesgeschäft nicht augenfällig ist. Zum Beispiel gab es im Beobachtungszeitraum einen Konflikt einer
Journalistin mit einem Politiker, der aus seiner Partei ausgeschlossen worden war und gerichtlich
gegen diese Entscheidung vorging. Kompas hatte über einem Artikel, der sich mit einem Gerichtstermin in der Sache befasste, getitelt, dass besagter Politiker wieder ins Parlament zurück
wolle. Diese Überschrift sorgte dafür, dass der Betreffende mehrfach in der Redaktion anrief und
sich beschwerte, dass die Überschrift unterstelle, es ginge ihm nur um seinen Parlamentssitz. Am
nächsten Tag erschien ein Artikel, in dessen Überschrift der Leser informiert wurde, dass es dem
Politiker nicht darum gehe, seinem Parlamentssitz nachzujagen.
In verschiedenen Gesprächen wurde bestätigt, dass der Vorfall kein Einzelfall ist. In vorauseilendem Gehorsam werden revidierende Artikel veröffentlicht, um eine als Blamage empfundene Gegendarstellung zu verhindern und gute Beziehungen mit der politischen Elite nicht zu
stören. Der Beziehung zu Quellen wird im Zweifelsfall auch die Gewissensfreiheit der Journalisten untergeordnet. Ein Reporter berichtet vom Ärger mit einem früheren Präsidenten,
obwohl er ihn richtig zitiert habe. Obwohl die Aussage des Staatsoberhauptes mit einer Aufnahme belegbar war, agierte man bei Kompas konziliant. Der Reporter sprach beim Präsidenten vor und entschuldigte sich. „So ist die Art von Kompas, so etwas zu lösen. Die Redaktionsleitung drängt uns Reporter, klein beizugeben und sich zu entschuldigen. Der Weg des geringsten Widerstandes steht vor der Wahrheitssuche. Junge Journalisten leiden manchmal
darunter, aber meiner Meinung nach, ist das etwas Kompas-Typisches.“ 20
19
20
64
Vertreter der Betriebsgewerkschaft, Kompas, Interview, geführt am 21.10.2004.
Reporter Kompas.
Pressefreiheit in Indonesien
Die genannte Vorsicht wird vor allem vom Verleger geprägt: „Wir achten auf den guten Namen von Menschen, wir sind konservativ. Das verschafft uns den Ruf, nicht mutig zu sein. Aber wir haben eben unsere Art, mit Freiheit umzugehen. Vielleicht ändert sich das, wenn ich
mal nicht mehr bin. Ich kann mich nicht mehr verändern, ich bin wie ich bin.“ 21
Die jahrzehntelang praktizierte „Kunst“, Kritisches höchstens zwischen den Zeilen lesbar zu
machen, ein konservatives Hierarchieverständnis, die Sorge um die Marktposition des Blattes
und ein unsicheres Rechtsumfeld bewirken bei Kompas-Journalisten Selbstzensur. Auch in
dieser Hinsicht erscheint das Blatt als Inbegriff der javanischen Konsens-Kultur.
Aufgrund des geschilderten „vorauseilenden Gehorsams“, der in der konsensorientierten Unternehmenskultur begründet liegt, scheinen bei Kompas die Potenziale für vom Verleger verursachte
Zielkonflikte gering zu sein. Interessenkollisionen des Verlegers in dem Sinne, dass er sein Blatt
für eigene Zwecke benutzen würde, treten nicht offen zutage. Dabei dürfte zum einen eine Rolle
spielen, dass Jakob Oetama selbst Journalist ist und aus einer journalistischen Perspektive die Geschicke seines Blattes lenkt. Er hat keine offenen politischen Ambitionen im Sinne einer angestrebten Übernahme politischer Ämter.
Kompas-Mitarbeiter sind zum Anderen materiell so zufriedenstellend versorgt, dass sie als sehr loyal ihrem Verleger gegenüber gelten. So sind zwar immer wieder Begebenheiten von Journalisten zu
hören, deren persönliche Karriere endete oder sich erheblich verzögerte, weil ihr Agieren im Widerspruch zu den Verleger-Interessen stand. Es würde sich aber kaum einer der Betroffenen selbst mit
diesbezüglicher Kritik und deutlicher Benennung des Vorgefallenen äußern.22
Bei Kompas wird strikt nach Nachricht und Kommentar getrennt. Meinung kommt in der Form
des Leitartikels und in Debattenbeiträgen zum Ausdruck. Die täglichen zwei Leitartikel erscheinen ohne Namenszeile und werden vom Chefredakteur, seinem Stellvertreter und manchmal vom
Verleger selbst verfasst.23 Die drei bis vier auf den Meinungsseiten erscheinenden namentlich gekennzeichneten Debattenbeiträge stammen nie von Redakteuren oder Reportern, sondern immer
von außen stehenden Experten auf dem jeweils behandelten Gebiet. Der Meinungschef begründet
das damit, dass die Meinungsseiten ein Dienst an der Gesellschaft seien.24 Im Kompas mit einem
Debattenbeitrag vertreten zu sein, gilt unter der Intellektuellenszene Indonesiens als sehr Prestigeträchtig. Täglich bis zu 90 Einsendungen bearbeitet die vierköpfige Meinungsredaktion, die über
eine Veröffentlichung entscheidet. Allerdings hat die Chefredaktion ein Veto-Recht.
Einer Einflussnahme der Werbetreibenden auf redaktionelle Inhalte wird nach Angaben des
21
22
23
24
Verleger, Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004.
Reporter Kompas.
Im Beobachtungszeitraum stammte der jeweils erste Leitartikel zur Innenpolitik vom Chefredakteur, der
zweite zur Außenpolitik von seinem Stellvertreter.
Informelles Gespräch, 06.10.2005. Dem „gemeinnützigen“ Anspruch steht allerdings entgegen, dass Kommentare auch als strategisches Instrument zur Beziehungspflege verstanden werden, so z.B. mit Militärs, indem man ab und zu einen General zu Wort kommen lässt. Auch Intellektuelle, die sich um Kompas verdient
gemacht haben, dürfen häufig kommentieren. (a.a.O.).
65
Pressefreiheit in Indonesien
Kompas-Verlegers nicht stattgegeben.25 Diese Linie wird auch vom Chefredakteur bestätigt:
„Wir haben da eine klare Linie zwischen redaktionellem Inhalt und Anzeigen. Die Anzeigenabteilung kann nicht beim Redaktionellen intervenieren und umgekehrt. Wir wissen nicht,
welche Werbung morgen in die Zeitung kommt. Wir machen unsere Planung aufgrund der
Redaktionskonferenzen. Darauf achten wir sehr, und deswegen kann ich sagen: Die Stärke
von Kompas ist seine Vertrauenswürdigkeit.“ 26 Anzeigenabteilung und Redaktion sind bei
Kompas in unterschiedlichen Verlagsgebäuden untergebracht. „Die Leute treffen sich nie“, so
der Chefredakteur. Journalisten beim Kompas sei es strengstens untersagt, bei den Anzeigen
involviert zu sein, bestätigt auch der Reporter. Das unterscheide Kompas von anderen Medien, wo Journalisten eine Doppelfunktion hätten, da sie neben der Berichterstattung auch
Anzeigen einwerben. „Weil wir Reporter nichts mit der Werbung zu tun haben, können wir
uns unabhängig fühlen. Ich kenne zum Beispiel den Chef von Sido Muncul [Hersteller traditioneller Medizin] ganz gut. Der rief mich an und wollte interviewt werden. Ich habe ihm gesagt, dass wir das Interview nur bringen, wenn es gut wird. Da hat er gesagt: ‚Aber ich schalte so viel Werbung bei euch.’ Ich habe geantwortet: Anzeigen sind die Sache der Anzeigenabteilung. Ich bin Journalist. Ich darf bei den Anzeigen gar nicht involviert sein.’“ 27
Trotz der anscheinend recht klaren Linie hat es Kritik an der Neutralität von Kompas in Verbindung mit Werbung und den Vorwurf von Cross-Promotion gegeben. Das MedienWatchdog-Magazin Pantau28 kritisierte, dass Kompas im redaktionellen Teil Schleichwerbung für ebenfalls zur KGG gehörende Medien mache (Pantau 2002). Außerdem verletze es
mit der Rubrik Seremonia, die Ehrungen und Festivitäten thematisiert, das Prinzip der sichtbaren Trennung von Anzeigen und redaktionellem Inhalt. Seremonia sei eine bezahlte Rubrik,
die jedoch nicht als Werbung deklariert würde (a.a.O.).
5.2
Koran Tempo
Die Historie von Indonesiens jüngster überregionaler Zeitung Koran Tempo muss in Verbindung
mit der des gleichnamigen Magazins betrachtet werden. Das Wochenmagazin Tempo wurde 1971
nach dem Vorbild des Time-Magazine gegründet und entwickelte sich schnell zum beliebtesten
Magazin der wachsenden Mittelschicht. Hatte das Blatt in seinen Anfangsjahren die Politik Suhartos
noch unterstützt, wurde es später zunehmend kritischer und schließlich 1994 zusammen mit zwei
anderen Magazinen, Detik und Editor, verboten. Die Verbote führten zu einer unerwarteten Protestwelle und zur Gründung des „unabhängigen Journalistenverbandes“ Aliansi Jurnalis Independen
(AJI), der sich als Gegenbewegung zum staatstragenden Journalistenverband PWI verstand. AJIMitglieder und Tempo-Journalisten operierten teils aus dem Untergrund. So wurde ab 1996 das On25
26
27
28
66
Verleger Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004.
Chefredakteur Kompas, Interview, geführt am 07.10.2004.
Reporter Kompas.
Pantau war ein indonesischsprachiges Medienmagazin, das sich kritisch und fundiert mit der eigenen Branche auseinander setzte. Es wurde herausgegeben vom Institut für den freien Informationsfluss (ISAI). Nach
Finanzierungsschwierigkeiten wurde aus dem Special Interest-Magazin ein General Interest-Blatt, welches
kaum noch Medien-Themen zum Inhalt hat.
Pressefreiheit in Indonesien
line-Magazin Tempo Interaktif produziert. Einige Kollegen wechselten zu anderen Medien. TempoAlumnis bildeten ein effektives Netzwerk, das eng mit der Intellektuellen- und Aktivistenszene verflochten war.
Seit 1998 wird das Magazin wieder verlegt und hat heute einen Marktanteil im Magazinbereich
von 68%. PT Tempo Inti Media Tbk, das Unternehmen, zu dem neben dem Magazin Tempo auch
die Druckerei PT Temprint gehört, ging 2000 als erstes Medienunternehmen Indonesiens an die
Börse. Von den Einnahmen wurde die Zeitung Koran Tempo finanziert, die seit 2001 erscheint.
Koran Tempo ist für investigativen Journalismus bekannt, arbeitet mit unkonventionellen Layoutelementen und vielen Infografiken und spricht damit vor allem jüngere Leser der Mittel- und Oberschicht an. Knapp 80% der Leser sind zwischen 20-44 Jahren alt. Koran Tempo versteht sich wie das
Magazin als „Teil der Speerspitze der gesellschaftlichen Modernisierung Indonesiens“, als „Clearing
House“ und ist als progressives und demokratisches Medium auch im Ausland bekannt. TempoJournalisten wurden wegen ihres Engagements mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt. Tempo
hat im Gegensatz zu den drei anderen untersuchten Zeitungen keinen Mehrheitseigner. Das Unternehmen ist zu über 50% im Besitz von Stiftungen. Somit existiert bei Koran Tempo kein Verleger im
klassischen Sinne. Anteile am Unternehmen Tempo gehören der Firma PT Grafiti Pers, der Stiftung
Jaya Raya, der Stiftung 21. Juni 1994 und der Stiftung der Tempo-Mitarbeiter. 17% der Anteile werden an der Börse gehandelt. Aufsichtsratsvorsitzender ist der Tempo-Gründer Goenawan Mohamad.
Der Chefredakteur, Bambang Harymurti, ist Teil der Direktion.
Die befragten Tempo-Journalisten, vor allem jene, die auch bei Konkurrenzblättern Erfahrungen
gesammelt hatten, verwiesen auf eine „andersartige Unternehmenskultur“ und ein hohes Maß an
redaktioneller Unabhängigkeit. „Tempo unterscheidet sich von anderen Massenmedien. Hier gibt
es Werte, einen Idealismus, der vielleicht am freiesten von allen Medien ist. Das liegt daran, dass
es ein öffentliches Unternehmen ist und nicht von einer Hand regiert wird, wie einige andere Medien [...] Wir können hier schreiben, was wir richtig finden.“ 29
Auch bei Koran Tempo gibt es kein Redaktionsstatut oder eine Redaktionsvertretung. Die Zielorientierung der Betriebsgewerkschaft richtet sich, wie die ihrer Pendants bei anderen Medien, an sozialen Belangen aus. Über die Stiftung der Mitarbeiter als Aktionärin von Tempo kann die Belegschaft
jedoch Einfluss auf die Firmenpolitik nehmen. So wurde zum Beispiel eine Übernahme von Anteilen durch die Jawa Pos-Gruppe mit dem Argument einer dann drohenden Einflussnahme auf die
Berichterstattung abgelehnt. Konflikte in Bezug auf die soziale Versorgung der Mitarbeiter, versuchen Management und Gewerkschaft mit Hilfe von Transparenz und Diskussion zu lösen. Bei Personalfragen wie der Versetzung von Reportern oder der Bestimmung der Chefredaktion hat die Belegschaft nach Aussage der Betriebsgewerkschaft jedoch keine Mitspracherechte.
Die Gewissensfreiheit der Journalisten entspricht Tempos Selbstverständnis als Watchdog. Sie ist
zwar nicht in einer Art Statut verankert, wird aber von den befragten Journalisten als hoch einge-
29
Der Ressortleiter Inland war früher bei Republika, Interview, geführt am 17.10.2004.
67
Pressefreiheit in Indonesien
schätzt. Der Chefredakteur fordert und fördert individuelle Verantwortung seiner Journalisten:
„Wir regulieren uns selbst, ich nehme auch selten meine Prärogativrechte als Chefredakteur
wahr, mir ist es lieber, wir debattieren ein paar Stunden, und wenn es sein muss, stimmen wir ab.
Ein Veto zu benutzen, bildet nicht. Ich überzeuge lieber. Aber das geht nur, wenn alle Seiten offen
sind und zugeben können, dass sie falsch liegen. Der Geist einer Debatte ist wichtiger als ihr Ergebnis, vernünftige, überzeugende Argumente.“ 30
Die redaktionelle Unabhängigkeit bei Tempo verdeutlicht vielleicht am besten das Umgehen der
Verantwortlichen mit den Folgen der Berichterstattung über den Unternehmer Tommy Winata,
der Tempo wegen Verleumdung verklagt hatte. So sprach sich Anteilseigner und Vorstand Ciputra öffentlich für eine Versöhnung mit Tommy Winata aus. Bei einem Treffen mit dem Kläger
hatte Ciputra die Unausgewogenheit des Artikels und eine mangelnde Recherche der TempoJournalisten beklagt. Ciputra betonte in seiner Funktion als Vorsitzender von Jaya Raya, die Stiftung könne sich zwar nicht in Redaktionelles einmischen, er fordere jedoch Direktion und Redaktion auf, das Problem „friedlich, gerecht und nicht bloßstellend zu lösen“ und sich mit Tommy
Winata zu einigen. Eine solche Einigung wäre nur über ein Zurückziehen des Artikels möglich
gewesen, was von der Tempo-Redaktion abgelehnt wurde.
Für ein Medium mit hohem investigativen Anspruch ist die Pflege von exklusiven Quellen sehr
wichtig. Das bringt jedoch die Gefahr der Parteinahme von Reportern mit sich. Bei Tempo wird
daher keine Neutralität vom einzelnen Journalisten gefordert, sondern Ausgewogenheit als Gesamtergebnis im Blatt angesteuert. Durch die Postierung der Reporter kann eine Parteinahme zugunsten „vertrauter“ Quellen nicht völlig ausgeschlossen werden. Einer daraus resultierenden
Selbstzensur soll mittels Professionalisierung der Reporter, dem genannten mehrstufigen redaktionellen Prozess und mit Hilfe von Postenwechseln vorgebeugt werden: „Das ist ein Grund für
das häufige Rotieren unserer Reporter. Wenn jemand zu lange an einem Ort ist, werden sie anfällig für Kollusion. Polizeireporter zum Beispiel werden sehr häufig gewechselt. Und wir schulen
die Journalisten ständig. Aber ich denke, die Haltung von Tempo ist bekannt, so dass die Quellen
das vielleicht auch gar nicht so sehr versuchen.“ 31
Selbstzensur zugunsten von Besitzerinteressen wird bei Tempo abgelehnt. „Bei Tempo gibt es so
was nicht. [...] Bei Media Indonesia, wo ich früher war, ist der Besitzer zugleich Politiker und
Unternehmer. Seine Interessen spiegeln sich in der Berichterstattung. Er kann zensieren, sagen,
das Thema bringen wir nicht oder: das Thema treiben wir voran. Ich habe das erlebt, als ich noch
dort war.“ 31
Was äußere Einflüsse betrifft, bestätigt sich auch bei Tempo eine Verlagerung des Drucks von
Regierung und Militär zu gesellschaftlichen Akteuren. Außerdem sahen sich Magazin und Zeitung am stärksten von der Klagewelle der letzten Jahre bedroht (vgl. 3.2.1.). „Heute können wir
mutiger über Korruption schreiben. Aber die Gesellschaft weiß noch nicht, mit welchen Wegen
30
31
68
Chefredakteur, Koran Tempo, Interview, geführt am 14./15.10.2004.
Chef vom Dienst, Koran Tempo, Interview, geführt am 14.10.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
sie ihre Kritik an Medien anbringen kann, über den Presserat oder Leserbriefe. Deshalb kommt
es zu diesen Verleumdungsklagen, wie Tempo sie gerade erlebt. [...] Derzeit ist der direkte Druck
der Öffentlichkeit sehr deutlich. Die Leute kommen in die Redaktionen und fallen über Journalisten her, wenn ihnen was nicht passt, viele Medien haben das schon erlebt. Das gab es zu Suhartos
Zeit nicht. Da kam der Druck von Suharto, dem Militär und staatlichen Stellen. Die Politiker versuchen es natürlich heute auch noch, sie rufen den Chefredakteur an. Aber allzu sehr besorgt uns
das nicht, selbst wenn uns jemand verklagen will, dann muss er das eben machen.“ 31
Meinungsbetonte Darstellung ist Gegenstand einer wöchentlichen Konferenz, an der Vertreter der
Geschäftsführung, der Chefredaktion, der Chefs vom Dienst, Ressortleiter und Senior-Redakteure
von Magazin und Zeitung teilnehmen. „Meinung machen“ ist bei Koran Tempo Gemeinschaftsarbeit. In der Konferenz werden zunächst die Editorials der vergangenen Woche evaluiert. Danach
wird ein Plan für die Editorial-Themen und -Schreiber der kommenden Woche aufgestellt. Als Verfasser des täglichen Editorials fungieren Chefredakteur und Senior-Redakteure, manchmal aber
auch Außenstehende, die als zugehörig zur „Tempo-Community“ gelten. Dass darunter auch Politiker sind, wird wegen des gemeinschaftlichen Entscheidungsmechanismus für Meinungsartikel als
unproblematisch angesehen. Es seien schließlich keine persönlichen Ansichten, sondern die „Tempo- Linie“, die im Editorial vertreten würde.
Nebem dem Editorial werden in der Regel zwei Kommentare oder Analysen auf der Meinungsseite veröffentlicht, die von externen Experten geschrieben werden. Insgesamt verfasst nach
Schätzung des Leiters des Meinungsressorts ein Stamm von 7-8 Autoren etwa 10% aller Meinungsartikel. Dabei handelt es sich um Wissenschaftler oder Politiker, die sich je nach Thema
abwechseln. Für diese Beiträge gibt es keine Prärogative der Chefredaktion: „Die leiten zwar
manchmal ein Schreiben von Bekannten weiter und sagen, schau Dir das mal an, mischen sich
aber nicht ein.“ 32
Nach Aussage des Chefredakteurs hat Tempo ausreichende Mechanismen zum Schutz vor Interferenzen von Werbung und Inhalt. Es komme vor, dass während einer Investigativ-Recherche
seitens der Betroffenen versucht werde, mittels Anzeigenkäufen eine Veröffentlichung zu verhindern. „Bank Mandiri und BPPN haben ihre Werbung zurückgezogen, mich bekümmert das
nicht. [...] Bislang haben wir in der Redaktion keinen Grund, uns der Werbung zu beugen. Außer natürlich, wenn es um Supplements geht, die aber als Werbung deklariert sind. Wir diskutieren da oft, weil wir finden, dass diese Art von Werbung normalen Berichten zu ähnlich sieht.
Ich habe entschieden, dass da überall Werbung stehen muss. Früher haben wir das nicht gemacht. Das ist gefährlich.“ 33
Zugeständnisse würden lediglich gemacht, wenn es darum ginge, wie viel Platz man der Darstellung der Position eines Werbekunden in der Berichterstattung einräumt. „Wir verhandeln
aber nicht direkt mit denen, sondern mit der Anzeigenabteilung. Die sagen, wir kriegen von
32
33
Ressortleiter Meinung Koran Tempo, informelles Gespräch, 13. Oktober 2004.
Chefredakteur, Koran Tempo, Interview, geführt am 14./15.10.2004.
69
Pressefreiheit in Indonesien
denen eine große Anzeige, könnt ihr mal bitte nichts Negatives schreiben. Vor allem vom Marketing kommt das. Manchmal kümmern wir uns nicht drum. Manchmal wird aber auch verhandelt. Wir verringern dann nicht unsere Kritik, aber lassen sie vielleicht mehr zu Wort
kommen. Generell wird eine Einmischung der Werbung verweigert, vor allem vom Inlandsund vom Wirtschaftsressort.“ 34
Anzeigen und Redaktion seien bei Tempo getrennt und er kümmere sich lediglich um das Redaktionelle, heißt es vom befragten Reporter. Für die Anzeigenabteilung sei das mitunter schwer zu
akzeptieren. In diesem Sinne äußert sich auch der CvD: „Die Werbeabteilung jammert manchmal: ‚Das ist unser Kunde, müsst ihr dauernd über den schreiben?’ Aber damit müssen wir leben
als Zeitung, die Ideale hat. Zum Beispiel haben wir mal über falsche Telefonabrechnungen der
Telkom in Bandung geschrieben. Telkom ist ein großer Werbekunde, die fühlten sich von uns bekämpft und die Werbeabteilung fragte, ob wir das stoppen können. Wir haben uns auf unsere redaktionelle Entscheidungsfreiheit berufen. Das wissen die Werbekunden von Tempo eigentlich
auch, dass sie es mit einer unabhängigen Zeitung zu tun haben.“ 35
5.3
Media Indonesia
Einhergehend mit Deregulierungsmaßnahmen auf dem indonesischen Markt in den 1980er
Jahren kam es auch zur Entstehung von Verlagen, die nicht von Journalisten gegründet und
geführt wurden. Die Geschichte von Media Indonesia36 geht auf die Investitionen eines Unternehmers zurück, der zuvor bereits in anderen Wirtschaftsbereichen sehr erfolgreich Firmen
aufgebaut hat: Surya Paloh. Er hält 100% der Anteile und führt die Geschäfte der Media Indonesia-Gruppe, zu der neben Media Indonesia noch zwei Lokalzeitungen und der Fernsehsender Metro TV gehören. Surya Paloh hat außerdem Unternehmen im Hotelwesen, ist im
Marmorgeschäft aktiv und baute mit Indocater äußerst erfolgreich eines der größten CateringUnternehmen des Landes auf.37 Dank eines innovativen Layouts der zeitweise bis zu zwölf herausgegebenen Zeitungen, einer direkten Sprache, aggressiver Marktstrategien und dank einer
im Wirtschaftsboom der frühen 1990er Jahre wachsenden Mittelschicht, expandierte Palohs
Verlagshaus, PT Surya Persindo schnell. Media Indonesia verkauft sich vor allem auf der
Straße und experimentiert stärker mit grafischen Elementen als beispielsweise Kompas.
Manchmal neigt die Zeitung beinahe zum Boulevard-Layout. Ein Schwerpunkt des Blattes ist
die Wirtschaftsberichterstattung. Media Indonesia hat eine junge38 und sehr solvente39 Leserschaft. Auffallend ist der hohe Männeranteil unter den Lesern: 87%.40 Auch in der Redaktion
34
35
36
37
38
39
40
70
Ressortleiter Inland, Koran Tempo, Interview, geführt am 17.10.2004.
Chef vom Dienst, Koran Tempo, Interviewmitschrift aus Interview, geführt am 14.10.2004.
Die Zeitung wurde bereits 1969 gegründet, jedoch erst 1989 nach der Übernahme durch Surya Paloh wirtschaftlich erfolgreich, dessen Lizenz für die Zeitung Prioritas zuvor von der Regierung entzogen worden war.
Eine Biographie des Unternehmers weist ihn darüber hinaus als Besitzer des Bali Intercontinental Hotels
sowie des Sheraton-Media in Jakarta aus, außerdem als Besitzer und/oder Mitglied der Geschäftsführung in
mehr als einem Dutzend weiterer Firmen (Hisyam: 2001).
Nur 14% der Leser sind über 45 Jahre alt, Quelle: Leserprofil Media Indonesia, http://www.mediaindo.co.id.
44% geben mehr als 2,5 Mio. Rupiah (230 €) im Monat aus.
Bei Kompas sind 76,4% der Leser männlich, bei Koran Tempo 66%, für Republika liegen keine Zahlen vor.
Pressefreiheit in Indonesien
von Media Indonesia arbeiten nur etwa 15% Frauen.41
Der Verleger von Media Indonesia, Surya Paloh, fungiert als Geschäftsführer und legt die
publizistische Linie des Blattes fest. Surya Paloh hat selbst keinen journalistischen Hintergrund. Die tagesaktuelle Verantwortung bei Media Indonesia trägt der vom Verleger eingesetzte Chefredakteur. Dieser beschreibt seinen Chef zunächst als Idealisten: „Wir haben
Glück, mit jemandem zu arbeiten, der einen hohen Idealismus im Bereich Presse hat. Surya
Paloh bekommt hier kein Gehalt. Jede Einnahme investiert er zurück in Metro TV und Media
Indonesia. Er hat hier nie Geld abgeschöpft, das ist Teil seines Idealismus. Wenn wir über
Kämpfe zwischen Redaktion und Unternehmen sprechen, gewinnt immer die Redaktion. Wenn
wir Angst davor haben, einen Kunden zu verlieren, sagt er, das macht nichts.“ 42
Der Verleger sucht die Autoren für die Leitartikel aus.43 Er hat ein Prärogativrecht zu Inhalt und
Linie des Leitartikels. Der Verleger hat auch das Recht, Berichte zu stoppen oder zu verändern.
Im Gegensatz zu dem Idealisten-Bild, das der Chefredakteur vom Verleger entwirft, werfen
Kritiker Surya Paloh einen exzessiven Gebrauch der eigenen Medien für seine politischen Ziele
vor. Der bereits in jungen Jahren für die Golkar-Partei amtierende Unternehmer44 scheiterte
2004 mit einer Präsidentschaftskandidatur. Das Institut für Medien- und Entwicklungsstudien
(LSPP), das Inhaltsanalysen zur Wahlberichterstattung durchführte, konstatiert die Verwendung
von Media Indonesia „als Instrument der Wahlkampagne zur Unterstützung seines Besitzers“
(LSPP 2004). Inhaltsanalysen der Wahlkampf-Berichterstattung im Fernsehen durch das Institut
zeigten ebenfalls eine deutliche Gewichtung der Programmdauer in Surya Palohs Metro TV zugunsten von Golkar (Muhammad 2004). Surya Paloh selbst geht offensiv mit seiner Art der publizistischen Einflussnahme um: „Ich gebe zu, ich benutze Metro TV und Media Indonesia. Was
sonst sollte ich tun? Wenn das einem Journalisten nicht gefällt, warum wird er dann Journalist
bei Media Indonesia oder Metro TV? Ich bin kein Heuchler.“ 45
Die befragten Redaktionsmitglieder berichten über Zielkonflikte, die sich vor allem in Wahlkampfzeiten aus dem politischen Engagement des Verlegers und dem publizistischen Interesse
der Redaktion ergeben: „Als er [Surya Paloh] kandidierte, war sein Einfluss auf die Berichterstattung darüber sehr stark spürbar. Nicht nur bei Texten auch bei Fotos gab es Instruktionen,
welche genommen werden müssen [...] Er [S.P.] selbst würde das auch nicht abstreiten, dass er
41
42
43
44
45
Bei Kompas und Koran Tempo arbeiten etwa 30% Frauen, bei Republika etwa 20% (Quelle: Personalabteilungen). Hanitzsch (2003: 275) hat für die überregionalen Tageszeitungen einen durchschnittlichen Frauenanteil von 33,3% ausgemacht. Aufgrund der mit dieser Arbeit erhobenen Zahlen muss vermutet werden, dass
der tatsächliche Anteil darunter liegt, es sei denn, er läge bei den nicht untersuchten überregionalen Zeitungen
(Sinar Harapan, Suara Pembaruan, Bisnis Indonesia und Jakarta Post) bei jeweils über 40%.
Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Festes Team von Schreibern, tägliche Abwechslung.
Surya Paloh kandidierte 1971 im Alter von 20 Jahren erstmals für Golkar für einen Sitz im Regionalparlament von Nordsumatra und saß von 1977-1987 für Golkar in der beratenden Volksversammlung MPR. 2004
war er einer von fünf Kandidatenanwärtern seiner Partei für die Präsidentschaftswahl, wurde aber nicht nominiert. Danach wollte er für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren, zog diese Kandidatur aber später
zugunsten des Vizepräsidenten Jusuf Kalla zurück.
Zitiert nach Harsono (2004), Übersetzung aus dem Indonesischen A.K., Es ist der Autorin trotz zahlreicher
Versuche nicht gelungen, einen Interviewtermin mit Surya Paloh zu bekommen.
71
Pressefreiheit in Indonesien
seine Medien für seine Kampagne als Präsidentschaftskandidat benutzt.[...]Wenn wir andere,
wichtige Berichte canceln müssen, um Berichte über ihn zu bringen, ist das nicht vernünftig. Die
armen Reporter, die gehen mit Enthusiasmus an die Berichterstattung, finden Interessantes über
andere Kandidaten, und dann steht auf Seite 1 nur eines. Psychologisch gesehen ist das nicht gut.
Es ist nicht ethisch.“ 46
Für die Journalisten ergibt sich ein Gewissenskonflikt. Der Ethik-Code verpflichtet sie auf das öffentliche Interesse, auch in den Unternehmensrichtlinien sind Ursachen für Interessenkonflikte
klar geregelt. Gleichzeitig verpflichten die Unternehmensregeln zur Loyalität gegenüber dem Besitzer (Media Indonesia 2003). In der Bewertung des Verleger-Einflusses auf redaktionelle Entscheidungen gibt es Unterschiede und Widersprüche bei den befragten Redaktionsmitgliedern:
„Diese Kritik [des Missbrauchs des eigenen Mediums für politische Zwecke] ist berechtigt. Die
Sorge, dass Medien für politische Zwecke missbraucht werden, gibt es überall. Das ist ja auch
normal, ihm gehört es. So lange das nicht in Zwang ausartet, ist das okay. [...] Zum Beispiel bei
der Wahl, als es darum ging, was wir bringen oder welche Aufhänger man wählt, da wurde er
manchmal konsultiert. Vor allem als wir in der zweiten Runde relativ viel Raum für SBY [Susilo
Bambang Yudhoyono] gegeben haben, da gab’s intern auch Proteste. [...] Idealistisch gesehen
wünsche ich mir, dass Media Indonesia unabhängig bleibt, von der SBY-Unterstützung wieder zu
ihrer Ausgangsposition zurückkehrt. Auch wenn es Übereinstimmung in manchen politischen Zielen gibt, wäre es gut, eine kritische Haltung anzunehmen.“ 47
Der Chefredakteur sieht im Gegensatz zu seinen anfänglichen Äußerungen vom Verleger als Idealisten ebenfalls Konfliktpotential in den beiden Rollen seines Vorgesetzten als Politiker und
Verleger und kritisiert ihn dafür. Für die politischen Motive äußert er jedoch Verständnis: „Versuchen wir es mal, aus seiner Sicht zu sehen. Er hat sich für eine Kandidatur entschieden, weil er
der Meinung ist, dass Medien als Kontrollinstrument nicht fähig sind, etwas zu verändern [...] Jeder kritisiert jeden, alle sind unbelehrbar niemand kennt Scham, die Regierung ist weiterhin korrupt [...] Ich habe ihm gesagt, er muss beachten, dass er Medienbesitzer ist. Wenn er kandidiert,
werden wir parteiisch sein [...] Ich habe dem Wahlkampfteam ein paar Mal gesagt, das ist zu viel.
Die Leute sind es leid, ihn im Fernsehen zu sehen. Aber Surya Paloh hat gesagt, um zu gewinnen
und so lange wir anderen Leuten nicht verbieten, Media Indonesia zu benutzen, müssen wir das
ausnutzen. Er sagte: „Ich verbiete doch nicht, auch über meine politischen Gegner zu berichten.
Aber das hier gehört mir. Warum soll ich also nicht die größere Portion bekommen? Jeder will
doch gewinnen“ 48
Damit verstoßen die Journalisten auf Geheiß des Verlegers gegen die vom eigenen Unternehmen
schriftlich niedergelegten Regeln.49 Der Chefredakteur äußert zum einen Verständnis dafür, dass
46
47
48
49
72
Reporter Media Indonesia.
Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.
Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Im hauseigenen Handbuch für Journalisten heißt es zum Thema Ausgewogenheit: „Wird einer Seite Raum
gegeben, muss die Meinung der Gegenseite den gleichen Raum bekommen“ (Media Indonesia 2000: 13).
Außerdem sollen keine für den Leser wichtigen Informationen zugunsten weniger wichtiger, aber mit be-
Pressefreiheit in Indonesien
der Verleger sein Blatt als Plattform für seine Wahlkampagne benutzt. Er fühlt sich jedoch auch
in seiner journalistischen Professionalität gestört und berichtet von häufigen Konflikten mit dem
Wahlkampfteam des Verlegers.
In „Normalzeiten“ scheint der tagesaktuelle Verlegereinfluss geringer zu sein. Neben den politischen Ambitionen sorgen jedoch auch geschäftliche Interessen des Verlegers und dessen Versuche, redaktionelle Entscheidungen zu überstimmen, für Diskussionen: „Wir haben über die Umweltverschmutzung eines Unternehmens berichtet, Surya Paloh steht denen nahe, es gibt geschäftliche Interessen. Wir wollten einen Journalisten dahin schicken, um zu recherchieren. Er wollte
wissen, wer hinfährt. Ich sagte: ‚Journalist A’ und er sagte: ‚Die wollen aber Journalist B’. Die
Konferenz hatte A entschieden und er befahl B. [...] Wir hatten einen großen Streit, ich sagte ihm,
er könne mich entlassen, wenn er wolle. Es ist nicht leicht, er hat das Vorrecht. Er kann es aber
auch nicht nach Belieben einsetzen, weil wir uns wehren. Surya Paloh ist ein demokratischer
Mensch, man kann mit ihm so streiten.“ 50
Bei Media Indonesia gibt es weder Mitarbeiteranteile noch eine Gewerkschaft. Bei einer Mitgliederversammlung vor einigen Jahren sprach sich die Mehrzahl der Mitarbeiter gegen die Gründung
einer Gewerkschaft aus. Der Ressortleiter Inland begründet das zum einen damit, dass sich möglicherweise die Mitarbeiter bei Media Indonesia nicht mit denen anderer Unternehmen auf eine
Stufe stellen wollten51. Verleger und Chefredakteur befürworten jedoch auch keine Gewerkschaft.
„Es gab mal das Bestreben, eine Gewerkschaft zu gründen. Surya Paloh hat gefragt, welches Ziel
sie hätte. Soll sie eine Brücke sein, um die Probleme von Mitarbeitern mit dem Management zu
besprechen? Er fragte: ‚Habt Ihr einen Chef, der schwer zu treffen ist, mit dem man nicht reden
kann? Wenn nicht, wofür braucht ihr also eine Gewerkschaft?’ Wir haben das also als nicht so
relevant empfunden, weil alle Probleme direkt adressiert werden können, es gibt da keine Bürokratie, keine Trennmauer. Es gab auch den Verdacht, dass eine Gewerkschaft politisiert würde,
dass sie die Leute nicht produktiver macht, sondern im Gegenteil, dass sie so beschäftigt mit ihren
Rechten sind, dass sie vergessen, zu arbeiten. Das wäre störend.“ 52
In den Augen der befragten Journalisten genießt die Idee einer Mitarbeitervertretung hohe Priorität, „damit das Unternehmen nicht nach Belieben mit den Mitarbeitern verfahren kann“.53 Für einen neuen Versuch zur Gründung eines Betriebsrates, bedürfe es möglicherweise Kollegen, „die
ein erstes Opfer bringen“. Schließlich seien nach dem einstigen gescheiterten Versuch die Initiatoren der Gewerkschaftsidee im Unternehmen „langsam an den Rand gedrängt“ worden.54
Bei Media Indonesia gibt es zwar den Redaktionsrat Dewan Redaksi, dieser ist aber weder von
der Redaktion gewählt, noch steht er für redaktionelle Mitspracherechte. „Der Rat besteht aus
den Eliten, den leitenden Mitarbeitern bei Media, Metro TV und Lampung Post. Sie sind nicht
50
51
52
53
stimmten Interessen versehenen Informationen ins Blatt kommen (a.a.O.:14, Übersetzungen A.K.).
Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.
Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.
73
Pressefreiheit in Indonesien
gewählt – wenn man einen Leitungsposten hat, ist man automatisch da drin. Die Aufgabe ist, Lösungen für Probleme zu suchen. Die können zweierlei Art sein: der Verstoß gegen redaktionelle
Vorschriften, also Probleme der Professionalität beim Schreiben oder Verstöße gegen ethische
Normen.“ 55
Es gibt ebenfalls kein Redaktionsstatut, in dem Rechte und Pflichten speziell für die Redaktion
und Kompetenzabgrenzungen des Verlags festgeschrieben wären. Da es weder eine gewerkschaftliche Interessenvertretung noch die Möglichkeit der Einflussnahme über Mitarbeiteranteile
gibt, müssen Konflikte individuell gelöst werden. „Wir müssen selber mit der Personalabteilung
reden, wenn wir denken, dass unsere Rechte verletzt werden. In meinem ersten Jahr gab es noch
eine Konferenz der Reporter mit dem Chefredakteur, der nahm ihre Vorschläge auf, wollte ihre
Schwierigkeiten hören. Zum Beispiel, wenn wir mehr Telefonzuschuss brauchten. Das wurde aufgenommen und an die Personalabteilung weitergegeben. In diesem Jahr gab es das nicht mehr.“
Ein Mitspracherecht der Redaktion bei der Besetzung der Chefredaktion gibt es nicht. So war der
Vorgänger des amtierenden Chefredakteurs sehr beliebt und stand für ein transparentes Redaktionsmanagement.57 Mit dem Wechsel des Chefredakteurs scheinen sich die Mitsprachemöglichkeiten
für die Journalisten verschlechtert zu haben. Ein Reporter berichtet von einer versprochenen Gehaltserhöhung, die die Journalisten auch nach längeren Diskussionen mit der Personalabteilung
nicht bekommen haben. Unter dem Mangel an Mitbestimmung leidet die Identifizierung mit den
Unternehmenszielen: „Deswegen werde ich auch selektiv, wenn ich einen Auftrag bekomme, wo ich
draufzahle. Warum sollen wir uns aufopfern für den Besitzer des Kapitals, wenn wir nicht mal ein
Forum bekommen, wo wir uns äußern können? Das ist nicht fair. Und wenn wir zur Personalabteilung gehen, verschwindet das Problem in irgendeiner Schublade.“ 58
Solche Vermeidungsstrategien werden auch deutlich, wenn es um die Rekrutierung von Journalisten für die politische Agenda des Verlegers geht. Da eine kontroverse Diskussion über die ethische Vertretbarkeit des Verlegeranspruchs für die Journalisten kaum möglich ist, und es kein
Gremium der Interessenvertretung gibt, wird das Problem umgangen: „Ich arbeite hier und werde
vom Besitzer bezahlt. Der muss aber auch sehen, dass seine Mitarbeiter einen Wert darstellen.
Wenn ich also eine private Meinung habe, muss ich dafür auch einstehen können. [...] Wir sollten
vertreten, was wir für richtig halten. [...] Dieses spezielle Team [gemeint ist eine während des
Wahlkampfes zur Berichterstattung über den Verleger abgestellte Gruppe] gab es, ich habe es
aber immer verhindern können, da mitzumachen. [...] Ich habe immer einen anderen Grund gefunden oder ich war eben weg und bin nicht ans Telefon gegangen. Wie sollen wir das sonst ma-
54
55
56
57
58
74
Reporter Media Indonesia.
CvD, Media Indonesia, Interview, geführt am 29.10.2004.
Reporter Media Indonesia.
Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.
Reporter, Media Indonesia.
Pressefreiheit in Indonesien
chen? Wir haben da doch auch eine emotionale Bindung [zum Verleger], was Schlechtes könnten
wir gar nicht schreiben.“ 59
Selbstzensur ist bei Media Indonesia massiv vom Verleger forciert, wenn es um dessen direkte
politische oder unternehmerische Interessen geht. Besonders deutlich wurde das – wie beschrieben – während der Wahlen 2004. Da es keine schriftlichen Vereinbarungen zum Gesinnungsschutz gibt, kann die Redaktion sich diesem Druck nicht kollektiv entziehen. Wie die Aussagen
von Chefredakteur oder Reporter zeigen, scheinen individuelle Lösungen zur Wahrung redaktioneller Interessen durch Diskussion oder Vermeidungsstrategien jedoch möglich.
Bei Media Indonesia entscheidet der Verleger, wer Editorials verfassen darf. Es gibt ein Team
von Schreibern aus Vertretern der Redaktionsleitung von Media Indonesia, der Schwesterzeitung
Lampung Post und dem zur gleichen Gruppe gehörenden Fernsehsender Metro TV. In der Verantwortung des Meinungsredakteurs steht die Auswahl der von „draußen“ eingesandten Kommentare und Analysen sowie der Leserbriefe. Täglich bekommt er etwa 30 Kommentarangebote,
aus denen er nach Aktualität, Relevanz und Vertrauensverhältnis zum Schreiber 60 auswählt. Auch
Media Indonesia hat einen festen Stamm von Experten, die regelmäßig Analysen beziehungsweise Kommentare verfassen. Eine Evaluierung der veröffentlichten Kommentare findet nach Aussage des Meinungschefs alle zwei Wochen durch ein Team aus verschiedenen Ressorts statt.
Meinungsbetonte Darstellungsformen finden sich außer auf der Meinungsseite auch auf den Ressortseiten. Hier obliegt die Auswahl den jeweiligen Ressorts. Der Meinungschef wählt auch die
Leserbriefe aus. Media Indonesia druckt unter dieser Rubrik weniger Briefe ab, die sich mit der
Berichterstattung oder aktuellen Themen befassen, sondern vor allem Beschwerdebriefe. „Wir
helfen damit, Probleme zu lösen“, so die Begründung des Meinungschefs.
Das scheint jedoch nur gültig, sofern nicht die Interessen der Anzeigenabteilung berührt werden.
Diese muss konsultiert werden, sofern in Leserbriefen der Service von einem von zwölf Unternehmen bemängelt wird, die in einem internen Memo aufgeführt sind.61 Da es sich im Untersuchungszeitraum um eine erst wenige Tage alte Anweisung handelte, war noch nicht zu erfahren,
wie mit ihr konkret umgegangen wird. Der betroffene Redakteur sieht den Zielkonflikt jedoch
voraus: „Wenn ich es mir einfach machen will, schmeiß ich solche Leserbriefe einfach in den Papierkorb. Aber unsere Leser haben ja auch ein Recht, sich zu äußern.“ 62
Die Einflussnahme der Anzeigenabteilung in den redaktionellen Ablauf zeigt sich bei Media Indonesia auch daran, dass einer ihrer Mitarbeiter bei Redaktionskonferenzen anwesend ist. Ihr Einflussgrad auf das Redaktionelle wird als abhängig vom öffentlichen Interesse einer Berichterstattung
bezeichnet. Wünsche von Werbekunden sind demnach verhandelbar, so lange sich die Zeitung nicht
der Gefahr einer Vertuschung von Skandalen aussetzt: „Wir sind zu Kompromissen bereit, wenn es
59
60
61
62
Reporter, Media Indonesia.
„Die Auswahl der Meinungsartikel ist sehr verantwortungsvoll, weil wir damit Meinung beim Leser bilden.
Ich muss dem Schreiber vertrauen können.", Ressortleiter Meinung Media Indonesia, Gespräch, 26.10.2004.
Memo vom 22.10.2004. Es handelt sich um große Werbekunden vor allem aus dem Automobilsektor.
Ressortleiter Meinung Media Indonesia, informelles Gespräch, 26.10.2004.
75
Pressefreiheit in Indonesien
sich nicht um Berichte handelt, die von hohem öffentlichem Interesse sind. Wir kommen Wünschen
nach, wenn jemand sein Gegendarstellungsrecht in Form eines speziellen Interviews wahrnehmen
will. Es gab zum Beispiel mal einen Konflikt zwischen einem großen Unternehmen und seinen mehreren tausend Mitarbeitern. Das Unternehmen versprach uns Anzeigen, wenn wir den Bericht darüber nicht bringen. Aber diese Sache war zu groß.“ 63
Was den Grad der Einflussnahme seitens der Anzeigenabteilung angeht, unterscheiden sich die
Aussagen von Chefredakteur und Politik-Ressortleiter. Bei beiden wird jedoch die Auftragsgröße
als Kriterium für Veröffentlichungsentscheidungen genannt. „Die Anzeigenabteilung ist da sehr
schlau, die kommen und sagen, wir haben da jemanden Wichtigen. Ich schaue immer, was davon
Nachrichtenwert hat. Die Anzeigenabteilung ging so weit, dass wir sie zusammengerufen und gesagt haben, dass aber die Entscheidung über die Berichterstattung immer noch bei uns liegt.
Wenn es wirklich ein außergewöhnlich großer Kunde ist, können sie uns Vorschläge machen. Aber nicht, wenn jemand nur ein oder zweimal Werbung schaltet. Sonst haben wir ja irgendwann
nur noch kommerzielle Werte.“ 64 „Die Werbung ist bei der Nachmittagskonferenz dabei. Wenn
ein Bericht vorgeschlagen wird, der eine direkte Verbindung zu den Werbekunden aufweist, melden die Bedenken an. Das kommt über ein internes Memo [muss der Chefredakteur absegnen].
Normalerweise verliert die Redaktion. Außer der Anzeigenkunde wird als so klein eingeschätzt,
dass es die Sache nicht wert ist.“ 65
Cross Promotion findet auch bei Media Indonesia und Metro TV statt. Jeden Morgen wird beispielsweise im Metro TV das Editorial von Media Indonesia verlesen, ohne dass dies als Werbung
gekennzeichnet wäre.
5.4
Republika
Republika ist die einzige Überlebende einer Reihe islamischer Tageszeitungen, die mit dem Aufstieg einer zunehmend islamisch geprägten Mittelschicht in den 1990er Jahren entstanden waren.
Die Zeitung wurde 1993 von der Organisation Muslimischer Intellektueller (ICMI) gegründet, die
51% der Anteile hielt. Das Entstehen von Republika als Sprachrohr islamischer Interessen spiegelt
die politischen Entwicklungen jener Zeit wider. Suharto versuchte, seine schwindende Macht mit
der Kooptation der islamischen Elite zu konsolidieren. Am deutlichsten verkörpert B.J. Habibie den
Aufstieg der bis in die 1980er Jahre von Suharto an den Rand gedrängten islamischen Politiker. Der
in Deutschland ausgebildete Flugzeug-Ingenieur wurde zunächst Forschungsminister und später Vizepräsident, bevor er 1998 Suharto als Präsident ablöste.
Republika war bis 2000 vorrangig ein Partisanenblatt für die islamische Sache und ihre Vertreter,
gesponsert von einflussreichen islamischen Geschäftsleuten. Habibie ernannte Chefredakteur und
Geschäftsführer (zunächst in Personalunion). Republika hatte eine schnell wachsende Auflage,
ging 1995 als erste indonesische Zeitung ins Internet und führte 1997 ebenfalls als erste ein Fern63
64
65
76
a.a.O.
Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.
Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
drucksystem ein.66 Dem parteiischen Charakter wurde der Geschäftssinn untergeordnet. Die Zeitung hat seit ihrer Gründung keine Gewinne gemacht. Zumindest hat sie jedoch bis heute überlebt
– anders als die meisten islamischen Printmedien der letzten Jahre, die wegen eines schlechten
Managements einen „langsamen und schmerzlichen Tod“ starben (Soekanto 2004).
Mit der Ablösung Habibies als Präsident und dem schwindenden Einfluss von ICMI auf der politischen Bühne begann für Republika die Suche nach Alternativen. Im Jahr 2000 erwarb Erick Thohir
mit der Mahaka-Gruppe die Mehrheit der Anteile. Republilka wendet sich mit Themenseiten wie
Scharia-Wirtschaft oder dem 16-seitigen wöchentlichen Tabloid „Freitagsdialog“ an die islamische
Mittel- und Oberschicht. Nur eine der 117 RedaktionsmitarbeiterInnen ist Nicht-Muslimin. Die Verbreitung des Blattes konzentriert sich, wie bei den anderen untersuchten Zeitungen, auf Java.
Seit 2000 hält Erick Thohir die meisten Anteile an Republika. Wie sein Pendant bei Media Indonesia ist der Republika-Verleger kein Journalist. Der 36-Jährige entstammt einer einflussreichen
Unternehmerfamilie und gründete mit 24 Jahren mit Mahaka sein eigenes Unternehmen. Mahaka
hat mehrere Töchter, die im Steinkohle- und Kreideabbau aktiv sind oder als Handelsgesellschaften sowie Bauunternehmen fungieren. Inzwischen ist Republika Teil der börsennotierten Holding
Abdi Bangsa. Erick Thohir ist ebenfalls Vorstandschef der Holding. Er verschrieb der ehemals
subventionierten Zeitung ein gewinnorientiertes Management. Seit 2000 gab es mehrere Rationalisierungswellen und vier Chefredakteurswechsel.67
Der Verleger bezeichnet seine Motivation, im Medienbereich zu investieren, als rein geschäftlich
und geht davon aus, dass Unterhaltung als Inhalt zukünftig in den Medien die dominierende Rolle
spielen wird. Politische „Ausflüge“ lehnt er für seine Person mit dem Verweis auf die dann möglicherweise entstehenden Interessenkonflikte für die von ihm geführten Unternehmen ab.68
Was Inhalte betrifft, steht Thohir für ein gemäßigtes Auftreten69 und eine Stärkung der unterhaltenden Beiträge im Blatt.70 Eine völlige Veränderung der Blattlinie in Richtung säkulare Zeitung
halten sowohl Verleger als auch Chefredakteur zwar für theoretisch möglich, lehnen sie mit dem
Verweis auf den Markt jedoch ab: „Die Besitzer kontrollieren die Medien. Ob die Öffentlichkeit
deren Richtung akzeptiert, ist eine andere Frage, das Volk ist ja nicht dumm, die kaufen nur die
Medien, die sie auch interessieren. Natürlich kann der Besitzer sagen, ab nächstem Jahr sind wir
keine muslimische Zeitung mehr, ich kann alle Mitarbeiter feuern und neue einstellen. Aber ob
der Markt das akzeptiert?“ 71
Neben seinem unternehmerischen Engagement in eigenen Firmen, hält Thohir Positionen in Un66
67
68
69
70
71
Auflage 1993: 100.000, 1994: 165.000 (Sofyan: 2002).
Nach Angaben des Verlegers wurden in der Redaktion 40 Mitarbeiter entlassen (Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12.2004).
a.a.O.
Der Verleger bezeichnet Republika als Segmentblatt für moderate Muslime.
Kulturell betrachtet muten zwei Neuerungen zunächst paradox an, die der Verleger einführte, eine Walt
Disney-Rubrik und Berichte über die Scharia-Wirtschaft. Ökonomisch gesehen sind beide in Indonesien
sehr verkaufsträchtige Themen.
Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12.2004.
77
Pressefreiheit in Indonesien
ternehmen seiner Familie, zum Beispiel als Zweiter Geschäftsführer des Steinkohleförderers PT
Allied Indo Coal.72 Zum Interessenkonflikt könnte außerdem beispielsweise die Tätigkeit des
Verlegers als Vorsitzender des indonesischen Basketballbundes und Besitzer des Basketballklubs
Satria Muda Britama führen. Für deren Veranstaltungen braucht er Publicity. In der Redaktion
sollte jedoch die Auswahl, ob und wie man berichtet, an der Relevanz der Veranstaltung gemessen werden. Auch bei Berichten über andere Firmen des Unternehmers oder seiner Familie kann
es zu diesen Interessenkonflikten kommen. So erfährt der Leser beispielsweise nicht immer, wenn
im Blatt der Name Erick Thohir fällt, dass es sich um den Verleger handelt. Der Ressortleiter Inland begründet das so: „Wir schreiben das nicht hin, weil wir das nicht müssen. Es hat ja auch
keine Verbindung zu dem Artikel. Wenn wir zum Beispiel etwas über den Basketballbund schreiben, dessen Vorsitzender Erick Thohir ist. Da schreiben wir auch nicht, dass er der Besitzer von
Republika ist. Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Der Leser könnte ja dann denken,
dass es ein eigens platzierter Artikel ist.“ 73
Auf ökonomische Interessen der Anteilseigner wird bei redaktionellen Entscheidungen Rücksicht
genommen. Von den befragten Journalisten wird dem in einem gewissen Rahmen Verständnis
entgegengebracht: „Wichtig ist, wie wir damit umgehen, ohne von ihnen herumkommandiert zu
werden. Dafür braucht es Diskussion mit dem Besitzer, damit man eine Einigung erreicht. Bei
Republika gibt es ein paar Sachen, da bin ich direkt involviert. Da macht der Besitzer direkte
Vorschläge, wie die Berichterstattung auszusehen hat. Wenn die Vorschläge gut sind, haben wir
da nichts dagegen. Jeder darf uns Vorschläge machen, wenn sie gut sind. Aber es muss eine Debatte darüber möglich sein.“ 74
Als Beispiel nennt er eine Diskussion bei der Sonntagsausgabe. Der Besitzer habe verlangt, dass
ein Interview mit einem Geschäftspartner an exponierter Stelle veröffentlicht werden solle. Die
Redaktion habe ihm die Kriterien erklärt, die ein ganzseitiges Interview rechtfertigten. Der Verleger habe daraufhin Verständnis geäußert und keinen Zwang ausgeübt. Auf die Frage, ob den Verlegerinteressen in bestimmten Rubriken Rechnung getragen werden könne, heißt es: „Das geht
auf allen Seiten. Wir versuchen, dem Rechnung zu tragen, ohne unseren journalistischen Standard und unseren Ruf aufzugeben. Ich weiß nicht, ob auf lange Sicht die Öffentlichkeit protestieren wird, weil wir uns dessen vielleicht irgendwann nicht mehr bewusst sind. Es gibt Kompromisse, zum Beispiel wenn die Vertriebsabteilung gute Beziehungen zu bestimmten Unternehmen hat,
und die bitten uns, denen mit Berichterstattung einen Dienst zu erweisen. Es gibt seit 2003 ein
Konzept, eine Seite mit Nutzwertjournalismus zu machen, also keine harten News [...] Diese Service-Seite berichtet über Aktivitäten von Unternehmen. Da fließen die Vorschläge der Direktion
und des Besitzers auch mit ein. Journalistisch gesehen sind das nicht die aufregenden Geschichten, aber sie finden viele Leser.“ 74
72
73
74
78
Homepage, Vereinigung indonesischer Steinkohleförderer, http://www.apbiicma.com.
Ressortleiter Inland, Republika, Interview, geführt am 02.11.2004.
a.a.O.
Pressefreiheit in Indonesien
Trotz der inhaltlichen Vorschläge sei die Unabhängigkeit der Redaktion vorhanden, so der Ressortleiter. Bei der Bewertung des Verlegereinflusses durch die befragten Reporter fällt auf, dass
anscheinend nicht nur eine höhere Position zu einer höheren Akzeptanz führt, sondern auch eine
längere Betriebszugehörigkeit. Von einem seit neun Jahren bei Republika angestellten Reporter
wird die Einflussnahme des Verlegers als im normalen Maß liegend bezeichnet,75 während ein
Nachwuchsreporter sich zu den genannten „Nutzwert“-Seiten kritischer äußert.76 Erick Thohir
persönlich betrachtet seinen Einfluss mit einem Verweis auf die Telefonkultur während der Diktaturzeit selbstironisch: „Wer heute anruft, sind die Besitzer bei ihren eigenen Medien, wenn was
über sie drinsteht. Das passiert überall auf der Welt. Man kann es ihnen nicht verbieten, sie sind
ja die Besitzer. Die Öffentlichkeit wird darüber richten.“ 77
Republika hat eine Betriebsgewerkschaft78 und als einziges der untersuchten Medienunternehmen
eine vom Management und Betriebsrat zusammen erarbeitete und unterschriebene „Vereinbarung
zur Zusammenarbeit.“ 79 In dieser sind auch das Existenzrecht des Betriebsrates80 und die zeitweilige Freistellung seines Vorsitzenden für die Aufgaben des Betriebsrates festgehalten. Ansonsten enthält die Vereinbarung ähnlich den anderen Unternehmensregeln soziale Rechte und die
Pflichten der Mitarbeiter sowie Sanktionen im Falle von Regelverstößen. Einen speziellen Kündigungsschutz für die Mitglieder der Arbeitnehmervertretung gibt es nicht. So wurde ein großer Teil
der früheren Mitglieder bei einer rationalisierungsbedingten Kündigungswelle im Jahr 2003 entlassen.81 Normalerweise bilde ein Bewertungssystem die Grundlage von Kündigung oder Weiterbeschäftigung, so der neue Betriebsratsvorsitzende. Die entlassenen Betriebsratsmitglieder seien
aber keine schlechten Mitarbeiter gewesen, im Gegenteil, manche sogar besser als andere, die geblieben seien. Aber ihr Kurs sei zu konfrontativ gewesen.82 Im Sinne, dass die Entlassungen
gleichzeitig eine „Zähmung“ des Betriebsrates waren, äußert sich auch ein Reporter: „Die Gewerkschaft ist ein Problem, das sehr kompliziert ist. Sie kennen ja vielleicht die Geschichte vom
Schicksal der Kollegen von der Gewerkschaft hier. So ist es nun einmal. Wahrscheinlich passt das
keinem Unternehmen, dass es eine Gewerkschaft gibt [...] Früher hat sie [die Gewerkschaft] eine
große Rolle gespielt, die Interessen der Mitarbeiter verteidigt, was Vergütungen anging [...] Die
jetzige Gewerkschaft ist nicht so mutig, nicht so stark, wie die vorherige mit dem besagten Schicksal.“ 83 Auf eine im Vergleich zu den Vorgängern mehr konsensorientierte Politik der Betriebsgewerkschaft deutet auch die Schilderung ihres Selbstverständnisses durch einen Gewerkschafts-
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Er bezeichnet sie hingegen beim Konkurrenzblatt Media Indonesia als zu auffällig, Reporter Republika.
„Dass Republika keine Gewinne macht, macht nichts. Sie bildet die Plattform für Veröffentlichungen, mit
deren Hilfe dann wieder anderswo Gewinne gemacht werden.“, Reporter Republika.
Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12.2004.
vgl. dazu auch Dewanto (2003: 50ff).
Republika 2001.
Der Rat hat vier Mitglieder aus der Redaktion und acht aus nichtredaktionellen Bereichen.
Hier bestand die Vereinbarung zur Zusammenarbeit den Realitätstest nicht: Bei der Zahlung der Abfindung
wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der über dem vom Arbeitsministerium festgelegten Minimum, aber unterhalb dessen lag, was in der Vereinbarung zur Zusammenarbeit festgelegt war.
Gewerkschaftsvorsitzender Republika, Interview, geführt am 03.11.2004.
Reporter, Republika.
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Pressefreiheit in Indonesien
vertreter hin: „Vor allem geht es um den Wohlstand von Mitarbeitern und ihren Familien. Aber
auch um die Entwicklung des Unternehmens. Diese Firma ist wie ein zu Hause. Wenn das Unternehmen nicht gesund ist, kann es den Mitarbeitern nicht gut gehen. Derzeit versuchen wir, keine
Verluste zu machen. Der Betriebsrat versucht auch, die Mitarbeiter zu motivieren, weiter zu machen. Natürlich kämpfen wir um ihre Rechte, aber wir sehen auch die Situation des Unternehmens. Wir können nicht mehr verlangen, als es leisten kann.“ 84 Die beschriebene „Vereinbarung
zur Zusammenarbeit“ ist keine Deklaration von redaktioneller Autonomie. Einen Redaktionsrat
gibt es bei Republika nicht und die Gewerkschaft hat ausschließlich soziale und materielle Belange im Blick. Personelle Mitspracherechte, zum Beispiel die Anhörung vor der Ernennung der
Chefredaktion, gibt es für die Redaktion nicht.
Als Republika noch im Stiftungsbesitz war, konnte die Redaktion Bedenken äußern, wenn sie mit
einem Chefredakteur oder CvD nicht einverstanden war. Im Unternehmen hatte der Chefredakteur zudem eine stärkere Position: „Wir hatten vorgeschlagen, dass der Chefredakteur ein Teil
der Direktion bleibt. Früher war der Chefredakteur gleichzeitig einer der Geschäftsführer. Das
Gute daran war, dass er die Interessen der Redaktion in der Direktion vertreten konnte. 2001
wurde diese Struktur verändert, der Chefredakteur war kein Teil der Direktion mehr. Unser Vorschlag, die alte Struktur beizubehalten, wurde nicht aufgegriffen. Das wird damit begründet, dass
die Redaktion sonst so aufgeblasen ist.“ 85
Bei Republika gibt es knapp 10% Mitarbeiteranteile.86 Sie garantierten keine Mitbestimmungsrechte, sondern lediglich ein Recht auf die Ausschüttung von eventuellen Gewinnen. Die Verwaltung obliegt einer Genossenschaft.
Die Vereinbarung zur Zusammenarbeit hat keinen Statutencharakter, beispielsweise im Sinne einer Festschreibung der Gewissensfreiheit der Journalisten. Zwar könne ein Reporter erst mal
schreiben, was er wolle, aber dann kämen die Filter in der Person CvD, so die Gewerkschaftsvertreter. Zielkonflikte würden auf der Leitungsebene diskutiert, aber Journalisten müssten
im Zweifelsfall auch gegen die eigene Überzeugung schreiben, wenn es dem Verkauf des Blattes
diene.87 Die Lösung von Zielkonflikten zwischen öffentlicher Aufgabe und unternehmerischem
Interesse wird durch Verhandlung gesucht. „Diese Konflikte zwischen Redaktion und Management gibt es immer. Wir versuchen das mit Versammlungen zu lösen. Natürlich gibt es ein Recht
der Leitung, Sachen festzulegen, aber die instruieren nicht einfach. Wir haben eine Wochensitzung, wo alle Redakteure und die Chefredaktion teilnehmen. Einmal im Monat gibt es eine Sitzung von Redaktion und Management. In diesen Foren wird das diskutiert. Wir versuchen, abzuwägen, wie unsere Leser solche Geschichten sehen, deren Vertrauen wir nicht verlieren dürfen.
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Gewerkschaftsvorsitzender und Stellvertreter Republika, Interview, geführt am 03.11.2004.
Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004.
Börse Jakarta: http://www.jsx.co.id/issuers.asp?cmd=detail&id=ABBA.
Gewerkschaftsvorsitzender/Stellvertreter, Republika Interviews, geführt am 03.11.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
Wir sind da sehr vorsichtig. Aber außer diesen Versammlungen gibt es keine spezielle Institution.“ 88
Die Republika-Linie wurde vom neuen Besitzer gemäßigt, um die Basis von Lesern und Anzeigenkunden zu verbreitern. Eine völlige Veränderung der Richtung des Blattes wird mit Verweis
auf den Markt als unrealistisch empfunden.89 Auch bei Republika ist die Vertretung von unternehmerischen Interessen in der Berichterstattung verhandelbar und der Verleger zum Teil in die
tägliche redaktionelle Entscheidungsfindung involviert. „Der Besitzer hat nicht das Recht, zu sagen, das müsst ihr berichten. Aber natürlich kann er Interessen haben. Wenn diese Interessen
nicht gegen unsere Blattlinie verstoßen und nicht gegen das Gesetz, kann so etwas besprochen
werden.“ 90
Für die Reporter gibt es offiziell keine „Schreibverbote“ für bestimmte Themen, aber Artikel, die
als nicht ins Blatt passend beurteilt werden, werden von den leitenden Redakteuren nicht zur Publikation ausgewählt. Selbstzensur wird zum Teil als Verleger-Veto zur Verhinderung von geschäftsfeindlichen Artikeln geschildert, aber auch im Sinne einer Privilegierung des Besitzers oder
dessen Partnern bei der Nachrichtenauswahl. Vorschläge der Anteilseigner zur Positivberichterstattung über ihnen nahestehende Unternehmer oder eigene Aktivitäten in speziellen Rubriken
werden akzeptiert. Zielkonflikte zwischen öffentlichem Interesse und Unternehmerinteresse werden rein politisch definiert und als nicht signifikant betrachtet: „Dass wir über die Aktivitäten des
Verlegers berichten müssen, das gibt es natürlich. Das ist aber nicht so signifikant. Zum Beispiel
ist unser Besitzer ja der Chef des Basketballbundes. Aber wenn er nicht der Besitzer wäre, würden wir darüber auch berichten, weil es populärer Sport ist. Da gibt es wirklich kein Problem,
weil ja keine politischen Interessen berührt sind.“ 91
Der Verleger interveniert nach eigenen Aussagen im tagesaktuellen redaktionellen Geschehen nur
dann, wenn seiner Meinung nach etwas Falsches geschrieben wurde oder ein Journalist die Hintergründe nicht versteht. Während der Wahlberichterstattung im vergangenen Jahr wurden jedoch
auch politische Vorgaben gemacht. „Immer, wenn wichtige Themen auf der Tagesordnung sind,
lasse ich mir ausdrucken, was geschrieben wird. Aber das kommt selten vor. Ich hab selber ja
auch viele Quellen, und wenn etwas falsch ist, wird auch auf meine Stimme als Besitzer gehört.
[...] Auch vor den Wahlen haben wir diskutiert. Ich habe gesagt, in der ersten Runde schreiben
wir über alle, in der zweiten Runde entscheiden wir uns, wer besser für unser Land ist. Wir entschieden uns also für Susilo Bambang Yudhoyono.“
Zu dieser Entscheidung dürfte mit beigetragen haben, dass einer der Großaktionäre, Mohammad
Luthfi,92 zum Wahlkampfteam des inzwischen gewählten Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono
gehörte. Inzwischen wurde ihm von diesem der Vorsitz der Nationalen Investitionsbehörde (BKPM)
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Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004.
Chefredakteur/Verleger, Republika Interviews, geführt am 09.11.2004.
Chefredakteur, Republika, Interview, geführt am 09.11. 2004.
Chef vom Dienst Republika, Interview, geführt am 04.11.2004.
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Pressefreiheit in Indonesien
übertragen, die ausländische Investoren für ein Engagement in Indonesien interessieren soll (Saraswati
2005).
Selbstzensur aufgrund externen politischen Drucks wird nach den Aussagen der Befragten heute
bei Republika nicht mehr vollzogen. Die Errungenschaft der Pressefreiheit wird jedoch mit Verweis auf die Rechtsunsicherheit als nicht ausschließlich positiv bewertet: „Jetzt sind wir eher
noch vorsichtiger. Die Leute sind gewalttätiger geworden. Wir können bedroht oder terrorisiert
werden, wenn jemandem etwas nicht passt. Oder sie bringen uns vor Gericht. Früher waren die
Medien ein Teil der Macht, es kam selten zu gerichtlichen Klagen. Die Leute hatten früher Angst
vor den Medien. Heute können sie uns besetzen, das ist einigen Medien schon passiert.“ 93
Der Leitartikel wird bei Republika abwechselnd von einem Vertreter eines sechsköpfigen Editorial-Teams verfasst. Ihm gehören Vertreter der Redaktionsleitung und Senior-Redakteure an. Die
Auswahl der meinungsbetonten Beiträge von Nicht-Redaktionsmitgliedern obliegt strukturell dem
CvD, der damit einen der Inlandsredakteure betraut hat. Dieser wählt nach eigener Aussage etwa
80% der Kommentarangebote aus, etwa 20% gingen auf Vorschläge des CvD oder des Chefredakteurs zurück. Auf der täglichen Meinungsseite stehen zwei dieser Debattenbeiträge, die aus
etwa 30-40 täglichen Einsendungen ausgewählt werden. Manchmal kommen hier auch Redakteure zu speziellen Themen zu Wort. In den Meinungsdarstellungen werde „ganz automatisch“ die
Blattlinie transportiert, so der zuständige Redakteur. „Unsere Unternehmenskultur, unsere Leserschaft ist muslimisch. Wir wollen das Gute, das Universelle, das Menschliche und das Demokratische des Islam transportieren.“ 94
Neben Leitartikel und Debattenbeiträgen nimmt die Rubrik Hikmah (Göttliche Weisheit) auf der
Titelseite eine wichtige Funktion ein, da sie islamische Werte transportiert. Hikmah-Beiträge
kommen von Nicht-Redaktionsmitgliedern, vor allem von studentischen Einsendern. Die Rubrik
wird vom stellvertretenden Chefredakteur betreut. Meinungsartikel werden auch auf der Seite
zwei publiziert, auf der häufig über islamische Wirtschaftsprinzipien berichtet wird. In der Regel
handelt es sich hierbei jedoch um Advertorials, als Ansprechpartner für schreibwillige SchariaÖkonomen ist die Werbeabteilung von Republika angegeben.
Der Verleger von Republika hat in der Durchsetzung von Möglichkeiten der Verquickung von
Werbung und redaktionellem Inhalt eine aktive Rolle gespielt. Das Blatt versucht, mit vielen
Supplements und speziellen Rubriken Leser und vor allem Anzeigenkunden95 anzuziehen. Republika war die erste Zeitung, bei der Anzeigenkunden einen Zeitungsmantel erwerben können.
Die Zeitung erscheint dann „verpackt“ in einer Doppelseite mit ganzseitigen Anzeigen.
Promotion erstreckt sich bei Republika auch in den redaktionellen Bereich. Auch hier gilt der
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Luthfi ist einer der Partner des Verlegers Thohir bei dessen Mahaka-Gruppe und ehemaliger Vorsitzender des
Verbandes junger Unternehmer. Zum Zeitpunkt der Wahl war er Aufsichtsrat bei Republika.
Chef vom Dienst, Republika, Interview, geführt am 04.11.2004.
Meinungs-Redakteur, informelles Gespräch , 03.11.2005.
Nach Angaben des Anzeigenchefs wird die Sparte der monothematischen Beilagen, die auf Bestellung der
Anzeigenpartner entstehen, derzeit ausgebaut, informelles Gespräch, 04.11.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
Grundsatz, dass Kritik bei schwerwiegenden Verstößen nicht tabuisiert wird, Positivberichterstattung im Falle von Anzeigen jedoch üblich ist. „Wenn der Anzeigenkunde richtige Probleme
hat – das ist mit der Geschäftsführung abgesprochen – dann wird darüber berichtet, wenn er die
Umwelt verschmutzt, Geld veruntreut, seine Mitarbeiter tyrannisiert. Aber wenn es um ein bisschen Promotion geht, das macht nichts, denke ich. Wir schreiben ja auch über Leute, die bei uns
keine Anzeigen schalten. Ich sehe das praktisch. Unsere Zeitung hat viele Rubriken. Wenn jemand
kein Anzeigenkunde ist und es gibt was Interessantes über ihn zu erzählen, dann schreiben wir
das auch, und wenn er dazu noch Anzeigen schaltet, dann erst recht.“ 96
Für die Praxis der „freundlichen“ Berichterstattung dürfte förderlich sein, dass das Schalten von
Anzeigen nicht als Geschäft von erbrachter Leistung und Bezahlung betrachtet wird, sondern als
„Spende“ für Republika, für die man sich dankbar zeigen sollte. Außerdem ist die Höhe der jeweiligen Werbeeinnahmen offenbar ein wichtiges Kriterium für „Veröffentlichungsrechte“ des Anzeigenkunden: „Wo wir den Wünschen des Besitzers auch Rechnung tragen, ist bei der Werbung.
Ein Anzeigenkunde hat uns ja quasi etwas gespendet. Bei großen Anzeigenkunden warnt uns unser Besitzer, wir sollen nichts berichten, was deren Geschäfte stören könnte. Aber, wenn es um
Korruption oder grobe Rechtsverstöße geht, werden wir das natürlich berichten. Wir werden die
nicht anfeinden, aber unsere soziale Kontrollaufgabe wahrnehmen. Das führt hier auch zu Debatten, wie weit wir den Anzeigenkunden Rechnung tragen sollen. Einer schaltet vielleicht nur für 25
Millionen [2.000 €], will aber Rücksicht auf all seine Interessen. Es ist nicht unsere journalistische Aufgabe, deren Geschäftsinteressen zu behüten.“ 97
Die Rücksichtnahme auf Anzeigenkunden hat Folgen für die Arbeit der Reporter und Redakteure.
Sie müssen bei Recherche und journalistischer Darstellung darauf achten, nicht die Interessen
großer Werbekunden zu verletzen. „Was ich weiß ist, dass wir ein Konzept haben, dass beide
synergetisch zusammenwirken sollten. Das ist auch schon sichtbar. Das heißt, wenn jemand sagt:
„Ich geb euch `ne große Anzeige“, dann sagen wir: ‚Okay, wir berichten ein bisschen’. Ich sehe
da keine großen Konflikte, eher eine gute gegenseitige Beziehung. [...] Im Allgemeinen geht es um
Synergie. Nachrichten sollten keinen Bumerang für Werbekunden darstellen. Es sollte nicht passieren, dass wir auf einmal etwas berichten, und der potenzielle Werbekunde zieht dann seine Anzeigen zurück.“ 98
Die Förderung des „guten Klimas“ zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion erfolgt seitens der
Reporter nicht nur passiv im Sinne von Positivberichten oder Unterlassung von Kritik. Auch das
Anzeigenaufkommen selbst wird nach Aussage des Reporters von ihnen aktiv befördert – entgegen der Aussage des Verlegers, dass Republika-Journalisten keine Anzeigen einwerben dürfen.
„Es gibt sogar den Grundsatz in der Redaktion, der Werbung zu helfen. Von uns wird erwartet,
dass wir auch Anzeigen einwerben. Dafür gibt es Prozente. [...] Wir sind ja nah an den Quellen.
Und wenn das zufällig auch Unternehmer sind, dann sagen wir halt: `Schalt doch mal ´ne Anzei96
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98
Chef vom Dienst Republika, Interview, geführt am 04.11.2004.
Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004.
Reporter, Republika.
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Pressefreiheit in Indonesien
ge bei uns.` Die Leute aus der Anzeigenabteilung kommen ja vielleicht schwerer an diese Leute
ran. Warum sollten wir das nicht nutzen?“ 99
Anhand der Aussagen wird immer wieder deutlich, dass klar zwischen einer Befürwortung von
sogenanntem Gefälligkeitsjournalismus und einer Ablehnung einer Einflussnahme im Falle von
Kritik unterschieden wird. Jemanden ins rechte Licht zu rücken, der Anzeigen schaltet, scheint legitim. Jemanden nicht zu kritisieren, obwohl es schwerwiegende Vergehen gibt, wird hingegen
zumindest für Fälle, wo das öffentliche Interesse als sehr hoch angenommen wird, abgelehnt.
„Wir wollen, dass die Leute uns vertrauen. Aber es gibt natürlich auch gewisse PR-Maßnahmen.
Zum Beispiel, wenn eine politische Partei Anzeigen schaltet. Wir sind da offen: Wenn jemand Minister werden will, er will Werbung, aber in der Form eines Interviews, das ist okay für uns. Es ist
ja nichts Bedeutendes, nur ein Interview, das ist wie ein Bonus. Aber wenn wir raus finden, dass
er korrupt ist, dann ist es uns auch egal, ob er seine Anzeige zurückzieht.“ 100
Da es keine klaren Regeln zur Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten gibt, dürfte die
Entscheidung jeweils individuell gefällt werden. Eine Einflussnahme ist wegen anzunehmender
unterschiedlicher Auffassungen von gerade noch zulässiger Verquickung von redaktionellen Inhalten und Werbebotschaften des Anzeigenkunden vorprogrammiert. Eine diesbezügliche Aussage eines der beiden befragten Gewerkschaftsvertreter zeigt, warum eine Gewerkschaft wegen
ihrer auch nichtredaktionellen Mitglieder kaum Potenzial zur Verfechtung redaktioneller Unabhängigkeit hat. Der Befragte entstammt der Marketingabteilung und beschreibt eine „Kompromissfindung“ bei möglichen Interessenkonflikten so: „Manchmal diskutieren wir. Zum Beispiel
bekomme ich einen 50 Millionen-Auftrag, die Redaktion will nicht [dass sich in redaktionelle Entscheidungen eingemischt wird], also gehe ich zur Direktion und die redet mit dem Chefredakteur.“ 101
5.5
Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung der Strukturen und des redaktionellen Geschehens von vier überregionalen Tageszeitungen zeigt, dass sich Eigentumsverhältnisse und die innerbetriebliche Verfasstheit von Medienunternehmen auf redaktionelle Autonomie und Inhalte der Berichterstattung
auswirken. Bei den besuchten Zeitungen handelte es sich um ein Blatt ohne Mehrheitseigner (Koran Tempo) sowie eines, in dem ein Verleger mit journalistischem Hintergrund die Mehrheit der
Anteile hält, aber weitere Anteilseigner existieren (Kompas). Weiterhin wurden zwei Zeitungen
mit Verlegern ohne journalistischen Hintergrund untersucht, wobei einer der alleinige Eigentümer
ist (Media Indonesia), während der Republika-Verleger zwar die Anteilsmehrheit hält, es aber
noch weitere Aktionäre gibt.
In allen untersuchten Zeitungen ist die publizistische Verantwortung formal von der unternehmerischen Verantwortung getrennt. In keiner Zeitung gibt es einen Verleger, der gleichzeitig Chef99
100
101
84
Reporter, Republika.
Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12. 2004.
Zulkifli Lubis, (Stellvertretender Gewerkschaftsvorsitzender, Marketing), Republika, Interview, 03.11.2004.
Pressefreiheit in Indonesien
redakteur ist.102 Die Befragten schilderten anhand von Beispielen jedoch, dass die Trennung von ökonomischer und publizistischer Verantwortung in der Praxis nicht immer durchgehalten wird.
In drei der vier untersuchten Zeitungen (Kompas, Media Indonesia, Republika) fungiert der
Hauptanteilseigner als Geschäftsführer. Er hat das Recht, die Leitlinie des Blattes festzulegen. Es
gibt außerdem nichts, was ihn hindert, sachfremden Druck auf seine Redaktion auszuüben. Er
kann also die Wahl und Bearbeitung von Themen in seinem Interesse unterdrücken oder gerade
forcieren und damit normale redaktionelle Entscheidungsmechanismen außer Kraft setzen. Auf
die Berichterstattung kann sich das vielfältig auswirken. Der Besitzer von Media Indonesia nutzte
sein Blatt intensiv für die eigene Wahlkampagne. Sowohl bei Republika als auch bei Media Indonesia machten die Verleger klare Vorgaben, welcher Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf zu
unterstützen sei. Bei beiden Blättern wurden ebenfalls Interessenkonflikte geschildert, wenn es
um die Berichterstattung über Geschäftsfreunde der jeweiligen Verleger geht. Bei Media Indonesia und Republika, wo Eingriffe in die redaktionelle Autonomie am deutlichsten sichtbar waren,
haben die Verleger selbst keinen journalistischen Hintergrund. Das kann als Indiz dafür gelten,
dass Unternehmer-Verleger eher als Journalisten-Verleger geneigt sind, ihre Partikularinteressen
vor das öffentliche Interesse zu stellen. Der im Interview erfolgte Verweis des RepublikaVerlegers auf die Unterhaltungsfunktion von Medien und den Markt als „Richter über die Blattpolitik“ zeigt, dass er Medien als voll marktfähige Produkte betrachtet und ihre meritorische
Komponente negiert. Im Gegensatz dazu schildert der Kompas-Verleger, der selbst Journalist ist,
soziale Verantwortlichkeit und Bildungsfunktionen als Medienaufgaben. Die Einflussnahme der
Unternehmer-Verleger bei Media Indonesia und Republika geht weit über eine Leitlinienkompetenz hinaus und sorgt für Zielkonflikte. Die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe von Journalisten
im Sinne der Informations-, Kritik- und Meinungsbildungsfunktion der Presse wird gestört durch
Eigeninteressen des Medienbesitzers. Von den Kompas-Journalisten wurde zwar auch von Pressionen mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Berichterstattung seitens der Unternehmensleitung
berichtet. Diese hatten aber primär die Interessen Dritter (Politiker) zur Ursache, was sicher mit
der langjährigen Existenz als staatstragendem Medium und der javanischen Konsenskultur bei
Kompas zu tun hat. Bei Media Indonesia hingegen wird der aus der Provinz Aceh (Sumatra)
stammende Verleger als offener und streitlustiger Arbeitgeber geschildert.103 Dort treten Zielkonflikte klar zutage und werden zumindest auf der Leitungsebene konfrontativ ausgetragen.
Günstig für ein hohes Maß an redaktioneller Autonomie ist offensichtlich eine Besitzform, die
keinen Mehrheitseigner zulässt. Bei Koran Tempo besteht die Gefahr eines Verleger-Vetos im redaktionellen Geschehen nicht. Die befragten Journalisten äußern sich vor allem positiv über die
journalistische Freiheit, die sie bei ihrem Blatt genießen. Das passt wiederum zu ihrem Selbstverständnis als Watchdog und der öffentlichen Wahrnehmung als kritischem und demokratischem
Medium.
102
Bei Kompas war das bis 2000 der Fall, was sicher eine Ursache für die noch immer stark auf die Verlegerpersönlichkeit ausgerichtete Unternehmenskultur ist.
85
Pressefreiheit in Indonesien
Starke Einschränkungen der redaktionellen Autonomie sind hingegen zu befürchten, wenn ein
Verleger alleiniger Anteilseigner ist und neben ökonomischen auch politische Interessen verfolgt,
wie am Beispiel der Kandidatur des Verlegers bei Media Indonesia erläutert wurde. Es wurde
sichtbar, dass sich die Gefahr von Pressionen zugunsten von verlegerfreundlichen Veröffentlichungen durch das politische Engagement des Verlegers potenziert. Zum Gradmesser wird, wie
bei der Wahlberichterstattung deutlich, weniger das Recht der Öffentlichkeit auf eine ausgewogene Information über alle politischen Lager, als die politischen Ziele des Zeitungsbesitzers.
Deutlich erscheint ein Unterschied zwischen Zeitungen im überwiegenden Privatbesitz (Kompas,
Republika, Media Indonesia) und im Stiftungs-/Börsenbesitz (Koran Tempo) auch bei der Frage
des Einflusses von Werbeinteressen. Während Koran Tempo sich auf eine klare Trennung beruft
und auch in Kauf nimmt, dass Anzeigenkunden von kritischen Berichten verschreckt werden, ist
die Linie bei den anderen drei Blättern nicht so klar. Bei Kompas bezieht sich die Kritik an einer
Vermengung an Anzeigen und Redaktionellem vor allem auf Cross Promotion, sonst wird auf
klare Trennung geachtet. Bei Media Indonesia und Republika zeigen die Aussagen generelle Einflusspotenziale. Bei Media Indonesia manifestieren sich diese zum Beispiel über das Tabu von
werbekundenkritischen Leserbriefen oder ein Vetorecht der Anzeigenabteilung bei Veröffentlichungsentscheidungen. Bei Republika werden große Anzeigenkunden mit Positivberichterstattung
bedacht. Reporter treten dort außerdem in einer Doppelfunktion als Journalisten und Anzeigenverkäufer auf.
Auch hier drängt sich die Parallele auf, dass Unternehmer-Verleger (Media Indonesia, Republika)
eher geneigt sind, die Interessen von Werbekunden über das öffentliche Interesse zu stellen als ihre Berufskollegen mit einem journalistischen Selbstverständnis (Kompas). Bei dieser Problematik
dürfen jedoch die Einkommensverhältnisse der Zeitungen nicht übersehen werden. Wer, wie
Kompas, unangefochtener Marktführer ist, kann es sicher leichter verschmerzen, einen Anzeigenkunden zu verprellen. Die Struktur von Koran Tempo betont offensichtlich nicht nur in Bezug auf
Verleger-Einflüsse, sondern auch bei Versuchen des Drucks von Werbekunden ein Primat von
redaktioneller Autonomie.
In keiner der besuchten Zeitungen gibt es eine Art Redaktionsstatut, das Kompetenzen von Verlag
und Redaktion festschreibt. Es gibt ebenfalls keine gewählten Redaktionsräte, die eine Autonomie
der Redaktion gegenüber Partikularinteressen des Verlegers vertreten könnten. Personelle Mitspracherechte, zum Beispiel bei der Bestimmung der Chefredaktion, sind nicht gegeben. Die Besetzung der Redaktionsleitung bleibt allein dem Management vorbehalten. Koran TempoJournalisten können zwar ihren Chefredakteur genau so wenig mitbestimmen, wie ihre Kollegen
der anderen drei Blätter, sie genießen jedoch über ihre Mitarbeiteranteile das Recht, auf der Aktionärsversammlung den Aufsichtsrat zu wählen.
103
86
Die Mentalität der Einwohner Sumatras gilt im Vergleich zu ihren javanischen Nachbarn als offener, direkter und aggressiver.
Pressefreiheit in Indonesien
In den Zeitungen, in denen sachfremde Pressionen auf redaktionelle Entscheidungsprozesse vorliegen, führen sie für die Befragten zu berufsethischen Konflikten. Lösungsmöglichkeiten gibt es
lediglich auf individueller Ebene, wobei die Verhandlungsmacht mit der erreichten Hierarchieebene steigt. Da keine der Redaktionen Mitspracherechte bei der Besetzung des Chefredakteurs
genießt, ist auch nicht davon auszugehen, dass dieser im Zweifelsfall ihre Interessen vertritt. Dass
sich bislang keine Interessenvertretungen auf Redaktionsseite für die Durchsetzung redaktioneller
Autonomie formiert haben, kann mit der geringen Teamfähigkeit wegen der strengen Hierarchien
arbeitsteiliger Redaktionen begründet werden, wie sie in Studien für britische und amerikanische
Redaktionen nachgewiesen wurde (Esser 1998). Auch in Indonesien sind Redaktionen stark arbeitsteilig organisiert. Für das Verständnis redaktioneller Autonomie als etwas kollektiv Erstrebenswertem dürften sich arbeitsteilig Strukturen eher nachteilig auswirken. Ein Journalist, der von
der Recherche bis zum fertigen Artikel alles verantwortet, steht sachfremden Pressionen auf Inhalte der Berichterstattung gegebenenfalls kritischer gegenüber als ein Reporter, der sich lediglich
als Informationssammler ohne finale Entscheidungskompetenz versteht.
Betrachtet man den Bedarf an einer Interessenvertretung für redaktionelle Autonomie im indonesischen Kontext, stellt sich die Frage, ob Akteure denkbar sind, die sich Redaktionsübergreifend
für ein Primat des publizistischen Interesses über das ökonomisch oder politisch motivierte Partikularinteresse des Verlegers einsetzen. Von den beiden relevanten Journalistenverbänden AJI und
PWI gibt es keine aktuellen Vorstöße zur Durchsetzung redaktioneller Autonomie. Lösungsansätze im Sinne einer verbrieften Stärkung redaktioneller Autonomie sind daher am ehesten auf betrieblicher Ebene denkbar. Betriebsgewerkschaften existieren bei Kompas, Koran Tempo und Republika. Die Akzeptanz der Gewerkschaft ist am höchsten bei Koran Tempo, dem Blatt ohne
Mehrheitseigner. Bei Kompas wird sie geduldet, bei Republika marginalisiert und bei Media Indonesia entstand sie gar nicht erst.
Eine Gewerkschaft ist als Organisationsform für diese Aufgabe ohnehin nur begrenzt geeignet, da
sie auch die Interessen nichtredaktioneller Mitarbeiter vertritt. Die Existenz und die Akzeptanz
von Gewerkschaften gelten jedoch als Gradmesser für die erreichte Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer und für die Erfolgschancen der Bildung einer redaktionellen Interessenvertretung. Unter diesem Blickwinkel fällt eine Prognose für die Erfolgschancen von Redaktionsvertretungen
pessimistisch aus. Schließlich ist der Stand der Arbeitnehmervertretung gerade in den Zeitungen
mit Mehrheitseigner schlecht (Kompas, Republika) bzw. sind sie gar nicht vorhanden (Media Indonesia).
Indonesien ist trotz erfolgreicher Demokratisierungsschritte von einer durch Oligarchien bestimmten Wirtschaftsordnung, einer Marktdominanz von hoch diversifizierten Mischkonzernen und
Konzentrationstendenzen im Medienmarkt geprägt. Wenn das öffentliche Interesse individuellen
Nutzenmaximierungsstrategien von Verlegern untergeordnet wird, besteht die Gefahr des geschilderten „gesellschaftlich suboptimalen Ergebnisses“. Bemühungen um eine bessere Ausbildung von Journalisten, wie sie von den Verbänden angestrengt werden, sind für die Erfüllung der
öffentlichen Medienaufgaben unabdingbar. Hier müssten stärker die Medienunternehmen in die
87
Pressefreiheit in Indonesien
Pflicht genommen werden, die ja letztlich von gut ausgebildeten Journalisten profitieren. Bei Kritik am mangelnden betrieblichen Engagement für eine bessere Journalistenausbildung beruft sich
der Verlegerverband gern auf die leeren Kassen der vielen Medienunternehmen. Auch unter den
gewinnträchtigen Unternehmen scheint es aber keine Übereinkunft in der Form eines Code of
Conduct für mehr Investitionen in einen professionellen und unabhängigen Journalismus zu geben.
Wie in der Einleitung ausgeführt, zielt das unternehmerische Interesse vor allem auf die marktfähige Komponente seines Mediums, also seine Existenz als Werbeträger. Da Werbebotschaften jedoch an den potenziellen Käufer gebracht werden wollen, brauchen Medien eine entsprechende
Rezipientenmenge. Medienkonsumenten können also über Kauf oder Kaufverweigerung Inhalte
einfordern, die über Werbung und Unterhaltung hinausgehen und den Bedarf nach objektiver,
professionell aufbereiteter Information erfüllen. Diese Informations- und Orientierungsfunktion
von Medien ist idealtypisch nur von unabhängigen Redaktionen zu leisten.
Damit wird die Anspruchshaltung der Medienkonsumenten zu einer entscheidenden Variablen für
redaktionelles Geschehen. Ein Anspruch auf Unabhängigkeit und Ausgewogenheit setzt jedoch informierte und kritische Medienkonsumenten voraus. Ein öffentlicher Diskurs über die Rolle und
Funktion von Medien bedarf der Information einer breiten Öffentlichkeit über Besitzverhältnisse
von Zeitungshäusern, TV-Sendern, Radiostationen und Internetportalen sowie die äußeren und inneren Rahmenbedingungen, unter denen Journalisten Medieninhalte produzieren. MedienJournalismus wird in diesem Zusammenhang eine Rolle als „fünfte Gewalt“ (Ruß-Mohl 2000: 252)
zugeschrieben, da er bei professioneller Betreibung einen „aufklärerischen, selbstreinigenden und
qualitätssichernden Effekt“ hat (a.a.O.: 253). Außerdem kann Medienjournalismus „innere Konflikte“ in Medienunternehmen, die sich im Spannungsfeld zwischen Loyalität zum Arbeitgeber und
Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit ergeben, thematisieren (Fengler 2002: 63).
Informationen dieser Art bekommt der indonesische Leser oder Fernsehzuschauer indes kaum, da
es keine institutionalisierte Medienberichterstattung gibt. Keine der untersuchten Zeitungen hat
eine Medienseite. Das heißt nicht, dass gar nicht über Medien berichtet wird. Die Berichterstattung findet jedoch nur sporadisch statt und bezieht sich nicht auf interne Angelegenheiten von
Medienunternehmen. Als Ursache wurde von im Rahmen dieser Studie befragten Interviewpartnern genannt, dass Medien sich solidarisch verhielten und es quasi ungeschriebenes Gesetz sei,
dass Arbeitskämpfe oder Besitzerwechsel nicht thematisiert würden.
Für eine gesellschaftlich eingeforderte Selbstregulierung der Medien bedarf es jedoch der erwähnten Informations-Nachfrage seitens kritischer Medienkonsumenten. Eingangs wurde erläutert,
dass die Presse wegen ihrer Informations-, Kritik- und Kontrollfunktionen besonderem Schutz unterliegt. Die indonesische Verfassung und das Pressegesetz betonen die öffentliche Funktion von
Medien. Das Vermögen, zu bewerten, inwieweit sie diese Funktionen erfüllen, setzt bei den Rezipienten jedoch ein entsprechendes Wissen voraus. Es bedarf also der Medienkompetenz breiterer
Gesellschaftsschichten und entsprechender Bildungskonzepte, um dauerhaft sicherzustellen, dass
88
Pressefreiheit in Indonesien
Medien ihre Funktion als Träger des allgemeinen Grundrechtes auf Information erfüllen. Gerade
in Indonesien, einem Transformationsland mit Diktaturvergangenheit, wird die Erfüllung dieses
Grundrechtes ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Demokratisierung sein.
6
Fazit und Ansätze zur weiteren Forschung
In der vorliegenden Untersuchung wurde Pressefreiheit in Indonesien nicht, wie in bisherigen Darstellungen, lediglich als Abwesenheit von staatlicher Zensur beschrieben. Unter der Annahme, dass
es für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Presse erstrebenswert ist, eine auch von internem
sachfremden Veröffentlichungsdruck unabhängige Redaktion zu haben, wurde die Frage gestellt, ob
und wie sich in indonesischen Medienunternehmen auftretende Zwänge auf Journalisten zeigen.
Mittels des gewählten Untersuchungsdesigns konnten Zielkonflikte, die sich aus einem Gegensatz
von publizistischem Interesse der Journalisten und ökonomischen beziehungsweise politischen Interessen von Verlegerseite ergeben, geschildert werden. Deutlich wurde außerdem, dass es keine institutionalisierten Mechanismen zum Schutz redaktioneller Autonomie gibt.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung korrespondieren mit europäischen Befunden. Vor allem da,
wo Medien von nicht-journalistischen Großunternehmern mit weitverzweigten Geschäftsbeteiligungen und/oder Politikern übernommen werden, wird eine starke Gefährdung der redaktionellen Autonomie beobachtet (Weber 1997, OSZE 2003b, Möller/Popescu 2004, Leidinger
2005). Die durch Verlegerinteressen forcierte Selbstzensur der Journalisten stellt eine Störung der
öffentlichen Funktion von Medien dar. Zum Grad dessen, wie stark die Verleger der betreffenden
Medien ihre inhaltlichen Einflussmöglichkeiten wahrnehmen, können nach einer einwöchigen
Redaktionsbeobachtung und -befragung durch einen Einzelforscher nur tendenzielle Angaben
gemacht werden. Eine Ergänzung durch Inhaltsanalysen in einer fortführenden Untersuchung
könnte den Schwerpunkt auf folgende Veröffentlichungsentscheidungen legen:
- Thematisierung von Firmen, die zur gleichen Gruppe wie das analysierte Medienhaus gehören.
- Berichterstattung über das politische Engagement des Verlegers oder von Anteilseignern.
- Artikel über Firmen, in denen der Verleger ebenfalls Anteilseigner ist oder über Unternehmen
von ihm nahe stehenden Personen.
- Die Behandlung von Werbekunden im redaktionellen Teil.
Die vorliegende Untersuchung hat Dimensionen von Zielkonflikten, die sich aus öffentlicher
Aufgabe und privatwirtschaftlicher Unternehmensform von Medien ergeben, aufgezeigt. Die vorliegenden Ergebnisse könnten Ausgangspunkt für eine quantitative Journalistenbefragung zu Einflüssen von Medienkonzentration auf professionellen Journalismus und Meinungspluralismus
sein, wie sie beispielsweise 2003 im OSZE-Raum (OSZE 2003b) durchgeführt wurde. Eine solche Befragung wäre auch über europäische Grenzen hinaus ein interessantes wissenschaftliches
Projekt, da das Spannungsfeld zwischen verfassungsrechtlich garantierter Meinungs- und Medienfreiheit und privat geführten Unternehmen als Trägern dieser Freiheit auch im außereuropäischen Raum diskutiert wird.
89
Pressefreiheit in Indonesien
Deutlich wurde anhand der Unterscheidung in unternehmensexterne und -interne Einflussfaktoren
auf das Agieren von Journalisten, dass eine präzise Beschreibung der juristischen, politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Untersuchung von Mediensystemen
unerlässlich ist. Das gilt insbesondere für vergleichende Analysen. So verwundert es zum Beispiel
nicht, dass in Ländern, die erst seit kurzem einen demokratischen Weg beschreiten, die Wachsamkeit der Medienschaffenden gegenüber staatlicher Repression wesentlich höher ist, als die gegenüber im Medienunternehmen selbst agierender Subjekte mit Repressionspotenzial.
Neben den genannten Rahmenbedingungen könnte ein Ländervergleich auch Antworten auf die
Frage liefern, inwieweit sich journalistisches Selbstverständnis und redaktionelle Arbeitsteilung
auf den Anspruch an redaktionelle Unabhängigkeit auswirken. Ist er möglicherweise in Ländern
mit ganzheitlicher journalistischer Arbeitsweise größer als in jenen, die arbeitsteilig nach dem
Reporter-Editor-Prinzip produzieren? Weiterhin könnten Länder übergreifend untersucht werden,
welche Rolle der vielerorts beobachtete Generationenwechsel vom Journalisten-Verleger zum
Besitzer hoch diversifizierter Unternehmen mit Mediensparte in Bezug auf redaktionelle Autonomie spielt.
Die Beantwortung dieser Fragen braucht neben Mediensystembeschreibungen im Kontext von
Politik, Kultur und Wirtschaft auch detaillierte Darstellungen von Besitzverhältnissen. Medienjournalismus kann neben wissenschaftlichen Studien einen Beitrag zur Beschreibung der sich rasant verändernden lokalen und globalen Medienmärkte leisten. Medienjournalismus kann jedoch
nicht nur helfen, Daten zu liefern und aktuelle Trends auf Medienmärkten zu beschreiben, sondern auch selbst zum Untersuchungsobjekt werden. Für das Thema der redaktionellen Unabhängigkeit wäre die Frage von Interesse, ob und wie sich institutionalisierter Medienjournalismus
auf die Thematisierung der öffentlichen Funktion von Medien und die Diskussion von Konzepten
zur Stärkung redaktioneller Unabhängigkeit auswirken kann.
90
Pressefreiheit in Indonesien
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Williams, Louise/Rich, Roland (2000): Losing Control – Freedom of the press in Asia, Canberra, Asia Pacific Press.
93
Abstract
Die Diskussion über die Zukunft der Volkswirtschaften ist von Begriffen wie Informations-,
Wissens- und Dienstleistungszeitalter geprägt. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen
zu können, implementieren nahezu alle Nationen Programme, um den Auf- und Ausbau der
Informationsinfrastruktur zu beschleunigen und die Entwicklung, Produktion und Nutzung
neuer Technologien – insbesondere im IKT-Sektor – zu forcieren. Gleichzeitig werden die
wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen gemäß den Anforderungen
eines Informationszeitalters umstrukturiert.
Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die einleitende Diskussion der Metapher Informationsgesellschaft im Allgemeinen sowie die Analyse von wirtschaftspolitischen Programmen
und des IKT- / Mediensystems vor dem Hintergrund der Umformung Malaysias in eine Informationsgesellschaft im Speziellen. Nach der theoretischen Einführung in den Themenbereich untersucht die zentrale Fragestellung, welche Maßnahmen ins Leben gerufen wurden,
um Malaysias wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation voranzutreiben und welchen Stellenwert Malaysias Vorzeigeprojekt – der Multimedia Super Corridor (MSC) – dabei
einnimmt. In einem zweiten Schritt wird Malaysias Mediensystem analysiert und untersucht,
ob dieses den Anforderungen eines auf Medien basierenden Zeitalters genügt.
Autorin
Helena Balaouras, geboren 1976 in Linz/Österreich, studierte Kommunikationswissenschaft –
mit Schwerpunkt Medienökonomie und internationale Kulturproduktion – an der Universität
Salzburg. Bereits während des Studiums befasste sie sich intensiv mit der Medienlandschaft
Südostasiens und absolvierte mehrere Forschungsaufenthalte in der Region. Während und nach
dem Studium war sie als Studienassistentin und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der
Abteilung für Medienökonomie beschäftigt, wo sie unter anderem mit der Erstellung einer
Langzeit-Analyse medienökonomischer Literatur betraut war. Heute ist sie für internationales
Marketing in einem Technikunternehmen verantwortlich.
94
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Helena Balaouras
1
Einleitung
1.1
Themenstellung
Die Diskussion über die Zukunft der Volkswirtschaften ist von Begriffen wie Informations-,
Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft geprägt. In diesem Zusammenhang wird häufig darauf verwiesen, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie digitale Kommunikationsnetzwerke die Art des Wirtschaftens und die Gesellschaft nachhaltig
verändern – kurz: Wir befinden uns im Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen zu können, implementieren nahezu alle
Nationen Programme, um den Auf- und Ausbau der Informationsinfrastruktur zu beschleunigen und die Entwicklung, Produktion und Nutzung neuer Technologien – insbesondere im
IKT-Sektor – zu forcieren. Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen, politischen und sozialen
Rahmenbedingungen gemäß den Anforderungen eines Informationszeitalters umstrukturiert.
Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die einleitende Diskussion der Metapher Informationsgesellschaft im Allgemeinen sowie die Analyse von wirtschaftspolitischen Programmen und des IKT- /
Mediensystems vor dem Hintergrund der Umformung Malaysias in eine Informationsgesellschaft im
Speziellen. Nach der theoretischen Einführung in den Themenbereich untersucht die zentrale Fragestellung, welche Maßnahmen ins Leben gerufen wurden, um Malaysias wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation voranzutreiben und welchen Stellenwert Malaysias Vorzeigeprojekt – der
Multimedia Super Corridor (MSC) – dabei einnimmt. In einem zweiten Schritt wird Malaysias Mediensystem analysiert und untersucht, ob dieses den Anforderungen eines auf Medien basierenden
Zeitalters genügt. Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die 2004 abgeschlossene Diplomarbeit mit
dem Titel „Multimedia Malaysia. Malaysias Weg in die Informationsgesellschaft“.
1.2
Forschungsmethode
Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Literaturstudie, in deren Rahmen Sekundärliteratur zu
den Themenbereichen Informationsgesellschaft und Informationsökonomie sowie Primär- und
Sekundärliteratur zur Informationsgesellschaft und dem IKT- und Mediensystem in Malaysia analysiert wurde. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Diplomarbeit ein sechswöchiger Forschungsaufenthalt in Malaysia absolviert und eine quantitative Befragung, deren Ergebnisse teilweise in den Beitrag einfließen, erstellt. Mittels standardisiertem Fragebogen in den Sprachen
Englisch und Bahasa Malaysia wurden im Herbst 2003 100 Personen in Kuala Lumpur/Malaysia
zu ihrem Mediennutzungsverhalten, ihrer Einstellung zu Informations- und Kommunikationstechnologien, zum Multimedia Super Corridor sowie zu Lernbereitschaft und Innovationsfreudigkeit befragt. Die Probanden wurden nach dem Quotenverfahren ausgewählt, wobei folgende Quoten gemäß der Volkszählung 2000 des malaysischen Department of Statistics erfüllt werden
mussten: Ethnische Herkunft (Malaien 65%; Chinesen 26%; Inder 8%; Sonstige 1%) und Ge95
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
schlecht (männlich 51%, weiblich 49%). Merkmale wie etwa Bildung und Altersstruktur wurden
nicht in das Quotenverfahren mit einbezogen. Die Altersstruktur der Befragten stellt sich wie folgt
dar: 14-24 Jahre (28%), 25-34 Jahre (28%), 35-44 Jahre (15%), 45-54 Jahre (21%) und 55-68
Jahre (8%). Bezüglich des Bildungsniveaus ergibt sich folgende Aufschlüsselung: Keine schulische Ausbildung (1%), Grundschule (4%), Sekundarschule/drei Jahre (22%), Sekundarschule/fünf Jahre (25%), Universität (48%). Es wurde versucht, Personen mit unterschiedlichem
Bildungsniveau in die Erhebung mit einzubeziehen. Dies erwies sich als schwieriger als ursprünglich angenommen. Häufig wurde von dieser Personengruppe die Mitarbeit an dem Projekt aufgrund mangelnder Lesefähigkeit verweigert. Darüber hinaus waren einige Fragebögen,
die von Personen mit niedriger Bildung ausgefüllt wurden, nicht valide, wodurch sie nicht in
die Erhebung mit einbezogen werden konnten.
Befragt wurde im Zentrum Kuala Lumpurs hauptsächlich an folgenden Plätzen: Sungei Wang
Plaza, BB Plaza, Lot 10, Sogo, Sentral Market, KL Sentral, Puduraya, Bangsar, KLCC und in
folgenden Straßen: Jalan Sultan Ismail, Jalan Bukit, Bintang, Jalan Putra, Jalan Tun H.S.Lee,
Jalan Cheng Lock. Die ermittelten Daten wurden anschließend mittels SPSS ausgewertet.
2
Informationsgesellschaft – theoretische Grundlagen
Die Idee einer Informationsgesellschaft (japanisch: joho shakai) – deren Herausbildung aus heutiger Sicht eng mit dem raschen Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnik verbunden ist – entstand bereits in den 1960er Jahren in Japan. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts
wird der Terminus häufig verwendet, um Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
zu beschreiben. 1963 erweiterte der Anthropologe und Biologe Tadao Umesao in einem japanischen Essay die wirtschaftlichen Aktivitäten Extraktion, Produktion und Dienstleistungen um
einen Informationssektor, in dessen Mittelpunkt moderne Massenmedien stehen. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen, welche durch technologische Entwicklungen im Bereich der Mikroelektronik vorangetrieben werden und somit zu einer Informationsgesellschaft
führen, wurden in einem Bericht von Hayashi Yujiro 1969 erstmals erläutert.1
Auch der amerikanische Soziologe Daniel Bell und der Betriebswirt Peter Drucker behandelten
die Thematik lange vor dem Aufkommen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Bell entwarf mit dem Konzept der nachindustriellen Gesellschaft (postindustrial society)
eine Gesellschaftsform, deren wichtigste Ressource die Information darstellt. Diese Idee wurde
in den 1950er und 1960er Jahren in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen präsentiert und 1973
unter dem Titel „The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting“2 veröffentlicht. Bell erforscht in seinem Werk die Faktoren, die für die Veränderung zu einer Informationsgesellschaft ausschlaggebend sind. Er untersucht, welche wirtschaftlichen Sektoren als
Träger des ökonomischen und sozialen Wandels fungieren, welche Rolle die technischen Neuerungen in diesem Prozess einnehmen und welche ökonomische Ressource die neue Gesell1
2
96
Vgl. Steinbicker 2001, 17f.
Bell 1973
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
schaftsform prägt. Bei der Ausarbeitung dieser Punkte fragt Bell nach dem „axialen Prinzip“
der Gesellschaft, also nach der Achse, auf die sich gesellschaftliche und ökonomische Faktoren
beziehen. Nach Bell ist das theoretische Wissen von zentraler Bedeutung für die postindustrielle
Gesellschaft und damit für ihr axiales Prinzip, wodurch die Stellung der Wissenschaft hervorgehoben und die nachindustrielle Gesellschaft am Stand des Bildungswesens und der intellektuellen Qualität der Beschäftigten gemessen wird. Die Industrien, so Bell, bauen auf wirtschaftlicher Basis wissenschaftliche Forschung auf, wobei die Hauptressourcen Humankapital und Akkumulation von Wissen sind und nicht mehr Boden, Kapital und die Verfügbarkeit über Produktionsmittel.3 „Das Konzept der nachindustriellen Gesellschaft betont die zentrale Stellung
des theoretischen Wissens als Achse, um die sich neue Technologien, das Wirtschaftswachstum
und die Schichtung der Gesellschaft organisieren werden. Empirisch müsste sich zeigen lassen,
dass dieses axiale Prinzip in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften eine immer größere
Rolle spielt.“ 4 Auch Peter F. Drucker, der zahlreiche populärwissenschaftliche Werke zum strategischen Management verfasst hat, greift die Idee der Informations- oder Wissensgesellschaft
1969 in seinem Werk „The Age of Discontinuities“5 auf. Er spricht von einem Zeitalter der
Diskontinuität, in dem Wissen und Information die zentralen Ressourcen darstellen: „Wissen
[ist] zur eigentlichen Grundlage der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und zum eigentlichen Prinzip des gesellschaftlichen Wirkens geworden.“ 6
Im 21. Jahrhundert nehmen IKT eine Schlüsselrolle ein, da sie die „globale“ Verbreitung von Informationen, welche neben Arbeit, Kapital und Boden (Rohstoffe) den vierten wichtigen Wirtschaftsfaktor bilden, kostengünstig und in Echtzeit ermöglichen. Als Informationstechnologien werden Computer-Hardware, Bürotechnologie, Software, Datacom-Hardware, elektronische Optik und
professionelle branchenspezifische Dienstleistungen angesehen. Telekommunikationsgeräte und
-dienste ergänzen die Informationstechnologien zu den Informations- und Kommunikationstechnologien.7 In einer Definition der OECD wird zusätzlich zwischen den traditionellen (z.B. Rundfunk)
und den neuen IKT wie etwa Hard- und Software, Mobiltelefonie etc. unterschieden.8 Castells ordnet, abweichend von manch anderen Analysten, auch „die Gentechnik mit ihren expandierenden
Entwicklungen und Anwendungen“ der Gruppe der Informationstechnologien zu, da sich „die Gentechnik mit der Entschlüsselung, Manipulation und schließlich auch mit der Reprogrammierung der
in lebendiger Materie enthaltenen Informationscodes befasst.“ 9
Bell10 bezeichnet die durch IKT hervorgerufenen Veränderungen als dritte industrielle Revolution
und auch Lamberti11 zieht eine Parallele zwischen industrieller und informationstechnologischer
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Vgl. Bell zit. n. Stöckler 1992, 116 ff.
Bell 1975, 112f.
Drucker 1969
Drucker zit. n. Steinbicker 2001, 21
Vgl. Bullinger, 1997, 71f.
OECD zit. n. Müller; Schüller 2004a, 153
Castells 2003, 32
Bell zit. n. Steinbicker 2001, 50
Vgl. Lamberti 1998, 2f.
97
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Revolution. Der in der Literatur häufig gezogene Vergleich zwischen den beiden industriellen Umgestaltungen im 18. und 19. Jahrhundert und den momentanen Veränderungen kann damit begründet werden, dass jeder dieser Epochen ein beschleunigter und noch nie da gewesener technologischer Wandel zugrunde liegt. „An der Schwelle zum 21. Jahrhundert vollzieht sich in raschem
Tempo der Wandel von der traditionellen Industriegesellschaft zur industriebasierten Informationsgesellschaft. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nehmen dabei für die künftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eine Schlüsselrolle ein. Unabhängig von Ort,
Raum und Zeit ermöglicht ihr hohes Innovationstempo eine neue Dimension der Globalisierung.
Informationen werden zum Rohstoff der Wertschöpfung. Dies wird Arbeit und Wirtschaft in unserer
Gesellschaft nachhaltig verändern.“ 12
2.1
Gesellschaftliche Aspekte des Informationszeitalters
Häufig wird die Informationsgesellschafts-Debatte sehr technik- und ökonomiezentriert geführt,
soziale Aspekte werden oftmals als nachrangige Größen behandelt oder gar ausgeblendet. Findet sie
doch Beachtung, so wird der Gesellschaftsform von ihren Verfechtern oft eine beträchtliche Problemlösungskraft zugeschrieben, denn „im Makroleitbild Informationsgesellschaft sind weitere Leitbilder beziehungsweise eine ganze Leitbildfamilie der Tele-Demokratie, der Tele-Arbeit, des TeleUnterrichts, des Tele-Einkaufens etc. verschachtelt.“ 13 Vielfach wird vom mündigen und aufgeklärten Bürger gesprochen, der nun die Möglichkeit besitze, Informationen über digitale Kommunikationsnetzwerke abzurufen und sich dadurch umfassend zu informieren und gleichzeitig zu emanzipieren; auch von einer Machtverschiebung zu Gunsten der Verbraucher ist die Rede. Vor allem
wird eine, von neuen Medien ausgehende, demokratisierende Wirkung erwartet, die sich besonders
durch die vermehrte Mitbestimmung auf lokaler Ebene äußern soll.14 Doch die von hartnäckigen
Verfechtern der Informationsgesellschaft oftmals vertretene Meinung, dass neue Technologien eine
überwiegend positive Auswirkung auf die Gesellschaft haben, stößt auf Widerstand, denn es gilt
auch offensichtliche Probleme zu lösen. So stellt der sich vergrößernde Digital Divide zwischen den
Nationen oder auch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen ein entscheidendes Problem dar. Denn die
digitale Spaltung der Gesellschaft in Informations-Habende und jene Personen, denen der Zugriff
auf Informationen verwehrt bleibt, sei es aufgrund fehlender Infrastruktur oder unzureichender Bildung, bringt die These vom aufgeklärten Weltbürger ins Wanken. Auch das oft zitierte Argument,
dass neue Technologien, neue Arbeitsplätze schaffen und somit ein Abnehmen der Arbeitslosigkeit
mit sich bringen, scheint bei näherer Betrachtung unzulässig. Denn die Geschichte bewies bereits
mehrmals, dass der Einsatz neuer Technologien bestehende Arbeitsplätze überflüssig macht. Einen
weiteren Diskussionspunkt stellen der Schutz der Privatsphäre und die Handhabung des Datenschutzes in digitalen Netzwerken dar. Denn durch die Digitalisierung von Informationen ist der unerwünschte Zugriff auf persönliche, oft heikle Daten, zumindest für Spezialisten, kein Problem.
12
13
14
98
Mosdorf 1997, 9
Latzer 1997, 38
Vgl. Latzer 1997, 38
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Auch bei der Frage nach der Auswirkung neuer Informationstechnologien auf das Kommunikationsverhalten innerhalb der Gesellschaft ist eine zweigeteilte Argumentationstradition festzustellen. So
argumentieren die einen, dass die zunehmende Technisierung der Gesellschaft zu einer Vernetzung
von einst getrennten Lebensbereichen führt und in Folge immer mehr Menschen interagieren. Die
Kontrahenten behaupten, dass neue Informationstechnologien genau das Gegenteil bewirken, nämlich
Desintegration und Entsolidarisierung, denn die Konvergenztechnologien, so die Begründung, segmentiere die Gesellschaft in einzelne Gruppen, die untereinander nicht mehr kommunizieren.15
2.2
Ökonomische Aspekte des Informationszeitalters
Der IKT-Sektor ist zu einem Schlüsselfaktor des Wirtschaftswachstum geworden, da er einerseits
Produktivität und Umsatz sämtlicher Wirtschaftszweige ankurbelt und andererseits selbst ein dynamisches Wachstum aufweist. Informations- und Kommunikationstechnologien nehmen also eine
Doppelrolle ein, denn sie sind Prozesstechnologien, die zur Effektivitätssteigerung eingesetzt werden und Produkttechnologien, die zu neuen Produkten und Dienstleistungen führen.16 Als Prozesstechnologien tragen IKT unter anderem dazu bei, die im Informationszeitalter ansteigenden Transaktionskosten – also jene Kosten die im Wesentlichen für Information und Kommunikation anfallen
– zu reduzieren, was ein Ansteigen der Produktivität nach sich zieht. „In den hundert Jahren von
1870 bis 1970 hat der Anteil der zwischen- und innerbetrieblichen Transaktionskosten an der
volkswirtschaftlichen Wertschöpfung von etwa 25 Prozent auf mehr als 50 Prozent zugenommen,
heute dürfte er bei mehr als 60 Prozent liegen. Mit Hilfe verbesserter Information und Kommunikation sind Spezialisierungsvorteile durch Arbeitsteilung auszuschöpfen, die weitaus höher sind, als
die aufgewandten Transaktionskosten. Der gestiegene Anteil der Transaktionskosten am Bruttosozialprodukt hat daher zugleich eine Produktivitätssteigerung und eine Vervielfachung der Wertschöpfung ermöglicht.“ 17 Das Potenzial als Produkttechnologie verdeutlicht die Entwicklung des IKTSektors: So wuchs die Mobilfunkbranche im Jahr 2004 weltweit um rund 30%, wobei Länder mit
ungenügend ausgebautem Festnetz, wie etwa osteuropäische Nationen und fortgeschrittene Entwicklungsländer, die höchsten Wachstumsraten verzeichneten. Im gleichen Jahr wurden 674 Millionen Geräte verkauft, wobei die Hersteller Nokia (30,7%), Motorola (15,4%) und Siemens (7,2%)
den Markt beherrschten. Das Internet erlebte im Jahr 2004 ein ähnlich rasantes Wachstum: Weltweit
nahm die Zahl der Internetnutzer um rund 15% auf 835.700 Millionen zu. Der stürmischste Anstieg
ist dabei in Ostasien zu verzeichnen. Europa hingegen weist ein eher langsames Wachstum auf und
in den USA ist inzwischen weitgehend ein Sättigungsgrad erreicht.18
Castells bezeichnet die neue Wirtschaftsform, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts entstanden
ist und deren Grundlage die Revolution in der Informationstechnologie darstellt, als informationell,
global und vernetzt. Da „die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit von Einheiten oder Akteuren in
dieser Wirtschaft – ob es sich nun um Unternehmen, Regionen oder Nationen handelt – grundle15
16
17
18
Vgl. http://www.interasia.org/background/asean_d.html
Vgl. Bullinger 1997, 110
Picot 2000, 46
Vgl. Baratta 2005, 679
99
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
gend von ihrer Fähigkeit abhängig ist, auf effiziente Weise wissensbasierte Informationen hervorzubringen, zu verarbeiten und anzuwenden. Sie ist global, weil die Kernfunktionen der Produktion,
Konsumation und Zirkulation ebenso wie ihre Komponenten – Kapital, Arbeit, Rohstoffe, Management, Information, Technologie, Märkte – auf globaler Ebene organisiert sind, entweder unmittelbar oder durch ein Netzwerk von Verknüpfungen zwischen den wirtschaftlichen Akteuren. Sie ist
vernetzt, weil unter den neuen Bedingungen Produktivität durch ein globales Interaktionsnetzwerk
zwischen Unternehmensnetzwerken erzeugt wird, in dessen Rahmen sich auch die Konkurrenz abspielt.“ 19 Latzer und Schmitz sprechen vorwiegend von der digitalen Ökonomie. Diese wird nicht
als Teil der Gesamtwirtschaft gesehen, sondern beschreibt einen Transformationsprozess, dem ein
Großteil der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten ausgesetzt ist. Zentrale Kennzeichen der digitalen
Ökonomie sind Netzeffekte, die aufgrund ihrer ökonomischen Besonderheit alle Bereiche der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten dominieren sowie wachsende Skalenträger, positive Feedback
Loops und sich verkürzende Innovationszyklen.20
2.3
Medien im Informationszeitalter
Die technologischen Entwicklungen und der damit verbundene ökonomische Strukturwandel gehen
Hand in Hand mit gesellschaftlichen Veränderungen. Die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft,
wachsende fundamentaldemokratische Ansprüche und die vermehrte Geltendmachung von Minderheiten- und Partikularinteressen führen zu einem Anwachsen der Informationsansprüche und einem
starken Ansteigen des Informations- und Kommunikationsbedürfnisses der Menschen.21 Durch die
starke Informatisierung der Gesellschaft kommt den Medien eine bedeutungsvolle, gesellschaftsprägende Rolle zu, denn die Mitglieder der Informationsgesellschaft „…leben nicht nur
in einer Wissens-, sondern vor allem auch in einer Meinungs-, Experten- und Medienwelt.“ 22 Allzu
oft wird diese Verantwortlichkeit nicht wahrgenommen und die Medien entpuppen sich als Sprachrohr
von Politik und Wirtschaft. Dies ist vor allem bei der Etablierung einer Informationsgesellschaft wesentlich, da Schlagwörter wie Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft, New Economy etc. häufig Verwendung finden, um anstehende Reformen, wie etwa Deregulierung und Liberalisierung oder den Aufund Ausbau kostenintensiver Infrastrukturprojekte zu rechtfertigen. Rundfunk und Presse stellen in diesem Zusammenhang häufig ein geeignetes Mittel dar, um die breite Zustimmung der Bevölkerung für
solche Vorhaben zu erlangen.
Medien sind ein integraler Bestandteil der oftmals als global bezeichneten Informationsgesellschaft; aufgrund fehlender Infrastruktur oder mangelnder Bildung kann weltweit jedoch nur
ein geringer Prozentsatz Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen. Im Mai 2002
gab es weltweit knapp 606 Millionen IKT-Nutzer, 191 Millionen davon kamen aus Europa, 183
Millionen aus den USA und Kanada, 187 Millionen aus dem asiatisch-pazifischen Raum, in Lateinamerika gab es lediglich 33 Millionen Nutzer, in Afrika rund sechs und im Mittleren Osten
19
20
21
22
100
Castells 2003, 83
Vgl. Latzer; Schmitz 2000, 44ff.
Vgl. Kiefer 2001, 31f.
Mittelstraß zit. n. Kiefer 2001,32
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
fünf Millionen. Werden diese Zahlen nun prozentual dargestellt, so leben in Nordamerika, Europa
und Asien jeweils rund ein Drittel der Internetnutzer, aus Lateinamerika kommen weniger als 2%,
aus Afrika und dem Mittleren Osten in Summe 0,2%.23 Dieses globale Ungleichgewicht erregt die
Sorge von weniger entwickelten Nationen, die deshalb ihre Infrastruktur ausbauen und die Nutzung
von Medientechnik fördern, um Anschluss zur Informationsgesellschaft zu erhalten. Dabei stellt
sich jedoch die Frage, ob die potenziell global verfügbaren elektronischen Dienste für Information
und Kommunikation eine Chance für bislang unterentwickelte Länder darstellen, aktive gleichberechtigte Mitglieder der Informationsgesellschaft zu werden, oder ob die neuen Kommunikationstechnologien die Kluft zwischen „Informations-Habenden“ und „Habenichtsen“ zusätzlich vertiefen.24 Darüber hinaus herrscht auch bezüglich der Auswirkung westlich geprägter Medien auf das
kulturelle Gefüge in Entwicklungsländern eine zweigeteilte Argumentationslinie. So wird einerseits
behauptet, dass diese Medien das kulturelle Gefüge und die Identität der wenig entwickelten Länder
zerstören, da es zu einer kulturellen Anbindung an die Industrieländer kommt. Andererseits wird
den westlichen Medien häufig eine wichtige Rolle bei der Überwindung vormoderner und ungerechter Gesellschaftsstrukturen beigemessen.25
Oft wird neuen Informations- und Kommunikationstechnologien eine demokratisierende Wirkung
zugeschrieben, welche die Lebensbedingungen in autoritär oder diktatorisch geführten Ländern verbessert. Begründet wird diese Annahme damit, dass auch Regierungen dieser Länder die Realisierung wirtschaftlicher Wachstumsraten anstreben, was in einer Informationsökonomie unter anderem
eine Öffnung zu neuen Medien bedeutet. Solch eine Öffnung bringe undemokratische Strukturen
ins Wanken, da insbesondere das Internet Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit biete, die Einschränkungen der Pressefreiheit zu umgehen und so einen Zugang zu objektiven Informationen zu
erhalten. Hafez verweist allerdings darauf, dass die Demokratisierungsentwicklung seit der massenhaften Ausbreitung neuer Medientechnologie, wie etwa dem Internet und direktempfangbarem Satellitenrundfunk, stagniert. „Natürlich kann kein kausaler Zusammenhang derart festgestellt werden, dass die Ausbreitung der neuen Medien für politische Stagnation verantwortlich wäre. Aber
es verbietet sich auch eine Umkehrung der Kausalität, wie sie lange Jahre in der Hoffnung zum
Ausdruck kam, dass durch die neuen globalen Medientechniken auch der Demokratie weltweit
zum Durchbruch verholfen würde.“ 26 Mehr noch: Wenn man die Geschichte der Informationstechnik verfolgt – was im Zusammenhang mit dem Konzept der Informationsgesellschaft selten
geschieht – so zeigt sich, dass Informationstechniken nicht zwangsläufig eine bessere Zukunft
schaffen und so verweist auch Latzer 27 darauf, dass der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in der Politik – etwa bei der elektronischen Abstimmung – nicht unbedingt das Ziel verfolgt, die direkte Demokratie zu stärken, denn auch Manipulations- und Kon-
23
24
25
26
27
Vgl. Filzmaier 2003, o.S.
Vgl. Offenhäußer 1999, 75
Vgl. http://www.interasia.org/background/asean_d.html
Hafez 2003, 39f.
Vgl. Latzer 1997, 37ff.
101
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
trollmöglichkeiten wird dadurch Tür und Tor geöffnet. Dies gilt für hoch industrialisierte Länder
in gleichem Ausmaß wie für weniger entwickelte Nationen.
3
Malaysia: Sozialgeografie sowie politische und wirtschaftliche Entwicklung
3.1
Sozialgeografische und politische Grundlagen
Die föderative Wahlmonarchie Malaysia (Federation of Malaysia) entstand im Februar 1963
durch den Zusammenschluss des seit 31.08.1957 von den Briten unabhängigen Staates Malaya28 mit den britischen Kolonien Singapur, Sarawak und British North Borneo (Sabah). Als
Singapur 1965 seinen Austritt aus der Föderation erklärte, nahm Malaysia mit 13 Bundesstaaten (davon neun Sultanate) und den zwei Bundesterritorien Kuala Lumpur (KL) und Labuan
(Victoria) seine heutige Gestalt an. Alle fünf Jahre wird von den Sultanen Westmalaysias ein
neuer König aus ihrer Mitte gewählt. Seit 13.12.2006 ist König Yang di-Pertuan Agong XIII,
Tuanku Mizan Zainal Abidin ibn al-Marhum von Malaysia das Staatsoberhaupt. Der knapp
330.000 km² große, südostasiatische Vielvölkerstaat beherbergt gemäß der letzten Volkszählung
vom Jahr 2000, 23,27 Millionen Einwohner, 94,1% davon sind malaysische Staatsbürger29, rund
1,5 Millionen Menschen leben in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur (Großraum Kuala
Lumpur rund vier Millionen Einwohner). Die ethnische Herkunft der malaysischen Staatsbürger gliedert sich wie folgt auf: 65,1% Malaien, 26,0% Chinesen, 7,7% Inder, 1,2% Sonstige.
Mit 50,9% überwiegt der Anteil der Männer in Malaysia.30 Die Landessprache ist Malaiisch
(seit 1967 unter der Bezeichnung Bahasa Malaysia). Englisch ist als Amts- und Verkehrssprache weit verbreitet. Die Währung ist der Ringgit (RM), im November 2006 entsprachen 4,67
RM einem €. Seit dem 14. Jahrhundert ist der Islam Staatsreligion, über 50% der Bevölkerung
zählen zu den Sunniten, für Nicht-Malaien ist die Religionsfreiheit durch die Verfassung von
1957, deren Grundlage das englische common law und nicht die Sharia bildet, garantiert.31
Seit ihrer Gründung lenkt die aus 14 Parteien bestehende Allianz, heute als Barisan Nasional (BN)
respektive Nationale Front bekannt, das politische Geschehen. Die UMNO ist die führende Partei
der Allianz und stellt den Premierminister und seinen Stellvertreter. Am 31.10.2003 wurde Haj
Abdullah b.Hj Ahmad Badawi (UMNO) neuer Premierminister Malaysias. Er löste den 22 Jahre
amtierenden Mahathir bin Mohamad (UMNO) ab.32
Unter dem langjährigen Premierminister Mahathir nahm die Regierung in den 1980er Jahren
immer autoritärere Charakterzüge an, die sich unter anderem in einer Machtballung in den
Händen der Exekutive, der Einschränkung vom Bürgerrechten durch Sicherheitsgesetze, einer
äußerst starken Stellung des Premierministers und einer rigiden Zensur der Medien manifestierten.
28
29
30
31
32
102
Seit Februar 1948 Federation of Malaya
In Malaysia unterscheidet man zwischen zwei Hauptgruppen von Staatsangehörigen:
1. Malaien oder Bumiputra (Söhne der Erde): Aborigines (Orang Asli aus Westmalaysia) und Malays aus
Westmalaysia sowie non-Malays aus Ostmalaysia (Ibans, Bidayuh, Melanu, Kenyah, Kelabit, Kayan,
Bisayah, Kadazan, Murut und Kedayan)
2. Non-Bumibutra: Chinesen, Inder, sonstige Ethnien. (Vgl. Trezzini 2001, 181)
Vgl. http://www.statistics.gov.my
Vgl. Trezzini 2001, 171ff.
Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Häufig betonte Mahathir, dass Malaysia noch nicht reif genug sei, um mit der Freiheit umzugehen
und die ethnischen Unruhen von 1969 wurden vielfach als Beispiel dafür vorgebracht, was
passieren würde, „wenn man nationale Belange dem Volk überließe und die Regierung die
Zügel lockerte und mehr westliche Freiheit zuließe, als sie dies bereits tut.“33 Und auch bei
seiner Abschiedsrede im Oktober 2003 erklärte Mahathir, dass zu viel Freiheit schlecht für
das Land sei: „Die Besessenheit mit demokratischen Freiheiten kann zur Anarchie führen.“ 34
3.2
Wirtschaftliche Entwicklung seit der Unabhängigkeit
Aufgrund der zielstrebigen Wirtschafts- und der relativ offenen Marktpolitik sowie durch den
Mehreinsatz von Produktionsfaktoren entwickelte sich Malaysia binnen kürzester Zeit zu einem
der weltweit größten Computerchiphersteller. Heute zählt das Land zu den wirtschaftlich am
besten entwickelten Ländern Südostasiens. „Kaum ein Staat verfolgt so konsequent ehrgeizige industriepolitische Ziele wie Malaysia. Das Land formuliert Vorgaben für die Privatwirtschaft und wendet ein komplexes Instrumentarium von Auflagen, Schutzzöllen, Steueranreizen und politischem Druck an, um diese zu erreichen. Vorrangige Ziele umfassen den Anschluss an internationale Entwicklungen in High-Tech-Branchen (Informationstechnologien,
Chip-Fabrikation, Luft- und Raumfahrt), die Importsubstitution in technologisch anspruchsvollen Konsumgüterindustrien (Automobile, Elektrogeräte) und den Aufbau eines dynamischen Unternehmertums in der malaiischen Volksgruppe.“ 35
Die wirtschaftliche Aufholjagd begann 1969 mit der intensiven Förderung von in- und ausländischen Investitionen, wodurch die Wachstumskurve des Landes nach oben schnellte: In den
1970er Jahren um durchschnittlich 7,8% pro Jahr. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 390 US$
(1970) auf 1.900 US$ (1982).36 Ein wichtiger Schritt war die 1983 eingeleitete Privatisierung,
diese wurde 1985 durch die Guidelines of Privatisation und 1991 durch den Privatisation Master
Plan und den darin enthaltenen Privatisation Action Plan systematisiert. Die intensiven Anstrengungen der Regierung schlagen sich in einem über bereits mehrere Jahrzehnte anhaltenden Wirtschaftswachstum nieder. 1996 gehörte Malaysia zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. In diesem Jahr nahm es Platz 18 als Handelsnation und Platz 19 als Exportnation
ein. Die Jahre davor konnte eine jährliche Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um real 8,7%
erreicht werden, das Außenhandelsvolumen hatte sich in den Jahren zwischen 1987 und 1996
versiebenfacht.37 Im Jahr 2003 verfügte das südostasiatische Schwellenland über ein BIP von
103,737 Milliarden US$ und einen realen Zuwachs von 5,5%. Das Bruttonationaleinkommen/Kopf belief sich im gleichen Jahr auf 3.880 US$.38
Ausländische Direktinvestitionen (ADI) spielen eine zentrale Rolle in der erfolgreichen
wirtschaftlichen Entwicklung. Malaysia weist bis heute eine größere Abhängigkeit von
33
34
35
36
37
38
Kwang Yang 1993, 82
Mahathir zit. n. Bernath 2003, o.S.
Friedrich Ebert Stiftung, http://www.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00408toc.htm
Vgl. Yergin; Stanislaw 2001, 251
Vgl. Weber 1999, 1f.
Baratta 2005, 513
103
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
ADI auf, als andere Schwellenländer Asiens. Nach Angaben der Weltbank zählte das Land
von 1987-1991 weltweit zu den fünf attraktivsten Volkswirtschaften für ADI, und auch
gegenwärtig ist es einer der attraktivsten Standorte für ausländische Direktinvestitionen
außerhalb der OECD.39
4
Wirtschaftspolitische Konzepte für Malaysias Informationsgesellschaft
4.1
Vision 2020
Um Malaysia erfolgreich ins Informationszeitalter zu katapultieren und die Entwicklung, Produktion und Nutzung von IKT zu fördern, wurde im Februar 1991 die Vision 2020 ins Leben gerufen.
Sie wurde bei der Gründungsveranstaltung des Malaysian Business Council (MBC) vom ehemaligen Premierminister Mahathir in der programmatischen Rede „Malaysia: The Way Forward“
präsentiert. Neben politischen und sozialen Zielen verfolgt die Vision hauptsächlich die Transformation Malaysias zu einem voll entwickelten – auf IKT basierenden – Industriestaat und darüber hinaus zu einer Informations- und Wissensgesellschaft. So soll das Land im Jahr 2020
„…eine wissenschaftliche und fortschrittliche Gesellschaft sein, eine Gesellschaft, die innovativ und vorwärtsgewandt ist, die nicht nur Technologien annimmt, sondern zur wissenschaftlichen und technologischen Zivilisation der Zukunft beiträgt.“ 40
Um die hochgesteckten Ziele zu realisieren, muss Malaysias Wirtschaft in eine Informationsökonomie (in Malaysia: Knowledge Economy oder K-Economy) verwandelt werden, die im
Zeitraum zwischen 1990 und 2020 um 800% wächst.41 Ursprünglich wurde der verarbeitenden Industrie die Rolle des Zugpferdes zugeschrieben, schnell stellte sich jedoch heraus, dass
Informations- und Kommunikationstechnologien die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums
und somit der Motor der Transformation sind: „Multimedia or IT is the priority sector for achieving Vision 2020.“ 42 Aus diesem Grund wurden im achten malaysischen Wirtschaftsplan
aus einem Gesamtbudget von 110 Milliarden Ringgit, fünf Milliarden für die Entwicklung
von IKT zur Verfügung gestellt.43
Obwohl Malaysias Vision 2020 zahlreiche gesellschaftliche Themen anspricht, die sich hauptsächlich auf den Erhalt der multiethnischen Harmonie und die Wahrung der gesellschaftlichen
Werte erstrecken, ist die Vision 2020 ein staatlich geplantes Wirtschaftsprogramm, welches
hauptsächlich ökonomische Ziele verfolgt. Schlüsselpunkte sind neben dem Malaysia Incorporated Konzept – das die Kooperation zwischen öffentlichem und privatem Sektor anregen
soll – die Förderung von Forschung und Entwicklung, die Gründung des National Information
Technology Councils (NITC), die Errichtung des Multimedia Super Corridors (MSC) sowie
die Etablierung einer Informationsökonomie (K-Economy).
39
40
41
42
43
104
Vgl. http://www.geog.uni-hannover.de/wigeo/singapur/referate/8_referat.pdf
Friedrich Ebert Stiftung, http://www.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00408toc.htm
Vgl. Mahathir 1995, 2ff.
Mahathir 1998, 52
Vgl. ITU 2001, 6
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Ein wichtiges Maßnahmenpapier zur Transformation des südostasiatischen Schwellenlandes ist
die im Dezember 1996 durch das National Information Technology Council (NITC) formulierte
„National IT Agenda (NITA)“. „Turning Ripples into Waves“ lautet das Motto der NITA, denn
es wird davon ausgegangen, dass durch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen eine große
Welle der Veränderung ausgelöst werden kann.44 So soll Malaysias Gesellschaft durch die gezielte Förderung von Humankapital, Infostruktur und IT-Anwendungen modernisiert werden.
Abbildung 1: NITA-Dreieck 45
Aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften hat die Förderung des Humankapitals
oberste Priorität – sie ist deshalb auch an der Spitze des Dreiecks angebracht. Auch wird der
Ausbau der Infostructure, welche sich aus Computer-Hardware, Telekommunikation, Datenbanken, Netzwerken und Gesetzen zusammensetzt, intensiv vorangetrieben. Das dritte Element des NITA-Dreiecks – die Unterstützung von IT-Anwendungsgebieten – beschäftigt sich
intensiv mit der Entwicklung von Inhalten. Hier wird speziell auf die Kompatibilität mit der
malaysischen Kultur und Religion sowie auf lokale und regionale Inhalte Wert gelegt.46
4.2
Das Konzept der K-Economy
Um die Herausbildung einer Informationsökonomie (Knowledge Economy/K-Economy) zu beschleunigen, wird in Malaysia die Überlagerung des materiellen mit dem immateriellen Sektor
forciert. Dadurch – so die Annahme – soll der schnell wachsende Bereich der Knowledge-based
activities (K-activities) entstehen, der sich aus der Multimedia-, Software-, Pharma- und Raumfahrtindustrie sowie Forschung und Entwicklung zusammensetzt. Im Jahr 1999 betrug der Anteil
der K-activities noch weniger als 10%, für das Jahr 2010 sieht das Transformationsszenario bereits eine Steigerung auf 65% vor. Bei Abschluss der Vision 2020 wird Malaysias Wirtschaft,
44
45
46
Vgl. ITU 2002, 27
http://www.nitc.org.my/nita/index.shtml
Vgl. ebenda
105
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
nach Ansicht wirtschaftspolitischer Eliten, von den New K-industries/activities, die zusätzlich
Bio- und Nanotechnologie sowie Molekularbiologie umfassen, dominiert.
Grund für die ökonomische Umgestaltung ist neben der Realisierung des hohen Wirtschaftswachstums, vor allem der Wettbewerb mit Staaten, wie etwa Singapur und China, um ausländische Direktinvestitionen. „Exploiting the K-Economy within the globalized trade environment has become the current focus of attention by many countries which aspire to remain
competitive. Economic growth is favouring industries with high knowledge contents. The
transition from a P-Economy to a K-Economy is unavoidable […].” 47
Vor allem die verarbeitende Industrie Malaysias entwickelt sich durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sehr gut, da durch wissensbasiertes Arbeiten
die Produktion schneller, besser und kostengünstiger verläuft. Darüber hinaus ermöglichen
Informationsdienstleistungen die gezielte Betreuung der Kunden und die kundenspezifische
Anpassung der Produkte. „The requirement of the K-Economy is, thus, a shift from massproduction to mass-customisation solutions that create value demanded by the new valuedriven tier of the consumer.“ 48 Neben der Kundenbezogenheit im B2B-Bereich realisiert der
Einsatz neuer Technologien im B2C-Sektor zusätzliche Kundenservices, die sich mitunter positiv auf das Kaufverhalten auswirken. Die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung zeigte,
dass zusätzliche Dienstleistungen, wie etwa die Abfrage von Online-Informationen und 24Stunden-Hotlines, für 36% der Befragten beim Kauf eines Produktes entscheidend sind, für
25% sind sie eher entscheidend, für 22% eher nicht und 17% der befragten Personen gaben an,
dass zusätzliche Informationsdienstleistungen keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben.
Zwischen dem Bildungsniveau und dem Einfluss von Informationsdienstleistungen auf die
Kaufentscheidung scheint ein Zusammenhang zu bestehen, denn Personen mit Grundschulausbildung gaben zu 75% an, dass solche Services die Kaufentscheidung eher nicht beeinflussen,
für die restlichen 25% dieser Personengruppe spielen sie gar keine Rolle beim Kauf eines Produktes. Im Gegensatz dazu gaben 54% der befragten Personen mit Universitätsabschluss an,
dass solche Services ihre Kaufentscheidung beeinflussen, 23% werden eher davon beeinflusst.
Nur 8% dieser Personengruppe gaben an, dass Informationsdienstleistungen gar keine Rolle
beim Kauf eines Produktes spielen. Vor allem die Gruppe der unter 45-Jährigen und die der
ethnischen Malaien legt Wert auf Informationsdienstleistungen, darüber hinaus wird die Kaufentscheidung von Männern dadurch etwas häufiger beeinflusst als die von Frauen.
Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung stellte das deutsche Zentrum für Außenwirtschaft fest, dass sich die malaysische Informationsökonomie im Jahr 2001 auf relativ niedrigem
Niveau befand, da der Anteil des Wissens als Ressource nur 15% betrug, in den Industrieländern hingegen waren es bereits 50%. Und auch der von der International Data Corporation erstellte „Information Society Index (ISI)“ kommt zu dem Schluss, dass Malaysia weitere An-
47
48
106
NITC; MIMOS Berhad 1999, 5
NITC; MIMOS Berhad 1999, 14, 5
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
strengungen unternehmen muss, um in der „globalen“ Informationsökonomie wettbewerbsfähig
zu bleiben. Der ISI misst anhand von 23 miteinander kombinierten ökonomischen, technischen,
infrastrukturellen und sozialen Kriterien die Entwicklung von 55 Ländern in der Informationsökonomie. Die 23 Indikatoren (Anzahl PCs/Kopf, TV-Geräte/Kopf, Telefonanschlüsse/Kopf,
Haushaltsausgaben für Hard- und Software, Telefonkosten, Internet-Penetration, E-CommerceAusgaben, Bildungsstand, Pressenutzung, Pressefreiheit etc.) sind folgenden vier Hauptkategorien zugeordnet: Computer-, Internet-, Informations- und Sozialinfrastruktur. Die Entwicklung
der untersuchten Länder wurde in vier Gruppen eingeteilt:
1. Skaters: Länder dieser Kategorie sind die Hauptakteure der Informationsgesellschaft und
Informationsökonomie. Sie nutzen das Potenzial neuer Informations- und Kommunikationstechnologien voll aus.
2. Striders: Angehörige dieser Gruppe sind bereits Teil der Informationsgesellschaft und
Informationsökonomie. Sie nutzen neue Informations- und Kommunikationstechnologien
zu ihrem eigenen Vorteil und besitzen die nötige Infrastruktur. Allerdings ist die Akzeptanz der neuen Technologien noch nicht in alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens vorgedrungen.
3. Sprinters: Gesellschaft und Wirtschaft der Sprinters – einer Gruppe, der auch Malaysia
angehört – entwickeln sich zu einer Informationsgesellschaft und Informationsökonomie.
Der Transformationsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
4. Strollers: Limitierte finanzielle Ressourcen aufgrund der hohen Bevölkerungszahl sowie
weitere Entwicklungsschwierigkeiten erschweren diesen Ländern den Zugang zur Informationsgesellschaft und Informationsökonomie.49
Abbildung 2: Information Society Index 2000 – ausgewählte Länder 50
Kategorie
Skaters
Striders
Sprinters
Strollers
49
50
Nation
Schweden
Norwegen
Finnland
USA
GB
Singapur
Japan
Deutschland
Österreich
Korea
Frankreich
Italien
Portugal
Tschechische Rep.
Ungarn
Polen
Malaysia
Südafrika
Türkei
Saudi Arabien
Thailand
Rang
2000
1
2
3
4
6
9
11
13
14
19
21
23
25
28
29
30
32
38
41
44
47
Computer
Rang
2000
6
7
14
1
10
8
5
17
15
22
16
24
26
32
30
37
28
34
41
39
42
Internet
Rang
2000
1
4
9
10
6
2
17
11
13
18
20
22
27
34
29
35
25
30
45
38
46
Information
Rang
2000
8
7
6
14
5
21
12
9
13
16
23
18
24
27
31
30
36
42
29
44
48
Sozial
Rang
2000
4
1
6
17
11
33
2
13
15
8
20
29
26
21
25
32
48
37
47
55
39
Vgl. http://www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf
eigene Bearbeitung nach: www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf
107
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Philippinen
China
Indonesien
Indien
48
52
53
54
50
52
55
53
43
51
53
55
50
47
54
53
34
53
52
49
Malaysia nimmt unter den 55 untersuchten Ländern Platz 32 ein und ist der Sprinters-Gruppe
zugeordnet. Das Entwicklungspotenzial eines Landes hängt vor allem von der Sozialinfrastruktur ab; ist diese besser bewertet als die drei anderen Indikatoren, so kann davon ausgegangen werden, dass das Land eine gute Entwicklungschance hat. Begründet wird diese Annahme damit, dass sich die Sozialinfrastruktur-Variablen, wie etwa Bildungsstand und Pressefreiheit, nur sehr langsam ändern, während sich die Variablen der Computer-, Internet- und
Informationsinfrastruktur, wie beispielsweise die PC- oder Mobilfunk-Penetration, durch gezielte Maßnahmen schnell wandeln können. Malaysias Sozialinfrastruktur schneidet im Vergleich zu den anderen Kategorien außerordentlich schlecht ab, demzufolge wird das Entwicklungspotenzial als eher gering eingestuft.51
Trotz des eher ernüchternden Ergebnisses des „Information Society Index“ muss darauf verwiesen werden, dass Malaysias Regierung große und auch effektive Anstrengungen unternimmt, um das Wissens- und IKT-Niveau anzuheben. So erlangte das politische und regulatorische IKT-Umfeld Malaysias im „World Information Technology Report 2004/2005“ Rang
fünf (von 104 untersuchten Nationen) in Bezug auf seine Effektivität. Das südostasiatische
Schwellenland erreicht bei der Untersuchung des „Network Readiness Index“ – einer Messgröße zur Evaluierung der Bereitschaft einer Nation, an der Entwicklung von IKT teilzunehmen und daraus einen Nutzen zu ziehen – den guten 27. Platz (von ebenfalls 104 Nationen).52
4.3
E-Commerce
Ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen K-Economy ist die Nutzung der elektronischen Geschäftsabwicklung, weshalb von der malaysischen Regierung zahlreiche Initiativen,
wie etwa die Implementierung von Cybergesetzen (siehe Kapitel 5.3) und die Gründung des
National E-Commerce Committee (NECC) beschlossen wurden. Dies hatte eine hohe Steigerung der E-Commerce-Umsätze zur Folge.
Eine von Taylor Nelson Sofres veröffentlichte Studie untersuchte die Entwicklung des ECommerce in 27 Ländern. Die Erhebung kam zu dem Ergebnis, dass sich E-Commerce in Malaysia rasch entwickelt und die elektronische Geschäftsabwicklung einen wichtigen Stellenwert
besitzt. Unter den untersuchten Ländern aus vier verschiedenen Kontinenten nimmt das südostasiatische Schwellenland Platz 17 ein. Laut der Untersuchung hatten im Jahr 2000, 5% der malaysischen Internetnutzer Online-Einkäufe getätigt, 14% gaben an, in den nächsten sechs Monaten elektronisch einkaufen zu wollen und 12% hatten als direktes Resultat einer Internetrecherche offline Produkte gekauft.53 Das Ergebnis der im Rahmen des Forschungsaufenthaltes
durchgeführten Befragung zeigt, dass die elektronische Geschäftsabwicklung im Jahr 2004 be51
52
53
108
Vgl. http://www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf
Vgl. Dutta; Lopez-Carlos 2005, 164ff.
Vgl. Rosario 2000, o.S.
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
reits von nahezu einem Drittel der Probanden genutzt wurde. So gaben 5% an, sehr oft Produkte
online einzukaufen, 25% taten dies schon einige Male, weitere 11% haben noch nie online eingekauft, haben es aber in Zukunft vor. Der Großteil (59%) hat die Möglichkeit der elektronischen Geschäftsabwicklung noch nie genutzt und besitzt auch nicht die Intention, dies zukünftig
zu tun. Die Personengruppe, die noch nie eine elektronische Geschäftsabwicklung durchgeführt
hat und auch keine Intention verspürt, dies zu tun, besteht zu 33% aus Internetnutzern. Vor allem Teenager und junge Erwachsene scheinen eine hohe Affinität zum Online-Shopping zu
haben, denn mehr als die Hälfte (54%) der 14- bis 24-Jährigen hat schon einmal Produkte oder
Services über das Internet eingekauft, gefolgt von den 35- bis 44-Jährigen (27%) und der ältesten Personengruppe der 55 bis 69-Jährigen (24%). Die 45- bis 54-Jährigen nutzten die Möglichkeit der elektronischen Geschäftsabwicklung am seltensten (15%). Den Ergebnissen zufolge
scheinen Geschlecht, Bildung und ethnische Herkunft keine gravierenden Auswirkungen auf
eine Online-Kauf-Entscheidung zu haben. Erstaunlich ist, dass 6% der Online-Shopper kein
Vertrauen in die Datensicherheit im Internet haben. 20% sind der Meinung, dass die Daten in
digitalen Netzwerken eher unsicher sind. Nur 37% vertrauen vollkommen in die Datensicherheit im Internet.
5
Malaysias Multimedia Super Corridor (MSC)
„Der Multimedia Super Corridor ist ein sehr umfassender Ansatz des Schwellenlandes Malaysia, um im thematisch begrenzten Bereich der Breitband-Kommunikation und Informationstechnik weltweite Entwicklungen aufzuholen und zu einem global führenden Standort für
den gewählten Technologiebereich zu werden.” 54
Um Malaysias K-Economy voranzutreiben und die Ziele der Vision 2020 zu realisieren, wurde am 02.08.1996 der Multimedia Super Corridor (MSC) eröffnet. „The establishment of
MSC is to assist in the economic transformation of Malaysia from a production-based economy (P-Economy) to a knowledge-based economy (K-Economy).” 55 Der Hightech-Korridor
soll Malaysia den unmittelbaren Anschluss an die technologische Entwicklung der führenden
Industrieländer ermöglichen, weshalb im Zusammenhang mit dem MSC häufig von
„Leapfrogging“, das heißt dem Überspringen von gängigen Abfolgen in der Wirtschaftsentwicklung gesprochen wird. „The establishment of the MSC, and Cyberjaya in particular, will
enable Malaysians to leapfrog into the Information Age.“ 56
Der 750 Quadratkilometer große Technologiepark, der nach dem Vorbild des amerikanischen
Silicon Valley geschaffen wurde, erstreckt sich von den Petronas Twin Towers im Stadtzentrum Kuala Lumpurs (KLCC) bis zum neuen internationalen Flughafen (KLIA). Er soll ausländischen und heimischen IT-Unternehmen als Experimentierfeld für Multimediaanwendungen und als Ausgangspunkt für die Erschließung des südostasiatischen Marktes dienen. Das
Nebeneinander von malaysischen Klein- und Mittelbetrieben und Weltklasse-IT-Unternehmen
54
55
56
Edler/Boekholt 2001, 179
Hossain 2001, 151
Mahathir 1998, 29
109
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
soll einen Know-how- und Technologientransfer realisieren, der malaysischen Unternehmen die
Möglichkeit bietet, selbst zu Global Player zu werden. „Hopefully, a few of tomorrow’s leaders
will be from Malaysia with new products and services in the MSC.” 57
Das Innovationsmilieu verfügt über ein, von der Telekom Malaysia Berhad errichtetes, digitales Hochleistungsglasfasernetzwerk mit einer Datendurchsatzrate von 2,5-10 Gigabits pro
Sekunde. Auch für die physische Infrastruktur wurde gesorgt. So stehen neben einem gut ausgebauten Autobahnnetz, Wohnungen, Freizeitanlagen und Einkaufszentren für insgesamt
240.000 Einwohner zur Verfügung. Das Herzstück des Korridors bilden die beiden Städte
Putrajaya und Cyberjaya. Das als „intelligente Stadt“ bezeichnete pompöse Putrajaya mit seinen palastähnlichen Ministerien und einem künstlich angelegten See ist das neue administrative
Zentrum Malaysias. Hier sind alle Regierungsstellen vernetzt. Durch innovative Lösungen soll
die papierlose elektronische Verwaltung vorerst in Putrajaya erprobt und danach landesweit
implementiert werden. Das Gegenstück von Putrajaya ist das für die Wirtschaft errichtete Cyberjaya. Auf einem 7.000 Hektar großen Gelände soll durch die Konzentration von nationalen
und internationalen IT-Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungszentren und einer Multimedia-Universität ein Innovationsmilieu geschaffen werden, welches Malaysias Wettbewerbsfähigkeit sichert.58 Mittelpunkt von Cyberjaya ist der Central Incubator, welcher der Multimedia-Universität angegliedert ist und das Ziel verfolgt, neue Geschäftsideen und Innovationen
zu entwickeln. Um die Entwicklung des MSC voranzutreiben, werden neben der Bereitstellung
einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur und diversen fiskalischen Zugeständnissen, öffentliche
Aufträge für sieben IT-Anwendungen (Flagship Applications/Flaggschiff-Anwendungen) an MSCUnternehmen vergeben: (1) Elektronische Regierung, (2) Multifunktionskarte, (3) intelligente Schulen, (4) Tele-Gesundheit, (5) Forschungs- und Entwicklungszentren, (6) E-Business (inklusive weltweites Verarbeitungsnetz und grenzenloses Marketing) und (7) Technopreneur-Entwicklung.
Das deutsche Zentrum für Außenwirtschaft stellte im Jahr 2002 fest, dass der MSC sowohl
von der Wirtschaft als auch von der Gesellschaft verstärkt angenommen wird. Dies habe zur
Folge, dass sich die Entwicklung der IT-Industrie Malaysias beschleunige und das öffentliche
Interesse an Informationstechnologien und ihren Anwendungsgebieten steige.59 Auch die in
Kuala Lumpur durchgeführte Befragung zeigt, dass ein Großteil der Probanden positiv gegenüber dem Technopol eingestellt ist. 88% der befragten Personen gaben an, den MSC zu
kennen, wobei die Mehrheit (69%) von den Medien informiert wurde, 12% hörten am Arbeitsplatz erstmals vom MSC und sieben Prozent bei Bekannten oder Verwandten. 91% der
Probanden, die den MSC kennen, sind der Meinung, dass der Technologiepark einen wirtschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Vorteil realisiert. Wie auch das deutsche Außenwirtschaftszentrum kommt die Befragung zu dem Ergebnis, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien verstärkt von der Bevölkerung angenommen werden. Die Mehrheit der
57
58
59
110
Vgl. Mahathir 1998, 46
Vgl. Jackson; Mosco 1999, 25f.
Vgl. http://www.aussenwirtschaftszentrum.de
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
befragten Personen (69%) gab an, dass diese Technologien ihren Alltag erheblich erleichtern.
15% der Probanden sagten, dass ihr tägliches Leben durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien eher erleichtert wird, bei 3% ist das eher nicht der Fall und nur 13% gaben
an, dass neue Medien keine Erleichterung im Alltag darstellen.
5.1
Entwicklung des Technologieparks
Die Entwicklung des MSC wurde in drei Phasen unterteilt:
-
Phase I (1996 – 2003): Phase eins wurde Anfang September 2003 erfolgreich abgeschlossen. Ziel der Einführungsphase war die Errichtung des Korridors und die Ansiedlung von
namhaften IT-Betrieben, wobei mindestens 50 Global Player die Mitgliedschaft zum MSC
antreten mussten. Darüber hinaus beinhaltete die erste Phase die Errichtung des administrativen Zentrums Putrajaya und der fünf Cybercities Cyberjaya, Technology Park Malaysia, Kuala Lumpur City Centre, Kuala Lumpur Tower und UPM-MTDC. Auch die erfolgreiche Implementierung der sieben Flaggschiff-Anwendungen und die Formulierung von
Cybergesetzen war Voraussetzung für den Abschluss der ersten Phase.
-
Phase II (2003 – 2010): Am 05.09.2003 trat der MSC in die zweite Phase. Bei Beendigung
der zweiten Entwicklungsstufe im Jahr 2010 soll der Korridor bereits 250 Weltklasse-ITUnternehmen beherbergen. Darüber hinaus soll ein Netzwerk von Hightech-Korridoren in
Malaysia errichtet worden sein. Es wird erwartet, dass die globale Vernetzung von vier
malaysischen Technologieparks bis zum Jahr 2010 abgeschlossen ist und dass die, in der
ersten Phase erfolgreich eingeführten Flaggschiff-Anwendungen, weltweit neue Standards
setzen. Auch die Harmonisierung des Cyberrechts soll abgeschlossen sein.
-
Phase III (2010 – 2020): Mit Ende 2020 soll die Vision 2020 in Erfüllung gegangen sein.
Das heißt, Malaysia soll zu den tonangebenden Industrienationen zählen und sich als global führendes IT-Experimentierfeld etabliert haben. Es wird davon ausgegangen, dass der
MSC nach Abschluss der dritten Phase 500 Weltklasse-IT-Unternehmen beinhaltet und
sich über ganz Malaysia erstreckt. Darüber hinaus soll der internationale Cybergerichtshof
im MSC angesiedelt und die Vernetzung der zwölf geplanten intelligenten Städte Malaysias mit allen großen Technologieparks der Welt abgeschlossen sein.60
Um den Unternehmen ein Mitspracherecht im Korridor einzuräumen, wurde Anfang 1997 ein
internationaler Beratungsausschuss – das International Advisory Panel (IAP) – gegründet. Es
steht unter dem Vorsitz des Premierministers und setzt sich hauptsächlich aus Führungskräften
internationaler Konzerne, wie etwa Bob Bishop (ehemaliger CEO und heutiges Vorstandsmitglied von Silicon Graphics Inc.), William F. Miller (Professor für Computerwissenschaften an
der Universität Stanford), Ragnar Back (Executive Vice President der Ericsson Group), Anton
Hendrik Schaaf (Vorstandsmitglied der Siemens Information and Communication Networks),
60
Vgl. MDC 2003, 5
111
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Stan Shih (Gründer von Acer Inc.), zusammen.61 Nach Abschluss der ersten Entwicklungsphase
zeigte sich der Beratungsausschuss begeistert. So meinte Bob Bishop: „I do not think the world
has realized how successful Phase One has been given the challenges that the MSC had to face
such as the regional economic crises of 1997, the global economic slowdown and the recent
Severe Acute Respiratory Syndrome.” 62 William Miller meinte gar, dass sich der MSC viel erfolgreicher und vor allem schneller entwickelt hat als andere Technologieparks: „People do not
expect miracles to happen overnight but if we compare the MSC to Silicon Valley and Taiwan,
the MSC has developed much faster than all that.“ 63 Nicole Lim Wai Lai von der Geschäftsführung des MSC-Headquarters geht davon aus, dass der starke Einsatz der Regierung im Allgemeinen und jener des ehemaligen Premierministers Mahathir im Speziellen sowie die Ratschläge des Beratungsgremiums für die erfolgreiche Entwicklung des Korridors ausschlaggebend
sind: „The main reasons for the successful development of the MSC are the leadership and support by Dr. Mahathir Mohammad, the commitment given to us by the government and the International Advisory Panel.” 64
Trotz dieser Lobeshymnen des IAP’s stellt der in Malaysia vorherrschende Arbeitskräftemangel ein
Risiko für die dynamische Entwicklung des MSC dar. Um die vorhandene Ressourcenknappheit
auszugleichen, beschäftigt das Innovationsmilieu eine große Anzahl an ausländischen Wissensarbeitern. Nach Angaben der MDeC waren im Dezember 2005 2.886 ausländische Wissensarbeiter in
MSC-Status-Unternehmen beschäftigt. Die große Mehrheit der Expats stammt aus Indien (1.417
Knowledge Worker), gefolgt von philippinischen Knowledge-Workern (241), Personal aus Indonesien (139), China (130) und Thailand (125).65 In diesem Zusammenhang kritisiert Hutnyk,66 dass
ein Großteil der gut bezahlten und wichtigen Posten durch Personal der multinationalen ITUnternehmen besetzt wird und nur Mitglieder der malaysische Elite eine Chance haben, als Experten in den MSC aufgenommen zu werden. Für die durchschnittliche Bevölkerung stehen nach Ansicht von Hutnyk nur noch schlecht entlohnte Arbeitsstellen zur Verfügung: „Sie sind es, die Teilzeit- oder Aushilfsjobs übernehmen und als Hilfsarbeiter und Servicepersonal werden fungieren
müssen, in dieser hightech Phantasie-Enklave, zweifellos mit weniger vornehmen Unterkünften am
Rande.“ 67 Trotz dieser eher ernüchternden Einschätzung Hutnyks gehen 80% der in Kuala Lumpur
befragten Personen davon aus, dass durch neue Technologien neue, gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden.
61
62
63
64
65
66
67
112
Vgl. MDC 2003, 8
Bishop zit. n. o.V. 2003b, 1f.
Miller, zit. n. o.V. 2003b, 1f.
Lim Wai Lai, Email vom 03.10.2003
Vgl. http://www.mdec.com.my/.
Hutnyk 1997, o.S.
Hutnyk 1997, o.S.
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
5.2
Der MSC-Status
„The Malaysian Government has always been business friendly, and we are going to be even
friendlier to those who participate in the MSC.” 68
Um Investoren anzulocken, wird von der MDeC der so genannte MSC-Status an kooperationsbereite Multimedia-, IT-, und Forschungsunternehmen verliehen, deren Geschäftsfeld an
den Flaggschiff-Anwendungen angelehnt ist.69 Der Status öffnet den Unternehmen das Tor zu
einer Reihe von finanziellen und regulatorischen Vorteilen, die im Oktober 2006 bereits von
1.596 MSC-Status-Unternehmen genossen wurden. Besonders stolz ist das MSCManagement auf bereits 77 angesiedelte Global Player, unter ihnen NTT, INTEL, Siemens
Multimedia, Fujitsu, Sun Microsystems, Nokia und BMW Technology Centre.70
Die an den MSC-Status geknüpften Zugeständnisse an Investoren sind in einem Garantiegesetz (Bill of Guarantees) festgelegt, in diesem verpflichtet sich die Regierung:
-
Eine physische- und Informationsinfrastruktur von Weltklasse zur Verfügung zu stellen;
die uneingeschränkte Beschäftigung von ausländischen und inländischen Arbeitskräften
zuzulassen;
die Freiheit auf Eigentum zu gewähren, indem MSC-Unternehmen von Eigentumsbeschränkungen befreit werden;
den Zugang zu den weltweiten Kapitalmärkten für Investitionen in die MSC-Infrastruktur
zuzulassen und das Recht zu gewähren, Finanzkredite weltweit aufzunehmen;
die MSC-Unternehmen bis zu zehn Jahre von der Einkommenssteuer zu befreien oder
eine Steuerbefreiung auf Investitionen zu gewähren;
die Importsteuern auf Multimedia Equipment zu erlassen;
eine regionale Vorreiterrolle beim Schutz des intellektuellen Eigentums und bei der Cyber-Gesetzgebung zu übernehmen;
den unzensierten Internetzugang zu gewähren;
global wettbewerbsfähige Telekommunikationstarife anzubieten;
MSC-Infrastrukturverträge an führende MSC-Unternehmen zu vergeben; und
die MDeC als zentrale Anlaufstelle für alle Belange zu errichten.71
Darüber hinaus wird den MSC-Status-Unternehmen der malaysische Marktzutritt, Subventionen für
Forschung und Entwicklung sowie die Existenz von Risikokapitalfirmen garantiert. Vor allem letzteres ist für die Entfaltung des Technologieparks von großer Bedeutung, denn nur durch Venture Capital
in ausreichendem Umfang ist die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen gesichert.72
Dass die im Garantiegesetz zugesicherten Investitionsanreize einen positiven Einfluss auf die
Ansiedelung von Unternehmen haben, zeigt auch eine im Sommer 1998 von Steven Jackson
und Vincent Mosco durchgeführte Erhebung. Bei der Befragung von 154 MSC-Unternehmen
68
69
70
71
72
Mahathir 1998, 53
Vgl.http://www.geog.uni-hannover.de/wigeo/singapur/referate/10_referate.pdf
Vgl. http://www.mdec.com.my/
Vgl. MDC 2002, 4f.
Vgl. Abdullah 2002, 78
113
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
gaben Betriebe mit einer ausländischen Mehrheitsbeteiligung an, dass die Befreiung von Einkommenssteuer und Eigentumsbeschränkungen, der Erlass von Importsteuern und das Recht
auf uneingeschränkte Beschäftigung von in- und ausländischen Wissensarbeitern entscheidende Investitionsmotive bildeten. Nationale Unternehmen gaben an, hauptsächlich aufgrund
von Steuerbefreiungen, der Abänderung von gesetzlichen Bestimmungen und finanziellen
Zuschüssen für Forschung und Entwicklung in den Technologiepark zu investieren. Bei nationalen und ausländischen Unternehmen spielten die physische Infrastruktur und die Existenz
der Multimedia Universität eine untergeordnete Rolle. Alle befragten Unternehmen äußerten
sich positiv über das starke Engagement der Regierung, da die politische Unterstützung, vor
allem von einheimischen Unternehmen, als Sicherheit für das Projekt interpretiert wurde. Im
Rahmen der Untersuchung wurde auch die Beliebtheit des Unternehmensstandorts Cyberjaya
untersucht. Obwohl die Regierung anstrebt, durch die Agglomeration von Unternehmen und
Forschungs-/Bildungseinrichtungen ein optimales Innovationsmilieu zu errichten, widerstrebt
es vielen Unternehmen, ihren Firmensitz von Kuala Lumpur Zentrum nach Cyberjaya zu verlegen.73 Dies mag auch mit ein Grund für die landesweite Errichtung von Cybercities sein,
denn dadurch müssen Unternehmen für den Erhalt des MSC-Status nicht zwangsläufig in den
MSC übersiedeln – seit kurzem ermöglicht die malaysische Regierung die Nutzung der Vorteile nämlich auch in den neu gegründeten „Zweigstellen“.
5.3
Cybergesetze als Teil des MSC
Neben den diskutierten Investitionsanreizen bietet der MSC auch einen besonderen Rechtsstatus, die so genannten Cyberlaws. Diese garantieren den Schutz des Urheberrechts74 und die
Verfolgung von illegalen Handlungen in Computernetzwerken. Auch die Erleichterung der
elektronischen Geschäftsabwicklung steht im Fokus der Gesetze. Bis auf den Communication
and Multimedia Act von 1998, der noch gesondert behandelt wird, wird folglich eine Auswahl an Cyberlaws vorgestellt.
-
Digital Signature Act 1997: Der im Oktober 1997 in Kraft getretene Digital Signature Act
hat das Ziel, die elektronische Geschäftsabwicklung zu erleichtern und Online-Transaktionen sicherer zu machen. Durch das Gesetz genießt die elektronische Unterschrift den
gleichen Rechtstatus wie eine handgeschriebene Signatur. Die Regierung geht davon aus,
dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem starken Anstieg der E-Commerce Umsätze und dem Erlass des Digital Signature Act besteht.75
-
Computer Crimes Act 1997: Der im Juni 1997 in Kraft getretenen Computer Crimes Act
dient vorrangig dem Datenschutz. So machen sich Personen strafbar, die sich unerlaubt
Zugang zu geschützten Programmen/Daten verschaffen oder Computerprogramme miss-
73
Vgl. Jackson;Mosco 1999, 34f.
Verwiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass das Urheberrecht dem Schutz des geistigen Eigentums
von Autoren, Künstlern etc. und deren Erben dient. In der hier geführten Debatte hingegen, geht es um den
Schutz des (materiellen) Eigentums der IT-Industie. (Vgl. Knoche 1999, 163)
Vgl. MDC 2001, 34
74
75
114
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
brauchen, um Daten und Inhalte unerlaubt zu modifizieren. Das Gesetz gilt für alle Menschen, ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft und kann aufgrund des globalen Informationsund Datenflusses auch dann zur Verurteilung führen, wenn die illegale Handlung außerhalb der nationalstaatlichen Grenzen verübt wird.76 Das Aufspüren von illegalen Tätigkeiten in digitalen Netzwerken obliegt der neu errichteten Computer Crimes Unit, die dem
Royal Police Department of Malaysia untergeordnet ist.77
-
Copyright (Amendment) Act 1997: Das Copyright-Gesetz, in dem die Vereinbarungen der
WIPO-Copyright Treaty übernommen wurden, trat im April 1999 in Kraft und dient dem
Schutz des materiellen Eigentums der Content Industrie. Auch das Umgehen von Passwörtern und kryptografischen Verfahren, die zum Schutz des Eigentums der IT-Industrie
dienen, ist unter dem Copyright (Amandment) Act strafbar.78
-
Telemedicine Act 1997: Das Telemedizin-Gesetz bildet die Grundlage für den Einsatz von
Audio-, Video- und Datenübertragungsgeräten zu medizinischen Zwecken.79
-
Optical Discs Act 2000: Durch den Optical Discs Act müssen all jene, die u.a. DVDs,
CDs, CD-ROMs, CD-Is, Laser Discs herstellen, um eine Lizenz ansuchen. Dadurch soll
das illegale Verbreiten von Raubkopien unterbunden werden.80 Allerdings boomt der Verkauf von nicht lizenzierten Produkten in Malaysia nach wie vor. So werden Raubkopien
großer Hollywood-Produktionen lange vor der internationalen Premiere verkauft und auch
die neueste Software und Computerspiele können ohne Probleme illegal und zu günstigen
Preisen erstanden werden.
6
Malaysias Mediensystem: Reif für das Informationszeitalter?
„Manchmal werden die Medien als Wachhund bezeichnet. Sie sollen wachsam, immer umsichtig, jederzeit zum Bellen bereit sein, wenn es den kleinsten Hinweis auf Ungerechtigkeit gibt. In
Malaysia durfte dieser Wachhund niemals seine ihm zugeschriebene Rolle spielen. Er wurde an
einer kurzen Leine gehalten und diese Leine wurde von Jahr zu Jahr kürzer.“ 81
Während im Bereich der Wirtschaftspolitik zahlreiche Maßnahmenpakete geschnürt und implementiert wurden, um Malaysias Transformation in eine Informationsgesellschaft voranzutreiben und
auch die gesamtwirtschaftliche Vernetzung umfassend erfolgt ist, bestehen im Mediensystem noch
gravierende Defizite. Zwar verfügt das Land über eine gut ausgebaute Telekommunikationsinfrastruktur und wettbewerbsfähige Tarife, die Freiheit und Unabhängigkeit des Mediensystems ist jedoch nicht gegeben. Nach wie vor dominieren Zensur und Selbstzensur, da die Medien von der Regierung als geeignetes Mittel angesehen werden, die Staatsideologie von nationaler Einheit, moralischen Werten und Entwicklung umzusetzen. Vor allem die Kritik am herrschenden politischen Sys76
77
78
79
80
81
Vgl. MDC 2001, 34f
Vgl. Mahathir 1998, 41
Vgl. MDC 2001, 34
Vgl. Mahathir 1998, 41
Vgl. MDC 2001, 34
Muzaffar 1993, 84
115
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
tem ist verpönt, weshalb strategische Entscheidungen der Politik in den Medien selten diskutiert und
politische Debatten allerhöchstens vorsichtig gestreift werden.82 Dies verdeutlicht auch das Zitat des
Gründers und Präsidenten des Institute of Creative Technology, Lim Kok Wing: „In news and entertainment, we need not look to the Western content as the model […]. The national media, since
Independence, has been an instrument of nation building. These values are proudly kept by Malaysians, though they are certainly different from Western media values which take on a more
confrontational approach with the government.” 83
Vor allem das Gesetz zum Schutz der inneren Sicherheit – der Internal Security Act (ISA) – der eine
zweijährige Inhaftierung ohne Gerichtsurteil legitimiert sowie der Printing Presses and Publications
Act von 1984 erschweren oder verhindern eine objektive Berichterstattung. Darüber hinaus ermöglicht der Zwang zur jährlichen Erneuerung der Rundfunk- und Presselizenzen, missliebige oder kritische Medien zu verbannen. Doch auch in dem südostasiatischen Schwellenland steht der strengen,
ja gar autoritären Überwachung des Medienmarktes eine zunehmend kommerzialisierte und transnationalisierte Programmindustrie gegenüber. Global operierende Mediengiganten wie etwa die
Time Warner Company, Viacom International Inc. und Rupert Murdochs News Corporation sind
schon seit einigen Jahren in den malaysischen Medienmarkt eingedrungen. Sie sind aber, zumindest
seitens der Politik, unerwünscht und so gilt es für globale Medienkonzerne umso mehr, nach dem
Prinzip „global denken – lokal handeln“ zu agieren, um den nationalen Stolz nicht anzukratzen.
Murdochs Star TV verfolgt aus diesem Grunde seit 1994 konsequent eine Strategie der Lokalisierung und bietet verschiedene Sendepakete mit räumlicher Fokussierung an.84 Jedes dieser Pakete
wird auf das nationale Rezeptionsmuster und den kulturellen Kontext des jeweiligen Ausstrahlungsgebiets abgestimmt. Durch die Anpassung der Programme an nationale Gegebenheiten brachte
das Eindringen globaler Medienriesen in den malaysischen Medienmarkt zwar eine Vielzahl an
Angeboten mit sich, die inhaltliche Vielfalt blieb jedoch aus.
6.1
Regulierte Selbstregulierung der Medien im Zeichen der Konvergenz
Als indirekte Auswirkung der Vision 2020 wurde 1997/98 eine Kommunikationsreform in Malaysia eingeleitet. Die Kernpunkte dieser Reform bilden der Erlass des Communications and
Multimedia Act 1998 (CMA 1998) und des Communications and Multimedia Commission Act
(CMCA 1998) sowie die Schaffung der Malaysian Communication and Multimedia Commission (MCMC) und des Ministry of Energy, Water and Communication (MEWC).
Die Regulierung des malaysischen Medienmarktes wurde mit der Implementierung des CMA
1998 grundlegend verändert, da nach australischem Vorbild erstmals die so genannte CoRegulierung, also die Kooperation von staatlichen Aufsichtsbehörden mit Selbstregulierungs-
82
83
84
116
Vgl. Bunz 2001, o.S.
Wing 2002, 62f.
Star TV Hong Kong, Star TV India, Star TV Indonesia, Star TV Mainland China, Star TV Malaysia, Star
TV Philippines, Star TV Singapore, Star TV South Korea, Star TV Taiwan, Star TV Thailand. (Vgl.
www.startv.com)
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
instanzen, eingeführt wurde.85 Im Zuge dessen wurden die zehn Ziele der Multimediaindustrie
im CMA 1998 wie folgt festgelegt:
-
„To establish Malaysia as a major global centre and hub for communications and multimedia information and content services;
-
To promote a civil society where information-based services will provide the basis of continuing enhancements to quality of work and life;
-
To grow and nurture local information resources and cultural representation that facilitate the national identity and global diversity;
-
To regulate for the long-term benefit of the end-user;
-
To promote a high level of consumer confidence in service delivery from the industry;
-
To ensure provision of affordable services over ubiquitous national infrastructure;
-
To create a robust applications environment for end users;
-
To facilitate the efficient allocation of resources such as skilled labour, capital, knowledge and national assets;
-
To promote the development capabilities and skills within Malaysia’s convergence industries;
-
To ensure information security and network reliability and integrity.” 86
Der CMA 1998 basiert auf der Förderung des Wettbewerbes, der technologischen Neutralität und
dem Ziel, allen Bewohnern des Landes den Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien zu ermöglichen. Zusätzlich wurde das vormals aus 31 unterschiedlichen Kategorien
bestehende Lizenzierungsschema für den Rundfunk-, Telekommunikations- und Netzwerkbereich
vereinfacht, was zu folgenden vier Kategorien von Lizenznehmern geführt hat: (a) Network Facilities Provider, (b) Network Services Provider, (c) Application Services Provider und (d) Content
Application Services.
Auch der Konvergenz von Rundfunk, Telekommunikation und Computermedien wurde im neuen
Mediengesetz Rechnung getragen. Dieses regelt die Bereiche Telekommunikation, Rundfunk und
Online-Netzwerke erstmals gemeinsam. Die in Malaysia bestehende Cross Sector Competition Regulierung, die ein entscheidendes Konvergenzhindernis darstellt, wurde jedoch nicht aufgehoben.87
85
86
87
Vgl. Schulz; Held 2002, o.S.
Legal Research Board 2002, 16
Vgl. IUT 2002, 6
117
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
6.2
Hauptakteure des Medien- und IT-Systems
Abbildung 3: Hauptakteure 88
Der Vorgänger des Ministry of Energy, Water and Communication (MEWC) – das Ministry of
Energy, Communication and Multimedia (MECM) – wurde am 01.11.1998 durch eine Umstrukturierung des Ministry of Energy, Telecommunications and Posts gegründet. Die Hauptaufgabe des MECM war in etwa jene des heutigen MEWC und bestand in der Formulierung
und Festlegung der IT-, Multimedia- und Energiepolitik. Das heutige Ministerium regelt jedoch
zusätzlich die Wasserwirtschaft. Darüber hinaus hat das MEWC im Vergleich zu seinem Vorgänger weniger den Status eines Dienstleisters, vielmehr wird es nun als Ministerium mit
höchster strategischer Entscheidungsbefugnis wahrgenommen. Der Communications and Multimedia Act 1998 (CMA 1998) sowie die dem CMA 1998 untergeordneten Gesetze (Malaysian
Communication and Multimedia Commission Act, Energy Communication Act, Digital Signature Act) liegen in der Gerichtsbarkeit des MEWC.89
Im Rahmen der ersten Umstrukturierung des Ministeriums wurde im Jahr 1998 zusätzlich die
Malaysian Communication and Multimedia Comission (MCMC) als Regulierungsinstanz der
Telekommunikations-, Rundfunk- und Online-Netzwerke geschaffen. Zu den Funktionen der
MCMC zählen die ökonomische, technische und soziale Regulierung sowie die technische Standardisierung und die Kontrolle von Inhalten. Vor allem der letzte Punkt ruft den Widerstand der
Opposition hervor, da man befürchtet, dass der CMA 1998 die Beschneidung der Meinungs- und
Pressefreiheit noch verschärfen könnte. Diese Sorge scheint begründet, da unklar definierte Bereiche wie die Veröffentlichung „verwerflicher oder falscher Inhalte“ sowie die „nicht zutreffende
Darstellung der Kultur und politischen Identität Malaysias“ zu Gefängnisstrafen führen. Die Überwachung der Inhalte durch die MCMC wurde vom Kommissionsvorsitzenden Syed Hussein
Mohammed gerechtfertigt, sie findet seiner Ansicht nach statt, „damit die Menschen nicht die
88
89
118
ITU 2001, 7
Vgl. http://www.ktkm.gov.my
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Medien verwenden, um andere aufzuhetzen.“ 90 Eine weitere Hauptaufgabe der MCMC ist die
Heranführung der Industrieakteure an das Konzept der Selbstregulierung, da diese dem von Australien übernommenen Modell größtenteils noch skeptisch gegenüberstehen. Darüber hinaus ist die
Kommission für die Beratung des zuständigen Ministers in Fragen der Multimedia-Politik und für
die Durchsetzung der Multimedia-Gesetze zuständig.
6.3
Tagespresse
„Malaysias Premier hat die freie Presse vernichtet.“ 91 Zensur und Selbstzensur sind in Malaysias Presse, deren letzte unabhängige Berichterstattung beim Unabhängigkeitskampf in den
1950er Jahren stattfand, an der Tagesordnung. „Die Folge sind Zeitungen, die man kaum in die
Hand nehmen mag, die sich vor allem in Wahlkampfzeiten schamlos zu Propagandablättern der
Regierung wandeln (und Anzeigen der Opposition abweisen), die mehr an Glaubwürdigkeit
verlieren – und an Auflage.“ 92 1999 – 2001 haben fünf der über 60 Tageszeitungen aufgrund
kritischer Berichterstattung ihre jährlich zu erneuernde Lizenz verloren. Im Sommer 2001 wurden schließlich die letzten beiden Zeitungen die gelegentlich die Politik Mahathirs kritisierten
vom Koalitionspartner der UMNO aufgekauft. Der Verkauf wurde vom ehemaligen Premier,
der seine Kritiker als Kommunisten und Terroristen bezeichnet, persönlich arrangiert. Das Motiv dafür lieferte er gleich dazu: „Weil sie gegen uns waren.“ 93
Die Unterdrückung der Tageszeitungen erreichte im Zusammenhang mit den Massenverhaftungen am 27.10.1987 einen traurigen Höhepunkt. Damals wurden unter dem Internal Security Act
(ISA) regimekritische Personen, unter ihnen der reformorientierte designierte Nachfolger Mahathirs, Ibrahim Anwar, festgenommen. Nach den Verhaftungen wurde weder die Gesamtzahl
der Inhaftierten noch deren Namen von der Regierung freigegeben, doch keine einzige Zeitung
nahm die Aufgabe wahr, diese Informationen einzufordern. Auch den kursierenden Gerüchten
über das Befinden der Inhaftierten wurde von den Tageszeitungen keine Aufmerksamkeit geschenkt, da die Regierung befahl die Nachrichten über die ISA-Inhaftierten auf ein Minimum zu
reduzieren. Die Redakteure gehorchten treu. Selbst Abänderungen des Presse-, des Polizei- und
des Vereinsgesetzes wurden von einem Großteil der Tageszeitungen gerechtfertigt, obwohl dadurch die Meinungs-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit drastisch eingeschränkt wurde.94
Trotz der massiven Beschränkung der Pressefreiheit ist die Presse ein beliebtes Medium bei der
Informationssuche. Denn sie wurde von den in Kuala Lumpur befragten Personen nach dem
Fernsehen als informativstes Medium eingestuft. Fast die Hälfte (43%) der Probanden bezeichnete die Presse als wichtiges Informationsmedium. 17% stuften sie bei der Informationssuche
als wichtig ein, 25% als eher unwichtig und 15% als unwichtig. Erstaunlich ist die hohe Anzahl
90
91
92
93
94
Rötzer 1997, o.S.
Haubold 2001, o.S
Haubold 2001, o.S
Mahathir zit. n. Haubold 2001, o.S.
Vgl. Muzzafar 1993, 84
119
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
der Zeitungsabonnements. Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass mehr als die Hälfte (54%)
der Probanden in ihrem Haushalt über ein Abonnement verfügt.
6.4
Rundfunk
Die Geschichte des malaysischen Hörfunks begann 1921, die des Fernsehens am 28.12.1963
als mit Channel One (später TV1 bzw. RTM1) das Schwarz-Weiß-Fernsehen durch die staatliche Station Radio Television Malaysia (RTM) eingeführt wurde. Zu Beginn sendete die
RTM nur fünf Stunden pro Tag aus ihren provisorischen Studios in der Tuanku Abdul Rahman Halle in Jalan Ampang. Sechs Jahre später wurden die Studios in den Kompleks Angkasapuri in Bukit Putra verlegt und das Angebot der RTM um einen zweiten Fernsehkanal (TV2
bzw. RTM2) erweitert.95 Farbfernsehen wurde am 28.12.1978 implementiert. RTM1 sendete
von Beginn an hauptsächlich in Bahasa Malaysia, TV2 hingegen strahlte auch Sendungen in
Chinesisch, Tamil und Englisch aus und bediente somit die ethnischen Minderheiten.96 Im
Jahr 2001 verkündete RTM auch das Programm von RTM1 zu modifizieren und zukünftig
mehr Sendungen für Nicht-Malaien auszustrahlen, um die pluralistische Gesellschaft Malaysias zur Geltung zu bringen. So meinte der parlamentarische Staatssekretär im Informationsministerium Datuk Zainuddin Maidin: „Wir müssen aus dem Kokon der Vergangenheit herauskommen und die Zuschauer von TV1 haben einen Anspruch darauf, die Wirklichkeit zu
sehen anstatt produzierte Eindrücke von der Multi-Ethnizität des Landes.“ 97
Zeitgleich mit der Implementierung des Fernsehens wurden von der Regierung das Television
Department und das Radio Department eingerichtet. Beide Institutionen kamen unter die Zuständigkeit des Ministry of Information, dessen Hauptanliegen die Kontrolle von Inhalten ist
und dessen Richtlinien wie folgt aufzulisten sind:
-
„To explain in depth and with the widest possible coverage government policies and programmes to ensure maximum public understanding;
to stimulate public interest and opinion to achieve its deserved changes;
to assist in promoting civic consciousness and fostering development of Malaysian arts
and culture;
to provide suitable elements of popular education, general information, and entertainment;
to promote national unity, by using Bahasa Malaysia in a multiracial society toward the
propagation of a Malaysian culture and identity.” 98
Nach Angaben der ITU waren im Jahr 2000 81% aller Haushalte mit einem Fernsehgerät ausgestattet; während die Penetration auf der Halbinsel nahezu 100% betrug, war die Anzahl der TVHaushalte in Ostmalaysia geringer. Circa 0,3% der Haushalte wurden von einem Kabelnetzbetreiber versorgt, 13% besaßen einen Parabolspiegel. Die hohe TV-Durchdringungsrate Westmalaysias wurde auch durch die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung bestätigt, denn 97%
95
96
97
98
120
Vgl. TMB 2003, 10
Vgl. Safar; Sarji; Gunaratne 2000, 324
http://www.duei.de/ifa/de/content/zeitschriften/ soa/soaue033601.html
Nain; Anuar 2000, 154
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
der Probanden gaben an, in ihrem Haushalt über ein Fernsehgerät zu verfügen. Dieses wurde von
einem Großteil (86%) der befragten Personen am Tag vor der Befragung und von 7% in der Woche zuvor letztmalig genutzt. Bei 1% fand die letzte Nutzung innerhalb der letzten vier Wochen
vor der Befragung statt, bei 3% lag sie noch länger zurück. Im Rahmen der Untersuchung wurden
die Probanden gebeten, die Wichtigkeit von Fernsehen, Hörfunk, Presse und Internet bei der Informationssuche mit Noten von 1-4 (wichtig, eher wichtig, eher unwichtig, unwichtig) zu bewerten. Das Ergebnis zeigt, dass das Medium Fernsehen als wichtigstes Informationsmedium angesehen wird (59%). 22% bewerten das Fernsehen als eher wichtig, 15% als eher unwichtig und nur
4% als gänzlich unwichtig bei der Informationssuche.
6.4.1
Die Privatisierung des malaysischen Fernsehmarktes
Bis Mitte der 1980er Jahre war das Fernsehen ein staatliches Monopol. Zunehmende finanzielle
Probleme der staatlichen RTM, der Boom von Videokassetten und der spill over aus dem benachbarten Singapur veranlassten die Regierung, das Rundfunk-Monopol im Jahr 1984 zu beenden.99
Zurzeit teilen sich die staatliche Radio Television Malaysia (RTM) und vier private Free-TV-Sender
sowie drei Pay-TV-Sender den Markt. Sistem Televisyen Malaysia Bhd. erhielt im Juni 1984 als
erstes Unternehmen eine Lizenz, um den kommerziellen Fernsehsender TV3 zu betreiben. TV3
versorgte vorerst die wohlhabende Region Klang Valley, 16 Monate später, im Oktober 1985, begann TV3 sein Programm in ganz Malaysia auszustrahlen. Besonders amerikanische Serien wie
etwa Knight Rider, Dynasty und Magnum erfreuten sich großer Beliebtheit und verhalfen dem neuen Sender zu hohen Einschaltquoten. Im Jahr 1995 wurden zwei weitere Fernsehsender lizenziert:
Metro Vision und Malaysias erster Kabelnetzbetreiber und Pay-TV-Sender MegaTV.100 Bis zum
Jahr 2001 bot MegaTV seinen Kunden acht verschiedene Kanäle, unter anderem den News Channel
(CNN), den Sports Channel (ESPN) sowie den Cartoons Channel (Cartoon Network), an und stellte
seiner Klientel den zur Entschlüsselung der Programme notwendigen Decoder unentgeltlich zur
Verfügung. 1996, nach dem Start des Malaysian East Asia Satellite (MEASAT1 und MEASAT2),
wurde der Satellitensender ASTRO, der Malaysia mit vier pay per view-Kanälen und bis zu 56 TVund 17 digitalen Radio-Kanälen – unter anderem MTV Asia, CNN, BBC World, HBO Asia und
Star TV – versorgt, implementiert. Um alle Volksgruppen zufrieden zu stellen, wurden von ASTRO
diverse lokale Kanäle, wie etwa RIA (Malay), AEC und Wah Lai Toi (Chinesisch) sowie Vaanavil
(Indisch) ins Leben gerufen.101 Damit ASTRO seine Dienste aufnehmen durfte, musste das Fernsehgesetz von 1988 abgeändert werden, denn dieses hatte den Direktempfang von Satellitensendern
verboten. Durch die Abänderung des Gesetzes ist der Direktempfang nun legitimiert. Dies brachte
allerdings auch die Vorschrift mit sich, dass private Parabolspiegel einen maximalen Durchmesser
von nur 0,6 Meter aufweisen dürfen. Damit wurde sichergestellt, dass ausschließlich Programme
99
100
101
Vgl. Nain; Anuar 2000, 162ff.
Vgl. Safar; Sarji; Gunaratne 2000, 324
Vgl. ITU 2002, 17f
121
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
des heimischen MEASAT empfangen werden können. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift wird
mit 10.000 Ringgit (2.111 €) und drei Monaten Haft bestraft.102
Durch den Satellitensender ASTRO und die 1997 beginnende Wirtschaftkrise verschlechterte sich
die Situation von MegaTV zunehmend, weswegen der Sender seinen Kernbereich um die Telekommunikation erweitern wollte. Die bestehende Cross Sector Competition Regulierung verhinderte jedoch die Erschließung neuer Geschäftsfelder, was 2001 die Einstellung des Senders nach sich
zog. 1998 nahm Malaysias erster Privatsender, der digitales terrestrisches Fernsehen sendete –
NTV7 (The feel good channel) – seine Dienste auf. Zusätzlich wurde 8TV im Jahr 2004 durch die
Übernahme von Metro Vision durch die Media Prima Sdn. Bhd. gegründet. Als jüngstes Free-TV
Unternehmen ist schließlich TV9 zu nennen, welches im April 2006 seine Dienste aufnahm.103
Abbildung 4: Malaysische TV-Stationen im Überblick 104
Art
Free-TV
Free-TV
Free-TV
Free-TV
Free-TV
Free-TV
Pay-TV
Station
RTM1
RTM2
TV3
NTV7
8TV
TV9
Astro
Inhaber
Staat/Ministry of Information
Staat/Ministry of Information
Privat/Media Prima Sdn. Bhd.
Privat/Media Prima Sdn. Bhd.
Privat/Media Prima Sdn. Bhd. (vormals Metro Vision)
Privat/Media Prima Sdn. Bhd.
Privat/MEASAT Broadcast Network System (Tochterunternehmen der Astro All Asia Networks)
Gründung
1963
1969
1984
1998
2004
2006
1996
Pay TV
MiTV
2005
Pay-TV
Eingestellt
Relaunch
Relaunch
Fine TV
MegaTV
Metro Vision
Channel 9
Privat/mehrheitlich im Besitz von Tan Sri Vincent Tan
– Präsident der Berjaya Group
Privat/Eurofine Sdn. Bhd.
Privat/wurde 2001 eingestellt
Wurde 1999 eingestellt. 2004 relaunch als TV8
Wurde eingestellt. 2006 relaunch als TV9
6.4.2
2005
1995 (bis 2001)
Malaysias TV-Markt: konzentriert und regierungsnah
Media Prima Sdn. Bhd. ist das größte Medienunternehmen Malaysias mit starken Verbindungen zur
führenden politischen Partei. Media Prima Berhad entstand durch einen 2003 vollzogenen Zusammenschluss von Sistem Televisyen Malaysia Berhad mit der New Straits Time Press (Malaysia)
Berhad. Abgesehen von den beiden staatlichen Sendern RTM1 und RTM2 besitzt das Unternehmen
seit der Übernahme von NTV7 ein Monopol auf alle Free-TV-Sender Malaysias „Media Prima
Berhad emerged as the sole owner of all the country’s free-to-air stations after its 100 percent acquisition of the NTV7 Group for a total of RM 90 million.“ 105 So ist das Unternehmen Eigentümer
von TV3, NTV7, 8TV und TV9, darüber hinaus sind auch die Radio-Stationen Hot FM und Fly FM
sowie die New Straits Time Press und das TV-Produktionsunternehmen Grand Brilliance Sdn. Bhd.
in seinem Besitz. Wie bereits erwähnt, unterhält Media Prima Berhad gute Verbindungen zur UMNO und so kritisiert die Inter Press Service New Agency „Visitors to Malaysia would be bewildered
102
103
104
105
122
Vgl. Nain; Anuar 2000, 167f.
Vgl. http://www.answers.com
htpp://www.answers.com
http://www.malaysiakini.com/news/42394
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
by the wide variety of newspaper, TV channels and radio stations that cater to most of the country’s
several language groups. But as reality sinks in, it would become apparent that despite the deceptively wide range, mainstream media is becoming consolidated in the hands of a small number of
privately-owned conglomerates with close links to the political establishment.” 106
Doch nicht nur Malaysias größtes Medienunternehmen unterhält gute Beziehungen zur Regierung, auch der Satellitensender ASTRO unterliegt starkem politischen Einfluss, denn der Sender
wird von MEASAT Broadcast Network System, einer Tochtergesellschaft des regierungsnahen
Unternehmens Astro All Asia Networks plc., betrieben. MiTV schließlich ist im Besitz des
Großindustriellen Tan Sri Vincent Tan – dem Präsidenten einer der größten Wirtschaftskonglomerate in Malaysia, der Berjaya Group.107 Auch die beiden Sender RTM1 und RTM2 sind
seit ihrer Übernahme durch das malaysische Informationsministerium im April 2006 vollständig
unter die Kontrolle der Regierung geraten. Wie bei allen anderen Anbietern erstreckt sich die
Zensur hauptsächlich auf politische, pornografische und Gewalt verherrlichende Inhalte.108
6.5
Telekommunikation
Insbesondere in Verbindung mit der Vision 2020 und der damit einhergehenden Transformation
Malaysias in eine Informationsgesellschaft und -ökonomie wird der Telekommunikation eine herausragende Bedeutung zugeschrieben: „As Malaysia progresses towards becoming a modern,
industrialised nation by the year 2020, the telecommunication sector is poised to grow in
strength and sophistication. Telecommunication services serve as a key supporting industry to
manufacturing and other service sectors such as finance, insurance, distribution, hotels and
transportation while the manufacture of telecommunication products helps stimulate the direct
expansion of manufacturing itself.” 109 Durch die intensive Förderung der Telekommunikationsindustrie verzeichnet diese seit ihrem Bestehen hohe Zuwachsraten. Im Jahr 1960 verfügte Malaysia über weniger als 50.000 Telefonanschlüsse, das heißt, es stand nicht einmal ein Telefon für
100 Einwohner zur Verfügung. 40 Jahre später, Ende 2000, verfügte das Land bereits über 4,7
Millionen Festnetzanschlüsse, also rund 20 Festnetztelefone pro 100 Einwohner respektive einer
Haushaltspenetration von 69,3% (im Gegensatz zu 31,7% im Jahr 1990). Ende des Jahres 2000
besaßen bereits knapp fünf Millionen Menschen ein Mobiltelefon, dies entspricht 22,3% der Bevölkerung.110 Hinsichtlich der Haushaltsdurchdringung von Festnetz- und Mobilfunktelefonen
ergab die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung einen Anteil von je 69%.
Im April 1946 startete Malaysias erster Festnetzbetreiber Jabatan Telekom Malaysia (JTM),
dessen Telekommunikationsservices 1987 an die staatliche Telekom Malaysia Berhad (TMB)
übertragen wurden. Als die TMB im November 1990 teilprivatisiert wurde, beendete Malaysia als erstes asiatisches Land das staatliche Monopol am Telekommunikationsmarkt. Heute
106
107
108
109
110
http://www.ipsnews.net/africa/interna.asp?idnews=30060
Vgl. http://www.berjaya.com
Vgl. http://www.answer.com/topic/rtm2
Mahathir, 1998, 21
Vgl. ITU 2001, 17ff.
123
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
teilen sich im Geschäftsfeld der Festnetztelefonie vier Unternehmen, die teilweise auch Mobiltelefonie und Internet anbieten, den Markt.111 Jeder Betreiber verfügt über eine eigene Infrastruktur, wobei jene der Telekom Malaysia Berhad (TMB) mit über 172.100 Kilometer
Glasfaserleitungen die umfassendste ist. Ende 1992 hatte Malaysia 82% seiner Schaltsysteme
und 63% seiner Übermittlungssysteme digitalisiert.112 Obwohl heute Maxis, Time (vormals
Time dotCom) und DiGi am Wettbewerb auf dem Festnetzmarkt teilnehmen, ist ihr Marktanteil im Vergleich zur TMB unbedeutend. Denn die von der Regierung kontrollierte TMB erwirtschaftet rund 62% der gesamten Telekommunikationseinnahmen. Im Bereich der Festnetztelefonie sind es sogar 86% und auch im Mobilfunk zeichnet sich die TMB mittels ihres
Tochterunternehmens Celcom für immerhin 38% der Einnahmen verantwortlich.113
1985 führte Malaysia mit dem, von der TMB betriebenen analogen ATUR 450 (Automatic Telephone Using Radio) als erstes Land Südostasiens die Mobiltelefonie ein. Im gleichen Jahr startete Nokia mit dem Verkauf seiner Endgeräte und betrat über Malaysia den südostasiatischen
Markt. Vier Jahre nach der Einführung der Mobilkommunikation eröffnete Celcom – mit seinem
ART900 – den Wettbewerb. Dieser verstärkte sich, als 1995 weitere GSM-Betreiber lizenziert
wurden.114 Noch bis vor Kurzem verfügte der sehr wettbewerbsintensive malaysische Mobilfunkmarkt über acht verschiedene Mobilfunknetze, die von fünf Anbietern betrieben wurden.
Celcom dominierte den Markt mit einem Anteil von 29%, gefolgt von Maxis mit 28% und der
TMB mit 18%. DiGi versorgte 16% und Malaysias kleinster Anbieter Time 8% aller Mobiltelefon-Besitzer. Nach einer Konsolidierungsphase, in der Celcom von TMB und Time von Maxis
übernommen wurde, reduzierte sich die Zahl der Anbieter und so wird Malaysia heute von drei
Unternehmen versorgt. Die Marktanteil-Struktur stellt sich dabei wie folgt dar: Maxis besitzt mit
5,86 Millionen Kunden den größten Marktanteil (40,4%), gefolgt von Telekom Malaysia (Celcom) mit 5,52 Millionen Kunden und einem Anteil von 38,1%. Kleinster Anbieter ist DiGi mit
3,12 Millionen Nutzern respektive einem Anteil von 21,5%. Als Folge des starken Wettbewerbs
sanken auch die Tarife. So verbilligten sich internationale Telefonate um bis zu 67%. Nationale
Telefongebühren sanken um bis zu 23%.115 TMB und Maxis erhielten im Jahr 2003 eine Lizenz
für die breitbandige Kommunikation der dritten Generation (3G). Beide Unternehmen nahmen die
kommerzielle Verwertung im Jahr 2005 auf. DiGi nimmt bislang noch nicht am Wettbewerb teil,
signalisierte jedoch bereits Interesse am Erwerb einer Lizenz.116
In den vergangenen Jahren nahm die Anzahl der Mobiltelefon-Nutzer in einem so starken Ausmaß zu, dass deren Anzahl im Jahr 2000 erstmals jene der Festnetznutzer überstieg. Bei einer im
Jahr 2004 durchgeführten Studie, die die Verfügbarkeit von Mobiltelefonen untersucht, liegt Ma-
111
112
113
114
115
116
124
Vgl. Jussawalla 2001, 29
Vgl. ITU 2002, 8ff.
Vgl. http://www.gii.co.jp/english/iti29831-malaysia-telecom.thml
Vgl. ITU 2001, 19
Vgl. MGCC 2006, 4f.
Vgl. http://www.espicom.com/web3.nsf/structure/tel_bksmalaysia?OpenDocument
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
laysia auf Platzt 41 von 104 untersuchten Nationen.117 Die Mobilkommunikation scheint vor allem bei den jüngeren Bürgern Malaysias einen wichtigen Stellenwert einzunehmen. Denn laut
einer von ConsumerLab durchgeführten Studie fühlen sich 76% der 15- bis 19-Jährigen unvollständig, wenn sie ohne Mobiltelefon unterwegs sind. Auch die Nutzung des Short Message Service
(SMS) scheint bei dieser Personengruppe eine durchaus beliebte Beschäftigung zu sein. So gaben
60% der Probanden an, lieber Kurznachrichten zu versenden als sich ihre Freizeit mit dem Lesen
von Büchern zu vertreiben.118 Diese heute äußerst beliebte Art der Kommunikation ist ein relativ
junges Phänomen, denn die SMS-Nutzung war bis zum Jahr 2001 verschwindend gering. Der
Grund dafür waren die verhältnismäßig hohen Gebühren und der Umstand, dass das Versenden von
Mitteilungen nur innerhalb eines Netzes möglich war. Einen starken Aufschwung erlebte das Geschäft mit Textnachrichten im Jahr 2004, als sich aufgrund des starken Wettbewerbs und dem damit
verbundenen Preiskampf die Gebühren abermals reduzierten. Im Jahr 2004 registrierten die Telekommunikationsunternehmen 9,5 Milliarden gesendete Kurznachrichten, was einen Ertragsanteil an
der mobilen Datenübertragung von 16% entspricht (im Gegensatz von 6,2 Milliarden Textnachrichten beziehungsweise 12% Ertragsanteil im Jahr 2003). Dieses rasante Wachstum zog auch die Nutzung von SMS zu Werbezwecken mit sich, insbesondere TV-Sender nutzen heute die mobile Datenkommunikation, um ihren Zusehern eine interaktive Plattform zu bieten und Kunden zu binden.
Auch das Mobile Payment, also die Bezahlung von Kino- und Konzertkarten, von Getränken an
Getränkeautomaten etc. mit dem Mobiltelefon, beginnt sich langsam durchzusetzen.119
6.7
Internet
Malaysias erstes Computernetzwerk Rangkaian Komputer Malaysia (RangKom) wurde 1986 als
universitäres Netz zwischen der Universiti Malaya, der Universiti Putra Malaysia, der Universiti
Sains Malaysia und der Universiti Teknologi Malaysia errichtet. Es verfügte über Verbindungen
nach Australien und Südkorea sowie in die USA und die Niederlande. RangKom ermöglichte den
Teilnehmern erstmals via E-Mail zu kommunizieren und Informationen über die USENET
Newsgroup zu generieren. Ein Jahr nach der Gründung von RangKom startete die TMB das Video Text Service TELITA, welches einfache computerbasierte, interaktive Anwendungen ermöglichte. TELITA wurde zwei Jahre nach seiner Einführung aufgrund mangelnder Akzeptanz eingestellt.120
Ein weiterer Meilenstein war die Implementierung von Malaysias erstem Internet Service Provider (ISP) Joint Advanced Integrated Networking – kurz Jaring – im Jahr 1992 durch das Malaysian Institute of Microelectronic Systems (MIMOS). Vier Jahre später folgte die TMB mit
ihren ISP TMNet. Das Dyopol vom TMB und MIMOS wurde 2000 durch die Lizenzierung von
Maxis, DiGi und Time beendet. Kurz darauf wurde der Nippon Telegraph and Telephone Japan
(NTT) mit dem ISP Arcnet als erstem ausländischem Unternehmen die Partizipation am malay117
118
119
120
Vgl. Dutta; Lopez-Carlos 2005, 264
Vgl. TMB 2003, 3
Vgl. MGCC 2006, 4
Vgl. Hashim; Yusof; Mustaffa 2002, 43
125
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
sischen ISP-Markt gewährt. Wie auch in der Telekommunikation dominiert die TMB den Internetmarkt. So betreut die TMB 58% aller Internetnutzer, die sich über das Telefonnetz einwählen
und 90% aller Breitband-Nutzer. Hauptkonkurrent ist Jaring, wobei betont werden muss, dass
der Wettbewerb zwischen beiden Anbietern erst Mitte 2004 richtig entfacht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielt Jaring nämlich keine formale Breitband-Netzwerk-Lizenz, weshalb die
aggressive Bearbeitung des Marktes nicht möglich war.121
Die verschiedenen ISP Malaysias hatten nach Angaben der Malaysian Communication and
Multimedia Commission im Juni 2001 insgesamt zwei Millionen Abonnenten. Die Association of Computer and Multimedia Industry of Malaysia (PIKOM) schätzte die Anzahl der PCs
im selben Jahr auf 2,2 Millionen und die der Internetnutzer auf rund 4 Millionen. Dies entspricht 17,2% der Bevölkerung. Bei der in Kuala Lumpur durchgeführten Erhebung gaben
74% der befragten Personen an, das Internet zu nutzen, wobei der Anteil der weiblichen User
leicht über jenem der männlichen lag. So nutzen von den 49 befragten Frauen 76% das Internet, von den 51 befragten Männern taten dies nur 73%. Die Ergebnisse der Befragung zeigen
deutlich, dass eine Verbindung zwischen dem Bildungsniveau und der Internetnutzung besteht, denn von jenen Personen, die nur eine Grundschule besucht haben, nutzt niemand das
Internet. Jene Gruppe, die eine dreijährige Sekundarschule besucht hat, besteht zu 45% und
jene, die eine fünfjährige Sekundarschule besucht hat, zu 64% aus Internet-Usern. Alle Personen, die eine universitäre Ausbildung genossen haben, nutzen das Medium. Die Verwendung
des Mediums ist vor allem bei den 14- bis 34-Jährigen sehr ausgeprägt. Die ethnische Zugehörigkeit scheint keine gravierenden Auswirkungen auf die Internetnutzung zu haben. Mehr
als die Hälfte (55%) der befragten Personen verfügt über einen Internetanschluss in ihrem
Haushalt. Dort wird das Medium auch von der Mehrheit (59%) verwendet. 24% nutzen es am
Arbeitsplatz, 16% in einem der zahlreichen Internetcafés und nur 1% bei Bekannten oder Verwandten. Als Informationsmedium nimmt das Internet aber nur Platz drei (hinter TV und
Presse) ein. Trotz allem bezeichneten 40% der befragten Personen das Internet als wichtig bei
der Informationssuche, 16% als eher wichtig, 13% als eher unwichtig und 30% als gänzlich
unwichtig. Bei jenen 74%, die das Internet generell nutzen, lag die letzte Anwendung bei 47%
nur einen Tag zurück, bei 39% fand sie in der Woche vor der Befragung statt und bei 8% im
Monat davor. 6% der Probanden nutzen das Internet selten, deren letzte Nutzung lag länger
als einen Monat zurück. In Anbetracht der Tatsache, dass der erste ISP Malaysias seine
Dienste im Jahr 1992 aufnahm, ist der Anteil jener Personen, die das Internet länger als fünf
Jahre nutzen (30% aller befragten Internetnutzer), erstaunlich hoch. Immerhin 9% nutzen das
Internet seit fünf Jahren, jeweils 14% nutzen das Medium seit zwei, drei oder vier Jahren und
19% erst seit einem Jahr.
Die Anzahl der Internetnutzer ist weiter im Steigen begriffen, was unter anderem auf die günstigen Tarife zurückzuführen ist. Malaysia ist nach Singapur das Land mit den billigsten Internettari-
121
126
Vgl. http://www.espicom.com/web3.nsf/structure/tel_bksmalaysia?OpenDocument
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
fen Südostasiens. Das kostengünstige Surfen im Netz ist der, in Malaysia weltweit erstmals erprobten, getrennten Abrechnung von Sprachtelefonie und Internet zu verdanken. So werden Online-Verbindungen seit 1996 durch das Vorwählen eines speziellen Codes zu niedrigeren Preisen
abgerechnet als Telefongespräche. TMnet beispielsweise verrechnet für lokale Telefonate drei
Sen (0,0063 €) pro Minute, eine Minute im Netz kostet hingegen nur 2,5 Sen (0,0053 €).122
Wie ausführlich dargestellt, basiert das 21. Jahrhundert auf der gesamtwirtschaftlichen Vernetzung
durch neue Medien. Die Transformation von Malaysias Wirtschaft und die sich daraus ergebenden
ökonomischen Vorteile sind auch der Grund für die massive Förderung des Internets durch die Regierung. Aufgrund des Multimedia Super Corridors und um ausländische Investoren nicht abzuschrecken, wird das Internet, zumindest nach Aussagen führender Politiker – allen voran Malaysias
Ex-Premierminister Mahathir – frei von Zensur gehalten: „We will not censor the internet.“ 123 Die
Freiheit des Mediums wird auch in dem bereits diskutierten Garantiegesetz zugesichert. Bei genauer
Betrachtung kommt jedoch zum Vorschein, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden. Denn
1998 wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Internet nach kritischen Informationen durchforstet und der ehemalige Premierminister drohte bereits mehrmals, Teile des Internets zu zensieren,
um den Bürgern den Zugang zu pornografischen und anderen unmoralischen Websites zu sperren.
Leo Moggie, Kommunikationsminister Malaysias, verlautbarte am 26.01.2000: „The government
has no intention to monitor the Net but it will act against all those who do not respect the law.” 124
Angesichts der Tatsache, dass Personen, die „verwerfliche Inhalte“ oder „falsche Informationen“
veröffentlichen, zu jenen gehören, die nicht gesetzeskonform publizieren und somit inhaftiert werden können, kann man nicht von einem zensurfreien Internet sprechen. Dass die Drohung Moggies
ernst gemeint ist, bestätigt ein Bericht der NGO Reporter ohne Grenzen. Demzufolge wurden im
Jahr 2001 sechs Cyberdissidenten aufgrund der Verdächtigung, staatsgefährdendes Material publiziert zu haben und den Sturz der Regierung zu planen, durch den Internal Security Act inhaftiert.
Das Ausmaß der Zensur in Malaysias Medien wird in diesem Fall abermals besonders deutlich,
denn über den Vorfall wurde in keinem einzigen Medium berichtet.125
Besonders Online-Zeitungen und die Websites politischer Parteien, die nicht der herrschenden
Allianz angehören, scheinen der Regierung ein Dorn im Auge zu sein. So werden die Betreiber
der Websites Reformasi und Freemalaysia sowie die kritische malaysische Online-Zeitung Malaysiakini regelmäßig von der Regierung unter Druck gesetzt. Malaysiakini wurde im Jahr 2000
aufgefordert, die ethischen Regeln Malaysias zu respektieren und falsche Anschuldigungen zu
unterlassen. Drei Jahre später wurden bei einer Razzia im Redaktionsbüro zahlreiche PCs beschlagnahmt, da man den Urheber eines anonym geposteten Artikels, in dem die positive Diskriminierung der Malayen durch die Regierung kritisiert wurde, ausfindig machen wollte. Darüber
hinaus wurden die Büro-Räumlichkeiten per 01.02.2003 aufgekündigt, was zu einem vorübergehenden Publikationsstopp und vermehrten Kosten für die kritische Online-Zeitung führte. Um die
122
123
124
125
Vgl. ITU 2002, 19ff.
Mahathir 1998, 53
http://www.rsf.fr/rsf/uk/html/internet/pays_internet/malaisie.html
Vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de
127
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
Arbeit der Online-Zeitung zusätzlich zu erschweren, erhalten die Journalisten keine Pressezulassung. Häufig wird ihnen der Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen und Pressekonferenzen
verwehrt. Auch der Opposition, die sich oft dem für malaysische Verhältnisse freien Medium zuwendet, um kritische Informationen zu veröffentlichen, weht ein rauer Wind entgegen. So wurden
im Mai 2001 die PCs der National Justice Party (NJP) beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde der
Herausgeber der Website von der Polizei aufgesucht, da man ihn beschuldigte, staatsgefährdendes
Material publiziert zu haben. Auch der von der oppositionellen Islampartei PAS herausgegebenen
Online-Zeitung Harakah wurde aufgrund der täglichen Updates mit Zensur gedroht.126
7
Zusammenfassung
Rasche Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik und der damit verbundene Übergang vom Industrie- zum Informationszeitalter veranlassen heute nahezu alle Nationen
wirtschaftspolitische Programme zu implementieren, um die Transformation in eine Informationsökonomie voranzutreiben. Damit verbunden sind neben der Deregulierung und Liberalisierung der Märkte unter anderem der Auf- und Ausbau der Informationsinfrastruktur, die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die Unterstützung der Entwicklung, Produktion
und Nutzung von IKT. Im Zuge der Informatisierung und Technisierung der Wirtschaft wird
das gesamte Wirtschaftswachstum angekurbelt, es werden Transaktionskosten gesenkt und Arbeitsplätze eingespart, was zu erhöhter Konkurrenzfähigkeit im globalen Standortwettbewerb
beiträgt.
Auch Malaysia unternimmt im Rahmen der Vision 2020 und dem damit verbundenen Konzept
der K-Economy zahlreiche Anstrengungen, um die Transformation der Wirtschaft in eine Informationsökonomie voranzutreiben. So werden neue Technologien stark gefördert und deren Integration die gesamte Wirtschaft forciert. Die zentralen Motive für die Umgestaltung der Wirtschaft
sind das – im Rahmen der Vision 2020 angestrebte – hohe Wirtschaftswachstum, der Wettbewerb
mit Nachbarstaaten wie Singapur um ausländische Direktinvestitionen und die starke Konkurrenz
Chinas. Durch eine Umgestaltung der malaysischen Wirtschaft soll der materielle Sektor vom
immateriellen Sektor größtenteils überlagert werden. Durch diese Überlappung sollen Wirtschaft
und Gesellschaft im Jahr 2020 von den K-activities/New K-industries, die sich unter anderem aus
der Multimediaindustrie, der Softwareentwicklung, den Finanzdienstleistungen, dem Infotainment, der EDV-Biotechnologie, der Genetik und der Molekularbiologie zusammensetzen, dominiert werden.
Um das ideale Innovationsmilieu zu schaffen und um Malaysia den unmittelbaren Anschluss an
die technologische Entwicklung der führenden Industrienationen zu ermöglichen, wurde im August 1996 der 750 Quadratkilometer große und 25 Milliarden US-Dollar teure Multimedia Super
Corridor eröffnet. Herzstück des mit einem digitalen Hochleistungsglasfasernetzwerk ausgestatteten Technologieparks sind die beiden Städte Putrajaya und Cyberjaya. Putrajaya ist das neue ad126
128
Vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
ministrative Zentrum Malaysias, Cyberjaya ein für globale und lokale Unternehmen errichteter
High-Tech-Cluster, in welchem durch die Agglomeration von IT-Firmen, Forschungs- und Entwicklungszentren und höheren Bildungseinrichtungen ein optimales Innovationsmilieu geschaffen werden soll. Um die Ansiedelung von IT-Unternehmen und Forschungs-/Bildungseinrichtungen zu fördern, wird diesen bei Einhaltung gewisser qualitätssichernder Richtlinien der
MSC-Status zuerkannt. Der Status öffnet das Tor zu einer Reihe von Vergünstigungen, wie beispielsweise Befreiung von Einkommenssteuer und Eigentumsbeschränkungen, Erlass von Importsteuern sowie Subventionen für Forschung und Entwicklung.
Um die mit den IKT verbundenen ökonomischen Vorteile realisieren zu können, wird auch
das Mediensystem – zumindest teilweise – gemäß den Anforderungen des Informationszeitalters umstrukturiert. So wurde neben dem Auf- und Ausbau der Infrastruktur mit dem 1998 in
Kraft getretenen Communications and Multimedia Act erstmals die so genannte CoRegulierung, also die Kooperation von staatlichen Aufsichtsbehörden mit Selbstregulierungsinstanzen, eingeführt. Darüber hinaus wurde der Konvergenz von Telekommunikation, Rundfunk und Computer Rechnung getragen, da das Gesetz diese vormals getrennt regulierten Bereiche nun gemeinsam verwaltet. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in dem südostasiatischen Schwellenland aber nach wie vor stark eingeschränkt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Medien von Beginn an als geeignetes Mittel angesehen wurden, die Staatsideologie von nationaler Einheit, moralischen Werten und Entwicklung umzusetzen. Missliebige und kritische Medien können durch den Entzug der jährlich zu erneuernden Lizenz beseitigt werden und der Internal Security Act ermöglicht ohne Gerichtsurteil eine zweijährige Inhaftierung von Reportern, die verwerfliche oder falsche Inhalte veröffentlichen oder die Kultur und politische Identität Malaysias nicht zutreffend darstellen. Aufgrund der massiven Zensur der Medien, die trotz Privatisierung in Besitz oder zumindest unter Kontrolle der Regierung sind, bezeichnet „Reporter ohne Grenzen“ Malaysia als „Perle der Zensur“. Malaysias
langjähriger Premierminister, dessen Herrschaft in den 22 Jahren Amtszeit häufig autoritäre
Züge zeigte, wurde von der gleichen Organisation gar unter die „42 schärfsten Widersacher
der Pressefreiheit“ gewählt. Entgegen allen Versprechen gerät auch das Internet zunehmend
unter die Kontrolle der Regierung. So wurden bereits mehrere Online-Journalisten durch den
Internal Security Act inhaftiert, da man ihnen regimekritische Berichte sowie Publikation von
staatsgefährdendem Material im Netz vorwarf.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Malaysia im Rahmen seiner wirtschaftspolitischen Entwicklungsstrategie neue Informations- und Kommunikationstechnologien einerseits
stark fördert, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die Ziele der Vision 2020 zu realisieren. Andererseits werden eben diese Medien nach wie vor einer starken Kontrolle und Zensur
ausgesetzt, um die Staatsideologie von nationaler Einheit zu propagieren und moralische und religiöse Werte zu wahren.
129
Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter
8
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Sonstige Quellen
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Quantitative Befragung, 2003
132
Abstract
Dieser Beitrag untersucht die Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand während der ersten
Amtszeit von Premierminister Thaksin Shinawatra (2001-2005). Während sich die Lage der
Pressefreiheit infolge des politischen Reformprozesses in den 1990er Jahren zum Positiven
entwickelte, hatten sich seit dem Amtsantritt von Thaksin, Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie Reporter ohne Grenzen, Freedom House und das International Press
Institute, über Einschränkungen der Pressefreiheit gehäuft. Diese Berichte dienen unter
anderem als Anlass und Quelle für die Untersuchung der Lage der Pressefreiheit in thailändischen
Print- und Rundfunkmedien während der ersten Amtszeit Thaksins. Es werden die Menge und die
Art und Weise der Einschränkungen, unter Einbeziehung von rechtlichen, politischen und
wirtschaftlichen Faktoren, anhand von Beispielen dargestellt und mit der Situation vor 2001
verglichen.
Autorin
Vanessa Biese, geboren 1978 in Kassel. Studium der Sprachen und Kulturen des
südostasiatischen Festlandes mit den Schwerpunkten Politik, Geschichte, Kultur und Sprache
Thailands sowie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Mehrere Studienaufenthalte in Südostasien zur Vertiefung der sprachlichen und der kulturellen Kenntnisse. Im
Herbst 2004 Praktikum im Regionalbüro von Amnesty International Thailand in Bangkok. Im
Zuge des Praktikums Mitarbeit an der Kampagne „Stop violence against women“ und
Recherchen für die Magisterarbeit zum Thema Pressefreiheit in Thailand unter Thaksin
Shinawatra. Nach dem Studium – 2006 – Praktikum im Institut für Asien-Studien (GIGA) in
Hamburg. Verfassen von Artikeln für die Zeitschrift Südostasien aktuell und Recherchen zu
unterschiedlichen Themen mit Bezug zu Südostasien. Derzeitige Beschäftigung in einer
taiwanesischen Reederei im Bereich Logistik.
134
Pressefreiheit in Thailand
Die Regierungszeit Thaksin Shinawatras
Vanessa Biese
1
Einleitung
Mit dem Putsch des thailändischen Militärs im September 2006 ging die Regierungszeit des
thailändischen Premierministers Thaksin Shinawatras zu Ende. Im Herbst 2005 war eine Protestbewegung entstanden. Ihre Anhänger hatten den Rücktritt Thaksins gefordert. Akademiker, Teile der Arbeiterschaft und Studenten beteiligten sich an den Protesten. Die Anhänger
der Bewegung kritisierten die Korruption innerhalb der Regierung und die autoritären Züge
des Regierungsstils Thaksins. Thaksin hatte unter dem öffentlichen Druck das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angekündigt.1 Die Neuwahlen im April 2006 führten jedoch zu keiner
Beendigung der Proteste. Die wichtigsten Parteien der Opposition hatten die Wahlen boykottiert und Thaksins Partei mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten. Da die Wahlen aber nicht
genügend Abgeordnete hervorbrachten, konnten nicht alle Sitze im Parlament besetzt werden.
Die anhaltenden und sich ausweitenden Proteste und die Regierungskrise führten das Land in
eine innenpolitische Krise. Nachdem der thailändische König die obersten Gerichte dazu aufgefordert hatte einzuschreiten, befanden diese die Wahlen im Mai für ungültig. Sie begründeten ihr Urteil mit aufgetretenen Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Wahlen und
der kurzen Zeitspanne zwischen Parlamentsauflösung und der Wahl. In den folgenden Monaten dauerten die Proteste an.2
Die Proteste richteten sich auch gegen Thaksins autoritären Regierungsstil. Dieser zeigte sich
unter anderem in der Verletzung von Menschenrechten und der Einschränkung der Pressefreiheit.3 Zu welchen Einschränkungen der Pressefreiheit es während der Regierungszeit von
Thaksin kam, soll in diesem Beitrag untersucht werden.
In den 1990er Jahren vollzog sich in Thailand ein politischer Reformprozess. Diese Entwicklung manifestierte sich 1997 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die weitreichende Grundrechte gewährte und eine Reihe politischer Reformen vorsah. Diese Verfassung
weckte im In- und Ausland Erwartungen und Hoffnungen, dass daraufhin eine stärkere Demokratisierung des politischen Systems in Thailand erfolgen würde.4 Die Verfassung garantierte unter anderem die Freiheit der Medien. Überdies sah sie Reformen im bisher staatlich
kontrollierten Rundfunk vor. Das staatliche Rundfunkmonopol sollte aufgehoben werden. In
Folge des Reformprozesses entwickelte sich die Lage der Pressefreiheit zum Positiven. Dies
schlug sich auch in Einschätzungen einschlägiger NGOs nieder.5
1
2
3
4
5
Bünte, 2006a, 46ff.
Südostasien aktuell, 4/2006, 157f.
Bünte, 2006a, 45.
Bünte, 2004, 544.
u.a. Freedom House, 2000.
135
Pressefreiheit in Thailand
Seit dem Amtsantritt von Thaksin Shinawatra im Jahr 2001 ist der Reformprozess in Thailand
zu einem Stillstand gekommen. In einigen Bereichen ist sogar eine rückschrittliche Entwicklung
zu beobachten. Die negative Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand ist ein Anzeichen, dass
der thailändische Staat sich von seinem Kurs zur Demokratisierung entfernt hat.6
Die thailändische Presse zählte Ende der 1990er Jahre zu den freisten Asiens.7 Seit dem
Amtsantritt von Premierminister Thaksin Shinawatra im Jahr 2001 häuften sich Berichte über
Einschränkungen der Pressefreiheit. NGOs wie Reporter ohne Grenzen, Freedom House und
das International Press Institute haben in den letzten fünf Jahren eine zunehmende Verschlechterung der Lage der Pressefreiheit in Thailand beobachtet. In ihren Berichten führen
sie unterschiedliche Einschränkungen der Pressefreiheit auf. Auch in der lokalen und internationalen Presse wurde über diese Restriktionen berichtet.8
Es gibt bislang noch keine ausführliche und systematische Untersuchung, die das Ausmaß
und die Qualität der Einschränkungen der Pressefreiheit unter Thaksin untersucht und einen
Vergleich zur Zeit vor seinem Amtsantritt mit einbezieht. In diesem Beitrag soll anhand solch
eines Vergleiches untersucht werden, wie sich die Lage der Pressefreiheit während der ersten
Amtszeit Thaksins entwickelt hat. Dabei werden die Entwicklungen bezüglich der Printmedien und des Rundfunks betrachtet. Es soll geprüft werden, wie die konstitutionell garantierte
Pressefreiheit in der Realität umgesetzt wurde. Dazu werden neben den rechtlichen und politischen Faktoren, die die Pressefreiheit betreffen, auch wirtschaftliche Faktoren miteinbezogen.
Die Einteilung in rechtliche und politische Faktoren sowie wirtschaftliche Faktoren fand in
Anlehnung an die Untersuchungen der NGO Freedom House statt. Freedom House untersucht
jährlich weltweit die Pressefreiheit. Allerdings wurde die Einteilung von Freedom House für
diesen Beitrag angepasst.
Im zweiten Kapitel wird zunächst der Begriff Pressefreiheit erläutert. Die Pressefreiheit soll
im Kontext der Menschenrechte und Demokratie betrachtet werden. Daran anschließend wird
ein Überblick über verschiedene Methoden der Messung von Pressefreiheit gegeben sowie die
genaue Vorgehensweise, mit der in diesem konkreten Fall die Pressefreiheit in Thailand untersucht wurde, angeführt.
Im dritten Kapitel wird als Hintergrundinformation die politische und gesellschaftliche Entwicklung in den 1990er Jahren und in Thaksins erster Amtszeit aufgezeigt. Dabei wird auch
die Entwicklung der Demokratie in Thailand mit einbezogen, da die Pressefreiheit als ein integraler Bestandteil von Demokratie zu sehen ist.
Ziel des vierten Kapitels ist es, die Lage der Pressefreiheit vom Inkrafttreten der neuen Verfassung 1997 bis zur ersten Amtszeit von Thaksin zu untersuchen. Zunächst wird ein Überblick über die Entwicklung der Pressefreiheit vor 1997 gegeben, um die Entwicklung nach
1997 beurteilen zu können. Außerdem soll eine zusammenfassende Darstellung der Ein6
7
8
136
Bünte, 2004, 544f.
International Press Institute, 1997-2001.
Reporter ohne Grenzen, 2005; International Press Institute, 2004.
Pressefreiheit in Thailand
schätzung von internationalen Menschenrechtsorganisationen, Journalistenvereinigungen und
berufsständischen Organisationen gegeben werden. Im nächsten Schritt soll mit Hilfe konkreter Beispiele verdeutlicht und belegt werden, wie die Lage der Pressefreiheit vor Thaksins erster Amtszeit war. Die Beispiele werden rechtlichen und politischen Faktoren und wirtschaftlichen Faktoren zugeordnet.
Im fünften Kapitel wird die Lage der Pressefreiheit während der ersten Amtszeit von Thaksin
(2001-2005) analysiert. Dies geschieht auf gleiche Weise wie im vorangegangen Kapitel.
Die Ergebnisse aus Kapitel 4-5 werden schließlich im Kapitel 6 zusammengetragen und verglichen. Um ein vollständiges Bild zu liefern folgt den Ergebnissen eine zusammenfassende
Darstellung der Entwicklung der Pressefreiheit während der zweiten Amtszeit von Thaksin.
Zum Schluss wird ein Ausblick gegeben.
2
2.1
Pressefreiheit
Pressefreiheit als Bestandteil von Demokratie und Menschenrechten
Das Verständnis, darüber was Pressefreiheit bedeutet, ist international verschieden. Zumeist weichen konstitutionelle Garantien von Pressefreiheit und das tatsächliche Vorhandensein sowie die
Qualität der Pressefreiheit in einem Land sehr voneinander ab. Sie ist eines der wenigen Grundrechte, das weltweit seit einem halben Jahrhundert in vielen Verfassungen und Gesetzen verankert
ist.9 Sie findet sich ebenso in zahlreichen Konventionen und Deklarationen wieder. Der Begriff ist
im Zusammenhang mit der Geschichte westlicher Demokratien entstanden.10 Geschichtlich betrachtet bezog sich der Begriff Pressefreiheit zunächst auf die Printmedien, da sie das bestimmende Nachrichtenmedium waren. Im Zuge der technischen Entwicklung nahm die Bedeutung von
den Rundfunkmedien Radio und Fernsehen zu. Aufgrund dessen wird der Begriff Pressefreiheit,
meist gleichbedeutend mit Medienfreiheit, auf diese Medien ausgedehnt.
In Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von
1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien
jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu
empfangen und zu verbreiten“.11 Diese allgemeine Grundsatzerklärung wird in inter- und
transnationalen Übereinkommen genauer festgelegt. So etwa in verschiedenen Mediendeklarationen der UNESCO und im „Internationalen Pakt über zivile und politische Rechte“ der
Vereinten Nationen.12 Die Allgemeine Menschenrechtserklärung und der Pakt über zivile und
politische Rechte enthalten das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit sowie die Freiheit, Informationen über jegliche Medien erhalten und verbreiten zu dürfen. Die Pressefreiheit beruht
auf diesen beiden Freiheiten.
Da Menschenrechte wesentliche Grundbestandteile einer Demokratie sind, lässt sich daraus
9
10
11
12
Holtz-Bacha, 2003, 403.
Haller, 2003a, 11.
Vereinte Nationen, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 10.12.1948, Artikel 19.
Behmer, 2003, 77. Thailand ratifizierte diesen Pakt 1997. Vereinte Nationen, 2004, 2.
137
Pressefreiheit in Thailand
schlussfolgern, dass auch Pressefreiheit für eine funktionierende Demokratie von Bedeutung
ist.13 Der Demokratietheoretiker Robert Dahl bezeichnet mit Demokratie ein ideales System
und betont in der Annäherung an dieses in der Wirklichkeit pluralistischen Wettbewerb und politische Partizipation. Durch diese soll gewährleistet werden, dass die Bürger nicht nur ihr
Wahlrecht ausüben, sondern sich auch frei äußern und im Rahmen öffentlichen Engagements
ungebunden artikulieren können. Dies stellt sicher, dass auch unterschiedliche Interessen artikuliert, gesellschaftliche Konflikte thematisiert werden können und somit in die politischen Entscheidungen und Handlungen der Bürger mit einfließen.14
In den westlichen Staaten wird davon ausgegangen, dass eine Grundlage der Demokratie die
politische Handlungsfähigkeit der Bürger ist. Diese bedarf der freien Willensbildung, die wiederum einen Meinungsbildungsprozess voraussetzt. Dieser kann nur stattfinden, wenn verschiedene Meinungen öffentlich ausgetauscht werden können, bzw. zumindest geduldet werden.15
Medien- und Kognitionswissenschaftler fügen dazu an, dass die Meinungen nicht auf Unkenntnis oder Vorurteilen beruhen sollten. Daher ist ein hinreichendes Wissen über die betreffenden Sachverhalte zur Bildung einer Meinung nötig. Aus diesem Grund stellt die Freiheit der Information eine grundlegende Basis der Meinungsbildung dar.16
Da die Medien beim Austausch von Informationen und Meinungen eine zentrale Rolle einnehmen, ist ihre Freiheit also ein zentraler Bestandteil einer Demokratie. Die Pressefreiheit
gilt deshalb auch als ein Indikator für die Lage der Demokratie in einem Land.
Robert Dahl legte sieben Merkmale bzw. Garantien fest, mittels derer demokratische Systeme
beurteilt werden können. Zu diesen Merkmalen gehören freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit.17 Von einer funktionierenden Demokratie kann also nur die Rede sein, wenn
Meinungsäußerungsfreiheit und Informationsfreiheit herrscht.
Neben der Meinungsbildungs- und Informationsfunktion fällt den Massenmedien in einer Demokratie
auch eine Kritik- und Kontrollfunktion zu. Diese Funktionen überschneiden sich teilweise.18 Medien
liefern damit einen wichtigen Beitrag zur Demokratie. Würde die Pressefreiheit eingeschränkt werden,
könnten sie diese Aufgaben nicht erfüllen, was sich letztlich auf die „Güte“ der Demokratie auswirkt.
Laut Haller ist unter Pressefreiheit die rechtsverbindliche Garantie zu verstehen, die eine Kontrolle
oder Zensur der Medien durch den Staat nicht erlaubt. Medien sollen vielmehr das, was sie veröffentlichen wollen innerhalb der Grenzen des Straf- und Zivilrechts auch veröffentlichen dürfen.19
Haller hat sich ausschließlich auf die Rechtslage bezogen. Verschiedene NGOs, die die Pressefreiheit untersuchen, beziehen politische und wirtschaftliche Einflüsse, die die Pressefreiheit einschränken, in ihre Betrachtung mit ein. Dies soll in diesem Beitrag auch geschehen.
13
14
15
16
17
18
19
138
Dahl, 1997, 459f.
Dahl, 1971, 2f.
Haller, 2003b, 100.
ebd., 101f.
Holtz-Bacha, 2003, 408.
Bundeszentrale für politische Bildung, 1998, 3.
Haller, 2003a, 11.
Pressefreiheit in Thailand
2.2
Messung der Pressefreiheit
Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um Pressefreiheit zu messen bzw. einen Maßstab für
Pressefreiheit zu finden. In beschreibenden Untersuchungen über die Lage der Medien in einem
Land wird häufig die Pressefreiheit anhand der konstitutionellen Sicherung beurteilt. Ebenfalls
häufig sind internationale Vergleiche. Aus diesen werden Rangfolgen der in die Untersuchung
einbezogenen Länder hinsichtlich der jeweiligen Situation der Pressefreiheit abgeleitet.20
Bis 1970 wurde in Studien über die Pressefreiheit, diese lediglich als Freiheit von Einschränkungen durch die Regierung eines Landes gesehen. Später wurden Methoden erdacht, die außerdem ökonomische Beschränkungen, die Existenz von Selbstkontrollorganen und Einflussnahmen von Gewerkschaften berücksichtigten.21
Bei den Versuchen, Pressefreiheit zu untersuchen, hat sich herausgestellt, dass es Schwierigkeiten gibt, diese messbar zu machen. Dies hängt mit der Beschaffung relevanter Daten zusammen. Wird eine Vielzahl von Indikatoren herangezogen, die in die Bewertung der Lage
der Pressefreiheit in einem Land eingehen, ist es aufgrund der großen Menge schwierig, die
dafür notwendigen Daten vollständig zu beschaffen. Außerdem besteht Uneinigkeit bezüglich
der zu berücksichtigenden Indikatoren, was sich in den unterschiedlichen für die Messung der
Pressefreiheit entwickelten Skalen zeigt.
Bei der Einbindung von Pressefreiheit in Konzepte, die der Messung von Demokratie dienen, ist die
Pressefreiheit nur ein Indikator neben anderen und kann daher so nicht differenziert erfasst werden.
Beim internationalen Vergleich besteht das Problem in der Vereinheitlichung des Messinstruments. Dieses Problem beruht auf international verschiedenen Ansichten über die Rolle
der Medien und die Definition von Pressefreiheit. Eine Reihe Einflussfaktoren spielen dabei
eine Rolle. Dies sind verschiedene politische Strukturen und Prozesse sowie dahinter stehende
und von ihnen abhängige Variablen ökonomischer oder sozialer Art.22
2.3
Vorgehensweise zur Beurteilung der Pressefreiheit in diesem Beitrag
In diesem Beitrag wird die Beurteilung und Analyse der Pressefreiheit in Anlehnung an die Unterteilung und Vorgehensweise der amerikanischen Organisation Freedom House vorgenommen.
Deren jährliche Untersuchung „Press Freedom Survey“ vergleicht die Lage der Pressefreiheit
weltweit und vergibt Punktzahlen, die dann in einer Rangordnung verglichen werden. Freedom
House zieht drei Kategorien heran, nach denen jedes einzelne Land beurteilt wird. Zu diesen Kategorien gehören die rechtliche, die politische und die wirtschaftliche Umwelt, die die Medien
beeinflussen können. Diesen Kategorien werden jeweils verschiedene Faktoren zugeordnet.23
In diesem Beitrag werden die Faktoren jeweils unterschieden in solche, die die Pressefreiheit fördern und solche, die die Pressefreiheit beschränken können. Da rechtliche und politische Faktoren
20
21
22
23
Holtz-Bacha, 2003, 403.
ebd., 407.
ebd., 410.
Freedom House, 2005.
139
Pressefreiheit in Thailand
oftmals nicht eindeutig voneinander abgrenzbar sind, werden sie in diesem Beitrag als zusammengehörig dargestellt. Zu den rechtlichen und politischen Faktoren, die die Pressefreiheit fördern, gehören gesetzliche und verfassungsmäßige Verankerung des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Zu den rechtlichen und politischen Faktoren, die die Pressefreiheit vermindern können,
zählen Gesetze und Regulierungen, die in der Lage sind, Medieninhalte negativ zu beeinflussen.
Neben Rechtsgrundlagen und Gesetzen werden auch die Art und Weise der Anwendung und die
Auslegung von Gesetzen und Rechtsgrundlagen zu den rechtlichen und politischen Faktoren gezählt. Hierzu zählen beispielsweise die Neigung der Regierung, verschiedene Gesetze, die die Medienfreiheit betreffen, anzuwenden, um die Medien in ihrer Freiheit einzuschränken und offizielle
Zensur. Auch die strafrechtliche Ahndung von Diffamierungen wird zu diesen Faktoren gezählt.
Außerdem werden die politisch motivierten Beschränkungen des Zugangs zu Informationen
und Belästigungen von Journalisten durch staatliche Behörden und deren Vertreter sowie durch
andere Akteure als rechtliche und politische Faktoren gewertet. Selbstzensur, die oft das Ergebnis solcher Einmischungen und Einschränkungen ist, wird in diesen Kontext mit einbezogen.
Was die wirtschaftlichen Faktoren betrifft, werden die Besitzstrukturen der Medienbetriebe und
die Konzentration von wirtschaftlicher Kontrolle über Medienbetriebe und damit einhergehende
Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Medien beleuchtet. Die selektive Zurückhaltung von
Werbung oder Zuschüssen durch den Staat und anderen Akteuren wird ebenso zu den Faktoren
gezählt, sowie der Einfluss von Korruption und Bestechung auf den Inhalt von Medien. Diese
Trennung ist allerdings nicht zu strikt zu sehen, da Faktoren oft ineinander greifen und eine
Trennung der verschiedenen Faktoren nicht immer möglich ist.
Freedom House untersucht zusätzlich noch Faktoren, wie die Unabhängigkeit der Justiz, die
Lebendigkeit der Medien, die Kosten für die Gründung von Medienunternehmen und die
Kosten für Produktion und Vertrieb.24 Diese werden hier nicht berücksichtigt, da nur die Faktoren, zu denen konkrete Beispiele in Thailand im entsprechenden Zeitraum gefunden wurden, herangezogen werden.
Ferner untersucht Freedom House verschiedene Länder in einem Zeitabschnitt und vergleicht
die verschiedenen Länder untereinander.25 Im Gegensatz dazu wird hier ein Land untersucht
und zwei verschiedene Zeitabschnitte miteinander verglichen. Während Freedom House
quantitative Messungen vornimmt, um ein Ranking zu erstellen, steht in diesem Beitrag eine
qualitative Vorgehensweise im Vordergrund, um verschiedenen Methoden der Einschränkungen zu ermitteln. Dies wird anhand einer repräsentativen Auswahl von Beispielen, die den
einzelnen Faktoren zugeordnet werden können, dargestellt.
3
Hintergründe
Zunächst wird ein kurzer Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen von
1932-1997 gegeben. In Thailand gab es nach der Einführung der konstitutionellen Monarchie im
24
25
140
ebd.
ebd.
Pressefreiheit in Thailand
Jahr 1932 bis zum Jahr 1973 verschiedene Militärregime.26 Aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung, Verstädterung und der Ausdehnung des Bildungssystems in den 1970er Jahren konnte
sich eine städtische Mittelschicht entwickeln. Durch den Einfluss dieser Mittelschicht auf die Politik
kam es zu einer allmählichen Liberalisierung. Mitte der 1980er Jahre wuchs der Einfluss verschiedener Interessengruppen, NGOs und Bürgerinitiativen.27 Als im Jahr 1991 Thailand erneut durch
einen Putsch des Militärs unter Militärherrschaft gelangte, erhielt die Öffnung hin zur Demokratie,
die in den Jahren vorher stattfand, einen Rückschlag. Dieser Putsch wurde von den Militärs mit der
starken Korruption und Instabilität der vorherigen Regierung begründet. Die Militärherrschaft dauerte jedoch nicht lange an.28 Die neu aufgestiegenen sozialen Gruppen, nahmen die wieder errungene Macht des Militärs nicht hin. Sie forderten eine Rückkehr zu Demokratie.29 Im Mai 1992 gab es
landesweite Massendemonstrationen gegen die Militärregierung, an denen sich Vertreter aus allen
gesellschaftlichen Schichten beteiligten. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den
Militärs, die erst durch das direkte Einlenken des thailändischen Königs beendet wurden. Die militärische Regierung trat daraufhin zurück.
Diese Wende schuf Bedingungen für künftige politische Veränderungen. Das Militär war in die
Kasernen zurückgedrängt worden und eine Basis für eine breitere Teilnahme der Bürger an der
Politik wurde gelegt.30 Nach den Geschehnissen des Jahres 1992 übten verschiedene Gruppen der
thailändischen Gesellschaft, die eine grundlegende Aufarbeitung des politischen Systems forderten, zunehmend Druck auf die Regierung aus.31 Aufgrund der Krise 1991/92 entwickelten sich
zwei politische Bewegungen. Einerseits gab es eine Bewegung, die die Interessen der ländlichen
Bevölkerung und Bauern vertrat und gegen den Rückgang der Agrarwirtschaft und die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen protestierte. Andererseits gab es eine Bewegung, die weitgehend von dem städtischen Mittelstand getragen wurde und Reformen in Politik, Bürokratie,
Medien, Recht, sozialer Wohlfahrt und anderen Gebieten forderten. Das Zusammenspiel dieser
beiden Bewegungen prägte in den 1990er Jahren eine neue Politik, in der auch zivilgesellschaftliche Gruppen Einfluss übten. Sie waren zwar von der parlamentarischen Politik ausgeschlossen,
doch ihr Einfluss auf die Politik wuchs. Dies spiegelte sich in der 1997er Verfassung wider.32
Die Verfassung sah eine Reihe von Reformen vor, wie die umfassende Neugestaltung des Regierungssystems, die Reform des Wahlsystems und die Einrichtung einer Reihe unabhängiger Institutionen.
Hiermit sollte die Rechtsstaatlichkeit gestärkt und Korruption gemindert werden. Dazu gehörten ein Verfassungsgericht, ein Verwaltungsgericht, eine nationale Menschenrechtskommission, eine Wahlkommission und eine Korruptionsbekämpfungsbehörde. Daneben enthielt die Verfassung eine Reihe von
zivilen Rechten und fundamentalen Grundrechten, wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung.33
26
27
28
29
30
31
32
33
Bünte, 2000, 25.
ebd., 29.
Terwiel, 1999, 325f.
Bünte, 2000, 27ff.
Connors, 2002, 40f.
Prawase, 2002, 21.
Pasuk/Baker, 2004, 18-22.
Prudhisan, 1998, 274f.
141
Pressefreiheit in Thailand
Die Verfassung wurde noch während der wirtschaftlichen Krise im September 1997 verabschiedet. Der zu dem Zeitpunkt regierende Premierminister Chavalit Yongchaiyudh konnte
das Land nicht aus der wirtschaftlichen Krise führen.34 Chavalit legte am 05.11.1997 sein
Amt nieder. Da sich seine Koalition nicht auf einen Nachfolger einigen konnte, wurde die
Macht an die Demokratische Partei übertragen.35 Doch der Regierung der Demokratischen
Partei unter Chuan Leekpai gelang es auch mit Unterstützung des internationalen Währungsfonds nicht, die wirtschaftliche Lage Thailands entscheidend zu verbessern. Aufgrund wachsender Kritik konnte sie ihr Mandat bei den Wahlen Anfang 2001 nicht wieder erlangen. Bei
diesen Wahlen wurde dann Thaksin zum Premierminister gewählt.36
3.1
Thaksins Aufstieg – Ausbildung und wirtschaftliche Tätigkeit
Thaksin wurde am 26.07.1949 in Chiang Mai geboren. Er besuchte die Polizeiakademie in
Nakhon Pathom und ging anschließend zum Studium in die USA. Dort erwarb Thaksin 1979
an der Sam Houston State University in Texas seinen Doktortitel in Strafrecht.37 Nach seiner
Rückkehr aus den USA wurde ihm die Verantwortung für die Planungsbehörde der Polizei
übertragen. Später wechselte er in die Informationszentrale und unterrichtete zudem in verschiedenen Bildungsinstitutionen der Polizei. Neben der Arbeit bei der Polizei betätigte sich
Thaksin zugleich als Unternehmer.38
In den 1980er Jahren hat Thaksin sein Telekommunikationsimperium aufgebaut.39 Shin Corporation entwickelte sich zum größten privaten Telekommunikationsunternehmen Thailands. Dazu gehören heute 60 Unternehmen aus der Telekommunikations- und Unterhaltungsbranche.
Mittlerweile zählt Thaksin zu den reichsten Männern Thailands. Nach offiziellen Angaben besaßen Thaksin und seine Familie im Jahr 2001 ein Vermögen von 15 Mio Baht (500 Mio. €).40
3.2
Politischer Aufstieg
Mit dem Eintreten in die Politik im Jahr 1994 übergab Thaksin die Leitung seiner Unternehmen an verschiedene Familienmitglieder. Ab Herbst 1994 übte er unter der Koalitionsregierung von Chuan Leekpai das Amt des Außenministers aus. Mitte 1995 wurde Thaksin Parteichef der Palang Tham Partei, die unter seiner Führung bereits 1996 zerfiel. Von 1995 bis
1997 war er mit Unterbrechungen stellvertretender Premierminister.41 1998 gründete Thaksin
die Thai Rak Thai Partei. Sie entstand zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der thailändische
Staat in einer schweren ökonomischen Rezession befand.42 Diese Umstände sowie das Streben nach politischem Wandel seit 1992, das sich in der neuen Verfassung widerspiegelte, begünstigten den Aufstieg Thaksins in der Politik. Thaksin und seinen Beratern gelang es, die34
35
36
37
38
39
40
41
42
142
Case, 2002, 178.
ebd., S. 286.
Pasuk/Baker, 2002, 447f.
McCargo/Ukrist, 2005, 7.
Pasuk/Baker, 2004, 36ff.
ebd., 49ff.
Bünte, 2004, 541.
Pasuk/Baker, 2004, 53ff.
ebd., 62.
Pressefreiheit in Thailand
ses gesteigerte Interesse für Politik für seine Partei nutzbar zu machen.43 Sie arbeiteten ein
politisches Programm aus, dass auf bestimmte Zielgruppen und deren Interessen abzielte.
Diese Zielgruppen wurden mit populistischen Aussagen gezielt angesprochen.
Durch die Aufnahme von Ideen, wie die Schaffung einer nationalen Auffanggesellschaft zur Restrukturierung der nationalen Kredite, in das Parteiprogramm der TRT Partei, gelang es Thaksin,
Geschäftsleute und Großindustrielle von seiner Politik zu überzeugen und für die Unterstützung
seiner Partei zu gewinnen.44 Insbesondere Großunternehmer traten der TRT Partei bei und einige
besetzten später Ämter und Posten der Thaksin Regierung.45 Zur Sicherung der Unterstützung der
ländlichen Bevölkerung stellte er ein Programm für die ländliche Entwicklung auf. Dieses Programm beinhaltete die Entlastung von Schulden durch ein Schuldenmoratorium, die Bereitstellung von Entwicklungsfonds und eine kostengünstige medizinische Versorgung.46 Als populistisch wurde dieses Programm bezeichnet, weil Thaksin als ehemaliger Großunternehmer und Millionär die ländliche Bevölkerung gezielt in den Mittelpunkt der Politik stellte. Mit dem Programm
zog er auch lokale, radikale NGOs auf seine Seite. Diese forderten eine Abkehr vom thailändischen Entwicklungsweg und dafür eine Rückbesinnung auf ländliche Werte.47
Thaksin und die TRT Partei erzielten am 06.01.2001 einen erdrutschartigen Sieg. Sie erlangten
248 von 500 Sitzen im Repräsentantenhaus, womit sie knapp eine absolute Mehrheit verfehlten.
Thaksins TRT Partei bildete zusammen mit der New Aspiration Partei (NAP), der Chart Thai
Partei (CT) und der Seritham Partei eine Regierungskoalition. Die Regierungskoalition besetzte
364 der 500 Sitze im Repräsentantenhaus und bildete somit eine stabile Mehrheit.48 Solch eine
stabile Regierungsmehrheit hatte es in Thailand bisher noch nicht gegeben. Die Regierung unter
Thaksin war auch die erste, die eine ganze Legislaturperiode überdauerte.49
3.3
Politik unter Thaksin
In den folgenden Jahren schlossen sich die New Aspiration Partei und die Chart Pattana Partei
der TRT Partei an. Dies führte dazu, dass sich das Parlament unter Thaksins Regierung im Wesentlichen aus zwei Parteien zusammensetzte, was die Stabilität der Thaksin Regierung förderte.50
Die Stabilität der Thaksin Regierung wurde zu dem durch die Errichtung persönlicher KlientelNetzwerke (phuak) gefestigt. Diese Netzwerke erstreckten sich über Teile des Militärs, der Großindustrie und den Parteien. Indem Thaksin wichtige Positionen in Militär und Verwaltung mit engen Vertrauten besetzte, konnte Thaksin stärkere Kontrolle über diese ausüben.51 Die Verbindung
zwischen der TRT Partei und der Großindustrie zeigte sich unter anderem darin, dass zahlreiche
TRT Partei-Mitglieder Großindustrielle waren und auch Ämter und Posten der Thaksin Regierung
43
44
45
46
47
48
49
50
51
ebd., 443f.
Bünte, 2004, 541.
Pasuk/Baker, 2004, 71.
Pasuk/Baker, 2002, 445.
Bünte, 2006a, 41.
Croissant/Dorsch, 2001, 16.
Kasem, 2004, 19.
Bünte, 2006a, 42.
McCargo/Ukrist, 2005, 220.
143
Pressefreiheit in Thailand
bekleideten. Dabei bestanden allein schon aufgrund Thaksins Hintergrunds, als Gründer eines Telekommunikationskonzerns, Beziehungen zur Großindustrie.52
Nach seinem Amtsantritt 2001 konzentrierte sich Thaksin zunächst auf die Wirtschaftspolitik, um
den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu begegnen. Diese Wirtschaftspolitik zeichnete sich
durch die Umsetzung einer großen Anzahl von einzelnen Maßnahmen und Programmen aus, die
vor allem der Großindustrie und der ländlichen Bevölkerung zugute kamen. Im wirtschaftlichen
Bereich zeichneten sich auch alsbald Erfolge ab. Die vor Thaksin begonnenen Reformen, die den
Demokratisierungsprozess Thailands förderten, kamen allerdings zum Erliegen.53
Im Bereich der Demokratisierung gab es während der Regierungszeit von Thaksin Rückschritte. Dies zeigte sich insbesondere bei den neu eingerichteten unabhängigen Institutionen,
den Menschenrechten und der Pressefreiheit. Die unabhängigen Institutionen, die die Regierung kontrollieren sollten, konnten durch die politische Einflussnahme der Regierung ihre
Funktionsfähigkeit nur eingeschränkt ausüben.54 Es gab unter Thaksin zunehmend Verletzungen der Menschenrechte. Das harte Vorgehen von thailändischen Sicherheitskräften im
Kampf gegen Drogen, bei dem allein im Jahr 2003 über 2.500 Menschen erschossen wurden,
weckte bei zivilgesellschaftlichen Organisationen in Thailand Besorgnis über die Situation
der Menschenrechte. Auch international wurde das Vorgehen der Regierung scharf kritisiert.55
Die negative Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand war ein weiteres Indiz dafür, dass der thailändische Staat, sich von seinem Kurs der Demokratisierung entfernte.56 Zudem wurden die Tätigkeiten
von zivilgesellschaftlichen Organisationen und kritischen Aktivisten stark eingeschränkt. Thaksin
warf NGOs und verschiedenen Akademikern und Intellektuellen mangelndes Nationalbewusstsein,
niedere Beweggründe und Missachtung nationaler Interessen vor.57
Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch Thaksins Äußerungen zu Demokratie, die er
nämlich nicht als höchstes Ziel seiner Politik ansah. Laut einem Pressezitat vom 11.12.2003
sagte Thaksin: „Democracy is a good and beautiful thing, but it´s not the ultimate goal as far
as administering the country is concerned...Democracy is just a tool, not our goal. The goal is
to give people a good lifestyle, happiness and national progress.“ 58
In Berufung auf eine buddhistische Philosophie des moralischen Führers, der sein Volk führt,
sprach er abschätzend über die Rolle einer Opposition in der Politik. Laut Pasuk und Baker erklärte Thaksin es zum erstrebenswerten Ziel eine „kan müang ning“ (stille politische Landschaft) herzustellen.59 An anderer Stelle sprach Thaksin seine Bewunderung für die politischen
Systeme von Singapur und Malaysia aus, die einer solchen politischen Landschaft sehr nahe
kommen. Seit Thaksins Amtsantritt war in Thailand eine deutliche Tendenz zur Entwicklung
52
53
54
55
56
57
58
59
144
Pasuk/Baker, 2004, 71.
Bünte, 2004, 542.
Bünte, 2006a, 43.
Bünte, 2004, 548.
Bünte, 2006a, 43f.
Pasuk/Baker, 2004, 155f.
PM´s Declaration: 'Democracy is not my goal', in: The Nation, 11.12.2003.
Pasuk/Baker, 2004, 137f.
Pressefreiheit in Thailand
einer „stillen politischen Landschaft“ zu beobachten. Dies zeigte sich in der oben aufgezeigten
Entwicklung des Parteiensystems und den Begrenzungen der Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Personen durch die Regierung. Die Einschränkungen der Pressefreiheit in Thailand reihten sich in diese Entwicklung ein.60
Somit lässt sich zusammenfassen, dass es seit Anfang der 1990er Jahre in der thailändischen Politik
eine stärkere Demokratisierung gegeben hat. Unter Thaksin wurde der Demokratisierungsprozess
jedoch nicht fortgesetzt. Vielmehr sind Rückschritte zu beobachten gewesen, die in den soeben aufgezeigten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sichtbar wurden.
4
4.1
Entwicklung der Pressefreiheit von 1997-2001
Einführende Betrachtungen
In Thailand wurden die Medien während der verschiedenen Militärregime immer wieder für
Propagandazwecke ihrer Politik instrumentalisiert. Die Printmedien konnten allerdings in den
1980er Jahren und insbesondere zwischen 1988-1990 ihren Handlungsspielraum gegenüber den
Regierungen zunehmend ausbauen. Dies wurde ihnen im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums, der fortschreitenden Demokratisierung und des technischen Fortschritts möglich.61
Bis Anfang der 1990er Jahre waren die thailändischen Printmedien im Großen und Ganzen
wirtschaftlich nicht tragfähig. Die Zeitungen waren von Geldgebern abhängig und wurden von
diesen dazu genutzt bestimmte Interessen und politische Ansichten zu publizieren.62 Teilweise
bestanden Verbindungen zwischen Politikern und Journalisten, die auf gegenseitig nützlichen
Vereinbarungen beruhten.63 Als sich zu Beginn der 1990er Jahre einige Zeitungen zu wirtschaftlich tragfähigen Unternehmen entwickelten, konnten sich diese durch ihre wirtschaftliche
Unabhängigkeit auch eine politische Unabhängigkeit sichern. Dadurch entstand eine Medienkultur, die von Lobbyisten, politischen Parteien, etc. unabhängig war. Zeitungen, die sich eine
unabhängige Berichterstattung leisten konnten, waren beispielsweise die Thai Rath, Daily
News, Matichon, Khao Sod, The Nation, Krungthep Thurakit und die Bangkok Post.64
Der Wandel der Printmedien von einer regierungstreuen zu einer zunehmend regierungskritischen
Kraft vollzog sich während des Militärregimes im Jahr 1991.65 Im Mai 1992 gab es landesweite
Massendemonstrationen gegen die Militärregierung, an denen sich Vertreter aus allen gesellschaftlichen Schichten beteiligten. Während die Printmedien größtenteils kritisch über die Regierung berichteten und die sich zuspitzende innenpolitische Lage dokumentierten, war die Berichterstattung der staatlich kontrollierten Radio- und Fernsehsender regierungskonform. Eine bedeutende Rolle kam den Printmedien bei den 1992er Wahlen zu, da sie sich auf die Seite der oppositionellen Kräfte stellten und damit die Polarisierung zwischen den Lagern verstärkte.66
60
61
62
63
64
65
66
Bünte, 2004, 545.
Thitinan, 1997, 220ff.
McCargo, 2000, 4f.
ebd., 2f.
ebd., 4f.; Thitinan, 1997, 227f.
Bünte, 2000, 27ff.
Thitinan, 1997, 222ff.
145
Pressefreiheit in Thailand
Nach Beendigung der politischen Krise in 1992 wurde von Seiten der Printmedien, Akademikern und NGO Aktivisten der Ruf laut den Rundfunksektor zu reformieren, der überwiegend staatlich kontrolliert wurde.67 Diese Reformbestrebungen wurden in der 1997 in Kraft
getretenen Verfassung verankert und sollten in den folgenden Jahren umgesetzt werden.
Die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die staatlichen Deregulierungsmaßnahmen hatten allerdings zur Folge, dass einige Printmedien dazu neigten Sensationsberichte über Skandale,
Morde und Überfälle zu veröffentlichen, um so ihre Auflagen zu erhöhen. Auch dem in 1997
eingerichteten Presserat, der als Selbstregulierungseinrichtung der Presse dient, ist es bisher
nicht gelungen; diese Praktiken einzudämmen.68
Die jährlichen Untersuchungen über die weltweite Lage der Pressefreiheit von Freedom House für die Jahre 1994-1997 ergaben, dass die thailändischen Medien nur „teilweise frei“ berichten konnten. In den folgenden Jahren bis 2001 wurden sie als „frei“ eingestuft. Freedom
House schrieb in ihrem 1999er Bericht, dass die thailändischen Printmedien regelmäßig über
politische und wirtschaftliche Nachrichten berichteten, sowie über Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen in Thailand. Dagegen hätten staatlich kontrollierte Radio- und Fernsehsender nur bedingt frei berichten können.69 Es hätten gelegentlich Einschüchterungsversuche gegenüber Journalisten gegeben. Dies führte teilweise auf Seiten der Journalisten zu
Selbstzensur, wenn es um Nachrichten über Themen ging, die beispielsweise das Militär, die
Monarchie und die Justiz betrafen.70
Laut Beobachtungen des International Press Institute gehört die thailändische Presse zu den
freisten Südostasiens. Allerdings sei Thailand weit davon entfernt, die Pressefreiheit tatsächlich vollständig zu genießen, obwohl die Verfassung von 1997, die Pressefreiheit in größerem
Maße als frühere Verfassungen garantiert. Das International Press Institute führt in seinen
Berichten über die Situation der Pressefreiheit in Thailand von 1997-2001 verschiedene Fälle
auf, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Dazu gehören Entwürfe von Gesetzen,
die die Pressefreiheit betreffen, Bedrohungen von Journalisten und die Herausgabe von Warnungen an die Presse durch staatliche Behörden.71
4.2
4.2.1
Rechtliche und politische Faktoren
Rechtsgrundlagen
Die Verfassung von 1997 garantierte die Pressefreiheit in größerem Umfang als bisherige
konstitutionelle Festlegungen.72 Die 1991er Verfassung verbriefte bereits Pressefreiheit, sie
berücksichtigte aber die Rundfunkmedien nicht in dem Maß wie die Verfassung von 1997.73
Die für die Pressefreiheit relevanten Ausschnitte sollen hier kurz erläutert werden, um die
rechtlichen Grundlagen für die Pressefreiheit darzustellen.
67
68
69
70
71
72
73
146
ebd., 230.
Altendorfer, 1999, 106.
Freedom House, 1995-2002. Press Freedom Survey.
Freedom House, 2000. Press Freedom Survey.
International Press Institute: Thailand. World Press Freedom Review 1997-2001.
International Press Institute: Thailand. World Press Freedom Review 1997.
Pretzell, 1994, 235f.
Pressefreiheit in Thailand
Kapitel III der Verfassung enthielt mehrere, für die Massenmedien in Thailand, relevante Artikel
(Art. 39, 40, 41, 58). Jedem Bürger wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährt.
Gleichzeitig wurde die Möglichkeit vorgesehen, dieses Grundrecht durch ein Gesetz zu beschränken, um die Sicherheit des Staates zu erhalten, die Freiheiten, die Würde oder das Ansehen anderer Personen zu schützen, die öffentliche Ordnung und die guten Sitten aufrechtzuerhalten oder
den Verfall der geistigen und körperlichen Gesundheit des Volkes zu verhindern.
Laut Verfassung durfte die Regierung weder Verlagshäuser, noch Radio- und Fernsehstationen
schließen. Eine Zensur von Nachrichten oder Artikeln durch Beamte war dann zulässig, wenn
das Land sich im Kriegszustand oder in einem bewaffneten Konflikt befunden hätte. Zudem
legte die Verfassung fest, dass der Staat Medien finanziell nicht unterstützen darf. Besitzer von
Zeitungen oder anderen Massenmedienbetrieben müssen thailändischer Nationalität sein.74 Des
Weiteren sah die Verfassung eine Reform im Rundfunksektor vor. Eine unabhängige Regulierungsbehörde sollte eingerichtet werden, die die Sendefrequenzen verteilen sowie Unternehmen
im Rundfunk- und Telekommunikationssektor beaufsichtigen soll. Sie legte fest, dass Sendefrequenzen von Radio, Fernsehen und Telekommunikation nationale Ressourcen für das öffentliche Interesse sind.75 Es wurde garantiert, dass sich Beamte und Angestellte in der freien Wirtschaft oder in staatlichen Behörden und Unternehmen, die im Zeitungs-, Radio- oder Fernsehgeschäft tätig sind, sich im Rahmen der konstitutionellen Bestimmungen frei äußern und ihre
Meinung frei ausdrücken dürfen, ohne, dass eine staatliche Behörde, ein staatliches Unternehmen oder der Besitzer eines solchen Unternehmens dazu eine Vollmacht erteilen muss.76 Auch
das Recht auf Zugang zu öffentlichen Informationen von staatlichen Behörden, staatlichen Unternehmen oder lokalen Regierungseinrichtungen und über Regierungsprojekte wurde gewährt,
mit der Einschränkung, dass die Aufdeckung solcher Informationen die staatliche Sicherheit,
die öffentliche Sicherheit oder die Interessen anderer Personen nicht schädigt.77
Diese Beschreibung der Artikel zeigt, dass in der thailändischen Verfassung von 1997 die
Pressefreiheit rechtlich verankert wurde. Es gab allerdings Mängel und Probleme bei der Umsetzung dieser verfassungsmäßig vorgesehenen Freiheiten. Diese werden im Laufe der nächsten Punkte anhand von Beispielen erörtert.
Durch das Informationsgesetz ist das Recht der thailändischen Bürger, Zugang zu öffentlichen
Informationen zu erhalten, gesetzlich verankert. Laut dem Gesetz sollen prinzipiell alle öffentlichen Daten und Informationen für die Bürger zugänglich sein.78 Nach Art. 13 des Gesetzes können Personen, denen der Zugang zu öffentlichen Informationen verwehrt bleibt, Beschwerde beim zuständigen Ausschuss einreichen. Jedoch existieren bestimmte Informationen, die staatliche Behörden nicht offen legen müssen.79
74
75
76
77
78
79
Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 39.
Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 40.
Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 41.
Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 58.
Nakorn, 2001, 2.
Gesetz zu öffentlichen Informationen, 1997, Art. 13, 15, 18.
147
Pressefreiheit in Thailand
Bei der Umsetzung des Gesetzes kam es allerdings zu verschiedenen Problemen. Diese führten dazu, dass die Bürger die ihnen zustehenden Informationen nicht erhielten. Die Anzahl der
Beschwerden und Einsprüche stieg zwischen den Jahren 1998-2000 erheblich. Ein weiteres
Problem war, dass ein Großteil der thailändischen Bevölkerung das Gesetz nicht kannte, ebenso wie die Verfahrensweisen, um Zugang zu den Informationen zu erhalten. Auch den Beamten in den Regierungsbehörden mangelte es am notwendigen Wissen. Überdies wurden in
den verschiedenen Behörden die offiziellen Dokumente nur unzureichend verwaltet und Informationen innerhalb und zwischen den Behörden unsystematisch weitergegeben. Dies erschwerte und verzögerte die Offenlegung von Informationen.80
Wie bereits erwähnt, soll nach Art. 40 der Verfassung eine unabhängige Regulierungsbehörde
geschaffen werden. Im Jahr 2000 wurde das Gesetz zur Einrichtung von zwei Behörden mit den
Schwerpunkten: (a) Verteilung der Rundfunkfrequenzen und Aufsicht über den Rundfunk und
(b) Aufsicht von Telekommunikationsunternehmen erlassen. Mit der Gründung der Regulierungsbehörde für den Rundfunk, des Rundfunkausschusses, sollte die bereits bestehende Regulierungsbehörde abgelöst werden. Letztere wurde 1992 gegründet und ihre Mitglieder setzten
sich sowohl aus Vertretern von NGOs und Akademikern aus dem Bereich Kommunikationswissenschaft zusammen, als auch aus Vertretern von staatlichen Behörden, die staatliche Rundfunkmedien besaßen und betrieben. Allerdings bildeten die letztgenannten Vertreter die Mehrheit. Dieser deutliche staatliche Einfluss sollte in dem neuen Ausschuss vermieden werden.81
Das neue Gesetz sah die Gründung zweier Regulierungsbehörden, eine für den Rundfunkund eine für den Telekommunikationssektor, vor.82 Beim Entwurfsprozess zum neuen Gesetz
zeigte sich ein Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Gruppen. Das Militär und die den
Rundfunk weitgehend kontrollierenden staatlichen Behörden, wollten am Status quo festhalten.83 Dagegen forderten NGOs und Wissenschaftler mehr Zugang zum Rundfunk für Bürger
auf kommunaler Ebene.84 Im Gesetz wurde festgelegt, dass die Rundfunkfrequenzen zwischen öffentlichem Sektor, privatem Sektor und Gemeinden verteilt werden sollen. Mindestens 20% sollen an Gemeinden gehen.85 Die Wahl der Mitglieder des Ausschusses fand während der ersten Amtszeit von Thaksin statt.86
In der Vergangenheit schränkte eine Reihe thailändischer Gesetze und Regulierungen die
Pressefreiheit ein. Insbesondere das Pressegesetz von 1941 und das Rundfunkgesetz von 1955
wurden von staatlichen Behörden immer wieder genutzt, um Medieninhalte zu zensieren. Das
1941er Pressegesetz sah vor, dass Drucker, Verleger, Redakteur oder Zeitungseigentümer die
Polizei von ihrer Tätigkeit in Kenntnis setzten. Es räumt Behörden erhebliche Machtbefugnis80
81
82
83
84
85
86
148
Nakorn, 2001, 5f.
Ubonrat, 2001, 3f.
Ubonrat, 1999, 11.
ebd., 7.
ebd., 11.
Gesetz über die Behörde zur Verteilung der Rundfunkfrequenzen und Aufsicht über den Rundfunk und über
die Behörde zur Aufsicht von Telekommunikation, 2000, Art. 26.
Ubonrat, 2003, 7.
Pressefreiheit in Thailand
se ein, Publikationen zu verbieten, Inhalte zu zensieren und Lizenzen zu entziehen.87 Das
Rundfunkgesetz von 1955 sichert dem Staat die weitgehende Kontrolle über die Verteilung
von Senderechten und Programminhalten. Es legt fest, dass private Rundfunksender eine Lizenz beim Amt für Öffentlichkeitsarbeit einholen müssen. Das Gesetz schließt auch Kabelfernsehen ein. Staatliche Rundfunksender fallen dagegen nicht unter das Gesetz.88 Des Weiteren enthält das Strafgesetzbuch in Thailand Bestimmungen, die eine Bestrafung für Majestätsbeleidigung vorsehen.89 Das thailändische Königshaus genießt in Thailand höchsten Respekt. Die Verfassung von 1997 legt fest, dass der König nicht öffentlich kritisiert werden
darf.90 Aufgrund weiterer Artikel des Strafgesetzbuchs ist es Printmedien verboten, Personen
zu diffamieren und nationale Institutionen zu verleumden. Sie sehen verschiedene Strafen für
diese Vergehen vor.91 Auch das thailändische bürgerliche Gesetzbuch enthält eine Reihe von
Bestimmungen, die sich auf Diffamierung beziehen.92
Im Jahr 2000 wurde ein neues Rundfunkgesetz vom Staatsrat93 entworfen.94 Das Gesetz soll den rechtlichen Rahmen für den nationalen Rundfunkausschuss bilden. Nach diesem Gesetzesentwurf wird der
Rundfunk in öffentliche, gemeinnützige und kommerzielle Medien aufgeteilt. Der Staat darf laut diesem
Gesetzesentwurf nur öffentliche Medien betreiben.95 Ferner soll nach diesem Gesetzesentwurf die neue
Regulierung der Fernseh- und Radioindustrie durch den nationalen Rundfunkausschuss alle Rundfunksender betreffen. Im Entwurf ist außerdem vorgesehen, dass alle Rundfunksender nur mit Genehmigung
des nationalen Rundfunkausschusses betrieben werden dürfen. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit, das
eine große Anzahl an Rundfunksendern kontrolliert, wurde davon jedoch ausgeschlossen.96
Dieses Gesetz ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten.97 Durch die Loslösung des
Amts für Öffentlichkeitsarbeit von der Regulierung durch den nationalen Rundfunkausschuss,
würde dieses Amt eine privilegierte Stellung gegenüber allen anderen Rundfunkbetreibern
erhalten. Das heißt, dass die Frequenzen, die vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit für seine
Rundfunksender genutzt werden, weiterhin in den Händen dieses Amtes verbleiben.
Zudem ist das Amt für Öffentlichkeitsarbeit dem Büro des Premierministers unterstellt. Bleibt das
Amt von der neuen Regulierung, mit der eine Aufhebung des staatlichen Monopols im Rundfunksektor ursprünglich beabsichtigt war, ausgeschlossen, würde die Regierung indirekt über einen
großen Teil der Rundfunkfrequenzen bestimmen können. Eine weitergehende Beeinflussung ist
hierbei nicht ausgeschlossen, vielmehr schon zu erwarten.
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
Pressegesetz von 1941.
Rundfunkgesetz von 1955.
Amnesty International, 1998.
Thailändische Verfassung 1997, Art. 8.
ARTICLE 19/Forum-Asia, 2005, 70.
ARTICLE 19, 2004, 18.
„In preparing draft legislation and giving legal opinions, the Council of State and the Office of the Council
of State take into account the legal principles and the conformity with related sciences...” Office of the
Council of State: Organization Chart http://www.krisdika.go.th/about_01.jsp?head=1&item=3, 15.11.2005.
International Press Institute, 2000.
Thepchai Yong: Hard Talk: No Doubt Who Still Wants to Rule the Air Waves, in: The Nation, 17.12.2002.
Piyamart Songklin: Draft Legislation: MCOT calls for equal treatment, in: The Nation, 18.3.2004.
Dies Bestätigte mir Ubonrat Siriyuvasak per E-Mail, November 2005.
149
Pressefreiheit in Thailand
4.2.2
Anwendung von Gesetzen
Während der Regierungszeit von Chuan Leekpai wurde sich von verschiedenen Seiten auf Gesetze berufen, die auf die Pressefreiheit einschränkend wirkten. Im Vorfeld der Senatswahlen
des Jahres 2000 wurde den thailändischen Medien von der Wahlkommission verboten, über
Stellungnahmen von Senatskandidaten und ihre eventuelle Funktion im Senat zu berichten. Die
Fachkommission berief sich dabei auf die Verfassung und das Wahlgesetz nach denen Kandidaten für die Senatswahl keinen Wahlkampf betreiben dürfen. Somit konnten die thailändischen
Medien ihre Informationsfunktion, die für die Meinungsbildung in einer Demokratie von großer
Bedeutung ist, aufgrund des Verbots nicht ausüben. Im Fall, dass eine Zeitung oder ein Rundfunksender trotz des Verbots mehr als nur über die biografischen Daten der Kandidaten berichtet hätte, hätte ihnen eine hohe Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe gedroht. Dies führte dazu,
dass die Medien Selbstzensur anwendeten, um eine Strafe zu umgehen.98
Es hatte Fälle gegeben, in denen Journalisten wegen Verleumdung verklagt wurden. Diese Klagen gingen vor allem von Politikern und zivilen Beamten aus. Aber auch Polizisten, Prominente
und Geschäftsleute verklagten Journalisten. Im Gegensatz zu den ersten beiden Gruppen, die
laut einer Studie des Thai Rath Informationszentrums 60% aller Verleumdungsklagen ausmachten, ist die Anzahl der zweiten Gruppe verhältnismäßig gering.99
4.2.3
Einfluss der Regierung auf Medieninhalte
Mit der zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nach Ausbruch der ökonomischen Krise Ende der 1990er Jahre wurden die kritischen Stimmen über das Vorgehen
der Regierung, die der kritischen Lage nicht Herr werden konnte, in der Presse lauter. Die
thailändischen Behörden und Vertreter der Regierung von Chavalit Yongchaiyudh reagierten
auf die geäußerte Kritik mit Warnungen, die sie an verschiedene Zeitungen herausgaben. Innenminister Sanoh Thienthong gab an die Polizeibehörde eine Anordnung, rechtliche Schritte
gegen Zeitungen einzuleiten, deren Berichterstattung dem Premierminister oder der Regierung Schaden zufügen könnte.100 Trotz der verbalen Drohungen seitens der Behörden und der
Regierung gab es keine direkte Einmischung in die Berichterstattung der Printmedien und des
privaten Fernsehsenders iTV. Die Betreiber der fünf staatlichen Fernsehsender erhielten dagegen vom Büro des Premierministers Anweisungen. Sie sollten die thailändische Bevölkerung
durch Meldungen, über die wirtschaftliche Lage Thailands und von der Regierung eingeleitete
Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise, nicht beunruhigen.101
Der dargestellte Umgang der Regierung Chavalits mit den Medien zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Krise stellt den Versuch der Regierung dar, durch Warnungen und direkte Anweisungen die Berichterstattung in den Medien zu beeinflussen, um die Veröffentlichung von
Kritik zu vermeiden.
98
99
100
101
150
International Press Institute, 1999.
ARTICLE 19/Forum-Asia, 2005, 80.
International Press Institute, 1997.
ebd.
Pressefreiheit in Thailand
4.2.4
Einschüchterungen, Bedrohungen, Morde/Mordversuche an Journalisten
Es hat Fälle gegeben, in denen Journalisten bedroht und belästigt wurden, nachdem sie kritisch
über die Regierung berichtet hatten. Beispielsweise wurden Mitarbeiter der Zeitung Thai Post
vom Privatsekretär des stellvertretenden Premierministers und weiteren Personen bedroht. Diese stürmten das Büro der Zeitung und wiesen die Mitarbeiter an, kritische Berichte über den
stellvertretenden Premierminister zu unterlassen. Weitere Fälle von Einschüchterungen, Bedrohungen, Mord und versuchten Mord an Journalisten lassen sich nicht in die vorgenommene Einteilung in rechtliche, politische und wirtschaftliche Faktoren einordnen. Es ist schwierig einzuschätzen und zu belegen, inwieweit diese tatsächlich im Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit der jeweiligen Person standen, da die Verbrechen nicht vollständig aufgeklärt
wurden. Die verschiedenen Einschüchterungen und Bedrohungen gegenüber Journalisten führten laut Freedom House dazu, dass Journalisten Selbstzensur betrieben.102
4.3
4.3.1
Wirtschaftliche Faktoren
Besitzstruktur der Medien
Die thailändischen Printmedien sind in erster Linie privates Eigentum, wobei diese in der Vergangenheit im Besitz von Einzelpersonen bzw. kleineren Printmedienunternehmen waren.103 In
den 1990er Jahren entwickelte sich die thailändische Medienlandschaft innerhalb kurzer Zeit
dahin gehend, dass sie von einigen wenigen großen Medienkonzernen dominiert wurde. Die
größten Publikationen finanzieren sich über den Kapitalmarkt und verfügen über eine große finanzielle Basis. Es sind Medienkonzerne entstanden, die verschiedene Formen von Medien besitzen und betreiben, wie Radio, Fernsehen, thai- und englischsprachige Zeitungen. Zu diesen
gehören unter anderem die Manager Group und die Nation Multimedia Group.104
Im Jahr 2000 gab es 26 nationale Zeitungen und 103 Zeitschriften.105 Von den 525 Radiostationen wird der größte Teil vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit (149 Stationen), dem Verteidigungsministerium (211 Stationen) und der Massenkommunikationsorganisation 106 (62 Stationen) kontrolliert.107 Während einige der Hörfunkstationen direkt von staatlichen Behörden
betrieben werden, sind die meisten Sender im Besitz privater Unternehmen, die diese auf
kommerzieller Basis betreiben. Hierfür muss jährlich die Lizenz erneuert werden.108
In den letzten Jahren sind eine Reihe von Gemeinderadios in Betrieb genommen worden. Diese sind Gemeindeeigentum und werden gemeinnützig betrieben.109 Zurückzuführen ist diese
Entwicklung auf eine Bewegung, die sich für Medienreformen einsetzte. Laut dem Gesetzesentwurf über den nationalen Rundfunkausschuss sollen mindestens 20% der gesamten nationalen Rundfunkfrequenzen an die Gemeinden übertragen werden. Während der Regierungs102
103
104
105
106
107
108
109
Freedom House, 2003
Daradirek, 2000, 441.
Thitinan, 1997, 227f.
Ubonrat, 2001, 20.
Ehemals staatliches Unternehmen an dem die Regierung 77% der Anteile hält.
Thai Journalist Association 2005, 2.
Daradirek, 2000, 445f.
Thai Journalist Association, 2003, 60.
151
Pressefreiheit in Thailand
zeit von Chuan Leekpai wurde 1999 vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit ein Pilotprojekt initiiert. Gemeinden hatten die Möglichkeit, über die Regionalstationen von Radio Thailand, das
dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit angehört, zu produzieren. Es gab jedoch Schwierigkeiten,
weil die staatlich kontrollierten Sender häufig keine Kritik an der Regierung duldeten und diese zensierten. Mitte 2000 wurde das Projekt von der Regierung eingestellt.110 Obwohl der
Rundfunkausschuss noch nicht gegründet ist, sind Gemeinderadios bereits in einigen Gegenden lizenzfrei in Betrieb genommen worden.111
In Thailand sind fünf staatliche Fernsehsender im Betrieb. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit kontrolliert und betreibt Channel 11. Die Massenkommunikationsorganisation kontrolliert zwei weitere Sender, Channel 3 und Channel 9, wobei sie letzteren eigenständig betreibt. Das Militär kontrolliert die verbleibenden Stationen Channel 5 und Channel 7. Channel 5 wird vom Militär betrieben. Zwei private Unternehmen, führen mit staatlicher Lizenz den Sendebetrieb von Channel 3
und Channel 7.112 Neben dem terrestrischen Fernsehen betreiben mehrere Anbieter Kabel-, Satelliten- sowie digitales Fernsehen. Thailands größter Betreiber ist die United Broadcasting Corporation (UBC). Sie betreibt mit der Lizenz von der Massenkommunikationsorganisation Kabelfernsehen im Großraum Bangkok und landesweit verschlüsseltes Satellitenfernsehen. Größter Anteilseigner an UBC ist die True Corporation, ein Tochterunternehmen der Charoen Pokphand
Group. Charoen Pokphand wurde unter Thaksin Regierungsmitglied.113
In 1996 wurde Thailands einziger Privatfernsehsender iTV gegründet.114 In Reaktion auf die massive Manipulation der Medien durch die Regierung während der politischen Krise im Jahr 1992, war
der Sender mit dem Ziel errichtet worden, einen unabhängigen Fernsehsender zu schaffen. Dieser
sollte einen großen Anteil an Nachrichten im Programm haben und zeichnete sich durch investigativen Journalismus sowie kritische Berichterstattung aus.115 iTV erhielt die Sendelizenz vom Büro des
Premierministers im Zuge des ersten freien Ausschreibungsverfahrens, welches für die Vergabe einer Sendelizenz durchgeführt wurde. In allen bisherigen Fällen wurden die Lizenzen ohne Ausschreibung an ausgewählte Unternehmen vergeben.116 Im Vertrag zwischen iTV und dem Premierminister wurde ein Nachrichtenanteil von 70% vereinbart.117 2001 kaufte das von Thaksin gegründete Unternehmen Shin Corporation, einen 55%-Mehrheitsanteil an iTV. Die Übernahme des
Mehrheitsanteils erfolgte kurz vor den landesweiten Wahlen. NGOs, Wissenschaftler und Teile der
Presse kritisierten die Übernahme, wegen der engen Verbindungen zwischen Thaksin, der für das
Amt des Premierministers kandidierte, und dem Unternehmen Shin Corporation. Nach der Anteilsübernahme erfolgten erste Veränderungen innerhalb des Senders.118 Diese Veränderungen erfolgten
während der ersten Amtszeit Thaksins und werden daher im anschließenden Kapitel aufgeführt.
110
111
112
113
114
115
116
117
118
152
Ubonrat, 2001, 11f.
Thai Journalist Association, 2003, 60.
Daradirek, 2000, 445f.
Thai Day, 03.04.2006.
ebd., 436.
Pasuk/Baker, 2004, 219.
Ubonrat, 2001, 4.
O.V.: PM in the dark over iTV, in: The Nation, 01.02.2004.
Pasuk/Baker, 2004, 219.
Pressefreiheit in Thailand
4.3.2
Auswirkungen der ökonomischen Krise auf die Printmedien
Der entscheidende wirtschaftliche Faktor sind die Einnahmen aus Werbegeschäften, die bei
den thailändischen Medien einen großen Teil des gesamten Budgets ausmachen. Bei Zeitungen stammen die Einnahmen zu etwa 65-80% aus dem Anzeigengeschäft, bei den Fernsehsendern ist der prozentuale Anteil sogar noch höher. Die Asienfinanzkrise hatte beträchtliche
Auswirkungen auf das Einkommen der Printmedien. Der Anteil an Einkünften aus Werbegeschäften fiel im Jahr 1998 auf 17%. Mit der Entwertung des thailändischen Baht im Juli 1997
stiegen gleichzeitig die Produktionskosten. Während dieser Zeit verloren über 3.000 Journalisten ihren Job. 12 der 25 Tages- und wöchentlichen Zeitungen wurden geschlossen.119
Da viele Medien- und Zeitungsbetriebe finanziell schlecht gestellt waren, kam es vermehrt zu
Korruptionsfällen. McCargo berichtete von Fällen, wo Kolumnisten, die die Kommentare in den
Tageszeitungen verfassten, käuflich waren. Sie verkauften regelrecht ihren Platz an Politiker.120
Ausgewählten Medienbetrieben wurden von der Chuan Regierung finanzielle Mittel für PRKampagnen angeboten. Im Gegenzug erwartete sie eine positive Berichterstattung. Die Bereitschaft solche Angebote anzunehmen, war bei einigen Medienbetrieben aufgrund der wirtschaftlichen Lage groß gewesen. Sie sollten das schlechte Anzeigengeschäft kompensieren. Diese
Beziehungen zwischen der Regierung und den Medien führte dazu, dass manche Medien eine, die
Regierung befürwortende, Haltung zu bestimmten kontroversen Themen einnahmen.121
5
5.1
Entwicklung der Pressefreiheit während Thaksins erster Amtszeit (2001-2005)
Einführende Betrachtungen
Seit der Gründung der TRT-Partei bis in Thaksins erstes Amtsjahr dominierten positive Pressestimmen über seine Person und seine Politik die thailändische Presse.122 Nach einem Prozess wegen Vermögensverschleierung gegen Thaksin im August 2001123 häuften sich kritischere Berichte. Thaksin sah sich in der Presse immer stärker Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Infolgedessen
änderte sich das Verhalten der Regierung gegenüber den Medien. Es waren stärkere Versuche der
Einflussnahme auf die Berichterstattung der Medien zu beobachten.124
Thaksin war für seine Kritikempfindlichkeit bekannt. Dies zeigte sich beispielsweise in seiner
Reaktion auf einen Artikel in der Zeitschrift Times im März 2000. In dem Artikel wurde über
Thaksins frühere politische Fehlschläge diskutiert und darauf hingewiesen, dass Thaksin behauptete Führer des digitalen Zeitalters zu sein, sich aber mit konservativen „analogen“ Politikern verbündete. Thaksin kritisierte, dass Fakten in der Berichterstattung verzerrt dargestellt
119
120
121
122
123
124
Daradirek, 2000, 439ff; Thai Journalist Association, 2003, 9.
McCargo, 2000, 2f.
Ubonrat, 2003, 4.
Ubonrat, 2004, 179.
Thaksin wurde von der Korruptionsbekämpfungsbehörde wegen Verschleierung seines Vermögens beim
Amtsantritt als Außenminister 1994 im Dezember 2000 angeklagt. Die Verfassung schreibt vor, dass ein
Minister seine Vermögensverhältnisse bei Amtsantritt korrekt mitteilen muss. Thaksin hatte Teile seines
Vermögens auf seine Hausangestellte und Geschäftsfreunde überschrieben. Das Gericht sprach ihn mit 8:7
Stimmen frei. Bünte, 2004, 545.
Ubonrat, 2004, 179.
153
Pressefreiheit in Thailand
worden seien.125 Zudem behauptete Thaksin, es gäbe eine Verschwörung gegen ihn. Die ausländische Presse würde nur die Hälfte der Informationen verwenden, die er gegeben hatte und
die thailändische Presse würde diese Informationen hochspielen.126 Später mahnte Thaksin die
Presse immer wieder, zuerst an das „nationale Interesse“ zu denken. Wenn das Ausland Thailand kritisiere, würde es häufig thailändische Medienberichte zitieren. Aus diesem Grund sollten die thailändischen Printmedien das Land in einem positiven Licht darstellen.127
Thaksins Ansichten wurden zusätzlich von einigen der konservativsten Kräfte innerhalb der
Regierung begrüßt und unterstützt. Zu diesen konservativen Kräften gehörten einige Generäle
des thailändischen Militärs, sowie verschiedene so genannte „Jao Pho“.128
Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen wie Freedom House, Reporter ohne Grenzen und Human Rights Watch über die Lage der Pressefreiheit unter Thaksin ergeben ein einheitliches Bild. Ihre jährlichen Untersuchungen ergaben, dass die Pressefreiheit in Thailand seit
Thaksins Amtsantritt in 2001 stärkeren Restriktionen als in den vier Jahren vorher unterlag.
Während Thailand von Freedom House in 2001 noch als „frei“ eingestuft wurde, rutschte das
Land ein Jahr später auf den Rang eines Landes, dessen Medien nur „teilweise frei“ waren. Die
Lage verschlechterte sich seitdem von Jahr zu Jahr.129 Freedom House führte die Einschränkungen der Pressefreiheit auf wirtschaftlichen und politischen Druck der Regierung auf Medienunternehmen und in diesen Unternehmen tätige Personen zurück. Des Weiteren fügte Freedom House an, dass Unternehmen, die von Thaksins Familie geleitet wurden oder Verbindungen zur regierenden Partei hatten, eine steigende Zahl an Medienunternehmen besaßen oder Anteile an diesen aufkauften und redaktionellen Einfluss ausübten.
Freedom House führte aber auch an, dass obwohl zunehmend Selbstzensur von Journalisten betrieben wurde, dennoch einige unter ihnen kritische Berichterstattung betrieben.130 Diese Einschätzung korrespondierte mit den, von der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen,
jährlich herausgegebenen Ranglisten zur internationalen Situation der Medienfreiheit.131 Dem Bericht von Human Rights Watch von 2005 über die weltweite Lage der Menschenrechte zufolge,
dokumentierten die thailändische Journalistenvereinigung (TJV) und die thailändische Rundfunkvereinigung (TRV) zwischen 2002-2004 mehr als 20 Fälle, in denen Redakteure und Journalisten
125
126
127
128
129
130
131
154
McCargo, 2003, S. 143f.
ebd., 145.
Yuwadee Tunyasiri: „PM Blasts Press 'inaccuracy', prefers radio“, in: Bangkok Post, 04.03.2004.
Der Begriff „Jao Pho“ bezieht sich auf eine einflussreiche Person der Lokalität, die ihren Wohlstand und
informelle Macht, durch Patronage, Bestechung, Gewalt oder anderen Mitteln, nutzen, um sich über das
Gesetz zu stellen und anderen außergesetzlichen Schutz zu bieten. Die „Jao Pho“ wuchsen anfänglich unter
dem Schirm militärischer Diktatoren heran. Sie hatten große Geschäftsinteressen, die mit legitimen und
kriminellen Tätigkeiten verbunden waren. Einige von ihnen nahmen zunehmend eine bedeutende Rolle in
der Politik auf lokaler und nationaler Ebene ein. Mehrere „Jao Pho“ wurden ins Parlament gewählt, andere
stiegen zu ministeriellen Posten auf oder beeinflussten die Politik durch finanzielle Unterstützung von
Kandidaten in lokalen und landesweiten Wahlen. Durch ihre aktive Teilnahme in der Politik auf nationaler
Ebene war es ihnen möglich Institutionen parlamentarischer Demokratie zu manipulieren, um ihre
geschäftlichen Interessen auf legale und illegale Weise zu fördern. Pasuk/Sungsidh, 2001, 57ff.
Freedom House, 2002-2005.
Freedom House, 2005.
Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2002-2005.
Pressefreiheit in Thailand
entlassen bzw. versetzt worden sind, oder in ihrer Arbeit beeinflusst wurden, um regierungskritische Berichterstattung zu unterbinden.132
Im Folgenden soll die Entwicklung der Pressefreiheit unter Thaksin anhand von konkreten
Fällen genauer untersucht werden.
5.2
Rechtliche und politische Faktoren
Was die rechtliche Lage hinsichtlich der Pressefreiheit in Thailand betrifft, hat es während
Thaksins erster Amtszeit wenig Veränderungen gegeben. Gesetze, die auf die Pressefreiheit
einschränkend wirken, wie das Pressegesetz von 1941 oder das Rundfunkgesetz von 1955 etwa, waren weiterhin existent.133
5.2.1
Umsetzung von der Pressefreiheit dienenden Gesetzen
Das Informationsgesetz von 1997 erfuhr laut der TJV nur eine unzureichende Anwendung. Wie in den
Jahren zuvor, blieb der Zugang zu öffentlichen Informationen weiterhin in vielen Fällen blockiert. Die
Anzahl der Beschwerden, die beim Ausschuss für öffentliche Informationen zwischen den Jahren 20012004 eingingen, war ansteigend. In einem Bericht an das Kabinett über die Durchführung des Gesetzes
während des Jahres 2003 wurden verschiedene Probleme angeführt.134 In einigen Fällen antworteten die
jeweiligen Regierungsbehörden auf Anfragen zu Informationen überhaupt nicht. Außerdem wurden eine
Reihe von Anfragen unbegründet abgelehnt. Einige Behörden gaben an, aufgrund nicht auffindbarer
Informationen Anfragen nicht bearbeiten zu können. Untersuchungen ergaben, dass dies mit mangelhaften Datenerfassungs- und Ablagesystemen zusammenhängt.
Weiterhin gibt es einige nach der Verfassung von 1997 geschaffene unabhängige Institutionen,
die sich auf ihren unabhängigen Status berufen, um die Verweigerung der Herausgabe von Daten
zu begründen. Sie argumentieren, dass der Ausschuss dem administrativen System unterstellt ist,
dem sie nicht angehören. Damit seien sie nicht befugt, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen
oder Anweisungen zu erteilen. Der Ausschuss für öffentliche Informationen ist dem Büro des
Premierministers unterstellt, das Teil des Administrationssystems ist.135
Die Durchführung des Informationsgesetzes wird zusätzlich durch langsame Handlungs- und
Entscheidungsprozesse der Kommission behindert. Dabei führt die zunehmende Anzahl der
Beschwerdefälle zu noch längeren Bearbeitungszeiten.136
5.2.2
Verzögerung der Medienreform und ihre Auswirkung auf die Entwicklung von
Gemeinderadios
Die in der Verfassung vorgesehene Medienreform, die die Verteilung der Rundfunkfrequenzen über eine unabhängige Regulierungsbehörde, dem nationalen Rundfunkausschuss, beinhaltet, war unter Chuan Leekpai nicht umgesetzt worden und wurde ebenfalls während Thak132
133
134
135
136
Human Rights Watch: Human Rights Overview 2004 - Thailand.
Thai Journalist Association, 2003, 2. Auch nach Meinung von Pasuk und McCargo hat sich die rechtliche
Lage während der ersten Amtszeit von Thaksin kaum verändert. Allerdings habe sich die Art und Weise,
wie Gesetze und Regulierungen angewendet wurden, um die Pressefreiheit einzuschränken, verändert.
Thai Journalist Association, 2003, 68f.
ebd., 70.
ebd., 69ff.
155
Pressefreiheit in Thailand
sins erster Amtszeit nicht umgesetzt. Im Oktober 2001 fand die Wahl zum nationalen Rundfunkausschuss statt.137 Für die Wahl wurde ein Wahlkomittee aus 17 Mitgliedern aufgestellt.
Diese setzten sich aus fünf Beamten staatlicher Behörden, die zu den Rundfunkmedien in Beziehung stehen, vier Akademikern aus dem Bereich Kommunikationswissenschaft und jeweils
vier Vertretern von Medienberufsverbänden und NGOs zusammen. Die Mitglieder, die den
Wahlausschuss bilden sollten, wurden von den einzelnen Gruppen selbst bestimmt.
Der Wahlvorgang wurde von Vertretern der Medien, wegen des übermäßigen Einfluss des
Militärs und der staatlichen Behörden sowie großer Medienunternehmen, kritisiert. Einige,
der in die engere Wahl gekommenen Kandidaten, kamen von staatlichen Behörden und manche hatten enge Verbindungen zu großen Medienunternehmen.138
Noch in 2001 legten Aktivisten139 Klage beim Verwaltungsgericht ein, da sie, wegen enger
Bindungen einiger Mitglieder im Wahlausschuss zu Kandidaten auf der engeren Auswahlliste,
Interessenkonflikte vermuteten. Das Gericht entschied, die in die engere Wahl gekommenen
Kandidaten abzulehnen, da bestimmte Mitglieder des Wahlausschusses enge Verbindungen
zu Channel 3 und Channel 5 hätten. Es gab außerdem bekannt, dass vier von 14 Kandidaten
Geschäfts- bzw. Arbeitsbeziehungen zu Mitgliedern des Wahlausschusses hatten.
Die Wahl des nationalen Rundfunkausschusses wurde in 2004 erneut aufgenommen. Unter den
Kandidaten, die vom Wahlausschuss vorgeschlagen wurden, waren Personen, die bei der vorherigen Wahl bereits verdächtigt wurden, enge Verbindungen zu Mitgliedern im Wahlausschuss zu
haben. Das Verwaltungsgericht erklärte auch diese Wahl für ungültig.140 Bis zum Ende der ersten
Amtszeit Thaksins kam es zu keinem Abschluss der Wahl.141
Die Entwicklung der Gemeinderadios wurde durch die Verzögerung der Wahl der Mitglieder
für den nationalen Rundfunkausschuss und die Verzögerung des Gesetzerlasses über die Neuverteilung der Rundfunkfrequenzen behindert. Obwohl die rechtlichen Mittel noch fehlten
und der Rundfunkausschuss noch nicht gegründet war, sind Gemeinderadios bereits in einigen
Gegenden ohne Lizenz in Betrieb genommen worden.142
Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit erlaubte zunächst versuchsweise Radiosendungen auf Radiostationen in 20 Provinzen. In 2002 beschloss das Amt jedoch diese Sendungen einzustellen,
weil sie nicht legal seien. Die Anordnung gründete auf dem Radio- und Fernsehgesetz von
1955, nach dem Rundfunkstationen eine Lizenz benötigen, um senden zu dürfen. Wegen der
noch ausstehenden Gründung des Ausschusses sollten vorläufig bisherige Gesetze gelten. Einige Gemeinderadiostationen erhielten Anweisungen, ihre Sendetätigkeit einzustellen.143
137
138
139
140
141
142
143
156
Ubonrat, 2003, 8.
Ubonrat Sririyuvasak: “Opinion to Reform of Broadcast Media”, in: The Nation, 27.08.2001.
Aus dieser Quelle geht nicht hervor, um wen es sich bei den „Aktivisten“ handelte.
Mongkol Bangprapa: “Activist Faults National Broadcasting Commission Shortlist”, in: Bangkok Post,
25.12.2004.
O.V.: Editorial: “Will the Voters Come to the Rescue?”, in: The Nation, 31.01.2005.
Thai Journalist Association, 2003, 62f.
King-oua Laohong und Pailin Wanichthanarak: “Community Radio: Government Orders Villagers off the
Pressefreiheit in Thailand
Gemeinderadiostationen, die weiterhin ohne Lizenz sendeten hatten mit Gefängnis- und Geldstrafen zu rechnen. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit schlug vor, dass Gemeinden, wenn sie
eine Gemeindesendung bräuchten, den Dienst einer bereits bestehenden lizenzierten Radiostation in der Umgebung in Anspruch nehmen könnten.144 Damit hätten sie unter der Kontrolle
staatlicher Behörden gestanden.
Es gab während der Regierungszeit von Thaksin einige Zwangsbeschlagnahmungen von Geräten und Schließungen von Gemeinderadiostationen. Dies betraf vor allem Radiostationen,
die kritisch über die Regierung berichteten,145 was die Vermutung nahe legt, dass die Anordnungen politisch motiviert waren.
Seitens der Regierung wurde mit dem Verbot der Gemeinderadios noch geltendes Recht durchgesetzt, da diese Sender ohne Lizenz sendeten. Allerdings kann der Regierung eine gewisse Willkür
unterstellt werden, da sie diesen Gemeinderadios erst die Erlaubnis erteilte, den Sendebetrieb schon
vor der Neuverteilung der Lizenzen aufzunehmen und diese Erlaubnis kurze Zeit später zurückzog.
Dadurch konnten die Gemeinden die ihnen offiziell zustehenden Sendelizenzen nicht nutzen.
5.2.3
Gesetzesentwürfe, die die Pressefreiheit betreffen
Während der ersten Regierungszeit Thaksins wurde ein Gesetz entworfen, das sich auf die Zusammensetzung eines zu gründenden Medienrats bezog. Im Februar 2003 legten Parlamentsabgeordnete der regierenden TRT-Partei einen Gesetzesentwurf für die Schaffung eines Medienrats vor.146
Der Medienrat147 sollte Richtlinien zur Wahrung der Ethik für den Rundfunk ausarbeiten und
Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung dieser Richtlinien verhängen.148 Es sollte Maßnahmen wie
Bewährungszeiten oder vorübergehende Schließungen der Rundfunkstationen geben. Sehr
gravierende oder wiederholte Verstöße gegen die Richtlinien sollten mit permanenter Schließung der Rundfunkstationen oder Gefängnisstrafen bestraft werden.149 Die Mitglieder sollten
aus Fachleuten der Runfunkbranche bestehen und vom Premierminister ernannt werden.150
Das von TRT-Parteimitgliedern vorgeschlagene Gesetz führte zu einer Kritikwelle im Rundfunksektor. Auch Oppositionspolitiker äußerten sich kritisch zu dem Gesetzentwurf, der mit
der Verfassung von 1997 nicht vereinbar sei. Journalistenvereinigungen warfen der Regierung
vor, die Medien mithilfe des entworfenen Gesetzes kontrollieren zu wollen. Aufgrund dieser
Kritik wurde der Gesetzesentwurf nach einer Woche verworfen.151
144
145
146
147
148
149
150
151
Airwaves”, in: The Nation, 21.04.2002.
Thai Journalist Association, 2003, 66.
ARTICLE 19; Forum Asia, 2005, 94f.
Reporter ohne Grenzen, 2004.
Dieser Medienrat ist nicht zu verwechseln mit dem nationalen Rundfunkausschuss, der laut der Verfassung
von 1997 für die Neuverteilung der Rundfunkfrequenzen zuständig sein sollte.
Committee to Protect Journalists, 2003.
Reporter ohne Grenzen. 2004.
Thai Journalists Association, 2003, 13.
Reporter ohne Grenzen: Thailand - 2004 Annual Report.
157
Pressefreiheit in Thailand
Die Bestimmung, dass Mitglieder des Medienrats durch den Premierminister ernannt werden
sollen, hätte Thaksin erhebliche Einflussmöglichkeiten über den Rundfunksektor eingebracht.
Die Unabhängigkeit der Mitglieder des Rats wäre vermutlich nicht gegeben gewesen.
Im vierten Abschnitt wurde unter den rechtlichen und politischen Faktoren der Entwurf für
ein neues Rundfunkgesetz beschrieben. Das Gesetz soll den rechtlichen Rahmen für den nationalen Rundfunkausschuss bilden.
In 2004 schlug ein Untersuchungsausschuss, der vom stellvertretenden Premierminister Vishanu Kruagnam geleitet wurde, vor, auch die Massenkommunikationsorganisation neben dem
Amt für Öffentlichkeitsarbeit von der Kontrolle des nationalen Rundfunkausschusses zu entbinden.152 Damit würden bereits zwei staatliche Behörden, die dem Büro des Premierministers
unterstehen von der Regulierung des neuen Rundfunkausschusses ausgeschlossen werden und
die Regierung würde indirekt über einen noch größeren Teil der Rundfunkfrequenzen und deren Inhalte bestimmen können.
5.2.4
Anwendung von Gesetzen
Staatliche Behörden wendeten zudem Gesetze an, um Medien bzw. deren Inhalte zu zensieren.
An dem folgenden Fall wird dies deutlich. Er zeigt zudem, dass auch internationale Printmedien
von Einschränkungen der Pressefreiheit betroffen waren. Im Januar 2002 wurde eine Ausgabe
des englischsprachigen Wirtschaftsmagazins Far Eastern Economic Review (FEER), das in
Hongkong herausgegeben wird, von thailändischen Behörden verboten. Die FEER berichtete in
ihrer Ausgabe vom 10.01.2002 über Spannungen zwischen dem Königshaus und Thaksin. Der
Verfasser des Artikels wies auf die Geburtstagsansprache des thailändischen Königs im Dezember 2001 hin, die als persönlicher Tadel an Thaksin interpretiert wurde.153
Laut thailändischer Behörden hätte der Artikel die öffentliche Ordnung und Moral stören können und damit das Pressegesetz von 1941 verletzt. Die Ausgabe wurde in Thailand verboten
und alle Exemplare konfisziert.154 Zusätzlich zum Publikationsverbot wurden auch die Visa des
amerikanischen FEER Geschäftsleiters aus Bangkok Shawn Crispin und des englischen Korrespondenten Rodney Tasker aufgehoben. Die thailändische Immigrationspolizei begründete ihr
Vorgehen damit, dass sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellten.155 Letztlich
konnten Crispin und Tasker einer Ausweisung aus Thailand entgehen, da das Management der
FEER der Forderung der Regierung, sich für den Artikel zu entschuldigen, nachkam.156
Dieses Beispiel zeigt, auf welche Art und Weise thailändische Behörden Gesetze anwendeten,
um die Verbreitung kritischer Berichte über die Regierung bzw. das Königshaus zu verhindern. Die Behörden gingen dabei so weit, nicht nur die Ausgabe der Zeitschrift zu verbieten, sondern drohten auch mit der Ausweisung ausländischer Journalisten. Der FEER Arti152
153
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155
156
158
Thepchai Yong: “Hard Talk: MCOT: Going Public with a private Agenda”, in: The Nation, 23.03.2004.
McCargo, 2003, 146.
International Press Institute, 2002.
International Press Institute, 2002.
McCargo, 2003, 146f.
Pressefreiheit in Thailand
kel hatte auch Auswirkungen auf thailändische Medien, die über diesen Artikel berichteten.
Mehrere Radiosendungen wurden eingestellt, nachdem in den Sendungen über den Artikel der
FEER berichtet wurde und die Vorgehensweise der Behörden kritisiert wurde.157
Ein weiteres Beispiel von Pressezensur seitens der thailändischen Behörden stellt die Verwarnung einer Spezialeinheit der Polizei an die beiden thailändischen Tageszeitungen Thai Rath
und Krungthep Turakij dar. Im August 2001 erhielten beide Zeitungen eine Verwarnung, weil
sie einen Bericht von der Nachrichtenagentur Reuters über den Gerichtsprozess zu dem Vorwurf der Vermögensverschleierung gegen Thaksin veröffentlichten. In einem Brief ermahnte
die Spezialeinheit der Polizei die Zeitung, in Zukunft mit größerer Vorsicht zu handeln. Die
Spezialeinheit bezog sich dabei auf das Pressegesetz von 1941. Laut der Spezialeinheit hätte die
Zeitung unverantwortlich gehandelt. Der Bericht über das bevorstehende Urteil im Fall Thaksin
hätte sich auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung auswirken können.158
Dieses Beispiel stellt einen eindeutigen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Die Zeitung hatte über
gesicherte Tatsachen berichtet und wurde mit der Begründung verwarnt, dass das Vertrauen der
Öffentlichkeit in die Regierung beeinträchtigt werden könnte. Daraus lässt sich ableiten, dass von
behördlicher Seite vorausgesetzt wurde, dass Zeitungsinhalte der Regierung dienlich sein sollten.
Eine objektive Berichterstattung wurde somit unterbunden. Neben dem direkten Einfluss durch
Behörden gab es auch indirekte Einflussnahmen auf die Medien. Auch hier wurden Gesetze angewendet, die jedoch keine direkte Zensur zur Folge hatten. Sie wirkten aber einschüchternd auf
Journalisten, so dass diese in der Folge stärker Selbstzensur ausübten. Während der ersten Amtszeit von Thaksin Shinawatra gab es mehrere Fälle, in denen Zeitungen und ihre Mitarbeiter wegen
Verleumdung verklagt wurden. Einer dieser Fälle soll hier beispielhaft dargestellt werden.
Supinya Klangnarong, Generalsekretärin der Nichtregierungsorganisation Campaign for
Popular Media Reform, und drei Geschäftsführer der Thai Post wurden wegen Verleumdung
von Shin Corporation verklagt. Die Anklage von Shin Corporation bezog sich auf einen Zeitungsartikel der Thai Post im Juli 2003.159 Diese hatte Supinya zitiert, die von einem Zusammenhang zwischen der Gewinnsteigerung des Unternehmens und Thaksins Position in der Politik ausging. Die Thai Post fügte hinzu, dass Supinya eine zunehmende Verflechtung von Politik
und Wirtschaft seit der Gründung der TRT-Partei sieht. Ihrer Meinung nach profitierten nicht
nur Unternehmen der Shin-Gruppe seit Gründung der TRT-Partei.160 Shin Corporation bestritt
den von Supinya aufgezeigten Zusammenhang. Das Unternehmen wandte ein, dass der Erfolg
des Unternehmens allein auf den Geschäftssinn des Managements zurückzuführen sei.161
Bei einem Schuldspruch im Strafverfahren hätten Supinya bis zu zwei Jahre Gefängnis ge-
157
158
159
160
161
Reporter ohne Grenzen, 2003.
Reporter ohne Grenzen, 2002.
McCargo/Ukrist, 2005, 192.
NGO prathan ha pi thai rak thai kam rai chinawat (NGO-Vorsitzende kritisiert: Shin Corporation profitiert
davon, dass TRT Partei seit fünf Jahren an der Macht ist), in: Thai Post, 16.07.2003.
Jane Perlez: “Reformer Makes Waves in Thai 'Still Water'”, in: International Herald Tribune, 01.07.2004.
159
Pressefreiheit in Thailand
droht. Bei der zivilen Klage ging es um eine Geldstrafe von bis zu 400 Mio Baht (8 Mio.€).162
Die Anhörung Supinyas und der drei Geschäftsführer der Thai Post vor dem Strafgericht
wurde auf Juli 2005 verschoben.163 Auch die Verhandlung vor dem Zivilgericht wurde bis
zum Abschluss des strafrechtlichen Falls verschoben.164
Die Zeitung Thai Post sei für ihre kritischen Artikel über Handlungen und Entscheidungen
der Regierung und Regierungsbehörden bekannt gewesen, meint die TJV. Unter der Regierung Thaksins hätte die Thai Post genauen Beobachtungen unterlegen.165 Ein Redakteur der
Thai Post, Ateukit Sawaengsuk, beobachtete, dass Journalisten der Zeitung nach der Anklage
von Supinya und den drei Geschäftsführern der Thai Post vorsichtiger geworden seien.166
Dieser Fall steht beispielhaft für eine ganz Reihe von Verleumdungsklagen gegen Journalisten
und Medienunternehmen. Weitere solcher Klagen gingen von verschiedenen Politikern aus, die
sowohl aus der Regierungskoalition als auch aus der Opposition kamen.167 Diese Klagen hatten
auf manche Journalisten eine einschüchternde Wirkung, so dass sie es unterließen, zu kritisch
zu berichten, um nicht selbst angeklagt zu werden.168 Im Folgenden geht es um einen Fall, in
dem Journalisten und auch Oppositionspolitiker von einer staatlichen Behörde belästigt wurden.
In 2002 ordnete die Antigeldwäsche-Behörde Banken an, das Vermögen von insgesamt 34 Personen und Unternehmen, darunter Medienunternehmen und Oppositionspolitiker, zu untersuchen. Unter den Personen, deren Konten überprüft wurden, waren vor allem bekannte Journalisten und Redakteure der thailändischen Zeitungen The Nation und Thai Post und ihre Familien.
Zu den Unternehmen, die von der Antigeldwäsche-Behörde untersucht wurden, gehörten Unternehmen der Nation Multimedia Group und an die Thai Post angeschlossene Unternehmen.
Medienunternehmen und Journalisten, die auf der Liste vertreten waren, waren für ihre regierungskritische Haltung bekannt. Medienwissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten vermuteten daher, dass die Antigeldwäsche-Behörde von der Regierung als politisches Instrument
verwendet wurde, um Journalisten einzuschüchtern.169
Anlass für die Anordnung der Untersuchung war ein anonymer Brief, den die Antigeldwäsche-Behörde erhalten hatte. Der Brief enthielt eine Liste mit Namen von Personen und Unternehmen, die angeblich in erpresserischen Handlungen krimineller Kreise verwickelt gewesen sind und zu dem der Zollhinterziehung beschuldigt wurden. Beide Verbrechensarten fallen unter das Antigeldwäsche-Gesetz.170 Thaksin ist per Gesetz Vorsitzender der Behörde. Er
distanzierte sich aber von der Anordnung und behauptete, die Antigeldwäsche-Behörde hätte
162
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160
Thai Journalist Association, 2003, 44f.
Southeast Asian Press Alliance: Thai Court Pushes Back Supinya Trial to Second Half of 2005, 02.10.2004.
O.V.: In Brief: “Shin Libel Action”, in: The Nation, 12.10.2004.
Thai Journalist Association, 2003, 42.
ebd., 45.
O.V.: Editorial: “The Thai Media Is Under Attack”, in: The Nation, 09.10.2002.
Thai Journalist Association, 2003, 45.
Thaksingate, in: The Nation, 07.03.2002.
O.V.: “Tip-off Letter Was Incoherent, Government Panel Admits”, in: The Nation, 22.3.2002.
Pressefreiheit in Thailand
selbstständig gehandelt. Von der Regierung sei eine solche Anweisung nicht erteilt worden.171
Die Redakteure der Nation Multimedia Group, deren Konten untersucht worden waren, hatten
gegen die Antigeldwäsche-Behörde und Thaksin geklagt. Sie warfen ihnen vor, dass Antigeldwäschegesetz missbraucht zu haben, um Journalisten einzuschüchtern. Die Redakteure
konnten eine einstweilige Verfügung gegen die Untersuchung ihrer Konten erwirken.172
Im Juni 2005 entschied das Verwaltungsgericht, dass die Untersuchung der Konten illegal war.173
Doch bereits zwei Tage vor Verkündung des Urteils lenkte die Antigeldwäsche-Behörde ein, in
dem sie die Untersuchung einstellte. Das Verwaltungsgericht ließ daraufhin die Klage fallen.174
Auffallend ist, dass die Journalisten und Medienunternehmen, deren Konten untersucht werden sollten, für ihre regierungskritische Haltung bekannt waren. Außerdem wurde der oder
die Verfasser des Briefes an die Antigeldwäsche-Behörde nie öffentlich genannt. Es drängt
sich der Verdacht auf, dass diese Liste nur geschaffen wurde, um die betreffenden Personen
zu schikanieren und Angriffspunkte zu finden.
5.2.5
Thaksins Radiosendung
Kurz nach seinem Amtsantritt begann Thaksin eine wöchentliche Hörfunksendung zu initiieren. Zunächst wurde Thaksins Sendung nur auf Stationen übertragen, die vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit betrieben wurden. Später wurde das Programm auf weitere Stationen ausgedehnt. Thaksin sprach während seiner Sendung über das politische Programm und die Leistungen der Regierung. Außerdem kommentierte er in der Sendung aktuelle nationale oder
globale Ereignisse. Der Moderator der Sendung durfte während der Sendung weder Fragen
stellen, noch Einzelheiten ansprechen.
Diese Sendung gab Thaksin die Möglichkeit, eigenständig Medieninhalte zu gestalten und
ohne weitere redaktionelle Aufarbeitung durch Journalisten zu verbreiten. Gelegentlich nutzte
er seine Sendung auch, um seinen Unmut über seine Kritiker zu äußern.175
Thaksin belegte durch seine Ausstrahlungen die Sendezeit der Sender und nutzte diese für
seine politischen Zwecke. Dies stellt für sich genommen eine weitere Einschränkung der
Pressefreiheit dar.
5.3
Wirtschaftliche Faktoren
An den im Abschnitt „Entwicklung der Pressefreiheit zwischen 1997-2001“ aufgezeigten Besitzverhältnissen der Medienunternehmen hat sich in der ersten Amtszeit von Thaksin wenig
geändert. Aufgrund der noch ausstehenden Einrichtung des nationalen Rundfunkausschusses
wird der Rundfunk weiterhin überwiegend staatlich kontrolliert.
171
172
173
174
175
O.V.: “Panel Blames Two Chiefs Over Probes. Top Officials Face Disciplinary Action”, in: Bangkok Post,
16.03.2002.
O.V.: In Brief: “Abuse-of-Authority Case: Court Orders AMLO, PM to Submit Written Testimony”, in: The
Nation, 16.03.2002.
O.V.: “AMLO Scandal: Absolved”, in: The Nation, 18.09.2002.
O.V.: “AMLO Times It to Perfection”, in: The Nation, 25.06.2002.
McCargo/Ukrist, 2005, 168ff.
161
Pressefreiheit in Thailand
5.3.1
Medienkontrolle durch Thaksins Verwandtschaft und TRT-Partei-Mitglieder
Im August 2003 wurde Thaksins Cousin Chaisit Shinawatra zum Oberbefehlshaber des thailändischen Militärs ernannt.176 Da dem Militär mehrere Fernseh- und Radiosender unterstehen, rückten diese dadurch ebenfalls weiter in den Einflussbereich Thaksins.177 Auch haben in
den letzten Jahren nähere Verwandte von TRT-Partei-Mitgliedern Anteile an Medienunternehmen erworben.
2003 eigneten sich laut Angaben der thailändischen Börse Mitglieder der Jungrungreangkit
und Chulangkula Familien Aktien der Nation Multimedia Group an. Sie alle sind mit dem
Transportminister Suriya Jungrungreangkit verwandt. Mit dem Kauf von mehr als 10% der
Anteile an der Nation Multimedia Group, wurden sie neben den Gründern Thanachai Teerapatnawong und Suthichai Yoon drittgrößter Gesellschafter der Gruppe.178 Der Kauf von Anteilen an einem Medienunternehmen spiegelt die teilweise engen Verknüpfungen zwischen
Medienunternehmen und Mitgliedern des Thaksin Kabinetts wider.
Ein weiteres Medienunternehmen, an dem große Anteile erworben wurden, ist der Fernsehsender
iTV. Da der Erwerb der Mehrheit der Anteile am Nachrichtensender iTV durch Shin Corporation
noch vor der landesweiten 2001er Wahl stattfand, wurde bereits im vorherigen Abschnitt darauf
eingegangen. An dieser Stelle sollen Veränderungen aufgezeigt werden, die seit der Übernahme
des Mehrheitsanteils an iTV durch Shin Corporation vorgenommen wurden.
Die Übernahme durch Shin Corporation erfolgte kurz vor den Wahlen. Journalisten von iTV
beschwerten sich über die Beeinflussung der Wahlberichterstattung zugunsten der TRT-Partei
durch das Management. 23 Journalisten von iTV wurden kurze Zeit später, im Februar 2001,
entlassen. Die Labor Relations Commission, an die sich die entlassenen Mitarbeiter wandten,
entschied auf Wiedereinstellung.179 Da Shin Corporation Berufung gegen die Entscheidung
einlegte, verzögerte sich der Prozess. Erst im März 2005 kam es zu einer Entscheidung des
obersten Gerichts. Das Gericht ordnete ebenfalls die Wiedereinstellung der Journalisten sowie
die Zahlung der seit ihrer Entlassung im Februar 2001 ausgefallenen Gehälter an.180
Kurz vor Ausbruch der Wirtschaftskrise gegründet und mit wesentlich höheren Lizenzgebühren
als andere Sender belastet, fuhr der Sender nie Gewinne ein. Auch unter der Leitung von Shin
Corporation blieb iTV zunächst in den roten Zahlen. Dies änderte sich im Januar 2004 mit dem
Urteil eines Schiedsgerichts, dass das Management von iTV einberufen hatte. Das Urteil regelte
die Höhe der Lizenzgebühren und eine Anhebung des Unterhaltungsanteils im Programm. Der
Sender hatte der Regierung vorgeworfen, auf Sendern der Konkurrenz mehr Werbung erlaubt zu
haben, und damit Vertragsbruch begangen zu haben.181 Das Schiedsgericht ordnete eine rückwirkende Lizenzgebührsenkung von 25.5 auf 7.8 Mio. Baht (500.000 auf 150.000 €) an, sowie die
176
177
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179
180
181
162
Pasuk/Baker, 2004, 182.
Ubonrat, 2004, 180.
Thai Journalist Association, 2003, 31f.
The Committee to Protect Journalists, 2002.
“Supreme Court Verdict: Fired iTV Staff Win Legal Fight”, in: The Nation, 09.03.2005.
Pasuk/Baker, 2004, 219f.
Pressefreiheit in Thailand
Rückzahlung der bereits zu viel gezahlten Gebühren. Außerdem legte das Gericht eine Erhöhung
des Unterhaltungsanteils während der Hauptsendezeit von 30 auf 50% fest und zusätzlich eine
Entschädigung für die durch die Werbung auf den anderen Sendern verursachten entgangenen
Einnahmen.182 Das Schiedsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es iTV wettbewerbsfähig halten wolle. Diese Entscheidung stieß in der Öffentlichkeit auf starke Kritik, da befürchtet wurde, dass die Unabhängigkeit des Senders bedroht sei.183 Daraufhin reichte das Büro
des Premierministers beim Verwaltungsgericht eine Petition ein, um die Schiedsgerichtsentscheidung anzufechten.184 Obwohl die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch ausstand, nahm
iTV die Programmänderungen bereits vor und rechtfertigte dies mit dem Beschluss des Schiedsgerichts. Auch nach einer Mahnung des Büros des Premierministers, die Programmänderungen zurückzunehmen und auf das Urteil des Verwaltungsgerichts zu warten, fuhr iTV mit diesen fort.185
Vor der Übernahme durch Shin Corporation stellte iTV durch seine investigative Berichterstattung eine herausragende Ausnahme unter den thailändischen Fernsehsendern dar.
Der Nachrichtenanteil nahm nun beträchtlich ab, während der Unterhaltungsanteil stieg.
5.3.2
Privatisierungen
In 2004 hat es bei staatlichen Inhabern von Rundfunklizenzen Privatisierungstendenzen gegeben. Der dem Militär gehörende Fernsehsender Channel 5 wurde seit 2004 von RTA Entertainment betrieben. RTA Entertainment ist ein vom Militär selbst gegründetes Tochterunternehmen von Channel 5 und hat eine Sendelizenz über 30 Jahre. RTA Entertainment sollte an
die Börse gebracht werden.186 Um das stark verschuldete Unternehmen für Investoren attraktiver zu machen, sollten die Schulden von RTA Entertainment auf Channel 5 übertragen werden, der weiterhin im Militärbesitz blieb.187
Aufgrund öffentlicher Kritik und Diskussionen richtete die Regierung einen Untersuchungsausschuss ein. Dieser sollte ermitteln, ob die Lizenzvergabe und der Börsengang des Tochterunternehmens von Channel 5 legal waren.188 NGOs warfen der Regierung vor, mit der Privatisierung sicherstellen zu wollen, dass Medienbetriebe von Geschäftsgruppen kontrolliert werden, die sie bevorzugen.189 Der Börsengang wurde letztlich nicht durchgeführt, nachdem ein
Kabinettsbeschluss bestimmte, dass eine Schuldenübertragung an Channel 5 nicht legal sei.190
Weiterhin vergab das Amt für Öffentlichkeitsarbeit privaten Unternehmen die Rechte, zwei Satellitenkanäle, die es in 2004 neu eingeführt hatte, zu betreiben. Eines der Unternehmen mit
dem das Amt für Öffentlichkeitsarbeit einen Vertrag abgeschlossen hat, ist die Manager Media
182
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190
Im Vertrag den iTV 1995 mit dem Büro des Premierministers über eine Laufzeit von 30 Jahren geschlossen
hatte, wurde ein Nachrichtenanteil von 70% festgelegt. O.V.: „PM in the dark over iTV“, in: The Nation,
01.02.2004.
“Concession Ruling: Government Loss Is Bt 17 Billion iTV gain”, in: The Nation, 03.02.2004.
O.V.: “Petition to Overturn Ruling Filed”, in: Bangkok Post, 28.04.2004.
O.V.: “iTV Defiant despite PM´s Office Threat”, in: The Nation, 24.06.2004.
O.V.: “Army Chief Rapped over RTA Listing”, in: The Nation, 17.06.2004.
O.V.: “RTA: From Debt Carrier to Creditor in seven short Years”, in: The Nation, 17.06.2004.
O.V.: “Broadcasting Row: Plot Thickens in TV 5 Scandal”, in: The Nation, 23.6.2004.
O.V.: “Army Chief Rapped Over RTA Listing”, in: The Nation, 17.6.2004.
“Wassana Nanuam: Tor Tor Bor 5 listing cancelled”, in: Bangkok Post, 11.8.2004.
163
Pressefreiheit in Thailand
Group, die Sondhi Limthongkul gehört.191 Überdies ging ein staatliches Unternehmen, die Massenkommunikationsorganisation an die Börse. Sie untersteht nun wie das Amt für Öffentlichkeitsarbeit dem Büro des Premierministers.192 Die staatliche Massenkommunikationsorganisation stellt mit 62 Radiostationen und zwei Fernsehstationen (Channel 3 und Channel 9) sowie
einem Kabel-TV-Unternehmen das größte Mediennetzwerk Thailands dar. Der Börsengang
weckte in der thailändischen Öffentlichkeit Befürchtungen, dass verschiedene Unternehmen
und Interessengruppen versuchen könnten, Mehrheiten an diesem Medienunternehmen zu kaufen, um so einen großen Teil der thailändischen Medienlandschaft zu beherrschen.193
Die beiden anderen Beispiele weckten ähnliche Befürchtungen. Auch hier würden staatlich
kontrollierte Medienressourcen auf dem freien Markt verfügbar, ohne dass dieser Vorgang
vom nationalen Rundfunkausschuss kontrolliert werden könnte. Es ist zu vermuten, dass diese
Privatisierungen im Vorfeld dazu dienen, die entsprechenden Sendelizenzen von der Neuverteilung auszunehmen.
5.3.3
Selektive Zurückhaltung von Werbung
Im Schnitt stammen 65-80% der Einnahmen thailändischer Zeitungen aus dem Verkauf von Werbeannoncen. Regierungsbehörden und staatliche Unternehmen, wie das Exportministerium und die
thailändische Fremdenverkehrsbehörde, schalteten einen Großteil ihrer Annoncen bei Zeitungen,
die positiv über die Regierung berichteten.194 Es ist weiterhin bekannt, dass bevorzugt Medien, die
die Regierung befürworteten bzw. keine kritische Berichterstattung führten, Werbeverträge von dem
von Thaksins Familie geführten Unternehmen Shin Corporation angeboten wurden.195
Im jährlichen Bericht über die Lage der Pressefreiheit berichteten Reporter ohne Grenzen, dass die
Nation im Oktober 2001 ein Angebot für einen Werbevertrag über mehr als 1 Mio. € erhielt. Thaksin nahestehende Personen hätten der Zeitung das Angebot gemacht. Dafür sollte The Nation im
Gegenzug mehr positivere Berichte über die Regierungspolitik veröffentlichen. Nachdem The Nation dieses Angebot ablehnte, boykottierten Unternehmen der Shin Corporation sechs Monate lang
Anzeigen.196 Untersuchungen der Journalistenvereinigung bestätigten dies. Eine Untersuchung über
Anzeigenschaltungen in der Zeitung Kom Chad Leuk, die zur Nation Multimedia Group gehört, für
das Jahr 2003 ergab, dass keine Anzeigen von Unternehmen, die zur Shin Corporation gehörten,
vorhanden waren.197 In der Zeitung Phu Chat Karn wurden dagegen oft Anzeigen von Tochterunternehmen der Shin Corporation geschaltet. Die Phu Chat Karn wird von der Manager Media
Group (MGR) herausgegeben, die wie bereits erwähnt einem Bekannten von Thaksin gehört.198
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192
193
194
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198
164
“Mongkol Bangrapa und Nattaya Chetchotiros: Private Broadcasting Firms Reap Frequency Booty”, in:
Bangkok Post, 17.6.2004. Sondhi Limthongkul hatte Beziehungen zu Thaksin und anderen Regierungsmitgliedern.
“Wichit Chaitrong: Privatisation Plans: TOT, CAT to List ahead of Egat”, in: The Nation: 17.02.2005.
“Thepchai Yong: Hard Talk: MCOT: Going Public with a Private Agenda”, in: The Nation , 23.03.2004.
Thai Journalist Association, 2003, 9; Daradirek, 2000, 439ff.
McCargo/Ukrist, 2005, 195.
Reporter ohne Grenzen, 2002.
Thai Journalist Association, 2003, 26f.
New Party, Old Friends Aid Sondhi, in: The Nation, 11.04.2002.
Pressefreiheit in Thailand
Es fand während Thaksins erster Regierungszeit einerseits eine selektive Zurückhaltung von
Anzeigenschaltungen und andererseits eine selektive Gewährung von Anzeigenschaltungen seitens staatlicher Behörden und Unternehmen sowie privater Unternehmen statt. Die oben aufgeführten Beispiele deuten daraufhin, dass die Auswahl der Medienunternehmen, denen Werbeverträge angeboten wurden, von deren Haltung gegenüber der Regierung abhing. Der wirtschaftliche Druck auf die Printmedien, deren Einnahmen zu einem großen Teil aus dem Anzeigengeschäft kommen, hat zu einer erhöhten Anwendung von Selbstzensur in den Redaktionen
der Medien geführt. Durch die selektive Vergabe von Anzeigenschaltungen wurde versucht auf
die Printmedien und ihre Inhalte indirekt Einfluss zu nehmen. Denn diese stehen nicht wie Hörfunk und Fernsehen unter staatlicher Kontrolle. Ferner zeigen die genannten Beispiele eine
Vernetzung zwischen Politik, Wirtschaft und den Medien auf.
6
Ergebnisse
In der Zeit von 1997-2001 waren verschiedene Arten der Einschränkung der Pressefreiheit zu
beobachten. Zunächst sollen die rechtlichen und politischen Faktoren betrachtet werden. Zwar
wurde verfassungsrechtlich den Medien in Thailand Freiheit zugesprochen, die Verfassung
von 1997 sah aber auch Einschränkungen dieser Freiheit vor. Weiterhin garantierte die Verfassung von 1997 den Zugang zu öffentlichen Informationen.
Die Pressefreiheit wurde durch eine Reihe von Gesetzen eingeschränkt. Diese boten unter anderem Zensurmöglichkeiten für staatliche Behörden, wenn Medienberichte, ihrer Meinung
nach, die nationale Sicherheit gefährdeten. Zu dem gab es Gesetze, die der Pressefreiheit förderlich waren. Ihre Umsetzung wurde jedoch teilweise mangelhaft durchgeführt. Der Entwurf
des neuen Rundfunkgesetzes sah vor, das Amt für Öffentlichkeitsarbeit von der Neuverteilung
der Rundfunkfrequenzen auszunehmen. Hierin zeigt sich, dass es von staatlicher Seite Bestrebungen gab, das staatliche Monopol im Rundfunk weiterhin aufrechtzuerhalten. Des weiteren
wurde der Zugang zu öffentlichen Informationen, der durch das Gesetz zu öffentlichen Informationen gesichert sein sollte, teilweise unzureichend gewährt.
Nun sollen die wirtschaftlichen Faktoren ausgewertet werden. Inhaber von Rundfunklizenzen waren staatliche Behörden und das Militär, die diese teilweise an private Betreiber vergaben. Damit
konnten staatliche Behörden und das Militär große Kontrolle auf die Inhalte der Rundfunksendungen ausüben. Die Printmedien befanden sich dagegen in privatem Besitz. Ihnen wurde eine
größere Unabhängigkeit zugesprochen, was sich in kritischerer Berichterstattung zeigte.
Einige weitere Beispiele, die die Pressefreiheit einschränkten, gingen von den Journalisten
aus. Einerseits ist hier Selbstzensur zu nennen. Zum anderen ist die Käuflichkeit einiger Journalisten durch einzelne Personen und Interessengruppen zu erwähnen.
Aus den Ausführungen zu der Entwicklung der Pressefreiheit unter Thaksin lassen sich über
weite Teile ähnliche Mechanismen mit denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde ableiten,
wie vor Thaksins Amtsantritt.
Auf der rechtlichen und politischen Seite sind Gesetze, die der Informations-, Meinungs- und
Pressefreiheit dienten, teilweise nicht umgesetzt oder nicht angewendet worden. Der Zugang
165
Pressefreiheit in Thailand
zu öffentlichen Informationen wurde weiterhin nur eingeschränkt gewährt. Die Anzahl der
Beschwerden, die beim Ausschuss zu öffentlichen Informationen eingingen, war im Vergleich
zurzeit vor Thaksin ansteigend.
Bei der Wahl zum nationalen Rundfunkausschuss wurde der starke Einfluss des Militärs, der
staatlichen Behörden und Medienunternehmen auf die Wahl deutlich. Dies führte dazu, dass
das staatliche Monopol im Rundfunk unter Thaksin weiterhin nicht aufgehoben wurde.
Bei den rechtlichen und politischen Faktoren sind aber auch Unterschiede zwischen der Zeit
vor Thaksin und unter Thaksin festzustellen.
Es wurde ein Gesetz zur Einrichtung eines Medienrates entworfen, das weitreichende Möglichkeiten zur Sanktionierung von Medienbetrieben haben sollte. Dieses wurde allerdings aufgrund von Protesten nicht umgesetzt.
Während der Amtszeit von Thaksin wurden die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, die
Pressefreiheit einzuschränken, in größerem Maß ausgenutzt als zuvor. Im Gegensatz zu der
Zeit vor 2001 haben Behörden nicht nur Verwarnungen ausgesprochen. Sie leiteten tatsächlich rechtliche Schritte gegen verschiedene Zeitungen und Rundfunksender ein. Von solchen
Schritten waren auch internationale Medien betroffen.
Unter Thaksins Amtszeit nahm die Anzahl von Verleumdungsklagen gegenüber einzelnen
Journalisten erheblich zu. Durch diese Verleumdungsklagen wurden einzelne Journalisten
eingeschüchtert und vermieden es daraufhin, kritische Berichte zu verfassen.
Thaksin nutzte nahezu alle Radiosender landesweit, um für die Politik seiner Regierung zu
werben. Dadurch belegte er die Sendezeiten der Radiosender und schränkte sie damit in ihrer
Freiheit und Vielfalt ein.
Schließlich gab es nach Thaksins Amtsantritt auch bei den wirtschaftlichen Faktoren Veränderungen. An verschiedenen Medienunternehmen wurden von der Shin Corporation und Personen
aus dem persönlichen Umfeld von Thaksin und anderen Mitgliedern der TRT-Partei Anteile erworben. Dadurch konnten sie teilweise starken Einfluss auf die Gestaltung von Medieninhalten nehmen.
Staatliche Behörden schalteten in Zeitungen, die sich gegenüber der Regierung positiv äußerten, gezielt mehr Anzeigen. Diese Zeitungen erhielten so einen Wettbewerbsvorteil.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pressefreiheit in Thailand vor Thaksins Amtsantritt bereits Einschränkungen unterlag. Unter Thaksin wurden die Mechanismen der Pressefreiheitseinschränkungen allerdings subtiler. Außerdem nahm das Ausmaß der Einschränkungen zu.
Die Verflechtungen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik zeigten sich unter anderem
in der selektiven Zurückhaltung bzw. der Vergabe von Werbeaufträgen an die Medien
durch staatliche und private Unternehmen. Diese Verflechtungen wurden auch an Thaksins Person deutlich. Er war einerseits Premierminister und andererseits Gründer eines der
einflussreichsten Telekommunikations- und Medienkonzerns. Dies stellte eine Verknüpfung von weitreichender politischer Macht und andererseits wirtschaftlicher Macht in einer Person dar.
166
Pressefreiheit in Thailand
Durch diese Machtkonzentration wurden Einschränkungen der Pressefreiheit, ausgehend von einer einzelnen Person, auf allen drei Ebenen, rechtlich, politisch und wirtschaftlich, möglich. Dies
führte dazu, dass von Thaksin ein großes Potential zur Einschränkung der Pressefreiheit ausging.
Ferner bot ihm sein persönliches Netzwerk mit Verbindungen zu Militärs, der Großindustrie
und den Parteien weitere Möglichkeiten die Medien zu kontrollieren.
Die bereits erwähnte Tendenz hin zu einer „stillen politischen Landschaft“ unter Thaksin
zeigte sich in der Entwicklung der Pressefreiheit besonders deutlich. So wie Thaksin gegenüber Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen und Personen feindselig eingestellt war, reagierte
er auch auf kritische Berichterstattung in den Medien empfindlich. Einschränkungen der Pressefreiheit entsprachen Thaksins Ansichten über Demokratie, die er nicht als primäres Ziel seiner Politik sah.
7
Zunahme der Medienkontrolle während der zweiten Amtszeit Thaksins
Die aufgezeigten Tendenzen setzten sich auch nach der ersten Amtszeit Thaksins fort. Er
wurde im Februar 2005 mit einer noch größeren Mehrheit als bei der zurückliegenden Wahl
erneut bestätigt. Seine Regierungskoalition stellte nun über ¾ der Abgeordneten des Parlaments.199 Die Einschränkungen der Pressefreiheit nahmen durch die dargestellten Mechanismen noch weiter zu. So wurde im Juli eine Notstandsverordnung in Kraft gesetzt. Der Premierminister verhängte den „besonderen Notstand“ über die drei Südprovinzen Yala, Narathiwat und Pattani. Begründet wurde dies mit den anhaltenden Unruhen im Süden Thailands. Durch die Notstandsverordnung wurden weitgehende Einschränkungen der Grundrechte ermöglicht. Es wurde unter anderem die Zensur von Medieninhalten durch Behörden ermöglicht, ohne dass sich diese eine richterliche Anordnung einholen mussten.200
Des weiteren war eine weitere Zunahme von Verleumdungsklagen gegen Mitarbeiter von
Medienunternehmen zu beobachten. Diese gingen von staatlichen Behörden, Politikern und
Unternehmen aus. Thaksin persönlich verklagte zwei Fernsehmoderatoren und ein Verlagshaus. Er klagte beispielsweise Ende des Jahres 2005 mehrfach gegen Sondhi Limthongkul.201
Im Fall einer Verurteilung hätten Sondhi Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren und eine
Geldstrafe in Höhe von 50 Mio. US$ gedroht. Auf Anraten des Königs ließ Thaksin jedoch
seine Anklage fallen. Die beträchtliche Höhe der Geldstrafe war kennzeichnend für Verleumdungsklagen während der Regierungszeit Thaksins.202
Es gab auch weitere Übernahmen von Anteilen an Medienunternehmen durch Personen aus
Thaksins Umfeld. So kaufte Paiboon Damrongchaitham, ein persönlicher Freund Thaksins
und Inhaber des thailändischen Unterhaltungs- und Musikunternehmens GMM Grammy, Ak199
200
201
202
Bünte, 2005, 8.
Amnesty International Deutschland, Jahresbericht 2006.
Sondhi Limthongkul ist ein ehemaliger Freund und politischer Verbündeter Thaksins. Nachdem ihm die
Regierung eine Lizenz für den Betrieb eines Fernsehsenders nicht zugesprochen hatte, kritisierte er Thaksin
öffentlich in Fernsehsendungen und veranstaltete Protestveranstaltungen gegen Thaksins Regierung. Bünte,
2006a, 44f.
ARTICLE 19/Forum Asia, 2005, 87f.
167
Pressefreiheit in Thailand
tienanteile von zwei großen Medienunternehmen, Matichon Publishing und Post Publishing.
Diese Unternehmen publizieren die Zeitungen Matichon und Bangkok Post, denen bisher allgemein eine kritische Berichterstattung zugesprochen wird.203 Aufgrund massiver Proteste
von Medienreform- und Demokratisierungsaktivisten, die eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung und politische Einmischung in die Berichterstattung der beiden Zeitungen befürchteten, ließ Paiboon seine Übernahmepläne an Matichon Publishing fallen. Was seine Absichten gegenüber dem Unternehmen Post Publishing angeht, besteht Unklarheit.204
Auch eine weitere Wahl zum nationalen Rundfunkausschuss in 2005 wurde vom Verwaltungsgericht, wegen enger Beziehungen zwischen Personen des Wahlausschusses und den
von ihnen vorgeschlagenen Kandidaten, für ungültig erklärt.205 Bis heute kam es zu keinem
Abschluss der Wahl.206
Damit bleibt die Situation der Gemeinderadios nach wie vor schwierig. In Thaksins zweiter
Amtszeit gab es weitere Schließungen von Gemeinderadios. Als offizieller Grund wurde in
allen Fällen die Nichteinhaltung technischer Normen genannt.207
Eine positive Entwicklung gab es bezüglich des Fernsehsenders iTV. iTV hatte nach einem
Schiedsgerichtsurteil den Anteil an Unterhaltungsprogramm angehoben und weniger Lizenzgebühren gezahlt. Im Juni 2006 erklärte jedoch das oberste Verwaltungsgericht das Urteil
des Schiedsgerichts für ungültig. Es entschied, dass das Verhältnis von Unterhaltungsprogramm
zu Nachrichten auf 30:70 zurückgesetzt werden muss und die zu wenig bezahlten Lizenzgebühren an das Büro des Premierministers zurückgezahlt werden müssen. Durch den Verkauf der
Mehrheitsanteile der Shinawatra-Familie am Unternehmen Shin Corporation an die Themasek
Investitionsgesellschaft aus Singapur im Jahr 2006 wird iTV nun von dieser kontrolliert.208
Auch im Fall Supinya, die wegen Verleumdung verklagt worden war, gab es für die betroffenen
Personen einen positiven Ausgang. Am 15.03.2006 wurden Supinya und die drei Geschäftsführer der Thai Post vom Strafgericht freigesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen
an, dass der Artikel auf journalistischen Recherchen basierte und das Ansehen von Shin Corporation nicht geschädigt hätte.209 Im Mai 2006 wurde auf eine Aufforderung von Shin Corporation auch das Verfahren vor dem Zivilgericht eingestellt.210
Auch wenn sich die zuletzt genannten Fälle zum Positiven wendeten, spitzte sich die Lage der
Pressefreiheit während Thaksins zweiter Amtszeit, wie oben aufgezeigt, deutlich zu.
203
204
205
206
207
208
209
210
168
Südostasien aktuell, 6/2005, S.69f.
ARTICLE 19/Forum Asia, 2005, 92.
“Mongkol Bangprapa: Activist Faults National Broadcasting Commission Shortlist”, in: Bangkok Post,
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Ismail Wolff: “Court acquits Supinya, 'Thai Post'”, in: International Herald Tribune, 15.03.2006.
Pressefreiheit in Thailand
8
Ausblick
Trotz der Unterdrückung von Tätigkeiten kritischer Aktivisten und Einschüchterungsversuchen
auf Kritiker aus der intellektuellen Elite Thailands durch Thaksins Regierung, konnte deren
Teilnahme am politischen Diskurs nicht gänzlich unterbunden werden. Mit der im Herbst 2005
entstandenen Protestbewegung zeichneten sich die ersten Anzeichen für eine Abnahme der Stabilität der Regierung Thaksins ab.211 Durch einen Rat für Verwaltungsreformen übernahmen die
Militärs am 19.09.2006 die Macht. Sie lösten das Parlament auf und setzten die Verfassung und
das Verfassungsgericht außer Kraft. Die Junta, die sich aus königstreuen Militärs zusammensetzte, begründete ihr Vorgehen mit der Korruption der Regierung Thaksin, und dass die anhaltende innenpolitische Krise zuletzt drohte in Gewalt auszuarten.212 Während das Ausland zu
einem großen Teil die Entscheidung für einen Putsch als letzten Ausweg aus der politischen
Krise kritisierte, wurde der Putsch in Thailand mehrheitlich begrüßt. Nur wenige Intellektuelle
äußerten sich kritisch über den Putsch. Damit es vor allem von Seiten der Thaksin Anhänger zu
keinen Protesten kommen konnte, wurde ein Versammlungsverbot und Pressezensur verhängt.213
Es bleibt offen, wohin der Eingriff des Militärs in die Politik führen wird. Der derzeitige Übergangspremier General Surayud Chulanont ist ein ehemaliger Oberbefehlshaber des Militärs und
Mitglied des Kronrats. Er gilt als königstreu und genießt das Vertrauen des Königs und des Militärs. Außerdem können die Militärs erheblichen Einfluss auf den Ausarbeitungsprozess der
neuen Verfassung nehmen, da sie einen großen Teil der Experten, die die Verfassung ausarbeiten sollen, selbst auswählen.214 Das ernannte Parlament setzt sich aus verschiedenen Gruppen
zusammen. Bemerkenswert ist, dass eine der größten Gruppen Militärs darstellen.215 Die Ernennung eines Generals zum Premierminister, der Einfluss des Militärs auf den Verfassungsentwurf und die Ernennung einer Reihe von Militärs zu Parlamentsmitgliedern, führt zu
der Annahme, dass die Putschisten versuchen den Entstehungsprozess der Verfassung und die
politische Entwicklung der nächsten Monate zu kontrollieren.
Ein solcher Einfluss des Militärs auf die Politik würde sich letztlich auch auf die Entwicklung der
Pressefreiheit auswirken. Denn diese hängt im starken Maße von der weiteren politischen Entwicklung des Landes ab. Da das Militär auch bisher versuchte, Einfluss auf die Medien zu nehmen, was sich beispielsweise in seinem Einfluss auf die Wahl des nationalen Rundfunkausschusses zeigte, ist davon auszugehen, dass sie auch in Zukunft dazu neigen werden. Eine wesentliche
Steigerung der Qualität der Pressefreiheit ist unter diesen Vorzeichen nicht zu erwarten.
211
212
213
214
215
Bünte, 2006a, 45.
The Nation, 21.09.2006.
Bünte, 2006b, 37.
ebd., 43ff.
The Nation, 14.10.2006. Supalak Ganjanakhundee, Assembly will not play a major role.
169
Pressefreiheit in Thailand
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171
Abstract
Im Sommer 2005 begann mit der Arbeit des Internationalen Gerichtshofes (ECCC) nach
langjähriger Vorbereitungszeit die Arbeit des Rote-Khmer-Tribunals in Kambodscha. Die
erste Anklage an einen ehemaligen Rote-Khmer-Karder wurde im Sommer 2007 erhoben. Die
nun mehrere Jahre andauernden Prozesse sollen die breite Öffentlichkeit erreichen und werden deshalb im Rundfunk ausgestrahlt sowie von der Tagespresse begleitet. Der Beitrag geht
der Frage nach, inwiefern ein mit erheblichen Defiziten belegtes Mediensystem dieser Aufgabe gerecht werden kann.
Gerade das kambodschanische Fernsehen als reichweitenstarkes und gleichzeitig breit akzeptiertes Medium wäre gut geeignet, (a) breite Bevölkerungsteile zu erreichen, (b) über die Arbeit
des Tribunals zu informieren und (c) die Zeit des Rote-Khmer-Regimes aufzuarbeiten. Der Beitrag wird jedoch zeigen, dass das Fernsehen dieser Aufgaben nicht gerecht werden kann. Zu
sehr ist dieses von Regierungsseite bestimmt und auch die Bevölkerung misst dem Tribunal
nicht die Bedeutung zu, wie es sich die Internationale Gemeinschaft derzeit noch wünscht.
Autor
Martin Ritter studierte an der TU-Ilmenau „Angewandte Medienwissenschaft“ und arbeitete im
Anschluss als Bürgerrundfunkreferent bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). Das Projekt „Medien und Demokratisierung in Kambodscha“ der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft e.V. (TKG) ermöglichte mehrere Forschungsaufenthalte in Phnom Penh. Die gleichnamige Dissertationsarbeit erscheint im Frühjahr 2008. Von 2006-2008 war der Autor am Seminar
für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Forschungsschwerpunkt bildeten die Mediensysteme Asiens. Seit 2008 arbeitet
Martin Ritter als Referent für Bürgerrundfunk, Lokalrundfunk und Medienwirtschaft bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM).
172
Das Fernsehen der Kambodschaner
Garant für ein erfolgreiches Khmer-Rouge-Tribunal?
Martin Ritter
1
Einleitung
Wer im Sommer 2007 auf die Plakatierung in den Straßen und Gassen Phnom Penhs geachtet
hat, dem wird gelegentlich die Plakatkampagne des Internationalen Gerichtshofes (ECCC)
aufgefallen sein.1 Diese besteht aus fünf Plakaten, abwechselnd in Khmer und Englisch. Das
erste Plakat dient zum Einstieg und zeigt fiktiv eine der künftigen Gerichtsverhandlungen des
kommenden Khmer-Rouge-Tribunals. Auf diesem Poster sind die fünf Richter zu erkennen,
die Anklage, die Verteidigung, der Angeklagte sowie ein Zeuge. Dieser Teil der Darstellung
beansprucht die linke Hälfte des Bildes. Im rechten Bildabschnitt wird die Öffentlichkeit gezeigt. Zu sehen sind 23 Zuschauer, drei Reporter und ein Kameramann. Die weiteren vier
Plakate bauen auf das Eingangsplakat auf und konkretisieren dieses gleichzeitig. Das zweite
Plakat „Every decision must have the support of both Cambodian an International Judges“
verdeutlicht die Zusammensetzung der Richterschaft, bestehend aus drei kambodschanischen
und zwei Richtern der internationalen Gemeinschaft. Hauptsächlich wird deutlich, dass nicht
eine Seite ohne die Zustimmung der anderen ein Urteil fällen kann. Plakat Nummer drei „Only the senior Khmer rouge leaders and those most responsible for committing serious crimes
will be tried“ greift ein umstrittenes Thema auf – die Frage, welche ehemaligen Khmer-RougeKarder zur Anklage stehen. Demnach haben Mitläufer,
Karder zur Anklage stehen.
ehemalige Soldaten und Kindersoldaten sowie die
mittlere Offiziersgarde keine Anklage zu erwarten.
Das vorletzte Plakat „It´s time for the record to be set
straight“ zeigt Jugendliche, die im Fernsehen das Tribunal verfolgen und die Probleme bei der geschichtlichen Einordnung haben. Das letzte Plakat „Everyone
can be involved in the process“ verdeutlicht, dass der
Verlauf des Tribunals sowohl vor Ort als auch in der
Presse, im Hörfunk und im Fernsehen verfolgt werden
kann. Die beiden letzten Plakate sind hier abgebildet.
Abbildung 1: Plakat Nummer 4: It´s time for the
record to be set straight
1
Die Plakatkampagne ist von zwei Perspektiven aus
gesehen interessant. Erstens verdeutlicht sie die innergesellschaftlichen Defizite sowie die Bedenken und
Ängste die die Bevölkerung mit dem Tribunal verbindet und zweitens thematisiert sie die Bedeutung, die
den Massenmedien während des Tribunals zukommt.
abrufbar unter http://www.eccc.gov.kh/english/publications.aspx, 18.05.2007
173
Das Fernsehen der Kambodschaner
Derzeit hat das Tribunal mit Akzeptanzproblemen in
der Bevölkerung zu kämpfen. Dieses wird nicht
zwangsläufig – wie erhofft – als Chance gesehen, das
gestörte Gesellschaftsgefüge zumindest ansatzweise
zurechtzurücken. Vielmehr stößt es auf Ablehnung bei
einem Großteil der Bevölkerung, die die KhmerRouge-Zeit miterlebten. Diese befürchten, dass alte
Wunden erneut aufgerissen werden und die momentan
anhaltende Ruhe gefährdet wird. Außerdem wird nicht
überall darauf vertraut, dass letztendlich nicht doch
noch weitere Gerichtsprozesse gegenüber der mittleren
und unteren Khmer-Rouge-Hierarchie folgen. Die heutige Jugend lehnt ebenfalls zu einem beachtlichen Anteil das Tribunal ab. Diese ist aufgrund der bisherigen
gesellschaftlichen Tabuisierung uninformiert und sieht
nicht die Notwendigkeit die Vergangenheit zu reflektieren. Vielmehr macht es in ihren Augen Sinn, die Abbildung 2: Plakat Nummer 5: Everyone can
be involved in the process
Zukunft Kambodschas zu thematisieren. Ein Großteil
der politischen und ökonomischen Eliten zeigt sich ebenfalls nicht begeistert. Erstens ist ihre
Verflechtung in das Khmer-Rouge-Regime hinlänglich bekannt und die Angst vor einem Gesichtsverlust auch ohne Anklage groß. Zweitens sehen sie ihre Machtposition gefährdet und
drittens gilt Kambodscha derzeit international als einigermaßen verlässlicher Partner, ein
Image, welches bewahrt werden soll. Es besteht die Gefahr, dass Kambodscha letztendlich
erneut über seinen Völkermord identifiziert wird, ohne das die Rolle Chinas und die der USA
während der Khmer-Rouge-Zeit Beachtung findet.2
Relevant für diesen Beitrag ist letztendlich die Tatsache, dass 2007-2008 nach mehrjähriger
Vorbereitung ein Tribunal stattfindet, welches in Kombination mit den gleichzeitig anstehenden Nationalwahlen das Potential besitzt – so die Hoffnung – Anstoß für einen weiteren Transformationsschritt hin zu einer rechtstaatlichen Demokratie zu sein. Die Plakatkampagne deutet
es bereits an, dass den Massenmedien im Vorfeld, wie auch während des Tribunals zwei Funktionen zukommen. Erstens gilt es den Tribunalverlauf, aber auch die Vorbereitungen zu dokumentieren (Informationsfunktion), zweitens soll beispielsweise der Jugend die Auswirkungen
des Khmer-Rouge-Regimes, wie auch die Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung verdeutlicht werden (Sozialisations- bzw. Bildungsfunktion). Aus diesem Anspruch heraus ergibt
sich folgende Problemstellung: Sind die derzeitigen Strukturen des Mediensystems geeignet,
die Erwartungshaltung die den Medien gegenübergebracht wird, zu erfüllen? Das Hauptaugenmerk soll hierbei auf dem Fernsehen liegen, da dieses (a) die höchste Flächen- und Perso2
174
Fawthrop/Jarvis, 2004; Fleschenberg, 2006
Das Fernsehen der Kambodschaner
nenreichweite besitzt und (b) gesellschaftlich breit akzeptiert ist. Konkret lautet die Fragestellung: Sind die gegenwärtigen endogenen und exogenen Strukturen des Systems Fernsehen dazu
geeignet, die dem Fernsehen zugewiesenen Funktionen: Information, Sozialisation und Bildung
im Bezug auf das Tribunal zu erfüllen? Sollte sich dies nicht bestätigen, folgt daraus die zweite
Frage: Welche Veränderungen sind notwendig und kurzfristig realisierbar? Das weitere Vorgehen gestaltet sich folgendermaßen: Zunächst wird dieser Beitrag theoretisch verortet, wobei
parallel der politische und ökonomische Transformationsprozess Kambodschas seit den Pariser
Friedenverträgen 1991 kurz charakterisiert wird. Danach folgt eine skizzenhafte Darstellung
des Mediensystems. Abschließend gilt es, das System Fernsehen adäquat zu analysieren und
auf die Fragestellung einzugehen.
Die Quellenlage zu Kambodschas Medien ist noch unzureichend. Da die diesem Beitrag zugrunde
liegenden Daten einer Vielzahl von Quellen entstammen, ist ein detailliertes Aufführen in diesem
Rahmen schwierig. Deshalb beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, alle Informationen auf die
Publikation „Medien und Demokratisierung in Kambodscha“.3 Die für diese Länderübersicht verwendeten elektronisch publizierten Studien wurden auf der Internetseite der Thüringisch-Kambodschanischen-Gesellschaft zusammengetragen: http://www.tkgev.org/projekte_media.html.
2
Theoretische Einordnung
Der kambodschanische Transformationsprozess lässt sich im Forschungsfeld der politischen Systemtransformation verorten. Mit dem UN-Friedenseinsatz wurde schnell deutlich, dass als Ziel
nicht nur die Friedenskonsolidierung oberste Priorität besaß, sondern gleichzeitig eine parallel
stattfindende Transformation in Richtung marktwirtschaftlicher Demokratie angestrebt wurde.4
Hierbei durchlief Kambodscha die drei Transformationsphasen: Liberalisierung, Demokratisierung und Konsolidierung.5 Die Phase der Liberalisierung wurde hauptsächlich durch die Pariser
Friedensverträge und die UN-Friedensmission geprägt. Mit den ersten freien Wahlen und der ersten demokratischen Verfassung im Jahr 1993 war dem theoretischem Verständnis nach auch die
Demokratisierungsphase abgeschlossen. Seither hat Kambodscha Konsolidierungsprobleme zu
bewältigen. Diese sind hervorgerufen durch verschiedene Verflechtungen untereinander, bestehend aus: (a) Armutsphänomenen (häusliche Gewalt, Kinderarbeit/Kinderhandel, HIV/AIDS,
Umweltschäden, Analphabetentum, Landminen und Korruption),6 (b) traditionellen Kulturmustern (Patronage, Gewalt, Macht, politisch-religiöse Ideologie des Theravada-Buddhismus),7 (c)
ökonomischer Schwäche bedingt durch endogene und exogene Faktoren (Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit, Asienfinanzkrise, SARS, Vogelgrippe) 8 aber auch (d) einem sich im Machtgerangel erschöpfenden politischen Systems und (e) einem Gesellschaftsgefüge, welches sich u.a.
3
4
5
6
7
8
Ritter, 2008
Curtis, 1998
Transformationsphasen nach Merkel, 1999
Prescott, 1997
Weiß, 2005
Sok, 2006; Ostasiatischer Verein, 1986-2006
175
Das Fernsehen der Kambodschaner
durch ein breites Stadt-Land-Gefälle auszeichnet.9 Der Politologe Karbaum identifiziert Kambodscha als defekte Demokratie illiberal-delegativen-Typs, mit freien Wahlen, politischen Freiheitsrechten sowie einer effektiven Herrschaftsgewalt, jedoch auch Mängeln hinsichtlich der bürgerlichen Freiheitsrechte und einer effektiven Gewaltenkontrolle.10 Doch lassen sich gerade in den
letzten Jahren einige Fortschritte verzeichnen. Aus ökonomischer Sicht zählt das Jahr 2005 zu den
erfolgreichsten seit Transformationsbeginn. Mit 13,4% Wirtschaftswachstum wurde der bereits
des Öfteren zuvor verkündete Aufschwung eingeleitet. Die Sektoren Tourismus, Textilindustrie
und Landwirtschaft sind die ökonomischen Wachstumskerne. Es sieht nicht danach aus, dass sich
dies in den kommenden Jahren ändern sollte. Die entdeckten Öl- und Gasvorkommen vor Kambodschas Küste geben eine zusätzliche Garantie.11 Auch gehört politische Stagnation, nachdem
die FUNCINPEC-Partei in der Bedeutungslosigkeit versank, der Vergangenheit an.12 Jedoch zeigt
die Kommunalwahl 2007,13 dass Premierminister Hun Sen seine Machtstellung zwar unterstreichen konnte, jedoch neben der einzigen bisherigen Opposition (NGO-Szene) nun auch wieder
eine gestärkte politische Opposition besteht. Hun Sen kann zwar stabil regieren und seine Politik des
„Strategischen Vierecks“14 umsetzen, muss sich aber zukünftig mit einer Opposition auseinandersetzen, die nicht nur auf den eigenen Machterhalt setzt. Auf gesellschaftlicher Ebene stellt – wie
bereits angedeutet – das Tribunal eine große Chance dar, die Risse in der Gesellschaft weiter zu kitten.
Letztendlich kann konstatiert werden, dass wenn man den idealtypischen Ansätzen und Theorien
der Transformationsforschung folgt, Kambodschas Weg in Richtung Demokratie sich grundsätzlich
mit den vorhandenen Theorien erklären lässt. Vorausgesetzt, man berücksichtigt, dass ein Transformationsprozess auch Rückschläge in Form von Stagnation und Stillstand erleiden kann und somit der Prozess in längeren Zeiträumen, als die in der Literatur angegeben 15 Jahre, gedacht werden
muss. Gerade die Transformationsprozesse in Ost- und Südostasien zeigen, dass Geduld, die Strategie „Economy first“15 sowie eine internationale und regionale Einbindung zum Erfolg führen kann.
Die Medien- und Kommunikationswissenschaft ist ebenfalls daran interessiert, ihren Beitrag an
der Erklärung von Transformationsprozessen zu leisten. Insbesondere geht es darum, die Frage
zu beantworten, welche Rolle Massenmedien im Transformationsprozess spielen: (a) vorantreiben, (b) blockieren, (c) vorantreiben und blockieren. „Es liegt auf der Hand, dass in diesen
Wandlungsprozessen Medien eine zentrale Rolle spielen, sie transformieren sich selbst, werden
vielfältiger und kommerzieller, agieren aber auch selbst als Modernisierer oder Bremser“ 16 In
den letzten Jahren hat diesbezüglich auch die Forschung im asiatischem Raum deutlich zuge-
9
10
11
12
13
14
15
16
176
Sok, 2006
Karbaum, 2004
Weggel, 2006
Südostasien aktuell, 3/2006, 2/2007
http://cambodiamirror.wordpress.com/2007-4-22-after-the-commune-council-elections;
http://www.necelect.org.kh/Khmer/ElecResult.htm, 18.05.2007
„Strategisches Viereck“ beinhaltet „…einen ausgewogenen Kurs zwischen den vier Ecken des wirtschaftlichen Wachstums, der Beschäftigung, der Ausgewogenheit und der Effizienz zu steuern…“, Südostasien aktuell, 3/2005, 35
Merkel, 2005
Kleinsteuber, 2003, 394; siehe auch Pfetsch/Esser, 2003, 10 f.
Das Fernsehen der Kambodschaner
nommen.17 Prinzipiell muss aber festgehalten werden, dass staaten- und kulturübergreifende
Forschung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft kein Neuland ist. Sowohl die Forschungsfelder der internationalen, transnationalen, interkulturellen, transkulturellen Kommunikation wie auch die der Entwicklungskommunikation beschäftigen sich hiermit.18 Jedoch tangiert die diesen Beitrag betreffende Fragestellung die klassischen Bereiche der inter-/transnationalen und inter-/transkulturellen Kommunikation nur am Rande. Diese beschäftigen sich entweder (a) mit massenmedial vermittelter Kommunikation zwischen mindestens zwei Staaten
(Kommunikationsflussforschung), oder (b) mit der Kulturspezifik von Kommunikation oder
auch (c) mit dem Globalisierungsprozess von Medienkommunikation im Kontext zu staatenund kulturübergreifenden Wandlungsprozessen. Relevant für die hier genannte Fragestellung ist
das weite Feld der Entwicklungskommunikation, wo es darum geht, Wandlungsprozesse im
Mediensystem im Zusammenhang mit Gesellschaftstransformationen zu sehen. Ziel ist es jedoch nicht, Kambodschas Fernsehlandschaft im Zusammenhang mit Imperialismus-, Modernisierungs- bzw. Dependenztheorien zu analysieren und auf deren Erklärungsgehalt abzuklopfen,19 sondern vielmehr ist es mein Anliegen zu hinterfragen, ob es sich bei den Fernsehinhalten
um jene handelt, die entweder dem Feld der (a) modernen Propaganda, oder (b) der Entwicklungskommunikation, oder (c) der Unterstützungskommunikation zuzuordnen sind. Oder ob es
(d) sich letztendlich gar um Inhalte handelt, die gezielt die Demokratisierung im Sinne einer
normativen Funktionszuweisung vorantreiben. Letztendlich kann durch diese Vorgehensweise
festgestellt werden, wie weit das System Fernsehen davon entfernt ist, die Erwartungen, die in
das Fernsehen im Rahmen des Tribunals gesteckt werden, zu erfüllen.
Konkret frage ich mich, ist das Fernsehprogramm (1) der modernen Propaganda zuzurechnen,
wo beispielsweise Nachrichteninhalte (a) überzeugen, (b) gezielt in einen außermedialen Kontext gestellt, (c) ein ideologisches, aber gleichzeitig reduziertes Weltbild vermitteln und (d) mit
Sanktionen in Verbindung gebracht werden sollen.20 Oder handelt es sich (2) um klassischen
Entwicklungsjournalismus der auf das Bewusstsein und Verhalten der Rezipienten abzielt, um
so sozialen Wandel zu steuern. In der Literatur lässt sich kein einheitliches Konzept von Entwicklungsjournalismus finden, sondern es stehen verschiedene Ansätze nebeneinander, die zumeist einem normativen Vorbild folgen.21 „Einige sehen gemäß modernisierungstheoretischer
Vorstellungen Journalisten als Erzieher der Bevölkerung zu modernen Individuen, andere sehen
demgegenüber im Entwicklungsjournalismus gerade den Gegenentwurf zum westlich geprägten
Journalismus in den Entwicklungsländern, der entsprechend dem Dependencia-Konzept als Brückenkopf für die Industrieländer dient und system- und herrschaftsstabilisierende Funktion
17
18
19
20
21
u.a. AMIC, 2000; Sparks, 2001; McCargo, 2003; Romano, 2005
Die Begriffe werden nicht durchgängig einheitlich verwendet, so dass es zu Verschiebungen hinsichtlich der
Begriffsverwendung kommt. Beispiele hierfür: Maletzke, 1996, Meckel/Kriener, 1996; Halff, 2000; Hafez, 2002;
Wilke, 2002; Löffelholz/Hepp, 2002; McDowell, 2003; Meckel/Kamps, 2003; Hepp, 2006
zu den großen Entwicklungstheorien und deren Verbindung zur Medien- und Kommunikationswissenschaft
u.a. Rullmann, 1996; Krotz, 2005; Kunczik/Zipfel, 2005
zum Propagandabegriff, wie er derzeit Verwendung findet u.a. Arnold, 2003
Kunczik, 1985, 1988, 1992; Saxer/Grossenbacher, 1987; Grossenbacher, 1988
177
Das Fernsehen der Kambodschaner
hat…Andere sehen Entwicklungsjournalismus als Staats- und/oder Parteiinstrument, das z.B.
durch stärkere Betonung von „good news“ (im Gegensatz zum westlichen Grundsatz „Only bad
news are good news.“) ein von den jeweiligen Herrschaftsträgern vorgegebenes Wohl des Landes
zu stützen hat.“ 22 Im Unterschied zu diesem breiten Ansatz können die Medieninhalte (3) statt
auf den Entwicklungsprozess im Ganzen, auf spezielle Lösungen abzielen. Hierzu muss Medienkommunikation allerdings als Plattform verstanden werden, die horizontal die Gesellschaftsmitglieder vernetzt und so die verschiedenen Interessen der unterschiedlichen Gruppen
berücksichtigt. Staatliche Institutionen sind bei dieser Form der Kommunikation ein möglicher
Informant unter vielen.23 Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Khmer-Rouge-Tribunal
ist es plausibel anzunehmen, dass die Reichweite der bisherigen drei Konzepte nicht ausreicht.
Vielmehr werden (4) zusätzliche Funktionen von den Massenmedien erwartet. Zeigt sich das
kambodschanische Fernsehen bereits soweit gefestigt, dass (a) die Inhalte, den im Tribunal zu
erwartenden Meinungspluralismus bereits jetzt schon abbilden, (b) die damit zusammenhängenden pluralistischen Interessen berücksichtigt werden, (c) der Bevölkerung die neue Ordnung
ansatzweise erklärt wird und (d) um Vertrauen geworben wird, um auch zukünftig Ansprechpartner zu bleiben, auch wenn unpopuläre, schmerzhafte Entscheidungen anstehen.
Alle vier Konzepte (1)-(4) repräsentieren verschiedene Qualitäten von Journalismus, wobei davon
ausgegangen wird, dass eine Fernsehlandschaft – die sich eher unter dem vierten Punkt wiederfindet – in der Lage ist, das Tribunal am gesellschaftsverantwortlichsten zu transportieren.
Wie sieht eine Operationalisierung aus, die eine Einordnung von (1)-(4) erlaubt? Erstens gilt es
zu klären, ob es sich um eine autoritäre Top-down Kommunikation handelt, oder ob der Austausch von Argumenten – am Kommunikationsprozess – horizontal Beteiligter im Vordergrund
steht. Ersteres deutet in Richtung (1)-(2), letzteres in Richtung (3)-(4). Geht es beispielsweise
um die Akzeptanz nationaler oder gar internationaler Ideen, oder um das wechselseitige Verständnis von sogar lokalen Meinungen? Letztendlich werden die Nachrichteninhalte nach folgenden Merkmalen hin analysiert: Zeit, Nähe, Status, Dynamik, Valenz und Identifikation. Zur
besseren Veranschaulichung soll nun anhand des Merkmals „Status“ die Analysemethode verdeutlicht werden.24
22
23
24
178
Teves, 2000, 41; http://www.cameco.org/mez/pdf/27Teves.pdf, 19.05.2007
Melkote/Steeves, 2001; Rogers/Singhal, 2003
eine ausführliche Darstellung der Analyse siehe Ritter, 2008
Das Fernsehen der Kambodschaner
Abbildung 3: Merkmalsausprägung des Nachrichtenwertfaktors „Status“
Merkmal „Status“ (politisch-ökonomische Bedeutung von Ereignisregionen und Personen)
Erhebungsmethode
-
Inhaltsanalyse
Ausprägungen
-
0 = die Medien berichten einseitig; die nationale Politik der prominenten Regierungspolitiker wird dargestellt; regionale/lokale Verhältnisse werden ausgeblendet; große Teile der Bevölkerung finden somit
keine Repräsentanz
-
1 = die Medien berichten tendenziell einseitig; die nationale/regionale Politik der Regierungspolitiker
wird dargestellt; die Politiker des Koalitionspartners werden marginal erwähnt; regionale/lokale Verhältnisse werden weitgehend ausgeblendet bzw. in Zusammenhang mit der nationalen Entwicklungspolitik der Regierung gestellt; die vorrangig lokale (in Bezug auf das Ländliche) Bevölkerung finden
somit keine Repräsentanz
-
2 = die Medien berichten pluralistisch über Ereignisregionen und politische Personen; lokale Verhältnisse werden überrepräsentiert; lokale Bevölkerungsteile werden deutlich repräsentiert
-
3 = es findet eine ausgewogene Berichterstattung über Ereignisregionen und politischen Personen statt;
im Gegensatz zur vorherigen Ausprägung überwiegt nicht der partizipiale Gedanke, sondern die Relevanz der Ereignisregion und der Person (kommerzielle Nachrichtenwertorientierung); es findet eine
auch kritische Auseinandersetzung mit Ereignisregionen und Personen statt
Abschließend sei – nach der im Ansatz verdeutlichten Operationalisierung – nochmals erwähnt,
dass es im Umfang dieses Beitrages nicht möglich ist, die Fragestellung in dem komplexen Interaktionsgefüge zu analysieren, wie es die multiperspektivischen Ansätze der Entwicklungskommunikation vorsehen. Demgegenüber ist es lediglich das Ziel, derzeitig bestehende Defizite
der Fernsehlandschaft mit Blick auf die Aufgabenbewältigung hinsichtlich des Tribunals aufzuzeigen und zu fragen, ob diese für die Bevölkerung als auch solche empfunden werden. Erst in
Kombination aus Medieninhalt und der Erwartungshaltung der Rezipienten kann entschieden
werden, wie eine adäquate Vermittlung der Khmer-Rouge-Tribunal-Problematik im Fernsehen
auszusehen hat.
3
Kambodschas Mediensystem – Typisch Entwicklungsland?
Mehrere Mediensystemklassifikationen versuchen die Situation in Entwicklungsländern zu berücksichtigen.25 Ronneberger rückt die Mediensysteme der Entwicklungsländer in unmittelbare Nähe zu
den kommunistischen Systemen des Ostblocks.26 Diese Nähe argumentiert Ronneberger mit zwei
Sachverhalten. Erstens ist die Medienlandschaft staatlich zentralistisch gelenkt und zweitens dient
diese der Durchsetzung der dazugehörigen Politik. Alles in allem fällt Ronnebergers Kritik aber
milder aus, als die der kommunistischen Mediensysteme, da Medien auf das gemeinsame nationale
Ziel der sozioökonomischen Entwicklung ausgerichtet sind und nicht vorrangig einer Ideologie
folgen. Altschull argumentiert strikter als Ronneberger, da er die Pressefreiheit der Notwendigkeit
25
26
die bisherigen Mediensystemklassifikation werden aufgrund ihrer Vereinfachung deutlich kritisiert, u.a. von
Hepp, 2006
Ronneberger, 1978; differenziert nach (a) dem westlich-liberalen Modell, (b) dem monolithisch verfassten
Mediensystem des Ostblocks und (c) dem Kommunikationsmodell in Entwicklungsländern
179
Das Fernsehen der Kambodschaner
der Landesentwicklung unterordnet.27 Seine Aussage spitzt Altschull mehrmals dahingehend zu,
indem er mehrmals betont, dass in allen Staaten die Pressefreiheit verherrlicht würde. Als Beispiel
führt er an, die Pressefreiheit sei alleinig bereits dadurch eingeschränkt, weil in keinem Land der
Erde zu gewalttätigen Regierungsumstürzen aufgerufen werden darf. Dies stelle bereits eine Begrenzung der Presse- und Meinungsfreiheit dar. Für Kleinsteuber ist eine Dritte Welt, in der die
Landesentwicklung höher als die Pressefreiheit gewertet wird, nicht denkbar.28 Er verweist vielmehr
darauf, dass die eine Dritte Welt nicht existiert und Entwicklungsländer untereinander zu heterogen
sind. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist es nach Kleinsteuber lediglich plausibel, zwei Punkte
festzuhalten. Erstens sind Medientechnologien und der damit verbundene Zugang zu Inhalten sehr
ungleich verteilt und zweitens beeinflussen die Industrienationen deutlichen die Medienmärkte.
Das kambodschanische Mediensystem ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Klassifikationen zu
kurz greifen. Zwar existiert auch in Kambodscha eine Beschränkung der Pressefreiheit und die
sich im Aufbau befindende Kommunikationsinfrastruktur teilt die Bevölkerung, aber beeinflussen
die Industrienationen den Medienmarkt nicht so nachdrücklich wie von Kleinsteuber allgemein
angenommen. Alle Klassifikationen greifen genau betrachtet einzelne Phänomene von Medienlandschaften in Entwicklungsländern auf, können jedoch die Problematik in ihrer Gesamtheit
modellhaft nicht erfassen. Da sie im Zusammenhang mit Mediensystem-Klassifikationen entstanden, kann ein derartiger Anspruch auch nicht erhoben werden.
Kambodschas Mediensystem wird bestimmt durch ein Grundverständnis, wo Medienprodukte (1)
direkt Ergebnisse eines auf Gewinn ausgerichteten Prozesses sind, aber auch (2) in ein Patronagesystem eingebunden sind und indirekt zu dessen Stabilisierung beitragen. Beide Orientierungen
verursachen spezifische Ausprägungen. Dass (1) Medienprodukte Wirtschaftsgüter sind, verdeutlicht die große Anzahl von konkurrierenden unterhaltungsorientierten Medienerzeugnissen und
zeigt sich ebenfalls dadurch, dass diese nur dort Verbreitung finden, wo ein zahlungskräftiger
Rezipientenmarkt existiert. Aufgrund der Konkurrenzsituation ist die Finanzsituation der Medienunternehmen fühlbar angespannt. Der Markt für Wirtschaftsgüter und der damit korrelierende
Werbemarkt ist zu klein, um die Medienvielfalt privatwirtschaftlich finanzieren zu können. Entsprechend herrscht ein ruppiger Preiskampf um die Werbekunden. Gleichzeitig versuchen die
Medienunternehmen ihre Reichweite zu erhöhen, jedoch steigen die Kaufkraft und die Medienkompetenz der Bevölkerung nicht im gleichen Umfang. Nur dort wo die Situation zu offensichtlich hoffnungslos erscheint, wird auf eine zu schnelle Expansion verzichtet (Verbreitung der
Presse und des Internets im ländlichen Raum). Die existenzbedrohende Lage geht auch mit einer schlechten journalistischen Qualität einher, da der Ausbildungsmarkt ebenfalls nicht schnell
genug wächst. Die weitestgehende Einbindung in ein (2) Patronagesystem konnte bisher Konzentrationsprozesse verhindern. Medienerzeugnisse werden hierbei als preisgünstiges Instrument der Machterhaltung gesehen. Ein sich Zusammenschließen von Medienunternehmen ist
27
180
Altschull, 1990; differenziert nach (a) marxistischen- und (b) kapitalistischen Pressemodellen sowie nach (c)
Mediensystemen in Entwicklungsländern
Das Fernsehen der Kambodschaner
sogar innerhalb eines Patronagelagers undenkbar. Hierfür ist das Gesellschaftsgefüge durch 30
Jahre Krieg/Bürgerkrieg und ständig wechselnde Koalitionen zu sehr gespalten. Ein gegenseitiges Vertrauen – als Basis von Zusammenschlüssen – besteht nicht. Die Macht der einzelnen
Patronagesysteme ist ungleichmäßig verteilt, was dazu führt, dass die dominierende Regierungspartei Cambodian People Party (CPP) über den Spielraum der einzelnen Mediengattungen und einzelner Organisationen bestimmt. Nur so ist es zu verstehen, dass ein bewusst reglementierter Rundfunk parallel zu einem freien Internet existiert. Charakteristische Größen des
kambodschanischen Mediensystems sind auf der einen Seite Gewinn- und Machtorientierung
und auf der anderen Seite (a) ein unzureichend ausgebautes Kommunikationsnetz, (b) eine geringe Kaufkraft, (c) mangelnde journalistische Qualität/Ethik und (d) fehlende Medienkompetenz. Beide Seiten lassen sich derzeit nur ansatzweise synchronisieren. Eine Einordnung in die
Klassifikationen von Ronneberger, Altschull und Weischenberg gelingt nicht. Dass dies an der
Qualität der Klassifikationsmodelle liegt und nicht bedeutet, dass Kambodscha nun kein Entwicklungsland mehr wäre, soll folglich anhand einiger Fakten skizziert werden.
3.1
Rechtsgrundlage
Die 1993 verabschiedete Verfassung manifestierte das Bestreben nach einer erfolgreichen Friedenskonsolidierung und Demokratisierung. Sie war auch Ausgangspunkt für ein Medienrecht, das
eine bis dahin nicht gekannte Freiheit und Vielfalt ermöglichen sollte.
Bisher war die Mediennutzung Eliten vorbehalten. Dies gilt sowohl für die französischsprachigen
Zeitungen der Kolonialherren der 1920er Jahre, als auch für die Presse der Sihanouk-Ära. Zu Zeiten
des Vietnamkriegs bestimmten Vorzensur und Propaganda die Arbeitsweise der Journalisten. Während der Herrschaft des Khmer-Rouge-Regimes drangen letztendlich keine Informationen aus Kambodscha an die Außenwelt. Von Pol Pot sind nur wenige Interviews bekannt. Journalisten galten als
regimekritisch. Von den einstig über hundert Fernsehjournalisten blieben 10 im Land. Sie wurden
ermordet, Printmedien und das Fernsehen verboten. Nur das staatliche Radio durfte weitersenden. Es
wurde Propaganda und volkstümliche Musik ausgestrahlt. Westliche Informationen oder Popmusik
waren verboten. Verstöße bedeuteten den Tod. Im Anschluss an das Khmer-Rouge-Regime und der
Gründung der Volksrepublik Kambodscha begann auch der Wiederaufbau des Mediensystems. Es
wurde ein Mediengesetz in realsozialistischer Tradition erlassen und ein Propaganda- und Informationsministerium gegründet. Vier streng kontrollierte Zeitungen erschienen und der staatliche Rundfunk
sendete wenige Stunden Programm. Ziel der Medienpolitik der Jahre 1979-89 war, das marxistischleninistische Bewusstsein der Massen zu entwickeln.29
Die 1993er Verfassung enthält zwei Artikel, die die Meinungs- und Pressefreiheit regeln. Dies
sind Art. 31 (Annerkennung der internationalen Deklarationen über die Menschenrechte) und
Art. 41: „Khmer Staatsbürger haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit,
Verlagsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Niemand darf durch die Ausübung dieser Rechte die
28
Kleinsteuber, 1994; differenziert zwischen (a) westlich-liberalen-, (b) östlich-realsozialistischen und (c)
Dritte Welt Typen
181
Das Fernsehen der Kambodschaner
Würde anderer, die guten Sitten der Gesellschaft, die öffentliche Ordnung oder die nationale
Sicherheit verletzen.“ Die Meinungs- und Pressefreiheit werden jedoch nicht nur durch die soeben zitierten Ausnahmen eingeschränkt, sondern auch durch weitere Verfassungsparagraphen,
beispielsweise durch die in Art. 7 verankerte „Unantastbarkeit des Königs“.
Das Pressegesetz wurde 1995 verabschiedet. Dieses greift einerseits erneut die in der Verfassung
verankerte Meinungs- und Pressefreiheit auf, anderseits präzisiert es die verfassungsgemäßen
Einschränkungen und regelt die Lizenzerteilung sowie das journalistische Arbeiten. Raimund Weiß ist
der Auffassung, dass die Regierung mit dem Gesetz ein „sharp-edged-sword“ an die Hand bekommen
hat.30 Prinzipiell ist das Gesetzeswerk jedoch besser als sein Ruf. Die Art. 2-4 und 6 garantieren (a)
den Informantenschutz, die Unabhängigkeit, das Zensurverbot, das Recht auf Gründung von
Pressevereinigungen, regeln (b) den Informationszugang und beinhalten (c) das Wahrheitsgebot. In
Art. 5 sind die Einschränkungen u.a. in Bezug auf: (a) die nationale Sicherheit, (b) die Beziehung zu
anderen Nationen, (c) der Persönlichkeit und (d) die Vertraulichkeit der Finanzsituation verankert. Art.
11-14 konkretisieren zusätzlich die Vorgaben der Verfassung hinsichtlich des Verbotes gegen die
guten Sitten zu verstoßen, sowie die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit zu gefährden.
Außerdem wird der Strafrahmen für Verstöße festgelegt (250-3.900US$). Zusätzlich können
Publikationen konfisziert und Redaktionen für max. 30 Tage geschlossen werden.
Die NGO Article19 kritisiert das Pressegesetz hauptsächlich wegen des darin aufgenommenen
Art. 20. Dieser stellt eine direkte Verbindung zum Strafgesetzbuch her. Deutliche Auswirkungen
auf die Arbeit der Journalisten haben Art. 62 (Desinformation) und 63 (Diffamierung/Beleidigung)
des Strafgesetzes. Diese beinhalten erneut den Schutz der nationalen Sicherheit und die Würde des
Einzelnen. Das Strafmaß ist jedoch höher als im Pressegesetz und sieht auch Haftstrafen zwischen
acht Tagen und drei Jahren vor. Eigentlich besteht keine Konkurrenz zwischen beiden Gesetzestexten, da auf Medienvertreter das Pressegesetz, auf andere Personen das Strafgesetz angewendet werden kann. Tatsächlich werden Journalisten jedoch anhand des Strafgesetzes sanktioniert.31 Eine
Tatsache, die von internationaler Seite heftig kritisiert wird.32
Das Informationsministerium ist die zuständige Behörde für die Lizenzerteilung im Mediensektor. Lizenzpflichtig sind Presseerzeugnisse und Rundfunkanstalten. Internet- und Mobilfunkprovider erhalten ihre Lizenz beim Ministerium für Post und Telekommunikation. Internetcafes werden beim Handelsministerium registriert. Das Informationsministerium übernimmt neben der Zulassung von Presse und Rundfunk auch deren Kontrolle. Eine Aufgabenzuweisung, die häufig kritisiert wird.33 1999 versuchte das Ministerium seine Kontrolle auf
das Internet auszuweiten. Eine Umsetzung scheiterte am Veto Hun Sens. Seither verkündet
29
30
31
32
182
Mehta, 1997
Weiß, 2003
Article19/ADHOC/CLEC, 2005
u.a. Freedom House, Reporter ohne Grenzen, Committee to Protect Journalists (CPJ), International Press
Institute (IPI), World Association of Newspaper (WAN), World Press Freedom Committee (WPFC), Internationale Journalisten Organisation (IJO), International Federation of Journalists (IFJ), International Freedom of Expression Exchange (IFEX)
Das Fernsehen der Kambodschaner
Informationsminister Khieu Kanharith: „…but I can assure you that I am the one who has
been fighting and continues to fight for the freedom of Internet…” 34 Zudem registriert das
Informationsministerium die Journalisten und erarbeitet Programmempfehlungen. Einen Presseausweis erhält jeder Journalist, der eine einschlägige Ausbildung nachweist. Die Einschlägigkeit einer Ausbildung wird nicht näher bestimmt. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Presseausweise 200US$. Weiterhin wird der Filmmarkt reguliert und die Öffentlichkeitsarbeit für
die Regierung realisiert. Nicht zuletzt ist das Informationsministerium selbst Veranstalter der
staatlichen Rundfunksender National Television of Cambodia (TVK), National Radio Kampuchea und National Radio of Cambodia (FM 96). Bis vor einigen Jahren gehörte auch die
Journalistenausbildung zu den Aufgaben (Cambodian Communication Institut).
Ebenfalls häufig kritisiert wird die fehlende Rundfunkgesetzgebung. Raimund Weiß zitiert
diesbezüglich den stellvertretenden Direktor der Sendeanstalten TV3 und FM103: „We need a
Media Law to ensure our business. When news are in the framework of law, than we know
what is right or wrong.“ 35 Nach Angaben des Ministeriums fällt die Gründung von Rundfunkanstalten unter das Investitionsgesetz von 1994, wobei sich das Ministerium bei der Lizenzerteilung am Pressegesetz orientiert. Ausnahmen sind beispielsweise die Höhe der Besitzanteile ausländischer Investoren an den Rundfunkstationen, die im Gegensatz zum Pressesektor mehr als 20% betragen können. Die Höhe der Beteiligungen regelt somit das Investitionsgesetz, das eine ausländische Beteiligung von maximal 49% vorsieht. Informationsminister Khieu Kanharith äußert sich, auf die fehlende Rundfunkgesetzgebung angesprochen, mit
den Worten: „We don’t have a law, we have our practice.“ 36
Drei Punkte sind bei der Lizenzvergabe relevant: (a) die Parteinähe, (b) die Finanzierbarkeit
und (c) die Reichweite. Khieu Kanharith argumentiert: „…the present situation shows that the
CPP are more professional and that it is a big party with the economic potential and technical skills to run networks.” 37 Hörfunkfrequenzen mit niedriger Sendeleistung werden gelegentlich auch an oppositionsnahe Organisationen vergeben. Das Ministerium erlässt Programmrichtlinien, die in regelmäßigen Treffen den Rundfunkstationen mitgeteilt werden. Der
Staatsekretär des Ministeriums, Mao Ayuth, äußert sich: „Das Informationsministerium hat
eine Richtlinie erlassen die dafür sorgt, dass die Nachrichten nicht zu viele Informationen
erhalten. Die Journalisten müssen darauf achten, was sie tun. Es darf nicht sein, dass die Bevölkerung Angst bekommt oder sich Psychosen breit machen. Mann darf alles sagen, man
muss aber dabei die Richtlinie beachten, die vorgibt was gesagt werden darf.“ Der Journalist
Dim Sovannarom konkretisiert: „Im kambodschanischen Fernsehen gibt es Dinge, die man
nicht zeigen kann. Demonstrationen, Streiks, Diskussionsforen oder Debatten die von NGOs
33
34
35
36
37
Kea, 2005
Klein, 2001, 12
Weiß, 2003, 49
ebenda, 51
Edman, 2000, 14
183
Das Fernsehen der Kambodschaner
oder anderen Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert werden.“ 38 Das Ministerium
reagiert auf kleine Verstöße mit Redaktionsschließungen, Inhaftierungen sowie Verleumdungsklagen. Der Oppositionssender FM105 ist häufig Ziel derartiger Maßnahmen.
3.2
Presse, Rundfunk, Online (Organisationen als Kommunikator)
Für ein Entwicklungsland mit einer Bevölkerungszahl von ca. 15 Mio. Einwohnern existiert eine
enorme Anzahl von Medienunternehmen. Das Informationsministerium verweist auf 266 Zeitungen, 58 Zeitschriften und 27 Nachrichtenmagazine. Weiterhin besitzen 7 Fernseh- und 19 Radiostationen eine Rundfunklizenz. Im Jahr 2006 waren 11 Internet-, 4 Mobilfunk-, 3 Festnetz- und 2 Mobilfunkprovider (Satellit), 307 Internetcafes und 1.500 Internetseiten beim Ministerium registriert.39
Anhand dieser Vielzahl kann nicht auf einzelnen Medienunternehmen eingegangen werden, sondern vielmehr ist es das Ziel, die Ausrichtung mit Hilfe eines Kontinuums zu verdeutlichen. Das
Kontinuum beginnt auf der einen Seite mit den drei bereits erwähnten staatlichen Rundfunkstationen sowie der Nachrichtenagentur Agence Kampuchea Press die vom Informationsministerium
betrieben werden. Weiterhin existieren Kooperationen zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Organisationen. TV3, FM97.5 und FM103 sind jeweils zur Hälfte im Besitz der Stadt
Phnom Penh und dem thailändischen Medienkonzern KCS Cambodia. Identisch ist die Situation
bei TV5 und FM98, nur das hier die Eigentümer einerseits das Verteidigungsministerium und
anderseits der thailändische Medienkonzern KANTANA sind. Das Ministerium für Post und Telekommunikation hält jeweils 51% an den beiden Internetprovidern Camintel und Camnet. Die
verbleibenden Anteile gehören den Unternehmen Indosat und International Development Research Centre of Canada. Die weiteren Medienunternehmen sind im privatwirtschaftlichen bzw.
NGO-Besitz. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Bürgermedien existieren nicht.
Zusätzlich lässt sich ein weiteres Kontinuum bilden. Einerseits existieren Unternehmen, die
Lizenzen für das Fernsehen und den Hörfunk besitzen. Hierzu gehören die bereits genannten
Gruppen: (a) TV3, FM97.5, FM103 und (b) TV5, FM98. Weiterhin gehören zusammen: (c)
CTV9, FM107, (d) Bayon TV+Radio und (e) Apsara TV+Radio. Anderseits bestehen zahlreiche Einzelunternehmen, zumeist mit Sitz in Phnom Penh und einige Medienunternehmen in
der Provinz (Khemara FM91, Radio-FM 96.5). Klassisches Cross-Ownership existiert nicht.
Einzig die NGO Open Forum of Cambodia war bis 2006 gleichzeitig Internetprovider und
Zeitungsverleger der Publikationen The Mirror und Kanhchok Sangkum.40
1993 entschied das Informationsministerium keine Lizenzen an politische Parteien zu vergeben.
Grund dafür waren die historischen Erfahrungen mit politischer Einflussnahme und Propaganda.
Trotz dieser Verordnung wurde TV9 gegründet, um die FUNCINPEC 41 politisch zu unterstützen. Der Premierminister Hun Sen besitzt Bayon TV und es ist üblich, dass sich Eigentümer von
Medienunternehmen bestimmten Parteien zugehörig fühlen. Versuche der Oppositionsparteien,
38
39
40
184
Medessou, 2006
Ritter, 2007
derzeit nur online verfügbar
Das Fernsehen der Kambodschaner
eine Rundfunklizenz zu erhalten, sind fehlgeschlagen. Informationsminister Khieu Kanharith
äußert sich hierzu: „…the present situation shows that the CPP are more professional and that
it is a big party with the economic potential and technical skills to run networks.” 42
Charlotte Veit hat den Hörfunk hinsichtlich seiner Parteienaffinität klassifiziert. Demnach
sind 50% der Radiostationen in Phnom Penh entweder mit der CPP oder der Regierung verwoben. Bayon Radio gehört beispielsweise Sagen Chun und Feder Symon, die eine bedeutende Rolle in der CPP einnehmen. Zwei der Radiostationen gehören der FUNCINPEC. Der Opposition stehen die unabhängigen Radiostation FM102 und FM105 nah. Die drei verbleibenden Stationen sind unpolitisch und bezeichnen sich als neutral: FM99, FM107.43
Ähnlich argumentiert Raimund Weiß in Bezug auf die Fernsehstationen, indem er dem staatlichen Fernsehen und den beiden halbstaatlichen Stationen TV3 und TV5 eine regierungsfreundliche Berichterstattung bescheinigt. Apsara TV gehört Premierminister Hun Sen, Bayon TV den
erwähnten Parteigrößen Sagen Chun und Feder Symon. Der ehemalige FUNCINPEC-Sender
TV9 ist seit seiner Zerschlagung 1997 genauso unpolitisch, rein kommerziell, wie die 2002 gegründete Station CTN.44 Der Einfluss der Regierungspartei CPP im Fernsehen ist unübersehbar:
„TVK der offizielle Regierungssender, Apsara der Sender des Premierministers, Bayon TV,
geleitet von der Tochter des Premierministers, TV9 im Besitz der Frau des Premierministers,
TV5 der Sender des Verteidigungsministerium, TV3 der Lokalsender von Phnom Penh.“ 45
In der Zeitungslandschaft wird aufgrund der Besitzstruktur der Rasmei Kampuchea und der Chakraval politische Nähe zur CPP zugesprochen, der Moneaksekar Khmer zur FUNCINPEC und der Samleng Yuvechun Khmer zur Opposition. Koh Santepheap und Kampuchea Thmey gelten als neutral.
Die Finanzsituation ist für die Mehrzahl der Medienunternehmen existenzbedrohend. Beispielsweise kommen 99% des Werbeaufkommens der Printmedien lediglich zehn Publikationen zugute. Auf Rasmei Kampuchea entfallen allein 23% der Anzeigen. Die Werbepreise
liegen auf niedrigem Niveau und betragen bei der Presse ca. 250US$/Seite, beim Fernsehen
10-150US$/Minute und beim Radio 3-10US$/Minute. Inbegriffen sind die Produktionskosten
für die Spots. Die auflagenstarken Zeitungen und die Rundfunkanstalten sind Bestandteile
ausgeklügelter Patronagenetzwerke. Der monatliche Zuschuss für kleine Medienunternehmen
liegt bei ca. 400-500 US$. Diese Zuschüsse sind ein Grund für die bisher ausbleibenden Konzentrationsprozesse. Der Herausgeber der Phnom Penh Post ist gar der Ansicht, dass beispielsweise keine der Zeitungen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überleben könnte.
Alle sind sie auf Zuschüsse angewiesen.46
41
42
43
44
45
46
Nationale Einheitsfront für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha
Edman, 2000
Veit, 2004
Weiß, 2003
Medessou, 2006
Loo, 2006
185
Das Fernsehen der Kambodschaner
Allein für den Fernsehsektor liegen konkrete Budgetdaten vor. Demnach betragen die monatlichen Einnahmen und Ausgaben für CTN ca. 200.000 US$. Werbung ist die Haupteinnahmequelle, der drei Ausgabenpositionen gegenüberstehen: (a) Verwaltung, Sendebetrieb, Produktion (50%), (b) Personal und laufende Kosten und (c) Programmeinkauf (je 25%).47 Das monatliche Budget für die verbleibenden Sender liegt bei 50-100.000US$. CTN ist die einzige
Station die Lizenzgebühren zahlt, Gewinne erwirtschaftet und nicht auf die Unterstützung von
Parteien angewiesen ist. Eine Radiostation lässt sich mit 5.000US$/Monat betreiben.48
3.3
Journalisten und Redakteure (Akteure als Kommunikator)
Drei Typen von Journalisten lassen sich unterschieden: (a) Journalisten ausländischer Medien, (b)
Journalisten CPP-freundlicher Medien und (c) Journalisten der Oppositionsmedien. Das monatliches Einkommen beträgt bei ersteren 250-700US$, bei den verbleibenden 40-50US$. In Folge
dieser niedrigen Einkommen ist es üblich, dass Journalisten für Beiträge Geschenke in Form von
Benzingeld bzw. Kaffee oder Zahlungen in Höhe bis 30US$ erhalten. Der entscheidende Unterschied zwischen CPP- und Oppositionsjournalisten wird vor allem hinsichtlich des Informationszugangs deutlich. Journalisten von Oppositionsmedien haben oft das Nachsehen.49
Einen guten Einblick in die Arbeitswelt des Rundfunks gibt Crowther.50 Sie befragte die Hörfunkdirektoren hinsichtlich ihres Einflusses auf die Nachrichtenproduktion. Das Kontinuum reicht von aktiver Nachrichtenauswahl (staatlicher Rundfunk) bis zu jener Situation, wo der Direktor den Inhalt der
Nachrichtensendung zwar kennt, am redaktionellen Prozess jedoch nicht beteiligt ist (FM105). Die
politische Programmausrichtung variiert ebenfalls deutlich. Der staatliche Rundfunk versteht sich in
erster Linie als regierungsfreundlicher Sender. Erst an zweiter Stelle steht die Verantwortung gegenüber den Bürgern. FM105 positioniert sich entgegengesetzt. Allgemein sehen die Direktoren den
Zweck ihrer Nachrichten darin, die Bürger mit Informationen zu versehen, die es ihnen ermöglichen,
ein aktiver Bestandteil des demokratischen Systems zu sein. Sie betonen aber auch, dass es allgemein
schwierig ist, oppositionelle Parteien, NGOs und Regierungskritiker zu Wort kommen zu lassen.
Charlotte Veit hat in ihrer Analyse die Situation der Radiostationen in den Provinzen untersucht.51
Die Mehrzahl der Radiostationen sind Niederlassungen der Phnom Penher Sender und überwiegend
CPP-freundlich. Eine Station arbeitet mit der FUNCINPEC zusammen. Nach Veit ist somit der
CPP-Einfluss in der Provinz höher als in Phnom Penh. Das Programm wird hauptsächlich aus der
Hauptstadt übernommen. Die Ausbildung der Mitarbeiter ist schlechter als in der Zentrale. Ebenfalls
schwierig ist die finanzielle Situation. In der Provinz ist es fast unmöglich, Sendezeiten an NGOs zu
verkaufen. So wird versucht, allein durch Werbung die Kosten zu decken. Der Erfolg ist mäßig,
obwohl der Werbepreis mit 3US$/Minute gering ist. Zumeist können die benötigten monatlichen
3.000US$ Budget nicht aufgebracht werden. Größter Budgetposten ist der Diesel für den Generator.
47
48
49
50
51
186
Waskow, 2005
Veit, 2004
Edman, 2000
Crowther, 2005
Veit, 2004
Das Fernsehen der Kambodschaner
Die Hälfte der Mitte der 1990er Jahre akkreditierten 500 Journalisten konnte keine Ausbildung nachweisen.52 15% von ihnen absolvierten ein Journalismusstudium, zumeist in Moskau
oder Vietnam.53 Die Verbleibenden konnten auf einige Jahre journalistische Erfahrung zurückblicken, oder durchliefen eines der neu angebotenen Trainings. Das Informationsministerium versuchte mit weiteren kurzweiligen Schulungsmaßnahmen im Cambodian Communication Institute (CCI) die Kompetenz der Journalisten weiter zu steigern. Ein Journalismusstudium existiert erst seit 2002 am Department for Media and Communication (DMC). Die ersten Absolventen stehen dem Markt seit 2005 zur Verfügung. Problematisch hierbei ist aber,
dass – wie in anderen Ausbildungsbereich auch – dringend benötigte Absolventen eine Tätigkeit im Ausland anstreben. Faktisch werden noch mehrere Jahrgänge abschließen müssen, bis
die positiven Auswirkungen im Alltag spürbar sind. Problematisch ist die derzeitige Praxis,
dass lediglich die Journalisten der ausländischen Medien bzw. der finanzstarken khmersprachigen Zeitungen, wie die der Rasmei Kampuchea, in den Genuss der Fortbildungen kommen.
Prinzipiell kann festgehalten werden, dass eine Verbesserung der Situation in Ansätzen erkennbar, das Ziel aber bei weitem noch nicht erreicht ist. Als Ansatz scheint mir die Forderung Kavi Chongkittavorn (The Nation, Thailand) relevant, der dazu auffordert, sich nicht nur
über die bestehenden Qualitätsdefizite zu beklagen, sondern das verstärkt die Kooperation mit
thailändischen, philippinischen oder auch indonesischen Medienvertretern gesucht werden
soll.54 Seiner Ansicht nach sind die Systeme vom Aufbau her ähnlich. Kambodschanische
Journalisten könnten so von ihren asiatischen Kollegen viel lernen.55
3.4
Medieninhalte
Inhaltsanalysen kambodschanischer Massenmedien lassen sich in zwei Gruppen teilen. Erstens die
Analysen, die im Umfeld von Wahlen durchgeführt wurden und zweitens jene, die sich auf den
politischen Alltag konzentrieren. Inhaltsanalysen die Wahlen in den Vordergrund stellen, müssen
mit dem entsprechenden Feingefühl bewertet werden. Erstens stellen Wahlen eine extreme politische Situation dar, auch medial, die mit dem politischen Alltag nur wenig zu tun hat und zweitens
schaut bei Wahlen auch die internationale Gemeinschaft auf Kambodscha, wodurch die Bestrebungen – mustergültig auszuschauen – besonders hoch sind. Medieninhaltsanalysen des Wahlkampfes
liegen von verschieden Institutionen/Organisationen vor.56 In diesen wird ausschließlich der Umfang der Berichterstattung der, an den Wahlen teilnehmenden, Parteien erhoben. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf dem reichweitenstarken Rundfunk. Für die Zeit außerhalb des Wahlkampfes
existieren zwei Medieninhaltsanalysen. Erstens eine Presseanalyse der Agentur Media Consulting &
Development Co Ltd. (MC&D) und zweitens eine Hörfunkanalyse von Christine Crowther.57
52
53
54
55
56
57
Clarke, 1995
Brown, 1996
Loo, 2006
Norbert Klein (Open Forum of Cambodia) in: Lin Neumann, 2000; Loo, 2006
Europäische Union, http://ec.europa.eu/comm/external_relations/human_rights/eu_election_ass_observ/cambodia03/final_report.pdf, 22.05.2007; COMFREL, 2003
MC&D, 2004; Crowther, 2005
187
Das Fernsehen der Kambodschaner
Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten. Bis zur Nationalwahl 2003 berichteten die
Presse und der Rundfunk deutlich CPP-orientiert. Mit der Änderung des Wahlgesetzes zur Nationalwahl 2003 änderte sich dies deutlich. Wie im Wahlgesetz festgeschrieben, waren im staatlichen Rundfunk alle Parteien mit ihren Wahlkampfthemen vertreten. Der private Rundfunk
zeigte sich auffallend unpolitisch. Die Oppositionsmedien unterstützten ihre Kandidaten.
Grundsätzlich war der Wahlkampf 2003 im Vergleich zu den Wahlkämpfen zuvor pluralistischer, auch wenn CPP-Themen in der Medienagenda überwogen. Bezeichnenderweise änderte
sich das Bild nach der offiziellen Wahlkampfzeit schlagartig. Die Nachrichtenberichterstattung
im Rundfunk wurde wieder ausschließlich von der CPP dominiert.
Annährend 7% der Artikel kambodschanischer Zeitungen thematisieren Raub, weitere 6% Verkehrsunfälle/Menschenhandel/Vergewaltigung/Mord. „Junge Chinesin im Kugelhagel getötet. Poly
liest mir den Titel der Rasmei Kampuchea laut vor. Sechs Geschosse fanden die Ärzte im Körper
der 24-jährigen chinesischen Geschäftsfrau. Sie durchschlugen die Scheiben ihres Wagens, als sie
auf dem Weg zur Arbeit war, schon die erste war tödlich…die größte Tageszeitung des Landes berichtet über die Toten von gestern. Poly klappt die Zeitung zusammen und saugt einen großen
Schluck Eiskaffee durch den Strohalm in seinem Glas.“ 58 Insgesamt nimmt der „Police-Report“
26% der Berichterstattung ein. Damit rangiert der „Police-Report“ mit 38% an vierter Stelle in der
Gunst der Leser.59 Die weitere Themenverteilung ist eher klassischer Natur: Politik (17%), Entwicklung des Landes (11%) und Wirtschaft (10%). Khmer-Rouge bezogene Themen rangieren mit 0,6%
auf dem letzten Platz der Untersuchung. Die Themensetzung in der Presse – mit Ausnahme des
„Police-Reports“ – ist nahezu Deckungsgleich mit der Themenrelevanz in der Bevölkerung.60 Über
politische Themen wird überwiegend neutral berichtet. Positive Anmerkungen sind selten, negative
überwiegen deutlich. Interessant ist die Beobachtung, dass keine der Zeitungen die Regierungsarbeit
als solche unterstützt, indem die CPP, die FUNCINPEC sowie die Koalition positiv dargestellt werden. Gleichzeitig ist nicht zu erkennen, dass die Koalition geschlossen kritisiert wird. Ereignisse
werden aber konkreten Parteien zugerechnet. Es existieren vier Zeitungen, die trotz der überwiegend
neutralen Berichterstattung, Position beziehen. Rasmei Kampuchea, Chakraval und Aryathor tun
dies ausschließlich für die CPP und zwar in der Form, dass die CPP gelobt und der politische Gegner kritisiert wird. Uddom Kate Khmer unterstützt die FUNCINPEC und kritisiert die CPP. Samleng
Yuvechun Khmer ist ein neutrales Blatt, mit CPP kritischen Zügen. Umgekehrt verhält es sich bei
den Zeitungen Rasmey Angkor, Kampuchea Thmey und Koh Santepheap, die ebenfalls neutral, aber
durch FUNCINPEC teils SRP-kritische Züge auffallen.61 Abschließend kann konstatiert werden,
dass sich die einzelnen Zeitungsredaktionen bezogen auf ihre Präferenzen zwar bestimmten Parteien
zuordnen lassen, dieser Bezug aber bei der Themensetzung nicht so schwer ins Gewicht fällt, wie
gern behauptet wird. Vielmehr gibt sich die Zeitungslandschaft, da sie überwiegend berichtet und
58
59
60
61
188
Schäfer, 2003, 393
Leserbriefe (53%), Editorial (47%), „10 Years After“, ein spezielle Rubrik der Phnom Penh Post (40%);
Franke, 2005
Meisburger, 2003
MC&D, 2004
Das Fernsehen der Kambodschaner
selten kommentiert, eher „langweilig“, fast schon unpolitisch. Einzige Ausnahmen bilden hier die
etablierten, überwiegend durch ausländische Investoren finanzierten, französisch- bzw. englischsprachigen Tageszeitzungen Cambodian Daily, The Phnom Penh Post und die Cambodge Soir.
Gesamtgesellschaftlich nehmen Zeitungen in Kambodscha, nicht nur durch ihre geringe Reichweite,
sondern auch durch ihre Themensetzung, keine bedeutende politische Rolle ein.
Im Hörfunk berichten die staatlichen bzw. die staatlich unterstützen Stationen regierungskonform. Das Oppositionsradio FM105 sendet im Gegensatz keine positiven, sondern überwiegend regierungskritische Beiträge. Alle untersuchten Sender berücksichtigen in ihrer Berichterstattung nicht die außerparlamentarischen Parteien. Die beiden unabhängigen Stationen
FM90 und FM102 verwenden einen Teil ihrer Berichterstattung dafür, den Themen der NGOs
Raum zu geben. Politische Debatten sind Hauptbestandteil der Nachrichtenberichterstattung
von FM105. Dies ist erwartungsgemäß für ein Oppositionsradio. Bei FM98, FM90 und
FM102 genießt die Politikberichterstattung einen annährend hohen Stellenwert.62 Die Erkenntnis, die sich hinter den Ergebnissen verbirgt, war so nicht zu erwarten. Der Hörfunk bietet gegenüber der Presse nicht nur eine höhere Reichweite, sondern das breitere Themenspektrum und äußert Kritik. Anders als erwartet, bleibt die Presse in ihren Zwängen behaftet und ist
somit ein zahnloser Tiger. Dies bezieht sich, und dies soll nochmals erwähnt werden, ausschließlich auf die großen khmersprachigen Publikationen. The Phnom Penh Post, Cambodia
Daily und Cambodge Soir sind hiervon ausgeschlossen. Eine persönliche Reinfolge der Pressefreiheit – aufgeschlüsselt nach Mediengattungen – ergibt: (1.) die englisch und französischsprachige Qualitätspresse, (2.) der Hörfunk und (3.) die khmersprachige Presse.
Folglich soll geklärt werden, ob die bisher aufgezeigten Strukturen sich so im kambodschanischen
Fernsehen wiederfinden lassen und welchen Stellenwert die Khmer-Rouge-Problematik in der Nachrichtenberichterstattung einnimmt. Die bisherigen Ergebnisse bezüglich der Presse enttäuschen.
4
Das Fernsehen der Kambodschaner
Prinzipiell ist die Fernsehlandschaft in der bisher dargestellten Struktur zu verorten, jedoch mit
der Ergänzung, dass der Gestaltungsspielraum in engeren Bahnen verläuft.63 Dies soll exemplarisch anhand einiger Beispiele gezeigt werden. Die fehlende Rundfunkgesetzgebung führt dazu,
dass im Gegensatz zur im Ansatz gewährten Angebotsvielfalt der Presse, des Hörfunks und des
Internet diese beim Fernsehen nicht existiert. TVK ist der offizielle Regierungssender, Bayon TV
der Sender des Premierministers Hun Sen, Apsara TV wird geleitet von der Tochter des Premierministers, TV9 ist mit im Besitz seiner Frau und TV5 sowie TV3 gehören hälftig einmal
dem Verteidigungsministerium und einmal der Stadt Phnom Penh. Selbst dem gern als unabhängig angesehenen Fernsehsender CTN werden über einer der Betreiberfirmen enge Kontakte
zu Hun Sen nachgesagt. „Motive für die Gründung des Unternehmens sind zum einen das Versprechen von 'Modern Times Group' und 'Millicom Telephone Company' an die Regierung eine
62
Crowther, 2005
189
Das Fernsehen der Kambodschaner
Fernsehstation aufzubauen, nachdem die Unternehmen an 'Mobitel' – dem größten Handynetzbetreiber Kambodschas - beteiligt sind sowie die Förderung der einheimischen Filmindustrie
gegenüber ausländischen Anbietern.“ 64 Das Informationsministerium achtet jedoch nicht nur
auf eine zuträgliche Besitzstruktur, sondern wacht ebenfalls über die Inhalte. Der Staatssekretär
des Informationsministeriums, Mao Ayuth, beschreibt den Umgang mit den Fernsehsendern mit
den Worten: „Einmal bis zweimal pro Monat besuche ich mit den Mitgliedern des Fernsehverbandes die verschiednen Sender. Wir beraten die Künstler und Moderatoren, damit sie wissen,
auf was sie bei ihrer Kleidung und ihrem Verhalten achten müssen…Das Informationsministerium hat eine Richtlinie erlassen, die dafür sorgt, dass die Nachrichten nicht zu viele Informationen erhalten. Die Journalisten müssen darauf achten, was sie tun. Es darf nicht sein, dass die
Bevölkerung Angst bekommt oder sich Psychosen breit machen. Man darf alles sagen, man
muss aber dabei die Richtlinie beachten, die vorgibt was gesagt werden darf. Es dürfen nicht so
viele Dinge aufgewühlt werden. Das kann ich ihnen jetzt nicht weiter erklären, das würde zu
lange dauern… Die Komiker dürfen keine vulgäre Sprache verwenden, sie dürfen mit ihren
Worten nicht Frauen und alte Menschen beleidigen. Wenn das der Fall wäre, würden wir eingreifen und das korrigieren. Das gleiche gilt, wenn sie sich unpassend verhalten, wenn sie beispielsweise mit Flaschen aufeinander einhauen würden. Die Zuschauer dürfen gern etwas zu
lachen haben, dass heißt aber nicht, dass die Komiker sich alles erlauben dürfen. Spaß ja, aber
in den Grenzen des Vernünftigen.“ 65 Die Besitzstruktur der Sender deutet es bereits an, dass
diese sich an die Vorgaben halten. Sanktionen wie sie gegenüber der Presse oder dem Hörfunk
bekannt sind, sind vom Fernsehen nicht überliefert.66 Aber zeigen auch kleinere Vorkommnisse,
dass es das Ministerium mit den Ankündigungen ernst meint. „Beim fünften Programm gab es
einmal einen riesigen Skandal, dort war der Moderatorin einer Unterhaltungssendung ein
Missgeschick passiert. Während der Sendung rutschten ihr die Träger ihres Kleides herunter
und die Träger ihres BHs. Alle konnten ihre Brust sehen. Nach diesem Zwischenfall durfte die
Frau die Sendung nicht mehr moderieren.“ 67 Der Journalist Dim Sovannarom fasst zusammen: „Im kambodschanischen Fernsehen gibt es Dinge, die man nicht zeigen kann. Demonstrationen, Streiks, Diskussionsforen oder Debatten die von NGOs oder anderen Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert werden.“ 68
In diesem Zusammenhang sind auch einige Interviews von Interesse, die zeigen, dass die Vorgaben
des Ministeriums von den Sendern, wie auch von den Produktionsfirmen strikt eingehalten und
umgesetzt werden. Folgende drei Interviews, verschiedener Perspektiven, sollen dies verdeutlichen:
63
64
65
66
67
68
190
die folgenden Darstellungen beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf Edman, 2000; Weiß, 2003;
Waskow, 2005; Medessou, 2006; Hartmann, 2007
Hartmann, 2007, 76
Medessou, 2006
Ausgeübte Sanktionsmaßnahmen sind auf den Internetseiten folgender Organisationen abrufbar: AERTICLE19, Freedom House, Reporter ohne Grenzen, Committee to Protect Journalists (CPJ), International Press Institute (IPI), World
Association of Newspaper (WAN), World Press Freedom Committee (WPFC), Internationale Journalisten Organisation
(IJO), International Federation of Journalists (IFJ), International Freedom of Expression Exchange (IFEX)
Dim Sovannarom, Ausbilder am Cambodian Communication Institute (CCI), Medessou, 2006
Medessou, 2006
Das Fernsehen der Kambodschaner
-
„Die Fernsehmoderatorinnen sind nicht nur da, die Leute zu unterhalten, es geht auch
nicht immer darum, dass sie die schönsten Kleider vorführen, nein, ein Moderator
muss auch ein Vorbild sein. Wir spielen eine wichtige Rolle für die Bildung und Erziehung der jungen Fernsehzuschauer. Der Moderator muss ein positives Bild unserer
Gesellschaft verkörpern.“
-
„Seit mehr als zehn Jahren gibt es hier die didaktischen Spots mit einer ganz traditionellen Darstellung. Die Zuschauer hier sind das gewohnt. Es ist alles ganz einfach
gehalten. Ein Tisch mit Stühlen darum Menschen die sich unterhalten und zwar über
die Botschaft, die die Regierung oder ein Minister verbreiten will.“
-
„Wenn wir in der Serie zu detailliert auf den Alltag der Menschen eingehen, kann das
möglicherweise die Marschrichtung der Regierung beeinträchtigen, oder bestimmte
Personen des öffentlichen Lebens stören. Wir müssen also darauf achten, was wir tun,
denn das kann nämlich einen Einfluss auf die Zuschauer haben. Wir müssen ein
Gleichgewicht finden. Denn es gibt bei den Serien zwei Seiten. Sie können die Menschen weiterbilden, sie können aber auch Schaden anrichten.“ 69
Entscheidend bezüglich dieses Geflechts aus Vorgaben und Erfüllung ist die Nutzung und Erwartungshaltung von Seiten der Rezipienten.70 Fernsehen ist das meistrezipierte kambodschanische
Medium. 60% sehen täglich fern. Die Mittagszeit, die Abendstunden und der Sonntag sind
klassische Fernsehzeit. Marktführer ist CTN mit 70%, gefolgt von TV5 und TV3.
Die Erwartungshaltung wurde im Rahmen zweier Studien einerseits mit Blick auf das Fernsehen
erhoben, andererseits mit Blick auf deren allgemeine Lebenslage. Das dringendste allgemeine Problem ist der ersten Studie zufolge die Armut (52%), mitsamt der zugehörigen Armutsphänomenen
(Wasserknappheit/Verschmutzung/Überschwemmung: 27%; Gesundheit: 7%; Kriminalität: 6%).71
Alsdann folgen Fragen zur Wirtschaft (15%), Politik (8%) und zum Aufbau des Landes (5%). Ähnlich verhält es sich bezüglich der Erwartungen gegenüber den in den Medien thematisierten Inhalten. Hier zeigt die zweite Studie, dass sich ein Großteil der Probanten wünscht, dass (a) Probleme
des Alltages (Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption…), (b) Probleme zwischen Stadt und Land
(Landflucht…) und (c) die Khmer-Kultur und Tradition im Fernsehen thematisiert werden. Erst
anschließend folgen Themengebiete wie Bildung, Politik und Soziales. Auf die Frage: „Welche
Themen interessieren Sie besonders im Fernsehen?“, antworteten die Probanten ähnlich. Auch hier
führen Themen wie Landproblematik, Bildung sowie Khmer-Kultur und -tradition die Prioritätenliste an. Das Thema Politik wurde nicht genannt. Ein Indiz dafür, dass das Interesse an im „Westen“
etablierten Themen wie Politik vorhanden ist, das Gebotene jedoch nicht überzeugt. Letztendlich
können Themenfelder wie Politik und Wirtschaft jedoch nicht die Bedeutung erlangen wie: Armut,
Bildung, Kultur und Tradition.72
69
70
71
72
(1) Kong Socheat, Moderatorin „Game Cupid“ (TV3), (2) Cédric Janloes, Produzent für die Agentur MC&D (Media
Consulting and Development), (3) Poan Phoung Bopha, Produzentin der Serie „Daughter in Law“, Medessou, 2006
die folgenden Darstellungen beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf die Studien von Sovanreasey,
2001; Davuth, 2001; Rathna, 2001; Hartmann, 2007
Meisburger, 2003
Hartmann, 2007
191
Das Fernsehen der Kambodschaner
Besonders mit Blick auf die Fragestellung interessiert der Fakt, ob die Rezipienten den Themenfeldern „Khmer-Rouge“ und „Khmer-Rouge-Tribunal“ eine besondere Bedeutung beimessen. In der
Befragung von Meisburger wurde dem Themenkomplex „Khmer-Rouge“ im Speziellen, aber auch
dem Themenkomplex „Geschichte/Vergangenheit“ im Allgemeinen keine Beachtung geschenkt
(Welches ist das größte Problem Kambodschas?). Meisburgers Analyse ist nicht der Fragekatalog
beigelegt, so dass nicht nachvollzogen werden kann, ob explizit nach „Khmer-Rouge“ gefragt wurde. Aufbauend beinhaltet die Analyse jedoch eine separate Frage zum Khmer-Rouge-Tribunal. 48%
befürworten ein Tribunal, wo – wie auch praktiziert – lediglich die Führungselite angeklagt werden
soll. 32% sprechen sich gegen eine Anklage aus, 20% besitzen keine Meinung. Interessant ist bei
detaillierter Betrachtung die Streuung der einzelnen Aussagen. Die Zustimmung zum Tribunal korreliert mit dem Bildungsstand (keine Schulbildung: 38%; Grundschule: 47%; Oberschule: 59%),
dem Geschlecht (Frauen: 44%, Männer: 52%) und der Herkunftsregion (29%: NordwestTerritorium).73 Gerade die territoriale Verteilung zeigt, wie der Grad der Tribunal-Zustimmung mit
zunehmender Anzahl ehemaliger Khmer-Rouge-Angehöriger in der Stichprobe sinkt. Letztendlich
entscheidend ist die Tatsache, dass die 48% gemessene Zustimmung eine andere Sprache spricht,
als die 80%, die Fleschenberg in ihrem Aufsatz angibt.74 Erste Auswertungen mehrerer Untersuchungen, die im Rahmen einer Studentenexkursion nach Kambodscha im Juni 2007 durchgeführt
wurden, bestätigen das ambivalente Bild Meisburgers.75 Die Zustimmung zum Khmer-RougeTribunal ist zwar gegeben, jedoch zweifelt eine Vielzahl der Bürger nach so langer Zeit über den
Sinn des Tribunals. Zu oft wurden bisher geäußerte Versprechen gebrochen.
Hartmanns Medienrezeptionsanalyse ergab, dass die Stadt- als auch die Landbevölkerung das Fernsehen nicht dazu nutzt, um sich über die Khmer-Rouge-Zeit oder das Tribunal zu informieren. Auch
werden mit Blick in die Zukunft beide Themenbereiche nicht ausdrücklich nachgefragt. Leider war
Hartmanns Forschungsdesign so angelegt, dass er feste Antwortmöglichkeiten vorgab – das Thema
„Khmer-Rouge“ war nicht Bestandteil – und die Probanden lediglich im Feld „Sonstiges“ hätten
eigenständig „Khmer-Rouge“ eintragen können. Somit ist Hartmanns Rezeptionsanalyse für meine
Zwecke leider wenig aussagekräftig.76
Bei der von mir durchgeführten Inhaltsanalyse wurden 2004/05 alle sieben kambodschanischen Fernsehsender – für je eine künstliche Woche – analysiert. Erhoben wurden das Programmprofil (Information, Unterhaltung, Werbung), sowie das Profil der Hauptnachrichten.77
Folgende Ergebnisse lassen sich für das kambodschanische Fernsehen verallgemeinern, da die
Schwankungen zwischen den Sendern relativ gering sind.
Erwartungsgemäß überwiegt der Unterhaltungsanteil im Programm. Beliebt sind Serien, Shows,
Sport sowie Musik- und Karaokesendungen. Der Anteil an Informationssendungen ist gering
73
74
75
76
77
192
Meisburger, 2003, 27
Fleschenberg, 2006
näheres zu den Forschungsergebnissen siehe ASIEN, Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde
(DAG), Heft 107, April 2008
Hartmann, 2007
nähere Angaben zur Methodik, Ritter, 2007
Das Fernsehen der Kambodschaner
(15%), wobei hierbei Nachrichtenformate dominieren und auch Resonanz finden. „Nach der
Arbeit schaue ich mir zu Hause die Nachrichten an. Die sind für mich das Wichtigste im Fernsehen. Ich möchte wissen, was in unserem Land passiert und mich auch über die Ereignisse in
der Welt informieren. Ich weiß immer gut Bescheid.“ 78 Bildungsprogramme erreichen einen
Anteil von unter 5%. Dieser ist geringer als angenommen. Auffällig ist jedoch, dass Information und Unterhaltung verschmelzen. Einerseits (a) in Form von Infotainment, wo auf unterhaltsame Weise Bildungsinhalte vermitteln werden und andererseits (b) in Form des Erziehungsfernsehens mit dem sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger:
-
(a) „Cédric Jancloes wollte auch in Kambodscha etwas anderes machen. Mit seiner
Sendung Ce´dric Janloes 'Carol'. Dort wird ein Film zu einem bestimmten Thema gezeigt, über das dann im Studio diskutiert wird. Heute Liebesbeziehungen unter Jugendlichen…Nach dem Film wird heftig diskutiert. Mit Eltern, Kindern und Vertretern
von Hilfsorganisationen.“
-
(b) „Das Wohlbefinden der Bevölkerung der Khmer ist seiner Exzellenz Premierminister des Königreiches Kambodscha Samdech Hun Sen ein wichtiges Anliegen. Deswegen
sehen sie bei TVK jetzt Gymnastikübungen. Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
seine Exzellenz, ich bitte sie, dieser Sondersendung zu folgen. Sie dient ihrer Gesundheit. Gymnastik hält uns Gesund und gibt uns Kraft das Land voranzutreiben.“ 79
Werbung ist ein dominierender Bestandteil des kambodschanischen Fernsehprogramms. Diese tritt in klassischer Spotform zwar nur zu 7% auf, aber es werden darüber hinaus oft Banner
und Laufbänder eingeblendet oder Ansagen zwischengeschaltet. Eine Trennung zwischen
Programm und Werbung existiert selten. „Ich möchte mich bei allen bedanken, die dieses
Tournier unterstützt haben. Danke an alle Sponsoren. Dem Weinlieferanten der mit seinem
Wein für gute Stimmung sorgt. Danke auch an die Firma Buitrago, die die Zigarettenmarke
Alain Delon importiert. Alain Delon, die Zigarette mit dem besonderen Geschmack.“ 80
Alle Informationssendungen (ausgenommen Hauptnachrichten und Bildungsformate wie beispielsweise Sprachkurse) thematisieren Politik und Wirtschaft nur in Ausnahmefällen. Es
dominieren Sendungen mit Servicecharakter aus den Bereichen Soziales und Gesundheit, sowie Sendungen die sich mit Lifestyle und Frauenthemen beschäftigen. Bei den Fernsehnachrichten wendet sich das Bild. Hier dominieren die Themenbereiche Politik, Wirtschaft, Aufbau des Landes, Bildung und Landwirtschaft. Der Themenbereich „Geschichte“ wurde nicht
aufgegriffen. Das Thema „Khmer-Rouge-Regime“ kam im Analysezeitraum ebenfalls nicht
vor. Lediglich der Hinweis, dass eine Brücke, die wieder aufgebaut wurde, damals von den
Khmer-Rouge zerstört wurde, fand Erwähnung. „Themen wie Politik und die Gräueltaten der
Vergangenheit werden ausgelassen…Der Völkermord der Roten Khmer hat über 2 Mio. Tote
gekostet, darüber wird im Fernsehen so gut wie nicht gesprochen, aber jedes Jahr am
78
79
80
Interview, Bauer, lebt 40 km von Phnom Penh entfernt, nach Medessou, 2006
ebenda
ebenda
193
Das Fernsehen der Kambodschaner
07. Januar feiert man in Kambodscha den Sieg über die Roten Khmer. Übertragen werden
die Feierlichkeiten vom Nationalsender TVK.“ 81
Die Charakteristik der Berichterstattung ist senderübergreifend weitgehend identisch. Prinzipiell
werden überwiegend Themen angesprochen, die mit der Regierungspartei CPP in Verbindung
gebracht werden können. Dies sind sowohl politische Themen, aber auch Themen zum Aufbau
des Landes, der Wirtschaftsentwicklung oder auch der Kultur und der Traditionen. Der Koalitionspartner FUNCINPEC ist nur marginal vertreten. Die Opposition wird weder im positiven noch
negativen Zusammenhang gezeigt. Auch ist die Themenauswahl bezeichnend, die einem Rechenschaftsbericht der Regierung gleicht. Ein Abgleich im Untersuchungszeitraum zwischen der
Themenstellung in der deutlich pluralistischeren kambodschanischen Presse (khmer- und englischsprachig) zeigt, dass die Themenauswahl lediglich im Ausnahmefall identisch ist. Die Themenauswahl im Fernsehen lässt sich mit den klassischen Nachrichtenwertfaktoren nur gelegentlich in Einklang bringen. Um zu verdeutlichen, welche Themen in die Nachrichtenauswahl gelangen, folgt die Beschreibung eines exemplarischen Tages (14.12.2004).
TV27 sendete sechs Inlandsnachrichten mit einer Gesamtlänge von knapp 19 Minuten. Der erste
Beitrag (1) dauerte 4:19 Minuten und handelt über eine dreitägige Konferenz, in der über die Armutsbekämpfung, die allgemeine Entwicklung Kambodschas und über den Umbau der Verwaltung beraten wurde. Anwesend waren Hun Sen und Sok An, sowie zahlreiche ausländische Politiker aber auch Unternehmer und Vertreter von Hilfsorganisationen. Diese Konferenz war das
Topthema des Tages und stand zu Recht an erster Stelle im Nachrichtenblock. Die Zeitungen Koh
Santepheap (15.12.) und Rasmei Kampuchea (17.12.) berichteten ebenfalls über das Thema. Im
Artikel der Koh Santepheap „Master Plan on Rural Electrification in 2020“ standen vier Punkte
im Vordergrund: (a) geplant ist ein Gemeinschaftsprojekt der Japan International Cooperation
Agency (JICA) und dem kambodschanischen Ministry of Industry, Mines, and Energy, (b) es wird
ein 10 MW Generator in Siem Reap errichtet, (c) mehr ländliche Gebiete werden so mit Elektrizität versorgt und (d) bis 2020 soll Kambodscha komplett mit Elektrizität versorgt sein. Der Artikel
greift also einen konkreten Punkt aus der Konferenz auf, setzt einen Schwerpunkt. Die dominierenden Personen sind Mr. Korezumi (Repräsentant des japanischen Botschafters) und Mr. Suy
Sem (kambodschanischer Minister). Der Fernsehbeitrag legt Wert darauf, die Konferenz als Instrument von Politik zu vermitteln. Konferenzen sind wichtig, da sie die „Planbarkeit von Politik“ ermöglichen und der „Bürger wird informiert was auf ihn zu kommt“. Der Beitrag versucht
deutlich den Bürger vom Sinn solcher Konferenzen zu überzeugen. Hierzu werden Hun Sen und
Sok An bei Verhandlungsgesprächen gezeigt. Es geht nicht um Ergebnisse, sondern um das Instrument. Der Beitrag wirkt aus westlicher Sicht deplaziert und aufgesetzt. Die kambodschanischen Codierer fanden den Beitrag jedoch dahingehend wichtig, da er zeigt, dass gemeinsam die
Zukunft des Landes geplant wird und diese nicht durch gewalttätige Maßnahmen geregelt wird.
81
194
Medessou, 2006
Das Fernsehen der Kambodschaner
Ihrer Ansicht nach ist es notwendig, auch eine Dekade nach Beginn des Demokratisierungsprozesses, die demokratischen Spielregeln weiterhin zu vermitteln.
Die weiteren Beiträge fanden in der Tagespresse keine Berücksichtigung. Auch besitzen sie einen
identischen Aufbau. (2) 02:39 Minuten lang wurde Hun Sen zusammen mit einem thailändischen
Unternehmer bei einer Besprechung in seinem Haus gezeigt. Der Thailänder baute vor vier Jahren
eine Schule in Kompong Thom. Hun Sen erhoffte sich, dass der Thailänder einige Stipendien
nach Kambodscha vergeben würde. In weiteren 02:46 Minuten (3) wurde eine Kaserne vorgestellt, wo einige Soldaten für eine viermonatige Schulung zur Terrorabwehr Zertifikate erhielten.
Deren Arbeit wurde ausdrücklich gelobt. Zentraler Punkt war jedoch die Eröffnung eines neuen
Rekrutenschlafsaals, der von Hun Sen seiner Frau finanziert wurde. Beide waren nicht anwesend.
Dem nächsten Beitrag (4) sind nähere Informationen nicht zu entnehmen. 02:29 Minuten wurden
dafür aufgebracht, kambodschanische Beamte und ihre vietnamesischen Kollegen zu zeigen, wie
sie gemeinsam ein Waldstück begingen und anschließend in Form einer Zeremonie berieten. Der
Kommentar besagte lediglich, dass es sich um ein Treffen zur Vermeidung illegaler Holztransporte handle. Weiterhin ist der Beitrag mit Musik unterlegt. O-Töne existieren nicht. (5) In einer
langandauernden Zeremonie (03:59 Minuten) unterstützte das kambodschanische Rote Kreuz mit
Reis- und Geldspenden die Bauern in Prey Veng. Sie hatten durch das Hochwasser Teile ihrer
Ernte verloren. Der letzte Beitrag (6) in einer Länge von 02:49 stellte Lov Hoeng vor, der mit Hun
Sens Hilfe zum erfolgreichen Unternehmer wurde. In diesem Beitrag spendete er Geld für einen
Schulneubau und für mehrere Wasserpumpen. Zusammen mit dem Bürgermeister besichtigte er
die neuerrichtete Schule. Prinzipiell beschäftigen sich alle Beiträge mit dem Aufbau des Landes.
In Form von Zeremonien, Lobpreisungen und langen Dankesszenen wird den Initiatoren, zumeist
Hun Sen gedankt.
Dieser ausgewählte Tag ist dahingehend repräsentativ, da er wiederkehrende Muster zeigt. Die
Mehrzahl der Beiträge steht im Kontext zu Hun Sen oder seinem Stellvertreter Sok An. Umso
nationaler der Beitrag ausgerichtet ist, umso eher werden beide Politiker erwähnt. Erst Beiträge
auf regionaler bzw. lokaler Ebene verweisen auf die örtliche Politikprominenz. Diesbezüglich
werden wiederum ausschließlich CCP-Politiker thematisiert. Ebenfalls fällt auf, dass Regionalthemen häufig in einem nationalen Kontext dargestellt werden, so dass der suggerierte Fortschritt
erneut im Zusammenhang mit Hun Sen präsentiert wird. Die einzige nicht-CPP-Person, die häufig
vorkommt, ist der König bzw. sein Stab. Weiterhin auffällig sind die Themen, mit denen Hun Sen
in Verbindung gebracht wird. Diese reichen von Politik und Wirtschaft über den Aufbau des Landes bis zur Bildung, Gesundheit und Religion. Einzig Sok An steht im Zusammenhang mit einer
ähnlichen Themenvielfalt. Alle weiteren CPP-Politiker werden im Rahmen ihrer Ressortzuständigkeit thematisiert. Bleibt abschließend zu erwähnen, dass ca. 30% der Beiträge mit Hun SenBezug, diesen lobpreisend darstellen.
Bezugnehmend auf das eingangs vorgestellte Analyseraster zeigt die folgende Abbildung zusammenfassend die Grundcharakteristik kambodschanischer Fernsehnachrichten.
195
Das Fernsehen der Kambodschaner
Abbildung 4: Grundcharakteristik kambodschanischer Fernsehnachrichten
Merkmal
Beschreibung
Ausprägung
Zeit
Zeitpunkt, Dauer
Nähe
räumlich, politisch, kulturell
Status
Region, Person
Dynamik
Überraschung, Struktur
Valenz
Konflikt, Schaden, Erfolg
Identifikation
Personalisierung
überwiegend keine tagesaktuelle Berichterstattung, Länge des
Beitrages richtet sich nach dem Charakter des Ereignisses (Zeremonie=langer Beitrag, Gespräche=kurzer Beitrag)
national dominiert vor regional und lokal, Politik=CPP-Politik,
Kultur=Khmer-Kultur, Ausnahmen unter 1%
Region=Zentralismus (Phnom Penh), Lokales mit Bezug auf
nationalen Zusammenhang, reine Lokalthemen=selten, Person=Hun Sen, Sok An zentriert, einige Ausnahmen: (a) Lokalpolitik, (b) spezielle Ressourcenzugehörigkeit eines Ministeriums
Keine Dynamik, gleich bleibende Struktur=Ausrichtung nach
Hierarchie, Ausnahmen unter 5%
Ausrichtung nach Hierarchie, selbst die Tsunamieberichterstattung machte keine Ausnahme, Tsunamie=normale Auslandsnachricht im entsprechenden Nachrichtenblock
Hun Sen=Charisma82
Abschließend bleibt zu konstatieren, dass in der jüngsten Vergangenheit einige erste Veränderungen zu beobachten waren. Die Fernsehsender haben begonnen, dass Thema „KhmerRouge“ zu thematisieren. Beispielsweise sendete TVK ein Interview mit Pol Pot aus dem Jahr
1998, wo Pol Pot Stellung zu „seinem“ Regime bezieht, ohne annährend Reue zu zeigen.
Prinzipiell bleibt aber die Khmer-Rouge-Berichterstattung eine Ausnahme. Findet diese statt,
wird auf Kommentare verzichtet. „Wir selbst berichten nicht über die Ereignisse unter den
Roten Khmer. Dafür gibt es den internationalen Gerichtshof. Das ist dessen Angelegenheit.
Wir berichten vielmehr über die Verhandlungen zwischen der kambodschanischen Regierung
und der UNO oder über die Arbeit der kambodschanischen und internationalen Richter. Wir
konzentrieren uns auf die Arbeit und die Ergebnisse des Gerichtshofes. Das Thema Rote
Khmer ist ein heikle Angelegenheit, darum sollen sich die Spezialisten kümmern.“ 83
5
Das Khmer-Rouge-Tribunal im Fernsehen – eine Prognose
Ein Vergleich zwischen den Ergebnissen der Fernsehanalyse auf der einen Seite und den Erwartungen – die an das Fernsehen im Rahmen des Khmer-Rouge-Tribunals herangetragen werden
– auf der anderen Seite, erzeugt eine Diskrepanz, die nicht größer sein könnte. Kambodschanisches Fernsehen ist Ergebnis einer Informationskontrolle mit dem Ziel, beabsichtigt das Bewusstsein und das Verhalten der Rezipienten zu lenken. Hierbei gehe ich nicht soweit, diese
Strategie der modernen Propaganda zuzurechen, da nicht ersichtlich ist, dass das Fernsehen eine
Ideologie vermitteln soll, die konträr zum sozioökonomischen Entwicklungspotential des Landes steht. Eher handelt es sich um klassischen top-down-Entwicklungsjournalismus, der den
Wandel begleitet und verkörpert ohne jedoch – und das ist entscheidend – die gesellschaftliche
Vielfalt abzubilden. Um den inhaltlichen Facettenreichtum des Tribunals darstellen und in den
82
83
196
Charisma bedeutet hier, dass alles der Person Hun Sen untergeordnet ist, wobei seine Herrschaft nicht in
Frage gestellt wird. Diese Hun Sen-Fokussierung durchzieht die komplette Khmergesellschaft. Charismazuschreibung nach Djedje, Kambodscha-Workshop, Universität Passau, Dezember 2006
Som Chhaya, Redaktionsleiter CTN, Medessou, 2006
Das Fernsehen der Kambodschaner
komplexen Kontext der Khmergesellschaft einordnen zu können, bedarf es jedoch einer Themensetzung, die verschiedenen Sichtweisen auf das Tribunal ermöglicht. Gefordert werden
muss also eine Fernsehberichterstattung, die bereits im Vorfeld dem existierenden Meinungspluralismus gerecht wird. Also eine Form von Kommunikation, wie es das Modell der Unterstützungskommunikation vorsieht. Wünschenswert wäre gar ein Journalismus, wie er aus der
Forschung zur Systemtransformation bekannt ist, wo eben nicht nur die Interessen eines breiten
Bevölkerungsspektrums berücksichtigt werden, sondern die neue Situation erklärt und somit
Vertrauen geschaffen wird, um beispielsweise schmerzhafte Entscheidungen besser billigen zu
können. Die Frage die sich nun stellt lautet: Lässt sich so ein Wandel zeitnah realisieren und ist
dieser auch sinnvoll?
Drei ausschlaggebende Größen benötigten schnellstmöglich entscheidende Änderungen. Erstens, die Regulierungsvorgaben des Ministeriums müssten hinsichtlich der beiden Punkte (a)
Schutz der nationalen Sicherheit und (b) Schutz des Persönlichkeitsrechtes gelockert werden,
da mit Verstößen gegen diese Einschränkungen die Mehrzahl der Sanktionen gerechtfertigt
werden. Vorraussetzung hierfür wäre jedoch, dass Journalisten in der Lage sind, verantwortungsvoll ihrer Tätigkeit nachzugehen. Aber gerade diesbezüglich besteht große Skepsis.
Denn es müsste sich – und dies wäre der zweite Punkt – die ökonomische Situation der Journalisten verbessern und drittens durch eine Vielzahl von neuen Trainingsmaßnahmen gleichzeitig die Kompetenz der Journalisten erhöht werden. Die letzten beiden Punkte sind unter
Berücksichtung einer sofortigen Umsetzung unrealistisch.
Aus Sicht unseres westlichen Verständnisses von politischer Kommunikation ist dieses Ergebnis ernüchternd. Zu deutlich ist das idealtypische – ausgewogene – Verhältnis zwischen
Medien und Politik gestört. Der Hoffnung, wonach Medien das Tribunal begleiten und erklärbar machen und so zur „Genesung“ der Gesellschaft beitragen, muss eine klare Absage erteilt
werden. Die Idee, die sich nun an das ernüchternde Ergebnis anschließt ist, ob es lohnt, die
Perspektive zu wechseln, nämlich von einer westlichen zu einer asiatischen Sicht von Kommunikation. Jene asiatische Sicht, die seit Mitte der 1980er Jahre von zumeist asiatischen
Wissenschaftlern thematisiert wird.84 Ausgangspunkt eines asiatischen Kommunikationsverständnisses ist die durch religiöses Handeln hervorgerufene Harmonie zwischen Mensch und
Natur, die sich auch in einer auf Einklang ausgerichteten Kommunikation wiederfindet. Harmonie als Einheit von Mensch und Natur ist nur durch Verzicht von zumindest einigen Eigeninteressen zu erreichen. Im Ergebnis steht nicht Selbstverwirklichung im Mittelpunkt von
Kommunikation, sondern Selbstlosigkeit, die aufgrund eines in Asien weit verbreitenden Kulturmusters „Macht“ eine zentrale Autorität akzeptiert. Trotz dieser verkürzten Darstellung sei
erwähnt, dass aus westlicher Sicht eine asiatische Form von Kommunikation oft mit der Argumentation abgelehnt wird, es würde lediglich versucht, so autoritäre Verhaltensweisen zu
legitimieren.
84
hierzu Cushman/Kincaid, 1987; Dissanayake, 1996; Gunaratne, 2000
197
Das Fernsehen der Kambodschaner
Aus Sicht eines asiatischen Kommunikationsverständnisses seien die aus westlicher Sicht
defizitären Ausprägungen akzeptierbar, vor allem dann, wenn die gegenwärtige Praxis bei der
Bevölkerung mehrheitlich auf Akzeptanz stößt. Für diese von einer Input- auf eine Outputseite wechselnden Argumentation von Kommunikation lassen sich auch Beispiele für Kambodscha finden: (1) „Ich möchte, dass meine Kinder später mehr lernen als nur lesen und schreiben. Die kambodschanischen Serien zeigen sehr gut die Khmerkultur. Man sieht auch, wie
diese Kultur sich weiterentwickelt hat. Auch Ausländer die sich diese Serien anschauen, bekommen einen guten Einblick in die Kultur der Khmer. Sie sind wirklich ein gutes Abbild der
aktuellen Situation.“ 85 (2) „In letzter Zeit gab es immer wieder Verbote gegenüber zu freizügiger Kleidung. Ich persönlich finde das in Ordnung.“ 86 (3) „Ein Europäer der die Medienkultur in Belgien oder Frankreich kennt wird das ganze als viel zu schwerfällig empfinden.
Die Zuschauer in Europa könnten mit so etwas gar nichts anfangen.“ 87
Es soll abschließend nicht abgestritten werden, dass im Kommunikationsverständnis differente
Muster zur „westlichen Welt“ erkennbar sind. Diese jedoch alleinig asiatisch kulturell-religiös
zu argumentieren greift meines Erachtens deutlich zu kurz. Gerade die Entwicklung der ostasiatischen Staaten Japan, Taiwan und Südkorea haben gezeigt, dass mit steigender sozioökonomischer Entwicklung und damit einhergehender gesellschaftlicher Ausdifferenzierung sich die
„westlichen“ und „asiatischen“ Kommunikationsmuster anglichen. Und zwar nicht nur in der
Form, das „asiatische“ Muster denen des „Westens“ folgen, sondern dass gerade auf dem Gebiet der digitalen Medien die Ostasiaten zunehmend kommunikative Trends setzen.
Nachdem das Legitimieren von derzeitigen Mängeln im kambodschanischen Mediensystem
über ein asiatisches Verständnis von Kommunikation wenig plausibel erscheint, gilt es nun abschließend die Frage zu beantworten: Was ist vom Fernsehen mit all seinen Mängeln im Rahmen des Khmer-Rouge-Tribunals zu erwarten? Ich gehe davon aus, dass sich grundlegend
nichts ändern wird. Die langjährigen, oft als zäh empfundenen Vorbereitungen zum Tribunal
haben dazu geführt, dass dieses letztendlich, einerseits die Interessenslage Kambodschas, aber
auch andererseits, die der internationalen Gemeinschaft berücksichtigen wird. Dies bedeutet
schließlich, dass die Vorbereitungen, der Ablauf und auch die Urteilssprüche des Tribunals im
Einklang mit dem kambodschanischen Gesellschaftsgefüge stehen. Es wird kein Tribunal in
Form einer Siegerjustiz geben, welches die Gefahr birgt, national destabilisierend zu wirken.
Genau in jenes Gefüge reihen sich die Massenmedien ein. Kleinere Freiheiten wird das Tribunal
mit sich bringen, aber die Informationskontrolle liegt weiter beim zuständigen Ministerium.
Letztendlich wird das Tribunal einen weiteren kleinen Transformationsschritt darstellen, auf
den großen Sprung wird man wohl vergeblich warten. Somit ist das Tribunal einer von vielen
Transformationsschritten in Richtung Demokratie, den Kambodscha auf seinen sozioökonomischen Entwicklungsweg zurücklegen wird.
85
86
87
198
Interview, Bäuerin, lebt 40 km von Phnom Penh entfernt, nach Medessou, 2006
Interview, Kong Socheat, Moderatorin der Sendung „Game Cupid“ (TV3), nach Medessou, 2006
Cédric Janloes, Produzent für die Agentur MC&D (Media Consulting and Development), Medessou, 2006
Das Fernsehen der Kambodschaner
Dass die Prognose der kleinen Schritte nicht abwegig ist, sollen folgende Beispiele aus der
jüngsten Vergangenheit zeigen. Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am
03.05.2007 veröffentlichte die NGO Freedom House ihr aktuelles Ranking zur Lage der Pressefreiheit. Freedom House zählt Kambodscha 2007 erstmalig zu den Nationen mit „teilweise freien“ Medien.88 Die NGO würdigt mit der Platzierung die Zusage der Regierung, zukünftig auf
Haftstrafen gegenüber Journalisten verzichten zu wollen. Insgesamt ein erfreuliches Ereignis,
welches positiven Widerhall in der Presse fand.89 Trotz des positiven Rankings kritisierten allerdings sowohl die politische Opposition als auch die Presse die unprofessionelle Arbeitsweise
der Journalisten, die geringe Reichweite der Presse und die Blockadepolitik des Informationsministeriums.90 Ou Vireak, Präsident des Cambodian Center for Human Rights forderte die
Schließung des Informationsministeriums, da dieses nicht im Interesse der Medienunternehmen
handle.91 Informationsminister Khieu Kanharith verteidigt die Position seines Ministeriums: „I
would like to state that the success of the Ministry of Information in 2006 cannot be seen isolated from the active participation of the media of private companies, of international organizations, and of non-government organizations that played their roles and did their jobs with professionalism, adhering to a code of conduct to provide rich information to the people everywhere.“ 92 Neu an dieser Art der Kontroverse ist, dass diese nicht mehr ausschließlich in der
englischsprachigen Qualitätspresse ausgetragen wird, sondern durch das Thematisieren in der
khmersprachigen Presse nun eine breitere Öffentlichkeit erreicht.
Dass der Weg der kleinen Schritte nicht immer geradlinig verläuft, zeigt ein weiterer Vorfall
aus der bereits erwähnten ersten Maiwoche 2007. Der Herausgeber der khmersprachigen Zeitung Samleng Khmer Krom wurde ermordet aufgefunden. Derzeit sind die Gründe der Tat
nicht bekannt. Fakt ist, dass Morde und gewalttätige Übergriffe auf Journalisten eher Konfliktlösungsmuster aus den Anfängen der politischen Transformation sind. Gesellschaftlich
schien dieses Stadium der Entwicklung überwunden zu sein.
Aber auch die internationale Gemeinschaft selbst sorgt für reichliche Irritationen. Am 17.05.2007 verkündigte der zuständige UN-Pressesprecher, dass geplant sei, Rundfunkspots im Rahmen des Tribunals
zu senden. Auf die Rückfrage hin, ob für die Veröffentlichungen bezahlt wird, äußert er, dass dies nicht
nötig sein wird, da das Tribunal viel Aufmerksamkeit bekommen wird. Ein schönes Beispiel wie zwei
Welten des Unverständnisses aufeinander treffen. Auf der einen Seite eine westlich orientiere – sich auf
Nachrichtenwertfaktoren stützende – Sicht, auf der anderen Seite ein Verständnis von Journalismus,
welches von den zwei Größen, Medienprodukte als ökonomisches Gut sowie Medienprodukte als Bestandteil von Patronagenetzwerken geprägt ist. Vielleicht ist letztendlich der beste Vorschlag an alle
Beteiligten, gelegentlich die Perspektive zu wechseln – des besseren Verständnisses wegen.
88
89
90
91
92
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199
Das Fernsehen der Kambodschaner
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202
Abstract
Seit Mitte der 1990er Jahre öffnet sich Laos wirtschaftlich unter gleich bleibend restriktiver
politischer Führung. Der wirtschaftliche Aufschwung ermöglichte das Entstehen einiger privater Zeitschriften und Magazine in den letzten fünf Jahren, die jedoch zum großen Teil unkritisch berichten. In einer Momentaufnahme schneiden die laotischen Medien im internationalen Vergleich immer noch schlecht ab. Reporter ohne Grenzen schrieb im Juni 2006 einen
Brief an den laotischen Präsidenten Choummaly Saygnasone, in dem die Organisation zur
Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit aufruft. Trotz aller staatlichen Zensurmaßnahmen
sind im letzten Jahrzehnt jedoch kleinere Fortschritte im Hinblick auf eine offenere Berichterstattung im Mediensektor zu beobachten. Der Artikel gibt einen Überblick über die Medienlandschaft in Laos, stellt einzelne Magazine und Zeitungen vor und macht an exemplarischen
Beispielen die oben genannten positive Entwicklungen fest. Am Ende folgt ein Ausblick in
die Zukunft auf weitere interessante Forschungsfelder.
Autorin
Anke Timmann, geboren 1973 in Kassel. Ausbildung zur Buchhändlerin in Stuttgart. Danach
Studium an der Universität Hamburg mit den Hauptfächern Sprachen und Kulturen FestlandSüdostasiens mit Schwerpunkt auf Thailand und Laos sowie Journalistik und
Kommunikationswissenschaft. Seit 1997 regelmäßige Arbeits- und Studienaufenthalte in
Südostasien. Im Frühjahr 2000 Praktikum bei der englischsprachigen Vientiane Times in
Laos. 2002-2004 studentische Mitarbeiterin im Hans-Bredow-Institut für Medienforschung.
Im Wintersemester 2004/2005 Deutschlehrerin an der National University of Laos (NUOL).
2005 Magisterarbeit zum Thema Mediennutzung thailändischer Studierender in Deutschland.
Zurzeit tätig als Journalistin, Landeskundetutorin Laos und akademische Tutorin an der
Universität Hamburg.
204
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Ein erster Schritt in Richtung demokratischer Wandel?
Anke Timmann
1
Einleitung
Pressefreiheit lässt sich neben anderen Indikatoren als ein Gradmesser für Demokratie deuten.
Wie sieht es mit der Pressevielfalt aus? Lässt sich eine beginnende Pressevielfalt in einem autoritären Staat wie Laos als ein Indikator für Demokratie sehen? Inwieweit sich in Laos erste Anzeichen eines Medienpluralismus andeuten und wie diese im Hinblick auf einen Wandel des politischen Systems zu interpretieren sein können, soll in diesem Artikel dargestellt werden.
In einem großen Teil der Literatur über Medien und Demokratie in Südostasien wird Laos nicht
erwähnt. Das liegt zum einen daran, dass Laos als einziges Binnenland in Südostasien für die
Weltöffentlichkeit relativ unbedeutend ist und auch für die Region bis vor wenigen Jahren keine
große Rolle spielte. Zusätzlich machen die geringe Einwohnerzahl und die politische Lage, Laos
nicht zu einem attraktiven Wirtschaftsziel für ausländische Investoren. Bis Ende der 1980er Jahre
orientierte sich Laos an seinen sozialistischen Brüderländern1 und öffnete sich erst Mitte der
1990er Jahre gegenüber dem Westen.
Die wirtschaftliche Öffnung des Landes im letzten Jahrzehnt hat neben den sozialen Auswirkungen auch gravierende auf das laotische Mediensystem. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung haben sich die Medien technisch weiterentwickelt, private Medien sind entstanden und das
Internet eröffnet neue Möglichkeiten einer Anbindung an das Ausland (Duangsavanh 2002: 116).
Bisher liegen in der Forschung vor allem Studien von Mediensystemen konsolidierender Demokratien bzw. sich in der Transformation befindlichen Systemen vor (Hafez 2005: 146), so dass die
Beobachtung des sich verändernden laotischen Mediensystems vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Öffnung eines noch autoritären Regimes wissenschaftlich relevant ist.
Der Artikel gibt einen Überblick über die Massenmedien2 in Laos und ihre Entwicklung in den letzten
Jahren. Dabei wird die nicht sehr umfangreiche Quellenlage zu laotischen Medien ergänzt durch die
Beobachtungen der Printmedien vor Ort während regelmäßiger Aufenthalte zwischen 1997 und 2007
sowie die kontinuierliche Beobachtung via Internet der englischsprachigen Presse in Laos. Zusätzlich
fließen Beobachtungen mit ein, die aus Einblicken in den Arbeitsalltag laotischer Journalisten, ihre
Arbeitsbedingungen, die Nachrichtenentstehung und -auswahl3 gewonnen wurden. Einschätzungen
von laotischen und ausländischen Medienexperten4, laotischen Journalisten, Studenten, Lehrenden
und im Land lebenden Ausländern wurden anhand von unstrukturierten Interviews gewonnen, die
1
2
3
4
Die Entwicklungshilfe war bis Ende der 1980er Jahre vietnamesisch, sowjetisch und ostdeutsch geprägt.
Dazu zählen in diesem Aufsatz die publizistisch relevanten wie Printmedien, Fernsehen, Radio und Internet.
Diese Einblicke waren durch eine vierwöchige Hospitation in der Vientiane Times im Jahr 2000 möglich.
Hier gilt es immer zu bedenken, dass Verantwortliche in höheren Positionen auf brisante Fragen oftmals mit
offiziellen floskelhaften Statements antworten.
205
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
zwischen 2000 und 2007 geführt wurden. Als exemplarische Beispiele dienen verschiedene Ausgaben
der englischsprachigen Zeitung Vientiane Times und der Zeitschriften Sayo, Update, Target und
Mahason,der Jahre 2004 bis 2007 sowie die ersten laotischen Blogs5 im Internet. Diese Daten werden
im Hinblick auf eine politische Transformation eingeordnet und zu einer vorerst deskriptiven
Bestandaufnahme der derzeitigen Situation der Massenmedien in Laos verdichtet. Am Ende folgt ein
Ausblick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft und weitere interessante Forschungsgebiete. In
sensiblen Bereichen wie Politik, Militär und Medien existieren aufgrund staatlicher Restriktionen
kaum empirische und theoretische Forschungsdaten. Die Medienforschung gehört zu den
empfindlichen Themen, für die kaum eine Forschungsgenehmigung erteilt wird, da Medien und
Politik in Laos untrennbar verbunden sind.6 Aufgrund der sprachlichen Verwandtschaft zum Thai7
nutzen viele Laoten häufig thailändische Medien, vor allem das Fernsehen8. Aus diesem Grund
werden bei der Beschreibung der laotischen Medien auch die Rolle des thailändischen Fernsehens
sowie einige beispielhafte „mediale Unstimmigkeiten“ 9 zwischen den beiden Ländern erwähnt, die
auf politischer Ebene ausgetragen wurden. Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in das
wirtschaftliche und politische System von Laos nach 1975 10 gegeben werden, um die Entwicklungen
des laotischen Mediensystems besser einordnen zu können.
2
Allgemeine Daten zu Laos
Laos gehört zu einem der letzten sozialistischen Staaten Südostasiens. Nach dem Kollaps des Ostblocks 1989 schlossen sich die verbleibenden kommunistischen Staaten China, Vietnam und Laos
noch enger zusammen. Gemeinsames Charakteristikum aller drei Staaten ist die wirtschaftliche
Öffnung unter gleich bleibend restriktiver politischer Führung. Im Gegensatz zu China und Vietnam besitzt Laos jedoch keine gebildete Elite,11 die eine politische Öffnung anstoßen könnte wie
etwa 1989 in China (Evans 1995: 3).
Laos ist von Bergketten mit Höhen bis zu 2.000 Metern durchzogen. Hauptlebensader ist der Mekong,
der auf ca. 1.500 Kilometern die Grenze zu Thailand darstellt. An seinen Ufern in den wenigen fruchtbaren Ebenen des Landes befinden sich neben der Hauptstadt Vientiane die drei größten Städte Savannakhet und Pakse im Süden sowie Luang Prabang im Norden. Die 5,6 Mio. Einwohner12 leben zum großen
Teil auf dem Land. Die Hauptstadt Vientiane zählt ungefähr 250.000 Einwohner, rechnet man die Präfektur dazu sind es ungefähr doppelt so viele. Trotz der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten
5
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11
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206
An dieser Stelle vielen Dank an Khamta Khamphavong für seinen Hinweis zu den laotischen Blogs.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass seit Bestehen der englischsprachigen Zeitung Vientiane Times
und der französischsprachigen Le Renovateur immer wieder ausländische Experten in beratender Funktion
tätig sind. Während dieser Tätigkeit ist ein guter Einblick in die staatlichen Zensurmaßnahmen möglich.
In einer Befragung der Einwohner Vientianes gaben 91% an, Thai zu verstehen, vgl. Vientiane Social Survey,
1997/1998, 57.
94% gaben an, in der Woche vor der Befragung thailändisches Fernsehen genutzt zu haben, vgl. Vientiane
Social Survey, 1997/1998, 66.
Dieser Ausdruck eignet sich m.E. am besten für die immer wiederkehrenden Meinungsverschiedenheiten
zwischen Laos und Thailand, die entweder durch Medien ausgelöst oder über diese diskutiert werden.
Seit dieser Zeit ist Laos offiziell unter der Führung der Laotischen Revolutionären Volkspartei (LRVP), die
als einzige Partei zugelassen ist.
Für eine ausführliche Darstellung der politischen Opposition in Laos siehe Grabowsky, 2007.
http://www.nsc.gov.la/PopulationCensus2005.htm, 16.03.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
20 Jahre lebt der Großteil der ländlichen Bevölkerung von Subsistenzwirtschaft. Die Landwirtschaft
trägt zu über 50% zum Bruttoinlandsprodukt bei (vgl. Weggel 2005: 302). Eine öffentliche Infrastruktur
ist in Laos nur ansatzweise vorhanden, die medizinische Versorgung ist im Ausbau, es fehlen Schulen
und ausgebildete Lehrkräfte. Vor allem die Infrastruktur im Transport- und Kommunikationsbereich ist
unzureichend. 2006 gab es im Land 91.289 Festnetzanschlüsse und 777.236 Mobilfunknutzer.13
2.1
Das Wirtschaftssystem
Im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung Vietnams 1986 öffnete sich auch Laos unter dem Programm New Economic Mechanism (NEM, auf Laotisch: Chintanakan mai) von einer zentral gesteuerten Plan- in Richtung freie Marktwirtschaft. Der Privatsektor übernahm eine aktive gesellschaftliche Rolle. In den Städten bildete sich sichtbar eine kaufkräftige Mittelschicht heraus, die
aber nicht unbedingt an politischen Entscheidungen beteiligt ist. Parallel zum Wirtschaftswachstum expandierten auch die Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen.14 Die Medien
profitieren nicht nur vom wirtschaftlichen Wachstum, sie gestalten dieses auch maßgeblich mit.
Sieht man von der asiatischen Wirtschaftskrise 1997 ab, hatte Laos in den letzten zehn Jahren ein
stetiges jährliches Wachstum von ca. 6%.15 Vor allem neu erschlossene Branchen wie Bergbau,
Wasserkraft und Tourismus tragen zu einer positiven Zukunftsprognose bei (vgl. Bertelsmann
Transformation Index 2006: 16). Diese Zahlen sind jedoch zu relativieren, wenn man bedenkt,
dass Laos immer noch stark von ausländischen Entwicklungszahlungen abhängig ist, vor allem
im Bereich infrastruktureller Maßnahmen.16 Die Regierung versucht deshalb verstärkt ausländische Investoren anzuwerben (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2006: 2).
Auf dem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen im Jahr 2000 wurde die Millenniumserklärung verabschiedet. Diese hat die weltweite Bekämpfung der Armut, die Verbesserung der Lebensbedingungen und die
nachhaltige Entwicklung zum Ziel. Die Vereinbarungen sind in acht Einzelziele mit mehreren Indikatoren
aufgeteilt, zusammengefasst als „Millenium Development Goals (MDGs)“.17 Im Zuge dieser Erklärung
werden auch in Laos nationale und internationale Partner mobilisiert, um diese Ziele zu erreichen. Anhand
eines nationalen sozioökonomischen Entwicklungsplanes soll das Langzeitziel18 umgesetzt werden, Laos
bis 2020 aus der extremen Armut geführt zu haben (Millennium Development Goals Progress Report Lao
PDR: 2f.). Auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fokussiert ihre Bemühungen im Rahmen der
MDGs auf die Unterstützung im Bereich wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der ärmeren
ländlichen Bergregionen im Norden des Landes.19
13
14
15
16
17
18
19
Angabe für den Zeitraum März 2006, „More people than ever using mobiles in Laos”. In: KPL News,
16.06.2006.
http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007.
http://www.undplao.org/about/aboutlao.php, 21.02.2007.
http://www.undplao.org/about/aboutlao.php, 20.03.2007.
http://www.bmz.de/de/zahlen/millenniumsentwicklungsziele/index.html, 20.03.2007.
Für eine genaue Beschreibung der einzelnen Ziele und der jeweiligen Indikatoren in Laos siehe:
http://www.undplao.org/mdgs/index.php.
http://www.gtz.de/de/weltweit/asien-pazifik/610.htm, 02.03.2007; http://www.ded.de/cipp/ded/custom/pub/content,lang,1/oid,280/ticket,g_u_e_s_t/~/Laos.html, 02.03.2007.
207
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
2.2
Das politische System
Nach einer Phase lang andauernder Auseinandersetzungen mit Thailand und Myanmar, der Kolonisation durch Frankreich und einem Bürgerkrieg in den 1960er-1970er Jahren übernahm die Laotische Revolutionäre Volkspartei (LRVP) im Dezember 1975 die alleinige Führungsrolle des Landes.
Angehörige oppositioneller Gruppen – wozu auch die Königsfamilie mit ihren Anhängern gehörte –
kamen 1975 in Umerziehungslager oder flohen ins Ausland, die meisten von ihnen nach Australien,
Frankreich, Kanada und in die USA. 1985 hatte fast 90% der intellektuellen Elite das Land verlassen (vgl. Stuart-Fox 1996: 177). Die Flucht vor allem gebildeter Teile der Bevölkerung wirkt sich
bis heute auf die Kapazität ausgebildeter Arbeitnehmer im Land aus (vgl. Askew 2007: 159).
Die LRVP regiert in Form eines 11-köpfigen Politbüros das Land. Darunter steht ein 55-köpfiges
Zentralkomitee. Die Nationalversammlung ist inzwischen auf 115 Sitze gewachsen.20 Die Mitgliedschaft in der Partei ist Voraussetzung, um leitende Positionen, auch innerhalb der Medieninstitutionen, zu bekleiden. Laos ist ein „kommunistisch-autoritärer Staat“ (Merkel 2003: 98) und
steht damit in der Liste asiatischer Staaten neben China und Burma (vgl. ebenda: 87).
Laos bezeichnet sich offiziell als demokratische Volksrepublik. Universelle kulturunabhängige
Merkmale rechtsstaatlicher Demokratien wie allgemeine, gleiche und freie Wahlen, politische
Partizipationsrechte wie Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, bürgerliche Rechte, Gewaltenteilung, die Absicherung der effektiven Regierungsgewalt sowie zivilgesellschaftliche Strukturen (vgl. Merkel 2005: 25ff) existieren in Laos de facto nicht. Die Rechtsstaatlichkeit ist teilweise
aufgrund fehlender Gesetzgebung, teilweise aufgrund fehlender funktionierender Institutionen
und fehlendem Vertrauen der Bürger in ihr Rechtssystem erheblich beeinträchtigt. Die Bürgerrechte werden willkürlich umgesetzt, Gerichtsverhandlungen finden meist ohne ordentliche Anklageschrift statt. Reformen im Wirtschaftssystem werden langsam oder gar nicht umgesetzt, die
staatlichen Institutionen arbeiten zum großen Teil nicht transparent und unzuverlässig (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2006). Gesellschaftliche Strukturen innerhalb der laotischen Kultur sind seit Jahrhunderten durch stark hierarchisch klientelistische Patronage-Strukturen geprägt,
die großen Einfluss auf politische und auch wirtschaftliche Strukturen haben (vgl. Rehbein 2004:
200f.). Korruption stellt in Laos ein gravierendes Problem dar. Laos wurde 2005 von Transparency International 21 in den Korruptionsindex aufgenommen und mit 2.6 Punkten auf Rang 114 von
163 Ländern eingestuft.22 Von 2005 bis 2006 ist eine deutliche Verschlechterung in der Wahrnehmung von Korruption zu erkennen. Die wirtschaftliche Öffnung des Landes hat begonnen, eine politische Transformation ist vorerst nicht in Sicht. Der Bertelsmann Trendindikator23 beschei20
21
22
23
208
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Laos/Innenpolitik.html, 20.02.2007.
http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.813.0.html?&no_cache=1&sword_list=laos,
20.02.2007.
Dabei steht 0 für „hohe wahrgenommene Korruption“ und 10 für „frei von Korruption“. Dieser Index gibt
jedoch nur eine Tendenz an und differenziert nicht zwischen verschiedenen Formen der Korruption. Die Daten für Laos basieren auf vier Untersuchungen, die Abweichungen liegen zwischen 2.0 und 3.1.
http://www.transparency.de/uploads/media/06-11-03_CPI_2006_press_pack_deutsch.pdf, 20.07.2007.
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-473F0D9E/bst/BTI%202006_
Ranking_D.pdf, 20.02.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
nigt Laos im Hinblick auf demokratische Entwicklung und wirtschaftliche Transformation keine
nennenswerten Veränderungen zwischen den Jahren 2001 bis 2005. Auf dem Weg zu einer
marktwirtschaftlichen Demokratie bestehen noch gravierende Hindernisse. Der jährlich von der
amerikanischen Menschenrechtsorganisation Freedom House 24 herausgegebene Report über
„The World’s most Repressive Regimes“ zählt Laos zu den neun Ländern in der Kategorie, die
nach den repressivsten acht Ländern folgt. Kriterien für die Einstufung sind die Einhaltung politischer und bürgerlicher Freiheiten.
Evans bezeichnet Laos als „postsozialistisch“ (Evans 1995) mit starken wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die auch Auswirkungen aufs Mediensystem nach sich ziehen. Er betont im
Vorwort der Neuauflage seines Buches „Lao peasants under Socialism and Post-Socialism”: “…it
is the regimes as a political form which have survived, not socialism” (Evans 1995: 1). Der Sozialismus war in Laos nie tief verwurzelt. Die sozialistische Rhetorik ist zum großen Teil aus dem
öffentlichen Leben verschwunden. Das Wort Sozialismus kommt in der 1991 verabschiedeten
Verfassung nicht vor, seit 1992 ersetzt der Stupa That Luang als offizielles Nationalheiligtum
Hammer und Sichel im Wappen und auf Geldnoten. Nur an Parteitagen oder anderen Festivitäten
wie dem Nationalfeiertag, dem Jahrestag des Militärs und der Parteigründung sind Flaggen mit
Hammer und Sichel im öffentlichen Stadtbild zu sehen (vgl. Evans 1995: 3).
An die Stelle sozialistischer Ideologie ist ein starkes Nationalgefühl getreten, das die 49 ethnischen
Gruppen25 ausschließt, da sie nicht zur Gruppe der in Gesellschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft
dominierenden Tieflandlaoten gehören (vgl. Rehbein 2006: 235). Die in den 1950er Jahren von der
laotischen Regierung propagierte Dreiteilung der Bevölkerung in drei Hauptgruppen nach ihren jeweiligen Siedlungsgebieten ist inzwischen offiziell abgeschafft. Trotzdem beziehen sich die Presse und
auch Akademiker weiterhin auf die drei Gruppen: Lao Sung (Hochlandlaoten), Lao Theung (Laoten
der Berghänge) und Lao Lum (Tieflandlaoten) (vgl. Pholsena 2006: 154 ff). Anhänger der beiden erst
genannten Gruppen haben zum Teil eigene Sprachen, Kulturen und auch einen anderen Glauben als
den vorherrschenden Buddhismus, dem ungefähr 60% aller Laoten anhängen (Bertelsmann Transformation Index 2006: 4).
Der Buddhismus, der in Laos trotz der sozialistischen Führung nie ganz verschwunden war, erfährt im Zuge der Nationsbildung eine Wiederbelebung durch die Partei, die ihn zu ihrer Legitimierung nutzt. Die Parteiführung zelebriert buddhistische Rituale in der Öffentlichkeit26, und versucht mittels der Religion ein Gemeinschaftsgefühl und eine Verbundenheit zu erzeugen, um ein
geschlossenes Bild nach außen zu präsentieren und ein einheitliches laotisches Image aufzubauen
(vgl. Tappe 2007). Letztendlich auch, um ihre Herrschaft gegenüber äußeren und inneren Bedrohungen abzusichern. Durch die fehlende Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die geographische
24
25
26
Die Einordnung durch Freedom House ist als relative Tendenz zu verstehen. So wird Laos in der Kategorie
„nicht frei“ genannt, in der auch Nordkorea zu finden ist. Zwischen beiden Staaten bestehen jedoch erhebliche Unterschiede, was die bürgerlichen Freiheiten angeht. http://www.freedomhouse.org/uploads/WoW/2006/Laos2006.pdf, 21.02.2007.
http://www.nsc.gov.la/PopulationCensus2005.htm, 20.02.2007.
Der 1992 verstorbene Präsidenten Kaysone Phomvihane bekam ein offizielles buddhistisches Staatsbegräbnis.
209
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Beschaffenheit des Landes, die ethnische und kulturell heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung und den Druck von außen wird dieses Vorhaben erheblich erschwert.27 Unter anderem
hängt die Schwierigkeit der Nationsbildung auch damit zusammen, dass es kein klares Konzept
davon gibt, was „Laotisch“ ist und Ausbildungskonzepte in der Vergangenheit oft ohne Reflexion
aus China und Vietnam übernommen wurden (vgl. Schönweger 2006: 13).
Die National University of Laos (NUOL)28 in Vientiane wurde 1996 gegründet. Die Dependencen in Luang Prabang (Prinz Souphanouvong-Universität) und Champassak sind inzwischen eigenständig. Die ersten Masterstudiengänge sind im Entstehen. Höhere Bildungsabschlüsse
konnten bisher nur im Ausland erworben werden. Das Niveau der universitären Ausbildung liegt
deutlich unter dem der Nachbarländer und ist mit westlichen Standards nicht zu vergleichen.
1997 trat Laos der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) bei, einem Sicherheits- und
Wirtschaftsbündnis der Region. Unter dem Motto von „landlocked“ zu „land-linked“ vernetzt
sich Laos aktiv innerhalb der Region und erfährt im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der
gesamten Region eine aufwertende Rolle. Laos war Gastgeber für den 10. ASEAN-Gipfel 2004,
das ASEAN-Ministertreffen, das ASEAN-Regionalforum und die ASEAN-Inter-ParlamentsOrganisation (vgl. UNDP 2006: VI). „An die Stelle von übermächtiger kriegerischer Bedrohung
ist eine unterstützende, kooperative Politik getreten“ (Rehbein 2006: 227). Zu beobachten ist parallel auch eine starke regionale Vernetzung von Journalisten innerhalb der ASEAN-Staaten (vgl.
Thammavongsa 2006). Medien und die Diskussion über ihre Funktion und Handlungsspielräume
sowie die Ausbildung von Journalisten nehmen eine zunehmend bedeutendere Rolle innerhalb der
ASEAN ein (vgl. Altendorfer 1999: 96).
3
Das Mediensystem in Laos
Die Printmedien und der Rundfunk in Laos sind zentral durch das Ministerium für Information und
Kultur verwaltet, das die notwendigen Zulassungslizenzen vergibt (vgl. Altendorfer 1999: 98). Die
Mitarbeiter der Medien sind Angestellte der Regierung und beziehen ihr Gehalt vom Staat.29
Art. 44 der 2003 geänderten laotischen Verfassung garantiert Meinungs- und Pressefreiheit: „Lao
citizens have the right and freedom of speech, press and assembly; and have the right to set up associations and to stage demonstrations which are not contrary to the laws. “ (Amended Constitution of the Lao People’s Democratic Republic 2003: 8). De facto werden diese Rechte jedoch
nicht immer umgesetzt, es wurde in Laos zum Beispiel noch nie eine offizielle Demonstration genehmigt (vgl. Mors 2000: 344f).
Um den Anforderungen einer wirtschaftlichen Öffnung gerecht zu werden, erließ das Politbüro
1993 Richtlinien für die Presse: „Resolution of the Politburo of the Lao People's Revolutionary
Party (LPRP) to Increase Party Leadership in and State Control of the Mass Media in the New
27
28
29
210
Für eine detaillierte Beschreibung aktueller Reformen in Laos siehe Stuart-Fox, Martin (2005): Politics and
Reform in the Lao People’s Democratic Republic. Working Paper No. 126. Murdoch University. Perth.
http://wwwarc.murdoch.edu.au/wp/wp126.pdf, 16.01.2007.
Im Internet zu finden unter: www.nuol.edu.la.
Das übliche Gehalt eines Beamten liegt je nach Alter und Position zwischen 30-50 US$ monatlich.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Era.” 30 Wie der Titel schon andeutet, betonen diese Richtlinien die staatliche Kontrolle über die
Massenmedien und deren Einsatz als offizielle Verlautbarungsorgane der Parteipolitik. In ihnen
ist auch festgelegt, dass die Massenmedien sich um eine bessere Qualität bemühen sollen, um den
Anforderungen der Nutzer nach qualitativ und inhaltlich ansprechenden Programmen gerecht zu
werden. Außerdem beinhalten sie die Kürzung staatlicher Zuwendungen für die Medien und die
Aufforderung an diese, neue Einnahmequellen zu generieren.31
1996 folgte das Dekret Nr. 96 des Politbüros, das genauere Richtlinien festlegte, wie die Massenmedien zu organisieren sind. Das Strafmaß für kritische Berichterstattung kann bis zu 15 Jahre
Gefängnis betragen (vgl. Klein 2004: 4). Die volle und letztendliche Verantwortung für die Einhaltung der Richtlinien wurde den verantwortlichen Herausgebern und Managern der einzelnen
Medien übertragen.32
Der Entwurf eines Pressegesetzes befindet sich seit 2002 im Abstimmungsprozess in der Nationalversammlung. Wann das Pressegesetz endgültig verabschiedet wird, ist nicht vorhersehbar.33
Mit dem neuen Gesetz verknüpft sind Hoffnungen, dass die Recherchearbeit der Journalisten erleichtert wird und sie ihre Arbeit mit mehr Selbstbewusstsein ausführen, weil sie gesetzlich vor
willkürlichen Abmahnungen geschützt werden.34
Bisher greift der „Lao Journalists Code of Ethics“, den die Lao Journalists Association – der alle
Medienbetriebe angehören – 1998 formuliert hat (vgl. Morgan/Loo 2000: 304). Darin wird die
Rolle der Medien als „scharfes Instrument“ und „Vehikel der Partei“ mit der Aufgabe der „Verbindung zum Volk“ festgelegt (ebenda: 305). „The stated role of the mass media in Laos is to reflect the policies and plans of the Lao People’s Revolutionary Party (LPRP) and government in
all areas and activities, providing a link between the Party, the State and the masses.” 35 Medien
haben in Laos laut offiziellen Angaben die Aufgabe die Parteiführung bei der Entwicklung des
Landes zu unterstützen, die Bevölkerung über aktuelle Parteientscheidungen zu informieren und
„gegenseitige Freundschaft“ und „Verständnis innerhalb der asiatischen Länder zu fördern und
zu erhalten“ 36. Dabei sollen „Verzerrungen und Fehlinterpretationen“ (Razmountry 2004) von
Ereignissen vermieden werden, was u.a. das Verbot einer kritischen Berichterstattung über befreundete Staaten wie China und Vietnam einschließt.
Vergleicht man diese Zuschreibung der Medienfunktionen in Laos mit den klassischen normativen Demokratiefunktionen Informations- Artikulations-, Kritik- und Kontrollfunktion sowie In-
30
31
32
33
34
35
36
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-914.html, 22.01.2007.
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-966.html, 20.02.2007.
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-966.html, 20.02.2007.
Interviews mit Viraphone Singhavara, Leiter des Bereichs der Regulatorischen Abteilung in der Abteilung
Massenmedien des Ministeriums für Information und Kultur und Som Dedvongsa, Vizedirektor der Abteilung
Kommunikation und Massenmedien des Ministeriums für Information und Kultur, 02.01.2007, Vientiane.
Interviews mit (a) Somkiao Kingsada, Verantwortlicher der Abteilung Fernsehen und Radio der Massenorganisation Lao Youth Union, 09.12.2006, Vientiane; (b) Savankhone Razmountry (s.o.).
http://www.culturalprofiles.net/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-53.html, 20.01.2007.
Zitat Savankhone Razmountry, Chefherausgeber der Vientiane Times im Interview, 14.12.2006.
211
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
tegrations- und Sozialisationsfunktion, die den Medien im Allgemeinen zugesprochen werden
(vgl. Weischenberg 2002: 95) ergibt sich folgendes Bild.
Die Informationsfunktion laotischer Medien ist durch staatliche Vorgaben und durch die Selbstzensur der Journalisten stark eingeschränkt. Ein wichtiges Instrument ist hierbei das Nichterwähnen von Ereignissen. Die Autorin und mehrere Journalisten der Vientiane Times arbeiteten noch,
als am Abend des 30. März 2000 ein Granatanschlag auf ein touristisches Restaurant in der Innenstadt stattfand. Das Restaurant liegt in unmittelbarer Nähe der Redaktion, so dass die noch anwesenden Journalisten sofort vor Ort waren und sich mit Augenzeugen und Verletzten unterhielten.
In der nächsten Ausgabe wurde das Ereignis nicht erwähnt. Es gab weder einen Bericht über den
Vorfall, noch über eventuelle polizeiliche Ermittlungen. Durch ein australisches BBC-Team, das
zufällig vor Ort war und Touristen, die Mails nach Hause schickten, konnte der Anschlag jedoch
nicht geheim gehalten werden und die internationale Presse berichtete darüber. Nach einer Reihe
weiterer kleiner Anschläge in den Jahren 2000-2001 reagierte die laotische Presse auf internationale Medienberichte, es handele sich um Konkurrenzstreitigkeiten unter Geschäftsleuten bzw. um
Kinder, die mit Knallkörpern gespielt hätten. Ähnliche kleinere Vorfälle zuvor drangen aufgrund
fehlender Medienberichterstattung nie an die ausländische Öffentlichkeit.
1999 gab es eine pro-demokratische Demonstration mit der Forderung nach einer politischen Liberalisierung. Die Anführer wurden aufgrund „regierungskritischer Aktivitäten“ verhaftet und zu einer
Gefängnisstrafe von 20 Jahren verurteilt.37 Dieses Ereignis wurde in den nationalen Medien nicht
erwähnt. Über den weiteren Verbleib der fünf namentlich bekannten Oppositionellen ist nichts bekannt. Neben diesen zwei Beispielen gab es weitere Vorfälle, die hier nicht erwähnt werden. Anhand der Beispiele soll verdeutlicht werden, wie die Zensur auch mit Ereignissen dieser Größenordnung umgeht. Die Bevölkerung wird nicht von den eigenen Medien informiert, sondern von den
ausländischen, im ersten Fall vor allem von den thailändischen Medien. Durch Verschweigen solcher Ereignisse tragen die Medien in Laos nicht dazu bei, ihre Glaubwürdigkeit zu steigern.
Die Artikulationsfunktion der Medien ist im „Code of Ethics“ als eine Aufgabe der Medien festgelegt (vgl. Morgan/Loo 2000: 304). Die laotischen Medien tragen aber außer Propaganda für die Parteiführung (vgl. Billig 2007: 20) nicht zu einem öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess bei. Die Bürger haben kaum Möglichkeiten der politischen Partizipation. Die Mobilisierung der
öffentlichen Meinung erfolgt weiterhin staatlich gelenkt mit dem Ziel die Richtlinien der Partei einheitlich umzusetzen. Die Medien sind durch staatlich gesteuerte Vorgaben gezwungen, dem Volk
ein einheitliches Bild des Landes und der politischen Führung zu propagieren, obwohl diese teilweise selber gespalten ist (vgl. Rehbein 2006: 233). Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe hinter den Kulissen der politischen Führung gelangen nicht an die Öffentlichkeit (vgl. Siebert 2002:
109).
37
212
http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/f0816c71a623cf52c1256
aa00042d3cd?OpenDocument, 20.02.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Rehbein spricht von ambivalenter Propaganda. Die Medien verbreiten ein Bewusstsein der Armut,
das in der Bevölkerung den Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung weckt. Dieser löst wiederum eine Art kulturelle Globalisierung aus, die die Furcht vor dem Verlust traditioneller Werte
schürt. Eine Orientierungslosigkeit entsteht, in der sich Menschen von nationalistischen Ideen beeinflussen lassen (vgl. Rehbein 2006: 233).
Laotische Medien können und wollen ihre Kritik- und Kontrollfunktion nicht wahrnehmen. In Laos
existiert kein zentrales Zensursystem (Loo 2001: 25), der jeweilige Herausgeber ist verantwortlich
für den Inhalt und fungiert als Zensor im eigenen Medienbetrieb. Hohe berufliche Positionen – auch
innerhalb der Medien – sind mit einer Parteimitgliedschaft verknüpft. Auf diese Weise werden
Richtlinien der Parteiführung direkt in den Medienbetrieben durch Parteimitglieder umgesetzt und
ambitionierte Journalisten, die das nötige journalistische Handwerkszeug für investigative Recherchen besitzen, haben keine Chance ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.38 Werden kritische Berichte
veröffentlicht so ist davon auszugehen, dass dies im Sinne des Herausgebers war – zumindest bei
der englischsprachigen Presse, auf die sich die Einzelbeispiele beziehen. Ein wöchentliches Treffen
im Ministerium für Information und Kultur bei dem schon veröffentlichte Artikel besprochen werden ist für die Journalisten Pflicht (vgl. Spallek 2005). Im Vorfeld von wichtigen politischen Ereignissen wie internationale Staatsbesuche, Partei-, Geburts- oder Todestage hochrangiger Politiker
wird eine entsprechende Berichterstattung angeordnet. Anrufe entsprechender Ministerien bei nicht
linientreuer Berichterstattung gehören zum journalistischen Alltag. Die Medien stellen somit keine
Kontrollinstanz der politischen Führung dar, sondern werden von dieser kontrolliert.
Die Möglichkeiten, die sich trotz der restriktiven Rahmenbedingungen bieten, werden nicht immer genutzt. Schon 2000 stand den Journalisten der Vientiane Times im Newsroom die Nutzung
ausländischer Medien wie u.a. BBC und CNN zur Informationsgewinnung zur Verfügung. Das Interesse der Journalisten an der Außenwelt war jedoch gering. Auch das Internet wurde nur von
wenigen als Instrument zur Informationsbeschaffung genutzt. Die schlechte Bezahlung und die
dadurch notwendige Suche nach alternativen Zusatzeinkünften zur Überlebenssicherung der Familie beeinträchtigt die journalistische Arbeitsmotivation erheblich (vgl. Altendorfer 1999: 98f;
Khammalovong o. J.: 8). Hinzu kommt die ungenügende journalistische Ausbildung in Laos.
Bisher gibt es keine umfassende technische und theoretische Ausbildung für Journalisten. Die
meisten lernen noch immer durch die Methode „Training on the job“: „Media does not know its
own role and functions because they fear of everything they say. This may be caused by the lack of
media development. We do not have media school and all journalists learn journalism from their
senior colleagues” (vgl. Khammalavong o. J.: 8). Das Fehlen einer Reflektion über die Aufgaben
38
Ein Journalist der Vientiane Times führte 2000 eine umfangreiche Recherche über Drogenmissbrauch Jugendlicher in Vientiane und die damit verbundene nächtliche Prostitution Abhängiger am Busbahnhof
durch. Er beobachtete die Vorgänge einige Nächte und befragte die beteiligten Jugendlichen. Auch die Hintergründe des Drogenhandels in Laos wurden beschrieben, der Artikel enthielt eine UNDP (United Nations
Development Programme)-Karte der Opiumanbaugebiete in Laos und war als journalistisch hochwertig zu
bezeichnen. Der Artikel wurde nicht gedruckt mit der Begründung, dass Probleme nur thematisiert werden,
wenn sich dafür gleichzeitig Lösungsansätze formulieren lassen.
213
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
des Journalismus ist im journalistischen Alltag deutlich zu spüren. Vor allem den jüngeren Journalisten fehlt der Anstoß, kritisch über die eigene Rolle zu reflektieren.
Seit 2005 gibt es einen fünfjährigen Bachelorstudiengang Journalism an der National University
of Laos (NUOL). Dieser beinhaltet journalistisches und technisches Training. Die ersten Absolventen werden 2010 abschließen, dann wird sich zeigen, ob sie die Erwartungen im Hinblick auf
eine gravierende Entwicklung des Journalismus in Laos erfüllen.39
Die Parteiführung erkennt die Entwicklung der Medien und die Ausbildung von Journalisten als
wichtige Aufgabe an (vgl. Duangsavanh 2002: 116). Im sozioökonomischen Fünfjahresplan 20052010 sind die Ausbildung der Journalisten und die Verbesserung der Massenmedien ausdrücklich
erwähnt.40 Als Auswirkungen des Wirtschaftswachstums erhofft sich die Regierung eine technische
und inhaltliche Professionalisierung der Medien (Louanedouangcha o. J.: Expectation and New Hope in the Media Growth). In der Vientiane Times wurde 2001 Kritik an laotischen Journalisten
veröffentlicht: “Journalists in Laos are criticised by not only the public but also the government for
their laziness and unsharpness” (vgl. “Fear of new journalism”. In: Vientiane Times vom 03.05.07.2001. 1, 12). Ein gutes Beispiel für die im Artikel zitierte Faulheit ist der nicht vorhandene
Bericht über die Bombenanschläge von Bangkok in der Neujahrsnacht 2007. Sie werden in der ersten Ausgabe der Vientiane Times des Jahres 2007 vom 2. Januar selbst zwei Tage nach den Ereignissen nicht erwähnt. Die Zeitung war schon vor Neujahr fertig gestellt, damit die Journalisten am
Neujahrstag, der inzwischen auch im buddhistischen Laos gefeiert wird, nicht arbeiten mussten.41
Die Sozialisations- und Integrationsfunktion werden nur für einen Teil der Bevölkerung wahrgenommen. Die Dominanz der Tieflandlaoten in den gesellschaftlich wichtigen Bereichen führt dazu, dass die Medien Werte, Normen und Vorstellungen der Tieflandlaoten kommunizieren. Bergvölker und ihre Belange bekommen so gut wie keine Stimme in den Medien. Seit einiger Zeit bekommen Angehörige der Hmong42, verstärkt die Aufmerksamkeit ausländischer Medien. 2003
wurde der belgische Journalist Thierry Falise, sein französischer Kameramann Vincent Reynaud
und Naw Karl Mua, ihr amerikanischer Dolmetscher laotischer Herkunft verhaftet, nachdem sie
einen Film über Angehörige der Hmong gedreht hatten. Sie wurden zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, jedoch nach kurzer Zeit freigelassen.43 Wenig später gelang es Ruhi Hamed von der
BBC, unbemerkt von den laotischen Behörden einen Film über die Hmong zu drehen.44
39
40
41
42
43
44
214
http://www.culturalprofiles.org.uk/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-970.html, 28.02.2007.
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-914.html, 28.02.2007.
Interview mit einer australischen Journalistin, die als Beraterin bei der Vientiane Times arbeitet, 02.01.2007,
Vientiane.
Angehörige der Hmong kämpften im Vietnamkrieg, der als „secret war“ auch auf laotischem Boden geführt
wurde an der Seite der USA. Nach der Machtergreifung der Kommunisten 1975 floh ein Großteil von ihnen
in die USA. Einige versteckten sich im Dschungel. In letzter Zeit gibt es vermehrt Übergriffe laotischer Regierungssoldaten auf diese Gruppen. Für eine ausführliche Darstellung siehe: http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=987&PHPSESSID=285446056f828ec9b01e0c361bd52940, 24.03.2007.
http://www.freemedia.at/cms/ipi/freedom_detail.html?country=/KW0001/KW0005/KW0121/&year=2003,
22.02.2007.
http://www.gfbv.de/report.php?id=16, 24.02.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Die Erziehungsfunktion der Medien ist wie in anderen politisch restriktiven Staaten auch in Laos
sehr ausgeprägt. Am deutlichsten im Medium Radio, das die meisten Menschen erreicht, weil es
in den abgelegenen Regionen des Landes empfangbar ist.
Journalismus in Laos bewegt sich zwischen Zensur und Selbstzensur. Das in Trainings und
Workshops erworbene Wissen und das journalistische Handwerkszeug sind im journalistischen
Alltag durch die Rahmenbedingungen wie Zensur durch die Herausgeber und Medienverantwortliche sowie durch Selbstzensur oft nicht umsetzbar (vgl. Siebert 2002: 108f.; Loo 2001: 29).
Die internationale Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ordnet Laos in ihrem
jährlichen „Bericht zur Situation der Pressefreiheit 2006“ 45 weltweit auf Rang 156 von 168 Staaten
ein. In einem Brief an Präsident Choummaly Sayasone vom 23. Juni 2006 forderte ROG zu radikalen Reformen im Mediensektor auf, um eine unabhängige Presse zu etablieren und die Rechte der
Journalisten zu stärken.46 Freedom House stuft die laotische Presse in ihrem jährlichen Report
„Freedom of the Press“ 47 als „nicht frei“ ein.
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Funktionen und der Einordnung des laotischen
Mediensystems im Hinblick auf die Presse- und Meinungsfreiheit soll im folgenden Teil ein
Überblick über die einzelnen laotischen Medien: Print, Radio, Fernsehen und Internet gegeben
werden, mit deutlichem Fokus auf die Printmedien48 und dem Internet, da hier bereits Veränderungen hin zu mehr Vielfalt zu sehen sind.
3.1
Die Presse in Laos
Es gibt drei Tageszeitungen in laotischer Sprache: Pasaxon 49 (Das Volk), Vientiane Mai 50 (Neues
Vientiane) und Pathet Lao 51 (Das Land Laos). Die größte Leserschaft hat die Vientiane Mai
(48,1%), gefolgt von der Pasaxon (33,2%) und der Vientiane Times (5,3%). Der Rest entfällt auf
andere (5,3 %) (vgl. Vientiane Social Survey Project 1997-1998: 63). Die englischsprachige Zeitung Vientiane Times 52 existiert seit 1994. Bis 1996 erschien sie als wöchentliches Tabloid, danach
zweimal die Woche jeweils dienstags und freitags und seit 2004 montags bis freitags.53 Seit Anfang
2007 erscheint eine Samstagsausgabe.54 Die französischsprachige Wochenzeitung Le Renovateur 55
existiert seit 1998. Im Vergleich zu den laotischen Zeitungen sind die Vientiane Times und Le Renovateur deutlich progressiver. Die Hauptzielgruppe der englisch- und französischsprachigen Presse
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55
http://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste-2006.html, 20.06.2007.
http://www.rsf.org./article.php3?id_article=18109, 21.02.2007.
http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=251&country=6997&year=2006. 21.02.2007.
Für eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Printmedien siehe http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-968.html, 24.03.2007.
Im Internet zu finden unter: http://www.pasaxon.org.la.
Im Internet zu finden unter: http://www.vientianemai.net.
Bisher noch keine Internetpräsenz.
Die Internetseite der Papierausgabe ist www.vientianetimes.org.la und hat trotz gleichen Namens nichts mit
der Seite www.vientianetimes.com zu tun. Letztere wird von einem Exillaoten in den USA betrieben und
stellt seit 10 Jahren Nachrichten unterschiedlicher Medien über Laos ins Netz.
http://www.vientianetimes.org.la/About_us.htm, 21.02.2007.
„Announcement”. In: Vientiane Times, 18.12.2006. S. 2.
Im Internet zu finden unter: http://www.lerenovateur.org.la.
215
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
sind ausländische Experten und Touristen (vgl. Spallek 2005), da die Sprachkenntnisse vieler Laoten nicht ausreichen, um die ausländische Presse zu lesen.
Die Analphabetenrate in Laos beträgt ca. 30%.56 Laos ist ein Land mit oraler Tradition, es existiert keine ausgeprägte Lesekultur wie im benachbarten Vietnam. Damit zusammenhängend fehlt
auch „Lesestoff“ (vgl. Timmann 2007). Die Auflagen der Tageszeitungen liegen in der Regel
zwischen 2.000-10.000 Exemplaren (Morgan; Loo 2000: 313). Bedingt durch die schlechte Infrastruktur außerhalb der größeren Städte und die geographische Beschaffenheit des Landes ist der
Vertrieb von Druckerzeugnissen äußerst beschwerlich. Von den knapp 6 Mio. Einwohnern haben
nur etwa 30% Zugang zu Printmedien.57 Außerhalb Vientianes sind kaum Buchhandlungen und
Verkaufsstellen für Zeitungen und Zeitschriften zu finden.58 In Luang Prabang, der zweitgrößten
Stadt, ist es nicht möglich eine laotische Tageszeitung zu kaufen.59 Auf dem Campus der National
University of Laos (NUOL) in Vientiane gibt es seit 2005 einen Kiosk, der aktuelle Zeitungen und
Zeitschriften verkauft. Hier ist eine gewisse Lesetradition vorhanden. Studenten nutzen die Möglichkeit, in der Pause laotische Tageszeitungen in der Bibliothek der Universität zu lesen. Interessant wäre hier eine Nutzungsstudie laotischer Medien, um zu untersuchen, welche Inhalte gelesen
werden. Es ist zu vermuten, dass Studenten ein gesteigertes Informationsbedürfnis besitzen.
Die Vientiane Times ist seit November 2006 Mitglied im Asian News Network (ANN).60 Das
Netzwerk unterstützt die Vernetzung Laos’ innerhalb der asiatischen Staatengemeinschaft. Mit
dem Austausch von Nachrichten sind laotische Journalisten nicht mehr von westlichen Nachrichtenagenturen abhängig. Fast in jeder Ausgabe der Vientiane Times im Dezember 2006 ist eine
Anzeige des ANN abgedruckt. In dieser ist zu sehen, welche Zeitungen dem ANN angehören. Sie
ist als Betonung der schon erwähnten medialen regionalen Integration zu sehen, neben der wirtschaftlichen und politischen Integration. Damit verknüpft sind die Hoffnung einer Stärkung der
Region und ein Bestreben nach Unabhängigkeit von den westlichen Ländern, zumindest was die
Informationsbeschaffung angeht.61
Seit 2004 gibt das UNDP-Büro62 in Vientiane viermal jährlich ein Printmagazin auf Laotisch und
Englisch heraus: Yuth Pakai, was übersetzt soviel wie „den Funken entzünden“ bedeutet. Die
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62
216
http://hdr.undp.org/reports/global/2005/pdf/HDR05_HDI.pdf, 22.02.2007.
http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.02.2007.
„Where to buy Vientiane Times“. In: Vientiane Times, 02.01.2007. Bei der Auflistung aller ihre Verkaufsstellen im Land kommt die Vientiane Times auf 13, davon eine in Luang Prabang.
Nur durch Zufall bekam ich in Luang Prabang eine drei Tage alte Ausgabe der Vientiane Mai, die in einem
Laden als Verpackung genutzt wurde.
Asian News Network (ANN) ist ein Zusammenschluss englischsprachiger Zeitungen in Asien. Das Netzwerk
wurde 1999 von Herausgebern englischsprachiger Zeitungen in Asien gegründet, die sich auf dem ersten asiatisch-deutschen Herausgeberforum organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Manila trafen. Es soll die
Berichterstattung über wichtige Ereignisse in Asien verbessern, Mitgliedern verlässliche Quellen liefern und
professionellen Journalismus in der Region und die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten der 13 Länder
fördern. Laut eigenen Angaben deckt das Netzwerk 14 Mio. Zirkulationen und eine Leserschaft von 50 Mio.
ab. http://www.asianewsnet.net, 20.03.2007.
Interview mit Savankhone Razmountry, Herausgeber der Vientiane Times und der Le Renovateur, 14.12.2006,
Vientiane.
United Nations Development Programme
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Vollversion ist auf Englisch und Laotisch auch im Internet zu finden.63 In diesem werden aktuelle
Forschungsergebnisse von Laoten und Ausländern über Laos veröffentlicht. Das Magazin versteht sich als Forum, in dem es um die Entwicklung des Landes und den Austausch geht. Einige
der Beiträge sind durchaus kritisch. In Heft 4 geht es um die Auswirkungen von Korruption in
ausländischen Hilfsprojekten (vgl. Feuer 2005). Die Veröffentlichung einer solchen Zeitschrift
lässt sich wohlmeinend als Zeichen einer Öffnung interpretieren. Von großem Interesse ist, wie
sich die Leserschaft von Yuth Pakai zusammensetzt, wie viele Laoten das Angebot tatsächlich
kennen und wahrnehmen, ob die angebotenen Inhalte von allgemeinem Interesse sind und ob sie
auch von Lesern ohne akademischen Hintergrund verstanden werden.
Das Zentralkomitee der Partei, staatliche Institutionen wie die Massenorganisationen Lao Women’s Union und Lao Youth Union, die Lao Journalist Association, das Militär, der Fischereiund Bauernverband und andere Organisationen geben knapp 60 wöchentlich, monatlich oder jährlich erscheinende Magazine und Mitgliederzeitschriften heraus. Davon ist der größte Teil in
Staatsbesitz. Ob die Publikationen erscheinen hängt von der finanziellen Situation dieser Organe
ab (vgl. Duangsavanh 2004: 115f). Aloun Mai (neuer Morgen) und Khosana (Propaganda), zwei
der ersten vom Zentralkomitee der Partei herausgegebenen Magazine mit einer Auflage von jeweils ca. 2.000 Stück, erscheinen seit Mitte der 1980er Jahre. Ziel dieser Magazine ist die
Verbreitung der Parteiideologie und die Beantwortung von sozialen Fragen, die im Zuge neuer
Entwicklungen aufgeworfen werden. Seit 2004 propagiert ein weiteres staatliches Magazin Wattanatham (Kultur) laotische Kultur in Form von Artikeln über Kultur, traditionelle Festivitäten,
Kunst und Handwerk. Das zweisprachig Laotisch-Englische Magazin soll die laotische Nationsbildung unterstützen und gleichzeitig nach außen ein einheitliches Bild laotischer Kultur und Geschlossenheit vermitteln.64
Seit einigen Jahren vergibt das Ministerium für Information und Kultur Lizenzen an private Unternehmen für die Herausgabe von Zeitschriften. Dadurch ist im Bereich der Printmedien seit Anfang des Jahrtausends ein neues Angebot entstanden und eine Segmentierung in einzelne Bereiche
wie Musik-, Travel-, Business- und Lifestylemagazine zu beobachten.
Zu einem der ersten privaten Magazine gehört das monatlich erscheinende private Business-Magazin
Update.65 Es erscheint seit 2002 mit einer Auflagenhöhe von 6.000 Exemplaren zweisprachig auf Englisch und Laotisch mit dem Zweck: „to provide readers with three important types of information how to make money, how to maintain good health and how should women beautify themselves”'66.
Seit Anfang 2004 erscheint Sayo mit einem professionellen und einheitlichen Layout. Das Magazin bezeichnet sich als Business, Travel und Lifestyle Magazin und ist absolut unpolitisch. Themen reichen von
Shopping-Tipps für hochpreisige Produkte, Städtetrips in Nachbarländer wie Thailand und Vietnam, die
Vorstellung laotischer Provinzen über Modestrecken bis hin zu Ernährungs-, Diät- und Sporttipps.
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66
http://www.undplao.org/newsroom/juthpakai.php.
http://www.culturalprofiles.net/laos/Units/810.html, 22.02.2007.
Herausgeber ist ein ehemaliger Journalist der Vientiane Times: Annoulack Khammalavong.
http://www.culturalprofiles.net/laos/Units/1030.html, 20.03.2007.
217
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Seit August 2006 erscheint ein neues Wirtschaftsmagazin: Target.67 Der Herausgeber hat in Australien studiert, wie dem Editorial zu entnehmen ist. Im Beirat sitzt Viseth Svengsuksa, ein laotischer Autor, der 2002 den südostasiatischen Autorenpreis bekam. Im Editorial der DezemberAusgabe 2006 wird der LRVP zum Jahrestag der Staatsgründung gratuliert und die positive wirtschaftliche Entwicklung des Landes unter der Parteiführung betont. Die Berichterstattung ist linientreu und unkritisch und an manchen Stellen eine einzige Lobeshymne auf die Partei (vgl. Keosouvanh 2006: 44). Beworben werden teure Markenprodukte aus den Bereichen Auto und Technik.
Seit 2006 erscheint alle zwei Wochen das großformatige Lifestyle-Magazin Mahason. Der Inhalt
erscheint willkürlich zusammengesetzt aus bunten Themen wie Kommunikations-, Restaurantund Schminktipps, Rezepte und Sport. Werbung dominiert das Magazin. In der Ausgabe Nummer
16 vom 30.11.2006 macht allein die Werbung der Laotischen Telefongesellschaft „Lao Telecom“
zu ihrem 10-jährigen Bestehen elf von insgesamt 47 Seiten aus.
Alle Zeitschriften erscheinen zweisprachig (Laotisch, Englisch). Auch die Werbung erscheint
zum größten Teil zweisprachig. Bei der Betrachtung der Inhalte ist am hohen Anteil der Werbung
einzelner Ausgaben gut zu sehen, dass die jungen Magazine ihr Entstehen und Überleben am
Markt dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Ermöglichung einer Medienfinanzierung über
Werbeeinnahmen verdanken. Im Bereich des Werbeaufkommens spüren die bereits vorhandenen
Publikationen wie Tageszeitungen die Konkurrenz der neuen Magazine deutlich.68 Vorsichtig
könnte man dies den Beginn einer Kommerzialisierung der Presse nennen. Dieser Prozess läuft
parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, die zumindest in den größeren Städten eine
kaufkräftige Mittelschicht hervorbringt, die sich erstens die Magazine und zweitens die beworbenen Produkte leisten kann. Zielgruppe dieser Magazine sind nicht nur Ausländer, sondern auch
Laoten, die sich für Wirtschaft und Lifestyle interessieren. Lifestyle-Journalismus deckt einen
großen Teil der Nachfrage der jungen Generation. Es zeichnet sich ab, dass in Zukunft wirtschaftliche Gruppen oder Interessenverbände versuchen, Einfluss auf die Medien auszuüben.
Inwieweit diese Magazine durch ihre Zweisprachigkeit eventuell Auswirkungen auf die Sprachkenntnisse der Bevölkerung haben wird sich in weiteren Untersuchungen in der Zukunft zeigen
müssen. Interessant erscheint hier vor allem eine Untersuchung der Entstehungsgeschichte der
Magazine und ihre Besitzverhältnisse. Der kleine staatliche Printsektor bekommt die Konkurrenz
des privaten Sektors deutlich zu spüren: „Small in size and lacking modern equipment and facilities, the Lao state publishing sector is heavily dependent on its exclusive newspaper printing
rights to remain cost-effective in the face of growing competition from the private sector.” 69
67
68
69
218
http://www.targetlao.com.
Interview mit Savankhone Razmountry, Herausgeber der Vientiane Times und der Le Renovateur, 14.12.2006,
Vientiane.
http://www.culturalprofiles.net/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-252.html, 20.03.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
3.2
Laotisches Radio (LNR)70
1975 begann das Laotische Nationale Radio (LNR) mit sechs Stationen zu senden. Inzwischen
sind es 31 Stationen landesweit, die Programme in AM und FM über Satellit ausstrahlen. Reichere Provinzen wie Savannakhet im Süden und Luang Prabang im Norden produzieren eigene Programme, während die restlichen Provinzen überwiegend Material senden, das in Vientiane produziert wird. Das LNR erreicht etwa 80%71 der Einwohner von Laos und hat es geschafft, sich durch
einen höheren Anteil an Unterhaltungssendungen, auch außerhalb von Laos eine Hörerschaft im
nordöstlichen Teil Thailands – dem Isaan72 – zu sichern. Das LNR strahlt im Norden Programme
in den Minderheitensprachen Khamu und Hmong aus. UNDP errichtete im Norden des Landes
eine Radiostation. Ziel des Projektes ist den Informationsbedarf der dortigen Bevölkerung – vor
allem Angehörige ethnischer Minderheiten – zu erkunden und dieser die Möglichkeit aktiver Partizipation an Informationsvermittlung zu eröffnen (vgl. UNDP 2006b).
3.3
Laotisches Nationalfernsehen (LNTV)
Auch das Laotische Nationalfernsehen untersteht dem Ministerium für Information und Kultur.
Bis 1993 wurde es unter einer Einheit mit dem Radio verwaltet, seit 1993 gibt es das Laotische
Nationalfernsehen, das von etwa 50%73 der laotischen Einwohner empfangen werden kann. Gesendet wird auf Kanal 1 und 3 laotisches Programm. Zusätzlich gibt es vietnamesisches Programm. Zwischen 2002 und 2004 gab es ein Joint Venture mit dem internationalen französischen
Programm TV5. Die Verträge wurden 2004 nicht verlängert. Ein thailändisch-laotisches Programm im Grenzgebiet zu Thailand wurde kurzzeitig 1993 ausgestrahlt, aber aus nicht geklärten
Gründen wieder eingestellt (vgl. Morgan/Loo 2000: 308).
“The objectives of LNTV are to inform, entertain and educate Lao people by promoting the national development, preserving and developing Lao culture and identity and promoting mutual
understanding among the ASEAN people and the world.” 74
Aufgrund begrenzter technischer, finanzieller und personeller Mittel ist das laotische Fernsehen im
Vergleich zu Radio und den Printmedien am rückständigsten. Die Konkurrenz des thailändischen
Fernsehens ist mit seiner technisch und inhaltlich besseren Qualität im Vorteil, laotische Fernsehzuschauer ziehen thailändische Programme den laotischen vor.75 Selbst technisch hochwertige Beiträge anderer Organisationen verlieren durch die Ausstrahlung im technisch schlecht ausgestatteten
Nationalfernsehen an Qualität.76
70
71
72
73
74
75
76
Im Internet zu finden unter: http://www.lnr.org.la.
http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007.
Eine Region in Nordost-Thailand, die von ethnischen Lao bevölkert ist und bis ins 18. Jd. Teil des
laotischen Königreiches Lan Xang war.
http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007.
http://www.aseanmediadirectory.com/company_detail.asp?id=273, 20.03.2007.
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-931.html, 20.03.2007.
Somkiao Kingsada, Verantwortlicher der Abteilung Fernsehen und Radio der Massenorganisation Lao
Youth Union, 09.12.2006, Vientiane.
219
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Satellitenfernsehen wurde 1993 eingeführt. Zu Beginn bekamen nur Ausländer die Erlaubnis, die
nötige technische Ausstattung zu installieren (vgl. Morgan/Loo 2000: 308). Seit 2002 gibt es Kabelfernsehen, ermöglicht durch ein Jointventure zwischen dem Ministerium für Information und
Kultur und einem chinesischen Kabelfernsehbetreiber. Im Angebot sind ca. 30 ausländische Sender, unter ihnen Deutsche Welle TV, BBC und CNN.77 Im August 2004 stellte die Regierung eine
Erlaubnis für den Betrieb einer privaten Fernsehstation in Unternehmensbesitz aus.78 Geplant ist
außerdem ein neuer Sender Movie Laos Television, mit 84% privater Beteiligung der MV Television Laos Co., Ltd. Er soll bis Mitte 2008 errichtet werden und über Satellit 22 Nationen in Asien
erreichen. Geplant ist ein buntes 24-Stunden-Programm mit Filmen, Kurzgeschichten, Sport, Musik und Programm, das die Entwicklung des Landes fördern soll (vgl. Phonpachith 2007: 7).
3.4
Internet in Laos
Als eines der letzten Länder in Südostasien führte Laos 1997 Internet ein. Die Ausbreitung geht nur
schleppend voran. Hohe Kosten, unterentwickelte Infrastruktur wie fehlende Elektrizität außerhalb
größerer Städte, fehlendes Know-How im Umgang mit Computern und die fehlende Standardisierung der laotischen Schrift für die elektronische Kommunikation führen dazu, dass sich das Internet
bisher nur in größeren Städten und unter der Mittelschicht etabliert hat.79 Bisher gibt es in Laos
3.941 Internetanschlüsse.80 Verantwortlich für das Internet ist die Science, Technology and Environment Agency (STEA) 81, die direkt unter dem Büro des Premierministers angesiedelt ist. Ihr untersteht auch das Nationale Laotische Internetkomitee (LANIC), das die Internetnutzung überwacht.
Die Entwicklung des Internets in Asien in den 1990er Jahren hatte Hoffnung geweckt, dass mit
Hilfe technischer Möglichkeiten restriktive Maßnahmen der Zensoren umgangen werden können.
Diese Hoffnungen wurden letztlich nicht erfüllt, teilweise ist auch das Internet ein Ziel der Zensur
und Kontrolle geworden (vgl. Gomez/Gan 2004: XIV). Die Technologie alleine trägt nicht zur
Demokratisierung bei. Es stellt sich wie bei den Printmedien auch die Frage, ob nicht die durch
die Lebensumstände stattgefundene Entpolitisierung einen großen Teil der Bevölkerung davon
abhält, das Internet als politisches Potential zu nutzen. Für viele bleibt der Zugang zu den neuen
Medien stark eingeschränkt oder sogar verschlossen. Eine Ausnahme bildet das Projekt der JhaiFoundation, die günstige 802.11b-Technologie nutzt, um laotischen Dorfbewohnern trotz fehlender Elektrizität und Telefonverbindungen Internetzugang durch Pedalantrieb zu ermöglichen.82
Long sieht das Internet trotz aller Einschränkungen als eine Art partizipatorisches Modell, an dem
weltweit Menschen mitarbeiten und ihr Wissen austauschen. Er blickt optimistisch in die Zukunft:
„The open nature of the technology and the global scope of development is a fertile mix when it
77
78
79
80
81
82
220
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-932.html, 20.03.2007.
Quelle: http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007.
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-253.html, 20.03.2007.
Angabe für den Zeitraum März 2006, “More people than ever using mobiles in Laos”. In: KPL News,
16.06.2006.
http://www.stea.gov.la/temp1.jsp?id=36&lc=en, 23.03.2007.
http://www.jhai.org/jhai_remoteIT.htm, 22.03.2007.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
comes to innovation. And if one of these ideas can be harnessed for the cause of democracy, there
is every chance that it can rise up and succeed” (Long 2002: 91).
Inzwischen gibt es sechs registrierte private Internetprovider. Zwei davon bieten ihre Dienste aber
noch nicht öffentlich an. Ein weiterer bietet seinen Service nur akademischen und staatlichen Institutionen an.83 Die Kosten der Internetnutzung sind deutlich gesunken, weil die Einwahl nicht
mehr wie in den Anfangszeiten über thailändische Provider erfolgt.
In den letzten fünf Jahren sind vor allem Regierungsseiten auf Laotisch ins Internet gestellt worden. Spezielle Regierungsseiten wie www.culturalprofiles.org84 und laopdr.com liefern in englischer Sprache detaillierte Informationen über Laos. Seit 2004 sind auch die beiden Tageszeitungen Pasaxon und Vientiane Mai auf Laotisch im Internet präsent. Viele Informationen auf Laotisch sind jedoch noch nicht zu finden. Laotische Jugendliche nutzen für ihre Beiträge in Foren
und Chatrooms Thailändisch85, Englisch oder eine lateinische Karaoke-Umschrift des Laotischen.
Langsam beginnen User Beiträge auf Laotisch zu posten. Es gibt erste laotische Blogs86 im Internet, die komplett auf Laotisch gehalten sind und von in Laos lebenden Laoten mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen geführt werden.87 In Einigen wird erklärt, wie man Laotisch tippt oder
die laotischen Fonts auf dem Computer installiert, oft mit unterstützenden Bildern. Hier sieht man
deutlich, dass Laotisch als Sprache zur Nutzung des Internet noch in den Anfängen steckt. Seit
Anfang 2007 bietet die Suchmaschine Google ihre Dienste auf Laotisch an.88 Natürlich ist die
Zahl der Treffer aufgrund der geringen Anzahl laotischer Seiten im Internet stark eingeschränkt.
Hier erscheinen vor allem staatliche Institutionen mit Webseiten in laotischer Sprache. Auch Wikipedia beginnt, einige Seiten auf Laotisch zu veröffentlichen.
Für die wissenschaftliche Forschung eröffnet sich hier ein sehr interessantes Feld. Es bietet sich
an, zu beobachten ob und wie sich die Internetnutzung in Laos aufgrund der erweiterten technischen Möglichkeit die laotische Schrift auch im Internet zu nutzen weiter entwickelt. Im Falle einer politischen Transformation in Laos ließe sich die These prüfen, ob „kleine Medien“ wie das
Internet, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie auch in autoritären Regimes schwerer zu kontrollieren sind als große Medien, in Umbruchzeiten mehr Zulauf erfahren (vgl. Hafez 2005:
157f.). Eine wichtige Rolle können hierbei die Exillaoten in den USA, Kanada, Australien und
Frankreich spielen, die sich schon seit einigen Jahren in Diskussionsforen im Internet untereinander und mit Laos-Interessierten austauschen.89
83
84
85
86
87
88
89
http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-253.html, 20.03.2007.
Die englischsprachige Webseite ist ein Projekt des Informations- und Kultusministeriums in Kooperation mit der
britischen Organisation Visiting Arts und hat den Zweck, mehr und detaillierte Informationen über die kulturelle
Infrastruktur des Landes anzubieten. Zielgruppe sind in allererster Linie Ausländer, die Seite ist nur auf Englisch
abrufbar. Teilweise findet man auf dieser Seite durchaus kritische Bewertungen wie z.B. der Medien.
Thailändische Webseiten, Blogs, Chatforen und ähnliches sind schon seit längerem im Internet präsent.
http://pnomsin.wordpress.com; http://www.au8ust.org, 23.03.2007.
http://pasalao.wordpress.com. In diesem Blog geht es um das Erlernen der laotischen Sprache.
Im Internet zu finden unter: http://www.google.com/intl/lo/.
Im Internet zu finden unter: http://groups.google.de/group/soc.culture.laos.
221
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
3.5
Thailändisches Fernsehen in Laos
Einen großen Stellenwert im täglichen Mediennutzungsmenü der laotischen Bevölkerung hat das
thailändische Fernsehen. Es scheint für laotische Mediennutzer offensichtlich eine Funktion zu erfüllen, die sie durch die Nutzung der eigenen laotischen Medien nicht befriedigen können. Aus
diesem Grund soll im folgenden Kapitel der Stellenwert thailändischen Fernsehens für laotische
Zuschauer erläutert werden.
In Laos ist thailändisches Fernsehen und Radio ohne Satellitenanlage zu empfangen. Auch thailändische Presseerzeugnisse sind in den großen Städten erhältlich. In fast jedem Haushalt, der mit
einem Fernsehgerät90 ausgestattet ist, läuft zur Hauptsendezeit thailändisches Fernsehen. Dreiviertel aller Laoten (vgl. Vipha 2001: 179) und 94% der Einwohner Vientianes (vgl. Vientiane Social
Survey Project 1997-1998: 66) nutzen thailändisches Fernsehen. Es hat einen großen Einfluss auf
die Wertvorstellungen, Wünsche, Denkweisen und auch den Sprachgebrauch der laotischen Rezipienten (vgl. Evans 1998: 21; Schönweger 2006: 12). In urbanen Gebieten wie Vientiane ist der
Einfluss der thailändischen Sprache anhand des häufigen Gebrauchs thailändischer Wörter deutlich zu hören. Die Identifikation mit den thailändischen Serienstars geht mitunter soweit, dass laotische Jugendliche nicht mehr wahrnehmen, dass sie Thailändisch anstatt Laotisch sprechen.91
Das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten ist von historischen Grenzstreitigkeiten geprägt.
Es gibt immer wieder Unstimmigkeiten auf Staatsebene, die durch Medien ausgelöst oder über diese
ausgetragen werden. Thailändische Medien bezeichnen Laos oft als „kleinen Bruder“ (Marukatat
1996). Mitunter warnen thailändische Medien, Thailänder bei Reisen nach Laos vor den unbekannten
laotischen Gesetzen und schüren so Missstimmung.92 In einer Umfrage 200193 des Institute of Asian
Studies der Chulalongkorn Universität in Bangkok und dem Thailand Research Fund stufte ein Großteil der befragten Laoten Thailand im Vergleich mit anderen Ländern als weniger vertrauenswürdig
ein (vgl. Theeravit 2002: 35). 40% der Befragten waren der Meinung, dass thailändisches Fernsehen
und thailändische Musikstars Laoten beleidigen (vgl. Ganjanakhundee 2006b).
Die letzte Auseinandersetzung, die medial ausgelöst auf politischem Parkett ausgetragen wurde fand
im Februar 2007 statt. Eine thailändische Serie, in der sich ein laotisches Mädchen in einen Thailänder verliebt, löste Wirbel aus. Auf Druck der laotischen Regierung wurde der ursprünglich geplante
Ausstrahlungstermin verschoben. Die Laotin wird von der in beiden Ländern bekannten laotischen
Sängerin Alexandra gespielt. Laotische Behörden kritisierten, dass die Serie unter anderem den
Eindruck erwecke, laotische Frauen seien leicht zu haben (vgl. Ganjanakhundee/Laovanitchaya
2007; Ashayagachat/Samabuddhi 2007). Die Liste ähnlicher medial begründeter Unstimmigkeiten
lässt sich erweitern. 2006 ging es um einen Fußballfilm, in dem das laotische Nationalteam angeblich lächerlich dargestellt wird (Ganjanakhundee 2006a, c). 2005 beschrieb das thailändische Spicy
Magazine mit welchem Ausdruck thailändische Männer laotische Frauen anmachen können und
90
91
92
93
222
41% der laotischen Haushalte besaßen 2002/2003 ein Fernsehgerät (vgl. Schönweger 2006: 3).
Interview mit einer Dozentin an der National University of Laos (NUOL), 15.10.2004, Vientiane.
“Thais warned about little-known Lao laws”. In: The Nation, 05.12.2001.
Die Fragestellung war: “Compared with other countries, how friendly is Thailand?”
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
vergriff sich dabei in der Wortwahl. Laos verlangte eine offizielle Entschuldigung, die das Magazin
der laotischen Regierung über das thailändische Außenministerium zukommen ließ (Ganjanakhundee 2005; Hongthong 2005). Gravierend war in diesem Zusammenhang der geplante Film über die
Thailänderin Thao Suranaree. Es wird behauptet, sie habe den Angriff des laotischen Königs Chao
Anouvong 1827 erfolgreich abgewehrt, in dem sie seine Männer betrunken machte. Laos äußerte
Bedenken über eine schlechte Darstellung des laotischen Königs und einem Imageschaden, sollte
der Film gedreht werden.94 Daraufhin wurde Laos im Editorial der Bangkok Post vom 20.07.2001
als überempfindlich dargestellt, weil es sich von Thailand zu schnell angegriffen fühlt.95 Die Vientiane Times warf der Bangkok Post daraufhin eine arrogante Haltung gegenüber Laos vor und empfahl die Untersuchung der eigenen thailändischen Geschichte.96 In der Rubrik „Streetwise“ ließ die
Vientiane Times fünf Laoten zu Wort kommen, die sich alle negativ über die Filmpläne äußerten.97
Einige Tage später wurde eine Antwort des laotischen Botschafters in Bangkok in der Vientiane Times abgedruckt, in dem er sich gegen eine Verfilmung des Stoffes aussprach.98 Der Film wurde
nicht gedreht.
Das sind nur einige Beispiele der „medialen Unstimmigkeiten“ zwischen beiden Ländern. Die laotischen Behörden behalten die thailändischen Medien genau im Blick. Im Jahr 2004 erging ein Verbot
für thailändisches Fernsehen an öffentlichen Plätzen wie Flughäfen, Hotels, Restaurants, Busstationen
und Märkten. Damit soll eine kulturelle Hegemonie Thailands über Laos verhindert werden. Andere
ausländische Sender an öffentlichen Plätzen sind weiterhin erlaubt (vgl. Ganjanakhundee 2004).
In persönlichen Gesprächen ist immer wieder die Angst herauszuhören, dass thailändische Medien bei den laotischen Rezipienten neben dem positiven Aspekt des Wissenserwerbs auch negative Einflüsse wie starkes Konsumdenken, Gewalt und der laotischen Kultur nicht angemessenes
Verhalten fördern (vgl. „Listening to the Voice of Young People“: 89; Pholsena 2006: 53). Pholsena schreibt Thailand eine Funktion als „anti-model“ (Pholsena 2006: 52) für Laos zu, an dem
sich die negativen Eigenschaften des Kapitalismus zeigen.
Im Jahr 2005 fand ein Workshop für thailändische und laotische Journalisten zum besseren Verständnis der beiden Länder statt.99 Auf einem Treffen im November 2006 beschlossen die Journalistenverbände beider Länder die Herausgabe eines journalistischen Handbuchs, das zum besseren
gegenseitigen Verständnis der beiden Länder dienen soll (vgl. Matsaypadith 2006).
Die Wirkung thailändischen Fernsehens in Laos ist zurzeit vergleichbar mit dem Einfluss des
Westfernsehens in der ehemaligen DDR. Es weckt Wünsche nach Produkten und einem sehr an
der westlichen Kultur orientierten Lebensstil (vgl. Rehbein 2006: 231). Es bietet aber gleichzeitig
94
95
96
97
98
99
“Film maker and envoy should meet to avoid conflict, says PM. Border locals do not want film to be made”.
In: Bangkok Post, 21.07.2001.
“Laos has film issue badly out of focus”. Editorial in der Bangkok Post, 20.07.2001. 10.
“Bangkok Post Editorial condescending and oblivious”. In: Vientiane Times, 24-26.07.2001.
“Streetwise”. In: Vientiane Times, 20.-23.07.2001. 16.
“A letter to the Bangkok Post”. In: Vientiane Times, 27.-30.07.2001.
http://www.freemedia.at/cms/ipi/freedom_detail.html?country=/KW0001/KW0005/KW0121/&year=2005,
20.03.2007.
223
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
auch verlässlichere Informationen als die eigenen Medien (vgl. Vientiane Social Survey Project
1997-1998: 40, 66). Es ist vorstellbar, dass thailändisches Fernsehen in der Zukunft zu einer politischen Öffnung des Landes beiträgt.
4
Veränderungen der Berichterstattung in Laos
Das laotische Mediensystem, wie es sich zurzeit in Laos darstellt, untersteht immer noch einer
starken staatlichen Restriktion und ist deshalb als „nicht frei“ einzustufen. Vor allem, wenn man
es mit Pressesystemen in westlichen Ländern oder auch in Ländern wie Indonesien oder bis vor
kurzem Thailand vergleicht, erscheint das System der staatlich zugelassenen und gelenkten Medien im Zeitalter der Globalisierung längst überholt. Funktionen, Aufgaben und Leistungen, die
Medien in demokratischen Systemen übernehmen, erfüllen die laotischen Medien höchstens ansatzweise. Die bisherige wirtschaftliche Öffnung ist nicht automatisch eine Garantie für Meinungs- und Pressefreiheit.
Bei genauer Beobachtung der Medienlandschaft in Laos über das letzte Jahrzehnt lassen sich jedoch Veränderungen beobachten. Die englischsprachige Presse beginnt, milde Kritik an der Regierung und an Zuständen im Land zu beschreiben. Es sind in den letzten Jahren neue Rubriken
entstanden wie „Opinion“, in der Journalisten Kommentare schreiben oder „Soapbox“,100 in der
Leserbriefe – mitunter auch kritische – abgedruckt werden. Es kommt vor, dass kritische Äußerungen anderen in den Mund gelegt werden, wie etwa Anrufern der anonymen Telefon-Hotline
der Nationalversammlung,101 deren Kommentare seit Oktober 2006 in den Medien veröffentlicht
werden. Der Vermerk „Note from the Editor“102 weist ausdrücklich darauf hin, dass Leserbriefe,
Pressemeldungen und Artikel von Individuen und Organisationen willkommen sind, da die Journalisten der Vientiane Times sich der ausgewogenen und akkuraten Berichterstattung verpflichtet
haben. Der Informationsfluss ist nicht mehr nur einseitig.
In Gesprächen mit im Land lebenden Ausländern, bestätigten diese, dass zumindest in der nicht
laotischsprachigen Presse inzwischen ansatzweise über kritische Themen berichtet wird, was den
Eindruck erweckt, dass eine offenere Berichterstattung als noch vor einigen Jahren möglich ist.
Noch Ende der 1990er Jahre verbreiteten die Medien ausnahmslos positive gute Nachrichten über
die Errungenschaften der Partei (vgl. Altendorfer 1999: 99). „Party policy is fine. Under the Party
leadership, the country enjoys political stability and social order. The people live in unity with
their living conditions improving gradually“ 103, Schlagzeilen wie diese auf der Titelseite waren
die Norm. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Zum 50-jährigen Bestehen der Partei im
März 2005 wurde eine zweiseitige Ansprache des damaligen Präsidenten Khamtay Siphandone in
100
101
102
103
224
“Sopabox is our new forum for readers. The editorial team of Vientiane Times welcomes contribution from
readers who want to share their points of view on matters of public interest. [...]. Contributers may use a
pseudonym if they wish. The views expressed here are strictly those of the contributors”. In: Vientiane
Times, 18.12.2006. 9.
Eine der wenigen Möglichkeiten, Kritik zu äußern besteht in einer Hotline der Nationalversammlung, bei
der jeder Bürger anrufen kann. Vgl. „Lao govt opens citizen complaint call-in”. In: Bangkok Post,
24.10.2006. http://www.bangkokpost.com/breaking_news/breakingnews.php?id=113778, 21.03.2007.
„Note from the Editor“. In: Vientiane Times, 02.01.2007. 9.
Vientiane Times, 21.-23.03.2000. 1.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
der Vientiane Times abgedruckt. Die Zwischenüberschriften sind im gewohnt traditionellen
Sprachstil gehalten: „Throughout 50 years of its leadership's evolution, our Party has stayed
closed to the masses, enduring pain and sharing happiness.“ 104 und „The founding of the Party
was a culmination of the deep patriotism, heroism and determination of the Lao Nation.“ 105 Die
Überschriften auf den Titelseiten waren jedoch eher neutral gehalten: „Marking the 50th anniversary of the LPRP.“ 106 und „Khamtay: 50 years of the Party.“ 107
Ein sensibles Thema bleibt weiterhin die Korruption. In einem Kommentar unter der Rubrik „Opinion” weist ein Journalist der Vientiane Times auf die negativen Folgen der Korruption hin und
fragt: Wie Korruption zu bekämpfen ist und durch wen? Er ruft die Bevölkerung zur Zusammenarbeit gegen Korruption auf und endet mit der Überlegung: „The media should also play a greater
role in fighting corruption. It can act as a watchdog, bringing corruption into the public eye, so that
we can all be aware of its consequences” (Phouthonesy 2006: 9). 2005 verabschiedete die Nationalversammlung ein Anti-Korruptionsgesetz. Ein Dekret des Büros des Premierministers von 1999
erwähnt die Veröffentlichung von Korruptionsfällen in den Medien explizit als eine Aufgabe der
Massenmedien. Bisher gab es jedoch keine gezielte Verfolgung von Korruptionsfällen.108 In Artikeln über Korruption werden wie im oben gezeigten Beispiel weder Namen noch detaillierte Vorgänge genannt, so dass es zu keiner Verfolgung hochrangiger Beamter kommen kann (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2006: 13). Da ein Teil der politischen Führung ihren materiellen Wohlstand unter anderem auch korrupten Praktiken verdankt und kein besonderes Interesse an einer Veränderung der Situation hat, liegt die Vermutung nahe, dass solche Artikel in erster Linie der internationalen Gebergemeinschaft suggerieren sollen, dass etwas gegen Korruption unternommen wird.
Angehörige internationaler Hilfsorganisationen äußern verstärkt Kritik an den korrupten Zuständen,
die sich auch auf die Mittel internationaler Hilfsprojekte auswirken. Aus diesem Grund werden weitere internationale Finanzierungen, mit denen die laotische Regierung rechnet, an Bedingungen wie
mehr Transparenz geknüpft.109
Inzwischen werden vermehrt soziale Probleme wie Armut, mangelnde Bildung und die Ausbreitung von HIV/Aids thematisiert. Vor ungefähr zwei Jahren erging die Bitte an Ausländer, die im
Land leben, ihre Sicht sozialer Probleme für das Ministerium für Information und Kultur schriftlich zu schildern. Das lässt auf ein gewisses Interesse der Regierung an der Meinung ausländischer Experten schließen. Es scheint, als habe die Regierung erkannt, dass die Vermeidung der
Berichterstattung negativer Ereignisse, die sich durch die Internetnutzung und über andere Netzwerke schnell ausbreiten, nur die Gerüchte schürt und wilde Spekulationen in Gang setzt. Zudem
lässt eine ausschließlich positive Berichterstattung Leser an der Glaubwürdigkeit einer Zeitung
zweifeln (vgl. Billig 2007: 20). Die Vermutung liegt nahe, dass Trainings im asiatischen Ausland
104
105
106
107
108
109
Vientiane Times, 23.03.2005. 9.
Vientiane Times, 23.03.2005. 8.
Vientiane Times, 23.03.2005. 1.
Vientiane Times, 21.03.2005. 1.
URL: http://www.state.gov/e/eeb/ifd/2007/80716.htm, 27.02.2007.
“Lao banks on aid but donors losing patience”. In: Taipeh Times, 03.04.2006. http://www.taipeitimes.com/News/world/archives/2006/04/03/2003300694.
225
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
und wahrscheinlich auch die Beratung durch ausländische Journalisten und die damit verbundene
Sozialisation innerhalb der Redaktion diese Entwicklung mit ausgelöst haben.
Die Medien stehen unter großem Druck von mehreren Seiten. Einerseits unter Professionalisierungsdruck, um den gestiegenen Ansprüchen durch die Konkurrenz thailändischer Medien gerecht zu werden, andererseits unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft und der im Land
lebenden Ausländer110 sowie dem Druck der eigenen Führung, die sie in Zeiten der Bedrohung ihrer eigenen Herrschaft für ihre Zwecke nutzt: „Lediglich über den öffentlichen Raum behält die
Partei ihre Hegemonie, insbesondere über Medien und Politik. Sie werden derzeit in hohem Maß
dazu benutzt, eine nationale Identität zu konstruieren“ (Rehbein 2006: 227).
Die Tendenz einer kritischen Berichterstattung ist vor allem in der englisch- und französischsprachigen Presse sowie in noch englischsprachigen Foren im Internet zu beobachten. Diese sind jedoch bisher, wie im Artikel dargestellt, nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich. Unter
der Annahme, dass die Printmedien in Laos trotz aller Einschränkungen eine Art Öffentlichkeit
herstellen – obwohl natürlich genauer zu diskutieren ist, ob man das Öffentlichkeit nennen kann –
kann man im Bereich der Printmedien fast schon von zwei Öffentlichkeiten im Land sprechen.
Einmal die der laotischen Bevölkerung und die der ausländischen Bevölkerung. Es stellt sich außerdem die Frage, ob es für kritische Medien in laotischer Sprache eine Leserschaft gibt. In Laos
hat durch die Lebensumstände auch eine Entpolitisierung stattgefunden, neben dem alltäglichen
Überleben besteht oft nur wenig Interesse an Politik (vgl. Spallek 2005).
Laos befindet sich mitten in der Phase der Nationsbildung, die eine der Voraussetzungen für Demokratie ist (vgl. Merkel 2005: 30). Es bleibt zu beobachten, wie sich die begonnene Medienvielfalt
weiterentwickelt und ob die Nutzung kleiner Medien wie dem Internet ansteigt und so eine Möglichkeit der internationalen Vernetzung und des Austauschs für Laoten ohne Englischkenntnisse
bietet, die eventuell zu einer politischen Transformation beiträgt. In diesem Zusammenhang muss
auch die internationale Vernetzung mit Exillaoten weltweit betrachtet werden. Viele Exillaoten sind
seit der Öffnung des Landes in den 1990er Jahren in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Sie besitzen
die sprachlichen und technischen Kenntnisse, um das Internet als ein Hilfsmittel politischer Kommunikation zu nutzen. Hier findet ein Austausch statt, der nicht nur ökonomisch sondern auch für
die soziale und kulturelle Entwicklung des Landes prägend ist (vgl. Evans 2002: 233). Eine weitere
interessante Gruppe, die es zu beobachten gilt, sind die zurückkehrenden Stipendiaten,111 die im
Ausland Journalistik und Kommunikationswissenschaft studieren und journalistisches Know-How,
theoretische Kenntnisse und neue Ideen mitbringen. Eventuell stoßen diese in der Zukunft die notwendige ethische und theoretische kommunikationswissenschaftliche Diskussion über die Rolle des
Journalismus im Wandel der Gesellschaft an. Abzuwarten bleibt, ob das neue Pressegesetz den
110
111
226
Angehörige internationaler in Vientiane ansässiger Organisationen beschweren sich teilweise direkt im Redaktionsbüro der Vientiane Times, wenn sie mit der Berichterstattung über ihre Organisation nicht einverstanden sind.
Pro Jahr bekommen jeweils zwei Laoten ein Stipendium um Kommunikationswissenschaft an der ThammasatUniversität in Bangkok zu studieren. Weitere Stipendien für Aus- und Weiterbildung im journalistischen
Bereich werden von Japan, Australien und den USA vergeben.
Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
Journalisten wie erhofft eine bessere Absicherung in der journalistischen Arbeit in der Realität garantiert. Eine Professionalisierung des Journalismus ist unabhängig davon dringend nötig.
Im Hinblick auf mögliche demokratische Entwicklungen bieten Trainingsinstitutionen wie das
Indochina Media Memorial Foundation IMMF112 in Bangkok neben der Vermittlung von journalistischem Handwerkszeug eine gute Diskussionsplattform. Der Austausch mit Kollegen aus Ländern mit freieren Medien kann laotischen Journalisten neue Perspektiven eröffnen und auf lange
Sicht zu einem Umdenken führen.
Es zeichnen sich neben der Wirtschaft zwei Themenbereiche ab, in denen die Medien mit großer
Wahrscheinlichkeit zuerst eine gewisse Freiheit in der Berichterstattung erlangen werden, die eventuell auf lange Sicht zu einer politischen Transformation führen kann. Dazu gehören zum einen soziale Themen und umweltpolitische Themen und zum anderen globale Trends. Eines der
vier möglichen Zukunftsszenarios einer politischen Transformation in Laos beschreiben Ivarsson,
Svensson und Tonnesson (1995) in ihrer politischen Analyse wie folgt: Im Wettbewerb mit thailändischen Medien bieten laotische Medien unterschiedlichen gesellschaftlichen Meinungen eine
öffentliche Plattform für die Diskussion über soziale Probleme und Umweltprobleme. Auf lange
Sicht löst das einen demokratischen Wandel aus. Die Partei, die in dieser Ansicht gespalten ist,
bezieht in der Diskussion keine Stellung und bleibt nach außen neutral. Das führt dazu, dass sie
letztendlich dieselbe Rolle in Laos einnimmt, wie die Monarchie in Thailand (vgl. Ivarsson et. al.
1995: 55ff). Eine auf den ersten Blick absolut utopische Vorstellung. Bei genauerer Betrachtung
zumindest, was die sozialen Probleme angeht, ist dieses Szenario nicht ganz unwahrscheinlich.
Erste Anzeichen lassen sich erkennen. Die sozialen Veränderungen, die mit dem Straßen- und
Dammbau und einer veränderten Landnutzung einhergehen, ziehen erste Proteste nach sich (vgl.
Hesse-Swain 1998: 123), über die auch in den Medien berichtet wird. Eine Neutralität der Partei
ist in der Realität jedoch sehr unwahrscheinlich.
Die Globalisierung ist auch in Laos angekommen. Im Bereich der Jugendkultur ist es sehr wahrscheinlich, dass Konsumenten in naher Zukunft nach globalen Produkten mit laotischer Konnotation verlangen (vgl. Rehbein 2006: 236). Ein Großteil der Bevölkerung besteht aus jungen Menschen,113 die neue globale Trends und Einflüsse und das vor allem durch thailändische Medien vorgelebte Konsumdenken schnell annehmen. Hier sind verstärkt die Entwicklungen im Musiksektor
und die damit verbundene Entstehung einer Musikindustrie zu beobachten, die vor allem Jugendlichen eine Kommunikationsplattform bietet, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Ob diese dann demokratisch geprägt ist und Auswirkungen auch im Hinblick auf eine politische Transformation nach
sich ziehen wird, bleibt abzuwarten.
112
113
Im Internet zu finden unter: http://www.immf.org. Die Indochina Media Memorial Foundation bietet Journalisten aus Vietnam, Laos und Kambodscha zweimal jährlich Journalistentraining in verschiedenen Themenbereichen an.
41,2% der Bevölkerung war 2004 unter 15 Jahre alt. http://hdr.undp.org/hdr2006/statistics/countries/data_sheets/cty_ds_LAO.html, 22.03.2007.
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Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem
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Viraphone Singhavara, Leiter des Bereichs der Regulatorischen Abteilung in der Abteilung Massenmedien des
Ministeriums für Information und Kultur, 02.01.2007.
230
Abstract
Ausgehend von einer sehr niedrigen Zeitungsdichte von nur vier Exemplaren pro 1.000 Einwohner
sucht diese Arbeit zur Mediennutzung in Vietnam nach den Gründen für die schwache Positionierung der Zeitung in der Gunst der vietnamesischen Rezipienten. Dabei beschränkt sich der Blick
jedoch nicht einzig auf die Nutzung der Printmedien, sondern es wird ein möglichst umfassendes
Bild der Medienlandschaft und der Nutzung der verschiedenen Medientypen gezeichnet. Während
vor allem zur Zeit des Doi Moi genannten wirtschaftlichen Booms in den 1980er Jahren einige Literatur zur Medien- und Informationsfreiheit in Vietnam entstanden ist, ist die Datenlage zur Mediennutzung bisher äußerst spärlich geblieben. Auf der Grundlage von Texten und Daten, die von verschiedenen internationalen Organisationen und Stellen, wie der Ambassade de France, der Swedish
Development Cooperation Agency (SIDA) oder der Unesco verfasst und erhoben wurden, sowie
durch aufschlussreiche Experteninterviews, die während einer Recherchereise nach Vietnam im
Jahr 2004 geführt wurden, kristallisierten sich grundlegendes Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten der vietnamesischen Rezipienten heraus, die nicht nur den Blick auf die Medienlandschaft
Vietnams erhellen, sondern auch als Beitrag zur Erforschung des Mediennutzungsverhaltens allgemein gewertet werden können, da bereits bekannte Determinanten des Nutzungsverhaltens überprüft und bestätigt und auch einige für Vietnam ganz spezifische determinierende Faktoren ermittelt
werden konnten. Um diese zu erkennen musste nicht nur eine Kartographie der Medienlandschaft
Vietnams erstellt werden, sondern auch die gesellschaftliche und kulturelle Beschaffenheit des Landes betrachtet werden. Die Untersuchung geht von der Vorstellung eines aktiven Rezipienten aus
und stützt sich theoretisch auf den Uses-and-Gratifications-Approach, die Cultural Studies und das
Lebensstilkonzept. Als Vorbild dient die Untersuchung European Newspaper Readership von
Gustafsson und Weibull.
Autorin
Carolin Müller studierte Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in
München und in Paris am Institut Français de Presse. Ihre Nebenfächer waren Allgemeine und
Vergleichende Literaturwissenschaft und Markt- und Werbepsychologie. Ihr Interesse an interkultureller Kommunikation veranlasste sie ein Semester in Vietnam zu verbringen, wo sie an der Universität von Ho Chi Minh Stadt Kurse zur Landessprache und Landeskunde belegte. Sie bereiste außerdem Laos, Thailand, Japan, Australien, Russland und Norwegen. Während und nach dem Studium arbeitete sie als Journalistin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Danach absolvierte sie
zunächst ein Volontariat beim Wilhelm Heyne Verlag und wechselte dann in die Presseabteilung der
Deutschen Verlags-Anstalt (DVA). Seit Anfang 2007 ist sie Redakteurin bei einer Münchner Dokumentarfilmproduktion und darüber hinaus als literarische Übersetzerin tätig.
232
Mediennutzung in Vietnam
Carolin Müller
1
Einleitung
„Desperately seeking the audience.” 1 Mit diesen Worten lässt sich die Entstehung dieses Beitrages über die Mediennutzung in Vietnam treffend beschreiben. Denn lange Zeit hatte es den
Anschein, als wäre dem vietnamesischen Medienpublikum trotz intensivster Recherchen nicht
auf die Spur zukommen.
Ausgehend von einer sehr niedrigen Zeitungsdichte von vier Exemplaren/1.000 Einwohner werfe ich hier die Frage nach den Gründen für die schwache Positionierung der Zeitung in der
Gunst der vietnamesischen Rezipienten auf. Ziel meines Beitrags ist es, die diese Tatsache bedingenden Faktoren zu ermitteln und zu beschreiben. Zu diesem Zweck bietet es sich jedoch an,
die Zeitungsnutzung nicht isoliert, sondern im Kontext des gesamten Medienangebots zu betrachten. Deshalb werden ebenso Faktoren berücksichtigt, die die Nutzung von Radio, Fernsehen und des Internets beeinflussen.
Dieser Beitrag stellt keine Analyse der Informationsfreiheit in Vietnam dar. Vielmehr machte ich
mich auf die Spur des Medienpublikums, das in Vietnam im wahrsten Sinne des Wortes eine „Unbekannte“ darstellt. Dabei ging ich von der für die Nutzungsforschung üblichen Annahme aus, der
zufolge die Rezipienten aktiv am Kommunikationsprozess teilnehmen, indem sie sich die Medien
ihren Bedürfnissen entsprechend nutzbar machen und in ihren Alltag integrieren.
Die theoretische Grundlage der Untersuchung bilden der Uses-and-Gratification-Approach (UGA)
, die Cultural Studies 3 und das Lebensstilkonzept 4. Die Uses-and-Gratifications-Forschung stellt
die Frage nach dem Zweck von Mediennutzung und vor allem danach, welche Bedürfnisse durch
die Nutzung von Medien befriedigt werden. Dabei wird der Kommunikationsprozess aus der Perspektive des Rezipienten betrachtet. Mit dem UGA begann die Kommunikationswissenschaft gezielt, konkrete Motive zu ermitteln, um die Mediennutzung als aktive Handlung zu erklären und
löste sich damit von einer rein deterministischen Perspektive. Der UGA geht davon aus, dass die
Rezipienten absichtsvoll Nutzungshandlungen vollziehen. Als Ursprung der Rezipientenabsichten
gelten bestimmte Grundbedürfnisse, die vor allem auf der psychischen und sozialen Bedürfnisebene
zu suchen sind. Der kultursoziologischen Perspektive der Cultural Studies zufolge, sind die Medien
in den Alltag und die Kulturumgebung der Menschen eingebettet. Vor diesem Hintergrund kann
Mediennutzung nicht als kontextlose Interaktion zwischen Rezipient und Medium betrachtet werden. Menschliche Grundbedürfnisse reichen folglich als alleinige Erklärung für Mediennutzungsverhalten (wie im UGA) nicht aus. Auch Untersuchungen, die sich am Lebensstilkonzept orientieren, müssen gleichermaßen am Subjekt und an der Gesellschaft ansetzen. Damit geraten sogenannte
2
1
2
3
4
Ang, 1991
vgl. Blumler/Katz, 1974; Rosengreen/Wenner/Palmgreen, 1985
vgl. Fiske, 1987
vgl. Rosengreen, 1996
233
Mediennutzung in Vietnam
„strukturelle Faktoren“ (gesellschaftliche Struktur) ins Zentrum des Forschungsinteresses.5 Die
schwedischen Medienwissenschaftler Karl Erik Gustafsson und Lennart Weibull haben sich in ihrer
Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa auf Erkenntnisse aus dem Lebensstikonzept gestützt
und damit die Zeitungsnutzung in verschiedenen Regionen Europas erklärt.6 Die Untersuchung von
Gustafsson/Weibull dient diesem Beitrag als methodische Inspirationsquelle und wird deshalb im
nächsten Kapitel „Methode und Quellen“ genauer vorgestellt.
Doch nicht nur die Gesellschafts-, sondern auch die Medienstruktur bzw. das Medienangebot wirkt
sich auf die Mediennutzung aus. Deshalb wird im Beitrag eine Kartographie der vietnamesischen
Medienlandschaft entworfen, die auch einige Indikatoren der Mediennutzung (Reichweiten, Dauer,
Frequenz und Zweck etc.) präsentiert. Dies dient als Grundlage für die folgende Untersuchung der,
die Mediennutzung in Vietnam determinierenden Faktoren.
Mediennutzung lässt sich nur multikausal erklären. Dies bringt jedoch immer die Gefahr der Unvollständigkeit mit sich und stellt somit einen Erklärungskompromiss dar, der nicht zuletzt auch von der
Quellenlage abhängig ist. Gleichzeitig birgt die Betrachtung der Mediennutzung im speziellen Kontext eines Landes mit seinen strukturellen und kulturellen Merkmalen die Möglichkeit, auf neue Determinanten der Mediennutzung zu stoßen oder bereits bekannte zu überprüfen und zu gewichten.
Während die Mediennutzung in Deutschland bereits ausgiebig erforscht wurde, gestaltet sich die Situation in Vietnam gegenteilig. Dort keimt das Interesse für eine genauere Erforschung des Publikums
und seines Nutzungsverhaltens gerade erst auf und das zarte Pflänzchen wächst auf recht unwirtlichem
Boden. Die politischen Rahmenbedingungen haben in der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV)
zu einem Mediensystem unter staatlichem Monopol geführt, in dem die Kommunistische Partei Vietnam (KPV) weitgehend vorgibt, was das Volk zu interessieren hat. Nach Beendigung des Vietnamkriegs hingen die gelenkten Medien zudem finanziell weitgehend am Subventions-Tropf des Staates.
Publikums- oder Nutzungsforschung ist in Vietnam deshalb noch ein fast unbeschrittenes Terrain und
technisch unterstützte Erhebungen, wie sie etwa die telemetrische Fernsehforschung in Deutschland
unternimmt, sind Zukunftsmusik. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Marktorientierung künftig
immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Planungen des Ministry of Culture and Information
(MoCI) sehen eine drastische Kürzung des staatlichen Medienbudgets auf nur mehr 6% des aktuellen
Betrages über die nächsten 10 Jahre vor.7 Die damit verbundene steigende Bedeutung von Werbeeinnahmen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen Aufschwung für die Mediennutzungsforschung in Vietnam mit sich bringen, da die einzelnen Medien dann mehr und mehr auf Wettbewerbsfähigkeit angewiesen sein werden. Das Interesse an Studien über Publikumsinteressen und Nutzungsgewohnheiten wird zunehmen. Ohne die Leistung überschätzen zu wollen, die dieser Beitrag auf einem bislang noch kargen Forschungsfeld zu erbringen vermag, kann dieser doch einen explorativen
Beitrag am Anfang dieser Entwicklung leisten und einige Einschätzungen, Hypothesen und Erklärungsmodelle der Mediennutzung in Vietnam präsentieren.
5
6
7
234
vgl. Rosengreen, 1996
Gustafsson/Weibul, 1997
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 11
Mediennutzung in Vietnam
Während eines vierwöchigen Aufenthalts in Hanoi (2004) konnte mit Hilfe von neun Experteninterviews und Berichten von internationalen Medienbeobachtern eine Materialbasis geschaffen werden. So entstand schließlich eine Skizze der Mediennutzung im heutigen Vietnam, die, was das
Zusammenstellen und Interpretieren des überhaupt auffindbaren Materials zur Mediennutzung in
Vietnam betrifft, als eine Art Pionierarbeit bezeichnet werden darf. Darüber hinaus wurde die Relevanz von einigen bereits aus der Literatur bekannten Determinanten der Mediennutzung bestätigt
und, gerade was die Internetnutzung betrifft, einige spezifische Determinanten ermittelt.
Warum nutzen Menschen Medien, was beeinflusst ihr Nutzungsverhalten und welche Rolle spielt
das Medienangebot in diesem Kontext? Es ist zu vermuten, dass die Rezipienten ihre persönlichen
Mediengewohnheiten im Spannungsfeld zwischen Medienangebot und gesellschaftlichem Umfeld
herausbilden, denn die Mediennutzung von Menschen variiert nicht nur von Region zu Region,
sondern auch innerhalb eines Landes über die Zeit. Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer
Parallelen und Konstanten.8 Doch welche Faktoren in der medialen Angebotsgestalt und im gesellschaftlichen Kontext determinieren ganz konkret das jeweilige Mediennutzungsverhalten der Bewohner einer bestimmten Region? Hier lohnt es sich genauer nachzuforschen, um der großen „Unbekannten“, 9 dem Medienpublikum, auf die Spur zu kommen.
2
Methode und Quellen
Im folgenden Abschnitt wird zunächst ein Raster vorgestellt, anhand dessen die Mediennutzung in
Vietnam untersucht wird. In dieses Untersuchungsraster wurden nur solche Determinanten der Mediennutzung aufgenommen, die auf einer strukturellen Ebene angesiedelt sind. Welche, der aus einschlägigen Studien bekannten Faktoren dies sein können, wurde anhand ihres jeweiligen Erklärungspotentials für die Mediennutzung in Vietnam entschieden und soll im Folgenden näher erläutert werden. Eine Untersuchung individueller Gründe (z. B. persönliche Wertvorstellungen Einzelner) für die Mediennutzung ist nicht Ziel dieses Beitrags. In einem weiteren Schritt wird die Methode vorgestellt, mit der die Ergebnisse generiert worden sind. Besonderes Augenmerk wird dabei in
einem eigenen Abschnitt auf die Problematik der Informationsbeschaffung und Quellenbewertung
gelegt, da die wichtigsten Quellen für die Analyse der Mediennutzung in Vietnam nur schwer oder
gar nicht öffentlich zugänglich sind.
2.1
Untersuchungsraster
Im vorangehenden Abschnitt wurden verschiedene Ansätze skizziert, die die Hinwendung zu bestimmten Medien oder Medieninhalten erklären. Mediennutzung als soziales Handeln vollzieht sich
in Konkurrenz zu anderem Handeln, um bewusst oder unbewusst verschiedenste Bedürfnisse zu
befriedigen. Grundsätzlich lassen sich nach Rosengren Handlungsdeterminanten auf drei Ebenen
lokalisieren: (a) individuelle Position, (b) individuelle Merkmale und (c) gesellschaftliche Struktur.10 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich darauf, eine Reihe von strukturellen Faktoren
8
9
10
vgl. Meyen, 2001b, 11
ebd. 10
vgl. Rosengren, 1996, 26
235
Mediennutzung in Vietnam
der Mediennutzung in Vietnam auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Bei strukturellen Faktoren handelt
es sich, wie gezeigt wurde, um Merkmale des Umfelds, innerhalb dessen sich die Nutzungshandlung vollzieht: Industrialisierung, Urbanisierung, Religion, Klima, Geografie, politisches System,
Medienangebot, überlieferte Rezeptionsmuster, Bevölkerungsstruktur.11 Nun sollen weitere Determinanten der Mediennutzung vorgestellt werden, die aus der Literatur bekannt sind.
Die Studie „European Newspaper Readership“ 12 bietet eine Vielzahl von Hinweisen darauf, welche
Faktoren die Zeitungsdichte eines Landes beeinflussen. Als Folge einer vergleichenden Betrachtung
der verschiedenen europäischen Zeitungsmärkte ermitteln Gustafsson und Weibull hinsichtlich der
Zeitungsverbreitung drei Regionen. „The first purpose is to group countries according to newspaper penetration and analyse the reasons for the position of newspaper industries in their national
contexts.“ 13
Tabelle 1: Europäische Zeitungsregionen14
Region 1:
Newspaper Countries
(market share > 50%)
Region 2:
Newspaper & TV Countries
(equal market share)
Region 3:
Television Countries
(market share > 50%)
Norway, Finland, Sweden, Switzerland, Luxembourg
Denmark, Germany, United Kingdom,
The Netherlands, Austria
France, Belgium, Ireland, Italy,
Spain, Greece, Portugal
Die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden erlaubt es ihnen, Rückschlüsse auf Faktoren
zu ziehen, die den Erfolg von Zeitungen auf dem Markt und damit die Zeitungsnutzung beeinflussen können. Diese Faktoren sind zunächst außerhalb der Medienlandschaft der einzelnen Region zu
finden. Dabei handelt es sich um wirtschaftliche, politische und soziale Rahmenbedingungen: „The
general strength of the daily press can be explained by economic conditions, urbanization, education level, political development, and employment rate.“ 15
Indem sie das jeweilige Bruttosozialprodukt und die Zeitungsdichte pro 1.000 Einwohner gegenüberstellten, konnten sie eine Korrelation zwischen einer starken wirtschaftlichen Position und einer
starken Presse feststellen.16 Der Pressemarkt wird laut dieser Studie auch durch politische und
soziale Stabilität in den Regionen positiv beeinflusst: „Some of the differences between the three
groups can be explained by...uninterrupted development periods for newspapers, political development, social structure, including general communication structure, household character and employment rate…“ 17
In der Studie wird jedoch betont, dass diese Faktoren nicht als einzige die Zeitungsverbreitung bestimmen würden, und die Zeitungsverlage nicht als „helpless victims of economic, political or sociocultural trends“ 18 gesehen werden dürften. Denn, es kämen auch solche Faktoren zum Tragen, die
11
12
13
14
15
16
17
18
236
vgl. u.a. Rosengren, 1996, 13-36; Meyen, 2001a, 31
Gustafsson/Weibull, 1997
ebd. 250
ebd. 249, 254
ebd. 269
ebd. 256
ebd. 257
ebd. 270
Mediennutzung in Vietnam
innerhalb des Mediensystems zu suchen sind. Hier richten Gustafsson und Weibull ihr Augenmerk
in erster Linie auf die Konkurrenzsituationen innerhalb der jeweiligen europäischen Medienmärkte
und weisen außerdem auf die wichtige Rolle hin, die Verkaufsstrategien der Zeitungsindustrie (Inhalte, Preis, Vertrieb und Promotion) spielen können.19 Ferner wird die Zeitungsrezeption noch von
weiteren, scheinbar sehr entfernten Faktoren wie Klima, kulturelle Traditionen oder Religion beeinflusst, die in dieser Studie als „background factors“20 bezeichnet werden.
Die Studie ergab schließlich, dass Länder mit der höchsten Zeitungsdichte und der höchsten Leserschaft gleichzeitig durch sehr stabile politische Systeme gekennzeichnet sind, in denen die Parteipresse eine wichtige Rolle spielt. Neben einer starken nationalen Presse hat sich dabei auch eine
starke und weit verzweigte Lokalpresse etabliert.21 „They have, so to say, two layers in the newspaper market…“ 22 Die Länder mit der niedrigsten Zeitungsverbreitung sind gekennzeichnet von einer
wenig stabilen politischen Vergangenheit und teilweise auch von wirtschaftlichen Problemen. Zeitungen haben in der Geschichte der meisten dieser Länder insgesamt nie eine große Rolle gespielt.
Klimatisch gesehen handelt es sich hauptsächlich um wärmere Nationen.23 Die Situation in den
Ländern mit mittlerer Zeitungsdichte und mittlerer Leserschaft variiert stark. Manche der Länder in
dieser Kategorie ähneln eher den Ländern mit sehr hoher Zeitungsverbreitung, andere wiederum
eher solchen mit niedriger Verbreitung. Hier ergibt die Betrachtung ein heterogenes Bild.24
Gustafsson und Weibull kommen zum Schluss, dass die Struktur des Zeitungsmarktes die wirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Traditionen eines Landes widerspiegelt und eng mit
dessen Entwicklungsstand verbunden ist: „Newspaper reading, then, could be interpreted as following the modernization process. It is connected with political and economic development of industrialized, urbanized societies and linked to traditional values of social integration.“ 25 Die Studie
von Gustafsson und Weibull liefert nicht nur eine Reihe von Hinweisen auf mögliche Determinanten der Mediennutzung, sondern dient gleichzeitig als wichtigstes methodisches Vorbild dieses Beitrags. Doch auch andere Untersuchungen liefern Erkenntnisse über Faktoren, die die Mediennutzung von Vietnamesen beeinflussen könnten.
Die Hamburger Medienwissenschaftler Uwe Hasebrink und Anja Herzog betrachten die Mediennutzung im internationalen Vergleich und versuchen darzulegen, „...wie sich verschiedene Kulturen
in ihrem Umgang mit den Medien unterscheiden [und] welche Gemeinsamkeiten sie aufweisen...“.26
Sie widmen sich ausführlich einigen Indikatoren der Mediennutzung. Dabei handelt es sich einerseits um Faktoren, die für die „Herausbildung eines bestimmten Umgangs mit den Medien relevant
sind“, andererseits aber auch um „wesentliche Kennwerte des Nutzungsverhaltens“ wie Reichwei-
19
20
21
22
23
24
25
26
ebd.
ebd. 257
ebd. 256
ebd. 258
ebd. 257
ebd. 256f.
ebd. 269
Hasebrink/Herzog, 2002, 108
237
Mediennutzung in Vietnam
ten oder Nutzungsdauer.27 Auch eine Untersuchung der Mediennutzung in Vietnam muss sich bemühen, soweit dies auf der bestehenden Datengrundlage möglich ist, diese Koordinaten zu klären.
Gerade die Datenbeschaffung stellt in Vietnam jedoch ein großes Problem dar.
Hasebrink und Herzog geben wertvolle Anregungen zu möglichen Informationsquellen wie etwa
das Unesco Insitute for Statistics, das Basiszahlen zu Zeitungs- und Fernseh- bzw. Radiogerätedichte liefert. Einige der Quellen, die sie vorschlagen, beziehen sich ausschließlich auf Europa oder
schließen Vietnam aus. So musste für den vorliegenden Beitrag auf alternative Quellen wie Experteninterviews zurückgegriffen werden. Doch Hasebrink und Herzog sind überzeugt, dass eine Untersuchung der Mediennutzung trotz schwieriger Quellenlage dennoch erfolgreich sein kann, da
„...es im Zweifel weniger auf eine exakte Zahl als auf ein Verständnis für den kulturellen Zusammenhang ankommt, in dem die Mediennutzung stattfindet...“ 28 Die Mediennutzung ist für sie Bestandteil der Alltagskultur,29 da die Medien „organisierte Kommunikationssysteme“ darstellen,
„...die das Ergebnis vielfältig verwobener gesellschaftlicher und kultureller Faktoren sind, und denen die Mitglieder einer Kultur im Rahmen ihres Alltags einen bestimmten Stellenwert zugewiesen
haben.“ 30 Hasebrink und Herzog setzen einen Akzent auf Faktoren, wie: Ausstattung, infrastrukturelle Zugangsvoraussetzungen, Schulbildung bzw. Alphabetisierung aber auch begrenzende geographische Gegebenheiten und Einschränkungen aus ökonomischen Gründen.31
Auch bei Meyen heißt es, dass „Fernsehen und Radiohören, Lesen und Kinobesuche stark an den
Alltag gebunden sind, an das Zeitbudget und an die Wohnungssituation, an die Familiengröße und
an Freizeitalternativen, und...außerdem gerade in der DDR die Einstellung zu den Medien eng mit
der politischen Haltung zusammenhing.“ 32
Auch der Urbanisierungsgrad einer Region scheint einen Einfluss auf die Zeitungsnutzung zu haben. Für Gustafsson und Weibull besteht, wie bereits erwähnt, ein Zusammenhang zwischen Zeitungslesen und dem „political and economic development of industialized, urbanized societies...“ 33
Und in der explorativen Untersuchung „Wer liest wirklich Zeitung“ heißt es: „Je größer der Wohnort, umso häufiger der Griff zu einer Qualitätszeitung.“ 34 Neben dem Faktor Urbanisierung sind
auch Faktoren wie Mobilität und Verkehr relevant. In einer Gesellschaft, in der viele Menschen
ihrem Job zuliebe den Wohnort wechseln oder zumindest fast täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit pendeln, kann sich diese, im Gegensatz zu Agrargesellschaften, erhöhte Mobilität
auch auf die Mediennutzung auswirken. Schon Karl Knies hat Mitte des 19. Jh. den Zusammenhang
von höherer Mobilität und erhöhtem Kommunikationsbedürfnis festgestellt.35 Außerdem sah er
„...das Bedürfnis und das Angebot „öffentlicher Nachrichten“ - wie sie in unseren Zeitungen ihre
27
28
29
30
31
32
33
34
35
238
ebd.
ebd. 112
ebd. 108
ebd. 109
ebd. 109ff.
Meyen, 2003, 11
Gustafsson/Weibull, 1997, 269
Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 139
vgl. Knies, 1996, 44ff. (erstmals 1857)
Mediennutzung in Vietnam
Stelle zu finden pflegen...im natürlichen Zusammenhang mit der Entwicklung und Gestaltung des
modernen Staats- und Volkslebens.“ 36
Ähnlich wie Meyen, der von überlieferten Rezeptionsmustern37 bzw. von überliefertem Rezeptionsverhalten38 spricht, betont auch Saxer,39 dass ein Rückblick in die Geschichte eines Landes hilfreich sein kann, um das Mediennutzungsverhalten einer Gesellschaft zu erklären. Die Adaptionshypothese40 geht von einer besonders intensiven Nutzung des Fernsehens gleich nach seiner Einführung aus.41 Dabei ist das Medium Radio von einem Verdrängungseffekt durch die Einführung des
Fernsehens stärker betroffen als die Zeitung, was sich aus den größeren funktionalen Unterschieden,
die zwischen Fernsehen und Zeitungsnutzung bestehen, ergibt.42 Das Fernsehen stellt in Vietnam
ein noch sehr junges Medium dar. Während in Deutschland Anfang der 1980er Jahre schon fast
jeder Haushalt ein Fernsehgerät besaß,43 gab es in Vietnam zu dieser Zeit noch kaum Fernsehhaushalte und täglich gesendet wurde erst seit 1979. TV-Geräte fanden erst nach dem wirtschaftlichen
Öffnungsprozess (Doi Moi ab 1986) ihre Verbreitung.44
Bonfadelli dagegen widmet sich dem Zusammenhang von Bildung und Mediennutzung und stellt
fest: „Fernsehnutzung ist konträr zu jener der Printmedien: die älteren, weniger gebildeten und
statustieferen Befragten finden sich häufig unter den Vielsehern.“ 45
Donsbach untersucht in erster Linie den Einfluss von Artikelmerkmalen auf die Mediennutzung,
lässt daneben jedoch auch soziogeografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und Berufstätigkeit und politische Interessiertheit gelten.46 Er stellt außerdem die Frage nach dem Einfluss von
Auswahlmöglichkeiten auf die Mediennutzung und stellt fest: „Dort wo sie, wie im Monopol nicht
gegeben ist, führt der Zwang zur politischen Entfremdung zu einer unterentwickelten Leser-BlattBindung.“ 47 In Vietnam herrscht ein solches Staatsmonopol im Mediensektor. Eine stabile LeserBlatt-Bindung ist jedoch ein wichtiger Faktor der Förderung von Zeitungsnutzung.
Zusammenfassend lassen sich mit McQuail folgende Faktoren der Mediennutzung nennen: Zugangsmöglichkeiten, Mediengewohnheiten, inhaltliche Interessen und persönlicher Geschmack,
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
ebd. 59
vgl. Meyen, 2001a, 31
vgl. Meyen, 2001b, 42
vgl. Saxer, 1998
„Die erstmalige Anschaffung (und Nutzung) eines Fernsehgerätes führt bei den Zuschauern anfangs zu einer starken
Veränderung des Freizeitverhaltens und Mediennutzungsverhaltens (hohe Fernsehnutzung, Verdrängung anderer
Interessen und insbesondere der Nutzung anderer Medien), die sich aber nach einer gewissen Zeit - und über einen
längeren Zeitraum hinweg - tendenziell zurückbildet...Dies entspricht einem „Prozeß der Veralltäglichung“, Peiser,
1998, 158
vgl. Peiser, 1998, 157ff.
vgl. ebd.: 184f
vgl. Meyen, 2001b, 141
„The main limitation on television during the 1980s was the extreme paucity of TV receivers, with most pre-1975 southern sets no longer functional, replacement sets not being imported, and most families having other, more pressing purchasing priorities in any event…By 1990, imported Samsung colour TV sets were available in state stores …“, Marr,
1998, 14
Bonfadelli, 1994, 377
vgl. Donsbach, 1991, 146-153
ebd. 207
239
Mediennutzung in Vietnam
Wissen um Alternativen, Kontext der Mediennutzung im Einzelnen und allgemeine soziale und
kulturelle Umstände, die auch die Mediennutzung in Vietnam beeinflussen können.48
Zusätzlich sollen jedoch einige weitere Aspekte nicht unerwähnt bleiben. In „Zur Zukunft der Tageszeitung“ beschreibt Klaus Schönbach eine Reihe von positiven Merkmalen der Tageszeitung, die
sie für die Leser interessant macht.49 Neben inhaltlichen Vorzügen (Hintergrundinformationen, etc.)
böte die Zeitung auch technisch-materielle Vorteile (Disponibilität; Zeitung als transportables Medium, das in individuellem Tempo rezipiert werden kann etc.), die ihre Nutzung fördern können.
Darüber hinaus spricht er auch von sogenannten inoffiziellen oder latenten Funktionen von Tageszeitungen. Sie würden sich demnach auch als Prestigeobjekte eignen oder als Abschirmung am
Frühstückstisch, außerdem ermöglichten sie das „Einwickeln von Heringen und von Kaminholz, das
Ausstopfen nasser Schuhe und das Erschlagen von Wespen.“ 50 Auch in Vietnam gibt es sicher eine
Reihe von solchen inoffiziellen Faktoren die für die Mediennutzung eine Rolle spielen.
Dass die Faktoren, die die Mediennutzung determinieren aus ganz unterschiedlichen Bereichen
kommen können, stellt für den Kommunikationswissenschaftler natürlich ein Problem dar, denn um
„...seine Aufgabe befriedigend zu lösen, müsste er zugleich Soziologe und Historiker, Psychologe
und Statistiker, Politologe und Ökonom sein und er bräuchte mehrere Leben.“ 51 Meyen spricht in
diesem Zusammenhang auch von einem „Faktorenknäuel“, dessen unzählige Fäden nur schwer auf
einmal zu fassen sind, weshalb keiner behaupten kann, „...dass er wenigstens alle Fäden kennt...“ 52
Gerade deshalb ist es sinnvoll, verschiedene und neue Regionen zu betrachten, damit mehr und
mehr Fäden aufgegriffen und überprüft werden, um dann in der Summe eventuell zu jenen vordringen zu können, die Mediennutzung im Allgemeinen determinieren. Im einzelnen Fall muss man
jedoch Kompromisse eingehen, die nicht zuletzt von der Quellenlage in der jeweiligen Region bestimmt werden.
Für die vorliegende Untersuchung wurden aus den, aus der Literatur hervorgehenden, Faktoren diejenigen ausgewählt, die speziell für die Mediennutzung in Vietnam ein Erklärungspotential versprechen. Um dem „Knäuel“ jedoch mehr Struktur zu geben, erfolgt die Präsentation der Analyse anhand eines Faktoren-Dreiklangs struktureller Determinanten der Mediennutzung.53 Damit soll dem
Problem, das durch die Darstellung von Multikausalität aufgeworfen wird, ansatzweise entgegengewirkt werden.
Die in Tabelle 2 dargestellten Faktoren entsprechen jenen, die sich in der folgenden Untersuchung
der Mediennutzung in Vietnam als erklärungsrelevant gezeigt haben. Bevor diese verschiedenen
Determinanten jedoch diskutiert werden können, gilt es sich zuerst ein Bild vom Mediensystem
Vietnams zu machen und zu versuchen, die Nutzung der verschiedenen Medientypen zu beschrei-
48
49
50
51
52
53
240
vgl. McQuail, 1994, 302
Schönbach, 1995, 337-347
ebd. 340
Meyen, 2001b, 13
beide ebd. 12
vgl. Hohenadl, 2004, 42ff.
Mediennutzung in Vietnam
ben. Ohne eine grundlegende Darstellung des Medienangebots und seiner Nutzung, würde eine
Analyse der Faktoren, die die Mediennutzung determinieren, kaum nachvollziehbar sein.
Tabelle 2: Raster für die Untersuchung der Mediennutzung in Vietnam
soziogeografische Faktoren
Urbanisierung, Folgeerscheinungen
Beschäftigung, Arbeitslosigkeit,
Wirtschaftskraft
Mobilität/Verkehr
Bildung
Klima
2.2
soziokulturelle Faktoren
Entwicklung der Massenmedien
historisch-kulturelle Bedingungen
für Unterhaltungsorientierung
Kommunikationstraditionen
statusorientiertes Konsumverhalten
medienstrukturelle Faktoren
Werbemittelverteilung
Medienkonkurrenz (inhaltlich,
preislich, technisch)
Methodische Vorgehensweise
Um die Untersuchung nach dem oben erläuterten Raster durchführen zu können, ist eine Fülle von
entsprechenden auf Vietnam bezogenen Daten nötig. Der vorliegende Beitrag kann jedoch nicht
darin bestehen, empirisches Datenmaterial zu erheben, vielmehr entspricht die hier angewandte
Methode einer hermeneutischen Vorgehensweise, die auf dem Heranziehen, Verstehen und Deuten
verschiedenster Quellen beruht. Unter der Methode der Hermeneutik versteht man „...die fortschreitende Rekonstruktion, das fortschreitende, den Einzelfall und damit die Menschen, ihre Ordnungen
und ihre Geschichte ernst nehmende, deutende Verstehen sozialen Handelns.“ 54 Im ersten Schritt
sollen zunächst vorhandene Daten gesammelt, ausgewertet und verglichen werden, um ein konkreteres Bild des Untersuchungsgegenstandes der Mediennutzung in Vietnam entstehen zu lassen. Im
zweiten Schritt sollen dann, durch eine Interpretation des gefundenen und zu einer Skizze der Mediennutzung ausgewerteten Materials, eine Reihe von Faktoren benannt und erläutert werden, die
einen Einfluss auf die Mediennutzung in Vietnam haben können. Welche Faktoren hierbei ins
Blickfeld gerückt werden, geht aus dem bereits entwickelten Untersuchungsraster hervor. Dieses
Verfahren der kritischen Datenverarbeitung55 stützt sich auf drei Pfeiler: (a) Quellenkritik, (b) Quellenvielfalt und (c) Quellenvergleich.
Um die Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Daten weitestgehend sicherzustellen, muss eine Vielzahl von Quellen verglichen werden.56 Dabei ist es wichtig, die jeweiligen Quellen oder Datenurheber auch unter Berücksichtigung der jeweils verwendeten Erhebungsmethode kritisch zu betrachten.
Eine solche kritische Herangehensweise an erhaltenes Datenmaterial ist bezüglich der Mediennutzung Vietnams von besonderer Bedeutung. Da die Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf Datenquellen recht beschränkt sind, muss man sich oft mit Informationen begnügen, die nur schwer überprüfbar sind. Auf diesen kritischen Aspekt soll im nächsten Abschnitt genauer eingegangen werden.
Nach intensiven aber wenig ergiebigen Recherchen im Internet und Sichtung der in Deutschland
zugänglichen Literatur über die Medien Vietnams, die jedoch vielfach oberflächlich bleibt oder
veraltet ist und einem Besuch des Unesco Headquarters in Paris, der aber nur statistisches Basisma54
55
56
Soeffer, 2000, 174
In Anlehnung an die Kriterien der von Meyen vorgeschlagenen historischen Datenanalyse.
„Der Vergleich mit anderen Quellen ist eine Muß-Kategorie“, Meyen, 2000, 55
241
Mediennutzung in Vietnam
terial ergab, zeichnete sich die Notwenigkeit einer Recherche vor Ort immer deutlicher ab. In Vietnam bestand die Möglichkeit, vor allem durch Gespräche mit Experten, konkretere Erkenntnisse
über die Mediennutzung in Vietnam zu gewinnen. Die Expertenbefragungen, die als wenig strukturierte Interviews57 durchgeführt wurden, sollen den Mangel an schriftlichem Quellen ausgleichen.
2.3
Quellen und Quellenkritik
Nach einer allgemeinen Darstellung der Zugangsmöglichkeiten zu Daten und Informationen in und
über Vietnam, sollen die für diese Beitrag herangezogenen Quellen vorgestellt, eingeordnet und
kritisch betrachtet werden.
2.3.1
„Geschlossene Gesellschaft“– Zugang zu Informationen in Vietnam
Für die Studie „The Right to Know. Access to Information in Southeast Asia“ 58 wurden die Zugangsmöglichkeiten zu Informationen in acht südostasiatischen Ländern untersucht. Die Studie
richtet zwar ein besonderes Augenmerk auf die Situation der Medien, als „major channel of information“, gleichzeitig wird aber betont, dass man ebenso „...the experience of ordinary citizens in
demanding information from the State...“ berücksichtigt hat. „We surveyed the accessibility of over
40 public records and ranked the countries according to their openness.“ 59
Zu diesem Zweck fragte man in acht südostasiatischen Ländern nach „…macroeconomic data,
socio-economic indicators, law and parliamentary proceedings, government budgets and contracts,
information on public officials and data on private individuals.“ 60
Tabelle 3: Zugang zu Informationen in Südostasien
Are these records available to the public?
(Countries ranked according to Yes answers)
Philippines
Thailand
Cambodia
Singapore
Malaysia
Indonesia
Vietnam
Myanmar
in percent:
59
56
44
42
33
18
18
5
Differenziert man nach Art der gesuchten Informationen, zeigt sich, dass in Vietnam, wenn es sich
um „Business and Corporate Data“ 61 handelt, 40% der gesuchten Informationen zugänglich sind.
Nach „Data on Public Officials“ fragt man in Vietnam jedoch vergeblich. Solche Informationen
sind mit 0% schlicht „Not Available“ 62.63 „Singapore…along with Myanmar and Vietnam, counts
among Southeast Asia’s most politically repressed states.“ 64
57
58
59
60
61
62
63
242
vgl., Hopf/Weingartner, 1979, 169; Jensen, 2002, 240ff.
Coronel, 2001
alle ebd. 6
ebd. 11
ebd. 14
beides ebd. 15
In „The right to know” heißt es dazu: „Much public spending is treated as a state secret in Vietnam and only
the bare-bones data of the budget are made available to the press…Business reporters also complain that
Mediennutzung in Vietnam
Mit dieser Darstellung soll vor allem deutlich gemacht werden, dass die Sammlung von Daten und
Informationen über Vietnam äußerst schwierig und zeitintensiv ist. Deshalb können viele Aspekte
nicht vollauf befriedigend belegt werden, und die Interpretationen verbleiben somit zwangsläufig oft
auf einer tendenziell hypothetischen Ebene. Die Hauptschwierigkeit dieses Beitrags bestand darin,
überhaupt Informationen zu erhalten, mit deren Hilfe auf das Mediennutzungsverhalten der Vietnamesen zurückgeschlossen werden konnte. In einem autoritären System wie Vietnam spielen die
Medien als Sprachrohr der Partei und der Führungselite vor allem eine ideologische Rolle. „The job
of the press, according to the law, is to protect the party lines and policies and the state law, detect
and promote positive factors, and struggle against erroneous thought and action.“.65 Medien dienen der Erziehung des Volkes im Sinne der Staatsideologie und sollen nationale Einigkeit schaffen.
Zu diesem Zweck sind alle Medien staatlich. Subventionierungen, wenn auch rückläufig, spielen
eine wichtige Rolle. In einem solchen Umfeld liegt der Gedanke an Publikums- oder Nutzungsforschung fern, denn die Frage, was die Rezipienten sehen, hören oder lesen wollen und wie man auf
ihre Bedürfnisse eingehen kann, stellt sich erst in einer vielfältigen Medienlandschaft, in der die
verschiedenen Angebote um Werbefinanzierung und Aufmerksamkeit konkurrieren.
Eine etwa mit Deutschland vergleichbare Mediaforschung existiert in Vietnam nicht. Dennoch ist es
möglich Quellen aufzutun, die hinsichtlich der Mediennutzung interpretiert werden können.
2.3.2
Vorstellung und kritische Betrachtung der Quellen dieses Beitrags
Die Präsentation des Untersuchungsrasters hat gezeigt, dass viele Faktoren der Mediennutzung soziodemographischer Art sind. Für statistisches Datenmaterial dieser Art wurden hauptsächlich folgende Quellen zu Rate gezogen: (a) United Nations World Statistics Pocketbook, (b) United Nations Statistical Yearbook for Asia and the Pacific, (c) Socialist Republik of Vietnam Statistical
Yearbook, (d) United Nations Demographic Yearbook und (e) Asia Yearbook der Far Eastern Economic Review.
Informationen zu Mediensystem, Gesellschaftssituation und Kultur ließen sich hauptsächlich in
fachfremder, d.h. nicht-kommunikationswissenschaftlicher Literatur finden. Wobei sich gerade Informationen über die vietnamesische Medienlandschaft fast ausschließlich in Sammelwerken über
den asiatischen bzw. südostasiatischen Raum verbargen. Oft blieben die Angaben jedoch recht oberflächlich oder waren veraltet.
Die wertvollsten Quellen ergaben sich demnach erst während des Rechercheaufenthalts in Hanoi.
Die Wahl des Standortes für die vertiefende Recherche vor Ort fiel auf Vietnams Hauptstadt, da sich
dort nicht nur die wichtigsten staatlichen Stellen befinden, sondern auch viele Zeitungsredaktionen
und das vietnamesische Fernsehen ihre Hauptsitze haben. Darüber hinaus haben in Hanoi auch
64
65
state-owned enterprises are almost impossible to cover accurately. Vietnam Airlines is an example, said one
reporter who has tried for years to obtain raw financial data from the firm. “It’s just not available”, he said.
Similarly, ailing banks and other key institutions are tough to cover.“, ebd. 212. Die durchweg staatlichen
vietnamesischen Medien gehören eindeutig auch zu diesen sogenannten Schlüsselinstitutionen über die Informationen nur sehr schwer zu bekommen sind.
ebd. 7
Neumann, 2001, 209
243
Mediennutzung in Vietnam
sämtliche ausländischen und internationalen Organisationen ihren Standort, deren Archive, Fachkompetenz und Kontakte für diesen Beitrag unabdingbar waren. Während der Recherche vor Ort
stieß ich auf einige wichtige Dokumente und konnte insgesamt neun Interviews66 sowie eine Reihe
von weiteren Gesprächen mit internationalen Medienbeobachtern, sowie mit Personen, die aufgrund
ihrer Arbeit oder Position als Experten auf dem Gebiet der vietnamesischen Medien gelten können,
durchführen. Zunächst blieben die Interviews auf Personen beschränkt, die englisch oder französisch sprachen, doch gegen Ende der Recherchereise bot sich dann die Möglichkeit, mit Übersetzern
zu arbeiten. Dies führte zu einer enormen Bereicherung des Quellenmaterials.67 Allein die Erschließung dieser persönlichen Quellen vor Ort erforderte viel Geduld und Fingerspitzengefühl und meist
auch die Empfehlung durch einen Fürsprecher. „There is widespread distrust of the official statistics
available...and most reporters say they still rely on source relationships for most information“, heißt
es in „The right to know“.68 Direkte Anfragen bringen vielfach nicht die gewünschten Resultate,
denn, wie ein Journalsist von Tuoi Tre erklärt, „…if you approach government officials directly,
they are still afraid to release figures.“ 69 Wenn man fremd ist, stellt dies natürlich ein fast unüber66
67
68
69
244
Experteninterviews: Nicolas Boissez, Attaché audiovisuel à l’Ambassade de France, 16.01.04; Frau Nguyen Thu
Hoai, VJA -Vietnam Journalists Association, 18.01.04; Herr Dang Ngoc Dinh, VUSTA - Vietnam Union of Science
and Technology Association, 19.01.04; Franck Renaud, ESJ - École Supérieure de Journalisme de Lille, 19.01.04;
Andrei Pecherine, St. Petersburg State University, (Verfasser einer Studie über die Nutzung von Jugendpresse in
Hanoi), 27.01.04; Herr Nguyen Ngoc Oanh, Institute for Press, Journalism & Communication, Fachgebiet Radio &
TV, 30.01.04; Prof. Dr. Mai Quynh Nam, Institute of Sociology, Vietnam National Center for Social Sciences and
Humanities, 30.01.04; Herr Nguyen Van Phuong, VTV International Relations, 02.02.04; Nguyen Nam Son, VTV
Jugendprogramm, 02.02.04
Folgende vor Ort erschlossene und nur schwer zugängliche Quellen sind für diese Arbeit von zentraler Bedeutung:
Taylor Nelson Sofres Media Habit Survey (TNS MHS): Das MHS wird nach der „stratified multi-stage sampling
procedure“ (TNS MHS 2003: 7) erstellt. Die Interviews für das dieser Arbeit zugrundeliegende MHS wave 2-2003
fanden vom 29.10.-18.11.03 in den Bezirken von Hanoi, Ho Chi Minh Stadt, Da Nang und Can Tho (urbane und rurale Gebiete dieser Bezirke) statt. Dabei handelte es sich um „face-to-face“-Interviews anhand eines strukturierten
Fragebogens, die jeweils ca. 60 Minuten dauerten. Die Größe des Samples, in das nur Personen, die mindestens 15
Jahre alt waren, aufgenommen wurden betrug 2.181 Personen. Da die jüngere Generation (0-14 Jahre) jedoch rund
36% der Bevölkerung ausmacht, hat man die an der Studie teilnehmenden Personen mit eigenen Kindern auch nach
deren Mediengewohnheiten befragt. Neben Erkenntnissen über „Media penetration“, „Readership“, Radio Listenership“ und „Viewership of television“, liefert das MHS auch Informationen über „Household demographics“ und
„Durable ownership“.
Tran Huu Quang (2001) Portrait des Medienpublikums. Eine Soziologische Studie in HCM Stadt: Die Studie basiert auf einer Rezipientenbefragung per Fragebogen von 184 Familien mit insgesamt 697 Personen ab 16 Jahren.
Darüber hinaus wurden 10 Tiefeninterviews geführt. Die Ergebnisse aus diesen Interviews wurden anschließend statistisch ausgewertet. Die Studie beschränkt sich auf die Südmetropole HCM Stadt. Dabei würden aus dem Verwaltungsbereich HCM Stadt vier Bezirke ausgesucht von denen einer rural (Binh Chanh) und drei urban sind. Insgesamt
besteht HCM Stadt aus 22 Bezirken (17 urbane, 5 rurale).
Die Unicef-Studie Mass media and informal Networks in a northern Delta Region wurde von der Ho Chi Minh
National Academy for Sociology and Informatics im Jahr 1992 für Unicef durchgeführt und sollte „the effectiveness
of information channels to people in two areas of the North“ (S. 1) ermitteln. Sie wurde parallel in einer urbanen und
einer ländlichen Gegend durchgeführt, was aufgrund der starken Stadt-Land-Diskrepanz in Vietnam von großer Bedeutung ist. Aus jeweils 500 kontaktierten Personen wurden für jede der beiden Regionen (ländlich und urban) 40
Probanden für „In-depth interviews“ (Unicef Studie 1993: 1) ausgesucht.
A Performance Analysis of the Swedish Support to Media Development in Vietnam (SIDA): Im Rahmen des Engagements der Swedish International Development Cooperation Agency (SIDA) des schwedischen Außenministeriums organisiert das Institute for Further Education of Journalists (FOJO) Trainings- und Medienentwicklungsprogramme in Vietnam (vgl.: SIDA- und FOJO-Websites). Die Performance Analysis (Elmqvist/Fredriksson 2003)
wurde zur Effektivitätskontrolle des schwedischen Medienengagements in Vietnam Anfang des Jahres 2003 durchgeführt und bietet interessante Einblicke in die vietnamesische Medienlandschaft.
Coronel, 2001, 211
ebd.
Mediennutzung in Vietnam
windliches Hindernis für die Recherche dar und „Networking“ wird unerlässlich. Eine Recherche
vor Ort bringt aber auch den Vorteil mit sich, dass bei einer derartigen Quellenlage direkte Beobachtungen helfen können, die erhaltenen Informationen zu beurteilen. Abgesehen von den Interviews
konnte ich in Vietnam auch einige Dokumente sammeln, die entscheidend zum Verständnis der
Mediennutzung in Vietnam beigetragen haben.
Für Angaben zur Verbreitung der Medien in Vietnam ist das Ministry of Culture and Information
(MoCI) zuständig. Im Jahr 2000 hat das MoCI ein „Vietnam Press Directory“ herausgegeben. Darin
sind alle Printmedien Vietnams mit Angaben zu Erscheinungsfrequenz, Auflagen, Redaktionssitz
etc. aufgelistet. Dabei handelt es sich um die offiziellen gedruckten Auflagen aller Zeitungen und
Zeitschriften. „Schwer festzustellen wie viele verkauft, kostenlos verteilt worden oder am Kiosk liegengeblieben sind...Das hängt auch von der jeweiligen Zeitung ab (Nhan Dan beispielsweise, das
offizielle Parteiorgan verkauft sich schlecht, wird aber viel in Verwaltung, Volkskomitees, etc. verteilt).“ 70 Die Angaben des MoCI stellen die offiziellen Versionen von Informationen dar, d.h. sie
sind immer im Einklang mit den Vorstellungen der Regierung des Landes. Wenn man davon ausgeht, dass hinter jeder Datenerhebung ein bestimmtes Interesse steht, bleibt fraglich, inwiefern diese
Angaben mit der Realität übereinstimmen. Während in der freien Marktwirtschaft höhere Auflagen
auch höhere Werbeeinnahmen bedeuten,71 gehorcht die Zahlenpolitik in Vietnam einer anderen
Ideologie. So hat das offizielle Parteiblatt Nhan Dan als wichtigste Zeitung Vietnams zu gelten,
völlig ungeachtet ihrer tatsächlichen Leserschaft. Fragt man also beim Journalistenverband Vietnam
Journalists Association (VJA) nach der wichtigsten Zeitung, bekommt man die offizielle und linientreue Antwort „Nhan Dan“. Vergleicht man dies jedoch mit den Erhebungen der internationalen
Marktforschungsagentur Taylor Nelson Sofres, muss man feststellen, dass Nhan Dan in der Liste
der beliebtesten Zeitungen gar nicht auftaucht.
Nicht weniger schwierig ist es, die Verbreitung von Radio und Fernsehen festzustellen. Meist bekommt man nur wage Prozentangaben, deren Erhebungsgrundlage jedoch völlig im Dunkeln bleibt.
In Vietnam gibt es keine Gebührenerhebung für die Nutzung von Radio und Fernsehen und somit
auch keine genauen Zählungen darüber, wie viele Haushalte mit Empfangsgeräten ausgerüstet sind,
da diese nicht angemeldet werden müssen. Um also über die Verbreitung von Radio und Fernsehen
nachvollziehbare Aussagen machen zu können, bleibt einzig der Rückgriff auf die Hochrechnungen
der wenigen in Vietnam tätigen Marktforschungsinstitute, die ihre Daten aber ungern kostenlos
preisgeben. Taylor Nelson Sofres machte für diesen Beitrag eine Ausnahme.
In Vietnam gibt es keine technischen Messverfahren zur Erhebung von Daten zur Mediennutzung.
Angaben von VTV International Relations zufolge behilft man sich mit Zuschauerumfragen, die
aber seien „quite generate and not very deeply conducted“.72 Genaue Zuschauer-, Hörer- oder Leserzahlen für bestimmte Sendezeiten sind jedoch überhaupt nicht zu bekommen. Eine Ausnahme
70
71
72
Nicolas Boisses, Ambassade de France, per E-Mail
Die Problematik vom Einfluss des Marktzwanges auf die Mediadaten wird von (Meyen, 2001a, 41-47) beschrieben.
Interview mit Herrn Phuong, VTV International Relations
245
Mediennutzung in Vietnam
stellt eine veröffentlichte aber nicht übersetzte vietnamesische Studie zum Medienpublikum in Ho
Chi Minh Stadt dar, von der mir eine Zusammenfassung des Autors auf Französisch vorliegt.73
In vielen Fällen hat man zu einem Sachverhalt keine vielfältigen Quellen zum Vergleich. Als weitgehend aussichtslos muss der Versuch gewertet werden, den genauen Ursprung, die Erhebungsmethode oder die Durchführungsumstände (Zeitraum, Anzahl der Befragten, Wortlaut der Fragen) von
vielen Daten zu überprüfen. Viele Maßstäbe,74 die normalerweise bei der Auswertung von empirischem Datenmaterial beachtet werden müssen, um zu qualitativen Aussagen zu kommen, fanden
folglich keine Berücksichtigung. Man sollte sich jedoch im Klaren darüber sein, dass auch für Daten, deren Entstehung nachvollziehbar ist, nicht unbedingt eine Validitäts-Garantie besteht. In
Deutschland gibt es bereits eine lange Mediaforschungstradition und das daraus hervorgegangene
empirische Datenmaterial hat über die Jahre sicher an Präzision gewonnen, dennoch kann man letztlich immer nur von einer „Scheingenauigkeit“ solcher Daten sprechen, da das „eigentliche, natürliche“ Mediennutzungsverhalten „der direkten Beobachtung entzogen ist“.75
Die Einschätzung der Qualität der Quellen und die Interpretation und Bewertung der gesammelten
Daten und Informationen stellte sicher die größte Herausforderung dieses Beitrags dar.
3.
Kartographie und Organisationsform der vietnamesischen Medienlandschaft
Das Medienangebot einer Region76 sowie die Ausstattung der Haushalte mit Radio- und Fernsehgeräten77 haben Einfluss auf das Mediennutzungsverhalten. Gleichzeitig spiegeln Indikatoren wie
Reichweiten und Nutzungsdauern der verschiedenen Medientypen die Mediengewohnheiten wider.78 Die folglich aufgeführten Fakten über Entwicklung, Organisationsform, Angebotssituation
und Verbreitung der Medien in Vietnam, stellen streng genommen bereits Determinanten der Mediennutzung dar. Es erscheint jedoch sinnvoll, diese Aspekte gesonderten vorab zu behandeln. Denn
Ziel ist es, Faktoren zu ermitteln, die die Mediennutzung in Vietnam determinieren. Um das leisten
zu können, muss in einem ersten Schritt geklärt werden, welches Medienangebot in Vietnam existiert und wie es organisiert wird. Erst im Folgenden kann ein Bild des Nutzungsverhaltens der vietnamesischen Rezipienten skizziert werden. Dies wird anhand von Informationen über die Zeitungsbzw. Gerätedichte, Verbreitung, Dauer, Frequenz und Zweck der Nutzung erfolgen.
3.1
Mediensituation im politischen Kontext
Wichtigstes Grundprinzip der vietnamesischen Medienlandschaft ist ihre ausnahmslos staatliche
Organisationsform. Es gibt keinen privaten Sektor im Medienbereich. Die staatliche Ideologie der
kommunistischen Einheitspartei weist den Medien eine wichtige Rolle in der systemkonformen Erziehung des Volkes und als Sprachrohr und Promotionsapparat der politischen Führung zu. In einer
Rede der Vietnam Journalists Association (VJA) anlässlich des „First East Asia Journalists Forum
73
74
75
76
77
78
246
Tran Huu Quang, 2001
vgl. dazu Meyen, 2001a, 54; Hasebrink/Herzog, 2002, 110
Schulz, 1996, 198
vgl. Webster/Wakshlag, 1983, 434
vgl. Donsbach, 1991, 207; McQuail, 1996, 302; Gustafsson/Weibul, 1997, 256, 258
vgl. Hasebrink/Herzog, 2002, 108
Mediennutzung in Vietnam
Korea” 79 heißt es, vietnamesische Journalisten seien „active in the propagandizing field...popularizing the Party and Government decisions and policies“. Innerhalb der Medien, die als „official news
channel to help the Party, Government in conducting the country“ dienen, „journalists have taken
part in recognizing, praising and broadening the symbols of the good people...for the goal of building a...strong country...maintain the social stability, enhance the great national unity block“.
Gleichzeitig heißt es jedoch, „news resources are not limited“ und man unterstreicht die Informationsvielfalt der vietnamesischen Medien. „There are news of the produce, business, construction of
legal and authority State, development of culture, education, technology, sports, external affairs,
education of new people and reservation and protection of the nation culture identity.“ 80 Dieser
Widerspruch zeigt sich bereits in der vietnamesischen Mediengesetzgebung.81 In Art. 69 der vietnamesischen Verfassung heißt es: „The citizen shall enjoy freedom of opinion and speech, freedom
of press, the right to be informed, and the right to assemble, form associations and hold demonstrations in accordance with the provisions of the law.“ 82 In Art. 33 wird diese Freiheit jedoch wieder
eingeschränkt: „The State shall strictly ban all activities in the fields of culture and information that
are detrimental to national interests, and destructive of the personality, morals, and fine lifestyle of
the Vietnamese...“ 83 Die Formulierung der in Art. 33 aufgeführten Einschränkungen ermöglicht
eine willkürliche Auslegung, weshalb Neumann zum Schluss kommt: „There is no right to information in Vietnam...“ 84 In einer medienpolitischen Typologie der Staaten Südostasiens, rangieren
Vietnam und Myanmar, in der Kategorie der „Nondemocracies“.85
Vietnam ist eines der wenigen politischen Systeme, welches offiziell nicht vom kommunistischen
Kurs abgekommen ist. Seit dem 6. Parteikongress der KPV (1986) vollziehen sich jedoch marktwirtschaftliche Impulse, mitsamt einer Öffnung des Landes. Diese Erneuerung (Doi Moi)86 beschränkt sich weitgehend auf den wirtschaftlichen Sektor, politisch behielt die Führung die Zügel
fest in der Hand: „Eine wichtige Tatsache: Es gibt aktuell keine privaten Medienangebote in Vietnam. Alle Medien sind direkt (beispielsweise von einem Ministerium herausgegeben) oder indirekt
(durch lokale Volkskomitees, Parteiorganisationen...) an den vietnamesischen Staat gebunden.“ 87
Was dies konkret für die Organisation des Mediensektors in Vietnam bedeutet, geht aus einem Bericht des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien hervor. Darin beschreibt Nguyen Xuan Tho die Struktur der vietnamesischen Medienlandschaft indem er zunächst
zentrale und regionale Medien unterscheidet und anschließend zwischen Parteimedien, Staatsme-
79
80
81
82
83
84
85
86
87
Vorlage der VJA-Begrüßungsrede zum Seminar I: „The role of the journalists for the East Asia Development“. First
East Asia Journalists Forum Korea, 05.-10.10.2003
ebd.
vgl. Neumann, 2001, 207
ebd.
ebd.
ebd. 216
Coronel, 2001, 9; Eine detaillierte Schilderung und Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit in Vietnam wird
von der vorliegenden Arbeit nicht vorgenommen. Hierzu seien folgende Werke empfohlen: Nguyen Xuan Tho,
1992; Marr, 1998; Coronel, 2001
Zum Thema Doi Moi sei Klump/Mutz, 2002 empfohlen.
Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben
247
Mediennutzung in Vietnam
dien, Branchenmedien und Medien der Volksfront differenziert. Die folgende Tabelle veranschaulicht diese Medienstruktur. 88
Tabelle 4: Aufbau der vietnamesischen Medienlandschaft
zentrale
Ebene
Parteimedien
Tageszeitung: Nhan Dan
Zeitschrift: Cong San
Staatsmedien
Radio: Voice of Vietnam (VoV)
Fernsehen: Vietnam Television
(VTV)
Nachrichtenagentur: Vietnam
News Agency (VNA)
Armeezeitung: Quan Doi Nhan Dan
regionale Tageszeitung der ParteileiEbene
tung/Provinz: z.B. Hanoi
Moi, Saigon Giai Phong
Branchenmedien Medien der Volksfront
Zeitungen der
Zeitungen verschiedener
Berufsverbände: Organisationen: z.B.
z.B. Metall,
Frauen, Jugend, Kirche
Medizin, Verkehr
Radio- und TV-Sender in jeder
Provinz
Trotz dieser verschiedenen Ebenen gilt, dass alle Medien an die Partei gebunden sind, unabhängig
davon, welche Interessengruppe (Branchen oder Organisationen) sie jeweils vertreten.89
Der durch den Doi Moi-Prozess entstandene Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Selbstverantwortung der Medien und gleichzeitiger politischer Überwachung spiegelt sich demnach auch in der Organisation des Mediensystems wider. Die Medien verbleiben inhaltlich unter der strengen und aufmerksamen Kontrolle der KPV, sind jedoch seit einigen Jahren stärkerer für ihre Finanzierung verantwortlich, da die staatlichen Subventionen weitgehend gestrichen wurden.90 Während die politische Führung Lizenzen vergibt und die Zensurgewalt innehat, versuchen die Medien in diesem Rahmen Angebote zu entwickeln, die sich durch Werbe- und Verkaufseinnahmen selbst tragen können. Der wirtschaftliche Erfolg einiger Medien, vor allem im Printsektor (Fernsehen- und Radio sind insgesamt
strengerer Kontrolle unterworfen), ermöglicht ihnen einen größeren Spielraum, auch was die inhaltliche Gestaltung betrifft. So wurden in den letzten Jahren verstärkt negative Erscheinungen, wie Korruption oder Misswirtschaft thematisiert. Beispielsweise sei auf die Nam Cam-Affäre91 hingewiesen,
die 2002 das Land erschütterte. Dabei handelte es sich um einen der größten bekannt gewordenen
Korruptionsfälle in der jüngsten Vergangenheit des Landes. Truong Nam Cam, Kopf eines landesweit
operierenden Unterweltsyndikats, hatte es geschafft, sein Netzwerk bis in hochrangige Positionen von
Polizei und Partei auszuweiten. Obwohl Beobachter davon ausgehen, dass die lebhafte und durchaus
kontroverse Berichterstattung,92 die die Enthüllung der Affäre mit sich brachte, nur mit dem Segen der
Regierung möglich geworden war, attestierte man den „self-financed newspapers...a bolder attitude,
while the more controlled VTV had a more cautious view.“ 93
88
89
90
91
92
93
248
Nguyen Xuan Tho, 1992, 6ff.
ebd. 6
Nguyen Xuan Tho, 1992, 19f.
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 20ff.
„But...in the Nam Cam case reporters have really pushed the limits for investigative reporting and reporting on
negative news in Vietnam, which greatly boosted their circulation and gave enormous response from the readers in
terms of letters and e-mails. The limits were pushed so far, that the Ideological Department saw it necessary on several occasions to request the media to stop reporting. Some of the papers have once again showed that much of the
reporting on scandals and corruption in Vietnam is done in the south, where papers are considered more agressive
and dynamic. This time they were not alone...“, ebd. 22
ebd.
Mediennutzung in Vietnam
Für das staatliche Radio Voice of Vietnam (VoV) war die Nam Cam-Affäre besonders delikat, da es
sich bei einer der in die Affäre verwickelten, hochrangigen Persönlichkeiten, um den Generaldirektor von VoV und gleichzeitig Vorsitzenden der Vietnam Journalists Association (VJA) handelte.
3.2
3.2.1
Printmedien
Entstehung und aktuelle Situation
Offiziell werden in Vietnam zwei Zeitalter der Primentmediengeschichte, vor und nach der Unabhängigkeit, unterschieden. Die erste vietnamesischsprachige Zeitung, Gia Dinh Bao, erschien 1865
in Saigon. Als erster vietnamesischer Journalist gilt der Leiter von Gia Dinh Bao, Truong Vinh Ky.
Zuvor hatte es bereits einige französischsprachige Zeitungen im kolonialen Vietnam gegeben. Aber
sowohl diese, als auch die meisten vietnamesischsprachigen Zeitungen dieser Zeit, dienten den Interessen der französischen Besatzer und der assimilierten Vietnamesen. Deshalb gilt aus einem anderen Geschichtsverständnis heraus, Thanh Nien als erste Zeitung Vietnams. Sie wurde von Ho Chi
Minh gegründet und erschien erstmals am 21.06.1925. An diesem Tag findet nun alljährlich der
nationale vietnamesische Pressetag statt.94 Dazu heißt es in einer Rede der VJA, anlässlich des „East
Asia Journalists Forum Korea“: „The first Vietnam newspaper published in Vietnamese was
brought out 100 years ago, but the revolutionary and people press has been issued for 78 years,
since June 21st, 1925, on the same day when President Ho Chi Minh - The great leader of the Vietnam people, the prominent poet, revolutionary and outstanding man of culture of the world significance, founded the Youth Newspaper. So far, this Day (June, 21st) has become the Day of Vietnam
Revolutionary Press.“ 95
Das durch Kolonialisation, Krieg und Teilung des Landes gekennzeichnete 20. Jh. stellt keine
fruchtbare Periode für die Entwicklung der Printmedien dar, da die Rahmenbedingungen vor allem
für Druck und Distribution nicht günstig waren.96 Zwischen 1959-75 kam es zu „wide fluctuations
in the number of periodicals - from a low of 16 to a high of 81 and an average of 37 over a 16-year
period.“ 97 In den ersten Jahren der Nachkriegszeit (ca. 1975-85) erschienen etwa 200 Titel, die von
insgesamt ca. 3.000 Journalisten gestaltet wurden. Der Inhalt der Zeitungen sowie aller Medien
wurde überwacht und war der staatlichen Ideologie unterworfen, die den Aufbau einer neuen Gesellschaftsform in einem vereinten Vietnam verfolgte. In dieser Zeit gab es „no competition“ und
„every newspaper had the same content.“ 98 Erst mit Beginn des Erneuerungsprozesses (Doi Moi)
kam es auch zu einer dynamischen Entwicklung im Mediensektor. Zum einen, da sich die finanzielle Situation der Abnehmer verbesserte, zum anderen, da die Medien ihre Budgets seither weitgehend eigenständig generieren mussten. Damit bestand für die Zeitungen nun die Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften, die in den eigenen Haushalt zurückfließen konnten. Dennoch gibt es gegenwärtig keine privaten, vom Staat unabhängigen Zeitungen. Als Herausgeber treten entweder die
94
95
96
97
98
vgl. Panol/Do, 2000, 464
Vorlage der VJA-Begrüßungsrede zum Seminar I: „The role of the journalists for the East Asia Development.“ First East Asia Journalists Forum Korea, 05.-10.10.2003
vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA)
Panol/Do, 2000, 466
vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA)
249
Mediennutzung in Vietnam
KPV, die lokalen Volkskomitees oder die Ministerien auf. Die der KPV angehörenden Berufs- oder
sozialen Organisationen wie Gewerkschaften und Frauen- oder Jugendbünde sind berechtigt, Zeitungen herauszubringen.99 Subventionen erhalten jedoch nur wenige Printmedien. Laut VJA befinden sich unter den Zeitungen, die staatlich unterstützt werden, die „Volkszeitung“ Nhan Dan und
Cong San sowie die Zeitung der Volksarmee Quan Doi Nhan Dan.
Parallel zu einer wachsenden Anzahl von Titeln ist die Zahl der Journalisten auf ca. 13.000 gestiegen. Fast alle Journalisten sind im offiziellen Journalistenverband VJA organisiert.
3.2.2
Das Angebot
Der Printmedienmarkt besteht aktuell nicht nur aus lokaler und nationaler Tagespresse. Gerade der
Zeitschriftenmarkt ist von besonderer Dynamik gekennzeichnet. Hier finden sich zahlreiche Titel
aus den Bereichen: Kinder- und Jugendpresse, Sportzeitschriften, Frauenzeitschriften, Boulevardsowie Wirtschaftsmagazine. Auch werden einige Zeitungen in Fremdsprachen veröffentlicht. Darunter befinden sich die beiden, von der vietnamesischen Nachrichtenagentur Vietnam News Agency
(VNA) herausgegebenen, Zeitschriften Vietnam News und Le Courrier du Vietnam. Eine Zeitung,
Liberated Saigon, erscheint in chinesischer Sprache.100 Seit 1997 das Internet zugänglich wurde,
sind einige vietnamesische Zeitungen mit Online-Versionen (teilweise in englisch) vertreten, und es
sind in den letzten Jahren auch reine Netz-Zeitungen entstanden.
3.2.2.1 Generalistische Tagespresse
Nationale Tageszeitungen: In die Kategorie der nationalen Tageszeitungen fallen Publikationen, wie
Nhan Dan (180.000 Exemplare), Thanh Nien (165.000 Exemplare), Lao Dong (80.000 Exemplare)
oder Quan Doi Nhan Dan (70.000 Exemplare). Vietnamesische Tageszeitungen (sowohl die nationalen wie auch die lokalen) haben meist eine sehr geringe Seitenzahl. Viele umfassen gerade einmal
vier Seiten. Dem vom MoCI publizierten „Press Directory“ zufolge ist Thanh Nien, mit durchschnittlich 14 Seiten, die umfangreichste Tageszeitung Vietnams. Die Formate der Tageszeitungen
variieren, in der Regel sind sie jedoch kleinformatiger, als etwa deutsche Qualitätszeitungen. Viele
der nationalen Tageszeitungen publizieren nebenbei auch wöchentliche oder monatliche Supplement-Ausgaben, wie beispielsweise Quan Doi Nhan Dan Cuoi Tuan (Wochenendausgabe der
Volksarmeezeitung) mit 50.000 Exemplaren.101
Lokale Tageszeitungen: In der Regel werden diese von den Provinzorganisationen der KPV herausgegeben. Aber auch Nguoi Lao Dong, eine Publikation der Gewerkschaft von Ho Chi Minh Stadt
oder An Ninh Thu Do, die von der Hanoier Polizei publiziert wird, fallen in diese Kategorie. Die
KPV unterhält in allen 61 Provinzen des Landes eine Zeitung, darunter sollen sich aber nur wenige
selbst tragen können.102 „Les jouraux de province vietnamiens ne se trouvent pas pour l’instant au
99
100
101
102
250
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 9
Weitere fremdsprachige Publikationen: Saigon Times, Vietnam Investment Review, Vietnam Economic Times (engl.)
und Vietnam Scoop (frz.)
alle Angaben vgl. Xunhasaba, 2004; MoCI, 2000
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 11
Mediennutzung in Vietnam
même stade de développement que leurs “grandes frères“ nationaux (pas de dynamisme commercial, ni journalistique).“ 103
Eine Ausnahmestellung nimmt die Zeitung Tuoi Tre ein, die auf regionaler Ebene in Ho Chi Minh
Stadt herausgegeben wird, aber im ganzen Land gelesen wird. Tuoi Tre erscheint in einer hohen
Auflage von 260.000 Exemplaren und ist damit die auflagenstärkste vietnamesische Tageszeitung.104 Auch in Gesprächen wird sie als die beliebteste Tageszeitung Vietnams genannt. Tuoi Tre
trägt sich selbst und verzeichnet neben Verkaufseinnahmen nach eigenen Angaben rund
70.000US$/Woche Werbeeinnahmen.105
Allgemein müssen die Lokalzeitungen der vier großen selbstverwalteten Städte (Hanoi, Ho Chi
Minh Stadt, Danang, Hai Phong) von denen der verbleibenden 57 Verwaltungseinheiten (Provinzen) unterschieden werden. So sind auch Hanoi Moi (50.000 Exemplare) und Saigon Giai Phong
(100.000 Exemplare) nicht ausschließlich auf das Stadtgebiet beschränkt, sondern ihre Leserschaft
ist weitverstreut. Die kleinen Lokalzeitungen dagegen werden in der Regel ausschließlich in ihren
Heimatprovinzen gelesen und ihre Auflagen sind mit zwischen 4-5.000 Exemplaren niedrig.106 Finanziell sind diese Publikationen meist völlig von der jeweils als Herausgeber fungierenden Organisation abhängig.107
3.2.2.2 Magazinpresse
Der Reichtum an Magazintiteln ist verblüffend, auch wenn die Zeitschriften noch sehr oft auf einfachem Papier und bis auf die Titelseite in s/w-Druck erscheinen. Gerade in diesem Bereich hat sich
der Printmarkt in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt.108 Manche Titel der Magazinpresse
sind wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich und die Konkurrenz unter den Blättern ist groß. Das
gilt besonders für „die dynamischsten/lebhaftesten Sektoren“ 109 wie Frauenzeitschriften, Boulevard- und Sportmagazine.
Boulevard- bzw. Sensationsmagazine: Unter Boulevard- bzw. Sensationsmagazinen sind in Vietnam Publikationen zu verstehen, die von verschiedenen Stellen der vietnamesischen Polizei herausgegeben werden. Mit den Ordnungskräften als Herausgeber haben diese Zeitschriften den direkten
Zugriff auf die neusten Verbrechen und Kriminalfälle des Landes. Dies scheint sich für die Magazine an der Kioskkasse auszuzahlen: „Das gute Geschäft lockt viele staatliche Organe...und die meisten neuen Publikationen stammen aus dem Polizeiapparat und aus der Justiz. Denn unter dem Vorwand “die revolutionäre Wachsamkeit zu erhöhen“ können sie Lizenzen zur Verbreitung ihrer billigen Krimis erhalten.“ 110 In dieser Sparte erscheinen die auflagenstärksten Titel Vietnams. Die zwei
wichtigsten unter ihnen sind die Wochenzeitschrift An Ninh The Gioi (500.000 Exemplare) und Bao
103
104
105
106
107
108
109
110
Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben
vgl. MoCI, 2000
vgl. Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben
vgl. MoCI, 2000
alle Angaben vgl. MoCI, 2000; Boissez, 2002; Xunhasaba, 2004
vgl.: Nguyen Xuan Tho, 1992, 7
Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenzahlen
Nguyen Xuan Tho, 1992, 20
251
Mediennutzung in Vietnam
Cong An Thanh Pho Ho Chi Minh (350.000 Exemplare), eine Zeitschrift die zweimal wöchentlich
erscheint.111 Cong An steht auf Platz eins der TNS-Readership-Top10.112 An Ninh The Gioi belegt
Platz 3 der Leading-Publication-Charts.
Sportzeitschriften: Wie fast überall auf der Welt ist auch in Vietnam das Thema Sport und insbesondere Fußball sehr beliebt. Das spiegelt sich natürlich in einer Vielzahl von Sporttiteln wieder, die
eine große Leserschaft erreichen, und denen ein ansehnlicher Marktanteil sicher ist. Zu nennen wären hier The Thao Van Hoa (zweimal/Woche, 200.000 Exemplare), The Gioi The Thao oder The
Thao Vietnam. Die Zeitschrift Bong Da kann man beispielsweise als das vietnamesische Equivalent
zum Kicker bezeichnen. Der Fußballsport stellt zudem einen beträchtlichen Anteil des Fernsehprogrammes des vietnamesischen Fernsehens VTV dar. Das dritte Programm VTV3 beendet sein
Programm täglich mit einem Top-Spiel der English Premier League und auch zur Mittagszeit wird
immer ein Fußballspiel gesendet.113
Frauenzeitschriften: Der Markt auf dem Sektor der Frauenzeitschriften ist vielseitig und die Konkurrenz groß. Im Allgemeinen unterscheidet Boissez zwischen „traditionellen/klassischen Titeln“
mit vorwiegend politischen und sozialen Inhalten wie The Gioi Phu Nu oder Phu Nu Ha Noi und
der „neuen Welle“-Titeln mit jüngeren Inhalten wie Mode und Lifestyle. In dieser Zeitschriftensparte findet sich das teuerste Magazin Vietnams, Dep, das sich mit einem stolzen Preis von derzeit
19.800 Dong (1,5US$) an ein junges, städtisches und gut situiertes Publikum zu richten scheint. The
Gioi Phu Nu ist mit einer Auflage 100.000 Exemplaren, die führende Frauenzeitschrift.114
Kinder- und Jugendpresse: Die Kinder- und Jugendpresse stellt in Vietnam eine bedeutende Sparte
dar, da etwa die Hälfte der Bevölkerung jünger als 20 Jahre ist.115 Diese Sparte wird konsequent
vom Staat subventioniert. Die Blätter werden von verschiedenen Jugendorganisationen herausgegeben und oft an den Schulen kostenlos verteilt. Zu nennen ist beispielsweise die Zeitschrift Ni Dong
(150.000 Exemplare). Eine weiteres Jugendmagazin, Sinh Vien Viet Nam, erscheint wöchentlich mit
einer Auflage von 30.000 Exemplaren.116 Es gilt darauf hinzuweisen, dass einige der liberalsten und
dynamischsten Zeitschriften und Zeitungen Vietnams von den Jugendorganisationen des Landes
herausgegeben werden. Dies gilt im Besonderen für Tuoi Tre. Obwohl diese Zeitschrift streng genommen zur Jugendpresse gehört, entspricht sie inhaltlich eher einer generalistischen Zeitung und
hat sich als eine der beliebtesten Zeitungen auf dem vietnamesischen Markt etabliert.117 In den TNS
Charts der „Leading Publications“ steht Tuoi Tre auf dem zweiten Platz.118
Wirtschaftspresse: Auf diesem Sektor erscheint derzeit eine Reihe von Titeln, die nur eine eher begrenzte Leserschaft erreichen.119 Zu nennen wäre hier die dreimal wöchentlich erscheinende Thoi
111
112
113
114
115
116
117
118
119
252
vgl. MoCI, 2000
vgl. Leading Publications, TNS/MHS, 2003, 34
alle Angaben vgl. Boissez, 2002
ebd.
vgl. UN, 2002b, 221
vgl. Boissez, 2002; MoCI, 2000
vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA); Franck Renaud (ESJ Lille)
vgl. TNS/MHS, 2003, 34
vgl. Boissez, 2002
Mediennutzung in Vietnam
Bao Kinh Te Viet Nam (30.000 Exemplare). Von dieser Zeitschrift erscheint auch eine englische
Monatsausgabe (Vietnam Economic Times, 3.500 Exemplare). Weiterhin werden in dieser Sparte
die Wochenzeitschrift Thoi Bao Kinh The Sai Gon (Saigon Economic Times) und auch die dreimal
wöchentlich erscheinende Thoi Bao Tai Chinh (Financial Times) publiziert.120
3.2.3
Verbreitung
3.2.3.1 Zeitungsdichte
Aus internationalen Statistiken geht für Vietnam eine Zeitungsdichte von 4 Exemplaren/1.000 Einwohnern hervor.121 Dieser Wert wurde auf Basis von Zahlen des Jahres 1996 errechnet. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Vietnam nur zehn Zeitungen, die laut Unesco-Definition einer Tageszeitung mit in die Berechnung der Zeitungsdichte einfließen konnten.122 Diese zehn Zeitungen erschienen in einer Gesamtauflage von 300.000 Exemplaren.123 Obwohl es gerechtfertigt erscheint,
die Aktualität dieses Wertes anzuzweifeln, wurde er bisher nicht neu berechnet. Während des Rechercheaufenthaltes in Hanoi wurde der Versuch unternommen, die Zeitungsdichtezahl für Vietnam
zu aktualisieren. Es ist zwar nicht gelungen, über die VJA an eine Liste der Zeitungen zu gelangen,
die ganz aktuell der Unesco-Definition einer Tageszeitung entsprechen würden. Doch schließlich
fanden sich andere Anhaltspunkte, die eine Neuberechnung der Zeitungsdichte möglich machten.
Obwohl es schwierig ist, über die tatsächliche Anzahl der in Vietnam erscheinenden Periodika eine
Aussage zu machen, kann man davon ausgehen, dass zum aktuellen Zeitpunkt über 600 Printtitel
erscheinen.124 In einem Artikel der Zeitung Lao Dong vom 27.01.04 heißt es sogar, dass es im Dezember 2003 insgesamt mehr als 650 periodische Druckerzeugnisse in Vietnam gab, die von etwa
500 verschiedenen Organen herausgegeben wurden. Besonders lebhaft gestaltet sich dabei der Zeitschriftenmarkt. Der VJA zufolge,125 die sich auf Angaben des Ministry of Culture and Information
(MoCI) beruft, existierten im Jahre 2003, 642 Periodika.126 Insgesamt seien dem MoCI zufolge im
Jahr 2003, 675 Mio. Zeitungsexemplare im Umlauf gewesen. Doch diese Zahl schließt alle Arten
von Periodika mit ein, während die von der Unesco berechnete Zeitungsdichte, nur solche Publikationen berücksichtigt, die mindestens viermal/Woche erscheinen. Aus den Zahlen des MoCI geht
hervor, dass sich die Anzahl der Tageszeitungen von 10 (1996) auf 23 (2003) erhöht hat.127
120
121
122
123
124
125
126
127
vgl. MoCI, 2000; Boissez, 2002
vgl. UN, 2002a, 206
Unesco-Definition einer Tageszeitung, UN, 2002a, 225: „Daily newspapers are periodic publications, issued at least
four times a week, intended for the general public and mainly designed to be a primary source of written information
on current events connected with public aff.airs, international questions, politics etc.“
vgl. ITU, 2002, 15; Panol/Do, 2000, 473
vgl. MoCI, 2000; Interview mit Herrn Prof. Dr. Mai Quynh Nam (Institute of Sociology)
Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA)
152 landesweite Zeitungen, 141 Lokalzeitungen, 333 Zeitschriften/Magazine, 16 Bulletins
Titel (Auflage): Tuoi Tre (260.000), Nhan Dan (180.000), Thanh Nien (165.000), Tien Phong (100.000),
Cong An Nhan Dan (100.000), Lao Dong (80.000), Quan Doi Nhan Dan (70.000), Nguoi Lao Dong
(60.000), The Thao TP HCM (60.000), Ha Noi Moi (50.000), Tin Tuc (50.000), Nông Ngiep Viet Nam
(23.000), Hai Phong (15.000), Sai Gon Giai Phong (13.000), Kinh Te va Do Thi (10.000), Nghe An
(10.000), Bac Giang (5.200), Quang Nam (5.000), Binh Dinh (4.000), Can Tho (4.000), Phu Tho (4.000),
Thua Thien Hue (4.000), Da Nang (3.500)
253
Mediennutzung in Vietnam
Aus der Gesamtauflage von 1,27 Mio. Exemplaren ergibt sich eine Zeitungsdichte von knapp 16
Exemplaren/1.000 Einwohner. Diese ist deutlich höher, als die bisher angegeben Werte. Nichtsdestotrotz lässt auch dieser Wert auf eine nur sehr geringe Verbreitung von Printmedien schließen. Interessant ist dabei aber, dass sich offensichtlich ein Aufwärtstrend feststellen lässt.128 Die niedrige
Zeitungsdichte Vietnams stellt den Ausgangspunkt dieser wissenschaftlichen Analyse dar. Mögliche Faktoren, die die geringe Verbreitung von Zeitungen in Vietnam begründen, werden zu einem
späteren Zeitpunkt analysiert.
3.2.3.2 Zugang, Frequenz, Dauer und Zweck der Nutzung
Tran Huu Quangs Studie zur Mediennutzung in Ho Chi Minh Stadt ergab, dass etwa 33,6% der
Befragten täglich Zeitung lesen, während gleichzeitig etwa ebenso viele, 33,7%, fast nie Zeitung
lesen.129 Differenziert nach urbanen und ruralen Zonen des Verwaltungsbereichs von Ho Chi Minh
Stadt kam eine starke Diskrepanz zutage: Urabane Zone (täglich=38,6%, nie=25,1%), Rurale Zone
(täglich=17,1%, nie=61,6%). Printmedien werden in Vietnam in Buchhandlungen, Postämtern und
an Straßenständen angeboten. Zeitungsverkäufer verkaufen ihre Waren in Restaurants, Cafés, Straßenkneipen und vor Hotels. Abonnements sind möglich, aber kaum verbreitet. Der direkte Zeitungskauf dominiert mit 65,5%, vor dem Ausleihen in beispielsweise Bibliotheken (38,4%) und
dem Abonnement (13%).130 Ferner gaben die meisten Befragten in der Studie an, Zeitung zu lesen,
um die aktuellen Nachrichten zu verfolgen. Als zweithäufigster Grund wurde Unterhaltung genannt,
und schließlich die Erweiterung von Kenntnissen. Diejenigen, die angaben Zeitung zu lesen, widmeten sich pro Tag durchschnittlich 26 Minuten (urbane Zone: 27, rurale Zone: 21) der Lektüre.131
3.3
3.3.1
Radio
Entstehung und aktuelle Situation
Radio existiert in Vietnam seit Mitte des 20. Jh. Die vietnamesische Radioanstalt Dai Tieng Noi Viet
Nam (Voice of Vietnam; VoV) wurde 1945 in Hanoi gegründet.132 Heute werden Radioprogramme
auf drei Ebenen angeboten. Neben den drei landesweiten Sendern von VoV gibt es 61 Provinzsender
und laut VoV-Website „528 district stations“. Der vietnamesische Hörfunk beschäftigt ca. 1.500
Angestellte.133 Das Radio gilt als das starrste und schwerfälligste Medium Vietnams: „Compared to
the print media...radio broadcasters were far slower to take advantage of the relative relaxation of
state controls from the mid-1980s onward. This reflected an institutional hardening of the arteries
at Voice of Vietnam, with the top leadership remaining intact for almost half a century, very little
authority being delegated to section heads, and directors of local stations reporting directly to Hanoi unlike newspaper editors, who dealt mostly with diverse city-level supervisors.“ 134
128
129
130
131
132
133
134
254
Die Zeitungsdichte berechnet sich: (Total Average Circulatation (or copies printed) x 1000)/Country Populatation: (1.275.700 Exemplare x 1000)/80 Mio. Einwohner = 15,94625/1000 Einwohner
vgl. Tran Huu Quang, 2001, 100
ebd. 97
ebd. 109
vgl. Nguyen Long 1998: 65
vgl. ebd.
Marr, 1998, 13
Mediennutzung in Vietnam
3.3.2
Das Angebot
Voice of Vietnam (VoV): VoV bietet insgesamt sechs Programme an. Gesendet wird nicht nur in
vietnamesisch, sondern auch in einigen Minderheitsdialekten, wie Hmong oder Khmer, und in insgesamt zwölf Sprachen ins Ausland.135 VoV bietet ein generalistisches Programm. Eine starke Senderdiversifizierung findet nicht statt, von der groben Richtungsvorgabe, die jeder Sender bekommt,
einmal abgesehen. Es gibt beispielsweise keine reinen Musiksender oder Sender, deren Angebote
auf verschiedene Alterszielgruppen hindeuten würden. Dennoch gibt es eine Art Aufgabenverteilung zwischen den VoV-Sendern. So sendet VoV1 Nachrichten, Aktuelles und Musik, VoV2 Bildungs- und Kulturprogramme sowie Wirtschaftsnachrichten, Soziales und Bildungsprogramme und
VoV3 wiederum, Musik und allgemeine Nachrichten. Die drei weiteren VoV-Programme bedienen
verschiedene Sparten. VoV4 stellt ein Programmangebot für die ethnischen Minderheiten136 in Vietnam dar, VoV5 ist an in Vietnam lebende Ausländer gerichtet und VoV6 sendet an die im Ausland137 lebenden Vietnamesen. VoV ist auch im Internet vertreten und gibt eine Wochenzeitschrift
und eine Monatsmagazin heraus.138
Die Regional- und Kommunalsender: Die 61 Provinzradiostationen sind VoV angegliedert. Sie verwerten in ihrem Angebot die VoV-Nachrichten und produzieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten
auch eigenes Programm. Doch häufig mangelt es an Geld, gut geschultem Personal und auch an
technischer Ausstattung. Förderungen der SIDA sollen nun Abhilfe schaffen. Mit Trainingsprogrammen soll die Qualität und Attraktivität gefördert werden. „When the project was initiated in
1993-94, none of the local radio stations had live broadcasting; the working methods were old fashioned and there was only one-way communication with the listeners, the programs were poor.“ 139
Nach ca. 10 Jahren hatte man mit dem Projekt schon fast 50% der insgesamt 61 Provinzsender erreicht und dort Konzepte wie „Live Broadcasting“ und „Public Service Radio“ bekannt gemacht.
Gleichzeitig wird den Sendern auch nahegelegt, Hörerbefragungen durchzuführen, damit besser auf
die Wünsche des Publikums eingegangen werden kann.140
3.3.3
Verbreitung
Laut „UN Statistical Yearbook for Asia and the Pacific“ gab es im Jahr 1997, 8 Mio. Radiogeräte in
Vietnam,141 bei einer Radiodichte von 110 Geräten/1.000 Einwohner.142 11,9% aller Haushalte
besitzen ein Radiogerät.143 Die Studie zur Mediennutzung im Verwaltungsbereich von Ho Chi
Minh Stadt ergab, dass dort durchschnittlich 60,7% der Haushalte ein Radiogerät besitzen.144 Rund
69,6% der Befragten gaben an, fast nie Radio zu hören und nur durchschnittlich 12,5% sagten von
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
vgl. ITU, 2002, 16
In Vietnam leben insgesamt 54 verschiedene ethnische Minderheiten, Wulf, 1995, 39ff.
In Europa ist VoV6 zu empfangen unter: 7390 kHz, 7440kHz und 13740 kHz.
vgl.: VoV-Website
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 35
ebd. 35
2003, Dieser Wert entspricht der aktuellsten Angabe in dieser Statistik.
vgl. UN, 2003, 589
vgl. TNS/MHS, 2003, 22
Tran Huu Quang, 2001
255
Mediennutzung in Vietnam
sich, die würden fast täglich Radio hören. Allerdings war in der ländlichen Zone die „fast tägliche“
Hörerschaft mit 23,8% deutlich höher als in der städtischen Zone (9%)145 und auch aus dem „Media
Habit Survey von Taylor Nelson Sofres“ 146 geht hervor, dass auf dem Land mehr Radio gehört wird
als in den Städten. Die Verbreitung des Radios ist vor allem im urbanen Vietnam stark rückläufig.
Sie gestaltet sich somit umgekehrt proportional zu der der Printmedien. „The national radio has lost
some of its position in the competition with other media, and is now facing a future of radical
changes to overcome this problem“, heißt es in der „Sida Performance Analysis”. 147 Wer jedoch
das Gerät einschaltet, widmet sich diesem Medium durchschnittlich 27 Minuten/Tag (Stadt: 24;
Land: 34)148 und hört hauptsächlich zu Unterhaltungszwecken und seltener, um die Nachrichten zu
verfolgen oder um seine Kenntnisse zu erweitern.149 Das Radio wird mit Schwankungen den ganzen Tag über auf einem, im Vergleich zum Fernsehen, relativ niedrigen Level genutzt.150 Die Radio-Prime-Time liegt zwischen 5.00-7.30 Uhr (mit Verschiebungen je nach Region).151
3.4
Fernsehen
Das Fernsehen gilt heute als das wichtigste Medium Vietnams. Zwar werden genaue Aussagen über
die Marktanteile und die Nutzungsverteilung der verschiedenen Medientypen durch einen Mangel
an zuverlässigen statistischen Daten erschwert, jedoch bestätigen einfache Beobachtungen vor Ort
diese Vormachtsstellung. Vietnamesische Wohnhäuser haben in der Regel ein zur Straße hin offenes Erdgeschoss. Dieses dient den meisten Familien als eine Mischung aus Wohn- und gegebenenfalls Geschäftsbereich, der vor den Blicken der Vorbeigehenden nicht abgeschirmt wird. In diesem
Parterrebereich befindet sich in aller Regel auch das Fernsehgerät der Familie. Egal ob in Hanoi, Ho
Chi Minh Stadt oder auf dem Dorf, der Beobachter gewinnt leicht den Eindruck, die von der Straße
aus gut sichtbaren Fernsehgeräte seien ständig in Betrieb. Doch nicht nur dieser Eindruck stützt die
Annahme einer Vorrangsstellung des Fernsehens innerhalb der vietnamesischen Medienlandschaft,
auch der rasche Siegeszug dieses in Vietnam noch sehr jungen Mediums kann als Beweis für seine
Beliebtheit bei der vietnamesischen Bevölkerung gewertet werden.
3.4.1
Entstehung und aktuelle Situation
Die Ursprünge des vietnamesischen Fernsehens liegen in der Zeit der Teilung des Landes. Im Süden
starteten die ersten Übertragungen mit Hilfe amerikanischer Unterstützung früher als im Nordteil.
Doch die heute landesweit sendende staatliche Fernsehanstalt Dài Truyên Hình Viêt Nam (Vietnam
Television, VTV) hat ihre Ursprünge im Norden des Landes. Dort erfolgte 1970 die erste Fernsehausstrahlung von Hanoi aus. Tägliche Fernsehübertragungen existieren jedoch erst seit 1976. Landesweit sendet VTV erst seit 1991.
145
146
147
148
149
150
151
256
ebd.
TNS/MHS, 2003, 71ff., 79
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 5
vgl. Tran Huu Quang, 2001, 166
ebd. 139
vgl.: TNS/MHS, 2003, 70
ebd. 70
Mediennutzung in Vietnam
In der Anfangszeit war für das Fernsehen noch eine Sonderabteilung des vietnamesischen Radios
Voice of Vietnam verantwortlich. Heute ist VTV eine eigenständige Sendeanstalt mit Hauptsitz in
Hanoi und vier weiteren regionalen Fernsehstationen in Hue, Da Nang, Phu Yen und Can Tho.
Doch ebenso wie das Radio ist VTV „an organization directly affiliated to the Vietnamese Government“, d.h. es untersteht der Autorität des Premierministers und des Zentralkomitees der Partei.152
3.4.2
Das Angebot
Schaltet man in Vietnam den Fernseher ein, bietet sich, gemessen an deutschen Gewohnheiten, ein
ungewöhnliches Spektakel. Denn die vielen ausländischen Produktionen, die dort das Programm
füllen, flimmern unsynchronisiert über den Bildschirm. Lediglich eine männliche und eine weibliche Stimme liefern in einer Art „voice over“ bei gedimmtem Originalton eine Simultanübersetzung.
Was dem Zuschauer, der Synchronisationen gewohnt ist, wie eine akustische Sparversion vorkommt, scheint der Fernsehbegeisterung der Vietnamesen nicht im Wege zu stehen. Der Fernseher
ist in den meisten vietnamesischen Haushalten fester Bestandteil des Abendprogramms. Dass diese
Art der Freizeitgestaltung eher die Regel als die Ausnahme darstellt, kann ein jeder vor Ort selbst
überprüfen. Da sich bei dem rein staatlichen Programmangebot die Auswahlmöglichkeit in Grenzen
hält, sieht man abends, wenn man durch Ho Chi Minh Stadt oder Hanoi fährt, fast überall das gleiche Programm. Sehr beliebt scheinen fiktionale Unterhaltungsprogramme zu sein, meist ausländische Produktionen, die vom vietnamesischen Fernsehen international eingekauft werden. Mehrteilige chinesische Kostümepen, aber auch koreanische oder japanische Teenager-Serien und deutsche
Krimi-Produktionen wie „Kommissar Rex“, „Derrick“ und die „Helicops“ stehen hoch im Kurs.153
VTV gibt an, dass 49% des Programms Eigenproduktionen sind. Der verbleibende Prozentsatz wird
mit anderen vietnamesischen und ausländischen Produktionen bestritten.154 „Soap operas and movies, wither locally produced or imported, are carefully selected before telecast in order to provide
viewers with diversified cultures and healthy contents“, heißt es in der VTV-Broschüre.155
Vietnam Television (VTV): „The tasks of VTV are to inform, educate, entertain and be a forum for
the Vietnamese viewers on what they are concerned of and render their contribution to the national
and social development in the way of peace, non-violence, human rights and democracy. It also
conveys policies and guidelines from the Party to the people as well as to inform people of what the
Government and the National Assembly do.“ 156 VTV bietet drei landesweit ausgestrahlte Programme VTV1, VTV2 und VTV3 an. Darüber hinaus zudem noch ein Programm für Auslandsvietnamesen (VTV4) und seit Anfang 2002 auch ein spezielles Programm für die ethnischen Minderheiten
Vietnams (VTV5). VTV1 wird als Nachrichten- und Informationssender präsentiert. Mit elf Nachrichtensendungen pro Tag „VTV covers vital news and events in Vietnam and abroad, as well as
152
153
154
155
156
VTV-Broschüre, 5
Die Vietnamesen bevorzugen westliche, chinesische und koreanische Produktionen, während Serien oder Filme aus
Indien, Thailand oder den anderen Nachbarländern der Region nicht den vietnamesischen Geschmack treffen. Interview mit Herrn Dang Ngoc Dinh
VTV-Broschüre, 6
ebd. 12
ebd. 5
257
Mediennutzung in Vietnam
features on political, economic and social matters.“ 157 VTV2 gilt als Bildungs- und Wissenschaftssender und „reflects the special attention of the countries leaders to the education and improvement of general knowledge for the people.“ 158 Auf dem Programm dieses Senders stehen
beispielsweise Sprachkurse für Englisch, Chinesisch, Französisch, Japanisch und Russisch. Auch
ausländisches Material wird täglich gesendet, angekauft beispielsweise vom Discovery Channel
oder auch der Deutschen Welle. VTV3 sendet vor allem Unterhaltung und Sport und wird als der
beim Publikum beliebteste Sender gehandelt. Sein Programm besteht aus Serien, Sport und Spielfilmen, TV- und Quizshow, Musik-, Mode- und Varietésendungen, aber auch Nachrichten- und
Informationsformate bereichern das Angebot.159 Auffallend ist, dass VTV3 den Programmtag täglich um sechs Uhr morgens mit Fußball einläutet und das Programm auch abends wieder mit einem
Fußballspiel, meist aus der English Premier League, beendet. VTV4 ist ein Programmangebot für die
vietnamesische Diaspora und wird nur im Ausland gesendet.160 Den Sender VTV5 gibt es erst seit
2002. Dieses Angebot versorgt die ethnischen Minderheiten Vietnams mit Informationen in sieben
verschiedenen Dialekten. Dadurch soll die Loyalität der Bevölkerungsgruppen zum vietnamesischen Staat gefördert werden, die mit eigener Sprache und Kultur in abgelegenen Bergregionen
leben.161
Das Regionalfernsehen: Jede der insgesamt 61 Provinzen Vietnams hat ihren eigenen Regionalsender. Diese Regionalsender sind dem jeweiligen lokalen Volkskomitee unterstellt.162 Die meisten
unter ihnen senden nur einen geringen Anteil an eigenständig produziertem Programm. Die VTVHauptnachrichten (täglich 19.00-19.45 Uhr) müssen von allen Programmen parallel gesendet werden. Einige dynamische Sender senden über die Grenzen ihrer Region hinaus. Die größten und qualitativ hochwertigsten unter ihnen sind Ho Chi Minh City TV (HTV), gefolgt von Hanoi TV und den
Stationen von Dalat oder Cantho.
3.4.3
Verbreitung
Laut „World Statistics Pocketbook“ kommen in Vietnam auf 1.000 Einwohner 184 Fernsehgeräte.163 Laut „Statistical Yearbook for Asia and the Pacific“ sind es 189,3 Fernseher/1.000 Einwohner.164 Angaben von VTV zufolge werden ca. 80% der vietnamesischen Haushalte erreicht.165 Von
der Sendeleistung ausgehend, wäre eine landesweite Abdeckung möglich. Der limitierende Faktor
ist allerdings die zum Teil noch mangelhafte Stromversorgung.166 Das Fernsehen wird im Allgemeinen als das dominante Medium Vietnams bezeichnet. Dem „Media Habit Survey Wave 2-2003“
dem Marktforschungsinstituts Taylor Nelson Sofres zufolge, gaben 94,9% der Befragten an, ihr
Haushalt sei mit einem Fernsehgerät ausgestattet. Dabei ist zu beachten, dass die Gerätedichte in
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
258
ebd. 9
ebd. 11
ebd.
In Westeuropa kann es über Satellit (Hotbird.3; 12.100MHz) empfangen werden. VTV-Broschüre, 15
ebd. 6, 13
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 12
vgl. UN, 2002a, 74; Vergleichszahl Deutschland: 581
Zahl für 1999
vgl. VTV-Broschüre, 23
Interview mit Herrn Phuong (VTV)
Mediennutzung in Vietnam
urbanen Regionen mit 96,1% höher ist als auf dem Land (88,2%). Auf die höchste Gerätedichte
unter den befragten Haushalten stößt man in Hanoi. Dort besitzen 97,2% ein Fernsehgerät.167
Betrachtet man die Nutzungsintensivität über den Tag verteilt, fällt auf, dass es in Vietnam zwei fast
gleichwertige Primetimes gibt. Zwischen 12.00-13.00 Uhr wird fast ebensoviel ferngesehen, wie in
den nutzungsintensiven Abendstunden.168 Hasebrink/Herzog nennen dieses Phänomen die „SiestaPhase“169 und begründen sie mit unterschiedlichen institutionellen Zeitstrukturen und kulturellen Traditionen in verschiedenen Ländern.170 In Vietnam ist die Mittagspause ein wichtiger Bestandteil im
Tagesablauf. Daran orientiert sich auch das Fernsehen und setzt hauptsächlich beliebte Serien ins Programm. Abends nimmt die Fernsehnutzung ab 17.00 Uhr immer mehr zu, erlebt einen kurzen Einbruch (18.30-19.00 Uhr) um dann wieder stark anzusteigen.171 Um 19.00 Uhr werden in Vietnam auf
allen Programmen parallel (außer auf dem Bildungssender VTV2, der um diese Zeit meist Dokumentationen ausstrahlt), die VTV-Abendnachrichten gesendete.172 Die Studie zur Mediennutzung im Verwaltungsbereich Ho Chi Minh Stadt ergab eine durchschnittliche tägliche Sehdauer von zwei Stunden
und sieben Minuten. Im städtischen Bereich wird dabei etwas länger ferngesehen als in den ländlichen
Zonen (2:11 zu 1:54). Die meisten unter den Befragten gaben an, das Fernsehen zu Unterhaltungszwecken zu nutzen. Erst dann werden Nachrichten und Kenntniserweiterung genannt.173
3.5
3.5.1
Internet
Entstehung und aktuelle Situation
Erste Versuche mit der neuen Technik gab es an vietnamesischen Universitäten schon seit Beginn
der 1990er Jahre. 1992 kam es zu einer Kooperation zwischen dem Hanoi Institute of Information
Technology (IOIT) und der Austalian National University (ANU). „In its early days, batches of emails were sent five times a day from ANU to Hanoi, where they were hand delivered (via motorbike) around the city.“ 174 Daraus entwickelte sich das erste interne Netzwerk Vietnams und 1996
waren ca. 300 wissenschaftliche Institute mit dem IOIT verbunden.175 1997 wurde das Internet für
die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die ersten Internetnutzer mussten sich in Geduld üben und
darüber hinaus tief in die Tasche greifen. Homepages bauten sich nur sehr langsam auf, was nicht
nur an den langsamen Verbindungen lag, sondern auch noch durch eine mächtige Firewall verstärkt
wurde, die die vietnamesischen User bis heute von vielen ausländischen Inhalten abschirmt, die der
politischen Führung unliebsam sind: „Access to foreign content is controlled via a firewall. Sites
that are considered offensive or contrary to the government’s perspective are blocked. The Ministry
167
168
169
170
171
172
173
174
175
vgl. TNS/MHS, 2003, 21
ebd. 52ff.
Hasebrink/Herzog, 2002, 119
ebd. 117
vgl. TNS/MHS, 2003, 52ff.
Herrn Nguyen Van Phuong (VTV) erklärte dazu: „Generally speaking they watch tv during all the day. Some people
work in the morning others in the afternoon. But the time slot were most people are watching is between 6 and 11
pm. For young people it is slightly delayed between 5 and 7 pm.“ Das ist auch der Grund dafür, dass zu dieser Tageszeit große Hollywoodproduktionen, wie „Legends of the Fall“ oder „The Matrix“ gezeigt werden.
vgl. Tran Huu Quang, 2001, 126, 134
ITU, 2002, 18
ebd.: 19
259
Mediennutzung in Vietnam
of Interior decides which sites are blocked...Sometimes users complain about lack of access to particular sites, but more they complain about the slower speeds caused by filtering software.“ 176
Heute erfreut sich das Internet einer so beachtlichen Nutzung, dass die Regierung sich gezwungen
fühlt, eine konkrete Regulierung in Angriff zu nehmen. Der Leiter der Ideologieabteilung der KPV
sagte dazu im September 2002: „…the regulations governing the e-newspaper sector were still unclear while authorities had not paid sufficient attention to the strong points of these sites.“ 177 Man
hat sich offensichtlich vom Erfolg des Internets überraschen lassen. „And in a nation where 63% of
the population is under 30 years old the ruling Communist party views any sign of youthful protest
via Internet as particularly threatening to political stability...“ 178
Doch auch was das Internet betrifft ist die politische Führung ein Diener zweier Herren. Zwar betrachtet man einerseits die durch das Internet steigenden Kommunikationsmöglichkeiten, die sich
teilweise der Kontrolle der Partei entziehen, argwöhnisch, zum anderen kann sich die Regierung
wiederum nur schwer gegen die wirtschaftlichen Entwicklungspotentiale, die man sich von der neuen Technologie verspricht, sperren: „The Internet is perceived as a powerful tool for research and
economic development. It is also perceived as a potential threat by opening up access to a variety of
views and opinions that are not always consistent with the Vietnamese government.“ 179 Und während man sich um strenge Kontrolle des neuen Kommunikationsraumes bemüht, gibt es gleichzeitig
Bemühungen, die Verbreitung des Internets vor allem auch in den ländlichen Gebieten Vietnams zu
fördern. Davon zeugen Pläne, kostenlose Internetzugänge in den Postämtern des Landes einzurichten und die Tarife für Telekommunikation und Internet zu senken.180
3.5.2
Verbreitung
Die Größe der Internetgemeinde Vietnams kann nur geschätzt werden. In der 1998 erschienenen
Publikation von David Marr, „The Mass Media in Vietnam”, hieß es noch eher pessimistisch: „For
some years to come it seems likely that foreigners will gain more from Vietnam’s Internet connection than the vast majority of Vietnamese.“ 181 Und auch die „Internet Case Study” prognostiziert
noch vorsichtig: „Although there are a growing number of cybercafés, these are in the main cities
and appear to be primarily utilized by expatriates and tourists.“ 182 Zwar hatte sich seit der Einführung des Internets die Anzahl der Internetabonnenten jedes Jahr mehr als verdoppelt, aber man ging
dennoch davon aus, dass sich diese Entwicklung auf einem sehr niedrigen Level einpendeln würde.
Ende des Jahres 2000 gab es in Vietnam rund 100.000 Internetabonnements, was einer Verbreitung
von nur einem Abonnenten/1.000 Einwohnern entspricht.183 Doch die Anzahl der tatsächlichen
Nutzer ist nur schwer schätzbar. „Most estimates are based on multiplying the number of subscrib176
177
178
179
180
181
182
183
260
ITU, 2002, 22
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19f.
ebd. 20
ITU, 2002, 18
ebd. 22
Marr, 1998, 20
ITU, 2002, 19
ebd.
Mediennutzung in Vietnam
ers by a factor of no more than two.“ 184 So schätzte man die Zahl der Nutzer Ende des Jahres 2000
auf insgesamt etwa 200.000. Die Penetrationsrate lag mit 0,25 Prozent bei einem User/389 Einwohnern oder 2,5 Internetnutzer/1.000 Einwohnern.185 Doch trotz des schwierigen Starts und eher zurückhaltender Prognosen sehen Medienbeobachter die Situation heute etwas anders. „Internet has
expanded unexpectedly and is now an increasingly important communication medium especially for
young people.“ 186 Optimistischere Werte liefert dann auch ein Blick ins „Statistical Yearbook for
Asia and the Pacific 2002“ 187, denn das nennt bereits einen geschätzten Wert von gut 1 Mio. Internetnutzer. Die Einschätzung, dass die wachsende Anzahl von Cybercafes in den Städten „appear to
be primarily utilized by expatriates and tourists“,188 muss heute sicher etwas revidiert werden. Die
unzähligen Internetcafes sind jedenfalls voll von einheimischen Jugendlichen. Und das Internet
scheint zum aktuellen Zeitpunkt auch wirklich ein Medium vor allem für Städter und junge Leute zu
sein.189 So heißt es in der „Internet Case Study“, dass „86 percent of all subscribers“ 190 aus Hanoi
und Ho Chi Minh Stadt sind, obwohl die Einwohner dieser beiden Städte nur etwa 10% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Vietnam leidet demnach unter dem sogenannten „Digital Divide“.
Ältere, formal weniger Gebildete und Bewohner ländlicher Gebiete geraten, was den Zugang zu
neuen Kommunikationstechniken betrifft, ins Hintertreffen.191 Aus dem „TNS Media Habit Survey
Wave 2-2003“ geht hervor, dass letztlich nur 22,3% der Vietnamesen bereits einmal das Internet
genutzt haben.192 Tägliche nutzen das Internet sogar nur 3,8% der Bevölkerung und mindestens
einmal pro Woche nur insgesamt 14,9%.193
3.6
Skizze der Mediennutzung
Zu Beginn des Beitrages habe ich bereits auf die komplizierte Daten- bzw. Quellenlage in Vietnam
hingewiesen. Obwohl die Recherche vor Ort schließlich zu einer Reihe von Informationen führte,
bleiben Aussagen über die tatsächliche Nutzungsverteilung schwierig. Deshalb musste zunächst auf
Basis von Experteneinschätzungen ein grobes Bild gezeichnet werden. Besonders ergiebig war in
diesem Zusammenhang das Interview mit dem Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins Science
and the Country, Herrn Dang Ngoc Dinh, der auch schon als Berater für die Publikation Jörg Beckers über Internet und Medien in Vietnam fungierte.194 Den Stellenwert der verschiedenen Medien
innerhalb der vietnamesischen Gesellschaft beschreibt er wie folgt: Noch vor ca. 15 Jahren war das
Radio das wichtigste Medium in Vietnam. An zweiter Stelle standen die Zeitungen und das Fernsehen rangierte erst an dritter Stelle. Denn nur das Radio erreichte damals all die abgelegenen Gebiete
Vietnams. Das Fernsehen bot diese Möglichkeit nicht und wurde vor allem auch durch Elektrizitäts184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
ebd.
ebd. 18f., 22
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 5
UN, 2003, 588
ITU, 2002, 19
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 18ff., 26
ITU, 2002, 22
Hasebrink/Herzog, 2002, 121
vgl. TNS/MHS, 2003, 112
ebd. 27
Becker, 2002
261
Mediennutzung in Vietnam
engpässe in seiner Reichweite limitiert. Radiogeräte dagegen konnten leicht auch mit Batterien betrieben werden. Der zeitnahe Vertrieb von Zeitungen war nur eingeschränkt möglich, da das Straßen- und Verkehrsnetz in Vietnam nur mangelhaft ausgebaut war. Ländliche Gebiete oder gar abgelegene Bergregionen mussten sich deshalb meist mit veralteten Ausgaben zufriedengeben, die zum
Teil schon eine Woche zuvor die Druckereien verlassen hatten. (Die Lage hat sich zwar etwas verbessert doch die schwache Infrastruktur limitiert bis heute den Erfolg von Printmedien in Vietnam).
Das Internet wurde erst ab 1997 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heute bietet sich ein geteiltes Bild der Mediennutzung in Vietnam. Unterschieden werden muss in erster Linie zwischen urbanen Gebieten und den ländlichen Regionen des Landes. Dennoch gilt das Fernsehen sowohl in der
Stadt, als auch auf dem Land als das wichtigste Medium, das von den meisten Menschen am häufigsten genutzt wird. Herr Dang Ngoc Dinh sieht die Gründe hierfür vor allem in der Strukturschwäche des Landes, die den Vertrieb von Zeitungen erschwert und im dynamischeren Charakter
des Fernsehens und der Attraktivität der bewegten Bilder. Dann jedoch teilt sich das Bild, und während in den Städten an zweiter Stelle der Mediencharts die Zeitungen stehen, ist im ruralen Vietnam
das Radio das zweitwichtigste Medium. Zeitungen kommen auf dem Lande dagegen erst an dritter
Stelle der Skala. Das Internet spielt in ländlichen Gebieten noch eine sehr geringe Rolle. In den
Städten dagegen ist es heute das Radio, das so gut wie gar nicht genutzt wird. Zum drittwichtigsten
Medium hat sich hier längst das Internet gemausert, was an den unzähligen Internetcafes deutlich
wird, die in Städten wie Hanoi oder Ho Chi Minh Stadt wie Pilze aus den Boden schießen und zu
den Hotspots der Freizeit- und Abendgestaltung vor allem von jungen Vietnamesen geworden sind.
Die nun folgende Analyse soll zeigt, dass eine Reihe von Faktoren für diese Skizze der Mediennutzung in Vietnam sprechen.
4.
Determinanten der Mediennutzung in Vietnam
Die Mediennutzung kann von verschiedensten Faktoren beeinflusst werden. Diese Multikausalität
bedeutet natürlich ein Problem für die Darstellung der Faktorenuntersuchung, zumal sich einige der
Determinanten der Mediennutzung nicht klar trennen lassen. Im vorliegenden Beitrag soll die Analyse dennoch einem Untersuchungsraster folgen, das drei Bezugsebenen unterscheidet. In diesem
Sinne sollen medienstrukturelle, soziogeografische und soziokulturelle Faktoren, von denen ein
Einfluss auf die Mediennutzung in Vietnam zu erwarten ist, getrennt diskutiert werden. Um jedoch
Wiederholungen zu vermeiden, wird versucht, die Determinanten wo es nötig und möglich ist in
Verbindung zu setzen. So sind die soziogeografischen Faktoren Urbanisierung, Beschäftigung,
Wirtschaftskraft und Mobilität kaum isoliert voneinander zu betrachten. Gleichzeitig steht der Faktor Urbanisierung aber auch in Zusammenhang mit soziokulturellen Faktoren, wie beispielsweise
Kommunikationstraditionen oder auch medienstrukturellen Faktoren, wie Vertriebssystem oder
Technikvorteil des Fernsehens.
262
Mediennutzung in Vietnam
4.1
4.1.1
Medienstrukturelle Faktoren
Werbemittelverteilung
Die Betrachtung der Verteilung von Werbemitteln unter den verschiedenen Medientypen (Print,
Radio, Fernsehen) erlaubt es, Rückschlüsse zu ziehen, auf die Beliebtheit und Wichtigkeit der einzelnen Medien und darauf, wie stark sie von den Rezipienten genutzt werden.195
Gustafsson/Weibull196 unterscheiden in ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa Zeitungsnationen, Fernsehnationen und Nationen, in denen sich die Nutzung dieser beiden Medien die Waage
hält. In Fernsehnationen entfallen 50% der Ausgaben der Werbetreibenden auf das Fernsehen und nur
rund 20% auf die Printmedien. In Zeitungsnationen gestaltet sich das Verhältnis umgekehrt.
Wendet man dieses Schema auf Vietnam an, würde das südostasiatische Land am ehesten in die
Kategorie Fernsehnation fallen. Die Ausgaben für Werbung erreichten nach Angaben der Marktforschungsfirma AC Nielsen im Jahr 2000 einen Wert von 152 Mio. US$. Dabei entfielen die
höchsten Ausgaben auf Fernsehwerbung.197
Tabelle 4: Werbeaufkommen 2000 (in Mio. US$) 198
Fernsehen
82
Printmedien
47
Außenwebung
18
Radio
5
Eine Werbeminute im Radio kostet ca. 35 US$, während im Fernsehen Minutenpreise von etwa 700
US$ üblich sind.199 Doch trotz dieses großen preislichen Unterschiedes hat Radiowerbung aktuell
kaum eine Chance gegen die Konkurrenz des Fernsehens. Das liegt vor allem daran, dass das Radio
in den urbanen Gebieten Vietnams, wo die kaufkräftigen Kunden leben, kaum genutzt wird. Auf
dem Lande dagegen, wo das Radio noch einen höheren Stellenwert im Nutzungsprofil der Menschen besitzt, hat man wenig Geld für den Konsum von Artikeln, die über die Grundbedürfnisse
hinaus gehen. Die Printmedien dagegen können in diesem Zusammenhang von ihrer hauptsächlich
urbanen Verbreitung profitieren. Auf die soziogeografischen Hintergründe dieses Stadt-LandGefälles soll jedoch erst im nächsten Kapitel näher eingegangen werden.
Letztlich deutet der Status des Fernsehens als bevorzugtes Werbemedium darauf hin, dass mit diesem Medium der größte Teil der vietnamesischen Bevölkerung erreicht werden kann.
Das Radio, das die geringsten Werbeeinnahmen hat, leidet am meisten unter dieser Situation. „VoV
needs more money“, heißt es beispielsweise in der „Sida Performance Analysis“.200 Die Position
des Radios in der Nutzergunst wird durch den Geldmangel natürlich nicht verbessert. Das aktuelle
Angebot ist für viele Hörer vor allem in den Städten nicht attraktiv genug. Fragt man beispielsweise
die Einwohner von Hanoi nach ihrem Radiokonsum, so bekommt man meist eine Antwort wie:
195
196
197
198
199
200
vgl. Gustafsson/Weibull 1997: 249, 251, 267ff.
1997: 267f
BFAI, 2001
ebenda
vgl.: Elmqvist/Fredriksson 2003: 17f
ebd.
263
Mediennutzung in Vietnam
„Nobody is listening to the radio in Hanoi.“ Das ist scheinbar auch den Werbetreibenden bekannt:
„Radio advertising is regarded as being in its infancy by the advertising business in Vietnam, and
there are no figures available on advertising spending.“ 201
4.1.2
Konkurrenz der Angebote
In ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa haben Gustafsson/Weibull202 der Konkurrenz
zwischen den verschiedenen Medientypen eine eher geringe Bedeutung für deren Nutzung im Einzelnen beigemessen. Dies lässt sich vor allem mit funktionellen Unterschieden der Medien erklären.
Doch für Vietnam gilt, dass die Zeitung starke Konkurrenz durch die elektronischen Medien bekommt, was sich auswirkt auf wichtige Funktionen der Presse, wie zum Beispiel die Lokalinformationsfunktion.
Hinzu kommt, dass in Vietnam eine Konkurrenzsituation nicht nur auf inhaltlicher Ebene besteht. In
einem Land, das sich in der Entwicklung befindet, ist vor allem die Konkurrenz zwischen den Medientypen auf technisch-materieller Ebene von Bedeutung, wie die folgenden Abschnitte Kostenfaktor und Vorsprung durch Technik zeigen werden.
4.1.2.1 Lokalberichterstattung
Lokalinformationen stellen einen wichtigen Faktor für die Leser-Blatt-Bindung dar. Viele Leser in
Deutschland beziehen eine Zeitung als Quelle für Informationen aus ihrem regionalen Umfeld. Lokalnachrichten stellen somit eine klassische Domäne der Zeitung dar.203 In den Zeitungen findet
man in der Regel Informationen zu lokalen Veranstaltungen und Terminen. Regionale TV- bzw.
Radiosender, als „flüchtige Medien“, sind was ihre Funktionalität für Terminansagen betrifft im
Nachteil. Nur in der Zeitung lassen sich solche Termine bequem nachschlagen. Und auch Todesanzeigen findet man in Deutschland nur in den Printmedien. Die vietnamesische Presse bekommt aber
gerade auf der Ebene der Lokalinformationen starke Konkurrenz durch ein sehr umfassendes Regionalprogrammangebot des Fernsehens und auch des Radios in allen 61 Provinzen. Dabei lässt das
vietnamesische Regionalfernsehen nichts aus. Die Provinz-TV-Angebote schließen sogar Todesanzeigen mit ein. Diese sogenannten tin buon (traurige Nachricht) werden beispielsweise auf Hanoi
TV mehrmals pro Woche am frühen Abend gesendet. Ein Phänomen, das man sich hierzulande nur
schwer vorstellen kann. So loben Schönbach/Peiser204 die Dezenz der Zeitung, die ihr Inhalte ermöglichen würde, die von elektronischen Medien nicht angeboten werden könnten: „Ein Beispiel:
Todesanzeigen - man stelle sie sich im Radio verlesen vor.“205 In Vietnam dagegen werden sie sogar im Fernsehen verlesen und in weißer Schrift auf blauem Grund eingeblendet. Daran scheint sich
niemand zu stören, im Gegenteil sind die „traurigen Nachrichten“ beim Publikum durchaus beliebt.
In einem Restaurant im Universitätsviertel von Hanoi wurde der Bitte, auf ein anderes Programm
umzuschalten erst nach Ende der Verlesung der Todesanzeigen nachgekommen.
201
202
203
204
205
264
ebd.
Gustafsson/Weibull, 1997, 259
vgl.: Schönbach/Peiser, 1998, 103; Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132
Schönbach/Peiser, 1998, 108
ebd.
Mediennutzung in Vietnam
Ferner ist Vietnam noch durchzogen von einem flächendeckenden Lautsprechersystem, das die
Menschen, vor allem die ländliche Bevölkerung, zusätzlich mit aktuellen Informationen versorgt.
Während in Hanoi nur zweimal am Tag, früh morgens und am späten Nachmittag kurze Lautsprecherdurchsagen gemacht werden, erfüllt in Kleinstädten oder ländlichen Gebieten der scheppernde
Klang der Lautsprecher über den ganzen Tag verteilt die Luft.
Das Lautsprechernetzwerk untersteht dem Ministry of Culture and Communication (MoCI). Über
die Lautsprecher werden Ansagen gemacht, Zeitungsartikel verlesen und Radioprogramme, inklusive Musik, verbreitet. Für die konkrete Programmgestaltung ist allerdings das jeweilige lokale
Volkskomitee zuständig, was zur Folge hat, dass jede Kommune ihr ganz individuelles Programmangebot bekommt. „The staff charged with the creation of the program is reading, listening and
watching other media and then programming according to the needs of the commune. It’s taylormade program.“ 206
Wie viele dieser Lautsprecher in Vietnam im Einsatz sind, konnte im Zuge der Recherchen nicht
geklärt werden. Sicher ist, dass es sie in jeder Kommune des Landes gibt. Das Netz verläuft parallel
zur Stromversorgung. Die Flüstertüten sind an den Strommasten installiert und lassen ihre Botschaften nicht nur im Dorfzentrum, sondern auch über die angrenzenden Reisfelder erschallen.
In Vietnam hat sich die Presse auf Lokalebene nicht nur gegen die Konkurrenz der elektronischen
Medien zu behaupten, sondern auch gegen eine in der Gesellschaft stark verwurzelte orale Tradition, auf die im Abschnitt über Kommunikationstraditionen noch näher eingegangen wird.
4.1.2.2 Kostenfaktor
Als für die Zeitungslektüre zuträglich nennen Schönbach, Lauf und Peiser „ein gutes Einkommen,
das den Bezugspreis von Zeitungen weniger wichtig werden lasse“ und „generell ein hoher sozioökonomischer Status, der es sozial erwünscht mache, Zeitung zu lesen“. 207 Während der Kostenfaktor in Ländern mit einem hohen Lebensstandard weniger ins Gewicht fällt, spielt er in Vietnam eine
entscheidende Rolle.208 Auch wenn die Zeitungspreise niedrig sind, entsprechen die durchschnittlichen Kosten für eine vietnamesische Tageszeitung (zwischen 1.000-3.000 VND) in etwa dem Preis
für ein Kilo Reis (ca. 1.300 VND, 7 Eurocent). Zeitschriften sind im Allgemeinen noch etwas teurer. Man bekommt sie ab etwa 3.000 VND. Das teuerste Magazin, die Modezeitschrift Dep (Schön)
kostet gar 30.000 VND (1,5 Euro).
Das vietnamesische Fernsehen hat gegenüber der Presse den Vorteil, dass sein Programm einen kostenlosen Service darstellt. In Vietnam werden keine Fernsehgebühren erhoben.209 Die Anschaffungskosten für ein Fernsehgerät dagegen, scheinen nur wenige Menschen vom Kauf abzuhalten. Das be206
207
208
209
Interview mit Herrn Nguyen Van Phuong/VTV; Hanoi, 02.02.04
Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132
Genaue Zahlen zu Wirtschaftskraft und Lebensstandard liefert im Folgenden das Kapitel über die soziogeografischen
Faktoren der Mediennutzung (Beschäftigung, Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit). Zunächst reicht aus sich klarzumachen, dass es sich bei Vietnam um ein Schwellenland, mit einer im Vergleich zu Deutschland durchschnittlich sehr
armen Bevölkerung, handelt.
„There is no license fee system in Vietnam“, heißt es hierzu in der Internet Case Study, ITU, 2002, 17; vgl. ebenso
Le Thanh Binh, 2002, 41
265
Mediennutzung in Vietnam
legt der hohe Prozentsatz von Fernsehhaushalten in Vietnam. Einige Anzeichen sprechen dafür, dass
der Besitz eines Fernsehgerätes für Vietnamesen von großer Bedeutung ist. Auf das Phänomen des
Fernsehers als Statussymbol soll aber zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer eingegangen werden.
Letztlich ist es kaum verwunderlich, dass man an der Schwelle zum Wohlstand seine ohnehin knappen Ersparnisse lieber in bleibende Werte investiert, als täglich in ein paar Seiten bedrucktes Papier.
Mit dem Fernseher bekommt das „leichtverderbliche“ Wegwerfprodukt Zeitung scharfe Konkurrenz
von einem vorzeigbaren, bleibenden Wert, der darüber hinaus zur Unterhaltung der ganzen Familie
beiträgt und nebenbei mehrmals täglich Presseschauen (Diem bao) sendet.
4.1.2.3 Vorsprung durch Technik versus Schwierigkeiten beim Vertrieb
„The access to newspapers is, of course, of great importance.“ In der Studie zur Zeitungsnutzung in
Europa210 waren, was die Zeitungsdichte betrifft, jeweils die Länder im Vorteil, die über ein effektives Vertriebssystem verfügten. Dabei spielt vor allen Dingen die Möglichkeit des Abonnements
eine Rolle, aber auch ein weit verzweigtes Netz von Verkaufstellen ist für die Zeitungsverbreitung
förderlich.211 Beides lässt in Vietnam stark zu wünschen übrig. So heißt es in der “Sida Performance
Analysis”: „the idea of subscriptions...is a non-existing tradition in Vietnam, except for the Party
papers and other papers affiliated to the army for example, where conscription is compulsory.“ 212
In einer Zeitungsnation, wie Japan213 dagegen abonnieren etwa 94%214 der Leser ihr Blatt.215
Ein Hauptgrund für die geringe Zeitungsverbreitung auf dem Lande ist sicher die mangelhafte Infrastruktur. Die Sozialistische Republik Vietnam mit einer Größe von 329.240 Quadratkilometern216
liegt zwischen China, Laos und Kambodscha. Im Osten erstreckt sich eine 3.260 Kilometer lange
Küstenlinie. Aufgrund des speziellen Umrisses mit den zwei breiten Flussdeltagebieten im Norden
und Süden, die nur über einen sehr schmalen Streifen Land miteinander verbunden sind, vergleicht
man die langgestreckte Form Vietnams oft mit der Lastentragestange, mit der man Marktleute und
fliegende Händler auch heute noch überall in Vietnam ihre Waren transportieren sieht. Die Deltaregion des Roten Flusses im Norden und die des Mekongs im Süden werden darüber hinaus in der
Mitte des Landes noch von einer Bergkette getrennt. Insgesamt bestehen drei Viertel des Landes aus
Gebirge und Hügellandschaft.
Schlechte Verkehrsverbindungen in diesem ausgedehnten von vielen Gebirgsregionen und Wasserläufen durchzogenen Land führen zu Distributionsschwierigkeiten und manchmal tagelangen Verspätungen. Während Straßen und Schienen noch nicht zufrieden stellend ausgebaut sind,217 wurden
und werden größere Anstrengungen unternommen, die Sendetechnik zu optimieren. Die Subventio210
211
212
213
214
215
216
217
266
Gustafsson/Weibull, 1997
vgl. ebd., 265f.
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 44
Die Zeitungsdichte in Japan beträgt 664 Exemplare pro 1.000 Einwohner bei einer Gesamtauflage von 71,7 Mio
Exemplaren, vgl.: Hohenadl, 4
vgl. Hohenadl, 2004, 126
„Zweifellos wären ohne dieses spezielle Vertriebssystem die hohen Auflagen der japanischen Tageszeitungen nicht
möglich.“, Hohenadl, 2004, 129
vgl. UN, 2003, 584
vgl. ebd., 588
Mediennutzung in Vietnam
nen des Staates fürs Fernsehen, die laut ITU 50% des TV-Haushaltes ausmachen,218 sind vor allem
für große technische Entwicklungsprojekte gedacht, wie beispielsweise ein geplantes neues Produktionszentrum mit 17 digital ausgestatteten Studios.219 Dies geschieht „with the aim of providing a
standard infrastructure to Vietnam Television’s expansion in the coming years“. 220
Laut VJA sind zwar heute alle großen Zeitungen noch am Erscheinungstag überall im Land erhältlich,221 doch die Verkehrsverhältnisse lassen an dieser Behauptung zweifeln.222 Die Volksweisheit,
nichts sei älter als die Zeitung von gestern, gilt auch in Vietnam. So trägt das Fernsehen nicht nur
den „Sieg in Sachen Unterhaltung“ davon, 223 sondern oft auch den in Sachen Aktualität.
Auch das Radio kann durch seine technische Verbreitung bei den Nutzern auf dem Land profitieren.
Dort, wo Printmedien als Informationsquelle aufgrund von Distributionsschwierigkeiten nur stark
eingeschränkt zugänglich sind, gewinnt das Radio an Bedeutung. Dies wird deutlich, betrachtet man
die in urbane und rurale Gebiete differenzierten Radionutzungskurven. Besonders gut sichtbar ist die
Diskrepanz im nutzungsintensivsten Zeitraum: In den frühen Morgenstunden wird das Radio in ruralen Gebieten stark genutzt, in urbanen Gegenden dagegen, wie den ganzen Tag über, nur schwach.224
Laut einer vietnamesischen Statistik sind nur 89,4% der Kommunen an die Stromversorgung angeschlossen.225 Die stärkere Nutzung des Radios im ländlichen Bereich hängt vor allem mit Elektrizitätsengpässen zusammen. Während man ein kleines Transistorradio leicht mit Batterien betreiben
kann, bietet sich diese Möglichkeit bei einem Fernsehgerät nicht ohne weiteres.
4.1.3
Sonderfall Internet
4.1.3.1 Rückzugsraum und Freizeitvergnügen für Jugendliche
Die hauptsächlich jugendlichen Nutzer des Internets strömen vor allem in die Cybercafes, um dort
zu chatten oder E-Mails zu schreiben.226 Die Tarife in den Internetcafes sind in den letzten Jahren
gefallen. Ist in der Internet Case Study 227 noch von Preisen zwischen 300 und 400 Dong pro Minute
die Rede, zahlt man aktuell für eine Stunde Internet-Access zwischen 3.000 und 4.000 Dong (ca. 25
Eurocent). Mit Preisen von 300 Dong pro Minute muss man nur noch in Cafes rechnen, die HighSpeed-Internet an modernen Flachbildschirmen in schickem Ambiente anbieten.228 Die aktuellen
Tarife sind für viele jugendliche Städter erschwinglich geworden. Doch die Internetcafes haben
noch weitere Vorzüge, die den Aufenthalt dort für Jugendliche attraktiv machen. Viele bieten auch
Computerspiele an und es können kleine Snacks, Süßigkeiten und Getränke konsumiert werden.
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
vgl. ITU, 2002, 17
vgl. VTV-Broschüre, 28
ebd. 19
vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai
Die Fahrt von Hanoi aus ins rund 200 Kilometer entfernte Thanh Pho Tuyen Quang dauert im öffentlichen Kleinbus
zwischen vier und fünf Stunden.
Noelle-Neumann, 1986, 34
vgl.: TNS MHS, 2003, Nutzungskurvendiagramm: Danang Radio Listenership
vgl.: SRV, 2002, 478
vgl.: Interview Dang Ngoc Dinh/Vusta 19.01.04
ITU, 2002
Gesehen in der Altstadt von Hanoi (Trang Tien Straße) im Januar 2004.
267
Mediennutzung in Vietnam
Ältere Erwachsene trifft man, von Touristen abgesehen, kaum in den Internetcafes von Hanoi. So
stellen sie für die Jugendlichen offenbar ein ideales Rückzugsgebiet dar, wo sie unter Ihresgleichen
sind und auch Kontakte zum anderen Geschlecht knüpfen oder pflegen können.
Ähnliche Motivationen gibt es beispielsweise auch für den Kinobesuch. „Das Kino ist eine Traumfabrik und ein Fluchtraum, ein Ort an dem man den Alltag vergessen und entspannen will und vielleicht Freunde oder Bekannte treffen kann“, heißt es in Hauptsache Unterhaltung, einer Untersuchung der Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 1950er Jahren.229 Das Kino
ist somit „ein Raum, in dem man aus der Enge der eigenen vier Wände fliehen“ kann.230 Doch laut
einer vietnamesischen Statistik231 gab es im Jahr 2000 in ganz Vietnam nur insgesamt 158 Kinos
(bei einer Einwohnerzahl von knapp 80 Mio.). Die oben genannten Funktionen des Kinos werden in
Vietnam heute womöglich besser von den Internetcafes erfüllt. Dies trifft insbesondere auf Jugendliche zu, da ein Internetcafebesuch relativ preiswert bleibt.
Die Cybercafes sind im Vergleich zum Kino aber nicht nur ein billigeres Freizeitvergnügen, vielmehr ist anzunehmen, dass von der neuen Technik auch eine große Faszination ausgeht. Das Internet bietet technisch tatsächlich einen „Raum“, in den man konkreter noch als bei der Flucht in Fiktion, die das Kino verspricht, aus der „Enge“ des Alltags entfliehen kann. E-Mail, Chat, Surfen,
„www“ - das Internet verbreitet zumindest die Illusion mit der großen weiten Welt verbunden zu
sein. Das Gefühl „to be connected“ stellt für vietnamesische Jugendliche, die meist nicht die Möglichkeit haben, ins Ausland zu reisen oder schon während der Schulzeit ein Jahr an einer amerikanischen Highschool zu verbringen, sicher einen besonderen Reiz dar.
4.1.3.2 Unabhängige Informationen durch geringere staatliche Kontrolle
Der Unterhaltungsfaktor steht für viele jugendliche Internetnutzer sicher im Vordergrund. Trotzdem
gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass das Internet durchaus auch auf ein hohes Informationsbedürfnis der Menschen trifft. Dies zeigt die Etablierung der ersten reinen Netzzeitung Vietnams
(VnExpress). „Without any ceremonies and in a low-key fashion VnExpress kicked off in January
2001, quite aware of the fact that they were entering new territories. Owned by high-tech company
FPT, a semi-private enterprise under Ministry of Science and Technology (MOSTE), and one of the
Internet providers in Vietnam, VnExpress became the first media to start without any subsidies from
the government and with private backing. Due to its owner, VnExpress eventually had to move in
under the formal umbrella of MOSTE, to be able to apply for a license. As the paper describes, “we
did not exist as a media organization according to the press law, we did not have a license and our
journalists had no press cards“.“ 232
VnExpress, die sich durch Werbung und Gebühren finanziert, fuhr bereits vier Monate nach ihrem
Launch die ersten Gewinne ein. Nach einer Woche verzeichnete die elektronische Zeitung bereits
1.000 Leser und im Jahr 2003 hatte sie bereits 12 Mio. Besucher/Monat, die über 800.000 registrier229
230
231
232
268
Meyen, 2001b, 134
ebd. 134f.
SRV, 2002, 472
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19
Mediennutzung in Vietnam
te Computer auf die Seiten der Zeitung zugriffen. Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden,
dass etwa die Hälfte dieser 800.000 Computer im Ausland stehen. VnExpress scheint ein beliebtes
Medium für die Auslandsvietnamesen233 geworden zu sein.234 Die Netzzeitung bietet aktuelles aus
Politik, Sport, Unterhaltung und Lifestyle.235 Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolges dieser
ersten elektronischen Zeitung Vietnams auch in ihrer „intense communication with the readers“,236
die hauptsächlich über Online Polls und das VnExpress Readers Forum stattfindet. Die Redaktion
von VnExpress behauptet sogar, dass die vietnamesische Regierung sich regelmäßig im Forum umhört, um über den Stand der öffentlichen Meinung informiert zu sein.237 VnExpress bemüht sich
aber auch um eine möglichst objektive Berichterstattung. Die Objektivität besteht hauptsächlich
darin, Nachrichten nicht zu kommentieren. „As the government keeps a close eye to what is published on Internet, VnExpress maintains a careful balance with the authorities. However, ways are
tested and when VnExpress not only presented the names of candidates elected to National Assembly right after the press conference, but also how many votes each candidate got, they obtained angry phone calls afterwards. It turned out that some of the high officials had received very few
votes.“ 238
Das Internet gilt in Vietnam trotz der allseits bekannten staatlichen Kontrolle als Möglichkeit, unabhängigere Informationen zu erhalten, vor allem, wenn man einer Fremdsprache mächtig ist. Es bietet die einzige alternative Informationsquelle zu den offiziellen Versionen der Nachrichten, abgesehen von der Möglichkeit, ausländische Druckerzeugnisse in Hotellobbys und in den großen städtischen Buchhandlungen zu kaufen. Die Preise dieser ausländischen Zeitungen und Magazine sind
jedoch deutlich höher als die der Heimatpresse. Kaufpreise von um die 5 US$239 macht die Lektüre
solcher Zeitungen für die meisten Vietnamesen unmöglich. Obwohl die Rezipienten in Vietnam
also, wie überall auf der Welt, stark an Unterhaltungsangeboten der Medien interessiert sind,240
besteht offensichtlich auch Interesse an Informationen, sofern diese nicht nur eine Art Hofberichterstattung der Regierung darstellen.
4.1.3.3 Alternative zum Telefon
Die Nutzung des Internets wird in Vietnam durch einen weiteren finanziellen Aspekt gefördert. Laut
ITU 241 gehört Vietnam zu den Ländern mit den höchsten Telefontarifen: „Vietnam has some of the
world’s highest prices for international outgoing traffic, which is priced in US dollars, effectively
233
234
235
236
237
238
239
240
241
Während des Indochina Kriegs haben viele Vietnamesen vor allem aus dem Süden ihr Heimatland verlassen. In
Frankreich spricht man in diesem Zusammenhang sogar von der „diaspora vietnamienne“.
Was die Erfolgsgeschichte von VnExpress und des Internets in Vietnam im Allgemeinen nicht schmälern würde, gerade, wenn man sich die Internetnutzerzahlen in Erinnerung ruft, von der die Vietnam Internet Case Study der ITU noch
ausgegangen ist (100.000 Internetabonnenten und geschätzte 200.000 Nutzer). Als Basis der ITU-Studie dienten Recherchen im Jahr 2001(vgl. ITU, 2002, ii), die aber meist Datenmaterial aus den späten 1990er Jahren erbracht haben.
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19
ebd.
ebd.
ebd.
Preis der Zeitung Far Eastern Economic Review in einer Buchhandlung in der Hanoier Trang Tien Straße.
Gründe für eine starke Unterhaltungsorientierung werden noch näher erläutert.
ITU, 2002, 14f.
269
Mediennutzung in Vietnam
putting it out of reach of ordinary people....A peak rate three minute call to the United States costs
over US$ nine and more than US$ ten to Europe.“
Seit der Auswanderungswelle im Zuge des Indochina Kriegs haben die meisten vietnamesischen
Familien Verwandte im Ausland. Enge Familienbande stellen in Vietnam jedoch einen hohen Wert
dar. Das Internet bietet für viele nun die Möglichkeit den Kontakt zu den Familienangehörigen im
Ausland zu pflegen. Das Telefon kann mit den vergleichsweise niedrigen Internettarifen (zwischen
3.000 und 4.000 Dong pro Stunde in Internetcafes) unmöglich konkurrieren.
Auch die Telefontarife für Inlandsgespräche übersteigen die fürs Internet. Laut ITU sind sie zwar
seit 1998 deutlich gesunken, aber dennoch kostet ein dreiminütiger Anruf aktuell noch 400 Dong.242
4.2
Soziogeografische Faktoren
Der Einfluss von soziogeografischen Faktoren auf die Mediennutzung kann als erwiesen angesehen
werden. Im folgenden Kapitel sollen nun einige solcher Determinanten und ihre Auswirkung auf die
Nutzung von Medien in Vietnam diskutiert werden.
4.2.1
Geringer Urbanisierungsgrad und seine Folgeerscheinungen
In einem Interview der Sonntagszeitung Tuoi Tre Chu Nhat 243 von 1997 gibt der heutige Minister
für Kultur und Information, Pham Quang Nghi, in seiner damaligen Funktion als stellvertretender
Leiter des Kulturkomitee der KPV an, dass ganze 93% der Zeitungen Vietnams in den Städten und
urbanen Zonen zirkulieren.244 Städtischer Lebensraum ist in Vietnam aber nur sehr begrenzt vorhanden.245 Drei Viertel der rund 80 Mio. Vietnamesen246 leben in ländlichen Gebieten.247 So stehen
einem Viertel der Bevölkerung ganze 93% der Zeitungen zur Verfügung, während sich die anderen
drei Viertel mit nur 8% des Zeitungsaufkommens begnügen müssen. Demzufolge läge die Zeitungsdichte, betrachtet man ausschließlich Vietnams Städte, bei immerhin knapp 60 Exemplaren
pro 1.000 Einwohner.248 Betrachtet man nur die ländlichen Gebiete, läge die Zeitungsdichte dagegen bei nur rund 1,5 Exemplaren pro 1.000 Einwohner.249
Während das Leben in Vietnams Städten schon dem in modernen Industriestaaten ähnelt, ist der
Großteil des Landes immer noch hauptsächlich von Landwirtschaft, einer bäuerlichen Lebensweise
und Strukturschwächen geprägt. Somit besteht eine große Diskrepanz zwischen städtischer und
ländlicher Lebensart, die sich in der Ausprägung der Mediennutzung widerspiegelt. Dies entspricht
der Feststellung von Gustafsson und Weibull, derzufolge „[n]ewspaper reading...could be interpre242
243
244
245
246
247
248
249
270
vgl. ebd. 11
vgl. Artikel in Tuoi Tre Chu Nhat vom 22.06.1997, 3
vgl. Tran Huu Quang 2001, 275
Verwaltungstechnisch ist Vietnam unterteilt in 57 Provinzen und vier eigenständige Städte: Hanoi, Ho Chi Minh
Stadt, Hai Phong und Da Nang. Neben etwa 11.000 Dörfern (vgl. ITU, 2002, 10) gibt es in Vietnam nur einige wenige große Städte, darunter die Hauptstadt Hanoi und die Südmetrople Ho Chi Minh Stadt.
vgl. UN, 2002a, 206
80% laut UN 2002a, 206; 75,24% laut SRV, 2002, 21
urbane Zeitungsdichte: 1.186.401 [93% der Total Average Circulation] x 1000/20 Mio [ein Viertel der Bevölkerung
Vietnams] = 59,32005
rurale Zeitungsdichte: 89.299 [7% der Total Average Circulation] x 1000/60 Mio [drei Viertel der vietnamesischen
Bevölkerung] = 1,48831667
Mediennutzung in Vietnam
ted as following the modernization process. It is connected with political and economic development
of industialized, urbanized societies…“.250 In Vietnam verzögert sich dieser „Modernisierungsprozess“ des Staates und der Gesellschaft aufgrund der speziellen Geographie des Landes, stark verankerter kultureller Traditionen, einer gewissen Starrheit des politischen Systems, wirtschaftlicher
Probleme und der konfliktreichen jüngeren Vergangenheit.
Ist der geringe Urbanisierungsgrad Vietnams auch nicht der einzige Grund für die niedrige Zeitungsdichte, so spielt er doch eine entscheidende Rolle, bei der Frage nach den Hemmnissen der Zeitungsverbreitung. Einige der Determinanten auf soziogeografischer Ebene (Beschäftigung, Wirtschaftskraft
und Arbeitslosigkeit; Mobilität und Verkehr) können als Folgeerscheinungen der geringen Urbanisierung Vietnams gewertet werden und werden deshalb in einem gemeinsamen Abschnitt präsentiert.
Ferner stehen aber auch soziokulturelle und medienstrukturelle Faktoren in engem Zusammenhang
mit dem Faktor Urbanisierung. Wie beispielsweise spezifische Kommunikationstraditionen durch die
weitgehend dörfliche Lebensweise in Vietnam geprägt sind und damit der medialen Kommunikation
Konkurrenz machen, wird noch näher erläutert werden. Die Schwierigkeit der Zeitungsverlage, den
Vertrieb ihrer Produkte trotz der mangelhaften Infrastruktur des Landes zu organisieren, stellt eine
medienstrukturelle Determinante dar und wurden bereits angesprochen.
4.2.1.1 Beschäftigung, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit
Gustafsson und Weibull stellten auch fest, dass ein hohes Bruttosozialprodukt mit einer hohen Zeitungsdichte korrespondiert. Je besser die wirtschaftliche Situation eines Landes, desto stärker auch
die Position der Presse.251 Vietnam stellt keine Ausnahme dieser Regel dar. Bei einem niedrigen
Bruttoinlandsprodukt von ca. 31 Mrd. US$ im Jahr 2000,252 liegt die Zeitungsdichte, der in diesem
Beitrag erfolgten Neuberechnung zufolge, bei 16 Exemplaren/1.000 Einwohner.253
Vietnam ist trotz des Aufschwungs, der mit Doi Moi einherging, immer noch ein Land mit einer
durchschnittlich sehr armen Bevölkerung. Das Bruttoinlandsprodukt/Kopf lag im Jahr 2000 bei nur
401 US$254.255 Das durchschnittliche monatliche Pro-Kopf-Einkommen lag 1999 bei rund 20 US$
(295.000 VND).256 Zwei Drittel (63,7%) der vietnamesischen Bevölkerung hatten 1998 pro Tag
weniger als 2 US$ zur Verfügung und gut die Hälfte lebte 1993257 unterhalb der Armutsgrenze.258
Betrachtet man das durchschnittliche Einkommen in Stadt und Land gesondert voneinander, wird
die Diskrepanz noch deutlicher. Kann ein Städter im Durchschnitt mit einem monatlichen Gehalt
von 55,5 US$ (832.500 VND) rechnen, stehen einem Landbewohner 15 US$ (225.000 VND) zur
250
251
252
253
254
255
256
257
258
Gustafsson/Weibull, 1997, 269
ebd. 256
vgl. UN, 2002a, 206
Im Vergleich dazu hatte Deutschland im Jahr 2000 ein BSP von rund 1,86 Billionen US$ und die Zeitungsdichte
liegt bei 305 Exemplaren/1.000 Einwohnern; UN, 2002a, 74
ebd. 206
Im Vergleich dazu lag das deutsche BSP/Kopf im Jahr 2000 bei 22.753 US$; UN, 2002a, 74
vgl. SRV, 2002, 481
aktuellste Angabe
vgl. UN, 2003, 593
271
Mediennutzung in Vietnam
Verfügung.259 Und lag im Jahr 1993260 der Anteil derer, die unterhalb der Armutsgrenze lebten in den
Städten bei 25,9%, lag er auf dem Land bei 57,2%.261
Einer der Hauptgründe für die durchschnittlich sehr geringe Wirtschaftkraft und dem niedrigen Lebensstandard in Vietnam ist die Tatsache, dass der Großteil der Vietnamesen von der Landwirtschaft
lebt. Höhere Verdienstmöglichkeiten, etwa für Angestellter262, bieten sich eher in den Städten und
auch die finanziellen und geistigen Eliten finden sich hauptsächlich in den Städten eines Landes. Doch
gerade diese Personengruppen sind die Hauptkunden der Qualitätspresse. „Newspaper reading in
many cases is connected with work“, haben schon Gustafsson und Weibull263 festgestellt.
Arbeitslosigkeit dagegen ist der Zeitungslektüre nicht zuträglich.264 Genaue Angaben zur Arbeitslosigkeit gibt es nur für die urbanen Zonen des Landes. Dort lag die Quote der Nichtbeschäftigung im
Jahr 2001 bei 6,3%.265 Für die ruralen Gebiete gibt es keine konkreten Zahlen.
Vor dem Hintergrund der eben beschriebenen finanziellen und beruflichen Situation der vietnamesischen Bevölkerung, erscheint es kaum verwunderlich, dass vielfach das Geld fehlt, um täglich eine
Zeitung zu kaufen oder gar ein Abonnement zu finanzieren.
4.2.1.2 Mobilität und Verkehr
Mit dem geringen Urbanisierungsgrad eng in Zusammenhang stehen die Faktoren: Mobilität, Verkehr.
Mobilität: Schon für Karl Knies266 bestand ein Zusammenhang von erhöhtem Kommunikationsbedarf und mittel- bis längerfristigen Ortswechseln, die eher im Arbeiter- und Angestelltenmilieu, als
in der Landwirtschaft üblich sind. Er war der Meinung, „die interlocale Beitragsverteilung und
Genussverteilung fädelt die räumlich getrennt lebenden Menschen zum Nachrichtenverkehr zusammen.“ 267 Menschen sind nach einem Ortswechsel in einer neuen, unbekannten und städtischen
Umgebung stärker auf Medieninformationen angewiesen, um sich zurechtzufinden. Die Zeitung
aber kann bei der Konstruktion eines „geistig-psychologischen Bezugssystem, das den Menschen
das Gefühl vermittelt, in einer Landschaft, einer Stadt, einer menschlichen Gruppe heimisch zu
sein“,268 helfen. Gleichzeitig möchten viele, die beispielsweise einen jobbedingten Ortswechsel
vollzogen haben, auch über die Ereignisse in der Heimatregion auf dem Laufenden bleiben, was die
Zeitungsnutzung zusätzlich noch steigern kann.
Doch in Vietnam leben etwa ¾ der Bevölkerung in ländlichen Gebieten. „Stadtnahe Dörfer, auch
im traditionsgebundenen Delta des Roten Flusses, können sich der modernen Zeit nicht verschließen, in ferner gelegenen scheint die Zeit stillzustehen“, heißt es in einem renommierten Kunstreise259
260
261
262
263
264
265
266
267
268
272
vgl. SRV, 2002, 481
aktuellste Angabe
vgl. UN, 2003, 593
Aktuellen Angaben zufolge würde ein „worker“ heute durchschnittlich 120 US$ monatlich verdienen, vgl. Interview
mit Herrn Nguyen Van Phuong/VTV International Relations
Gustafsson/Weibull 1997: 261
ebd.
vgl. SRV, 2002, 47
Knies 1996; Original 1857
Knies 1996; Original 1857, 69
Schmidtchen, 1962, 1334
Mediennutzung in Vietnam
führer.269 Das Leben auf dem Lande ist im Allgemeinen nicht nur von festen Familienstrukturen im
bäuerlichen Milieu geprägt,270 sondern auch durch geringe Mobilität gekennzeichnet. Auch wenn es
immer eine Reihe von „Landflüchtigen“ gibt, die vor allem durch die hohe Unterbeschäftigung in
der Landwirtschaft fortgetrieben werden, ist die Tendenz (wie das Verhältnis von Stadt- zu Landbevölkerung zeigt) eher dahingehend, im Dorfverbund zu bleiben, wo die Familienmitglieder die Versorgung sichern können.271 Außerdem stellt die Nähe zur Familie einen essentiellen Wert innerhalb
der vietnamesischen Gesellschaft dar. Aus dem TNS MHS geht hervor, dass 99,3%272 der Befragten
der Aussage „A close family is essential to my happiness“ 273 zustimmen. In einer vertrauten Umgebung mit festen Gesellschafts- und Beziehungsstrukturen werden Zeitungsinformationen vor allem
über lokale Ereignisse weniger gebraucht, da andere Kommunikationskanäle aktiv sind.
Verkehrswesen: Ein weiterer determinierender Faktor der Mediennutzung ist das spezifische Verkehrswesen Vietnams. Interessant ist hierbei, wie sich die materiellen Erscheinungsformen der verschiedenen Medien vor dem Hintergrund der mangelhaften Infrastruktur auf die Mediennutzung
auswirken. Medien haben bekanntlich verschiedene technisch-materielle Eigenschaften, die den
Rahmen und die Möglichkeiten ihrer Nutzung bestimmen. Bei der Rezeption erfolgt die Wahrnehmung nur optisch (Printmedien), nur akustisch (Radio) oder audiovisuell (Fernsehen, Internet). Für
die Nutzung der elektronischen Medien braucht man jeweils technische Geräte, die Zeitung dagegen
ist handlich und lässt sich ohne Probleme mitführen, nach Gebrauch zurücklassen bzw. entsorgen
und die Lektüre ist nicht an vorgegebene Sendezeiten gebunden.274 Die Zeitung bietet sich demnach, als medialer Weg-Begleiter des mobilen Menschen an, der öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
Sie ist das Medium für unterwegs. Vietnam, als wenig urbane Region, ist jedoch kein Land der öffentlichen Verkehrsmittel. Zwar gibt es Züge und Busverbindungen, aber Mobilität vollzieht sich
hauptsächlich per Motorroller. Als Mitfahrer auf einem der sogenannten „Motorbikes“, müsste man
schon fast Akrobat sein, um nebenbei noch die Zeitung lesen zu können, da Fahrtwind und Verkehrssituation, neben der Tatsache, dass man sich den Soziussitz oft noch mit anderen Mitfahrern
teilen muss, die Zeitungslektüre nicht gerade begünstigen. U- oder S-Bahnen gibt es nirgends in
Vietnam und dem städtischen Busnetz in Hanoi wird erst seit einigen Jahren etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt, nachdem das Verkehrschaos immer mehr überhand genommen hat.275 Als eine
Funktion von Zeitungen wird auch die Möglichkeit genannt, sich hinter ihr zu verbergen und sich
gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln von den Mitreisenden abschirmen zu können, die einem in
den engen Zügen womöglich, dem persönlichen Empfinden nach, zu nahe rücken. In Vietnam ha269
270
271
272
273
274
275
Wulf, 1995, 30
Weggel, 1990, 32, charakterisiert die traditionelle Dorfstruktur: gemeinschaftsorientiert, geschlossen, hierarchiebestimmt, konservativ.
„Noch hält sich die Landflucht in Grenzen, weil die Städte wenige Arbeitsmöglichkeiten bieten und die Wohnverhältnisse schlechter sind als auf dem Lande, wo Bauland vorhanden ist.“, Wulf, 1995, 30
Strongly agree: 95,8%; Slightly agree: 3,5%
TNS MHS, 2003, 138
vgl. Maletzke, 1963, 178f.
Eine Zeit lang gab es sogar eine Zulassungssperre für Motorbikes in Hanoi, mit der Folge, dass sich viele Vietnamesen mit elektrischen Zweirädern beholfen haben. Zum einen, da das schlecht ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz,
das eigene Transportmittel nicht ersetzen kann und zum anderen, da die Fortbewegungsart per Motorbike liebgewonnene Gewohnheit ist.
273
Mediennutzung in Vietnam
ben die Menschen zum einen ein geringeres persönliches Abstandsbedürfnis,276 und zum anderen
halten sie sich eher selten in öffentlichen Verkehrsmitteln auf. Auch das nationale Schienennetz ist
schlecht ausgebaut. Entfernte Orte erreicht man zumeist nur mit öffentlichen Bussen über desolate
Straßen. Ferner wird die Zeitungslektüre auch dadurch erschwert, dass die Kleinbusse meist bis weit
über den letzten Platz hinaus besetzt sind und die Fahrgäste sich eher gegenseitig auf den Schößen,
als nebeneinander sitzen. All das führt letztlich dazu, dass klassische Rezeptionsorte, die die Zeitungslektüre begünstigen könnten, in Vietnam wegfallen.
Ähnliches gilt auch für das Radio. In Deutschland hat sich gezeigt, dass „immerhin 40 Prozent der
Radionutzungsdauer auf Situationen außer Haus“ 277 (u.a. im Auto) entfallen. In Vietnam besitzt
eine geringe Anzahl von Personen ein Auto und Motorbikes besitzen keine eingebauten Radios.
4.2.2
Bildungsniveau
Der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Zeitungskonsum wurde von Gustafsson und Weibull278 festgestellt. Nach Schönbach, Lauf und Peiser ist „eine höhere Bildung und die damit verbundene Leseroutine und Interessenvielfalt“ 279 der Zeitungslektüre zuträglich. Niedrige formale
Bildung dagegen hemmt in der Regel die Zeitungslektüre, Analphabetismus verhindert sie ganz. In
Vietnam ist die Analphabetenrate im Vergleich zu ähnlich entwickelten Ländern relativ niedrig.
Laut United Nations Human Development Report liegt die Alphabetenrate bei 93,1%. Hier hat sich
die vietnamesische Regierung seit Kriegsende sehr bemüht, flächendeckend Schulen einzurichten.
Heute besteht eine Schulpflicht für die Dauer von 5 Jahren und es gibt Pläne, die Plichtschulzeit zu
verlängern.280 Der hohe Prozentsatz der Lesefähigkeit wird in Vietnam im Gegensatz zu China
durch die Schriftart begünstig. Die vietnamesische Schrift benutzt wie das Deutsche lateinische
Buchstaben, die rasch erlernbar sind. Doch Lesefähigkeit alleine macht noch keinen regelmäßigen
Zeitungsleser. Doch um grundsätzlich an der Zeitungslektüre Freude zu haben, erfordere es ein gewisses höheres Bildungsniveau, gibt Mai Quang Nam vom Vietnam National Centre for Social
Sciences and Humanities zu bedenken.281
4.2.3
Klima
Gustafsson und Weibull stellten fest, dass in den wärmeren Regionen Europas in der Regel weniger
Zeitung gelesen wird. Auch Vietnam würde diesem Bild entsprechen. Die Temperatur fällt selten
unter 18ºC und die Zeitungsdichte ist niedrig. Aber „Vietnam has a varied climate“.282 Während im
Süden Vietnams es durchgehend warm bis heiß bleibt (23,7-32,3ºC), ist es im Norden allgemein
kühler. Im Januar, dem kältesten Monat, kann die Temperatur im Norden sogar auf 10ºC abfallen.
276
277
278
279
280
281
282
274
„Vietnamesen haben „anders als beispielsweise der Durchschnittsdeutsche oder -engländer („My home is my
castle“), kein Verlangen nach persönlich individuellem Lebensraum, der mit Mauern, Zäunen, Doppeltüren oder
Gardinen geschaffen wird; er braucht keinen weiten Gesprächsabstand und kennt auch nicht die Abneigung gegen
physische Nähe…“; Weggel, 1990, 41
Hasebrink, 2003, 111
vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 262f.
Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 131
vgl. Interview mit Nguyen Ngoc Oanh, Insitut for Press, Journalism & Communication; 30.01.04
Interview vom 30.01.04
Far Eastern Economic Review, 2001, 216
Mediennutzung in Vietnam
Das Zentralgebirge schützt den Süden vor dem kalten Nordmonsun.283 Demzufolge müsste –
Gustafsson und Weibulls Erkenntnissen entsprechend – in Nordvietnam mehr Zeitung gelesen werden, als im Süden. Doch der Faktor Klima kommt landesintern nicht in der üblichen Weise zum
Tragen. Hier gestaltet sich der Zusammenhang von Temperatur und Zeitungslektüre geradezu umgekehrt proportional. Obwohl es in Ho Chi Minh Stadt wärmer ist, wird der Zeitungsmarkt in Südvietnam im Allgemeinen als „plus dynamique“ 284 bezeichnet. Eine der modernsten und gleichzeitig
beliebtesten Tageszeitungen kommt aus der Wirtschaftmetropole im Süden. Offensichtlich wird der
Einfluss des Faktors Klima von anderen Faktoren, wie Wirtschaftskraft, Beschäftigung oder Unterhaltungsorientierung überwogen.
4.3
Soziokulturelle Faktoren
In ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa Gustafsson und Weibull fest,285 dass sich
Fernseh-, Radio- und Zeitungsnutzung zwar durchaus gegenseitig beeinflussen, der Einfluss dieser
Interdependenzen auf den Stellenwert der verschiedenen Medientypen im Nutzungsverhalten der
Rezipienten jedoch hinter anderen, eher kulturellen Determinanten zurücktreten würde. Eine wahrscheinlichere Erklärung für die Unterschiede in der Verteilung der Nutzung auf die verschiedenen
Medientypen seien „differences in cultures, e.g. between oral and written cultures or between reading traditions“.286 Ein Blick auf die kulturellen Hintergründe und den traditionsbedingten Stellenwert der Kommunikation in der vietnamesischen Gesellschaft verspricht Erkenntnisse über Determinanten der Mediennutzung, die sich weniger an Zahlen und Statistiken festmachen lassen. Vielmehr erwachsen sie aus einer stärker kulturhistorischen und soziologischen Perspektive.
4.3.1
Überliefertes Rezeptionsverhalten, Massenkommunikation in Krisenzeiten
Vietnam ist beispielsweise im Vergleich zu Deutschland eine jugendliche Gesellschaft. 32% der
Bevölkerung ist unter 15 Jahre287 und nahezu die Hälfte der vietnamesischen Bevölkerung ist unter
20 Jahre alt.288 Den Zusammenhang von Alter und Zeitungsnutzung haben Schönbach, Lauf und
Peiser in ihrer Analyse der Zeitungslektüre in Deutschland bestätigt. Sie stellten fest, dass deutsche
Zeitungsleser im Gegensatz zu Nicht-Lesern meist älter sind.289 Demnach wird die Zeitungslektüre
gefördert durch „ein höheres Lebensalter - wegen einer einschlägigen Mediensozialisation (insbesondere durch Eltern, die noch Zeitung gelesen haben), aber auch wegen der damit verbundenen
Lebenssituation (z.B. Zeit zum Lesen)“.290 Die Biographie spielt folglich eine wichtige Rolle für die
Ausprägung der Mediennutzung. Entscheidend sind demnach Gewohnheiten, die sich im Zuge eines Sozialisationsprozesses in einem bestimmten historisch-kulturellen Kontext herausgebildet haben. Dieser Kontext ist in Vietnam natürlich ein anderer als in Deutschland. Wirft man einen Blick
283
284
285
286
287
288
289
290
vgl. UN, 2002a, 206; Wulf, 1995, 521f.
Interview mit Franck Renaud, 19.01.04
vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 259
ebd.
vgl. UN, 2002a, 206
ebd. 212
vgl. Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 131, 141f.
ebd. 131
275
Mediennutzung in Vietnam
in die Vergangenheit des Landes, so ist anzuzweifeln, dass sich in der Eltern- und Großelterngeneration Zeitungslesetraditionen herausgebildet haben, denn die jüngere Vergangenheit Vietnams ist
hauptsächlich durch Fremdbestimmung und Kriegsperioden geprägt.
Doch Länder, die eine starke Presse
vorweisen können „are caracterised by
very stable political systems“.292 TeilKolonialzeit 1859-1954:
weise lassen sich der niedrige StellenVietnam befindet sich unter französischer Herrschaft.
wert von Printmedien und die ver1. Indochina Krieg (1946-1954):
gleichsweise bessere Positionierung der
Am 07.05.1954 besiegen die Viet Minh291 die französi- elektronischen Medien in Vietnam
schen Truppen bei Dien Bien Phu. Daraufhin wird demnach aus der konfliktreichen VerVietnam in zwei Zonen geteilt. Die Teilung ist eigent- gangenheit erklären. Während der
lich nur vorübergehend, bis zur Durchführung von Kriegsphasen waren Druck und Distrilandesweiten Wahlen gedacht. (Süden: Republic of bution von Zeitungen nur stark eingeVietnam; Norden: Democratic Republik of Vietnam). schränkt möglich. Allein deshalb war
Aber die Wahlen kommen nicht zustande.
man gezwungen sich eher auf elektronische Medien zu konzentrieren. Vor
2. Indochina Krieg (1964-1975):
Der Süden kämpft mit Intervention Amerikas gegen allem das Radio spielte eine wichtige
den Norden Vietnams. Sieg des Nordens und Wieder- Rolle. Die Kriegszeit verzögerte die
allgemeine Entwicklung des Landes.
vereinigung 1976.
Die Infrastruktur fiel größtenteils dem
Danach folgen Konflikte mit China und Kambodscha
Krieg zum Opfer. Hinzu kommt, dass
(erst 1989 zieht Vietnam alle Truppen aus Kambodweite Teile des Landes vermint worden
scha zurück).
waren und die künftige Erschließung
Vietnams dadurch noch erschwert wurde. Vor diesem Hintergrund hat sich das Medienangebot Vietnams entwickelt und konzentriert sich historisch bedingt auf die elektronischen Medien. Die Menschen in Vietnam waren nach dem Krieg daran gewöhnt vor allem ein elektronisches Medium (Radio) als Informationsquelle zu nutzen.293 Nach Ende des Krieges kam es
zu einer ideologischen Neuordnung des Landes. Davon waren natürlich auch die Medienstrukturen betroffen. Anders als beispielsweise in Japan, wo der Printmarkt sich über den
Zweiten Weltkrieg hinweggerettet hat und die japanischen Zeitungsleser ihren Vorkriegsblättern weiterhin die Treue hielten,294 hat sich in Vietnam die heutige Presselandschaft erst mit
dem Aufbau der Sozialistischen Republik Vietnam entwickelt. Zeitungslesetraditionen konnten sich in der kurzen Zeit seit Kriegsende (1975) wohl nur ansatzweise entwickeln.
111 v.Chr. bis 938 n.Chr:
Vietnam ist 1.000 Jahre lang chinesische Kolonie.
Blickt man noch weiter zurück in die Geschichte, respektive in die Mediengeschichte des Landes,
stößt man auf weitere Erklärungen für die eher schwache Position von Printmedien innerhalb der viet291
292
293
294
276
Viet Minh: Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi, Liga für ein unabhängiges Vietnam, 1941
Gustafsson/Weibull, 1997, 256
vgl. Interview mit Herrn Dang Ngoc Dinh, VUSTA, 19.01.2004
vgl. Hohenadl, 2004, 116f.
Mediennutzung in Vietnam
namesischen Gesellschaft. Die erste Zeitung auf Vietnamesisch (Gia Dinh Bao) erschien 1865 nach
französischem Vorbild.295 Doch die Attraktivität des neuen Mediums hielt sich für die meisten Vietnamesen in Grenzen, da die ersten Zeitungen inhaltlich hauptsächlich an ein französisches Publikum
gerichtet waren und per Zensur die Kolonialmachtsinteressen vertraten. Für das Leben der vietnamesischen Durchschnittsbevölkerung hatten solche Blätter kaum einen „Gebrauchswert“.296 Auch war die
Analphabetenrate damals deutlich höher als heute. Die Entstehungsgeschichte der vietnamesischen
Zeitungslandschaft deutet daraufhin, dass Zeitungen in Vietnam offensichtlich nicht aus einem eigenen gesellschaftlichen Bedürfnis heraus entstanden sind. diese wurden vielmehr erst relativ spät durch
eine fremde Macht in die Kultur hineingetragen. Eine denkbare Erklärung dafür, warum die Tradition
der Zeitungslektüre in der vietnamesischen Gesellschaft nicht verwurzelt ist.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass sich historisch betrachtet, Zeitungs-rezeptionstraditionen in der breiten Bevölkerung gar nicht erst etabliert haben. Von einer historisch bedingten,
tiefen Leser-Blatt-Bindung wie sie etwa in Japan besteht,297 kann hier nicht die Rede sein. Es scheint
vielmehr so, als sei die aktuelle junge Generation Vietnams die erste, die eine dynamische Presselandschaft vor sich hat und gleichzeitig in Lebenssituationen aufwächst, die Zeitungsnutzung fördern
(städtischer Wohnraum, höhere Bildung, Kaufkraft). Die Zeitungsnutzungsgewohnheiten dieser Generation bilden sich jedoch parallel und in Konkurrenz zu den elektronischen Medien heraus.
4.3.2
Unterhaltungsorientierung, Eskapismustendenzen und der Faktor Glaubwürdigkeit
In Vietnam findet sich eine Vielzahl von Hinweisen für die Beliebtheit der Nutzung von Medien zu
Unterhaltungszwecken. Trotz fehlender Statistiken und Zahlen deutet alles darauf hin, dass das
Fernsehen in Vietnam das meistgenutzte Medium ist. Das Fernsehen ist gleichzeitig wohl unbestritten das Medium mit dem größten Unterhaltungswert. „News may have an impact, but the bulk of
Vietnamese viewers turn on their TV stets every night for entertainment“, heißt es in der “Sida Performance Analysis”.298 Damit stellt Vietnam im internationalen Vergleich keineswegs eine Ausnahme dar. Auch in Deutschland wurde das Fernsehen seit seiner Einführung hauptsächlich als Unterhaltungsmedium genutzt.299 Andererseits zeigen Tagesverlauf-Grafiken aus dem TNS MHS, dass
die abendliche Prime-Time in etwa um 19.00 Uhr mit dem Beginn der VTV-Nachrichten einsetzt.300
Wie lässt sich die hohe Nutzung der VTV-Abendnachrichten erklären? Sind die Vietnamesen doch
informationsorientierter als es den Augenschein hat? Oder gibt es andere Gründe für dieses Verhalten? Ein Grund ist sicher, dass praktisch keine Ausweichmöglichkeiten existieren, denn die VTV-
295
296
297
298
299
300
Zwar entstanden die Zeitungen auch in Japan durch westliche Einflüsse, doch dort wurde der Grundstein für eine
loyale Lesersschaft schon in der Zeit zwischen 1868 und 1912 gelegt. Zum einen orientierten sich die Verlage konsequent am Konsumentengeschmack (eine Strategie, die in Vietnam bis heute nur ansatzweise verfolgt wird), und
zum anderen wurden auch weniger gebildete Bevölkerungsschichten mit der Zeitung vertraut gemacht, indem man
Teestuben und Zeitungslesesäle einrichtete, in denen Analphabeten die Artikel vorgelesen und erklärt wurden, vgl.
Hohenadl, 2004, 115
Knies, 1996, 67
vgl. Hohenadl, 2004, 113f.
Elmqvist/Fredricksson, 2003, 13
vgl. Meyen, 2001b, 137ff.
vgl. TNS MHS, 2003
277
Mediennutzung in Vietnam
Abendnachrichten werden von allen Programmen, egal ob nationaler301 oder regionaler Sender,
parallel gesendet.
Eine weitere Erklärung liefert der Vergleich mit der Rezeption der Tagesschau in Deutschland. Denn
die Beliebtheit der Tagesschau entpuppt sich bei näherer Betrachtung auch als ein Ritual mit dem der
Fernsehabend eingeläutet wird, als eine Art „Aperitif“ vor dem großen „Programm-Diner“.302 Die
Rezeption der Tagesschau ist demnach noch nicht gleichbedeutend mit einem starken Interesse an
politischer Information. Ähnliches scheint auch für Vietnam zu gelten. Das TNS MHS liefert einen
recht deutlichen Hinweis darauf, dass die starke Nutzung der VTV-Abendnachrichten nicht unbedingt
durch ein starkes Informationsbedürfnis bedingt ist. Im Ranking der beliebtesten Zeitungen kommen
nämlich nur zwei Printerzeugnisse vor, die nach Unesco-Definition generalistische Tageszeitungen
sind und in die Berechnung der Zeitungsdichte mit einfließen können. Auf dem 2. Platz der Leading
Publication-Charts ist Tuoi Tre, mit einer Leserschaft von 28,9%, angesiedelt und mit 13,7% auf dem
10. Platz steht Thanh Nien.
Tabelle 5: Leading Publications (over 8% Claimed Readership, base: % of total population)303
No.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
Publication
Cong An Tphcm Newspaper
Tuoi Tre Newspaper
An Ninh The Gioi Newspaper
Cong An Tphcm Magazine
Yellow Pages Directory
Tuoi Tre Cuoi Magazine
Dat Mui Cuoi Tuan Magazine
The Gioi Phu Nu (Tphcm) Mag.
Tiep Thi & Gia Dinh Weekly
Thanh Nien Newspaper
Tiep Thi & Gia Dinh Monthly
The Gioi Dien Anh Magazine
Phu Nu Ap Bac Magazine
Hoa Hoc Tro Magazine
Cam Nang Mua Sam Magazine
Nguyet San Cong An Nhan Dan
An Ninh Thu Do Newspaper
Thoi Trang Tre Magazine
Muc Tim Magazine
Truyen Hinh VTV Magazine
The Thao & Van Hoa Newspaper
The Thao Hang Ngay Newspaper
Kein Thuc Ngay Nay Magazine
Nguyet San Phap Luat Magazine
Tuoi Tre Chu Nhat
Claimed
readers %
35.1
28.9
26.1
19.2
18.5
17.4
15.5
14.8
14.2
13.7
12.8
12.6
12.4
10.8
10.2
10.1
9.6
9.3
9.3
9.2
9.1
9.1
8.5
8.4
8.2
Regular
readers %
21.1
20.3
14.7
10.0
18.5
9.0
7.5
6.8
5.7
8.8
9.0
9.0
8.5
6.0
6.6
6.7
4.7
3.2
5.0
5.1
4.8
5.9
4.2
5.4
3.6
Periodicity
2xWeekly
Daily
Weekly
Weekly
Annual
2xMonthly
3xMonthly
Weekly
Weekly
Daily
Monthly
Monthly
Monthly
Weekly
Monthly
Monthly
4xMonthly
3xMonthly
Weekly
Monthly
2xWeekly
4xWeekly
3xWeekly
Monthly
Weekly
Center of Interest
Society
General
Society
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Bei dem Rest der aufgeführten Periodika handelt es sich hauptsächlich um Zeitschriften. Auch bei der
Auswahl der Printmedien überwiegen Unterhaltungsinteressen. Die Magazinpresse hat es offensichtlich leichter, Gefallen beim Publikum zu finden. Platz 1, 3 und 4 der Printcharts werden besetzt von
Publikationen der staatlichen Sicherheitsorgane, die ihre Spalten mit den neuesten Kriminalfällen und
301
302
303
278
Eine Ausnahme stellt hier lediglich VTV2 dar, auf dem um diese Zeit meist Dokumentarfilme laufen.
vgl. Meyen, 2001b, 142
TNS MHS, 2003, 35
Mediennutzung in Vietnam
Verbrechen des Landes füllen. Beliebt sind außerdem Frauenmagazine und Sportzeitschriften. Ein
Grund für den Erfolg von Zeitschriften, besonders der Sensationspresse, (z.B. Cong An) liegt auch an
der Tatsache, dass das vietnamesische Fernsehen keine Boulevardmagazine sendet. Das hatte schon
die Bildzeitung in den 1960er Jahren als eines der Geheimnisse ihres Erfolges angesehen.304 Damals
existierte es nur öffentlich-rechtliches Fernsehen. Boulevard- bzw. Sensationsformate wie „Blitz“,
„Taff“ oder „Brisant“ flimmerten noch nicht über die Mattscheibe. In eine ähnliche Marktlücke stoßen
in Vietnam Zeitschriften wie Cong An und sind damit äußerst erfolgreich.
Eine differenziertere Betrachtung der TNS-Tagesverlaufsgrafiken verweist auf einen weiteren Aspekt, der der Unterhaltungsorientierung in Vietnam möglicherweise Vorschub leistet.
In Vietnam werden die Hauptnachrichten um 19.00 Uhr gesendet. Während jedoch praktisch überall
im Land der Fernsehabend mit diesem Nachrichtenprogramm eingeläutet wird, scheint es speziell in
Ho Chi Minh Stadt richtige Nachrichtenverweigerer zu geben. Aus den TNS-Erhebungen geht hervor,
dass dort der Aufwärtstrend der Nutzungskurve erst mit dem Ende der Hauptabendnachrichten einsetzt. Grund dafür ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Tatsache, dass es sich weniger um VTVNachrichten, als um KPV-Nachrichten handelt. Die Hauptstadtlastigkeit der Hauptnachrichtensendung
hat ihr auch den Spitznamen „Roter-Fluss-Delta-News“ 305 eingebracht. Scheinbar gibt es eine nach
Süden hin abnehmende Akzeptanz und Offenheit für die „Hofberichterstattung“ aus Hanoi.
Die Unterschiede sind vor allem historisch bedingt. Zum besseren Verständnis sollen hier die NordSüd-Differenzen in Vietnam knapp umrissen werden. Aufgrund der großen Entfernung über die
sich Vietnam von Norden nach Süden erstreckt (etwa 1.500 Kilometer Luftlinie) und infolge der
Geschichte des Landes haben sich entsprechend der zwei Flussdeltaregionen auch zwei Zentren
entwickelt. Im Delta des Roten Flusses im Norden befindet sich das politische Zentrum, die Hauptstadt Hanoi. Im südlichen Delta des Mekongs dagegen hat sich mit Ho Chi Minh Stadt ein Ballungsraum entwickelt, der als das wirtschaftliche Zentrum des Landes bezeichnet wird.306
In der Geschichte Vietnams kam es zwischen dem Nord- und dem Südteil immer wieder zu Spannungen und vorübergehenden Teilungen. Auf einen rund zweieinhalb Jahrhunderte währenden
Bürgerkrieg (1533-1788) und eine Teilung zwischen 1620 und 1802 folgte im 20. Jh. eine weitere
Trennung des Landes, die immerhin 21 Jahre dauerte (1954-1975).
In diesen Zeiten entwickelten sich die beiden Landesteile unterschiedlich, was zu Struktur- und Kulturverschiedenheiten führte, die sich bis in die Gegenwart auswirken. Während der Norden auch
heute noch als konservativer, starrer und schwerfälliger gilt, beweist der Süden immer wieder Neuerungsbereitschaft, Flexibilität, Geschäftstüchtigkeit und auch eine gewisse Leichtlebigkeit.307
304
305
306
307
vgl. Meyen, 2001b, 130f.
Die Hauptstadt Hanoi liegt im Norden des Landes am Roten Fluss, im Gegensatz zur Südmetropole Ho Chi Minh
Stadt am Mekong.
Diese zweipolige Form scheint die historische Entwicklung widerzuspiegeln, die auch durch die Bezeichnung „Indochina“ für Vietnam deutlich wird. So bildete sich die Kultur des Landes im Spannungsfeld zwischen zwei großen
Kulturen heraus, der chinesischen im Norden und der indisch geprägten im Süden.
vgl. Weggel, 1990, 52f.
279
Mediennutzung in Vietnam
Bis heute gibt es kulturelle, politische und weltanschauliche Differenzen zwischen dem nördlichen
und südlichen Teil. Die Südvietnamesen kämpften im Vietnamkrieg mit amerikanischer Unterstützung gegen ihre kommunistischen Landsleute aus dem Norden. Nach Beendigung des Krieges
wurde der Süden von den Siegern aus dem Norden in die neue Sozialistische Republik Vietnam
eingegliedert, deren kommunistische Ausprägung eine Auswanderungswelle auslöste und im Süden
vielfach noch heute auf Ablehnung und Argwohn stößt. Nicht nur im Süden stürzt die zentral gelenkte und kontrollierte Medienorganisation die offiziellen Medien in eine Glaubwürdigkeitskrise.
Bei weiten Teilen der Bevölkerung führt dies zu Politikverdrossenheit und zu einem Rückzug ins
Privatleben.308 Wer der Politik überdrüssig ist, verlang nicht nach politischen Informationen oder
versucht sogar sie zu vermeiden.
Die politische Informationslage Vietnams weist einige Parallelen zur ehemaligen DDR auf. In
„Hauptsache Unterhaltung“ 309 heißt es, die DDR-Bürger hätten ihr Land wegen der Masse an Propaganda-Plakaten, manchmal ironisch „Transparolien“ genannt. Sie sprachen aber auch von einer
merkwürdigen Epidemie, die den öffentlichen Raum in den 1950er Jahren befallen hatte und mit
dem Namen „Transparentitis“ bedacht wurde. Vietnam leidet noch heute an dieser „Krankheit“.
Doch die Vietnamesen scheinen, ähnlich wie damals die DDR-Bürger, bereits weitgehend resistent
dagegen geworden zu sein. Die zahllosen bunten Aufklärungs- und Propagandaplakate gehören
einfach zum Stadtbild, wie in Berlin oder Paris die Werbeplakate. Man hat sich mit der Situation
abgefunden, da sie nicht zu ändern ist, und resigniert.310 Politik wird in Gesprächen (zumindest mit
oder vor Fremden) nicht thematisiert.
Die Medienakteure üben Selbstzensur und werfen auf aktuelle Ereignisse meist einen Blick durch
die „rosarote Brille“. Ein vietnamesischer Journalist erklärt: „We are often told about things that we
cannot report...“ 311 Das Informationsprogramm besteht folglich vielfach aus abgestandenen Phrasen. In der „Sida Performance Analysis“ heißt es beispielsweise, dass vor allem die offiziellen Parteiblätter, wie etwa Nhan Dan, Hanoi Moi oder Vietnam News, bekannt wären für „their protocol
news and mouthpiece function of the Party“.312
Mangelnde Glaubwürdigkeit führt aber auch zu einem höheren Stellenwert von Gerüchten und das
wiederum bedeutet eine Aufwertung der direkten Kommunikation gegenüber der Medialen.
4.3.3
Kommunikationstraditionen
Wenig glaubwürdige Medien treffen in Vietnam gleichzeitig auf starke unmittelbare Kommunikationstraditionen. Aus dem Kosmos des vietnamesischen Dorfes heraus, das sich im Verständnis der
Bevölkerung noch immer als Grundeinheit der Republik erhalten hat, hat sich eine starke orale Tradition in der vietnamesischen Kultur etabliert. Das bedeutet aber auch, dass der vergleichsweise hohe
308
309
310
311
312
280
vgl. Sola Pool, 1973, 463-474
Meyen, 2001b, 230
Eine Reaktion der DDR-Bürger auf das auch dort wenig glaubwürdige Medienangebot sei, wie Meyen, 2003, 53ff.
beschreibt, „Gewöhnung“ und „Zynismus“ gewesen. Man arrangierte sich mit der unabänderlichen Situation und
riss manchmal auch Witze darüber.
Neumann, 2001, 210
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 24
Mediennutzung in Vietnam
Stellenwert von persönlicher, interpersonaler Kommunikation, von Gesprächen mit Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen vor allem in den ländlichen Gebieten durchaus als Konkurrenz für die
mediale Kommunikation und Information gesehen werden kann. Ein Blick in die Geschichte kann
hier zum Verständnis der andersartigen Funktionsweise von Kommunikation in Vietnam beitragen.
Das traditionelle Vietnam war nicht ein Staat im eigentlichen Sinne, sondern eher ein „Dörferstaat“
oder besser eine „Dörferföderation“: „Kaum etwas solider Gefügtes lässt sich vorstellen als ein
vietnamesisches Dorf, das sowohl von der äußeren Optik als auch von der inneren Organisation her
wie eine organische Zelle wirkt, aus der sich dann Stück für Stück der Gesamtwabenbau des Staates
zusammenfügt.“ 313 Ein vietnamesisches Sprichwort besagt: Die Macht des Königs endet am Dorftor. Diese Kernmaxime, nach der Dorftradition Königsrecht bricht, begründet die „sprichwörtliche
Autonomie des traditionellen [vietnamesischen] Dorfes“.314 Während der König oder Kaiser theoretisch eine alles beherrschende Position innehatte, waren die Dörfer dem Staat faktisch nur in drei
Belangen verpflichtet: „Ruhehaltung, Steuerzahlung und öffentliche Dienstleistung“.315 Im Übrigen
verwalteten sie sich selbst.316 Damit diese „Verzellung“ nicht zum Zerfall führte,317 war im traditionellen Vietnam eine ständige Kommunikation zwischen Staat und Dorf nötig. Als Schaltstelle, die
diese beiden Ebenen verband, diente der Ältestenrat des jeweiligen Dorfes.318 Spuren dieses Prinzips lassen sich auch im heutigen Vietnam noch erkennen, betrachtet man die Entwicklungen im
Zuge des Doi Moi-Prozesses. Dieser schaffte wirtschaftliche Freiräume besonders auf regionaler
bzw. lokaler Ebene, wobei politisch weiterhin zentralistisch auf Einheit und Gefolgschaft gepocht
wird. „Die soziale Einheit des Dorfes zeigte sich schließlich auch darin, dass bei Verstößen gegen
staatliches Recht die Dorfgemeinschaft in toto verantwortlich gemacht und schlimmstenfalls sogar
mit ihrer gesamten Einwohnerschaft hingerichtet werden konnte.“ 319 Dies ist ein Hinweis darauf,
dass entlang der hierarchischen Ordnung des Dorfes auch die Regierungsbelange kommuniziert
werden mussten, damit deren Beachtung gewährleistet war, von der schließlich das Schicksal der
ganzen Dorfbevölkerung abhängen konnte. Die Besonderheit dieser Geschlossenheit und Organisiertheit auf Dorfebene wird deutlich, wenn man die Nachbarländer Vietnams – Laos und Kambodscha – betrachtet. Weggel schreibt hierzu, dass es das kambodschanische oder laotische Dorf, „als
soziale Einheit eigentlich gar nicht gibt“ und das es „nirgends in diesen...„Ansiedlungen“ Organisationskerne, die sich mit denen eines vietnamesischen Dorfes auch nur von ferne messen könnten“,320 gäbe. Man fände dort weder einen Ältestenrat noch das in vietnamesischen Dörfern übliche
313
314
315
316
317
318
319
320
alle Weggel, 1990, 30
ebd.
ebd.
„Wenn Vietnam trotz einer tausendjährigen chinesischen Oberherrschaft nie seine Identität verloren hat, so hängt
dies mit seiner Überlebensfähigkeit auf Dorfebene zusammen. Ein Sprichwort sagt: „Mandarine kommen und gehen, das Volk aber bleibt“[...].“, Weggel, 1990, 38
ebd. 40
„Der Ältestenrat war das für die dörfliche „Innen- und Außenpolitik“ verantwortliche Gremium, das sich aus den
lokalen Honorationen zusammensetzte und in das man nicht über Wahlen, sondern aufgrund von Bildung, Wohlhabenheit und Seniorität einrückte.“, Weggel, 1990, 31
Weggel, 1990, 32
ebd. 33f.
281
Mediennutzung in Vietnam
zentrale Gemeindehaus „Dinh“.321 Natürlich hat sich heute vieles in Vietnam verändert, aber
grundlegende Kommunikationsstrukturen mit einem Schwerpunkt auf interpersonaler Kommunikation und starker Gruppenorientierung haben sich vor allem auf dem Land bis zum aktuellen Zeitpunkt erhalten.322
4.3.3.1 Marktplatz versus Lokalblatt
In ihrer explorativen Untersuchung zur Zeitungsnutzung stellten Schönbach, Lauf und Peiser fest,
dass das Lesen regionaler Abonnementzeitungen im Deutschland der 1990er Jahre in Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach sozialer Integration steht. So sei es für die Lektüre solcher Zeitungen
zuträglich, „in einer kleinen Gemeinde zu leben – die mehr soziale Kontrolle ausübe und zu lokaler
Informiertheit zwinge“.323
Nun ist anzumerken, dass das Leben selbst in einer kleinen deutschen Gemeinde in den 1990er Jahren
des 20. Jh. sehr viel stärker von städtischer Lebensart geprägt war, als dies in einem vietnamesischen
Dorf oder einer Kleinstadt der Fall ist. Außerhalb der wenigen großen Städte Vietnams überwiegt eine
traditionelle, bäuerliche Lebensweise, die auch die Kommunikation und soziale Interaktion der Menschen bestimmt. Enge soziale Kontakte, weitreichende Familienbande und starke Gruppenorientierung lassen unmittelbare und interpersonelle Kommunikation eine viel größere Rolle spielen als in den
Städten. Ähnliches gilt auch für die südlichen Regionen Europas, wie Gustafsson und Weibull bereits
in ihrer europäischen Untersuchung der Zeitungsnutzung feststellten konnten: „The strength of the
local press seems to be explained by the fact that it represents a core communication medium. This is
the case in Northern Europe, whereas in the South other social and cultural networks, e.g. the family,
the local market, and the peer group might fulfil this function.“ 324
Was hier über Südeuropa gesagt wird, trifft mindestens ebenso stark auf Vietnam im Allgemeinen
und seine ländlichen Gebiete im Besonderen zu. Sowohl auf dem Dorf als auch in der Stadt ist der
Markt noch ein zentraler Ort des gesellschaftlichen Lebens. Aus dem TNS MHS geht hervor, dass
nur 0,1% der Befragten angaben, täglich in einen Supermarkt zu gehen (25,6% gaben sogar an, sie
würden „nie“ gehen). Gleichzeitig sagten 41,7%, sie würden täglich auf den Markt gehen.325
Die Unicef-Studie „Mass Media and Informal Networks in a Northern Delta Region“ hat gezeigt,
dass sogenannte „Informal Information Networks“ 326 einen hohen Stellenwert im Kommunikati-
321
322
323
324
325
326
282
„Der niedrige Integrationsgrad des kambodschanischen oder laotischen Dorfs hängt letztlich mit der auf theravadabuddhistische Einflüsse zurückgehenden „individualistischen“ Kultur der Kambodschaner und Laoten zusammen.“ Weggel, 1990, 34f. Darin wurzelt die Vorstellung, dass jeder eine individuelle Verantwortung für sein eigenes
Schicksal trägt. vgl. ebd. 43
„Mit welcher Vitalität sich die Dorftradition in Vietnam selbst über die französische Kolonialzeit noch hat hinwegretten können, beweist allein schon die Tatsache, daß Ho Chi Minh und seine Bewegung marxistische Ziele zum Teil
an traditionellen Institutionen hat festmachen können.“ Weggel, 1990, 33; Für „die Errichtung dörflicher Kollektive“ konnten die vietnamesischen Kommunisten demnach auf „traditionelle Ansatzpunkte im Dorf zurückgreifen“,
Weggel, 1990, 35
Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132
Gustafsson/Weibull, 1997, 258
TNS MHS, 2003
Uhrig, 1993, 8
Mediennutzung in Vietnam
onsprozess haben. Informationsquellen seien neben den Medien vor allem Familienmitglieder, Lehrer und in den Städten auch Kollegen.327
Regionale und lokale Berichterstattung sind die klassische Domäne von Printmedien. Als ein wichtiger Grund, eine Zeitung zu beziehen, wird immer wieder die Berücksichtigung von lokalen Themen
genannt.328 Doch in der vertrauten Umgebung des vietnamesischen Dorfes spielt die Zeitung keine so
wichtige Rolle, denn dort gibt es noch andere Kommunikationskanäle. Neben Versammlungen und
Informationsveranstaltungen auf kommunaler Ebene werden auch Flugblätter eingesetzt. Als Kommunikationskanäle dienen hier Schulen, aber auch das bis in alle Kommunen reichende Netzwerk an
politischen Organisationen und Verbänden.329 „In a modern society written media are more important than in a traditional one“, haben auch Gustafsson und Weibull festgestellt.330
Somit lässt sich der erhebliche Unterschied zwischen der Zeitungsdichte in Stadt und Land nicht nur
durch die bessere städtische Infrastruktur erklären, sondern auch durch die Tatsache, dass das Bedürfnis, sich mit Hilfe eines Massenmediums einen Kommunikationsraum zu erschließen, auf dem
Land weit weniger stark ist. Forschungen zum Uses-and-Gratifications-Approach haben bestätigt,
dass Medien genutzt werden, um bestimmte Bedürfnisse von Menschen zu bedienen. Auf dem Dorf
ist das Bedürfnis nach einer Zeitung als Ersatz für interpersonale Kommunikation nicht so stark
ausgeprägt. Sicher heißt das nicht, dass man sich auf dem Lande überhaupt nicht für das interessiert,
was außerhalb des eigenen Blickfelds geschieht, doch hat sich vielfach in Untersuchungen gezeigt,
dass im Zeitalter der audiovisuellen Medien, die Zeitung vor allem wegen ihres Lokal- bzw. Regionalteils gelesen wird. Überblicks- oder auch sogenanntes Kontrollwissen über die „große weite
Welt“ wird dagegen eher aus dem Fernsehen bezogen und lokale Ereignisse erlebt man auf dem
Land noch direkt oder erfährt sie aus persönlichen Erzählungen, mit deren Aktualität und Lebendigkeit die Zeitung nur schwer konkurrieren kann.
4.3.3.2 Gruppenorientierung
Die materielle Beschaffenheit der verschiedenen Medien führen nicht nur zu unterschiedlichen
Wahrnehmungsweisen (akustisch, optisch oder beides), sondern führt auch zu unterschiedlichen
sozialen Rezeptionssituationen. So liest man die Zeitung in der Regel allein, ferngesehen wird jedoch eher in der Gruppe.331 Vor allem in Vietnam ist dies noch stärker zutreffend als in Deutschland, da nur die wenigsten Haushalte mehrere Fernsehgeräte besitzen. Vor allem auf dem Lande
kommt es vor, dass die Nachbarn vorbeikommen um mitzuschauen. Diese gemeinschaftliche Rezeptionsform, die das Fernsehen neben dem Radio am besten ermöglicht, scheint der vietnamesischen Mentalität sehr zu entsprechen, sich im Kreise der Familie hinter einer Zeitung zu verschanzen, dagegen weniger. Legt man in Deutschland viel Wert auf Individualismus und Privatsphäre, ist
in Vietnam eine viel stärkere Gruppenorientierung kulturell verwurzelt. Rückzug vor und Abgren327
328
329
330
331
ebd. 2, 8f.
vgl. Schönbach/Peiser, 1998, 103
Interview mit Mai Quynh Nam, 30.01.04
Gustafsson/Weibull, 1997, 267
vgl. Maletzke, 1963, 178f.
283
Mediennutzung in Vietnam
zung von den eigenen Familienmitgliedern stellt in der vietnamesischen Kultur kein dringendes
Bedürfnis dar und stößt sogar auf Unverständnis.
Der Verfasser der Studie über die Mediennutzung in Ho Chi Minh Stadt332 bestätigt die vorzugsweise kollektive Mediennutzung der Vietnamesen: „Il est vrai qu’une des charactéristiques de
l’habitude d’usage des mass media au Vietnam est de caractère collectif, comme on a vu à travers
les résultats d’enquête. Non seulement dans l’utilisation de la télé et de la radio, mais même dans
l’usage de la presse : beaucoup emprunte des journeaux chez des amis, collègues... d’autres lisent
des journeaux à la bibliothèque, au bureau [...]. Selon quelques enquêtes que j’ai réalisées auparavant, un exemplaire de journal une fois acheté est ensuite lu par 4-5 personnes en moyenne.“ 333
Die vietnamesische Kultur war durch Kolonialisierung über Jahrhunderte starken chinesischen Einflüssen ausgesetzt und ist geprägt von der konfuzianischen Lehre,334 die auf der sittlichen Ordnung
des Kosmos beruht. Dieser Sitten- und Staatslehre zufolge, besteht die Aufgabe des Menschen darin, Tugend und Wissen zu erwerben und bewusst das Richtige zu tun. Die zentralen Werte, die sogenannten fünf Tugenden des Konfuzianismus (Loyalität, Rechtschaffenheit, Weisheit, Sittlichkeit,
Aufrichtigkeit) spiegeln sich in fünf Beziehungen wider, die als Basis der Gemeinschaft dienen:335
(a) Die Güte des Herrschers – die Loyalität der Untertanen, (b) Die Liebe des Vaters – die Pietät des
Sohnes, (c) Das Wohlwollen des Älteren – die Ehrfurcht des Jüngeren, (d) Die Gerechtigkeit des
Mannes – der Gehorsam der Frau und (e) Die Treue des Freundes – die Treue des Freundes.
Die zwischenmenschlichen Beziehungen in Vietnam werden bis heute von diesen Regeln bestimmt,
was traditionelle Familienstrukturen untermauert und der Ausprägung einer individualistischen Gesellschaft entgegenwirkt. Die starke Gruppenorientierung spiegelt sich sogar in der vietnamesischen
Sprache wider. Denn selbst beim Sprechen setzt man sich immer der Hierarchie entsprechend in Beziehung mit dem oder den Gesprächspartner(n). Das „ich“ existiert somit nur im Verhältnis zum „Anderen“ und variiert je nach der eigenen und der Position des Gegenübers innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie. So verwendet man nicht einfach die Worte „ich“ und „du“, sondern man ordnet sich
selbst und dem Gesprächspartner schon durch die Anrede eine bestimmte Stellung innerhalb der
Gruppe zu, die hauptsächlich durch das Alter der Person definiert wird. So spricht man ältere Personen
in der Regel mit chi (ältere Schwester) oder anh (älterer Bruder) an, während man sich selbst dann als
em (jüngere Schwester/jüngerer Bruder) bezeichnet. Im Gespräch mit seinen Eltern verwendet man
dagegen das Wort con (Kind), ältere Respektpersonen nennt man ong (Herr) und ba oder co (Frau).
Innerhalb der eigenen Familie existieren noch weitere differenzierte Personalpronomen.
Wie im traditionellen vietnamesischen Dorf, in dem alles „auf gegenseitige Verpflichtung und auf
332
333
334
335
284
Tran Huu Quang, 2001
Auszug aus der französischen Zusammenfassung der Studie von Tran Huu Quang über die Mediengewohnheiten in
Ho Chi Minh Stadt. Im Original ist diese Studie auf Vietnamesisch verfasst. Übersetzungsvorschlag: „Es stimmt,
dass die Mediengewohnheiten in Vietnam kollektiv geprägt sind. Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie. Doch
nicht nur das Fernsehen und das Radio werden kollektiv genutzt, sondern sogar die Presse: viele leihen sich Zeitungen von Freunden oder Kollegen... andere lesen in der Bibliothek oder im Büro [...]. Neueren meiner Studien zufolge, wird ein Zeitungsexemplar im Durchschnitt von durchschnittlich 4-5 Personen gelesen.“
Konfuzius - chin. Kong Fuzi; vietnamesisch Khong Tu - 551-479 v. Chr.
vgl. Wulf´, 1995, 112ff.
Mediennutzung in Vietnam
Hierarchieprinzipien ausgerichtet“ war, ist auch der moderne Vietnamese „Gruppenmensch“ geblieben.336 Diese gesellschaftliche Konstante fördert womöglich die Beliebtheit von Medien, die in
Gemeinschaft rezipiert werden können.337
4.3.4
Konsumverhalten und Statussymbol Fernsehgerät
Ein weiterer gesellschaftskultureller Faktor, der auf die Mediennutzung einen Einfluss zu haben
scheint und in gewisser Weise auch mit der starken Gruppenorientierung in Zusammenhang steht,
ist die hierarchische Positionierung anhand von Statussymbolen. Der geringe durchschnittliche Verdienst und Lebensstandard in Vietnam, lässt es zunächst verwunderlich erscheinen, dass sich so
viele Haushalte dennoch ein Fernsehgerät leisten. Es ist also anzunehmen, dass es einem starken
Bedürfnis der Menschen entspricht, sich mit dieser neuen Technik auszustatten. Ähnliches konnte
auch in Deutschland beobachtet werden. Im Zuge einer Untersuchung aus dem Jahre 1942 fand
Friedrich Schindler heraus, dass sich viele Beitrager den Luxus eines Radiogerätes leisteten, da dies
Sozialprestige bedeutete:338 „Viele der Beitrager hatten ein teures Gerät, und Schindler verglich
das Möbelstück mit dem Klavier im bürgerlichen Wohnzimmer. Der Blick zum Nachbarn gehöre
heute dazu.“ 339 Unzweifelhaft spielt der Faktor „Sozialprestige“ auch im heutigen Vietnam eine
Rolle, wenn es um die Anschaffung eines Fernsehgerätes geht. Aus dem TNS MHS geht hervor,
dass der Fernseher für vietnamesische Haushalte eine der wichtigsten Anschaffungen darstellt.340
Abbildung 1: Konsumartikel Fernsehgerät (Household Durable Ownership in %) 341
Which of the following items does your household possess?
Motorcycle (all types)
107,8
Television (Colour and B&W)
95,6
Rice cooker
89,6
Auch die Platzierung des Fernsehers im vietnamesischen Haushalt deutet auf die besondere Bedeutung dieses Gerätes für seine Besitzer hin. Der Wohnbereich des vietnamesischen Hauses befindet
sich in der Regel im Erdgeschoss und wird nicht vor den Blicken der Passanten abgeschirmt. Die fassadenbreiten Flügel- oder Schiebetüren stehen fast immer offen, es sei denn die Bewohner sind außer
Haus oder schlafen. In diesem Wohnraum hat auch der Fernseher seinen Platz und dies meist direkt
gegenüber der Tür auf einer mehr oder weniger schmuckvollen Anrichte, die Assoziationen eines
Altars hervorruft. In einem ärmeren Haushalt kann die Wohnzimmereinrichtung nur aus ganz einfachen Holzmöbeln bestehen. Umgeben von einem kleinen Tisch, mehreren Schemeln und einer mit
Bastmatten belegten Pritsche auf Lehmboden, sticht das Fernsehgerät dann besonders ins Auge.342
336
337
338
339
340
341
342
Weggel, 1990, 42
vgl. Tran Huu Quang, 2001, 186f.
vgl. Schindler, 1942, 138ff., zitiert in Meyen, 2001b
Meyen, 2001b, 112
Auch für die Deutschen in den 1950er Jahren stand das Fernsehgerät ganz weit oben auf der Anschaffungsliste, oft
sogar vor Möbeln und anderen Haushaltsgegenständen, vgl. Wildt, 1994, 52
vgl TNS MHS, 2003, 131
Gesehen in einem Dorf etwa 200 Kilometer von Hanoi am 31.01.2004. Dieser Haushalt war durchaus typisch für das
ländliche Vietnam. Trotz der einfachen Lebensverhältnisse besaß die Familie ein modernes Fernsehgerät, auf dem,
für die Dauer des Besuches, VTV3 lief, der Sender, der in Vietnam auf Unterhaltungsprogramme spezialisiert ist.
285
Mediennutzung in Vietnam
Aus dem TNS MHS geht außerdem hervor, dass man in Vietnam auch marken- und qualitätsbewusst
konsumiert. 75,3%343 der Befragten stimmten dem Satz „I am willing to pay more for higher quality
brands“ zu. 344 Gleichzeitig gaben immerhin 75,6%345 der Befragten an: „I like to use brands which
show my success“.346 Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Sozialprestige in der vietnamesischen
Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Die Befragungen für das TNS MHS ergaben außerdem, dass
die Vietnamesen sehr technikbegeistert sind. Immerhin 66% stimmten der Aussage „I am comfortable
and excited by new technology“ zu.347 Zur Zeit des Wirtschaftswunders war in Deutschland Ähnliches zu beobachten. Die technischen Neuerungen der Zeit entsprachen damals dem neuen Lebensgefühl. „Wer wollte abseits stehen, wenn die Nachbarn Waschmaschine, Kühlschrank und Fernsehapparat kauften, wer wollte nicht zeigen, dass er es auch zu etwas gebracht hatte?“ 348
Der wiederholte Vergleich der aktuellen Situation Vietnams mit der deutschen Nachkriegszeit ist
durchaus begründet. Schließlich liegt das Ende des Krieges in Vietnam erst knapp 30 Jahre zurück
und auch Vietnam hat mit dem 1986 beschlossenen Doi Moi-Prozess sein „kleines Wirtschaftswunder“ erlebt. Erst ab diesem Zeitpunkt hat sich die äußerst schlechte wirtschaftliche Situation der
Menschen, in dem durch Krieg und Misswirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogenem Land verbessert.349 Somit stellt das Fernsehen für die breite Bevölkerung heute noch eine Neuheit dar, was
der Adaptionshypothese350 zufolge mit besonders intensiver Nutzung einhergeht. Insgesamt geht
Peiser davon aus, dass das Radio vom Verdrängungseffekt durch die Einführung des Fernsehens
stärker betroffen ist als die Zeitung, was sich durch den größeren funktionalen Unterschied zwischen Fernsehen und Zeitung erklären lässt.351 Doch in Vietnam hat, wie bereits gezeigt wurde, die
Zeitung auch vor der Einführung des Fernsehens keine starke Verbreitung gefunden und kann deshalb nicht auf hohe Leserkapazitäten aus der „prätelevisuellen“ Ära zurückgreifen. Das Radio dagegen musste auch in Vietnam schwere Einbußen durch die Einführung des Fernsehens hinnehmen. In
Deutschland beanstandete das Institut für Demoskopie Ende der 1950er Jahre, dass das Radioprogramm „nicht ganz“ 352 den Bedürfnissen der Hörer entspräche. Dies scheint heute auch für Vietnam
zu gelten. Doch das Radio fängt nun an, sich ein wenig mehr am Publikum zu orientieren. Dies geht
aus der „Sida Performance Analysis“ hervor,353 die eine Modernisierung und Attraktivitätssteigerung vor allem der vietnamesischen Lokalsender im Visier hat.
343
344
345
346
347
348
349
350
351
352
353
286
Strongly agree: 61,5%; Slightly agree: 23,8%
TNS MHS, 2003, 140
Strongly agree: 49,7%; Slightly agree: 25,9%
TNS MHS, 2003, 139
ebd. 142
Meyen, 2001b, 151
Der Doi Moi-Prozess wurde im Jahre 1986 auf der 6. Parteikonferenz der KPV schließlich nicht deshalb eingeführt,
weil die politische Führung plötzlich ihre Liebe zu Kapitalismus und Marktwirtschaft entdeckt hatte, sondern letzlich, weil man große Schwierigkeiten hatte, den Unterhalt der Bevölkerung zu sichern.
vgl. Peiser 1998
vgl. Peiser, 1998, 184f.
zitiert in Meyen, 2001b, 120
vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 15ff.
Mediennutzung in Vietnam
5
Fazit und Ausblick
Wie überall auf der Welt trägt das Fernsehen auch in Vietnam den „Sieg in Sachen Unterhaltung“
davon:354 „Television is an entertaining tool. This is absolutely true with VTV3 Channel where
viewers have chances to enjoy well-watched sports, music, fashion, movies, TV shows and
games...VTV3 is now...an indispensable part in the cultural and entertaining life of the Vietnamese
people.“ 355 Das Fernsehen stellt ein billiges Freizeitvergnügen dar, zumal es in Vietnam, vom Preis
für das Gerät abgesehen, kostenlos in Anspruch genommen werden kann und gerade auf dem Lande
wenig Konkurrenz durch andere Zerstreuungsmöglichkeiten erfährt. Darüber hinaus entspricht die
Möglichkeit der kollektiven Nutzung des Fernsehens dem gruppenorientierten Wesen der Vietnamesen mehr als die weitgehend individuelle Rezeptionsform der Zeitung.
Die niedrige Zeitungsdichte in Vietnam ergibt sich vor allem aus der Strukturschwäche des Landes,
die den Zeitungsvertrieb stark einschränkt. Dieses Defizit trifft in Vietnam auf eine hohe Bereitschaft der Bevölkerung, sich trotz eines durchschnittlich sehr niedrigen Lebensstandards mit Fernsehgeräten auszustatten. Der Fernseher stellt ein wichtiges Statussymbol dar, das von der Teilhabe
seiner Besitzer am wirtschaftlichen Aufschwung, der seit dem Beginn des Doi Moi-Prozesses
(1986) in Vietnam Einzug hält, zeugt. Trotz der in internationalen Statistiken verzeichneten geringen Zeitungsdichte gibt es in Vietnam eine lebendige Presselandschaft mit derzeit etwa 642 erscheinenden Titeln, deren Überleben am „Zeitungsmarkt“ bisher jedoch oft nur durch die starke staatliche Lenkung und Subventionierung gewährleistet ist. Insgesamt lässt sich aber eine Zunahme der
tatsächlichen Zeitungsverbreitung über die letzten Jahre feststellen. Diese ist nicht nur in direktem
Zusammenhang mit der Strukturverbesserung des Landes und seiner langsam fortschreitenden Urbanisierung zu sehen, sondern auch mit einer zunehmenden inhaltlichen Leserorientierung, die aufgrund von scharfen Kürzungen der staatlichen Mediensubventionen nötig wurde.
Die Recherchen vor Ort führten zu einer Neuberechnung der Zeitungsdichte Vietnams, die auf der
Basis von Zahlen des Ministry of Culture and Information (MoCI) aus dem Jahr 2000 erfolgte. Der
Berechnung zufolge hat sich die Zeitungsdichte über die letzten zehn Jahre auf einen Wert von
knapp 16 Exemplaren/1.000 Einwohner vervierfacht. Diese Entwicklung erfolgte parallel zu den
Modernisierungs- und Urbanisierungstendenzen des Landes, das seit Mitte der 1980er Jahre einen
Kurs der wirtschaftlichen Öffnung (Doi Moi) forciert und damit einen Anstieg des Lebensstandards
und des Bildungsniveaus erlebt. Für eine starke Korrelation zwischen Urbanisierung bzw. Modernisierung und Zeitungslektüre spricht auch die enorme Diskrepanz, betrachtet man die Zeitungsdichte
in städtischen und ländlichen Gebieten getrennt voneinander. Ausgehend von der Tatsache, dass
etwa 93% der Zeitungen in den Städten Vietnams zirkulieren, ergibt sich für urbane Gebiete (in
denen ca 25% der 80 Mio. Vietnamesen leben) eine Zeitungsdichte von knapp 60 Exemplaren/1.000 Einwohner. In ruralen Regionen ist die Zeitungsdichte mit 1,5 Exemplaren verschwindend gering. Der stark determinierende Charakter des Faktors Urbanisierung für die Mediennutzung
konnte somit in dieser explorativen Untersuchung bestätigt werden.
354
355
Noelle-Neumann, 1986, 34
VTV-Broschüre, 12
287
Mediennutzung in Vietnam
Letztlich ist aber auch die aktualisierte landesweite Zeitungsdichte von rund 16 Exemplaren/1.000
Einwohner relativ niedrig. Die Zeitungsdichte spiegelt laut Definition die Verbreitung der generalistischen Tagespresse eines Landes als Quelle politischer Informationen wider. In Vietnam sind es jedoch
hauptsächlich Zeitschriften und Magazine, die vom Modernisierungsprozess und der Verbesserung
der wirtschaftlichen Situation profitieren. In diesem Bereich des Printmarktes könnte man nahezu von
einer Explosion der Titel sprechen. Mittlerweile sollen dem MoCI zufolge immerhin 333 Zeitschriften
und Magazine existieren. Vor dem Hintergrund der zunehmenden finanziellen Selbstverantwortlichkeit im Mediensektor, bedingt durch eine drastische Kürzung der Staatssubventionen, muss diesem
Angebot auch eine entsprechende Nachfrage der Bevölkerung gegenüberstehen. Vor allem Sensations- oder Boulevardblätter, wie die von der Polizei von Chi Minh Stadt herausgegebene Cong An,
erfreuen sich besonderer Beliebtheit, aber auch Frauenzeitschriften finden ihre Leserinnen. So scheint,
neben dem Fernsehen auch die Zeitungslektüre hauptsächlich von Unterhaltungsinteressen gesteuert
zu sein. Das vietnamesische Fernsehprogramm bietet keine Boulevardformate, die über Verbrechen
und Unglücksfälle berichten würden. Zeitungen wie Cong An werden womöglich deshalb so stark
genutzt, weil sie eine thematische „Marktlücke“ schließen, die das Fernsehen offen lässt.
Da Informationsmonopole aufgrund von Glaubwürdigkeitsdefiziten zu Politikverdrossenheit führen
können, wird in Vietnam die Verbreitung von Tageszeitungen als Quelle politischer Informationen
womöglich durch die starke staatliche Medienlenkung und inhaltliche Einflussnahme limitiert.
Gleichzeitig bekommt die Zeitung in ihrer Funktion als Quelle für Lokalinformationen in Vietnam
scharfe Konkurrenz durch eine in Kultur und Gesellschaft tief verwurzelte mündliche Kommunikationstradition. Zwar ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Verstädterung auch in Vietnam der
Stellenwert von medialer Kommunikation zunehmen wird, doch womöglich bilden sich gerade auf
dem Land derzeit Rezeptionsmuster und Gewohnheiten heraus, die dem Medium Fernsehen auch in
Zukunft seinen konkurrenzlosen Stellenwert sichern werden. Aus dem Kapitel über soziokulturelle
Faktoren gingen außerdem historische Gründe hervor, die der Nutzung von elektronischen Medien
Vorschub leisteten und somit zu Rezeptionsmustern geführt haben, in denen elektronische Medien die
zentrale Rolle spielen. Trotz dieses Vorsprungs scheint das Radio derzeit der Verlierer im Wettstreit
der Medien zu sein. Der Hörfunk Voice of Vietnam (VoV) leidet stark unter der Konkurrenz des Fernsehens und hat nur mehr in ländlichen Regionen einen gewissen Stellenwert. Das aktuelle Radioangebot ist für einen Großteil der vietnamesischen Rezipienten nicht attraktiv genug: „There is a common
feeling at VoV that the radio needs to be renewed and come closer to their listeners, and surveys are
being made in order to assess the interests for new programs. Radio programs like the “Window of
Love“, where young people can phone-in and ask questions about love and relations, are seen as a
good format for new programs, as well as traffic information, more drama and educational programs
such as “economic on air“ with programs for small entrepreneurs combined with local courses. Less
popular programs like the weekly summary of domestic news have no future in the up grading of VoV
and there will be more live broadcasting.“ 356
356
288
Elmqvist/Fredriksson, 2003, 17
Mediennutzung in Vietnam
Womöglich könnten aber gerade von diesem, heute als besonders statisch und unattraktiv empfundenen Medienangebot, in Zukunft die fortschrittlichsten Impulse für Publikumsorientierung und
Nutzungsforschung ausgehen. Der Hörfunk in Vietnam ist bemüht, den Rückstand in der Beliebtheit beim Publikum aufzuholen. Dies soll vor allem durch eine gezielte interne Erneuerung geschehen: „University graduates are continually recruited directly from the university, as they can use
computers, know foreign languages and are willing to try new ideas...New youth editorial offices
will be established in conjunction with universities and school.“ 357
Trotz der schwachen Position des Radios in der Nutzergunst lässt sich die Vermutung, das Internet
wäre in den Städten schon wichtiger als das Radio, aufgrund der noch relativ kleinen Internetnutzergemeinde nur schwer untermauern. Doch mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich diese Einschätzung in naher Zukunft bewahrheiten, falls das Radio es nicht schaffen sollte, künftig auch für das
urbane Publikum ein interessantes und zielgruppenorientierteres Programm anzubieten. Dennoch
lässt sich sagen, dass bei den Rezipienten, die das Internet regelmäßig nutzen (vor allem junge Städter), dieses neue Medium bereits einen höheren Stellenwert einnimmt als der Hörfunk. „The radio
faces tough competition from TV and Internet“, heißt es auch in der „Sida Performance Analysis“.358 Das Internet hat für die Nutzer, die Zugang dazu haben, seit seiner öffentlichen Einführung
im Jahr 1997 rasch an Bedeutung gewonnen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Internet dient nicht
nur als Quelle für unabhängigere Informationen, sondern es stellt gleichzeitig ein preiswertes
Kommunikationsmittel als Alternative zum Telefon dar. Ferner bieten Internetcafes ein relativ billiges Freizeitvergnügen und einen Rückzugsraum hauptsächlich für Jugendliche.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die anfänglich präsentierte Skizze der Mediennutzung in
Vietnam weitgehend bestätigt werden konnte. Aufgrund der in Stadt und Provinz stark unterschiedlichen Strukturgegebenheiten und Lebensstile ist kein einheitliches Bild zu zeichnen. Während das
Fernsehen sowohl im urbanen als auch im ruralen Vietnam das am stärksten genutzte Medium darstellt, folgen in der Stadt zunächst die Printmedien, gefolgt vom Internet, während das Radio dort
eine verschwindende Rolle spielt. Auf dem Lande aber steht immer noch das Radio an zweiter stelle
im Wettbewerb der Medien untereinander, während Zeitungen und das Internet bei der Mediennutzung aktuell noch kaum ins Gewicht fallen.
Die sehr niedrige Zeitungsdichte von 4 Exemplaren/1.000 Einwohner, die den Ausgangspunkt dieser Beitrag darstellte, ist heute jedoch bereits viermal so hoch einzuschätzen. Vor allem in den urbanen Zonen nähert sie sich mit etwa 60 Exemplaren/1.000 Einwohner einem südeuropäischen Level
(Griechenland: 78 Exemplare/1.000 Einwohner).359 Auf dem Land dagegen ist die Zeitungsdichte
weiterhin extrem gering. Dies erklärt sich, wie gezeigt wurde, hauptsächlich durch strukturelle Probleme und kulturelle Merkmale der vietnamesischen Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Zeitungsverbreitung in Vietnam mit fortschreitender Urbanisierung in den nächsten Jahren noch steigen wird.
357
358
359
ebd.
ebd.
vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 225
289
Mediennutzung in Vietnam
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Schriftenreihe der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft
Band 1
Charlotte Veit: Randnotizen aus Kambodscha. Die Auslandsberichterstattung
in der Bundesrepublik Deutschland über die Ereignisse nach dem Sturz des
Pol-Pot-Regimes 1979. Eine Untersuchung der Berichterstattung in Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und Stern.
98 Seiten. ISBN 978-3-9811860-0-0. EUR 15,00
Band 2
Martin Ritter (Hrsg.): Medien und Transformation in Südostasien. Fallstudien
zu Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam.
292 Seiten. ISBN 978-3-9811860-1-7. EUR 30,00
Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft
Schriftenreihe der
Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft e.V.
Band 2 – Medien und Transformation in Südostasien
Das europäische Klischee Südostasiens ist geprägt von
einerseits den Eindrücken aus exotischen Urlaubsparadiesen,
von den Bildern des zerstörerischen Tsunami sowie den
gigantischen Zwillingstürmen der malaysischen Hauptstadt
Kuala Lumpur und andererseits von pittoresker Armut in
Laos, Kambodscha und Vietnam. Folgt man den Medienfreiheitsanalysen von Freedom House und Reporter ohne
Grenzen ist es um die journalistische Freiheit in dieser
heterogenen Region schlecht bestellt. Dies verdeutlicht ein
auf „niedrigem Niveau“ angesiedeltes Kontinuum, das am
einen Ende bei Selbstzensur und nahezu dogmatischen
Redaktionsvorgaben einsetzt und bis zu Gewalt und Mord an
Journalisten reicht. Das sich „Medien-Alltag“ jedoch nicht
ausschließlich mit starren Vorgaben messen lässt, das
Handlungsmuster jenseits des Mainstreams vorstellbar sind,
dies will dieser Sammelband exemplarisch zeigen.
Martin Ritter studierte an der TU-Ilmenau „Abgewandte
Medienwissenschaft“ und arbeite im Anschluss als Bürgerrundfunkreferent bei der Thüringer Landesmedienanstalt
(TLM). Das Projekt „Medien und Demokratisierung in Kambodscha“ der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft e.V.
(TKG) ermöglichte mehrere Forschungsaufenthalte in Phnom
Penh. Von 2006-2008 war der Autor am Seminar für Medienund Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt als
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich „Internationale
Kommunikation“ angestellt. Forschungsschwerpunkt bildeten
die Mediensysteme Asiens. Seit 2008 arbeitet Martin Ritter
als Referent für Bürgerrundfunk, Lokalrundfunk und Medienstandort bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM).
ISBN 978-3-9811860-1-7
9
783981 186017
30,00 EUR (D)
32,00 EUR (A)
46,00 SFr (CH)