Peter Schlemihl als Naturforscher

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Peter Schlemihl als Naturforscher
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Nikolas Immer, Matthias Glaubrecht
Peter Schlemihl als Naturforscher
Das zehnte Kapitel von Chamissos Märchenerzählung in
editionsphilologischer und wissenschaftshistorischer Perspektive*
Eingangs seiner anonym publizierten Märchenerzählung Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte (1814) ist Adelbert von Chamisso nachhaltig daran gelegen, die
Grenze von Fiktion und Realität zu verwischen. Gegen Ende seines kurzen Widmungsbriefes an Julius Eduard Hitzig beschreibt er, wie ihm Peter Schlemihl
selbst die „Blätter“ (Sch1 XI) des Manuskripts überbracht habe.1 Diese Überführung der literarischen Titelfigur in die außerliterarische Wirklichkeit wird 1827
von Wilhelm Hauff aufgegriffen und aktualisiert: „So wandelt, nach Freund Chamisso’s Versicherung, Peter Schlemihl noch immer über die Erde, und es wäre
leicht möglich, daß er 1827 [...] von Nürnberg einen kleinen Schritt nach München gemacht hätte, die Herren Naturforscher zu besuchen“.2 Wäre Peter Schlemihl tatsächlich 1827 nach München gekommen, hätte sich ein Besuch bei den
Naturforschern durchaus lohnen können. Denn dort präsentiert der Regensburger Arzt und Botaniker David Heinrich Hoppe (1760–1846) seine „kunstreich
eingelegten und trefflich erhaltenen Pflanzen“, was die Berichterstatter sogar zu
dem Ausruf veranlasst: „Schönere Herbarien kann es in der Welt nicht geben.“3
Hauffs Zeugnis kann als Beleg dafür gewertet werden, dass nicht nur das Zentralmotiv des verlorenen Schattens, sondern auch die von Schlemihl angestellten
* Wir danken Prof. Dr. Volker Hoffmann für den Anstoß zu diesem Projekt, Dr. Jutta Weber für die
Bereitstellung der Schlemiel-Urschrift, Dr. Anna Busch für wichtige Hinweise bezüglich der Schlemiel-Abschrift und Elisa Schmitt sowie Monika Sproll für ihre Unterstützung bei der Transkription.
1
Zitate aus den folgenden Texten werden unter Verwendung der angegebenen Siglen im Haupttext
nachgewiesen: ChBr: Adelbert von Chamisso’s Werke. 6 Bde. [Hrsg. von Friedrich Palm.] Fünfte
vermehrte Aufl. Leipzig 1864, Bd. 5 und 6: Leben und Briefe. Erster und Zweiter Theil. Berlin
1864. – ChW: Adelbert von Chamisso: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Nach dem Text der
Ausgaben letzter Hand und den Handschriften. Textredaktion Jost Perfahl. Bibliographie, Anmerkungen, Glossar der botanischen, zoologischen, geographischen, ethnischen Begriffe und Namenregister sowie Zeittafel und Nachwort von Volker Hoffmann. 2 Bde. München 1975. – Sch1: Peter
Schlemihl’s wundersame Geschichte mitgetheilt von Adelbert von Chamisso und herausgegeben
von Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Nürnberg 1814.
2
H.W. [= Wilhelm Hauff]: [Rez. zu:] Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte, mitgetheilt von
A. v. Chamisso. Zweyte mit den Liedern und Balladen des Verfassers vermehrte Ausgabe. Nürnberg bey J.G. Schrag, 1827. In: Morgenblatt für gebildete Stände. Literatur-Blatt 84, 19. Oktober
1827, S. 333f., hier S. 334.
3
[Joseph Franz von] Jaquin, J[oseph] J[ohann] Littrow: Sechste Versammlung in München. 1827. In:
Dies.: Bericht über die Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Wien im September
1832. Wien 1832, S. 15–20, hier S. 17.
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DOI 10.1515/editio-2012-0010
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Naturforschungen die Aufmerksamkeit der zeitgenössischen Leser erregen. Zwar
wurde diese Dimension des Textes bereits in der Forschung diskutiert,4 nur ist
bisher allenfalls marginal berücksichtigt worden, dass der wissenschaftshistorische
Horizont, den Chamisso im zehnten Kapitel seiner Märchenerzählung entfaltet,
in der sogenannten ,Urschrift‘ des Schlemihl weitaus ausführlicher angelegt ist.
Diese besondere Ausgangslage erfordert mit Blick auf die editorische Erarbeitung
von Chamissos zehntem Kapitel die synergetische Bündelung unterschiedlicher
disziplinärer Kompetenzen. Der originäre Ansatz unseres Vorhabens besteht darin,
die editionsphilologisch festgestellten Differenzen zwischen Urschrift und Erstdruck insbesondere wissenschaftshistorisch zu begründen.
Im Folgenden wird hinsichtlich des zehnten Kapitels von Chamissos Schlemihl
die leitende Frage verfolgt, wie sich die quantitativen und qualitativen Differenzen zwischen Urschrift und Erstdruck begründen lassen. Dazu soll in einem ersten
Schritt die Editionsgeschichte der Handschriften sowie des Erstdrucks (I) skizziert
werden.5 Es folgt eine Neuedition des zehnten Kapitels sowohl der Urschrift (II)
als auch des Erstdrucks (III), um die textkritische Vergleichbarkeit der Texte zu
gewährleisten. Auf dieser Basis werden die Differenzen im Textbestand in editionsphilologischer (IV) und in wissenschaftshistorischer (V) Perspektive diskutiert.
I. Urschrift, Abschrift und Erstdruck: Zur Editionsgeschichte
Wie Helmuth Rogge in seiner ersten Publikation zur Urschrift des Schlemihl im
Jahr 1919 darlegt, befand sich dieser Textträger ursprünglich im Besitz seines
Urgroßvaters, des Botanikers Dietrich Franz Leonhard von Schlechtendal
(1794–1866).6 Chamisso lernt Schlechtendal in Berlin während seines Studiums
kennen und ist von dessen Umgang sofort sehr angetan: „Für die Botanik hab’ ich
hier die beste Gelegenheit; ich bin mit einem arglosen, stachellosen, sehr verdienstlichen jungen Botaniker [Schlechtendal] sehr gut Freund [...]“ (ChBr V,
377). Mit Rogge ist anzunehmen, dass Chamisso die Urschrift „seinem Freunde“
wahrscheinlich 1833 „zum Geschenk“ macht, als Schlechtendal zum Direktor des
Botanischen Gartens und zum Professor an die Universität Halle berufen wird.7
Schlechtendal vererbt die Urschrift wiederum seinem Sohn, nach dessen Tod sie
4
Vgl. Josefine Nettesheim: Adalbert von Chamissos botanisch-exotische Studien, Peter Schlemihl
und die Lieder von ,armen Leuten‘. In: Dies.: Poeta doctus oder Die Poetisierung der Wissenschaft
von Musäus bis Benn. Berlin 1975, S. 57–76.
5
Auf eine Darstellung der Entstehungsgeschichte muss aus Platzgründen verzichtet werden. Vgl.
dazu Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Mit einem Kommentar
von Thomas Betz und Lutz Hagestedt. Frankfurt/Main 2003, S. 131–136.
6
Vgl. Helmuth Rogge: Die Urschrift von Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1919, S. 439–450, hier S. 439.
7
Rogge 1919 (Anm. 6), S. 440.
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in den Besitz Rogges gelangt. 1919 veröffentlicht Rogge einen Beitrag in den
Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, worin er einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Schlemihl, eine Beschreibung der ererbten Handschrift und eine „Übersicht der wesentlicheren Abweichungen der Urschrift von den Ausgaben“ präsentiert.8 Problematisch an dieser „Übersicht“ ist
zum einen, dass sich die Kollation auf den Textvergleich der Urschrift mit einer
einzigen Druckausgabe beschränkt. Dabei wird keine von Chamisso autorisierte
Schlemihl-Ausgabe zugrunde gelegt, sondern die Neuedition von Oskar Walzel,9
deren Textgestalt sich an der Werkausgabe von 1836 orientiert.10 Problematisch ist
zum anderen, dass Rogge nur die „wesentlicheren Abweichungen“ erfasst, aber
beispielsweise Streichungen völlig unberücksichtigt lässt. Parallel zu Rogges zweitem Schlemihl-Beitrag, der 1920 in dem Periodikum Das Inselschiff erscheint, publiziert Arthur Schurig eine Schlemihl-Ausgabe, die bereits Rogges Lesartenverzeichnis berücksichtigt.11 Da Schurig allerdings eine Mischausgabe herstellt, indem
er die „besten Lesarten“ der Urschrift in seinen Text integriert,12 besitzt diese
Edition keinen textkritischen Wert. Die von Schurig geforderte „vollständige
Veröffentlichung des ,Ur-Schlemihl‘“ veranstaltetet Rogge schließlich zwei Jahre
später.13 Diese ,Erstedition‘ umfasst neben der Präsentation mehrerer bis dahin
unbekannter und ungedruckter Chamisso-Briefe auch die Darbietung einer gereinigten Textfassung. Das heißt, Eingriffe in die Textgestalt der Urschrift werden
nicht dokumentiert;14 außerdem werden im Original verzeichnete Korrekturen
und Ergänzungen stillschweigend in den edierten Text übernommen. Dass sich
Rogge dieses textkritischen Mangels bewusst gewesen ist, belegen seine Ausführungen im Beiheft der Ausgabe: „Die zahllosen und für die Entstehungsgeschichte
der Dichtung besonders wichtigen Verbesserungen wiederzugeben, war nicht
möglich. Sie werden bei der Herausgabe eines kritisch vergleichenden Textes ihre
Rolle spielen.“15 Ein solcher ,kritisch vergleichender Text‘ liegt bis heute nicht
vor, allerdings ist an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg eine digitale
Edition der Schlemihl-Urschrift in Vorbereitung.16
8
Rogge 1919 (Anm. 6), S. 444–450.
Vgl. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. In: Chamissos Werke.
Hrsg. von Oskar Walzel. Stuttgart [1892], S. 465–540.
10
Zu den Druckausgaben des Schlemihl vgl. ChW I, 768f.
11
Vgl. Helmuth Rogge: Peter Schlemiels Schicksale. Die Urschrift des Peter Schlemihl. In: Das
Inselschiff 2, 1921, S. 312–318; Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte.
Hrsg. von Arthur Schurig. Mit den Stichen von George Cruikshank. Dresden 1920.
12
Chamisso/Schurig 1920 (Anm. 11), S. 121.
13
Chamisso/Schurig 1920 (Anm. 11), S. 121.
14
Ein anschauliches Beispiel bieten die Emendationen, die Rogge vornimmt, um die Fehlstellen im
Text zu füllen, die aufgrund der ausgebrannten Seitenecken entstanden sind. Während er diese
Ergänzungen in der „Übersicht“ noch mit eckigen Klammern anzeigt, fügt er die Emendationen in
der Edition von 1922 stillschweigend ein. Vgl. Rogge 1919 (Anm. 6), S. 447–449; Peter Schlemiels
Schicksale. Erstmalige Veröffentlichung der Urschrift des Peter Schlemihl. Hrsg. von Helmuth
Rogge. Leipzig 1922, S. 72–76.
15
Rogge 1922 (Anm. 14), S. 16.
9
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Die neben der Urschrift überlieferte Abschrift wird zunächst von Chamissos
Freund Hitzig verwahrt und geht nach dessen Tod in den Besitz seines Sohnes
über. Anfang der 1890er Jahre erhält der angehende Literaturhistoriker Oskar
Walzel dank der Vermittlung des Berliner Literaturprofessors Erich Schmidt die
Gelegenheit, die Abschrift für seine Chamisso-Werkausgabe auszuwerten. Da
Walzel aber „nur die Korrekturen verzeichnet, welche sich nicht als notwendige
Berichtigung von Lesefehlern des Abschreibers“ erweisen,17 ist der textkritische
Wert auch dieser Edition als begrenzt anzusehen. Wie in der Deutschen Literaturzeitung berichtet wird, gelangt die Abschrift nach dem Tod Hitzigs in das Märkische Museum Berlin.18 Zwar wird sie noch einmal in Hermann Tardels Werkausgabe erwähnt,19 für die Textkonstitution jedoch nicht mehr herangezogen.
Inzwischen ist an der Humboldt-Universität Berlin eine digitale Edition der Abschrift in Vorbereitung.20
Was die Druckausgaben des Schlemihl betrifft, so orientieren sich die Neueditionen des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich an Chamissos Werkausgabe von
1836 und damit an der ,Ausgabe letzter Hand‘. Erst im Jahr 1999 legt Joseph
Kiermeier-Debre eine Neuedition vor, die „der ersten selbständigen Ausgabe
zeichengenau in Orthographie und Interpunktion“ folgt.21 Die sorgfältig gearbeitete Edition gibt nicht nur die originale „Textanordnung“ und „Schriftgestaltung“ wieder, sondern auch „die Paginierung der Erstausgabe“.22 Im Gegensatz zu
der Neuausgabe von Kiermeier-Debre bietet die Neuedition Peter von Matts, die
2010 erschienen ist und ebenfalls auf dem Erstdruck von 1814 gründet, trotz der
Bewahrung der ursprünglichen Orthographie und Interpunktion keine diplomatische Wiedergabe des originalen Texts.23 Außerdem ist zu vermerken, dass der
edierte Text kleinere Fehler enthält und daher schwerlich als verlässliche Textgrundlage dienen kann.24 Schließlich präsentiert das Deutsche Textarchiv eine mustergültig ausgeführte Online-Edition des Schlemihl, die neben weiteren Funktionen eine synoptische Betrachtung von Scanvorlage und transkribiertem Text
16
Dieses Projekt wird von Dr. Katrin Dennerlein bearbeitet.
Chamisso/Walzel 1892 (Anm. 9), S. 465.
18
Vgl. Deutsche Literaturzeitung 28, 1907, Sp. 2528.
19
Vgl. Chamissos Werke. 3 Bde. Hrsg. von Hermann Tardel. Leipzig, Wien 1907f., Bd. 3, S. 522.
20
Dieses Projekt wird von Dr. Anna Busch bearbeitet.
21
Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Hrsg. von Joseph KiermeierDebre. München 1999, S. 99.
22
Chamisso/Kiermeier-Debre 1999 (Anm. 21), S. 99.
23
Vgl. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Mit den Farbholzschnitten
von Ernst Ludwig Kirchner und Beiträgen von Anita Beloubek-Hammer und Peter von Matt.
Stuttgart 2010, S. 116.
24
Für diesen Zusammenhang wurde nur das zehnte Kapitel des Erstdrucks mit von Matts Neuausgabe
verglichen. Statt: „Asien von Osten gegen Westen“ (Sch1 112) heißt es in der Neuausgabe „Asien
von Osten nach Westen“ (Chamisso/Matt 2010, Anm. 23, S. 88); statt: „und untersuchte mit
besonderer“ (Sch1 113) heißt es in der Neuausgabe: „und untersuchte, mit besonderer“ (Chamisso/Matt 2010, Anm. 23, S. 89).
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ermöglicht.25 Um im Folgenden einen unmittelbaren Vergleich von Urschrift und
Erstdruck zu ermöglichen, wird das zehnte Kapitel des Erstdrucks hier nochmals
ediert (Abschnitt IV).
II. Rundreise I: Das zehnte Kapitel der Urschrift
Die Urschrift (H1) gehört heute zum Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz.26 Sie ist bereits von Rogge und Hoffmann beschrieben worden und trägt den Titel:27 „W.A. Peter Schlemiels Abentheuer. Schicksale Als
Beitrag zur Lehre des Schlagschattens mitgetheilt von Adelbert von Chamisso.
Cunersdorff. MDCCCXIII.“ Sie besteht aus einem Heft mit 40 Blättern in
Quartgröße, die außer dem Titel- und dem Widmungsblatt doppelseitig beschrieben sind. Für die Korrekturen und Zusätze ist jeweils ein Drittel der Seitenbreite freigelassen worden. Ab dem achten Kapitel sind die unteren Außenecken der Blätter leicht ausgebrannt, was zu Textverderbnissen geführt hat. Um
diese Passagen wieder lesbar zu machen, sind bei der Textkonstitution entsprechende Konjekturen in Anlehnung an die Vorschläge von Rogge vorgenommen
worden.28 Da die Urschrift nicht nur die früheste Textstufe des Schlemihl dokumentiert, sondern auch Chamissos eigenwillige Handhabung der deutschen
Grammatik und Orthographie konserviert,29 erfolgt die Textwiedergabe in diplomatischer Abschrift. Einzelstellenkommentare, die ausschließlich die Textgestalt der Urschrift betreffen, sind dem edierten Text nachgestellt. Die grau hinterlegten Passagen kennzeichnen die Textabschnitte, die Chamisso aus der
Urschrift in den Erstdruck übernommen hat. Für die Textkonstitution werden
folgende Zeichen und Formatierungen verwendet:
ËÌ
text
xx
〈〉
25
Vom Autor nachgetragener Text
Vom Autor gestrichener Text
Nicht lesbare Streichung
Vom Editor ergänzter Text
Originale Paginierung
Vgl. http://www.deutschestextarchiv.de/chamisso/schlemihl/1814/.
Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Signatur: Ms. germ. 4° 1809.
27
Vgl. Rogge 1919 (Anm. 6), S. 440f.; ChW I, 767.
28
Vgl. Rogge 1919 (Anm. 6), S. 447–449.
29
„So blendend Chamisso die deutsche Sprache als Dichter zu handhaben verstand, so wenig hat er
ihre Grammatik und Orthographie in der ganzen Zeit seines Lebens meistern gelernt“ (Philipp
Rath: Bibliotheca Schlemihliana. Ein Verzeichnis der Ausgaben und Übersetzungen des Peter
Schlemihl. Nebst neun unveröffentlichten Briefen Chamissos und einer Einleitung. Mit 6 Bildbeilagen. Berlin 1919, S. 23).
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Ich fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoss Thränen des Dankes – denn
klar stand plötzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch frühe Schuld von der
menschlichen Geselschaft ausgeschlossen ward ich zum Ersatz an die Natur, die ich
stets geliebt, gewiesen, die Erde mir zu einem reichen Garten gegeben, das Studium
zur Richtung und Kraft meines Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht
ein Entschluss, den ich fasste. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im
Uhrbild vor mein inneres Auge trat, getreu, mit stillem strengem unausgesetzten
Fleiss darzustellen gesucht und meine Selbstzufriedenheit hat von dem Zusammenfallen des dargestellten mit dem Uhrbild abgehangen.
Es war auf den hohen Ebenen des Tibet dass ich still gestanden war, und die
Sonne, die ich ËmirÌ vor wenigen Stunden hatte aufgegangen war, neigte sich Ëhier
schonÌ am Abend Himmel. Ich raffte mich auf um ohne Zeugern mit flüchtigem
Ueberblick Besitz von dem Felde zu nehmen wo ich künftig ärnten sollte. Ich durchwanderte von Morgen gegen Abend den hohen und breiten Rücken der Alten Welt,
vermeintliche Wiege der jetzigen organischen Schöpfung auf unserer Erde und der
Menschheit. Ich stieg mit den Gewässern zum Aralsee herab, liess den und das Caspische Meer nördlich liegen, kam durch das blühende Persien, das Land verhalter
Gesänge an die Mündungen des Tigris und des Euphrats und trat bei Bassora in das
sandige Arabien. Ich ging gen Mocca zu, und kam langst der Küste vom rothen
Meer, an der Wiege und dem Grabe des kriegerischen Propheten vorbei, durch einen
duftigen Garten nach dem Hauptthor Africa’s zu Suez. ich machte bevor ich ËüberÌ
diese Schwelle trat, einige Schritte nach in Syrien Ëin PalestinaÌ und beschaute mir die
dreimal heilige Stadt. Dann trat ich erst in Aegypten ein, in den Delta und vor
Alexandrien. Ich lauschte vergebens in der Wüste nach der Oasis Ammon. von
ËDannÌ stieg ich in seltsamen Gedanken den Nil hinauf. Ich bestaunte im vorübergehen die Pyramiden an, Buchstaben eines verlor〈enen〉 Wortes, und die Ewigen
Monumente der A〈egypter,〉 〈 70 〉 beladen noch mit den Mystischen Zeichen ihrer
Weisheit. Sie selber sind auf der Erde vorübergegangen. – Ich sah’ die hundertthorigen Theben und Memnons Bildseule. Ich erblickte in der nahen Wüste die Hölen
die sonst christliche Einsiedler bewohnt, Es stand plötzlich klar und fest in mir hier
sollst du wohnen. – ich erkor mir gleich eine der verborgenste die zugleich geraumig
bequem und den Schakal unzuganglig war, zum Aufenthalt, dann verfolgte ich meinen Weg am Nil hinauf, ich sah seine Fälle seine Quellen, ich bestieg den noch von
keinem Europaeer erschauten hohen Bergrücken der bis an das Vorgebürge der guten
Hoffnung die östlichen und westlichen Gewässer trennt, die grosse Scheideck Affricas, ich schritt langsam und staunend einher durch eine ganz neue Thier und Pflanzenwelt, der Loewe und der Elephant waren fast die einzigen Gestalten die meine
Gedanken an das Bekannte wieder knüpften, ich drang bis zum Cap vor. ich nahm in
den sudlichen hohen Ebenen einen Ei aus einem Straussen Nest und brit es an einem
verlassenen Buschmannsfeuer. ich setzte mich um dieses Mahlzeit ËGerichtÌ zu geniessen auf den Abhang eines Felsen, und freute mich als ich den Nahmen Lichtenstein darinnen eingegraben fand. Ich kam ËDen Rest meiner Mahlzeit mit mir tragend
nehmend ging ichÌ durch das innere Land wieder nach Norden, und stieg uber das
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Gebürge in das innere Thal des Niegers hinab, ich durch streifte die weiten Moräste
wo die Sonne seine träg gewordenen Gewässer wieder aufsaugt. welche andere Ausbeute ward dort meinem forschenden Fleiss verheissen! welche neue Formen der
Monocotyledonen! Ich stieg den Nieger an seinem linken Ufer hinauf, und glücklicher als der redliche Mongopark betrat der erste Europaeer die Strassen der vielbegehrten Tombuktu, diese weite und volkreiche Stadt der Mauren hat aber nichts
schönes. Ich wandte mich von den Quellen des Niegers nordwärts zu der Wüste. die
Sonne, dort Scheitelrecht am Mittag, wich kaum nach Westen ab, die Hitze war im
beweglichen ËbrennendenÌ Sande furchtbar Ëund ich konnte mich selbst nicht an dem
eigenen Schatten letzenÌ, Ich verweilte mich nicht bei den Salzminen Tischit, und
erreichte mit wenigen ËraschenÌ Schritten die Küste des Mittelländischen Meeres. ich
schritt bei Ceuta nach Europa über. Ich löschte meinen Durst im goldführenden
Tago, schritt über die Pyrenaeen, durchwanderte das flache Land Frankreich, liess
einen düstern Rauch, der mir 〈am〉 Horizont Paris bezeichnete, rechter Hand liegen,
〈pflückte e〉inige Aepfel in der Normandie, und schritt leicht 〈nach En〉gelland über.
Ich sah mich unter einem neblichten Himmel 71 in den drei Reichen um, wo die
Menschen, von denen ich mich getrennt fühlte, ein grosses Rätzel gelöst zu haben
scheinen. Ich durchschritt Franckreich zum zweiten Mal, und bestieg die erhabenen
Ëin derÌ glücklichen Schweitz die erhabenen Alpen, ich warf vom Gipfel des Montblanc den Blick um mich, ein Wolkenmeer trennte mich von der Erde, ich verfolgte
mit behutsamen Schritten das Gebürge nach Süden, die Alpen und die Apeninen, Ich
setzte mich, einen Augenblick auszuruhen, in Cicilien auf den Gipfel des Erderschütterer Ethna, der Himmel war klar und mild, welche Aussicht! Ich wandte mich
durch die Thäler Italiens wieder nach norden, Ich sah Neapel, Rom die zweimalige
Herrin der Welt, Florenz, Ich schritt über die Apeninen in das Thal das der Po
bewässert, sah Wenedig, umging das Adriatische Meer und setzte nach Grichenland
meinen Weg fort. – Jetzt Türken da! – ich weinte auf den Stufen des Parthenion. Ich
schritt bei Constantinopel nach Asien über und suchte vergebens, nachËinÌdem ich
mir Verse aus dem letzten Gesang der Ilias hersagte, nach Spuren der heiligen Feste
Trojas. Ich wandte meine Schritte nach dem Caucasus, ich durchstreifte seine Wälder
sah mich von seinen beschneieten gipfeln um, und stieg in die Nördliche Thäler
hinab, ich trat über die Wolga, und verfolgte aufwärts den Lauf der Donau nach
meinem geliebten Deutschland. ich eilte mit traurigem Herzen weiter, Ich ging
durch Dänemark über den Belt und den Sund nach der Scandinavischen Halbinsel,
von da durch Lappland das Gebürg und die Küste bei abnehmender Vegetation
verfolgend nach Asien, und suchte mit schnelleren Schritten von den nordlichen
Küste innerhalb des Polar Kreises einen durchgang über den Polar Glätscher. noch
war der Nord Ost Cap davon nicht getrennt, ich ging über diesen natürlichen
Damm, den ich da fand, und richtete meineËnÌ Schritte ËLaufÌ auf die rothe stralenlose
Sonnenscheibe am horizont. ich fand nach ungefähr sechzig Schritte Land und nackte
Felsen und eilte südlicher zu kommen. ich hatte die Sonne ungefähr am Mittag. ich
vermuthete auf Groenland zu sein und fa fand meine Vermuthung bestätigt, ich
musste langst der westlichen Küste wieder mehrere Schritte zurücke gehn, und wieder durch die Region des ewigen Eises America suchen. Ich kam südwärts schreitend
an der Baffins und Hudsons Bay vorüber ohne den Lang gesuchten durchgang des
Atlantischen Oceans nach dem Stillen Meer zu finden. Ich erspaarte 〈mir〉 die ge-
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nauere geographische Untersuchung dieser Pola〈rre〉gionen 〈 72 〉 auf eine andere
zeit, und kam mich etwas links haltend an die sch reich umgrünten Seen die ihre
Gewässer in den raschen Fluss Sanct Lorens entladen. Ich schritt über den Fall des
Niagara, ein herrlicher Anblick! und folgte dem Laufe des Ohio und des Meschasepe
hinab, mich freuend, wo ich neue Pflanzungen der Menschen antraf, der schönen
kräftigen Jugend dieser freien Völcker, und wo die Natur ungebändigte Natur noch
allein waltete, der üppigen Fülle ihrer Kraft in den schönsten Wälder, die ich je
gesehen hatte. ich umschritt den Mexicanischen Meer Busen, und kam durch die
Landenge Panama’s nach dem südlichen America.
Ich nahm links durch die Ilanos am Rionegro und dem Amazonen Fluss meinen
Weg, ging durch das innere Land nach dem Panama Fluss und drang immer ËweiterÌ
sudwärts vor. alles was ich sah war mir vol neu. der strengste Winter herrschte schon
auf der südlichen Spitze der neuen Welt und alle Vegetazion hatte aufgehört. der
Schnee der mit überaus dichtem gestöber auf dem Feuerlande fiel, trieb mich erstarrt
vom Cap Horn ËschnellÌ nordwärts zurück, ich nahm meinen weg langst der westlichen Küste und folgte verfolgte den Lauf der Cordilleras de los Andes. Ich entdeckte gegen den südlichen Wendekreiss eine bequeme anmuthige Höle in einer Menschen unbewohnten Gegend des Gebürges, eine bequeme Felsenhöle in einem
anmuthigen Thale, ich beschloss sogleich ËsieÌ mir hier zu einem Absteige Quatier
einzurichten, wo ich etwa einen südlichen Sommer ËbequemÌ zubringen konnte um
mir den ofteren Übergang durch den nördlichen Winter Ëüber die BehringstrasseÌ zu
ersparen, wann ich ËhierÌ die Natur des Welttheils studiren wollte. – die Nacht komt
herrschte jetzt noch auf über den östlichen Theil Asiens wo ich hin gehen wolte zu
gehen hatte, Ich weihte mein neues Haus ein, genoss darinnen den Rest der von
druben aus Affrica mitgenommenen Rest meines ersten Mahles, da und nahm einige
ËpaarÌ Stunden Ruhe, dann erst verfolgte ich meinen Weg der mich über die höchsten beckannten Unebenheiten unserer Kugel führte. ich trat langsam und vorsichtig
von 〈gipf〉el zu gipfel, über flammende Vulckane 〈und〉 beschneiete Kuppeln, oft mit
mühe athmend. 〈Ich sah〉 zu meinen Fussen das Reich der Sonnen- 73 kindern, und
mein Blick überschaute fern das Ocean. – ich durchwanderte die Landenge zum
zweiten Mal, und verfolgte den hohen Rücken durch das Reich Montezuma’s ich
setzte mich traurend am Ufer des Sees wo seine Hauptstadt nun, wie ËdieÌ der Inca’s,
die fremde Brut hegt – ich folgte dem gebürge immer nordwestlich die Sonne hinter
bald in ihrem Mittag wieder erreichend, ich sah kam an den Helias berg und von da
Ëmachte von da nochÌ einige Schritte nordwestlich, Ëwieder undÌ sprang vom Cap
prinz Wales nach Asien hinüber auf das Land ËderÌ Tschuktschen. – Ich folgte von da
der asiatischen Küste, in der Hauptrichtung sudwestlich aber mit vielfachen Wendungen, und untersuchte ËmitÌ besonderer Aufmerksamkeit welche der dort liegenden Insel mir zugänglich waren. Ich kam in der Corea an die grosse Chinesische
Mauer, schwächeres Bollwerk als das der Sitte, welches dieses Volk, merkwürdiges
und ehrwürdiges Beispiel in der geschichte, von Anbegin derselben an Ëdurch alle
ZeitenÌ mit ungebrochener Macht geschützt hat. Ich trat in das innere des Reiches,
dieses jedem Fremden unbequeme Land, war es auch für michËrÌ wegen seiner ausserordentlichen Bevölkerung. ich eilte Cochinchina und die Halb-insel Malaca zu
erreichen. Meine Stiefel trugen mich auf Sumatra Java Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit gefahr, und dennoch ËimmerÌ vergebens, mir über die kleinern
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inseln und Felsen, wovon dieses Meer starrt, einen Uebergang nordwestlich nach
Borneo und anderen Inseln dieses Archipelagus zu bahnen. Ich musste die Hoffnung
aufgeben.Ich setzte mich endlich auf die ausserste Spitze von Lamboc nieder; und das
gesicht gen Süden und Osten gewendet, weint ich, wie am fest verschlossenen Gitter
meines Kerkers, dass ich doch so bald meine Begränzung gefunden. Das merkwürdige, zum Verständniss der Erden, und ihres Sonnengewirkten Kleides, der Thier und
der Pflanzen und Thier welt so sehr ËwesentlichÌ nothwendige Neuholland, und die
Sudsee mit ihren CorallenËZoophytenÌ Inseln waren mir untersagt, Und so war, im
Ursprunge schon, alles, was ich sammeln und erbauen sollte, blosses Fragment zu
bleiben verda〈mmt.〉 – O mein Adelbert was ist es doch um die B〈e〉mühungen 〈 74 〉
der Menschen!
Oft hab ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel vom Cap Horn aus jene
zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und Neu holland trennten, selbst unbekümmert um die Rückkehr und sollte sich dieses ËengeÌ schlechte
Land Ëuber michÌ wie der Deckel meines Grabes ËSargesÌ schliessen, über den Polarglätscher ostËwestÌwärts zurücke zu legen versucht, habe über Treibeis ver- Ëmit thörigter Wagniss verÌzweiflungvolle Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz
geboten. umsonst, noch bin ich auf Neuholland nicht gewesen – zurück bin ich
ËkammÌ dann jedes mal auf Lanboc gekommen ËzurückÌ, und habe ËsetzteÌ mich auf
seine entfernste ËeussersteÌ Spitze gesetzt ËniederÌ, und Ëweinte wiederÌ das gesicht gen
Süden und Osten gewendet habe wieder geweint. wie am festverschlossenen Gitter
meines Kerkers.
Ich trat von Lamboc über Bali Java Sumatra und die halb Insel wieder zurück, und
trat kam über die heiligen Gewässer des Ganges nach dem alten mystischen Indien.
aber ich war der Geschichte der Menschen entfremdet, und die Errinnerungen der
Vorzeit sind dort nicht wie in Aegypten Risenhaften Monumenten einËaufÌgepragt,
ich folgte der Küste und sah überall nur Europaeer. Ich schritt, der Sonne voraus
eilend, über den Indus, den Tigris und den Euphrates, und kam noch in der Nacht zu
Hause in der Thebais, wo ich in den Nachmittags Stunden des vorigen Tages gewesen war.
Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa war, liess ich meine erste
Sorge sein alles anzuschaffen was ich bedurfte – zuvörderst Hemmschue, denn ich
hatte erfahren, wie unbequem es sei seinen Schritt nicht anders verkürtzen zu konnen
um nahe Gegenstände gemächlich zu untersuchen, als indem man die Stiefel auszieht.
Ein paar pantoffel übergezogen erreigten hatten völlig die wirkung, die ich mir
davon versprach, und späterhin trug ich sogar derrer immer zwei Paar bei mir, weil
ich öfters welche von den Füssen warf, ohne Zeit zu haben sie aufzuheben, wann
Löwen, Menschen, oder Hyaenen, mich beim Botanisiren aufschreckten. Meine sehr
gute Uhr, war auf die kurtze Dauer meiner gänge ein vortreffliches Kronometer, Ich
brauchte noch hauptsächlich einen Sextant, eine Magnetnadel, einen Barometer als
hoehemesser, einen Thermometer, Ëein electrisches Apparat,Ì ein Vergrösserungs〈g〉lass, anatomische Messer, eine botanische Kapsel, Papier- 〈einige〉 bücher,
ËundÌ Schreibmaterialen. Ëausserdem einige Mollxxx ËËeinen Sextant von ËËËundÌÌÌ einigeÌÌ phisicalische instrumente und BucherÌ.
Ich machte nach 75 diesen und wenigen andern Bedürfnissen Ëdieses alles herbei
zu schaffenÌ, etliche bangen Gänge nach London, und Paris, die ein mir günstiger
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Nebel eben beschattete, Ë.Ì als der Rest meines Zaubergoldes erschöpft war, bracht
ich leicht zu findendes Elphenb Affricaniches Elphenbein als Betzahlung herbei,
wobei ich freilig die kleinsten Zähne, die meine Kräfte nicht überstiegen, auswählen
sollte musste. Ich ward bald mit allem versehen und ausgerüstet, und ich fing sogleich
Ëals privatisirender GelehrterÌ meine neue Lebensweise an.
Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Höhen, bald die Temperatur ihrer
Quellen und die der Luft messend, bald Thiere beobachtend, bald Gewächse untersuchend, ich eilte von dem Equator nach dem Pole, von der einen Welt nach der
andern, Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend, Ë.Ì dËDÌie Eier der Affricanischen
Strausse, oder der nördlichen Seevögel, und früchte, besonders der Tropen Palmen
und Bananengewächse, waren meine gewöhnlichste Nahrung. Für mangelndes
Glück hatt ich als Surrogat die Nicotiana, und für menschliche Theilnahme und
Bande, die Liebe eines treuen Pudels, der mir meine Höhle in der Tebais bewachte,
und wann ich mit neuen Schätzen beladen, zu ihm zurücke kam ËkehrteÌ, freudig an
mich sprang, und es mich doch menschlich empfinden liess, dass ich nicht allein auf
der Erde sei. Noch sollte mich ein Abentheuer unter die Menschen zurücke führen. –
Editorischer Einzelstellenkommentar
11–135 Es war auf … trugen mich] Streichung des Textes mit einem senkrechten Strich.
27f., 58f., 90f., 118f., 146, 178 Konjekturen aufgrund der Fehlstellen an den unteren
Außenecken der Heftblätter.
159–198 Ich trat … führen. –] Änderung im Schreibduktus, offenkundig wurde die Passage
erst später hinzugesetzt.
159–166 Ich trat … gewesen war.] Streichung des Absatzes mit einem senkrechten Strich.
178 〈…〉] Ergänzungen nach Chamisso/Walzel 1892 (Anm. 9), S. 535, Anm. zu Zeile 21.
III. Rundreise II: Das zehnte Kapitel des Erstdrucks
Der nachstehende Wiederabdruck des zehnten Kapitels folgt dem Erstdruck
(Sch1) von 1814.30 Die erste Druckausgabe konserviert gegenüber den Folgeausgaben nicht nur einige „Sonderbarkeiten der Chamissoschen Orthographie“,31
sondern enthält auch Druckfehler, die erst oder nur teilweise in den Folgeausgaben verbessert werden.32 Die zweite Tatsache stützt die Ansicht, dass Chamisso
die Druckfahnen der Erstausgabe offenbar nicht vorgelegen haben. – Grauhinterlegung zeigt die Übernahmen aus der Urschrift an.
30
Zum bibliographischen Nachweis des Erstdrucks siehe Anm. 1. Benutzt wurde die Ausgabe der
Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Signatur: 344501: R. Die Siglierung des Erstdrucks entspricht der
Übersicht bei Tardel, die Hoffmann übernimmt. Vgl. Chamisso/Tardel 1907f. (Anm. 19), Bd. 2,
S. 456; ChW I, 768f.
31
Rath 1919 (Anm. 29), S. 10.
32
Rath 1919 (Anm. 29), S. 23.
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Ich fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoß Thränen des Dankes – denn
klar stand plötzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch frühe Schuld von der
menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, ward ich zum Ersatz an die Natur, die ich
stets geliebt, gewiesen, die Erde mir zu einem reichen Garten gegeben, das Studium
zur Richtung und Kraft meines Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht
ein Entschluß, den ich faßte. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im
Urbild vor mein innres Auge trat, getreu, mit stillem, strengen, unausgesetzten Fleiß
darzustellen gesucht, und meine Selbstzufriedenheit hat von dem Zusammenfallen
des Dargestellten mit dem Urbild abgehangen.
Ich rafte mich auf, um ohne Zögern mit flüchtigem Überblick Besitz von dem
Felde zu neh- 112 men, wo ich künftig ärnten wollte – ich stand auf den Höhen des
Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen war, neigte sich
hier schon am Abendhimmel, ich durchwanderte Asien von Osten gegen Westen, sie
in ihrem Lauf einholend, und trat in Afrika ein. Ich sah mich neugierig darin um,
indem ich es wiederholt in allen Richtungen durchmaß. Wie ich durch Ägypten die
alten Pyramiden und Tempel angafte, erblickte ich in der Wüste, unfern des hundertthorigen Theben, die Hölen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten. Es stand
plötzlich fest und klar in mir: hier ist dein Haus. – Ich erkor eine der verborgensten,
die zugleich geräumig, bequem und den Schakalen unzugänglich war, zu meinem
künftigen Aufenthalte, und setzte meinen Stab weiter.
Ich trat bei den Herkules-Säulen nach Europa über, und nachdem ich seine südlichen und nördlichen Provinzen in Augenschein genommen, trat ich von Nordasien
über den Polarglätscher nach Grönland und Amerika über, durchschweifte die beiden
Theile dieses Kontinents, und der Winter, 113 der schon im Süden herrschte, trieb
mich schnell vom Cap Horn nordwärts zurück.
Ich verweilte mich, bis es im östlichen Asien Tag wurde, und setzte erst nach
einiger Ruh meine Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide Amerika die Bergkette, die die höchsten bekannten Unebenheiten unserer Kugel in sich faßt. Ich
schritt langsam und vorsichtig von Gipfel zu Gipfel, bald über flammende Vulkane,
bald über beschneite Kuppeln, oft mit Mühe athmend, ich erreichte den Eliasberg,
und sprang über die Behringsstrasse nach Asien. – Ich verfolgte dessen westliche
Küsten in ihren vielfachen Wendungen, und untersuchte mit besonderer Aufmerksamkeit, welche der dort gelegenen Inseln mir zugänglich wären. Von der Halbinsel
Malacca trugen mich meine Stiefel auf Sumatra, Java, Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit Gefahr, und dennoch immer vergebens, mir über die kleinern Inseln
und Felsen, wovon dieses Meer starrt, einen Übergang nordwestlich nach Borneo
und andern Inseln dieses Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die Hoffnung aufgeben.
Ich setzte mich endlich auf 114 die äußerste Spitze von Lamboc nieder; und das
Gesicht gen Süden und Osten gewendet, weint’ ich, wie am fest verschlossenen
Gitter meines Kerkers, daß ich doch sobald meine Begrenzung gefunden. Das Merkwürdige, zum Verständniß der Erde und ihres sonnengewirkten Kleides, der Pflanzen
und Thierwelt, so wesentlich nothwendige Neuholland, und die Südsee mit ihren
Zoophyten-Inseln, waren mir untersagt, und so war, im Ursprunge schon, Alles, was
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ich sammeln und erbauen sollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. – O mein
A d a l b e r t , was ist es doch um die Bemühungen der Menschen!
Oft habe ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel vom Cap-Horn aus
jene zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und Neuholland
trennten, selbst unbekümmert um die Rückkehr, und sollte sich dieses schlechte
Land über mich, wie der Deckel meines Sarges, schließen, über den Polarglätscher
westwärts zurück zu legen versucht, habe über Treibeis mit thörigter Wagniß verzweiflungsvolle Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten. 115
Umsonst, noch bin ich auf Neuholland nicht gewesen – ich kam dann jedesmal auf
Lamboc zurück und setzte mich auf seine äußerste Spitze nieder, und weinte wieder,
das Gesicht gen Süden und Osten gewendet, wie am fest verschlossenen Gitter meines Kerkers.
Ich riß mich endlich von dieser Stelle und trat mit traurigem Herzen wieder in das
innere Asien, ich durchschweifte es fürder, die Morgendämmerung nach Westen
verfolgend, und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbestimmten
Hause, das ich in den gestrigen Nachmittagsstunden berührt hatte.
Sobald ich etwas ausgeruht, und es Tag über Europa war, ließ ich meine erste
Sorge seyn, Alles anzuschaffen, was ich bedurfte. – Zuvörderst Hemmschuhe, denn
ich hatte erfahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt nicht anders verkürzen zu
können, um nahe Gegenstände gemächlich zu untersuchen, als indem man die Stiefel
auszieht. Ein Paar Pantoffeln übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich mir
davon versprach, und späterhin trug ich sogar deren immer 116 zwei Paar bei mir,
weil ich öfter welche von den Füßen warf, ohne Zeit zu haben, sie aufzuheben,
wann Löwen, Menschen oder Hyänen mich beim Botanisiren aufschreckten. Meine
sehr gute Uhr war auf die kurze Dauer meiner Gänge ein vortreffliches Kronometer.
Ich brauchte noch außerdem einen Sextant, einige physikalische Instrumente und
Bücher.
Ich machte, dieses Alles herbei zu schaffen, etliche bange Gänge nach London und
Paris, die ein mir günstiger Nebel eben beschattete. Als der Rest meines Zaubergoldes erschöpft war, bracht’ ich leicht zu findendes afrikanisches Elfenbein als Bezahlung herbei, wobei ich freilich die kleinsten Zähne, die meine Kräfte nicht überstiegen, auswählen mußte. Ich ward bald mit Allem versehen und ausgerüstet, und ich
fing sogleich als privatisirender Gelehrter meine neue Lebensweise an.
Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Höhen, bald die Temperatur ihrer
Quellen und die der Luft messend, bald Thiere beobachtend, bald Gewächse untersuchend; ich eilte von dem Aequator nach dem Pole, von der einen Welt 117 nach
der andern; Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend. Die Eier der afrikanischen
Strauße oder der nördlichen Seevögel, und Früchte, besonders der Tropen-Palmen
und Bananen, waren meine gewöhnlichste Nahrung. Für mangelndes Glück hatt’ ich
als Surrogat die Nicotiana, und für menschliche Theilnahme und Bande die Liebe
eines treuen Pudels, der mir meine Höhle in der Thebais bewachte, und wann ich
mit neuen Schätzen beladen zu ihm zurück kehrte, freudig an mich sprang, und es
mich doch menschlich empfinden ließ, daß ich nicht allein auf der Erde sei. Noch
sollte mich ein Abentheuer unter die Menschen zurückführen.
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IV. Afrikanische Straußeneier: Editionsphilologische Anmerkungen
Bei einem Vergleich der neu edierten Fassungen von Kapitel zehn ist zunächst
festzustellen, dass der Textbestand von Sch1 weitgehend auf H1 zurückgeht und
Chamisso nur im zweiten, dritten, vierten und sechsten Absatz von Sch1 Ergänzungen vorgenommen hat. Große Teile des zweiten, dritten und fünften Absatzes
aus H1 sind dagegen gestrichen worden. Auch wenn nicht mit letzter Gewissheit
entschieden werden kann, ob diese Streichungen von Chamisso selbst herrühren,33 belegen die von ihm autorisierten Druckfassungen doch, dass die gekürzte
Fassung des zehnten Kapitels seiner späteren Vorstellung von der Textgestalt entsprochen hat.
Im Hinblick auf die übernommenen Textpassagen aus H1 fällt auf, dass der
Textbestand in den überwiegenden Fällen wörtlich erhalten bleibt, dass aber vielfach orthographische Korrekturen und grammatische Glättungen vorgenommen
werden. So wird beispielsweise das im ersten Absatz notierte „Uhrbild“ (H1 8, 10)
in „Urbild“ (Sch1 8, 10) berichtigt. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass H1 auch
Wortformen enthält, die erst in späteren Drucken wieder vorkommen. So ist im
zweiten Absatz die Verbform „raffte“ (H1 13) mit Doppelkonsonant zu finden,
während Sch1 die im 18. und frühen 19. Jahrhundert ebenfalls gebräuchliche
Form „rafte“ (Sch1 11) bietet.34 Da sich eine analoge Änderung für die Wortgestalt
von „sein“ (H1 168) bzw. „seyn“ (Sch1 62) nachweisen lässt und da auch die
Abschrift die Formen „rafte“ und „seyn“ konserviert,35 könnte angenommen
werden, dass Chamisso die Druckfahnen von Sch1 nicht vorgelegen haben; möglich ist aber auch, dass Chamisso die abweichende Orthographie der Druckfahnen
akzeptiert hat. Neben den orthographischen und grammatischen Korrekturen in
den übernommenen Textpassagen finden sich wiederholt kleinere Textänderungen, durch die der Textsinn jedoch nur minimal verändert wird. Die Unterschiede sind dort gravierender, wo a) Umstellungen, b) Reduktionen, c) Erweiterungen und d) Raffungen beobachtet werden können.
a) Umstellungen: Ein Beispiel für derartige Unterschiede in der Textanordnung
bildet der Beginn des zweiten Absatzes in beiden Fassungen. Während H1 zunächst mit der geographischen Situierung „auf den hohen Ebenen des Tibet“
(H1 11) einsetzt, wird diese Lokalisierung des Geschehens in Sch1 nachgestellt.
Dort beginnt der Absatz mit der Aktivhandlung Schlemihls: „Ich rafte mich auf,
um ohne Zögern [...]“ (Sch1 11). Auf diese Weise bietet H1 einen vergleichsweise
33
Das wird von Schurig bestritten, der ohne nähere Begründung behauptet, die Kürzungen würden
vom „Bearbeiter“ (Chamisso/Schurig 1920, Anm. 11, S. 123) der Handschrift stammen.
34
Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 33 Bde. Leipzig 1854–1971. München
r
1999, Bd. 14, Sp. 57f., mit Beispielen für die Schreibung „rafte“ bei Friedrich Schiller und Johann
Heinrich Voß.
35
Falsch wiedergegeben bei Chamisso/Walzel 1892 (Anm. 9), S. 533, 535. Für den Hinweis auf die
richtigen Schreibungen danken wir Dr. Anna Busch.
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Nikolas Immer, Matthias Glaubrecht
,sanften‘ Einstieg in das Reiseabenteuer, wogegen in Sch1 durch die plötzliche
Aktion des Aufraffens der unmittelbare Beginn der Wanderungen angezeigt wird.
b) Reduktionen: Als Schlemihl nach Ägypten gelangt, bilden die Pyramiden
eines seiner ersten Reiseziele. Doch während er in H1 noch über die Pyramiden
,staunt‘ (H1 26), ist diese ehrfürchtige Wahrnehmung in Sch1 einem eher touristischen Blick gewichen: „Wie ich durch Ägypten die alten Pyramiden und Tempel angafte [...]“ (Sch1 16f.). Mit der Verschiebung im Rezeptionsmodus geht
gleichzeitig eine Änderung der Reiseroute einher: Ursprünglich führt der Weg
direkt zum „hundertthorigen Theben“ (H1 29f.), später werden nur noch die
„Hölen“ der „christliche[n] Einsiedler“ besichtigt, die „unfern des hundertthorigen Theben“ (Sch1 17f.) gelegen sind. Andere Reisestationen wie „Alexandrien“
(H1 25) oder „Memnons Bildseule“ (H1 30), die Schlemihl vor und nach den
Pyramiden aufsucht, kommen in Sch1 überhaupt nicht mehr zur Sprache.
c) Erweiterungen: Zwar überwiegt insgesamt die Tendenz zur Reduktion der
vielfältigen Reisedetails, jedoch geht Sch1 an anderer Stelle auch über H1 hinaus.
So setzt Schlemihl, nachdem er eine Ruhepause in seinem neuen Haus eingelegt
hat, „[s]einen Weg [...] über die höchsten beckannten Unebenheiten unserer Kugel“ (H1 116f.) fort. In Sch1 nun ist der ursprüngliche „Weg“ insoweit konkretisiert, als er dort über „die Bergkette“ „durch beide Amerika“ (Sch1 28f.) führt.
Während in H1 der Eindruck erweckt wird, als bewege sich Schlemihl ohne
genaue geographische Lokalisierung zwischen den höchsten Gipfeln der Erde hin
und her, folgt er in Sch1 den amerikanischen Gebirgsformationen vom Süden bis
in den Norden des Kontinents (vgl. die Tabelle am Beitragsende).
d) Raffungen: Auch wenn die Streichungen ganze Absätze in H1 betreffen, ist
doch festzustellen, dass durch die Streichungen nicht notwendig die gesamten
Textpassagen getilgt werden. So lässt sich nachweisen, dass der zweite Absatz von
H1 punktuell in den dritten Absatz von Sch1 eingeht. Während in H1 die Reiseroute von „Asien“ über den „Polar Glätscher“ und „Groenland“ bis nach
„America“ (H1 80–88) detailreich beschrieben wird, fehlen in Sch1 zwar die im
Kontext der Reisestationen genannten Einzelheiten. Allerdings bleibt die ursprüngliche Route erhalten, da Schlemihls Weg noch immer „von Nordasien
über den Polarglätscher nach Grönland und Amerika“ führt (Sch1 23f.; vgl. die
Tabelle am Beitragsende).
Schließlich ist zu fragen, welche Gründe sich für die ausgreifenden Streichungen in H1 finden lassen. Rogge erwägt, dass sich Chamisso gezwungen sah, die
Kürzungen vorzunehmen, da „die große Reisebeschreibung [...] den ohnehin
stark angespannten Rahmen der Novelle zu sprengen“ drohte.36 Auch wenn diese
Konsequenz etwas überspitzt erscheinen mag, zielt Rogges Begründung doch auf
die künstlerische Ausgewogenheit des Textes, die mit Sicherheit aus dem Gleichgewicht geraten wäre, hätte Chamisso an dem vollständigen Reisebericht fest36
Rogge 1919 (Anm. 6), S. 444.
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Peter Schlemihl als Naturforscher
137
gehalten. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass die Benutzung der Siebenmeilenstiefel eine überaus hohe Reisegeschwindigkeit bedingt. Das wiederum hat zur
Folge, dass die Reisestationen meist in hoher Frequenz hintereinander genannt
werden, ohne im Einzelnen ausführlicher gewürdigt zu werden. Mit Sicherheit
hat Chamisso die Streichungen auch deshalb vorgenommen, um die Erzählung
nicht mit geographischen Details zu überfrachten und um nicht zu sehr vom
Schicksal seiner Titelfigur abzulenken.
Eine zweite Begründung liefert Chamissos Brief vom 11. April 1829 an Karl
Bernhard von Trinius: „Aber mein Zweck war nicht, diese Wissenschaft an den
Mann zu bringen, sondern Hitzig’s Frau und Kinder [...] zu amüsiren“ (ChBr VI,
116). Mit ,dieser Wissenschaft‘ spielt Chamisso auf die Unterscheidung von Sein
und Schein an, die in seiner Erzählung wiederholt aufgegriffen werde. Das heißt:
Auch wenn dem Schlemihl eine dezidiert philosophische Dimension eingeschrieben ist, behauptet Chamisso gegenüber Hitzig, weniger die lehrhaften als vielmehr die unterhaltenden Aspekte bei der Gestaltung seines Werks im Blick gehabt
zu haben. Wird diese Selbstaussage auch auf den beachtlichen geographischen und
naturkundlichen Gehalt des zehnten Kapitels in H1 bezogen, lassen sich die Streichungen als Absicht verstehen, den lehrhaften Duktus dieses Textabschnitts zurückzunehmen. Bereits 1817 behauptet ein anonymer Rezensent jedoch, dass
Chamisso dies nicht hinreichend gelungen sei: „Wir fürchten übrigens, daß man
den Schluß dieser Geschichte zu schwer und gelehrt finden wird; so leicht und
beweglich und einfach wie den sehr gut gehaltenen Anfang hätte man auch das
Ende gewünscht.“37 Und noch im November 1836 wird abermals die Schlussgestaltung bemängelt: „Wer auf so vertrautem Fusse mit dem Teufel gestanden,
der sollte, meinen wir, wohl etwas Höheres und Tieferes zu seiner Beruhigung
bedürfen als mit Siebenmeilenstiefeln die Welt nach Flechten und Moosen zu
durchstreifen.“38
Demgegenüber ist jedoch auch zu vermerken, dass Schlemihls Ausrichtung auf
die Naturforschung nicht durchweg distanzierte Reaktionen zeitigt. Denn im
naturkundlichen Schrifttum des 19. Jahrhunderts taucht die Figur sogar als Referenz auf, um die prinzipielle Bedingtheit jeder wissenschaftlichen Einsicht zu
belegen. So heißt es in Otto Sendtners Abhandlung Die Vegetations-Verhältnisse
Südbayerns (1854): „Die Schranke dieser Erkenntnis kennt der Adept besser, als
der Schüler. Das ist eben Schlemihls Klage auf Lamboc.“39 Dass auch Chamisso
37
[Anonym: Rez.:] Nürnberg, b. Schrag: Peter Schlemihl’s wunderbare Geschichte, mitgetheilt von
Adelbert von Chamisso und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Mit einem
Kupfer. 1814, XII und 126 S. 8. (18 Gr.). In: Ergänzungsblätter zur Allgemeinen Literatur-Zeitung 8, Januar 1817, Sp. 59f., hier Sp. 60.
38
[Anonym: Rez.:] Leipzig, in d. Weidmann. Buchh.: Adelbert von Chamisso’s Werke. [...] 1836.
[...]. In: Allgemeine Literatur-Zeitung 208, November 1836, Sp. 425–431, hier Sp. 431.
39
Otto Sendtner: Die Vegetations-Verhältnisse Südbayerns nach den Grundsätzen der Pflanzengeographie und mit Bezugnahme auf Landescultur. München 1854, S. 2, Anm. 1.
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selbst den geographisch-naturkundlichen Teil an seiner Erzählung schätzte, wird
durch das Indiz gestützt, dass in Sch1 der zusätzliche Hinweis zu finden ist, Schlemihl trete „bei den Herkules-Säulen nach Europa über“ (Sch1 22). Rein geographisch werden damit jene Klippen benannt, die seit dem Altertum die Straße
von Gibraltar markieren.40 In kulturhistorischer Perspektive aber bilden die „Herkules-Säulen“ spätestens seit Francis Bacons Instauratio Magna (1620) eine geläufige
Metapher, die die Durchbrechung bestehender Wissensgrenzen veranschaulicht.41
Da Chamisso die „Herkules-Säulen“ bereits zu Beginn des dritten Absatzes einführt, könnte er auf diese Weise den reichen Erkenntnishorizont der Naturwissenschaften angedeutet haben.
Schließlich lässt sich drittens eine zusätzliche Motivation für die Streichung
einzelner Personennamen anführen. Es fällt auf, dass die in H1 enthaltenen Namen „Lichtenstein“ (H1 42f.) und „Mongopark“ (H1 49) in Sch1 nicht mehr vorkommen. Im ersten Fall wird der Zoologe Martin Hinrich Lichtenstein
(1780–1857) genannt, der zu Chamissos Berliner Universitätslehrern zählt. Indem
Schlemihl den Namen „Lichtenstein“ auf einem Felsen entdeckt, der sich in der
Nähe des Kaps der Guten Hoffnung in Südafrika befindet, referiert Chamisso
implizit auf Lichtensteins Reisen im südlichen Africa in den Jahren 1803, 1804, 1805
und 1806 (1811/12). Zudem findet Schlemihl, kurz bevor er auf den Felsen stößt,
ein „Ei aus einem Straussen Nest“ (H1 40), was an Lichtensteins Schilderung
erinnert, wie die Reisegruppe „im Felde ein Strauß-Nest“ entdeckt, „in welchem
neunzehn Eier lagen“.42 Im zweiten Fall verweist Chamisso auf den britischen
Afrikareisenden Mungo Park (1771–1806), der Ende des 18. Jahrhunderts von der
‘African Association’ ausgesandt wird, um die genaue geographische Lage des
Nigers zu erforschen.43 Schlemihl seinerseits stellt einen direkten Vergleich mit
Park her, da er sich für „glücklicher [hält] als der redliche Mongopark“ (H1 48f.).
Der Komparativ lässt sich als Anspielung auf Parks erste Afrika-Expedition lesen,
in deren Verlauf er nicht nur in die Gefangenschaft der arabischen Mauren gerät,
sondern auch mit schweren Erkrankungen zu kämpfen hat.44 Die Tilgung beider
Namen könnte zunächst dadurch motiviert worden sein, dass Chamisso seinen
Titelhelden nicht die Spuren zeitgenössischer Naturforscher und Entdecker
,nachtreten‘ lassen wollte. Darüber hinaus ist aber auch zu beachten, dass Schlemihl im zehnten Kapitel den Forschungsraum Erde gleichsam ,im Alleingang‘
40
Vgl. Dagmar Walach: Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2009, S. 33.
41
Vgl. Arndt Brendecke: Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonialherrschaft. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 11.
42
Hinrich Lichtenstein: Reisen im südlichen Africa in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806. 2 Bde.
Berlin 1811/12, Bd. 2, S. 39.
43
Vgl. Anthony Sattin: The Gates of Africa: Death, Discovery and the Search for Timbuktu. London
2003.
44
Vgl. Mungo Park: Reisen im Innern von Afrika auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in
den Jahren 1795 bis 1797. Aus dem Englischen. Berlin 1799.
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erkundet: „Löwen, Menschen oder Hyänen“ (Sch1 68) erweisen sich als Störfaktoren beim Botanisieren, und erst am Ende wird angedeutet, dass ihn „ein Abentheuer [wieder] unter die Menschen zurückführen“ (Sch1 88) wird. Vielleicht hat
Chamisso die Verweise auf „Lichtenstein“ und „Mongopark“ letztlich deshalb
getilgt, um Schlemihls Isolierung in seiner neuen Rolle als „privatisirender Gelehrter“ (Sch1 77) noch stärker zu akzentuieren.
V. Tränen auf Lombok: Wissenschaftshistorische Anmerkungen
Im Anschluss an den letztgenannten Begründungsvorschlag für die Streichungen
in H1 sollen weiterführende Aspekte des wissenschaftsgeschichtlichen und insbesondere des biogeographischen Kontexts erörtert werden. Zunächst ist zu fragen, welche Reisestationen und Regionen in Sch1 gegenüber H1 ausgelassen bzw.
verändert wurden. Die tabellarische Gegenüberstellung zeigt (vgl. die Tabelle am
Beitragsende), dass die großen Reisestationen auf den verschiedenen Kontinenten
trotz der ausgreifenden Kürzungen in der stark gerafften Druckfassung erhalten
bleiben. So verläuft Schlemihls Route ausgehend von Tibet und Asien nach Afrika und Europa, das über die Meerenge bei Gibraltar erreicht wird, weiter über
Nord-Asien, von wo aus der Übertritt nach Amerika erfolgt, bis er über die
Beringstraße erneut zurück nach Asien wandert; dieser Reiseabschnitt vor der
Rückkehr in die Thebaı̈s endet schließlich auf der Kleinen Sunda-Insel Lombok.
Wissenschaftshistorisch stellt sich die Frage, über welche faktische Kenntnis geographischer sowie biogeographischer Grundlagen Adelbert von Chamisso zu Zeit
der Entstehung des Peter Schlemihl verfügt hat und warum er die beschriebene und
keine andere Reiseroute gewählt hat.
Die Jahrzehnte zuvor begonnenen Entdeckungsfahrten europäischer Nationen
hatten den bis dahin bereits über Jahrhunderte im Zuge kolonialer Inbesitznahme
vergleichsweise gut bekannten und kartographierten Raum des Indo-Malaiischen
Archipels hinaus in den westlichen Pazifik erweitert. Damit waren letztlich auch
die geographischen Lagebeziehungen der kleinen und großen Sunda-Inseln zum
australischen Kontinent geklärt und die Südsee für weitere Entdeckungen gleichsam geöffnet worden. Im Hinblick auf Chamisso steht zu vermuten, dass die
Vorlesungen des mehrfach erwähnten Zoologen Lichtenstein eine naheliegende
Quelle speziell zoogeographischer Lektionen gewesen sein könnten. Im Chamisso-Nachlass der Berliner Staatsbibliothek finden sich zwar handschriftliche
Vorlesungs-Aufzeichnungen Chamissos, unter anderem auch zu denen Lichtensteins. Allerdings konnten konkrete Hinweise für den hier relevanten Zusammenhang bei der vorläufigen Sichtung bisher nicht entdeckt werden.
Aus wissenschaftshistorischer und insbesondere tiergeographischer Sicht sind
zwei Aspekte des zehnten Kapitels besonders bemerkenswert. Zum einen setzt
sich Schlemihl ausgerechnet auf der „äußerste[n] Spitze von Lamboc nieder“, wo
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er, „das Gesicht gen Süden und Osten gewendet“ (Sch1 39f.), zu weinen beginnt.
Auf diese Weise findet seine ansonsten raumgreifende, interkontinentale Route
ihr vorläufiges Ende. Zum anderen fügt Chamisso in einer höchst verblüffenden,
weil seiner Zeit weit vorauseilenden Einsicht hinzu: „Das Merkwürdige, zum
Verständniß der Erde und ihres sonnengewirkten Kleides, der Pflanzen und
Thierwelt, so wesentlich nothwendige Neuholland, und die Südsee mit ihren
Zoophyten-Inseln, waren mir untersagt“ (Sch1 41–44).
Peter Schlemihl ist offenbar mühelos in der Lage, andere vergleichbare Kontinentalübergänge (die Meerenge von Gibraltar nach Europa, über die Polargletscher und Grönland von Nordasien nach Nordamerika, über die Beringstraße
zurück nach Asien) zu meistern. Dagegen überrascht, dass er trotz seiner Siebenmeilenstiefel von Lombok aus „Neuholland“ (Sch1 43) – wie Australien bis 1814
genannt wurde – nicht erreichen kann. Die Chamisso und seinen Zeitgenossen
sicherlich vertraute Kartenkenntnis lässt hingegen eine Routenfortführung weiter
östlich durch den Sunda-Archipel über Sumbawa, Flores und Timor oder alternativ über die Molukken-Inseln und Neuguinea wenigstens bis nach Australien
durchaus plausibel erscheinen.
Australien, dessen Entdeckungsgeschichte zwar Anfang des 17. Jahrhundert beginnt, aber erst nach James Cooks Weltumseglung 1770 intensiv erkundet wird, ist
zu Chamissos Zeiten zweifelsohne noch nicht hinreichend erforscht. Bemerkenswert ist nun nicht nur, dass insbesondere die Fauna und Flora des australischen
Kontinents mittlerweile eine zentrale Rolle für unser Verständnis biogeographischer Zusammenhänge erlangt hat.45 Auch spielt ausgerechnet die indonesische
Insel Lombok eine Schlüsselrolle bei tiergeographischen Betrachtungen, da zwischen Bali und Lombok (sowie sich nördlich fortsetzend zwischen Borneo und
Sulawesi) eine der markantesten und bedeutendsten Faunenscheiden der Erde
verläuft. Dass hier die später so genannte Wallace-Linie die orientalische von der
australischen Fauna trennt, dürfte Chamisso allen Evidenzen nach noch unbekannt gewesen sein. Dies wird erst mehr als ein halbes Jahrhundert später durch
die sich etablierende Forschungsdisziplin der Zoo- bzw. Biogeographie nachgewiesen.46
Umso beachtenswerter erscheint es, dass Chamisso sowohl in H1 als auch in
Sch1 Lombok als Endpunkt von Schlemihls Weltreise ausweist (vgl. die Tabelle am
Beitragsende). Einschlägige zeitgenössische Schriften wie etwa die im 18. Jahrhundert weithin gelesene Histoire naturelle von George-Louis Leclerc de Buffon
45
Vgl. Matthias Glaubrecht, Nora Brinkmann, Judith Pöppe: Diversity and disparity ‘down under’.
Systematics, biogeography and reproductive modes of the ‘marsupial’ freshwater Thiaridae (Caenogastropoda, Cerithioidea) in Australia. In: Zoosystematics and Evolution 85, 2009, H. 2,
S. 199–275.
46
Vgl. Alfred Russel Wallace: The geographical distribution of animals. With a study of the relations
of living and extinct faunas as elucidating the past changes of the earth’s surface. 2 Bde. New York
1876.
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Peter Schlemihl als Naturforscher
141
(1707–1788), die 1771 in Berlin in deutscher Sprache erscheint,47 liefern keinen
Hinweis darauf, dass ein solcher (tier-)geographischer Hiatus etwa Lichtenstein
oder Chamisso bereits bekannt gewesen sein könnte. Auch die Schriften von
Eberhard August Wilhelm von Zimmermann (1743–1815), der im deutschsprachigen Raum die Anfänge der Tiergeographie begründet, liefern keinen Hinweis
auf entsprechende zeitgenössische Kenntnisse jener Verbreitungszusammenhänge
zwischen Orientalis und Australis. Vielmehr wird zu dieser Zeit der an sich auffälligen diskontinuierlichen Verbreitung noch keine größere Bedeutung beigemessen, und auch Zimmermann geht auf diese nicht eigens ein. Allerdings weist
er trotz lückenhafter Kenntnis schon zu diesem frühen Zeitpunkt auf tiergeographische Besonderheiten der ostindischen Inselwelt in Abgrenzung zu Australien hin.48
In eine andere Richtung zielen die Überlegungen Volker Hoffmanns, der erwogen hat, dass die Streichungen auch damit zu begründen seien, dass nunmehr
„Australien und den Koralleninseln eine ähnliche Begründungsrolle [...] zugeschrieben wird“49 wie dem „hohen und breiten Rücken der Alten Welt“, der
explizit als die „vermeintliche Wiege der jetzigen organischen Schöpfung auf
unserer Erde und der Menschheit“ (H1 15–17) bezeichnet wird. Die entstandene
Deutungskonkurrenz habe Chamisso durch die Streichung einer Passage in der
Reiseroute durch die Alte Welt bereinigt. So originell dieser Gedanke anmutet,
erscheint er doch vor dem Hintergrund der Ursprungsdebatten um 1800 eher
unwahrscheinlich. Zwar werden zur Zeit Chamissos durchaus recht divergierende
Vermutungen über solche Ursprungs- oder Schöpfungszentren der Biota diskutiert,50 doch zählen gerade Australien und die Südsee, insbesondere aufgrund lückenhafter Kenntnisse, keinesfalls zu diesen Regionen.
Nur mehr kurios erscheint schließlich, dass Chamisso mit dem Reiseende auf
Lombok seinen Schlemihl die Südsee mit ihren „Zoophyten Inseln“ (H1 144)
nicht erreichen lässt und ihm damit einen Blick ausgerechnet auf jene von Korallen aufgebauten bzw. umwachsenen Atolle und Inseln versagt, die er selbst nur
wenige Jahre später an Bord der Rurick während der russischen Weltumsegelung
47
Vgl. Wolf Lepenies: Der Wissenschaftler als Autor. Buffons prekärer Nachruhm. In: Ders.: Das
Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des
18. und 19. Jahrhunderts. München 1976, S. 131–168.
48
Vgl. Petra Feuerstein-Herz: Der Elefant der Neuen Welt. Eberhard August Wilhelm von Zimmermann (1743–1815) und die Anfänge der Tiergeographie. Stuttgart 2006, S. 224–226.
49
Volker Hoffmann: Extreme Motorik? Zwei handschriftliche Itinerartypen Adalbert von Chamissos
im Vergleich. In: Korrespondenzen und Transformationen. Beiträge der Chamisso-Konferenz Paris, 8. bis 11. Juni 2011. Hrsg. von Marie-Theres Federhofer und Jutta Weber. Göttingen 2012 [in
Vorbereitung].
50
Vgl. Janet Browne: The Secular Ark. Studies in the History of Biogeography. New Haven, London
1983.
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142
Nikolas Immer, Matthias Glaubrecht
aufsuchen wird.51 Hier gelingen ihm entscheidende Aufsammlungen zoologischer
und botanischer Objekte sowie naturkundliche Beobachtungen. Es sind diese
Forschungen vor allem in der Südsee, die Chamissos Ruf als Naturforscher nachhaltig begründen.
Tabellarischer Vergleich der Reiseroute Peter Schlemihls
H1
11–18
18f.
19f.
23f.
24, 39
48, 55f.
57
59
63
66–70
70–72
76
77–79
81
51
Sch1
Asien
Asien
„Tibet“, „von Osten
„Tibet“, „Aralsee“, „Caspische Meer“
gegen Westen“
„Persien“, „Tigris“, „Euphrats“
„Arabien“: „Bassora“ [Basra], „Mocca“
[Mekka],
„Palestina“: „dreimal heilige Stadt“ [Jerusalem]
13f.
Afrika
„Aegypten“, Niltal bis zum „Cap“
„Nieger“, „Küste des Mittelländischen
Meeres“, „Ceuta“
Afrika
„Ägypten“, „unfern des 16–18
hundertthorigen Theben“
Europa
Iberische Halbinsel, „Pyrenaeen“
Frankreich: „Normandie“, „Engelland“
Französische Alpen, „Schweitz“
Italien: „Cicilien“, „Neapel“, „Rom“,
„Florenz“, „Wenedig“
„Grichenland“, Türkei: „Constantinopel“
[Istanbul]
„Wolga“ bis „Donau“
„Deutschland“, „Dänemark“, Skandinavien, „Lappland“
Europa
„Herkules-Säulen“
[Straße von Gibraltar]
„seine südlichen und
nördlichen Provinzen“
Nord-Asien
„Polar Glätscher“
Nord-Asien
„Polarglätscher“
22
22f.
24
An Hitzig schreibt er im Juni/Juli 1816 von Kamtschatka: „Wir befanden uns bald unter den
niedern Zoophyten-Inseln, die Peter Schlemihl zu sehen wünschte, und landeten auf einer derselben“ (ChBr VI, 38).
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143
Peter Schlemihl als Naturforscher
86–90
93f.
98f.
100–105
106, 121
H1
Sch1
Nord-Amerika
„Groenland“, Nordwest-Passage
„Sanct Lorens“-Strom, „Ohio“,
„Meschasepe“ [Mississippi]
Amerika
„Grönland“
„Amerika“
24
24
Mittel-Amerika
Mexiko, „Landenge Panama’s“
Süd-Amerika
„Rionegro“, „Amazonen Fluss“,
„Panama Fluss“, „Cap Horn“
Anden, „das Reich Montezuma’s“
[Mexiko]
26
„Cap Horn“
„durch beide Amerika die 28f.
Bergkette“ [die Anden]
31
Nord-Amerika
„Helias berg“ [Eliaskette], „Cap prinz
Wales“ [Prinz Wales-Archipel]
„Eliasberg“ [Eliaskette]
159
160, 164
164
Asien
Südwestlich bis China und „Corea“
„Halb-insel Malaca“, „Sumatra Java Bali
und Lamboc“
[...]
„Lamboc“, „Bali Java Sumatra“
„Indien“: „Indus“
„Tigris“, „Euphrates“
Asien
„westliche Küsten“
„Halbinsel Malaca“,
„Sumatra, Java, Bali und
Lamboc“
[...]
„innere Asien“
165
Nord-Afrika
„Thebais“
Nord-Afrika
„Thebais“
59
182
Europa
„London“, „Paris“
Europa
„London“, „Paris“
72f.
124–126
127–129
134f.
editio 26, 2012
32f.
34f.
58
144
Nikolas Immer, Matthias Glaubrecht
Abstract
Adelbert von Chamisso, a German poet with French roots, not only became famous for his
fantastic novel Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte, but was also a later renowned naturalist who circumnavigated the world on board the Russian brig Rurick in 1815–1818.
Anticipating Chamisso’s own naturalist activity the fictitious Schlemihl, in the 10th chapter
of Chamisso’s novel, is described travelling over vast expanses of the face of the Earth.
However, as is described and depicted here the Schlemihl autograph from 1813 reveals an
originally much longer itinerary. When compared to other chapters in Chamisso’s novel,
this itinerary was unusually extensively shortened by the author himself in the printed
version of 1814. Here we give, for the first time, a completely edited transcription of this
chapter, also including the original emendations by the author. We also compare the
original versus printed travel route and comment on it in context of the (bio-)geographical
knowledge of Chamisso’s time.
editio 26, 2012