Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld Predigt über EG 83

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Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld Predigt über EG 83
Christuskirche und Schloss, 4.3.2007 Paul-Gerhardt-Reihe
Predigtthema: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Evangelische Gesangbuch Nr. 83
Liebe Gemeinde!
Vom Sündenbock haben Sie bestimmt schon einmal gehört. Vielleicht kennen Sie in Ihrer Familie, in
der Schule oder am Arbeitsplatz einen „Sündenbock“
- einen der immer die Schuld bekam
- egal, was passiert ist, „der war’s
- einen, auf den alle einhacken
- einen, auf den alle Schuld abgeladen wird.
Vielleicht waren Sie auch selbst schon einmal der Sündenbock,
Dieses Bild vom Sündenbock stammt aus dem alten Israel und kommt von einem großen jüdischen
Fest her, dem Versöhnungsfest. Einmal im Jahr am Versöhnungsfest besann sich das Volk Gottes, wie
viel Unrecht jeder Einzelne und alle miteinander begangen hatten und bat Gott um Vergebung.
Als Zeichen, dass Gott vergibt, wurden die Sünden symbolisch auf ein junges Lamm, bzw. einen
Schafbock geladen und dieses in die Wüste getrieben, wo es starb.
Damit nahm Gott die Sünden fort, der Mensch war frei und konnte neu beginnen.
Der Ausdruck „Sündenbock“ hat sich bis heute gehalten.
Bei der ersten Begegnung von Johannes dem Täufer und Jesus sagt Johannes: „Siehe, das ist Gottes
Lamm, das der Welt Sünde trägt.“
Wir haben als Psalm und Schriftlesung die Urtexte gehört (Jesaja 53,4-7 und Johannes 1,29-32).
Der Tod Jesu am Kreuz wurde von Anfang an als Versöhnungsfest verstanden.
Jesus war das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trug und in den Tod mitnahm.
Diesen Gedanken greift Paul-Gerhardt auf (ich zitiere aus einzelnen Strophen, auch aus denen, die
nicht im Gesangbuch stehen):
1. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Der Welt und ihrer Kinder;
Es geht und büßet in Geduld
Die Sünden aller Sünder
2. Das Lämmlein ist der große Freund
Und Heiland meiner Seelen;
Den, den hat Gott zum Sündenfeind
Und Sühner wollen wählen.
Die Straf ist schwer, der Zorn ist groß;
Du kannst und sollst sie machen los
Durch Sterben und durch Bluten."
Das Lied hat etwas Liebliches, weil das Bild vom Lamm uns anrührt. Das Lamm war immer das
Passions- und Ostersymbol bis es vom Hasen an den Rand gedrängt wurde. Aber noch findet sich auch
häufig das Lamm als Backform, auf Altartüchern, auf Gemälden, in der Christuskirche bei der
Gefallenengedenkstätte und beim Abendmahl im Lied: „Christe, du Lamm Gottes.“
Das Lied hat etwas Grausames, weil der Opfergedanke uns fremd ist. Einer leidet für alle. Einer stirbt
für alle. Es ist Gottes Wille und Jesu Einwilligung, dass er am Kreuz die Sünden der Welt tilgt.
3. Ja, Vater, ja von Herzensgrund,
Leg au( ich will dirs tragen.
Mein Wollen hängt an deinem Mund;
Mein Wirken ist dein Sagen."
4. Du marterst ihn am Kreuzesstamm
Mit Nägeln und mit Spießen;
Du schlachtest ihn als wie ein Lamm,
Machst Herz und Adern fließen:
Grausam- ja. Und befreiend zugleich.
Wir denken heute gern: Na, wäre das denn nötig gewesen? Muss Gott denn ein solcher Rächer sein,
dass er unbedingt solch ein Opfer braucht? Ich frage: Sind wir denn etwa besser geworden, dass wir
keinen Sündenbock mehr bräuchten? Sind wir nicht bis heute so, dass wir immer wieder für
misslungene Situationen einen Sündenbock brauchen?
• Wenn der Mann fremdgeht, ist die langweilige Ehefrau dran schuld,
• wenn die Kinder sich schlecht entwickeln, der missratene Freundeskreis oder die arbeitende Mutter;
• wenn die Arbeitslosigkeit hoch wird, sind die Ausländer schuld,
• wenn die Moral sinkt, das Fernsehen oder der Wohlstand.
Aber niemand ist selber verantwortlich! Immer versuchen wir die Schuld weiterzuschieben an andere,
die Menschen neben uns oder die Umstände. Wir selber wollen schuldlos dastehen.
„Entschuldige scheint das schwerste Wort zu sein.“
Wir brauchen einen Sündenbock, um das Leben voller Schuld ertragen zu können. Wir suchen
Sündenböcke – nur will niemand gerne Sündenbock sein!
Wir brauchen auch heute eine Abladestelle für unseren Zorn, für unseren Ärger, für unsere Uneinigkeit
mit uns selbst. Wir brauchen einen Müllabladeplatz für unsere Schuld. Und wie oft müssen andere
Menschen dafür herhalten.
Gott geht es nicht um die Besänftigung seines Zorns, sondern dass wir Menschen freiwerden von all
den belastenden Gefühlen, Gedanken und Gewissensbissen. Dazu braucht es Gerechtigkeit.
Wir suchen Gerechtigkeit, damit wir Werte und Orientierung finden. Wenn jemand Unrecht begangen
hat, fordern wir auch die Bestrafung.
Kinder testen ihre Grenzen aus. Wenn ihnen alles erlaubt wird, werden sie hilflos und orientierungslos.
Der Soldat, der die Hiroshima-Bombe abgeworfen hat, galt in Amerika als Held. Er selber spürte, dass
er ein Unrecht auf sich geladen hatte, mit dem er nicht leben konnte. Er beging alle möglichen
kleineren Vergehen, nur um im Gefängnis zu landen, um endlich etwas von der Schuld büßen zu
können.
Wir suchen Gerechtigkeit. Und dazu gehört auch Strafe für Schuld. Wir schleppen manches an Schuld
mit uns, was wir niemanden sagen (können oder wollen), was wir nicht büßen, was wir wegschieben.
Wenn wir krank werden, taucht leicht die quälende Frage auf: Sollen wir jetzt bestraft werden? Wofür?
Jesu Opfer soll uns „los machen“, soll uns befreien aus der Angst vor einer drohenden Strafe, soll eine
Gerechtigkeit bestätigen, die für immer gilt, die uns aber nicht in ihrer Strenge vernichtet. „Das
Lämmlein ist der große Freund und Heiland an meiner Seelen.“ Wir haben einen Freund, der trägt, was
wir nicht ertragen würden.
Er macht meine Seele heil. Wie kann ich jemanden danken, der meine Seele heilt? Wie kann ich
jemanden danken, der der für mich die Schuld gebüßt hat, meine Strafe auf sich genommen hat?
0 süßes Lamm, was soll ich dir
Erweisen dafür, dass du mir
Erweisest so viel Gutes?
5. Mein Lebetage will ich dich
Aus meinem Sinn nicht lassen;
Dich will ich stets, gleich wie du mich,
Mit Liebesarmen fassen.
Ich will mich dir, mein höchster Ruhm,
Hiermit zu deinem Eigentum
Beständiglich verschreiben.
Das ist die persönliche Antwort von Paul Gerhardt. Dazu lädt auch uns sein Lied ein.
Habt ihr Konfirmanden euch schon mal gefragt, warum wir unserem Gott keine Tiere mehr opfern.
Warum wird nicht hier vorne auf dem Altar ein Feuer gemacht und ein Tier verbrannt. Warum fließt
hier kein Blut?
Das hat nichts mit Tierliebe oder Brandschutz zu tun, sondern ist eine Folge des christlichen Glaubens.
Das Opfer ist ein für alle mal gebracht. Christus ist auch für unsere Schuld, meine und deine,
gestorben. Wir müssen auch nicht jeden Monat 1.000,- € spenden um Gott gnädig zu stimmen und der
Hölle zu entgehen.
Für uns ist es Gott-sei-Dank selbstverständlich geworden, dass wir einfach das Geschenk Christi
annehmen dürfen. Ja, dass wir durch Christus bei Gott angenommen sind.
Daran erinnert uns das Abendmahl. Es geschieht kein neues Opfer. Aber auf dem früheren Opfertisch
stehen Brot und Wein, als Zeichen für Leib und Blut Christi.
Wir nehmen Christus in uns auf, so wie er uns angenommen hat. Unsere Sünde wird uns vergeben.
Wenn wir zum Abendmahl gehen, feiern wir ein Versöhnungsfest. Gott spricht uns gerecht. Er
verbündet sich neu mit uns und wir mit ihm.
6. Ich will von deiner Lieblichkeit
Bei Nacht und Tage singen,
Mich selbst auch dir nach Möglichkeit
Zum Freudenopfer bringen.
Und was du mir zu gut getan,
Das will ich stets, so tief ich kann,
In mein Gedächtnis schließen.
Das hat Auswirkungen auf den Alltag.
Für Paul Gerhardt ist das Singen der Ausdruck der gelebten Gottesbeziehung. Er dichtet und singt:
8. Das soll und will ich mir zu nutz
Zu allen Zeiten machen;
Im Streite soll es sein mein Schutz,
In Traurigkeit mein Lachen,
In Fröhlichkeit mein Saitenspiel,
Und wenn mir nichts mehr schmecken will,
Soll mich dies Manna speisen.
Im Durst solls sein mein Wasserquell,
In Einsamkeit mein SprachgeseIl
Zu Haus und auch auf Reisen.
Keiner muss ein Sündenbock sein. Keiner muss einen anderen zum Sündenbock machen. Niemand
muss sich rächen, neidisch sein oder im Zorn untergehen. Niemand soll daran kaputt gehen, den
eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.
Es ist immer wieder schwer verständlich, welch tiefe Bedeutung der Tod Jesu am Kreuz hat. Wenn wir
aber das Geschenk der Versöhnung annehmen, wenn wir im Abendmahl das Versöhnungsfest feiern,
dann können wir mit Paul Gerhardt sagen:
9. Was schadet mir des Todes Gift?
Dein Blut, das ist mein Leben.
Wenn mich der Sonnen Hitze trifft,
So kann mirs Schatten geben.
10. Wenn endlich ich soll treten ein
In deines Reiches Freuden,
So soll dies Blut mein Purpur sein,
Ich will mich darin kleiden;
Nehmen wir nachher den Schluck Wein in uns auf als inneres Gewand, als ein Kleid das unser Inneres
schmückt, so dass wir in Gottes Thronsaal zu seinen Königkindern gehören.
Statt Sündenbock
ein Königkind –
so will es Gott.
Amen
PS: Auf den Charts der Paul-Gerhardt-Lieder steht das Lied in unserer Gemeinde weiter unten bei Nr.
22 auf der Hitliste. Die Melodie ist 100 Jahre älter als Paul Gerhardt, stammt von Wolfgang Dachstein
(1525) und war von Martin Luther als „sehr liebreiche Melodie“ in das Babstsche Gesangbuch
aufgenommen worden.