Klassiker des europäischen Denkens
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Klassiker des europäischen Denkens
Böttcher Winfried Böttcher [Hrsg.] Klassiker des europäischen Denkens Im Jahre 1306 hat zum ersten Mal in der Geschichte der Franzose Pierre Dubois einen vollständigen Europaplan vorgelegt. In den seither vergangenen Jahrhunderten haben Persönlichkeiten immer wieder über den Zustand Europas in ihrer Zeit und über die Zukunft des Kontinents nachgedacht. Das große Lexikon „Klassiker des europäischen Denkens“ stellt den Kanon zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des europäischen Denkens dar. Der Band versammelt und vereint dabei die Friedens- und Europavorstellungen von über 100 herausragenden Persönlichkeiten aus mehr als 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte. Renommierte Philosophen, Historiker, Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaftler aus über 40 Universitäten und Forschungseinrichtungen in ganz Europa sowie – mit Jean-Claude Juncker und Martin Schulz – zwei bekennende Europäer im aktiven Politikbetrieb laden den Leser zu einem neuen Diskurs über den Frieden ein, der immer auch ein Diskurs über Europa war und ist. Klassiker des europäischen Denkens Der Herausgeber: Professor (em.) Dr. Dr h.c. mult. Winfried Böttcher, geb. 1936, Erststudium: Maschinenbau für Gewerbelehramt an der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 1. und 2. Staatsexamen, ordentl. Zweitstudium in Aachen und London (LSE) in: Erziehungswissenschaft, Neuere Geschichte, Politik und Ökonomie, von 1973 bis 2001 Professor für Politische Wissenschaft an der RWTH mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Europapolitik, seit 2005 Leiter des postgradualen Europastudiengangs an dem von ihm gegründeten Europainstitut Klaus Mehnert der Staatlichen Technischen Universität Kaliningrad, Russland. Mit Beiträgen von: Mariano Barbato, Alexander W. Belobratow, Winfried Böttcher, Peter Brandt, Karl-Heinz Breier, Klaus Bringmann, Gunilla Budde, Maurizio Cau, Heinz Duchhardt, Carl Antonius Lemke Duque, Jürgen Elvert, Alexander Erochin, Martin Espenhorst, Bernd Faulenbach, Fabian Fechner, Christine Frohn, Wladimir Gilmanov, Karl Hahn, Philip Hahn, Waltraud Hakenberg, Dominik Hammer, Angelina Hermanns, Marina Ortrud Hertrampf, Jean-Claude Juncker, Ralf Junkerjürgen, Peter Kainz, Andreas Kalina, Christoph Kann, Max Kerner, Franz Knipping, Irene Kögl, Stephan Koppelberg, Johanna Krawczynski, Josef Langer, Doris Lauer, Jürgen Lauer, Jürgen Linden, Lazaros Miliopoulos, Ursula Münch, Jürgen Nielsen-Sikora, Peter Nitschke, Antje Nötzold, Eckart Otto, Erich Pelzer, Annabelle Petschow, Teresa Pinheiro, Anita PrettenthalerZiegerhofer, Volker Reinhardt, Joachim Rogall, Wilfried Röhrich, Enno Rudolph, Jens Ruppenthal, Thomas Schölderle, Barbara Schommers, Martin Schulz, Wolfram Siemann, Marc Stegherr, Gotthard Strohmaier, Edit Szegedi, Thomas A. Szlezák, Klaus H. Tacke, Alexander Thumfart, Felix Unger, Rüdiger Voigt, Klaus Peter Walter, Werner Weidenfeld, Martin Winter, Stephanie Wolff-Rohé und Wichard Woyke. Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte ISBN 978-3-8329-7651-4 Nomos BUC_Böttcher_7651-4_PKH.indd 1 08.05.14 09:03 http://www.nomos-shop.de/19297 Winfried Böttcher [Hrsg.] Klassiker des europäischen Denkens Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte Nomos BUT_Böttcher_7651-4.indd 3 08.05.14 09:02 http://www.nomos-shop.de/19297 Bildquelle/Titelcover: Fotolia/Mopic © “Night view of Europe” Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8329-7651-4 1. Auflage 2014 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. BUT_Böttcher_7651-4.indd 4 08.05.14 09:02 http://www.nomos-shop.de/19297 Geleitwort Seit mehr als 3.000 Jahren prägen Kultur, Frieden und Krieg ganz wesentlich unsere europäische Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in ihrem weitesten Sinne die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gemeinschaft kennzeichnen“. Eine solche Definition schließt nicht nur „Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte der Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“. Im Gegensatz zur Natur, in die der Mensch hineingeboren wird, die er vorfindet, bedeutet Kultur das, was das Individuum aus seinem Leben macht und es von seinem Mitmenschen unterscheidet, aber auch ihm ähnlich macht. Auf Völker übertragen, zeigt sich dieses in der Differenz der Kulturen. Auf Europa angewendet, gibt es so etwas wie eine spezifische europäische Kultur, zu der alle Völker Europas, kleine wie große, ihren Anteil beigesteuert haben. Die Auswahl der „Klassiker des europäischen Denkens“ betrifft herausragende Persönlichkeiten ihrer Zeit, die einen besonderen Beitrag aus unserer vergangenen, zu unserer heutigen und damit zu unserer zukünftigen Selbstvergewisserung geleistet haben und immer noch leisten. Sie haben Werte geschaffen, von denen wir heute leben, die uns zu überzeugten Europäern machen. Diesem „gemeinsamen europäischen Fundus“ gehe ich stichwortartig nach: – die Würde und Freiheit des Individuums als Bindungsprinzip des Staates, wobei Freiheit in diesem Sinne immer „Freiheit des anders Denkenden“ (Rosa Luxemburg) bedeutet; – Rechtsstaatlichkeit als Pendant, Ergänzung und Garantie der Freiheit; – das dritte übergreifende Element, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Würde der Person und der Rechtsstaatlichkeit steht, ist die soziale Verantwortung, die Solidarität. Seit der Französischen Revolution beherrschen diese drei europäischen Grundwerte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit unser Denken. Ihre Ursprünge reichen jedoch weit in die Geschichte zurück, wie auch das vorliegende Lexikon überzeugend aufzeigt. Als institutionelle Form des Zusammenlebens, um diese drei Grundwerte zur vollen Verwirklichung zu bringen, entspricht der „Mission Europas“, „… daß man nach dem Reichtum der Verschiedenheit zu streben und den allumfassenden Drang zur Einförmigkeit abzuweisen hat …; daß man das Postulat von der sich alles unterwerfenden Gemeinschaft ebenso ablehnt wie den abstrakten Individualismus, der den Menschen von jeder Gemeinschaft zu lösen sucht. Der politische Ausdruck dieser Haltung ist der Föderalismus“ (aus: Vorläufer des Hertensteiner Programms 1946). Wie Europa und Kultur, so sind auch Europa und Frieden zwei Seiten derselben Medaille. Der in diesem Buch dokumentierte europäische Diskurs der ausgewählten Klassiker ist auch immer ein friedenspolitischer. Die hier vorgestellten Friedenspläne sind immer auch Europapläne. Es dreht sich in den Vorschlägen, Ideen und Visionen darum, einen „ewigen Frieden“ (Kant) zu begründen. Solange unser kollektives Gedächtnis reicht, ist die europäische Geschichte geprägt durch ständige kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Völkern, unterbrochen durch wenige friedliche Zwischenzeiten. Zwar hat mit der Entstehung des modernen Staatensystems im Westfälischen Frieden 1648 die Hoffnung auf eine dauernde europäische Friedensordnung zugenommen, aber mehr oder weniger blieb es bei der Hoffnung. Erst 300 Jahre später, nach vielen Kriegen und der „doppelten Urkatastrophe“, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, haben weitsichtige Staatsfrauen und -männer der europäischen Völker zu einer gemeinsamen Vernunft gefunden. So bleibt es das herausragende Verdienst der Europäischen Gemeinschaft, bis heute 28 europäische Völker zu einen. Konflikte werden durch Diskurs und Kompromiss geregelt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Integrationsprozess nicht immer reibungslos vonstattengeht. Im Gegenteil: Oft- 5 http://www.nomos-shop.de/19297 Geleitwort mals ist es zermürbend, kostet viel Energie, verläuft schleppend und ist mit Rückschlägen verbunden. Aber: Es ist der Mühe wert! Willy Brandt hat es einmal so ausgedrückt: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“. Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union bedeutet für uns Europäer einen Ansporn, unser Engagement im europäischen Einigungsprozess zu erneuern. Denn weder der europäische Integrationsprozess noch der durch ihn geschaffene Frieden und Wohlstand sind unumkehrbar. Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine zeigen, wie zerbrechlich der Frieden ist und wie schnell sich mitten in Europa eine Eskalationsspirale entwickeln kann. Zum ersten Mal in dieser Form wurden „Klassiker des europäischen Denkens“ mit dem Ziel ausgewählt, einen Beitrag zu leisten, das heutige Europa mit Hilfe ganz besonderer Gedanken der Vergangenheit zu verstehen, um uns davor zu bewahren, planlos in die Zukunft zu stolpern. Martin Schulz, Brüssel 6 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis Geleitwort ......................................................................................................... 5 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches ...................................................................... Winfried Böttcher 13 2. Das europäische Erbe ...................................................................................... 19 2.1 Das griechische Erbe ................................................................................. Thomas Alexander Szlezák 19 2.2 Das römische Erbe .................................................................................... Klaus Bringmann 34 2.3 Das jüdisch-christliche Erbe ........................................................................ Eckart Otto 47 2.4 Was Europa dem Islam verdankt und was den Byzantinern ................................ Gotthard Strohmaier 52 2.5 Das Erbe Karls des Großen ......................................................................... Max Kerner 59 3. Die ausgewählten Klassiker ............................................................................... 75 3.1 Auf dem Wege in die Frühe Neuzeit (1306–1648) ............................................ 75 Pierre Dubois (ca. 1255–ca. 1321) ................................................................ Doris Lauer 75 Enea Silvio Piccolomini, Papst Pius II. (1405–1464) .......................................... Volker Reinhardt 82 Georg von Podiebrad (1420–1471) ............................................................... Anita Prettenthaler-Ziegerhofer 89 Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) ................................................... Alexander Thumfart 96 Erasmus von Rotterdam (1466/67/69–1536) ................................................... Philip Hahn 109 Niccolò Machiavelli (1469–1527) ................................................................ Volker Reinhardt 116 Sebastian Münster (1488–1552) ................................................................... Philip Hahn 123 Maximilien de Béthune, Duc de Sully (1559–1641) .......................................... Klaus Peter Walter 131 Hugo Grotius (1583–1645) ......................................................................... Waltraud Hakenberg 136 Eméric Crucé (ca. 1590–1648) ..................................................................... Doris Lauer 142 7 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis 8 3.2 Die Aufklärung und ihre Folgen (1649–1815) ................................................. 150 Thomas Hobbes (1588–1679) ..................................................................... Rüdiger Voigt 150 John Locke (1632–1704) ............................................................................ Peter Kainz 156 William Penn (1644–1718) ......................................................................... Winfried Böttcher 164 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) ........................................................ Peter Nitschke 174 Charles Irénée Castel, Abbé de Saint-Pierre (1658–1743) ................................... Doris Lauer 179 Peter I., der Große (1672–1725) ................................................................... Alexander W. Belobratow 187 Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689–1755) ....... Karl-Heinz Breier 193 Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ............................................................. Peter Kainz 199 Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717–1771) .............................................. Martin Espenhorst 209 Immanuel Kant (1724–1804) ...................................................................... Vladimir Gilmanov 216 August Ludwig (von) Schlözer (1735–1809) ................................................... Martin Espenhorst 223 Antoine Marquis de Condorcet (1743–1794) .................................................. Jürgen Lauer 230 Johann Gottfried Herder (1744–1803) .......................................................... Barbara Schommers 237 Anacharsis Cloots (1755–1794) ................................................................... Klaus Peter Walter 243 Johann Gottfried Schindler (1756–1811) ........................................................ Klaus H. Tacke 247 Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) ............................................................. Karl Hahn 254 Germaine de Staël-Holstein (1766–1817) ....................................................... Jürgen Lauer 261 Napoleon Bonaparte (1769–1821) ................................................................ Erich Pelzer 268 3.3 Der Umbruch zur Moderne (1816–1913) ....................................................... 277 Jeremy Bentham (1748–1832) ..................................................................... Winfried Böttcher 277 Karl Freiherr vom und zum Stein (1757–1831) ................................................ Heinz Duchhardt 284 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis Henri de Saint-Simon (1760–1825) ............................................................... Jürgen Lauer 289 Conrad Georg Friedrich Elias von Schmidt-Phiseldek (1770–1832) ...................... Jürgen Nielsen-Sikora 297 Clemens von Metternich (1773–1859) ........................................................... Wolfram Siemann 302 Joseph Görres (1776–1848) ........................................................................ Lazaros Miliopoulos 309 Juan Francisco Siñeriz (1778–1857) .............................................................. Teresa Pinheiro 316 Carlo Cattaneo (1801–1869) ....................................................................... Fabian Fechner 323 François Pierre Guillaume Guizot (1787–1874) ............................................... Jürgen Lauer 329 Théodore Simon Jouffroy (1796–1842) ......................................................... Klaus Peter Walter 336 Victor Hugo (1802–1885) .......................................................................... Klaus Peter Walter 341 Alexis de Tocqueville (1805–1859) ............................................................... Ralf Junkerjürgen 347 Giuseppe Mazzini (1805–1872) ................................................................... Lazaros Miliopoulos 353 Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) .......................................................... Anita Prettenthaler-Ziegerhofer 359 Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) ............................................................ Jürgen Lauer 365 Constantin Frantz (1817–1891) ................................................................... Jürgen Elvert 373 Jacob Burckhardt (1818–1897) .................................................................... Winfried Böttcher/Martin Schulz 377 Karl Marx (1818–1883) ............................................................................. Peter Brandt 387 Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1821–1881) ........................................... Alexander Erochin 393 Nikolaj Jakovlevič Danilevskij (1822–1885) ................................................... Alexander W. Belobratow 401 Joseph-Ernest Renan (1823–1892) ................................................................ Jürgen Lauer 406 Bertha von Suttner (1843–1914) .................................................................. Stephanie Wolff-Rohé 413 Friedrich Nietzsche (1844–1900) .................................................................. Enno Rudolph 419 9 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis 10 Leonid Alekseevič Kamarovskij (1846–1912) .................................................. Alexander W. Belobratow 427 3.4 Die doppelte Katastrophe (1914–1945) ......................................................... 431 Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) ......................................................... Josef Langer 431 Georges Sorel (1847–1922) ......................................................................... Wilfried Röhrich 438 Friedrich Naumann (1860–1919) ................................................................. Edit Szegedi 445 Aristide Briand (1862–1932) ....................................................................... Dominik Hammer/Irene Kögl 452 Aurel Constantin Popovici (1863–1917) ........................................................ Marc Stegherr 458 Max Weber (1864–1920) ........................................................................... Wilfried Röhrich 466 Romain Rolland (1866–1944) ..................................................................... Marina Ortrud M. Hertrampf 470 Rosa Luxemburg (1871–1919) .................................................................... Stephanie Wolff-Rohé 476 Paul Valéry (1871–1945) ............................................................................ Marina Ortrud M. Hertrampf 480 Johan Huizinga (1872–1945) ...................................................................... Christoph Kann 486 Winston Churchill (1874–1965) ................................................................... Antje Nötzold 493 Gustav Stresemann (1878–1929) .................................................................. Werner Weidenfeld 499 Oswald Spengler (1880–1936) ..................................................................... Annabelle Petschow 504 Alcide De Gasperi (1881–1954) ................................................................... Maurizio Cau 510 José Ortega y Gasset (1883–1955) ................................................................ Carl Antonius Lemke Duque 516 Carl Friedrich Goerdeler (1884–1945) ........................................................... Joachim Rogall 526 Jacob ter Meulen (1884–1962) .................................................................... Winfried Böttcher 531 3.5 Der Phönix aus der Asche (1946–2011) ......................................................... 537 Konrad Adenauer (1876–1967) ................................................................... Werner Weidenfeld 537 Rudolf Pannwitz (1881–1969) ..................................................................... Barbara Schommers 542 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis Karl Jaspers (1883–1969) ........................................................................... Annabelle Petschow 548 Robert Schuman (1886–1963) ..................................................................... Stephan Koppelberg/Christine Frohn 554 Joseph Bech (1887–1975) ........................................................................... Jean-Claude Juncker 560 David Mitrany (1888–1975) ....................................................................... Mariano Barbato 566 Jean Monnet (1888–1979) .......................................................................... Franz Knipping 574 Carl Schmitt (1888–1985) .......................................................................... Rüdiger Voigt 581 Christopher Dawson (1889–1970) ................................................................ Lazaros Miliopoulos 587 Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894–1972) ........................................ Anita Prettenthaler-Ziegerhofer 592 Arnold Bergstraesser (1896–1964) ................................................................ Thomas Schölderle/Ursula Münch 598 Carlo Schmid (1896–1979) ......................................................................... Jens Ruppenthal 607 Paul-Henri Spaak (1899–1972) .................................................................... Martin Winter 613 Charles de Gaulle (1890–1970) .................................................................... Wichard Woyke 619 Kurt von Raumer (1900–1982) .................................................................... Heinz Duchhardt 628 Walter Hallstein (1901–1982) ..................................................................... Jürgen Elvert 635 Hannah Arendt (1906–1975) ...................................................................... Gunilla Budde 640 Denis de Rougemont (1906–1985) ............................................................... Teresa Pinheiro 647 Hendrik Brugmans (1906–1997) .................................................................. Angelina Hermanns 655 Altiero Spinelli (1907–1986) ....................................................................... Anita Prettenthaler-Ziegerhofer 661 Hans Georg Max Joachim von der Groeben (1907–2005) .................................. Jürgen Elvert 668 Otto von Habsburg (1912–2011) ................................................................. Felix Unger 673 Willy Brandt (1913–1992) .......................................................................... Bernd Faulenbach 679 11 http://www.nomos-shop.de/19297 Inhaltsverzeichnis Pierre Werner (1913–2002) ......................................................................... Jean-Claude Juncker 687 François Mitterand (1916–1996) .................................................................. Wichard Woyke 694 Karol Wojtyła, Papst Johannes Paul II. (1920–2005) ......................................... Jürgen Linden 702 Ernst B. Haas (1924–2003) ......................................................................... Winfried Böttcher/Johanna Krawczynski 712 Walter Lipgens (1925–1984) ....................................................................... Johanna Krawczynski 717 Rolf Hellmut Foerster (1927–1990) .............................................................. Johanna Krawczynski 724 Bronisław Geremek (1932–2008) ................................................................. Joachim Rogall 730 Václav Havel (1936–2011) ......................................................................... Andreas Kalina 735 4. Europa – quo vadis? ........................................................................................ 743 Anhang ............................................................................................................. 761 Historisches Personenverzeichnis ........................................................................ 761 Die ausgewählten Klassiker nach Alphabet ........................................................... 773 Weitere Klassiker des europäischen Denkens ......................................................... 775 Autorinnen und Autoren .................................................................................. 777 Danksagung ....................................................................................................... 781 12 http://www.nomos-shop.de/19297 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches Den Wunsch, ein Lexikon „Klassiker des europäischen Denkens“ herauszugeben, habe ich schon früh als Professor für Politische Wissenschaft gehegt. Während meiner intensiven Beschäftigung mit Europa – historisch, kulturell und politisch – fehlte immer wieder ein solches Nachschlagewerk. Es sollte einen raschen Zugriff und Überblick gewähren und zur vertiefenden Beschäftigung mit den Klassikern anregen, die nicht zuletzt unser heutiges Bild von Europa geprägt haben. Der Anspruch des Lexikons ist es, mit dieser Auswahl von Klassikern Einblicke in eine 700-jährige Kulturgeschichte zu wagen. Bevor wir unseren Plan und Aufbau des Buches vorstellen, wollen wir noch kurz die beiden zentralen Begriffe „Klassiker“ und „Kulturgeschichte“, wie wir sie verstehen, erläutern. Aulus Gellius (130–180) – ein römischer Schriftsteller, der ältere Sprach- und Stilformen bevorzugte – unterschied zwischen „scriptor classicus“ und „scriptor proletarius“. Hierbei orientierte er sich an der Einteilung der römischen Gesellschaft des Servius Tullius (6.Jh. v. Chr.) in Klassen, in „classici“, „intra classem“ und „proletarii“. In diesem Sinne wird „Klassiker“, wie wir ihn als Begriff verstehen, auf Autoren ersten Ranges angewendet, verbunden mit einer besonderen Wertschätzung. Edwin Sandys (1561–1629) – britischer Staatsmann und Mitbegründer von Virginia – greift in seinem Buch über den religiösen Staat Europas Europae Speculum den Gedanken von Gellius auf. Er versteht unter einem Klassiker einen Autor „of the first rank or authority.“ Auch benutzt er „classical and canonical“ in einem Zusammenhang (vgl. zu dieser kleinen Wortgeschichte: Britannica 1910, 448). Als Klassiker bezeichnen wir also eine Persönlichkeit, die in ihrer Zeit mit innovativen Gedanken diese geprägt, Diskurse angestoßen hat, aber deren Gedanken auch bis in unsere Zeit Wirkung zeigen. Somit haben wir bei unserer Auswahl folgende Kriterien angelegt: – Was sind die bestimmenden Faktoren, die wir bei den ausgewählten Klassikern finden, die unser heutiges Denken über Frieden und Europa beeinflussen? – Die ausgewählten Klassiker sollen ein Leitfaden sein für eine Vergangenheits-, aber auch Gegenwartsvergewisserung und damit Zukunftsgestaltung. Die erzählte Vergangenheit durch unsere ausgewählten Klassiker trifft auf unsere europäische Wirklichkeit und bietet uns Orientierung für die Zukunft. – Unsere Klassiker zeigen in der Zeit ihres Wirkens, wie unterschiedlich Phantasien sein können, um Zukunft zu beschreiben. Utopien von Phantasten können phantastische Utopien sein (vgl. Bieri, 34). – Unsere Klassiker erzählen uns, wie unser Bild von Europa geworden ist. Sie helfen uns, es „in Zukunft hinein fortzuschreiben. Um nicht nur von Tag zu Tag in die Zukunft hineinzustolpern, sondern die Zukunft als etwas zu erleben, dem wir mit einem selbstbestimmten Entwurf begegnen, brauchen wir ein [Europa-]Bild von dem, was wir sind und was wir werden wollen – ein Bild, das in einem stimmigen Zusammenhang mit der Vergangenheit stehen muß, wie wir sie uns erzählen“ (Bieri 2011, 23; das Selbstbild in dem Zitat von Peter Bieri haben wir durch Europabild ersetzt). – „Als ‚Klassiker‘ kann nur gelten, wer das utopische Denken um innovatorische Impulse bereichert bzw. dessen Struktur epochenspezifisch geprägt hat“ (Saage 1991, 6). Neben dem Anspruch des Buches mit Hilfe der hier ausgewählten Klassiker, Vergangenheit zu verstehen und dadurch aus unserer Gegenwart Zukunft zu gestalten, wollen wir einen kulturgeschichtlichen Beitrag leisten. Der Untertitel des Buches lautet: „Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte.“ 13 http://www.nomos-shop.de/19297 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches Kulturgeschichte als Wissenschaft gibt es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. „Seit 1850 mehrte sich in Deutschland die ›Allgemeine Culturgeschichte‹“ (Hübinger, in: Jordan 2002, 198). „Es ist die wesentlichste Schwierigkeit der Kulturgeschichte, daß sie ein großes geistiges Kontinuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Kategorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen" (Burckhardt 1988, 3). In unserem Buch interessiert nicht die Entstehungsgeschichte des Faches „Kulturgeschichte“ in der Auseinandersetzung mit dem Historismus (vgl. Hübinger, in: Jordan 2002, 199), vielmehr geht es um die Kultur selbst, um ihren Beitrag zu unserem heutigen Europaverständnis. Kultur ist der Ausdruck für alle Wirkungszusammenhänge, die uns zu dem werden ließen, was wir heute sind. Es versteht sich von selbst, dass wir Technik und Ökonomie auch als wichtige Teile der Kultur verstehen. Die Gefahr, die wir heute in Europa sehen, liegt in der Dominanz der Ökonomie über die Kultur. Kultur muss der Ökonomie gleichwertig sein. Politik, Ökonomie, Soziales und Kultur garantieren nur gemeinsam Fortschritt einer Gesellschaft. Jede Abgrenzung [einer „Potenz“ aus dieser Gemeinsamkeit] ist die „Negation des Ganzen“ (Baruch de Spinoza, 1632–1677). Fortschreiten im Sinne einer gesellschaftlichen Höherentwicklung ist nur dann möglich, wenn Fragen beantwortet werden: Wie sollen wir uns verhalten, was sollen wir tun, wie wollen wir in Zukunft leben? Ohne eine ständige kulturelle Besinnung darauf, woher wir kommen, wie wir heute leben, können wir nicht wissen, wohin wir gehen. Als Kultur in dem Sinne, wie es zeitunabhängig unsere ausgewählten Klassiker verstanden haben, wollen wir hier das UNESCO-Verständnis anführen. In der UNESCO-Erklärung von Mexiko-Stadt aus dem Jahr 1982 wird Kultur „in ihrem weitesten Sinne“ definiert, „als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gemeinschaft kennzeichnen“. Eine solche Definition schließt nicht nur „Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte der Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“ (UNESCO-Dienst). So wichtig es ist, die spezifischen Werte europäischer Gesinnung und Gesittung auszumachen, so ist es ebenso wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass Europa nicht nur ein „Schatzhaus von Idealen“ ist (vgl. Sternberger 1980). Europa ist auch Ausprägung des totalen Staates. Europa hat das Führungsprinzip bis zur vollendeten Perversion entwickelt, die Freiheit des Individuums der totalen Kollektivität geopfert, unendliches Leid über die Völker dieser Erde durch Kolonialismus und Imperialismus gebracht, Menschen zu Objekten im Sklavenhandel gemacht und das Gastrecht zur Fremdenfeindlichkeit pervertiert. Auch das ist Europa. Wir können, ja, wir dürfen dies nicht aus unserem individuellen wie auch kollektiven Bewusstsein ausgrenzen. Wir müssen sie als dazugehörige – wenn auch als hässliche – Wesenszüge der Europäer annehmen. Nach den wenigen Hinweisen, was wir unter einem Klassiker und unter Kultur verstehen, kommen wir nun zur Auswahl und zum Aufbau des Buches. Im Kapitel zum Erbe Europas mit fünf Unterkapiteln gehen die Autoren der Frage nach, was Europa in seiner heutigen Gestalt den Griechen, den Römern, den Juden, dem Christentum, dem Islam und Karl dem Großen verdankt. Dieses Kapitel ist eine Art Einführung in die geistige Welt Europas, in der sich auch unsere ausgewählten Klassiker bewegen. Dort wird nach den bleibenden Werten Europas geforscht, ohne die Europa heute nicht Europa wäre. Die hier portraitierten 100 Klassiker stellen „nur“ eine Auswahl von mehr als 200 Persönlichkeiten dar, die wir nach unseren oben aufgeführten Kriterien ebenfalls zu den „Klassikern des europäischen Denkens“ rechnen. Eine alphabetische Liste der weiteren in unsere Kategorie passenden Klassiker findet der Leser im Anhang. Ob in einem zweiten Band auch diese Klassiker präsentiert werden, muss noch entschieden werden. Das vorliegende Lexikon vereint eine Auswahl von 100 Persönlichkeiten aus mehr als 14 europäischen Ländern mit ihren Vorstellungen und Visionen zur Zukunft Europas. Etwa 65 Autorinnen 14 http://www.nomos-shop.de/19297 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches und Autoren: Philosophen, Historiker, Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaftler sowie zwei aktive Politiker haben Beiträge verfasst. Sie arbeiten in 32 europäischen Universitäten und zwölf nichtuniversitären Einrichtungen. Vom Herausgeber wurden neben formalen nur zwei inhaltliche Vorgaben gemacht. Jeder der Klassiker sollte kurz biographisch vorgestellt und in seine Zeit eingeordnet werden. Außerdem sollte der Schwerpunkt des Beitrags auf den Europa- und Friedensvorstellungen – in weiten Teilen sind dies zwei Seiten derselben Medaille – liegen. Aufgenommen wurden aber auch Klassiker, die keinen dezidierten Europaplan vorgelegt haben, jedoch Spuren ihres Denkens in unserem heutigen europäischen Denken, bewusst oder unbewusst, hinterlassen haben. Eine völlige Vereinheitlichung der Beiträge war weder möglich noch wünschenswert. So findet man in diesem Buch die gesamte Bandbreite wissenschaftlicher Ausdrucksformen vom Essay bis hin zur streng wissenschaftlichen Darstellung. Dies spiegelt sich auch in der jedem Beitrag angeführten Literatur, wo der interessierte Leser Anregungen zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Klassiker findet. Von den verwendeten europäischen Sprachen, in denen die Klassiker geschrieben haben, werden nur die englischen Zitate nicht übersetzt. Der Aufbau des Buches Die grundlegende Frage, die durchgehend an jeden der 100 Klassiker zu stellen ist, gipfelt also darin: Was haben die ausgewählten Klassiker zu unserem heutigen Europaverständnis beigetragen? Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder Klassiker gleich viel zu der Beantwortung dieser Frage beigesteuert hat. Wie bereits erwähnt, steht diese Frage auch im Mittelpunkt zum Erbe Europas. Ein Desiderat ist, dass das Erbe der Germanen, Kelten und Slawen, bedingt auch der Ägypter, nicht einbezogen wird. Die Einteilung des Kapitels 3 mit fünf Unterkapiteln und die darin vorgenommene Zuordnung unserer Klassiker orientieren sich an den unter Historikern unstrittigen fundamentalen Veränderungen in der 700-jährigen Geschichte Europas. Mit dem Jahr 1306 beginnen wir deshalb, weil der Franzose → Pierre Dubois (ca.1255–1321) den ersten vollständigen Europa- resp. Friedensplan in der Geschichte vorgelegt hat. Auch aus einem anderen Grund passt er in unsere Betrachtung und Systematik. Der Beginn des 14. Jahrhunderts stellt mit seinem Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit einen fundamentalen Einschnitt in die Geschichte Europas dar. Es ist der Beginn einer neuen Zeit – Renaissance, Reformation, Entdeckungen. In den 342 Jahren bis zu unser nächsten Umbruchzeit – dem Westfälischen Frieden 1648 – hat sich Europa grundlegend verändert, in seinem Verständnis zum Individuum, zum Staat, zur Religion, zur Kultur und zur außereuropäischen Welt. Die zweite Umbruchzeit von 1648 bis zum Wiener Kongress 1815 ist durch zwei außergewöhnliche Ereignisse geprägt, die Aufklärung als Revolution des Geistes und in deren Folge die Französische Revolution als Aufstand der Massen. Das eine war die Befreiung des Individuums aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant, 1724–1804), das andere die Befreiung des Dritten Standes von der Despotie der Fürstenherrschaft. Die Theorie der Gesellschaftsverträge (→ Hobbes, 1588–1679, → Rousseau, 1712–1778) und der Idee der Gewaltenteilung (→ Locke, (1632–1704, → Montesquieu, 1689–1755) sowie der Idee der Volkssouveränität (Rousseau) haben das Staatsverständnis revolutioniert. Mit dem Fortschreiten in den Wissenschaften, insbesondere in der Mathematik, Physik, Astronomie und Ökonomie, und deren praktischer Anwendung werden Spinn- und Dampfmaschine als Beginn der Industrialisierung erfunden. Sie und andere technologische Neuerungen veränderten die gesellschaftlichen Verhältnisse. 15 http://www.nomos-shop.de/19297 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches Innereuropäische Kriege waren an der Tagesordnung, nicht selten entstanden sie durch den Kampf der europäischen Nationalstaaten um die Kolonien. Die dritte Umbruchzeit umfasst für uns den Zeitraum zwischen 1816 und dem Ersten Weltkrieg, der 1. Urkatastrophe, durch die sich Europa selbst zerstörte. Diese ist der Anfang vom Ende seiner weltweiten Dominanz. Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der Modernisierung. Die Städte wachsen an. Die Industrialisierung erreicht ungeahnte Fortschritte, durch Mechanisierung der Produktion, Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation, neue Kommunikationstechniken, Pressefreiheit und schnelle Ausweitung des Transportwesens, insbesondere der Eisenbahnen. Diese zunehmende Mobilität verändert das Zeit- und Raumempfinden. Im Zuge des technischen, ökonomischen und sozialen Fortschritts fordert die bisher von Politik ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung ihre Rechte ein. Das 19. Jahrhundert ist auch ein Jahrhundert der Ideologien, der Ismen: Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Nationalismus, Imperialismus, Parlamentarismus, Materialismus, Faschismus, Antisemitismus. An dieser Diskussion nehmen unsere Klassiker regen Anteil. Als vierten Umbruch betrachten wir die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Zweiten Weltkrieg, der 2. Urkatastrophe. → Winston Churchill (1874–1965) spricht in diesem Zusammenhang von einem dreißigjährigen Krieg. Dies deutet darauf hin, dass man eigentlich die beiden Urkatastrophen im Zusammenhang sehen muss. Viele Klassiker, die in unserem Unterkapitel 4, die doppelte Katastrophe, aufgeführt werden, haben ihre wichtigsten Diskussionsbeiträge zu unserem Thema in der Zwischenkriegszeit formuliert. Zwar wurden schon im 19. Jahrhundert Föderalismusentwürfe, z.B. von → Constantin Frantz (1817–1891) und → Victor Hugo (1802–1885) vorgelegt, jedoch verstärkt sich die Diskussion zunehmend im 20. Jahrhundert bis in unsere Tage. Im Unterkapitel 5 – Der Phönix aus der Asche – geht es im Diskurs unserer Klassiker um die Grundfrage, die bis heute nicht gelöst ist: Wie soll Europa verfasst sein? Es geht um die politischinstitutionelle Verfasstheit, die eng verknüpft ist mit der geistig-kulturellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bündeln sich die unterschiedlichen Auffassungen der politisch institutionalisierten Verfasstheit in dem Gegensatz Konstitutionalismus – Funktionalismus, die sich in den Europavorstellungen der Föderalisten auf der einen und den Unionisten auf der anderen Seite widerspiegeln. Als Exponenten des föderativen Ansatzes nennen wir → Richard Coudenhove-Kalergi (1894– 1972), mit seinem Eintreten für eine Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“, und auf der entgegengesetzten Seite → Charles de Gaulle (1890–1970), mit seinem „Europa der Vaterländer“. Unabhängig davon, welcher Ansatz sich langfristig durchsetzt, darf keiner hinter den Gedanken → Václav Havels (1936–2011), unseres letzten aufgeführten Klassikers, zurückfallen, wenn dieser 1991 schreibt: „Ich bin für ein politisches System, dessen Grundlage der Bürger ist mit all seinen grundlegenden Bürger- und Menschenrechten in ihrer universellen Gültigkeit, […] ich bin also für das, was man Bürgergesellschaft nennt“ (Havel 1991, 25). Er vertritt eine „Politik von unten“. Politik des Menschen, nicht des Apparates. Politik, „die aus dem Herzen kommt, nicht aus der These“ (Havel 1984, 112). In unserem Schlussbeitrag – Quo vadis Europa? – bewegen wir uns im Sinne des Buches, indem wir eine Vision von einem anderen Europa entwickeln. Dieses Europa wird föderal, regional und humanistisch, oder es wird gar nicht sein. Verwendete Literatur Bieri, Peter (2011), Wie wollen wir leben?, München | Burckhardt, Jacob (1988), Die Kultur der Renaissance in Italien, Stuttgart | Delouche, Frédéric (1992), Europäisches Geschichtsbuch, Stuttgart u.a. | Encyclopaedia Bri- 16 http://www.nomos-shop.de/19297 1. Idee, Plan und Aufbau des Buches tannica (1910), 11th Ed., Cambridge, darin: Classics, S. 448–461 | Havel, Václav (1984), Politik und Gewissen, in: ders., 1990, Am Anfang war das Wort, Texte von 1969 bis 1990, S. 81–113, Reinbek bei Hamburg | Ders. (1991), Herrschaft der Gesetze, in: ders., 1992, Sommermeditationen, S. 14–58, Reinbek bei Hamburg | Jordan, Stefan (Hrsg.) (2002), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart, darin: Gangolf Hübinger, Kulturgeschichte, S. 198–202, Stefan Jordan, Historismus, S. 171–174 | Meulen, Jacob ter (1917/1929/1940), Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung 1300–1889, 2 Bde, Haag | Saage, Richard (1991), Politische Utopien der Neuzeit, Darmstadt | Sternberger, Dolf (1980), Komponenten der geistigen Gestalt Europas, in: Merkur, 34. Jg., S. 228–238 | UNESCO-Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, in: Sonderausgabe UNESCO-Dienst, September 1982 Winfried Böttcher, Aachen 17