Eine einfache Weihnachtsgeschichte

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Eine einfache Weihnachtsgeschichte
Adventskalender 2006
Eine einfache Weihnachtsgeschichte
von Sabine & Stephan
1. Dezember
Der Himmel über der glitzernden Ebene hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf
eine Volksmusiksendung geschalten war. Unter den Sternen lag eine Fläche, so
weiß und makellos schön, wie selbst die besten Schönheitschirurgen sie niemals
hinbekommen würden. Es war kalt, und die Kälte hüllte alles in einen
weihnachtlichen Schimmer aus Dunst.
Er liebte die Kälte. Er liebte die Stille. So wie er die kleine Einsiedlerhütte vor ihm
liebte, auf die er nun zusteuerte. Diese kleine Hütte war nun schon eine so lange
Zeit sein Zuhause, dass ihm dagegen selbst zwei Stunden mit einem IngaLindström-Film kurz vorkamen. Gleichzeitig war sie der Sitz seines kleinen
„Familienunternehmens“. Nicht Inga Lindström, sondern die Hütte natürlich!
Der Weihnachtsmann schaute sich noch einmal um und blickte über das ewige
Eis, die Mitternachtssonne am Horizont und seine beiden treuen Rentiere Detlef
und Guido, die selig neben dem Schlitten „eisten“ (an grasen war aufgrund der
meterdicken Schneeschicht nicht zu denken). Er öffnete die Hintertür und ging
hinein.
Das erste was er sah, als er in den gemütlich eingerichteten Büroraum trat (die
Hütte wirkte von innen viel größer als von außen), war „Po“. So nannten sie Elfie,
seine Schreib- und Vorzimmerelfe. Sie hatte ein Problem mit ihrem Hinterteil,
das für elfische Verhältnisse riesig war, weshalb sie jedem der es wissen oder
auch nicht wissen wollte, erklärte, dass sie ihn von ihrer Mutter geerbt hätte, die
eine Flamencotänzerin, einen Sumoringer und zwei bis drei BigMäc in ihrer
Ahnenreihe aufzuweisen hatte. Nun blickte sie gebannt aus dem großen Fenster
neben der Vordertür, das mit Eiskristallen überzogenen war, die entgegen
gewöhnlicher Eiskristalle Szenen aus „Harry Potter und der Feuerkelch“ zeigten.
Auf der Fensterbank neben ihr kniete Dan N. Sweig, der irische Aushilfswichtel,
der ein dampfendes Glas Guinness in der Hand hielt.
»Mann ist das ein Riesending. Das Teil ist ja größer als die Bühne von Rammstein
letztes Jahr.« Diese Äußerung kam von Chris Baum, seinem Programmierer, der
neben Dan aus dem Fenster starrte. Als der Weihnachtsmann ebenfalls nach
draußen sah, erkannte er, dass er damit ausnahmsweise einmal nicht den Po von
Elfie gemeint hatte, sondern ein riesiges Gebäude, das in Windeseile keine 23,45
m von ihnen entfernt, errichtet wurde – und das hier, inmitten der
Abgeschiedenheit des Polarkreises.
2. Dezember
»Also das Gebäude müssen sie mit Elfenkräften hochgezogen haben. Das hat ja
keine zwei Stunden gedauert. Was meinst du, Po?« Chris Baum mampfte
genüsslich an einer Laugenstange mit Elchwurst und Rentiermozzarella.
»Niemals. Schau dir mal die schlampige Verarbeitung an. Ich tippe da eher auf
abtrünnige rumänische Wanderkobolde oder Tine Wittler auf Abwegen. Die
kennen noch nicht mal den Unterschied zwischen Art deco und Art Garfunkel.
Hey, Chef, weißt du was die da treiben und warum sie uns diesen hässlichen
Klotz von einem Bauwerk genau vor unsere Haustür bauen? Ist ja nicht so, dass
hier oben die Gegend besonders eng bebaut wäre.«
Sie hatte sich dermaßen in Rage geredet, dass Teile ihres rosa Nagellacks mit
Stern- und Futterrübenmotiven von ihren Fingernägeln sprangen und leise
gluckernd in Dan N. Sweigs Guinness versanken. Ihr Po wankte dabei gefährlich
und ragte bedrohlich über einem kleinen, unschuldigen Ficus benjamina namens
Fred auf, der sich in diesem Moment nichts sehnlicher als Beine wünschte.
Der Weihnachtsmann hatte keine Ahnung und wollte der Sache gerade auf den
Grund gehen, als die Sache mitsamt dem Grund an seiner Tür klopfte. Nach ein
paar Sekunden allgemeinen Schweigens, in dem nur der Versuch von Chris zu
hören war, ein Stück Elchwurst aus seinen hinteren Backenzähnen zu entfernen,
öffnete der Weihnachtsmann die mit einem kleinen zwinkernden Stoffengelchen
geschmückte Tür. Vor ihm stand der größte und gewaltigste Berg diesseits des
Himalajas. Die Ausläufer des Berges steckten in grünen Rehbock-All-Terrain-AllWeather-Polar-Boots (Yeah!). Seine Mitte war in roten Samt von der Größe des
Saarlands gehüllt und auf seinen, die Breite der Tür verspottenden Schultern lag
so viel Schnee, dass damit eine Schulklasse eine mehrtägige Schneeballschlacht
hätte veranstalten können. Von oberhalb des Schnees, aber noch unterhalb einer
rot-weiß-gestreiften Weihnachts-Basecap, tönte ein tiefer Bass, der die Pohälften
von Elfie zum Schwingen brachte.
»Wär is’ hia dä Boss?«
3. Dezember
»Wär is’ hia dä Boss?«
Beim dumpf ausklingenden „s“ von „Boss“ drohte Elfies linke Pobacke aus ihrem
roten Stringtanga und Chris’ Stück Elchwurst aus dem Zahnzwischenraum zu
springen, in dem es sich aus Angst vor hässlichen und für eine Stück Elchwurst
selten gut ausgehenden Verdauungsprozessen festgeklammert hatte.
»Ich,« versuchte der Weihnachtsmann zurückzupoltern, doch seine Stimme
erinnerte leider frappierend an „Grup Tekkan“ („Wo bischt du, mei’
Anschnallpflischt?“).
»Good. Ick bin Big M. Ihr habt sichärlich schon von mia g’höärt.«
»Nein.«
»Nö.«
»Nicht die Bohne.«
»Nicht, dass ich wüsste.« Elfie befeuchtete sich die Lippen und wuchtete ihr
Dekoltee durch eine geschickte Körperdrehung in höhere Regionen. »Lassen sie
sich von diesem Po nicht täuschen. Ich bin eine waschechte Elfe. Aber schon als
Kind hatte ich mit diesem Hinterteil zu kämpfen. Sie wissen ja genauso gut wie
ich, wie das ist, wenn man als einzige mit einem Po so groß wie Grönland
gesegnet…«
Jede Person mit etwas mehr Gehirn als Elfie wäre beim bohrenden Blick des
Berges zu Staub zerfallen, aber so raste besagter Blick ohne auf nennenswerten
Widerstand zu stoßen durch ihren Kopf, streifte um ein Haar Benjamin Fred (der
daraufhin in Ohnmacht fiel) und zertrümmerte eine „Bernd, das Brot“-Vase mit
norwegischen Eisblumen.
4. Dezember
»Ick – bin – dä – neuä – Chief – in – Town.« Der Berg unterstrich jedes dieser
bedeutungsschweren Worte mit einem Stoß seines Jumbojet-dicken Zeigefingers
gegen die Brust des Weihnachtsmannes. Begleitet vom leisen Knacken seiner
Rippen wählte dieser in Gedanken bereits die Nummer seiner Physiotherapeutin.
»Ick verstähä nicht!« Blöd ausländisch daher stammeln kann ich auch, dachte
sich Dan, der irische Aushilfswichtel, der normalerweise viel weniger Probleme
mit der fremden Sprache als mit den fremden Frauen hier in der Ödnis des
Polarkreises hatte. Aber das gehört jetzt nicht hier her.
»Ick bin dä neuä Weihnachtsman (kein Tippfehler, er sagte wirklich Weihnachts„man“). Ick bin CEO von McMerry, the Christmas Company©, dä
Worldmarktfuhrer im Bereich Digital Advent Celebrations, Home Christmas
Shopping änd E-Christmas. Wia haben unsa Headquarter hia aufgehauen…«
»“Geschlagen“, das heißt „geschlagen“, Mr. Big Irgendwas.« Chris Baum war
dem Berg zwar dankbar, dass er ihm geholfen hatte die Elchwurst aus den
Zähnen zu kriegen, aber… Achtung Wortspiel… im Großen und Ganzen ging ihm
der ölige Schmierlappen, der wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nie ein
gesittetes Heavy-Metal-Konzert von innen gesehen, geschweige denn sich zu den
lieblichen Klängen von ACDC gemütlich übergeben hatte, gehörig auf den Sack –
an dem er sich nun auch demonstrativ kratzte. Big M. blieb völlig unbeeindruckt.
»…unsä Headquarter hia… aufgeschlagen: die World Christmas Towers. McMerry
Inc. is’ the modörnste Christmas Entertainment Factory in der World änd er steht
in ihräm Vorgarden. Das heiß’: Sie sind raus! Ick bin dä neuä Weihnachtsman!«
Ohne ein weiteres Wort knallte Big M. die Tür dermaßen zu, als wollte er sie
gleich mitnehmen.
»Houston, wir haben ein Problem.« Houston war die Katze.
5. Dezember
Nachdem Big M. die Tür zugeknallt hatte und die Schockwelle über sie
hinweggefegt war, legte sich eine bleierne Schwere über die Versammelten, die
nur Sexualpartnerinnen von Luciano Pavarotti nachvollziehen können.
»Wir sind im Arsch,« brach Dan N. Sweig die Stille. Und mit einem Seitenblick
auf Elfie fügte er hinzu: »Sorry, Po.«
»Ich weiß gar nicht, was ihr wollt. Ich fand ihn auf erdrückende Weise gar nicht
mal so unattraktiv. Diese männliche Ausstrahlung, diese animalische Gier… und
wie dann auch noch der Schnee auf seinen Schultern geglitzert hat, wow!«
»Po, schau doch mal aus dem Fenster. Es schneit doch überhaupt nicht. Das war
kein Schnee, das waren Schuppen.«
»Uaaggh. Ok, ihr habt Recht. Ich mag ihn auch nicht.« Elfie widmete sich von da
an mit Inbrunst der Restauration ihrer Fingernägel und der Pralinenschachtel auf
ihrem Tisch.
Während dieser Unterhaltung blieben nur der Weihnachtsmann und Fred, der
Ficus benjamina, die ganze Zeit stumm. Während Fred über die Möglichkeiten
einer Bein-OP nachdachte, suchte der Weihnachtsmann seine über den ganzen
Körper verteilten Rippen zusammen und brachte sie wieder einigermaßen in
Position. Houston lag auf seinem Schoß und schnurrte so laut wie ein VW Käfer
auf der Autobahn. Endlich sprach der Weihnachtsmann.
»Wir dürfen Big M. und McMerry, the Christmas Company©, nicht unterschätzen.
Aber so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. Wir werden…«
In diesem Moment entflammte auf dem 23,45 m entfernten linken Turm der WCTowers, pardon World Christmas Towers, ein riesiges Neon-Schild. Es zeigte zwei
große, gelbe M, um die zahlreiche Dollarscheine herumschwirrten. Darunter
prangte ein Schriftzug: „McMerry. Christmas for the cyber age.“ Taghelle
Suchscheinwerfer durchschnitten die Nacht wie ein Skalpell ein halbes Hähnchen.
Das grelle Neonlicht vertrieb die Dunkelheit und die Sterne und ließ ihrer aller
Stimmung zusammensacken wie die Pobacken von Elfie. Die Nacht schien traurig
wie seit Anbeginn der Zeit nicht mehr, als sie ihren Autoschlüssel nicht mehr
gefunden hatte und den Bus nehmen musste. Die Stille in ihnen und die Stille um
sie herum war vollkommen, bis auf das leise Pfeifen, das die Nase des
Weihnachtsmannes von sich gab: „White Christmas“ in der Interpretation der
Hermes House Band.
»Hey, woas ist denn hiar loos?«
6. Dezember
Knecht Ruhberndl stand mit randvoll gefüllten Tüten in der Eingangstür, die nach
dem Besuch von Big M. schief in den Angeln hing und leise vor sich hinweinte. Er
hatte den ganzen Nachmittag im Kavalleria Kaufhof in Kmjjnäsdöttähmymnnnor
Vorräte eingekauft und hatte auf dem Rückweg noch im örtlichen IGEHAMöbelmarkt (Slogan: „I’ geh’ a öfter mal hin.“) mit einigen schwedischen
Hackbällchen und Verkäuferinnen geflirtet, sich dann aber doch entschlossen nur
die Hackbällchen zu vernaschen und sich die Verkäuferinnen für ein anderes mal
aufzuheben. Ruhberndl war der Rentiereinsatzleiter des Weihnachtsmanns und
für die Koordination der Rentiere, Schlitten und Pobacken von Elfie zuständig,
wobei die letztere Aufgabe eindeutig die Schwerste war.
Bevor er den Job hier bekommen hatte, hatte er sich erfolglos als freier
Unternehmer in den Bereichen IT (Interaktive Telekinese) und EDV (Eitrige
Darmpustel-Verödung) versucht, hatte die Sache jedoch aufgegeben, als er
merkte, dass man als Unternehmer tatsächlich arbeiten muss. Ruhberndl kam
ursprünglich aus dem Outer-Rim, den Randregionen der zivilisierten Welt in der
Gegend um Hof. Er hielt sich jedoch seit einem Wienurlaub für einen
Österreicher, was seine etwas gedehnte Aussprache und ruhige Art erklärte.
Obwohl er seinen Dipl.-Knecht an der renommierten Kött’n’BullarWichtelweihnachtsakademie in Smodssmodsmaggir als Jahrgangsbester
abgeschlossen hatte, legte er keinen Wert darauf, mit seinem akademischen Titel
angesprochen zu werden. Er hatte den Job von Knecht Ruprecht übernommen,
seinem viel bekannteren Vorgänger. Dieser hatte sich vor ein paar Jahren mit
selbst gedrehten Pannenvideos selbständig gemacht und moderierte nun „Upps,
die Superpannenshow“.
»Na, sag’ts scho’. Woas is’ poassiert?«
»Wir sollten ihn aufklären.«
Nachdem sie ihn aufgeklärt hatten und ihm die Sache mit den Bienchen und den
Blümchen erläutert hatten, erzählten sie ihm auch noch von McMerry und der
Bedrohung für ihr kleines Familienunternehmen. Nach einem selbst für
Ruhberndls Verhältnisse langem Schweigen, indem sich Chris Baum, die
gesammelten Werke von Iron Maiden auf seinem tragbaren Transistor-CDSpieler angehört hatte, sagte der Rentiereinsatzleiter:
»So schlümm, wird’s scho’ net werrn. Mach’n wia einfaoch weita unsere
Oarbeit.«
Er sollte sich irren.
7. Dezember
Am nächsten Morgen saßen Knecht Ruhberndl, Dan N. Sweig und Chris Baum bei
einer gemütlichen Tasse Morgenkaffee zusammen. Ruhberndl trank einen
Einspänner, Dan einen Irish Coffee mit extra wenig Kaffee und Chris einen
Erdinger Bierkaffee mit Sahnehäubchen.
»Wer moacht heute den Koaufhoausdienst,« wollte Ruhberndl wissen. Er trug
seinen Weihnachtsmann-roten Pullunder mit Rentierapplikationen, den er 364
Tage im Jahr trug. Am letzten Tag des Jahres trug er nur…
Seine Gedanken wurden abgewürgt, wie ein Truthahn zu Thanksgiving.
»Kaufhausdienst? Also, ich nicht. Ich bin nur der Programmierer,« schnaubte
Chris durch sein Sahnehäubchen hindurch. »Du bist doch der Wichtel, Dan.«
»Du machst das, Chris.« Der Weihnachtsmann war leise und von allen bis auf
Fred, den Benjamin, unbemerkt in den Raum getreten und hatte Chris eine
freundschaftliche Kopfnuss auf den Hinterkopf verpasst, den dieser sich nun
freundschaftlich rieb. Fred freute sich wie ein Schnitzel, dass er dies
vorausgesehen hatte und ließ beschwingt seine Blätter wedeln.
»Ach nö, Boss. Nicht der Kaufhausdienst. Da gibt es nur Kindern, bei denen der
Schritt in der Kniekehle hängt und die mich die ganze Zeit fragen, wie ich den
neuesten Song von Sarah Connor finde.« Chris steckte sich einen Finger in den
Mund und tat so, als würde er sich in den Topf von Fred übergeben, was Elfies Po
zu einem Schmunzeln und Fred zu plötzlichen Fluchtgedanken veranlasste.
»Doch, doch, du schaffst das schon,« erwiderte der Weihnachtsmann. »Aber
vergiss diesmal nicht wieder den falschen Bart, sonst musst du dir erneut
Zuckerwatte aus „Goran Goransonsons Glibberigen Süßwarenladen“ ins Gesicht
kleben. Du weißt wie lange Po, ähm ich meine Elfie, gebraucht hat, um das Zeug
letztes mal wieder abzubekommen.«
»Ich konnte ja nicht wissen, dass Goran Klebereis in seiner Zuckerwatte
verarbeitet.«
Schlecht gelaunt ging Chris Baum hinaus in einen strahlenden Polartag mit
schnuckelig warmen 15 Grad unter Null, um den Rentierschlitten für die Fahrt
vorzubereiten und das Weihnachtsmannkostüm aus dem Schuppen zu holen und
aufzutauen.
8. Dezember
»Also ich verstehe dich wirklich nicht, Darling. Wie kannst du nur jedem Hintern
nachschauen, der an uns vorbeiläuft?«
»Das ist eigentlich ganz einfach. Man muss nur den Kopf parallel zur
Bewegungsrichtung des Hinterns mitführen. Dann kann man sogar die Augäpfel
ruhig lassen.«
»Du bist einfach unmöglich. Liebst du mich denn überhaupt nicht mehr?«
»Werde doch nicht immer gleich so melodramatisch, meine Zimtstange. Nur weil
ich einmal einem anderen Hintern nachschaue…«
»Einmal? Pah, dass ich nicht lache. Alleine heute waren es schon mindestens drei
und dass sind nur die, die ich gezählt habe. Da war z.B. Rudolphino vom
Rentierhändler um die Ecke und…«
»Oh ja, Rudolphino. Der hat aber auch einen schnuckeligen Hintern und der ist
vor allem nicht so beharrt.«
»Hör auf, ich will das nicht hören. Du bist ein ganz Böser… ein ganz Böser bist
du.«
»Aber das magst du doch so an mir, mein Zimtstängchen. Nicht wahr?«
»Trotzdem, so geht das nicht weiter. Wir haben schließlich eine feste
Beziehung.«
»Sei doch nicht immer so spießig, G!. Was ist aus meinem wilden Hengst
geworden, mit dem ich ganze Schneeeulenpopulationen zum Erröten gebracht
und Mengen von Lederriemen durchgescheuert habe?«
»Du bist ein Ferkel, D!.«
»Ich weiß, G!. Aber…«
»…«
Chris Baum trat aus der kleinen Einsiedlerhütte, die innen viel größer war als
außen, und ging auf das Rentiergehege zu, in dem die beiden Rentiere des
Weihnachtsmannes, Detlef und Guido, dicht aneinander gedrängt standen.
»D! … G! … Genug geplaudert. Es wird Zeit für einen Ausflug. Ich habe
Kaufhausdienst.«
9. Dezember
Den Kaufhausdienst konnte ruhig Chris machen, dachte sich der
Weihnachtsmann, als er in sein mollig warmes Arbeitszimmer zurückkehrte. Er
hatte eigentlich überhaupt keine Verwendung für einen Programmierer, aber
wenn er Chris den Kaufhausdienst machen ließ, konnte er ihn zumindest von
seinen Biervorräten fernhalten.
Er hatte Chris von seinem Vorgänger übernommen, dem seligen
Weihnachtsmann Nr. 1478½, der in eingeweihten Kreisen auch als Wendelin, der
Wedler bekannt war. Wendelin hatte eine Schwäche für Eierpunsch, rosa
Eierwärmer (Frühstückseier!!!) und Pariser Haut-Couture gehabt. Letztgenannte
Schwäche sollte ihm zum Verhängnis werden. Er hatte sich eine zur damaligen
Zeit total angesagte Weihnachtsmannmütze von Maitre Bodo Bommel aus Paris
schicken lassen, die mit glitzernden Strasssteinen, einer nach dem Maitre
benannten Bommel aus handgeschorener Angorawolle und einem Hutband
versehen war, das man unter dem Kinn zusammenknoten konnte, damit die
Mütze nicht rutschte. Am Weihnachtsabend wollte er sich gerade einen altviktorianischen Kamin hinab lassen, als sich die Bommel im schmiedeeisernen
Aufsatz des Kamins verfing und… na ja, über den Rest breiten wir besser den
Mantel der ewigen Luftlosigkeit.
Auf seinem Sterbebett, na ja besser auf dem Kaminvorleger des Hausbesitzers,
übergab der Weihnachtsmann seine Geschäfte an einen armen, kleinen
Elektrofachverkäufer, der sich bis zu jenem Zeitpunkt erst einmal etwas geleistet
hatte – einen schmiedeeisernen Kaminaufsatz.
»Du bist nun der Weihnachtsmann. Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Arbeit,«
brachte der scheidende Weihnachtsmann atemlos hervor. »Ich möchte dir noch
drei Dinge mit auf den Weg geben, bevor ich gehen muss: Erstens: Pinkel
niemals gegen den Tundrawind, es sei denn du hast eine gute Waschmaschine.
Zweitens: Entlasse nicht Chris Baum, meinen Programmierer. Seine Zeit wird
kommen. Und drittens: Trage niemals Hutbänder.«
Und so wurde aus dem Weihnachtsmann ein funkelndes Licht am nördlichen
Firmament und aus einem einfachen Elektrofachverkäufer Weihnachtsmann Nr.
1479½.
10.
Dezember
»Es ist furchtbar,« platzte Chris heraus und hinein ins Arbeitszimmer und die
Gedanken seines Chefs. Der Weihnachtsmann verschüttete seine heiße
Schokolade, die er sich aus einer Packung „Edle Tropfen“ geschmolzen hatte. Mit
einer einfachen Geste seiner nun braun-gesprenkelten Hand reinigte er die
Sauerei und ließ das gerade auf magische Weise entstandene Küchentuch durch
die offene Tür in einen Mülleimer sausen. Ein paar Privilegien bringt der Job
zumindest mit sich, dachte er bei sich.
»Kein Problem. Ich hole Po mit dem Nagellackentferner. Dann kriegen wir die
Zuckerwatte schon wieder aus deinem Gesicht.«
»Aber das ist es nicht.« Chris Baum riss sich den falschen Weihnachtsmannbart
vom Gesicht. Seine Nase war rot – entweder vor Kälte oder wegen des
Glühweinstands vor dem Kavalleria Kaufhof in Kmjjnäsdöttähmymnnnor.
»Die Kinder… sie sind noch verrückter als sonst. Sie stehen total auf McMerry,
the Christmas Company© und ihrem ganzen Fastfood-Weihnachten. Als ich
meinte, der Weihnachtsmann – also du, Boss – kommt mit dem Rentierschlitten,
meinten die doch glatt, hinter welchem Rentierhaufen ich denn wohne. McSanta,
das musst du dir mal geben, McSanta,…« Chris verzog das Gesicht als hätte ihn
Elfie gezwungen, den Umfang ihres Pos zu messen. »…komme doch nicht mit
einem Schlitten. Er hätte einen Xmas-Glider, mit dem er mit Hyperdrive um die
Citys jette und die Gifts verteile…«
Vom ganzen Aufruhr angezogen, hatte sich das Büro inzwischen gut gefüllt. Dan
N. Sweig stand neben Chris und sah für einen Wichtel äußerst besorgt aus, als er
an seinem Whiskeyeis leckte. Fred hatte sich im richtigen Moment vom Tisch
fallen lassen und saß nun unbemerkt von Elfie auf deren rechten Pobacke und
lauschte gespannt. Als letzter traf Ruhberndl ein, der sich erst einmal in aller
Ruhe ein vegetarisches Pferdeleberkäsbrötchen gemacht hatte.
»Is’ irgendwoas passiert…?« fragte er zwischen zwei Bissen.
»Wir sind im Arsch,« sagte Dan N. Sweig. Mit einem Seitenblick auf Elfie fügte er
hinzu: »Sorry, Po.«
»Das kannst du wohl sagen, mein irischer Schnuckel.« Dabei fuhr sie ihm mit
einem Lächeln und frisch manikürten Fingernägeln (die diesmal mit
Weihnachtsbaum- und Lebkuchenherz-Motiven verziert waren) über den fast
kahlen Kopf, wobei ein Geräusch entstand, als würde man mit Kreide über eine
Schiefertafel kratzen. Elfie fuhr fort:
»Ich habe heute unsere bisherigen Wunschzetteleingänge überprüft. Wir liegen
dermaßen hinter den letztjährigen Zahlen zurück, wie Notar Dr. Claus Gastroph
bei einem Schnellsprech-Wettbewerb. Außerdem sind uns einige unserer
Spielzeuglieferanten abgesprungen und zu McMerry übergelaufen. Wo sollen wir
den jetzt die sprechende Naddel-Puppe und das Kinder-Chirurgieset für
angehende Golfclubmitglieder her bekommen?«
Elfie hatte sich so in Rage geredet, dass sich Schwitzflecken an bestimmten
Körperregionen zeigten, von denen nicht alle oberhalb der Gürtellinie lagen. Fred
geriet ins Rutschen und fiel von Pos Po herunter, genau auf Houston.
Leicht benommen, aber bis auf eine verstauchte Luftwurzel unverletzt, versuchte
Fred tapfer zu lächeln.
11.
Dezember
»So, da sin’ wir. Kamin Nr. 738.«
Geschickt brachte Knecht Ruhberndl den Rentierschlitten über dem Haus 15 in
der Punschgasse in Christmannsund zum Stehen.
»Pass’ fei auf. Die Durchrutschbreit’n beträgt nua 45,7 cm. Falltiefe: 11,78 m.
Kamingitter mit Spitz’n. Un’ zwei Rottweilaa namens „Mette“ und „Marit“ ham’s
aaa.«
»Ok. Ich geh’ rein.«
Ruhberndl und Dan N. Sweig, der irische Aushilfswichtel, waren auf Horchflug,
wie sie diese Art von nächtlicher Unternehmung nannten. Es ging darum, durch
geschicktes Belauschen die Weihnachtswünsche der Kinder und Erwachsenen zu
erfahren. Dan trug eine hautenge wichtelgrüne Hose mit angenähten Füßen, die
Chris immer völlig unbegründet als Strumpfhose bezeichnete, und dazu einen
ebenfalls grünen Wams mit vielen Taschen, in denen er Langziehohren, Knochen
zur Hundeabwehr, einen Playboykalender von 1978 und eine Sammlung von
Flachmännern aufbewahrte. Mit einer geschickten Handbewegung befestigte er
ein dünnes Seil an seinem Gürtel und ließ sich lautlos vom Schlitten gleiten.
Mit dem Kopf voran, nur von dem dünnen Seil gehalten, das sie letztes Jahr auf
einem Mittelaltermarkt von einer schönen Trödelhändlerin erstanden hatten und
das nicht so aussah als würde es das Vertrauen verdienen, das Dan ihm gerade
entgegenbrachte, seilte sich der Wichtel in Richtung Kamin ab, während der
Autor dieser Zeilen froh ist, diesen langen Satz doch noch zu einem glücklichen
Ende gebracht zu haben.
Ruhberndl versuchte das Gefährt ruhig zu halten, während sich die Rentiere D!
und G! leise stritten.
»… und du klappst auch nie den Klodeckel runter, D!.«
»Ja, wie denn. Ich bin ein Rentier und habe Hufe. Außerdem haben wir
überhaupt keinen Klodeckel, geschweige denn ein Klo.«
»Das du aber auch immer das letzte Wort haben musst.«
»…«
Das letzte Wort G!s ging in einem roten Blitz unter, der mit ohrenbetäubender
Lautlosigkeit und einer derartigen Geschwindigkeit an ihnen vorbeisauste, dass
jedem Polizisten im Umkreis von 300 km die Radarpistole jucken musste. Ein
platt gedrücktes, blinkendes Etwas schwenkte neben sie und ging in einen
Schwebeflug über. Die Rentiere, aufgrund ihres,… ähm „Naturells“ eh ein wenig
schreckhaft, fuhren zusammen. Der Schlitten schlingerte und Dan N. Sweigs
nicht gerade üppig mit Haaren gepolsterter Kopf wurde im Kamin gegen die
Wände geschlagen, als würde er heute das 12-Uhr-Läuten übernehmen.
»Hey…« - ein Uhr - »…was…« - zwei Uhr - »…geht da…« - drei Uhr - »eigentlich
vor,…« - vier Uhr - »you f**** b***** o** s*** d***** b***« (Oh ja, Iren
können fluchen, da machen irische Wichtel keine Ausnahme.)
Dem platten, blinkenden Etwas klappte eine Klappe auf und eine Menge von
McMerry, the Christmas Company© Mitarbeitern erschien auf der Bildfläche. Alle
waren solariumsverbrannt, muskelgestählt und verbreiteten die Intelligenz eines
Spreewaldgürkchens. Sie trugen eng anliegende rote Trikots mit rosa Pelzbesatz,
rot-weiß-gestreifte Weihnachts-Basecaps und ein überhebliches Grinsen im
Gesicht.
»Dies ist unser Kamin, wie übrigens auch alle anderen hier. Verzieht euch also.
Sonst zeigen wir euch wo der Barthel die Post holt.«
»„…den Most holt“ heißt das, ihr Feifen.« Dan N. Sweig hatte sich inzwischen
wieder hinauf in den Schlitten gezogen. Sein Kopf war puderrot, was entweder
daran lag, dass er den Kaminwänden näher gekommen war als jemals einer
seiner Exfreundinnen oder daran, dass ihn irgendjemand WIRKLICH wütend
gemacht hatte. Ruhberndl tippte auf letzteres, lehnte sich entspannt zurück und
ließ der Sache ihren Lauf. Er hörte Dan sagen:
»Und nun unterhalten wir uns mal über gute Manieren.«
12.
Dezember
»Oh, mein Gott. Wie seht ihr denn aus?« Elfie war so außer sich, dass sie meinte
ihren Po von hinten sehen zu können.
»Du solltest mal die anderen Feifen sehen. Die sehen noch viel schlimmer aus.
Au!«
Der Po hatte gerade einen Kupfersplitter aus demselbigen von Dan gezogen.
»Wie hast du das denn hingekriegt?« fragte sie.
»Dachrinne.«
»Oh, verstehe.«
Der Weihnachtsmann saß mit dunkler Miene in seinem Lehnstuhl. Er war kein
Freund von Gewalttätigkeiten – außer vielleicht Damen-Wrestling und
Nachmittags-Talkshows, die er sich gern im Fernsehen ansah – aber er konnte
Dan verstehen. Außerdem zeigte der Zwischenfall zwei Dinge. Erstens, dass
McMerry es ernst meinte und ihn und sein kleines Familienunternehmen wirklich
vernichten wollte. Und zweitens, dass Big M. keinerlei Geschmack hatte, was die
Uniformen und geistige Gesundheit seiner Mitarbeiter betraf.
»Also diese sogenoannt’n Xmas-Glider sin’ einfoach furch’boar. Die schau’a aus
wia a Coca-Cola-Weihnachtstruck, nachdöm sich Ottfried Fischer draufg’setzt
hoat. Aber Dan hoat ja a paa’ schöana Beul’n neig’macht.« kicherte Ruhberndl,
während er eine Beule von der Größe von Elfies linker Pobacke mit 15
Elchschnitzeln kühlte.
»Aber das schlümmste woar…« fuhr er fort. »…, dass die Hoausbewoahner von
all dem Löarm aoufgewocht sin’. Ich hab a Woachenration „Vergiss-mich“-Zauber
benützen müss’n, damit se nicht die Kapplhirsch’n rufen.«
»Wen?« fragte Elfie dazwischen, der ihr Po von hinten langsam zu gefallen
begann.
»Er meint die Polizei.« übersetzte Chris, der neben Dan stand und ihm ein Glas
warmes englisches Bier und einen Strohhalm hinhielt.
»Das hätte uns gerade noch gefehlt.« Es war das erste mal, dass sich der
Weihnachtsmann zu Wort meldete. Er hatte sein weihnachtsmännlichstes Gesicht
aufgesetzt und sprach mit tiefer, ernster Stimme, die seinen Schnurrbart in 10Hz-Schwingungen versetzte.
»Wir brauchen einen Plan. Wenn McMerry gewinnt, ist es mit Weihnachten, wie
wir es kennen und lieben, vorbei.«
Elfie hielt ihm einen Gebäudeplan entgegen.
»Nein, Elfie. So einen Plan habe ich nicht gemeint.« Mit einem väterlichen
Lächeln tädschelte er Elfies… Wange. (Hey, er ist der Weihnachtsmann!) »Aber
zum Glück haben wir zumindest weitere Aufmerksamkeit vermieden. Es hätte
also durchaus schlimmer kommen können.«
Und es kam schlimmer. Es klopfte schon wieder an der Tür.
13.
Dezember
Bei jedem Klopfen zuckte die verängstige Tür zusammen, aber das Klopfen
stammte nicht von Big M. Das Klopfen war feiner und leiser, aber mit einem
verbissenen und leicht überheblichen Unterton – das Klopfen eines Mannes im
öffentlichen Dienst.
Erleichtert, dass Big M. nicht zurückgekommen war, schwang die Tür auf, als
Elfie die Klinke herunterdrückte. Der Mann, der vor der Tür stand, war klein. So
klein, dass Fred sich strecken musste, um einen Blick auf den Mann hinter Elfie
zu erhaschen.
Der Mann trug einen grauen Pelzmantel mit Vogelschissmuster, eine ebensolche
Pelzkappe, eine Schweinslederimitat-Aktentasche und brachte das Odeur von
ungelüfteten Amtsstuben mit.
»Ich bin Chief Xmas Administrative Officer Hum Orlosson. Ich habe ihnen einen
äußerst wichtigen und folgenschweren Bescheid zu übergeben.«
»Mr. Orlosson, schön sie zu sehen,« log der Weihnachtsmann und er schämte
sich auch ein kleines bisschen dafür, wenn auch nur ein kleines bisschen. »Neuer
Titel? Ich dachte, sie wären Weihnachtsmann-Inspektor.«
»Das bin ich. Das bin ich. Das heißt, das war ich. Das war ich. Nun heißt es Chief
Xmas Administrative Officer, oder kurz CXAO. Man muss mit der Zeit gehen,
nicht wahr?« Dabei drehte er sich herum und offenbarte die Buchstaben CXAO
auf dem Rücken seiner Pelzjacke. Der Knilch hält sich tatsächlich für einen aus
„CSI“, dachte Chris Baum bei sich.
»Da bin ich ganz ihrer Meinung,« warf Elfie dazwischen. »Ich für meinen Teil,
sage immer zum Chef, wir müssen uns weiterentwickeln. Wir brauchen ein
Fitnessstudio im Keller, damit ich an meiner Problemzone arbeiten kann, die sie
sicherlich schon bemerkt haben. Aber das ganze – also mein Po – ist genetisch
bedingt. Eine meiner Vorfahren war eine spanische Nackttänzerin mit einem
wirklich gewaltigen Hinterteil…«
»Elfie! Bitte! Es reicht. Und wir haben hier überhaupt keinen Keller. Hier herrscht
Permafrost, falls du es noch nicht bemerkt hast. Außerdem interessiert den
Inspektor…«
»CXAO, wenn ich bitten darf.«
»…den XCOA dein Hinterteil nicht die Bohne.«
»Nein?« Elfie sah aus, als wäre ihre Lieblingsfernsehserie abgesetzt worden. Der
Weihnachtsmann bereute seine Worte sofort, doch zum Glück kam ihm Dan N.
Sweig zu Hilfe.
»Also mich interessiert dein Po. Ehrlich! Ich schau’ ihn mir gleich morgen früh
einmal an. Ok?« Als Dan sich dem Weihnachtsmann zuwandte, formulierte dieser
ein stummes „Danke“ mit den Lippen.
Ȁhem, wenn wir wieder zum eigentlichen Zweck meines Besuchs kommen
könnten,« versuchte sich Hum Orlosson Gehör zu verschaffen. »Ich muss sie
leider unterrichten, dass ihre Weihnachtsmann-Lizenz abgelaufen ist und auch
nicht mehr verlängert wird.«
Die Stille, die den Raum erfüllte, war so groß, dass sie wohl auch Elfies Po erfüllt
hätte. Fred traute sich kaum zu atmen und zwang sein pochendes Pflanzenherz
zur Ruhe.
»Wie bitte?« entfuhr es dem Weihnachtsmann. »Ich wusste ja gar nicht, dass ich
überhaupt eine Weihnachtsmann-Lizenz brauche.« Bei den letzten beiden Worten
richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und benutzte einen kleinen
Verstärkungszauber um seine Stimme wie Mick Jagger bei einem Rolling-StonesKonzert klingen zu lassen.
»Äh, sagte ich „abgelaufen“? Ich meinte natürlich: Der Weihnachtsmann benötigt
ab jetzt eine Weihnachtsmann-Lizenz. Und die werden wir an McMerry, the
Christmas Company© vergeben, so wie die Dinge liegen.«
»Wie viel hat ihnen McMerry, the Feifen Company© gezahlt?« Dan sprach aus,
was sie alle dachten.
»Wollen sie damit etwa andeuten, dass sich ein CXAO bestechen lässt?«
plusterte sich Hum Orlosson künstlich auf. Es gelang ihm sogar, dass sich seine
mausgrauen Nüstern in gespielter Bestürzung blähten.
»Aber natürlich, und da ihr Schmierlappen im öffentlichen Dienst für jeden Mist
drei Durchschläge braucht, ist die Summe nur einfach vier mal höher als bei den
anderen.« versuchte Chris Baum mit seinem unnachahmlichen Gespür für
Nuancen die Situation zu entschärfen.
Hums Kopf wurde so rot wie der Hintern von Saunagängern nach einem Aufguss.
»So, das war’s! Sie sind raus aus dem Geschäft.« Sagte es und wollte aus der
Hütte stürmen. Doch etwas hielt ihn auf.
In der immer noch offenen Tür stand eine Gestalt mit zwei Löffeln.
14.
Dezember
»Hey Hase, alter Gauner. Was machst du denn hier?« Der Weihnachtsmann war
aufgestanden und hatte sich zu seinem alten Freund, dem Osterhasen,
heruntergebeugt und ihn umarmt.
»Ich war gerade mit…« Er schnippte elegant und nacheinander traten junge
hübsche Häsinnen in sündhaft teuren Schneeoveralls in die Hütte.
»…Gertrud – Sonnhild – Berta – Brunhilde – Magda – Kunigunda – Bärbel –
Walburga und Lisalotta auf dem Weg nach St. Tropez als mich dieses komische
Gefühl ereilte, dass mein alter Freund hier in Schwierigkeiten steckt. Es war wie
ein Vibrieren ganz tief in meiner Magengegend, kann ich euch sagen.« Und mit
einem Zwinkern und etwas leiser fügte er hinzu: »Wenn man es genau nimmt,
war es ein Vibrieren in der Magengegend, verursacht durch einen Anruf meines
Kontaktmanns bei der hiesigen Weihnachtsmann-Aufsichtsbehörde auf meinem
Handy. Na, und wer ist denn diese Schönheit?« Der Osterhase verbeugte sich vor
Elfie und gab ihr einen ziemlich feuchten Handkuss auf ihre manikürten
Vorzimmerelfenhände.
»Po.« stammelte die Elfe. »Ähm, ich meine Elfie.« Nur das Gegengewicht ihres
Hinterteils verhinderte, dass Elfie umkippte.
»Und was sie angeht, mein lieber Herr Inspektor, kann ich ihnen nur sagen, dass
sie den Weihnachtsmann nicht so einfach… austauschen können. Da habe ich
schon noch ein Möhrchen mitzureden, wie sie sehr genau wissen.« Er buffte dem
Inspektor kollegial, aber mit präzisem Handkanteneinsatz in die Rippen. Das
Knirschen ließ alle Herzen im Raum höher schlagen, wenn auch aus
verschiedenen Gründen.
Als Hum Orlosson seine Puls beruhigt und seine Atmung wieder gefunden hatte,
die sich hinter Freds Topf versteckt hatte (was Freds oft unterschätzter Nase gar
nicht gut tat), keuchte er: »Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass sie die Stelle zum Weihnachtsmann schon ausschreiben
müssen, wie es in den abendländischen Weihnachtsstatuten von 1217
festgeschrieben ist. Ich schlage also einen fairen Wettkampf vor. Möge der
bessere Weihnachtsmann…« Er zwinkerte zuerst dem Weihnachtsmann und dann
Elfie zu. »…gewinnen.«
Elfie war vom Osterhasen so hingerissen, dass sie ganz vergaß ihn auf ihre „Poblemzone“, pardon „Problemzone“ hinzuweisen. Der Hase sammelte seine
Häsinnen ein und verschwand mit einem »So, Mädels, nun aber schnell zum
Flieger, ich habe für heute Abend einen Tisch im „Crazy Bunny“ reserviert.« aus
der Tür.
Er drehte sich noch einmal um und flüsterte Elfie ins Ohr: »Und wenn sie jemals
genug von diesen alten Langweilern haben sollten, möhren sie mich an. Ich bin
Tag und Nacht für sie da.«
Elfie hörte ihren Aufprall auf dem Boden nicht mehr. Ihre Träume waren einfach
zu süß.
15.
Dezember
In den darauf folgenden Tagen stürzten sie sich in den Wettbewerb, wie
jugendliche Hartz-4-Empfänger auf ein Popstars-Casting. Elfie hatte ihr Büro in
einen militärischen Kommandostand verwandelt, inklusive Kartentisch und
sinnlosen durchsichtigen Trennwänden, auf denen sie ihre Wocheneinkäufe
notiert hatte. Soeben fasste sie die aktuellen Entwicklungen zusammen:
»Männer, wir haben uns bis jetzt gegen die Übermacht von McMerry gut
geschlagen. Zwar mussten wir Japan aufgeben. Dieses Volk ist einfach zu
technikverrückt für uns. Da konnte Big M. mit seinen elektronischen
Hundehaufen und digitalisierten Bandwurmzuchtfarmen punkten. Auch die USA
haben wir verloren, da wir mit unserem Niveau einfach nicht so weit herunter
konnten, wie es nötig gewesen wäre, um gegen die George-DabbleJu-Bush-„Ich
bin eine Prezel“-Puppe von McMerry ankommen zu können. Aber was soll’s.
Nachdem wir unsere Taktik geändert haben und verstärkt die Montessori- und
Walldorfschulen Schrägstrich Kindergärten angegangen sind, haben wir das
Segment der umweltbewussten Veganer, Räucherstäbchenjunkies, Deutschlehrer
und Rosenkohlfanatiker für uns entschieden. Chris konnte uns durch seine
geniale Idee eine Christbaumspitze auf den Markt zu bringen, die „Temple of
Love“ von den Sisters of Mercy spielt, die nicht unwichtige Randgruppe der
kaufkräftigen Headbanger über 30 erschließen.«
Elfie ging im militärischen Stechschritt im Büro auf und ab. Fred, der einen
Stahlhelm trug, sah ihr gespannt nach.
»Und unser lieber Dan…« Seit sich Dan ihren Po angesehen hatte, war er bei ihr
nur noch „unser lieber Dan“, was Chris Baum zu gelegentlichen Frotzeleien
bewegte. Erst gestern hatte er an Dan N. Sweigs Dienstelch ein großes Schild
über dem Nummernschild angebracht auf dem „Elfies Liebling“ stand.
»…also unser lieber Dan ist gerade dabei zusammen mit seinen Kumpels vom
„Three Drunken Lizards & a little Giraffe“, dem Irish Pub drüben in Hinterngsund,
ein Bier mit Lebkuchen- und Zimtaroma zu brauen. Das sollte uns Irland,
Schottland und Bamberg sichern.«
Alles lief gut.
Bis zu jenem schicksalsschwangeren Tag Mitte Dezember.
16.
Dezember
An diesem Tag Mitte Dezember, hatte D! wieder einmal Liebeskummer, da ihm
G! zum x-ten Male vorgeworfen hatte, sich bei seinen Eltern nicht zu benehmen.
Was konnte er dazu, dass G!s Mama immer diese fürchterlichen Saubohnen
machte, auf die er so Blähungen bekam.
D! versuchte seinen Kummer in Eierpunsch zu ertränken, doch der konnte
schwimmen – und zwar richtig gut. Nach zwei oder drei Eimern von „Elmars
eklektischem Eierpunsch extrastark“ waren die Sorgen immer noch da, aber D!
völlig hinüber. Als er nun zusammen mit G! den Schlitten zog, auf dem der
Weihnachtsmann und Knecht Ruhberndl saßen, musste er sich beherrschen keine
Schlangenlinien zu fahren… äh, fliegen… äh, ihr wisst schon.
Als sie gerade mit einem Affenzahn durch die Wischniposa-Schlucht nahe
Zeegendorf bretterten, hörten sie das unheilvolle Heulen eines Polizei-Schlittens,
der sie auch kurz darauf überholte und in den Seitenstreifen drängte. Es war ein
neues Modell von Merschneedes, dass von vier überheblich dreinblickenden
kanadischen Rentieren gezogen wurde, die sich für etwas Besseres hielten und
ihren Kopf so hoch trugen, dass sie Fliegengittern an den Nüstern brauchten. Auf
ihren Köpfen thronte jeweils ein wild blinkendes Blaulicht. Der Polizist, ein
Schrank mit Wikingerhelm, stieg aus und ging mit einem Gang, der an plötzliche
Inkontinenz erinnerte, auf den Schlitten des Weihnachtsmanns zu.
»Wissen sie eigentlich, wie schnell sie gefahren sind?«
»Nein, keine Ahnung, der Tacho ist schon seit 1971 kaputt, als sich Eddie, der
Riesenelch, der sich für ein Mammut hielt, darauf setzte…, aber das interessiert
sie gewiss nicht.« fügte der Weihnachtsmann ein wenig kleinlauter hinzu, als er
die Dampfwolken sah, die aus den Nasenflügeln des Polizisten stieben, die in
ihrer Jugend ursprünglich einmal Eisenbahntunnel werden wollten.
»Sagen sie mal: haben sie was getrunken?«
»Keinen Tropfen.«
»Und die da?« Der Polizist deutete mit dem linken Horn seines Wikingerhelms
auf die beiden Rentiere, die etwas wärmer als gewöhnliche Rentiere in der
Abenddämmerung dampften.
»Ähmm, …«
Der Schrank schritt auf seinen kurzen Stummelbeinen auf G! und D! zu, die ein
plötzliches Interesse an einem einsamen Eichhörnchen-Knödel zeigten und
interessiert zu Boden starrten. D! kaute versteckt auf einem Duftbaum mit
Fichtennadelduft, den ihm Knecht Ruhberndl noch schnell zugesteckt hatte.
»Aha, rieche ich da etwas Eierpunsch und einen Duftbaum mit Fichtenaroma?«
Ein Lächeln kroch über das Schrankgesicht, wie Eisblumen über ein Fenster zur
Mitternacht. »Tja, dann blasen sie mal.«
»Na, sssie gehen aber rahaan, ssssie Schschschlingel ssssie,« lallte D! zurück.
»Aber ich glauhaube nich’, dassss dasss G! recht wäre. Aba fffielleicht können wir
esss unssss ja auch su dritt jemüütlich…«
In der Morgendämmerung erreichten der Weihnachtsmann, Ruhberndl und G! die
kleine Einsiedlerhütte, nachdem sie stundenlang vergeblich versucht hatten, D!
aus dem Gefängnis zu holen, in das ihn der Schrank wegen Beamtenbeleidigung
geworfen hatte. Ruhberndl und der Weihnachtsmann zogen den Schlitten hinter
sich her, auf dem G! weinte und die ganze Heimfahrt über eisige Tränen vergoss.
Als sie allen die Geschichte erzählt hatten, fasste Dan ihrer aller Gedanken
zusammen:
»Ohne ein zweites Ren sind wir im Arsch.« Und mit einem Seitenblick auf Elfie
fügte er hinzu: »Sorry, Po.«
17.
Dezember
»Es muss doch irgendwo noch ein Rentier aufzutreiben sein.« donnerte der
Weihnachtsmann in bestem Jose Carreras Bass. Die Eisblumen an den
Bürofenstern, die heute Szenen aus „Harry Potter und der Schnippel von
Azimuth“, dem eher unbekannten Band 5¾, zeigten, wackelten gefährlich.
»Es ist aussichtslos, Boss,« erwiderte Chris über einer Tasse dampfenden
Gewürzgrog gebeugt. »Ich habe bei den Inuit angerufen, bei den Samen, … bitte
keine Witze, Dan… und bei den Wanderzirken,… -zirkussen,… wie auch immer.
Nichts. Kein einziges Ren mehr zu haben, außer dem alten Jack D., drüben in
Tennessee, aber der hat sich so dermaßen das Gehirn weg gesoffen, der könnte
einen Schlitten nicht einmal mehr von seinem Zivi unterscheiden.«
Dan warf ein: »Ruhberndl hat die ganzen Renverleiher angerufen. Aber auch hier
nichts, nicht einmal Rent-a-Ren™ hat noch ein Tier zu vermieden.«
»Das kann doch nicht sein.« Der Weihnachtsmann wusste nicht mehr weiter und
wo er heute Morgen seine zweite Socke hingelegt hatte. Er seufzte. Fred seufzte
ebenfalls.
»Ich weiß warum.« Elfies Po war – kurz gefolgt von Elfie – im Büro erschienen.
In ihren Händen trug sie eine Unmenge von Einkaufstüten, die den Schriftzug
jeder Boutique der Stadt zu tragen schienen. Wenn das wirklich alles Klamotten
waren, konnte man damit die Hilton-Schwestern für ein Jahr ausstaffieren,
dachte Dan N. Sweig bei sich und strich sich über die grüne Strumpfhose,…
pardon Hose.
»Ich habe gerade mit Gerhildtraut, der schwachsinnigen Schwägerin meines
Friseurs geredet. Die kennt Susi, die für „Krauts’n’Plauts“ drüben in
Kmjjnäsdöttähmymnnnor arbeitet. Und die hat im Pediküren-Studio von Madame
Parmesandottir zufällig mit angehört, wie eine andere Kundin, die wegen übel
riechender und äußerst schmerzhafter Stinkwarzen in Behandlung war, von
ihrem Großneffen erzählt hat, der seit der letzten Mitsommernacht mit einem
Mädchen aus Waafnetrum geht, dass bei McMerry als Tierärztin…«
»Gibt’s davon auch die Single-Version. Ich wollte mir nicht gleich das ganze
Album reinziehen.« Diese Äußerung brachte Chris einen bitterbösen Blick von
Elfie und dankbare Blicke der restlichen Mannschaft ein. Alle warteten gespannt.
»Du willst die Kurzfassung?...McMerry hat alle Rentiere diesseits und jenseits der
Polarkreise aufgekauft bzw. einfangen lassen und sie in einen High-TechStreichelzoo drüben in den World Christmas Towers gesteckt. Und Zugang zu
dem Zoo kann nur Big M. persönlich gewähren. Er hat da wohl so einen
geheimen Knopf in seinem Büro. Seinem extrem streng bewachten Büro, wie ich
noch hinzufügen möchte.«
»Wir sind im…«
»Sag’s nicht, Dan. Sag es bitte nicht.«
Alle saßen geknickt herum – wie Gänseblümchen auf einem Elefantenpicknick.
Elfie dachte nicht einmal mehr an ihren Po, Chris schmeckte der Grog nicht mehr
und Dan war es plötzlich völlig egal, dass er in einer grünen Strumpfhose hier
herum saß. Sogar Fred war zumute, als wäre ihm eine Laus über die Luftwurzeln
gelaufen.
Mit einem Mal huschte der Anflug einer Boing 747, zumindest ihr LächelÄquivalent, über das gütige Gesicht des Weihnachtsmannes. Er ergriff das Wort,
das quietschend in eine Ecke des Raums sprang.
»Mann, bin ich verspannt. Ich glaube, ich sollte mal meine Physiotherapeutin
anrufen.«
18.
Dezember
»Mein Name ist Fee. Physio Fee. Hier ist meine Karte.«
Eine atemberaubende Blondine stand 17 Minuten und eine Elchtaxirechnung über
21,78 € später in ihrem Büro. Dan und Chris bekamen ihre Münder nicht mehr zu
und setzten zusammen den Boden fast vollständig unter Wasser. Fred, der
Benjamin, zog vorsichtshalber schon einmal seine kleinen limettengrünen
Gummistiefel an.
Dan und Chris hatten je ein Ende der Karte von Miss Fee erfasst und zogen wie
wild daran. Keiner wollte loslassen.
»Bienchen!« Der Weihnachtsmann kam aus seinem Arbeitszimmer, eilte
freudestrahlend auf die Blondine zu und zog sie in seine großen Arme. »Schön
dich zu sehen. Du siehst wie immer fabelhaft aus.« Und etwas leiser und mit
einem Seitenblick auf Chris und Dan, die immer noch um die Karte rangelten,
fügte er hinzu: »Ich denke, dass sehen meine Mitarbeiter genau so.«
Fee kicherte.
»Nenn’ mich doch bitte nicht immer „Bienchen“. Das war doch in einem anderen
Leben.« Und bei einem anderen Auftrag, fügte sie in Gedanken hinzu. » Jetzt
nenne ich mich Fee. Physio Fee.«
Fee stand in der Mitte des Raumes und ließ ihn erstrahlen, wie es kein
Weihnachtsbaum je gekonnt hätte. Das Licht von Freds Leselampe funkelte und
tanzte auf ihren blonden Locken. Es schien fast so als würden sich kleine
glitzernde Lichtteilchen von ihrem Haar lösen und in die Welt hinaus springen,
um sie zu einem besseren Ort zu machen. Ihr Lächeln war ehrlich und
ansteckend, ihr Grübchen tief und süß, wie eine Honigpraline in einem Bergwerk.
Sie hatte eine Ausstrahlung, in die man sich hineinlegen und nie wieder
hinaussteigen wollte.
Sie trug ein knappes, elegant geschnittenes Physiotherapeutinnen-Kleid in
zartrosa, auf dem vorne ein großes weißes Kreuz abgebildet war. Auf ihrem Haar
steckte eine kleine rosa Haube in Form eines Krönchens. In der Hand hielt sie ein
kleines 15 x 15 cm großes Köfferchen in derselben Farbe.
»Kann ich dir etwas anbieten, Fee?« lächelte sie der Weihnachtsmann an.
»Eine Latte….« Chris und Dan schauten sich an und wurden kollektiv rot.
»…Macchiato wäre nett. Danke! Aber nur, wenn es keine Umstände macht. Ich
nehme meinen Milchschaum geschüttelt und nicht gerührt.« Sie setzte sich in
einen großen Ohrensessel, der sie zu umarmen schien.
»Ich weiß.« Eine dampfende Tasse Kaffee stand plötzlich vor ihr auf dem Tisch,
die sich sichtlich freute, von Fee getrunken zu werden und noch einmal den Sitz
ihres geschüttelten (und nicht gerührten) Milchschaums kontrollierte.
Und dann begann der Weihnachtsmann zu erzählen. Eine halbe Stunde später
schloss er: »… und sie haben D! in das Rentiergefängnis nach Renkaban
gebracht. Da bekommen wir ihn niemals heraus. Und alle anderen Rentiere
befinden sich im so genannten Streichelzoo von McMerry drüben in den WCTowers. Wir brauchen jemanden, der sich in das Büro von Big M. schleicht und
die Tore des Zoos öffnet. Und ich dachte, vielleicht könntest du das…?«
Er ließ den Satz in der Luft schweben wie einen mit Helium gefüllten Luftballon
an einem Kindergeburtstag.
»Aber ich sag dir gleich,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »das wird nicht einfach.
Die haben da drüben Sicherheitskameras, Kobolddetektoren,
Christbaumkugelselbstschussanlagen und eine Unmenge an Wachleuten. Das
wird kein fairer Wettstreit.«
»Ich weiß.« antwortete Fee und ein Lächeln, das ausreichte ganze Galaxien zu
erleuchten, spielte um ihre wundervoll vollen Lippen. »Aber ich verspreche dir,
ich tu’ ihnen nicht weh. Was ich brauche ist ein Plan des Gebäudes und
irgendeine Möglichkeit hinein zu kommen.«
Elfie hielt ihm einen Gebäudeplan entgegen.
»Nein, Elfie. So einen Plan haben wir nicht…« Der Weihnachtsmann stockte. Der
Plan zeigte nicht seine kleine Einsiedlerhütte, sondern etwas, das aussah wie
zwei Türme.
»Elfie, das ist doch nicht, was ich denke, das es ist?«
»Doch, das ist es.« Elfie strahlte über alle vier Backen.
»Wo hast du…?«
»…das her? Also, du weißt doch, dass ich Dienstag mit G! und D! immer zur
Unterwasser-Rentiergymnastik mit ayurvedischem Aqua-Jogging und
anschließendem Hufpeeling gehe. Und die Schwiegermutter des Bademeisters
hat denselben Hutmacher wie…«
»Ok. Wir haben verstanden.« Dan N. Sweig nahm ihr den Plan ab und studierte
ihn. »Da ist Big M.s Büro. Mann, das ist ja riesig. Darin könnte man ja eine
Runde Troll-Rugby spielen.«
»Dann muss ich nur noch irgendwie reinkommen.« Fee war aufgestanden. Ihre
Wangen glühten vor Aufregung wie Nonnen an einem Nacktbadestrand.
Chris, der bisher ruhig in einer Ecke gestanden und sich an einem von Dans
neuem Lebkuchen-Zimt-Weißbier Extrasüß versucht hatte, meldete sich zu Wort.
»Wenn ich die McMerry-Firewalls mit Hilfe einer Distributed Denial-of-Service
Attacke über einen ungesicherten IP-Port offline schalten kann, kann ich
bestimmt ihre dedizierten Intruder-Detection-Systeme mit einem elektronischen
Köder täuschen und mich für einen Wartungs-Systemdienst ausgeben, der
gerade ihre Prozessoren defragmentiert. Dann sollte es mir gelingen einen Virus
in ihr Backbone einzuschleusen, der von mir geschriebenen Code zur Ausführung
bringt. Diese sich selbst replizierenden Codefragmente sollten dann in der Lage
sein, den globalen Assembly-Cache ihres Corporate Information Systems so zu
überschreiben, dass Fee ein Appointment-Credit zugestanden wird.«
Der Weihnachtsmann, Elfie, Dan, Ruhberndl, Fee und Fred sahen sich fragend
an.
»Olso ich bin noach „McMerry“ oasg’stieg’n.« Ruhberndl knabberte genüsslich an
einer Mozartkugel. Gesicht und Hände waren mit Schokolade verklebt.
»Ok, also die Kurzfassung für die Technikmuffel: Ich kann Fee einen Termin bei
Big M. verschaffen.«
Entlasse nicht Chris Baum, meinen Programmierer. Seine Zeit wird kommen.
Seine Zeit war gekommen.
19.
Dezember
Alle sahen Fee nach, als sie über die schneegepeitschte Landschaft auf die World
Christmas Towers zusteuerte, in einen weiten Kunstpelz-besetzen rosa Mantel
gehüllt, der schleppengleich hinter ihr herwehte. In der Hand hielt sie nur ihr
kleines rosa Köfferchen.
Zum Abschied hatte sie alle auf die Wange geküsst und ihnen versprochen
vorsichtig zu sein. Dan, Chris und Fred hatten beschlossen sich nie wieder zu
waschen.
Sie gelangte an die gewaltige Eingangspforte des westlichen Turms. Über ihr
prangte ein riesiges Mc-Merry-Logo und darunter war – etwas kleiner – ein Schild
angebracht, auf dem stand „Eingang Publikumsverkehr – Lastwagen, Mammuts
und Big M. bitte rückseitige Ladeluke verwenden.“
»Stop. Was wollen sie?« Ein überaus unhöfliches, dafür aber geklont wirkendes
Spreewaldgürkchen mit Solariumbräune bis zwischen die behaarten Pobacken
und tuntig wirkender Wachmannuniform hatte sich Fee in den Weg gestellt.
»Ich bin Fee, Physio Fee. Big M. erwartet mich.«
Das Gürkchen sah auf ein elektronisches Gerät an seinem Pult, das aussah wie
das Ergebnis einer Liebesnacht zwischen einer Playstation und einem DreiSchlitz-Toaster.
»Wie schreibt man Physio?« Fee verdrehte leicht die Augen. Bei ihr sah es
umwerfend aus.
»P-H-Y-S-I-O,« buchstabierte sie.
»Ich habe hier nur einen Termin für eine Miss Füßio«.
Chris…!
»Oh,… ähm, so schreibt man meinen Namen im nordwestlichen Lappland. Mein
neuer Sekretär…« Sie warf einen Blick über die Schulter und sah wie Chris und
die anderen ihr hinter der Fensterscheibe aufmunternd zuwinkten, die heute
Motive aus „Rons und Hermines geheimen Liebestagebuch“ zeigte. »… hat da
wohl die Schreibweisen verwechselt.«
Das Wachgürkchen sah sie skeptisch an. Fee ließ ihr entwaffnendes Lächeln
aufblitzen und strich sich elegant eine Haarsträhne aus dem makellosen Gesicht.
Das Gürkchen blinzelte. Sie hatte gewonnen.
»Kommen sie. Ich bringe sie zum Boss.«
Das Büro im 101. Stockwerk des Turms hatte die Ausmaße eines kleinen Landes.
Die Hauptstadt bildete ein Schreibtisch, der früher einmal ein phönizisches
Schlachtschiff gewesen sein musste. Die Landesgrenzen (sprich die Wände)
waren mit rotem Samt ausgekleidet, was dem Raum die anheimelnde
Atmosphäre eines Vorstadt-Swingerclubs verlieh.
Big M. erhob sich hinter dem Schlachtschiff und kam langsam auf sie zu. Die
Erde erbebte und Fee überkam ein überwältigendes Mitgefühl für den
Parkettboden auf dem sie stand.
»Ick kann mick gar nich’ erinnörn eine Physiotherapeutin beställt zu haben.« Big
M.s Worte donnerten über sie hinweg wie Japaner über Neuschwanstein.
»Sehen sie, das sind die ersten Anzeichen einer ernsthaften Verspannung des
Muskulus Trapezius und der Muskuli Sternocleidomastoideii. Erinnerungslücken
haben oft physiologische Ursachen. Das sollte man nicht unterschätzen.« Ihre
Worte perlten heraus als wären es Muscheln an einem Südseestrand. »Wir sollten
keine Zeit verlieren bevor sie noch ihren Hochzeitstag vergessen.«
»Abör ick bin dock gar net verheiratet,« antwortete er stirnrunzelnd.
»Sehen sie. Erinnerungslücken. Es ist schon schlimmer als ich befürchtet habe.«
Sie stellte ihr kleines 15 x 15 cm großes rosa Köfferchen auf den armen,
momentan unter massiven Nut-Schmerzen leidenden Parkettboden. Sie
streichelte es sanft und der Koffer begann sich von allein auseinanderzufalten.
Immer wieder klappte er auf, bis schließlich eine ausgewachsene Massageliege
gemäß polarer DIN-Norm (Dumpfbacken-In-Nadelstreifen) vor ihnen stand.
»Und da soll ick droaufpäss’n?« fragte Big M. mit einem süffisanten Grinsen so
groß wie Amerikas Selbstüberschätzung.
»Liege, noch ein bisschen bitte.« Fee streichelte noch einmal über das ExKöfferchen, und dieses entfaltete sich bis auf die Größe eines Basketball-Feldes.
Fee lächelte und ließ ihre Fingerknöchel harmonisch in C-Dur knacken.
»Fangen wir an?«
20.
Dezember
»Mein lieber Dan, hörst du was?«
»Nein, gar nichts. Glaubst du sie schafft es?« Dan hatte sich ein paar
Langziehohren übergestülpt und lauschte gespannt aus dem, einen Spaltbreit
geöffneten Fenster.
Chris riss ihm ein Ohr ab und steckte es sich in den Mund. »Hmm, lecker.
Paprika-Geschmack.«
Elfie sah ihn entsetzt an.
»Das sind doch gar keine echten Langziehohren. Das sind Fruchtgummis, die Dan
immer unten in „Tante Tusneldas Trutschigem Trödelladen“ dieser gut gebauten
Verkäuferin aus Ostdeutschland abkauft, auf die er so steht. Wie heißt sie noch
gleich?« Chris äffte sie nach. »Sandy, wie sandig am Meer. Hast du etwa
wirklich…«
Zwei Kopfnüsse landeten – perfekt synchronisiert – auf den Hinterköpfen von
Chris und Dan, die sich – ebenfalls perfekt synchronisiert – ebenselbe rieben.
Fred freute sich in solchen Momenten darüber, keinen Hinterkopf zu haben.
Der Weihnachtsmann war neben sie getreten und starrte mit Ernster Miene aus
dem Fenster. Ernster Miene war ein kleines Murmeltier, dass er seit ein paar
Jahren in Pflege hatte und das nur alle 19 Tage aus dem Schlaf erwachte, um die
Toilette aufzusuchen und sich ein Glas Zimtsherry einzuverleiben.
»Ich mache mir langsam Sorgen. Fee ist schon sehr lange da drin.« Der
Weihnachtsmann blickte angespannt nach draußen in das Schneetreiben, dass
immer schlimmer zu werden drohte – genau wie die Frisuren Angela Merkels.
»Da!!!« Elfie deutete mit gespannter Miene auf die große Ladeluke auf der
Südseite des westlichen WC-Towers. »Sie öffnet sich.«
An dieser Stelle müssen wir kurz einmal unterbrechen, werter Leser. Die
folgenden Szenen wurden aus ausgesuchten Zutaten komponiert und arrangiert
und bedürfen daher einer besonderen Atmosphäre. Bitte begeben sie sich, bevor
sie weiter lesen, zu ihrem CD-Regal und holen sich eine Elton John CD, am
besten mit dem Lied „Circle of Life“. Sollten sie dieses Lied, wider erwarten, nicht
haben, tut es auch ein schnulziges Lied von Phil Collins. Kategorisch abzulehnen
sind dagegen Rammstein, Wildecker Herzbuben und Xavier Naidoo, letzterer aus
Prinzip. Dimmen sie das Licht (sollte es mitten am Tag sein, setzen sie einfach
eine Sonnenbrille auf) und holen sie sich ein Feuerzeug und ein Taschentuch.
Sind sie soweit? Dann kann es ja weitergehen.
Die riesige Luke ging auf. Zentimeter für Zentimeter öffnete sie sich. Aus dem
Inneren stoben goldene Lichtstrahlen in die wirbelnden Schneeflocken des
Polarkreises. Einen kosmischen Herzschlag lang passierte gar nichts. Dann…
Entschuldigen sie, werter Leser, wenn wir noch einmal unterbrechen. Die
folgenden Szenen spielen sich, der Dramatik wegen, in Zeitlupe ab. Bitte lesen
sie entsprechend langsamer. Vielen Dank!
Nun aber weiter.
Dann wurden die Lichtstrahlen durch etwas unterbrochen. Schatten tanzten wie
Flöhe auf einem Straßenköder durch die Nacht. Und dann sahen sie sie…
tausende von Rentieren rannten, sprangen und rollten (die etwas älteren hatten
einen Rollator) aus ihrem Gefängnis im WC-Tower. Aufgewirbelter Schnee
tauchte alles in einen glühenden Nebel aus Glück. Die Rentiere liefen so schnell
sie konnten. Sie überrannten die Außenanlagen der World Christmas Towers,
trampelten Zäune nieder und rissen Statuen von Xmas-Glidern und Big M. im
Elfenköstüm ein.
…Sörk’l of Laif… Lesen sie auch schön langsam?
Hinter den letzen Rentieren durchschnitt die elegante Gestalt von Physio Fee das
nach draußen sickernde Licht. Sie hatte ihre Kapuze hochgeschlagen und
bewegte sich mit einer Anmut, für die dieses Wort erfunden worden war. Allen
Herren in der kleinen Einsiedlerhütte, die innen viel größer war als von außen,
fiel kollektiv die Kinnlade herunter.
Die Rentiere sprangen dem Horizont entgegen und als auch das Letzte dahinter
verschwunden war, meinte Elfie nur:
»Und nun?«
21.
Dezember
»Und?« fragte Fee, als sie mit einem Latte Macchiato in der Hand in einem rotblau-gestreiften Ohrensessel im Arbeitszimmer des Weihnachtsmannes saß und
ihre Füße am Feuer wärmte, das leise „Rudolph, the red-nosed reindeer“
knisterte. »Habt ihr eins eingefangen?«
»Na ja, nicht so wirklich. Wir waren so fasziniert, von dir… äh ich meine von den
Rentieren, dass wir das glatt vergessen haben,« gab der Weihnachtsmann etwas
kleinlaut zu.
»Männer!« sagten Fee und Elfie gleichzeitig und mussten darüber herzhaft
lachen. Fee stand auf, legte ihren Mantel an (Wer hat die Anspielung erkannt?)
und sagte nur: »Kommt mit.«
Sie gingen nach draußen. Das Schneetreiben hatte sich gelegt, und zwar ins
Bett, denn es war schon spät.
»Das ist Rosetta.« Fee zeigte auf eine kleine Rentierdame mit einem Hütchen
und einem Baumwoll-Halstäschchen, die neben der Hütte stand und sich in einer
zugefrorenen Wassertonne betrachtete. » Sie wollte unbedingt bei mir bleiben,
als ich die Tiere aus dem Zoo befreit habe. Vielleicht kann sie euch aushelfen.«
»So lange ich nicht mit diesem furchtbar unmännlichen Rentier da hinten
zusammen arbeiten muss. Wie heißt er doch gleich… Güüüdooo…« Rosetta
sprach den Namen aus als wäre er ein Lied von Modern Talking. »Der trägt ja
mehr Lidschatten als meine verstorbene Großtante Renhilda und dann dieses
Hinterngewackel. Was ist, wenn mich meine Damen vom Bingo-Abend sehen?«
Knecht Ruhberndl, der in einigen Teilen der Welt auch der Frauen-, Zierfisch- und
Rentierflüsterer genannt wird, nahm sich Rosetta an und schaffte es tatsächlich,
sie mit gutem Zureden und der Aussicht auf einen Wellnesstag in der WalhallaTherme in Nacketenleutfjord umzustimmen.
Währenddessen nahm der Weihnachtsmann seine beiden treuen Mitarbeiter Chris
Baum und Dan N. Sweig auf die Seite. Seine Nase pfiff „Jingle Bells“ in der
Heavy-Metal-Version von Helmut Lotti. Ein sicheres Zeichen, dass er nervös war.
»Ich habe das Gefühl, dass wir etwas übersehen. Ich muss mit jemandem reden.
Dan, erinnerst du dich noch an die Trödelhändlerin, bei der wir dein Seil gekauft
haben? Findet sie und bringt sie bitte her. Aber unauffällig. Sie müsste im
Moment auf dem Mittelalter-Weihnachtsmarkt in Hinterngsund ausstellen.«
Dan und Chris schlenderten, so unauffällig sie konnten, über den
Weihnachtsmarkt im festlich geschmückten Hinterngsund. Das Wahrzeichen der
Stadt, ein überdimensionaler Elchpopo, stand hell erleuchtet in der Mitte des
Marktes. Die Luft, die erfüllt war vom Duft der Glühweinstände und Punschhallen,
glitzerte im Schein von abertausenden von Kerzen, Weihnachtsbaumkugeln und
Strohsternen, die überall frei herumschwebten.
Dan hatte sich einen langen dunkelgrünen und nach unten ausgestellten
Wichtelumhang angezogen, der ihn wie einen laufenden Weihnachtsbaum
aussehen ließ. Er trug eine Ren-Ban Sonnenbrille vom Typ „Elch Gwai™“. Neben
ihm bewegte sich Chris mit raubtierartiger Gelassenheit (wenn man
Erdmännchen zu den Raubtieren zählt). Zur Tarnung hatte er sich ein SarahConnor-T-Shirt angezogen. Er hoffte inständig, dass ihn so keine der Damen von
seinem Bingo-Abend sehen würde. Auch er trug eine Sonnenbrille, allerdings
vom Typ „Elch Swanz™“.
Chris donnerte mit seinem Kopf gegen eine Christbaumkugel, die er wegen der
Sonnenbrille nicht gesehen hatte.
»T’schuldigung.«
»Keine Ursache,« antwortete die Kugel und schwebte in Richtung eines
Punschstandes davon.
»Wo ist denn nun die Trödelhändlerin, die wir suchen? Ich bekomme langsam
Durst.«
»Da vorne,« antwortete Dan N. Sweig. »Siehst du den Stand da vorne mit der
kleinen Ritterrüstung, dem alten Schmuck und den Bienen?«
»Ja, klar.« Der Stand war in sanftes Kerzenlicht getaucht und voll gestopft mit
wunderschönem Krimskrams: Schatullen, die nach vorbeieilenden
Marktbesuchern schnappten, Perlenketten und kleinen Edelsteinen, alten
Drucken, die sich bewegten, Gläsern mit von innen heraus glühendem
Weihnachtshonig und vielem mehr. Es war eine kleine Welt für sich. Ein gutes
Dutzend Bienen umschwirrten die beiden Frauen hinter den Auslagen. Sie trugen
Weihnachtsmützen und prosteten sich mit klitzekleinen Glühweintassen zu. Die
Frauen hingegen waren in mittelalterliche Roben gehüllt und hielten jeweils zwei
„warme Brüder“ in den Händen. „Warme Brüder“ nannte man die heißen Steine,
die man am Lagerfeuer in der süd-östlichen Ecke des Marktes aufheizen konnte
und die anschließend für wohlig warme Hände oder Kleider sorgten, je nachdem
wo man sie hintat.
»Wer ist sie? Warum will der Chef sie unbedingt sehen?« fragte Chris.
»Hast du mal auf das Schild am Stand gesehen?«
Chris schob seine Sonnenbrille nach vorne und blinzelte darüber hinweg.
»Das steht „Christina Kind – Weihnachtswünsche aller Art“. Na und?«
»Siehst du denn nicht die Klammern um die Buchstaben I-N-A?«
»Welche Klammern?« Chris war irritiert, wie seit seinem ersten Guinness nicht
mehr.
»Oh, du siehst sie nicht? Dann sind es Wichtelbuchstaben, die nur magiebegabte
Wesen sehen können.«
»Du meinst also, da oben steht in Wahrheit „Christ(ina) Kind“?«
Dan nickte. Eine Weile sagte Chris nichts. Dann nickte auch er.
»Ach so.«
Sie näherten sich dem Stand. Chris versuchte eine kleine Stummelkerze, die sich
unsterblich in ihn verliebt hatte, davon abzuhalten ihn immer wieder in den Po zu
kneifen.
»Haltet ein, Ihr ehrloses Gesindel. Was ist Euer Begehr? Erkläret Euch oder ich
werde Euch mit meinem treuen Schwerte eine Lektion erteilen.«
Die kleine Ritterrüstung hatte gesprochen. Wenn sie redete, schlug ihr Visier auf
und zu und sie fuchtelte mit ihrem kurzen Schwert gefährlich in der Luft herum.
»Wer bist du denn, Kleiner?« Dan beugte sich zu der etwa 1 m großen
Ritterrüstung herunter und konnte einem gezielten Rückhandstreich gerade noch
so ausweichen.
»Feife!«
»So jetzt reicht’s aber.« Christ(ina) Kind schlug der kleinen Rüstung sanft das
Visier herunter. »Sei nicht immer so frech zu unseren Kunden. So verkaufen wir
ja nie etwas.« Und zu Dan und Chris gewand fuhr sie fort: »Wie kann ich euch
behilflich sein? Vielleicht mit einer Laterne? Ihr tragt Sonnenbrillen des Nachts.
Ihr dürftet nicht viel sehen.«
Chris machte einen unkontrollierten Schritt vorwärts, als ihn die Stummelkerze
abermals in den Hintern kniff und knallte mit dem Kopf gegen eine große bunte
Weihnachtskugel, die bewegte Bilder aus „Ritter aus Leidenschaft“ zeigte.
»Seht ihr?« sagte ihre Kollegin mit einem amüsierten Lächeln, während sie einer
Biene etwas Glühwein nachgoss.
Dan blickte sich verschwörerisch um und senkte die Stimme. »Wir sind im
Auftrag von…« Er vollführte mit seiner linken Hand eine Geste, die einen Bart
andeuten sollte. »…hier.«
Christ(ina) unterbrach ihn. »Sagt Fidel, er kriegt das Drachenei nicht. Und wenn
er sich auf den Kopf stellt und mit seinen kommunistischen Füßen wackelt.«
»Nein, nein. Wir sind nicht von einem Geiger geschickt worden,« antwortete
Chris. Er beugte sich vor, um Christ(ina) leise etwas ins Ohr zu flüstern. Die
kleine Rüstung bekam einen Zipfel seines Sarah-Connor-T-Shirts zu fassen, zog
kräftig daran und rief: »Hinfort mit Euch, Ihr Tunichtgute. Ich werde Euch mit
Schimpf und Schande von diesem Unserem Platze jagen. Ihr deucht mir keine
guten Kämpfer zu sein.«
Christ(ina) schlug ihr wieder sanft das Visier herunter.
»Nacht umfängt mich. Ihr habt mich geblendet, Ihr heimtückischen Hexer. Oh,
ich sehe nichts mehr. Aber ich bin immer noch ein Ritter. Nehmt dies…« Chris
und Dan sprangen aus dem zum Glück recht kleinen Aktionsradius der
Ritterrüstung, die wild um sich schlug.
Während die kleine Statue vor sich hin schimpfte, erklärte Chris: »Wir sind im
Auftrag des… Weihnachtsmannes hier.«
»So sagt das doch gleich. Freifrau Elke, du musst hier kurz ohne mich
auskommen. Wenn mich mein alter Freund auf diese Weise sprechen will, muss
es wichtig sein.«
22.
Dezember
Bei ihrer Rückkehr fanden sie den Weihnachtsmann in seinem Lehnstuhl und in
noch grüblerischerer Stimmung vor. Geistesabwesend wischte er (inzwischen
nicht mehr vorhandenen) Staub von Freds Blättern, der auf seinem Schoß stand
und fragend zu dem alten Mann hoch blickte. Fee und Elfie waren draußen im
Büro und tauschten die neuesten Methoden aus, Männern den Kopf zu
verdrehen. Sie waren gerade bei „M“ wie „Mümmeln“.
»Hey, alter Freund, ich habe schon gehört, dass du in Schwierigkeiten steckst.
Wie kann ich dir helfen?« Christ(ina) Kind strahlte den Weihnachtsmann mit
mindestens 1000 Watt an. Trotzdem blieb in seinem Blick eine Dunkelheit zurück
als er antwortete.
»Der Hase war hier – nur kurz auf der Durchreise. Er ist mit Gracia, Greta, Gretl
oder wie immer sie heißen, unterwegs nach Cannes zur Verleihung des goldenen
Löffels. Sie haben den bisherigen Stand des Wettkampfs analysiert. So wie es
aussieht, steht es im Moment unentschieden zwischen McMerry und uns. Was sie
nun wollen, ist so eine Art Stechen. Es gibt da ein kleines Boot irgendwo ganz
weit draußen, das wohl schon öfter ein wenig vergessen wurde, wenn es um
Weihnachten ging. Wer die Crew dieses Bootes glücklicher macht, gewinnt das
Duell. Hier….«
Der Weihnachtsmann reichte Christ(ina) ein Foto. Es zeigte ein kleines gelbes
Schiff, das sich mit 1,5 Knoten durch stürmische See kämpfte. An Bord winkten
einige Leute in die Kamera. Christ(ina) winkte zurück.
Chris Baum schaute ihr über die Schulter. »Das ist kein Boot. Das ist ein
Kudder.«
»Und du hast Zweifel, ob du diese Prüfung bestehen kannst, alter Freund. Nicht
wahr?« Christ(ina)s Stimme war sanft und wissend, fast so wie die von Günter
Jauch an einem guten Abend. »Komm’ mit. Ich zeige dir etwas.« Und mit einem
Blick auf Fred, den Benjamin, fügte sie hinzu. »Deinen Freund kannst du ruhig
mitnehmen.«
Der Weihnachtsmann, Christ(ina) und Fred saßen auf etwas, was gewöhnliche
Menschen für eine Wolke halten würden, was jedoch so viel mehr war. Sie
schwebten weit über dem nördlichen Polarkreis und schauten hinab auf die kleine
Einsiedlerhütte. Wie ein böser Drache ragten die World Christmas Towers hinter
ihr in den Himmel – wahr gewordene Alpträume aus Stahl, Beton und Arroganz.
Fred saß auf dem Schoß von Christ(ina), die ihm sanft über den Topf strich. Er
war nicht schwindelfrei und ihm war schlecht. Sicherheitshalber hatte er sich eine
Ren-Air Kotztüte umgebunden.
»Ich habe Angst, dass ich es vermassle,« begann der Weihnachtsmann, » wie
damals mit dem Pastor, der sich eine „flotte Biene“ wünschte. Woher sollte ich
denn wissen, dass das eine Honigmarke ist?« Christ(ina) lächelte und Fred
versuchte es ebenfalls. Er sah noch immer furchtbar grün aus.
»Was ist, wenn ich es wieder nicht hinbekomme? Dann ist Weihnachten, so wie
wir es kennen und lieben für immer vorbei und die McMerrys dieser Welt haben
das Sagen. Das darf einfach nicht passieren!«
Er blickte Christ(ina) an. »Du bist doch schon so lange in dem Geschäft und du
warst schon immer so etwas wie mein Gewissen… Was soll ich tun?«
Christ(ina) schaute hinunter auf die Hütte. G! und Rosetta stritten sich um die
richtige Art der Beinhaarentfernung, Ruhberndl saß trotz der klirrenden Kälte vor
der Hütte und beobachtete selig lächelnd seine Rentiere und trank einen großen
Mélange. Der Rauch, der aus der Hütte aufstieg, roch nach Rum, Zimt und
Koriander, was bedeutete, dass Chris und Dan einen Kessel Weihnachtspunsch
über das Kaminfeuer gehängt hatten. Sie sah hinüber zum Weihnachtsmann, der
all das betrachtete und still in sich hinein lächelte.
»Weißt du, « begann sie, »was ich auf all den Weihnachtsmärkten gelernt habe?
Es sind die einfachen Dinge im Leben die zählen: der kleine Junge, der seinen
Gameboy beim Anblick eines Luftballons vergisst, die Frau mittleren Alters, die
plötzlich 20 Jahre jünger wirkt, nur weil sie an einem Stand ein Puppenkleid
gefunden hat, das sie an ihre Jugend erinnert oder der Top-Manager, der das
Klingeln seines Handys überhört, weil er mit träumerischem Blick ein
Lebkuchenherz für seine Frau aussucht.«
Der Weihnachtsmann starrte nachdenklich auf die kleine Einsiedlerhütte.
»Ein anderes gutes Beispiel für die Macht des Einfachen ist auch deine Brücke
links oben,« redete Christ(ina) weiter. »Die Brücke ist nicht perfekt, die Zähne
darauf ein wenig krumm und gelb. Aber sie ist einfach und sie passt zu dir. Mit
einer perfekten Brücke wärst du einfach nicht du.«
Der alte Mann dachte lange nach. Dann kroch ein wissendes Lächeln auf sein
bärtiges Gesicht wie zwei Liebende unter die gemeinsame Decke.
Er hatte keine Brücke links oben.
Aber er hatte verstanden.
23.
Dezember
Der Heilige Abend kam.
Er unterhielt sich mit dem Weihnachtsmann in seinem Büro, um die neuesten
Punschrezepte auszutauschen und sich zu verabschieden, bevor er mit dem
Heiligen Christopherus und dem Heiligen Jakobus zu einem All-Inclusive-Urlaub
auf die Malediven aufbrach. Dann war auch schon der 24. Dezember.
Der Weihnachtsmann ließ sich wie gewohnt Zeit und beschenkte all die Großen
und Kleinen auf der Welt mit lauter Dingen, die sie von ganzem Herzen wollten
oder die sie zumindest für teures Geld bei ebay verkaufen konnten. Dieter Bohlen
bekam eine zweite Gehirnzelle und Angela Merkel den Taschenbuch-Klassiker
„Meine erste Frisur“. Als alle Kinder glücklich im Bett lagen und alle Erwachsenen
weihnachtspunschtrunken unter dem Tisch, war lediglich die Crew des kleinen
gelben Kudders noch ohne Geschenke. Ruhberndl und der Weihnachtsmann
wollten gerade aufbrechen, als sich ihnen Dan N. Sweig in den Weg stellte. Zum
feierlichen Anlass war er in eine enge grüne Glitzerhose mit Cordflicken an den
Knien gekleidet. Als Gürtel trug er eine blinkende Lichterkette.
»Ich will mit,« verkündete er so bestimmt, wie es die Hose zuließ. »Ich kann
sicher helfen,…«
»…denn ich habe das Gefühl, dass das kein Zuckerwatteschlecken wird,«
vervollständigte Chris Baum den Satz, während er – ein Glas Bratapfelwhiskey in
den Händen – neben Dan trat.
»Und ohne mich geht hier sowieso keiner irgendwohin,« verkündete Elfies Po.
»Na dann muss ich wohl auch mit,« meinte daraufhin Elfie, und Fee und
Christ(ina) riefen im Chor: »Wer glaubt, dass wir daheim bleiben, der glaubt
auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.«
Der Weihnachtsmann blickte gerührt und nicht geschüttelt in die Runde.
Fred versuchte verzweifelt auf sich aufmerksam zu machen. Er probierte zu
winken, zu pfeifen und zu schnippen. Was hätte er nicht alles für einen Finger
oder wenigstens für einen Muskel gegeben. Resigniert ließ er die Blätter sinken,
als sich alle in ihre wärmsten Mäntel hüllten und sich anschickten die
Einsiedlerhütte, die hoffentlich auch morgen noch ihr Zuhause sein würde, zu
verlassen.
Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, war Fred der einsamste Ficus benjamina
der Welt.
Und als die Tür wieder aufflog und Elfie ihn mit einem »Und du kommst natürlich
auch mit.« packte, hätte Fred vor Glück tanzen mögen.
»Du fährst.« Der Weihnachtsmann warf Ruhberndl den Schlittenschlüssel zu. »Du
bist unser bester Fahrer. Und du bist der Einzige der ein GletscherFahrsicherheitstraining beim APRC (Allgemeiner Polarer Rentieromobilclub, Anm.
des Übersetzers) absolviert hat.«
»Wiiiirklich? I’ werd’ debbärt!« Ruhberndl erglühte wie eine Sternschnuppe beim
Eintritt in die Atmosphäre.
»Darf ich auf einem Rentier reiten? Das wollte ich schon immer einmal machen,«
hauchte Fee und blickte den Weihnachtsmann mit einem Augenaufschlag an, der
Männer in Wachs verwandelte. Der Weihnachtsmann suchte verstohlen nach
seinem Docht. Physio Fee war in einen atemberaubenden rosa Wintermantel und
weiße, flauschige Fellstiefel mit eingebauter extrastarker Wärmflasche gewandet.
Ihren Kopf krönte ein Thrönchen.
…
Hä…? (Der Setzer.)
…
Ach so.
Auf ihrem Kopf thronte ein Krönchen. Tschuldigung.
»Also auf mir reitet niemand, Liebling. Zumindest keine Frau.« G! trat von einem
Huf auf den anderen und den anderen und den anderen.
»Auf mir darfst du reiten, meine Kleine.« Rosetta ging in die Knie und ließ Fee
elegant aufsteigen.
Ruhberndl startete den Rentierschlitten, in dem auf magische Weise alle bequem
Platz fanden. Der Schlitten hatte die Fähigkeit, dass er immer genauso viel Platz
bot, wie gebraucht wurde – ein Konzept für das Daimler Chrysler bereits eine
zweistellige Milliardensumme geboten, jedoch nur einen Schokoweihnachtsmann
bekommen hatte.
»Jiiiiiihaaaaaa…!«
Ruhberndl ließ Zunge und Zügel schnalzen, und der Rentierschlitten erhob sich,
eine glitzernde Spur aus Schneekristallen hinter sich herziehend, in die Lüfte.
36 Minuten Flugzeit und ein leichtes Menü mit Wiener Schnitzel, Kartoffelbrei und
(um sich auf die kommende Konfrontation vorzubereiten) Spreewaldgürkchen
später durchbrach der Rentierschlitten die Schallmauer abwärts und die
Wolkendecke ein paar Kilometer östlich der letzten bekannten Position des
Krabbenkudders. Dan hatte Houston auf dem Schoß. Elfie hielt Fred
umklammert, der kaum glaubte, was sie nun alle sahen.
Der Luftraum war erfüllt mit Hunderten von Xmas-Glidern, die funkelten wie
Transvestiten am Christopher-Street-Day. Sie sausten umher und bildeten einen
Abfangring um das kleine gelbe Schiff, das sie von der Fotografie her kannten.
Zwischen den kleinen Fluggeräten schwebten größere Xmas-Glider, die auf einer
am Heck angebrachten Plattform jeweils einen Bulldog trugen. Nahe über der
Wasseroberfläche trieb ein monströs riesiger Xmas-Glider mit der Aufschrift „XForce One“ und einem Aufkleber „Ich bremse auch für Dollarscheine“. Er näherte
sich langsam dem kleinen Kudder.
»Oh mein Gott.« Elfie rutschte das Herz in die Hose und drückte ihren Po in die
Socken. »Auf dem Riesending ist bestimmt Big M. persönlich. Und das da muss
seine gesamte Xmas-Glider-Flotte sein.«
»Vielleicht sind sie ja friedlich und lassen uns zum Kudder.« warf Christ(ina) Kind
ein.
»Ja klar. Und ich steh’ auf Frauen,« erwiderte G! von vorn. Rosetta warf ihm
einen irritierten Blick und ein Wattebäuschchen zu.
»Flieg einfach ganz langsam ran, Ruhberndl,« sagte der Weihnachtsmann
schließlich. »Vielleicht haben wir ja wirklich mehr Glück als Big M. Verstand.«
Knecht Ruhberndl lenkte den Schlitten in einer sanft elliptischen Bahn dem
Kudder entgegen. Alle hielten die Luft an, sogar Fred produzierte keinen
Sauerstoff.
Die Luft links des Schlittens explodierte.
Frank Kippwegmannson, Steuermann und Navigator des Krabbenkudders „Maria
Cron“, stand alleine auf dem vorderen Mahagoniimitat-Deck des Schiffes.
Mindestens 9 der 7 Biere mit Lebkuchen- und Zimtaroma, die er auf der crewinternen Weihnachtsfeier getrunken hatte (Sie waren dieses Jahr der letzte
Schrei.), wollten wieder an die frische Luft. Er versuchte gerade herauszufinden
woher der Wind wehte. Schließlich wollte er nicht gegen den Wind pieseln wie
letztes Jahr. Er blickte in den Nachthimmel. Die Sterne blinkten und bewegten
sich. Einer von ihnen spielte „Last Christmas“.
Frank starrte zuerst auf die Flasche Weihnachtsbier, die er in der Hand hielt und
dann noch einmal in den Himmel.
Er sollte wirklich ein wenig kürzer treten. Oder besser zurück als kürzer, denn
fast wäre er in diesem Moment über die Reling gekippt.
Eine feurig-flammende Fontäne fegte (Man beachte die VierfachBinnenaliteration!) über den Rentierschlitten hinweg.
»Beim Barte von Renate Künast! Sie setzen Lametta-Geschosse ein!« schrie
Chris. Eine goldene Kugel aus langen sauerkrautartigen Fäden raste über den
Rentierschlitten davon.
»Sie woll’n, doass sich dos Lometta in den Bäinen dea Rentiere verföngt.«
Ruhberndl riss den Schlitten herum.
»Und es hat funktioniert…« Der Schlitten schmierte nach links ab und verlor an
Höhe wie Karl Lagerfeld an Gewicht. Dan deutete hektisch auf Rosetta. »Ihre
Beine haben sich im Lametta verfangen!« Fred begann vorsorglich seine kleine
gelbe Schwimmweste aufzublasen.
»Ich mach das!« Fee, die auf Rosetta ritt, riss sich die Kapuze vom Kopf, ließ ihre
Lockenmähne im Fahrtwind wehen und sich unter den Bauch des Rentiers
gleiten. Der Rentierschlitten hing schief in der Luft und raste den Wellenbergen
unter ihnen entgegen. Mit einem geschickten physiotherapeutischen PNFMassage-Pilates-Kombinationsgriff löste sie das Lamettaknäuel um Rosettas
Beine.
»Jetzt!« schrie sie. Ruhberndl riss an den Zügeln, Rosetta zog an und es gelang
ihm den Schlitten kurz vor der Wasseroberfläche abzufangen. Fred tauchte eine
Luftwurzel ins Wasser um sich abzukühlen.
Zwei Xmas-Glider tauchten fauchend neben ihnen auf und nahmen sie in die
Zange, wie die Zeugen Jehovas arme Hausfrauen an der Wohnungstür.
»Sie versuchen uns abzudrängen.«
Einer der Glider kam gefährlich nahe. Dan hakte sein dünnes Seil in eine Öse des
Schlittens ein und sprang hinüber auf den Xmas-Glider. Die McMerry-Mitarbeiter
drehten sich in ihren tuffigen Kostümen um.
Dans Finger schwebte über einem großen roten Knopf am Armaturenbrett. »Ich
bin eurer Sprache nicht so mächtig. Sagt mal, was heißt eigentlich…« Er las
etwas von dem Knopf ab. »… „Selbst…zer…stör…ung“?« Dan lächelte. Die
Gesichter der McMerry Mitarbeiter erinnerten verdächtig an das von Angela
Merkel bei der Fußball-WM während des Spiels Schweden gegen Deutschland. Er
drückte den Knopf.
»Ups.«
Rauch drang aus dem hinteren Teil des Gefährts, wie aus einem Irish Pub. Der
Glider stürzte stotternd dem Wasser entgegen. Dan sprang ab und zog sich an
seinem Seil zurück in den Rentierschlitten, wo ihn Chris mit Handschlag und
einem Weihnachtspunsch empfang.
Der andere Xmas-Glider näherte sich bedrohlich. Das McMerry-Gürkchen grollte
und schwang drohend die Faust. Fee lächelte ihn mit ihrem magischen Lächeln
an und öffnete ganz langsam ihren Mantel. Der McMerry-Mitarbeiter stutzte und
begann leicht dümmlich zu lächeln. Fee nestelte an ihrem Schenkel herum. Das
Gürkchen konnte sein Glück kaum glauben – bis ihm eine Massage-Halbrolle, die
Fee an ihrem Physiotherapeutinnen-Gürtel befestigt hatte, die Gesichtsmimik
umgestaltete. Der Glider drehte ab.
Jubel brach aus.
Abrupt brachte Ruhberndl den Schlitten zum Stehen. Vor ihnen hatten die XmasGlider eine massive Luftstraßensperre errichtet.
»Da kommen wir nie durch,« rief Dan N. Sweig. »Wir sind mal wieder im A…«
24.
Dezember
»Wia sin’ nich’ im Oarsch, Dan,« unterbrach Knecht Ruhberndl. »I’ hoab
schliaßlich den Canyon-Run am End’ vom örsten Stoar-Woars-Fülm mindestens
300 moal g’seh’n.«
(Der Film wird für uns wohl immer der erste Star-Wars-Film bleiben. Nur Kinder,
die glauben, dass der iPod das erste tragbare Musikabspielgerät war, halten ihn
für Teil vier.)
Ruhberndl fasste sich an seine Knecht-Mütze, klappte ein verspiegeltes Visier
herunter und schlang sich die Zügel enger um die Handgelenke, die aus zartkameldungfarbenen Rüschen hervorlugten. Elfie schaltete den Kassettenrecorder
ein. Musik aus „Top Gun“ erfüllte die Nachtluft.
»Bitte sich festzuholten.« Ruhberndl riss den Schlitten in eine die
Erdanziehungskraft und die G-Kräfte verspottende Haarnadelkurve Größe XS.
Der Schlitten donnerte genau auf die Luftstraßensperre zu. Ruhberndl ließ den
Schlitten gekonnt um eine ganze Menge von Xmas-Glidern herum tanzen.
„… welcome to the danger zone…“
Die größeren Xmas-Glider, die die Bulldogs trugen, gingen vor ihnen in einer VFormation in Stellung, die an besoffene Wildgänse erinnerte. Die
Suchscheinwerfer der Traktoren flammten auf und durchschnitten die Nacht, die
lauthals vor sich hin fluchte.
»Mist. Sie haben Traktorstrahlen.« Der Weihnachtsmann war geschockt.
Ruhberndl vollführte mit dem Schlitten einen dreifach eingesprungenen Axel mit
Doppel-Toeloop und Biellmann-Pirouette, das G! nur so schlecht wurde. Aber er
hielt tapfer durch.
»Hoat oana a Idee wie wia die Sperre da vorn’ spreng’n können?« schrie
Ruhberndl über den heulenden Fahrtwind hinweg, während der Schlitten
zwischen den Traktorstrahlen hindurch sauste und sie sich der Luftstraßensperre
näherten. Fred legte sich in die Kurven und lenkte in Gedanken mit.
»Bei allen Manolo Blahniks dieser Welt,« stöhnte Elfie plötzlich hysterisch. »Seht
nur…! Big M. hat den Kudder erreicht. Er geht an Bord!«
Chris rief nach vorne. »Damit sollten wir durch die Sperre kommen…«
»Captain. Da will dich jemand sprechen.« Frank Kippwegmannson und Maat
Michl Körnbröd hämmerten völlig außer sich gegen die Kapitänskajüte. Von innen
war ein lautes Schnarchen zu vernehmen, das eindeutig „Bewahret euch vor
Weibertücken (Tamino und Papageno)“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts Oper
„Die Zauberflöte“, 2. Akt, 2. Szene darstellte.
Michl hämmerte erneut gegen die Tür. Seine Hand schmerzte, wie nach einer
Stunde Nasebohren. Als Maat und Schiffsbeamter war er an so viel körperliche
Arbeit nicht gewöhnt. Die Tür öffnete sich schläfrig und unter Protest. Captain
Jack stand dahinter und wirkte nicht wenig schlaftrunken als seine Kajütentür. Er
war schließlich erst vor einer guten halben Stunde von der Schiffsweihnachtsfeier
zurückgekehrt und hatte sich mit seiner Gattin zur linken und einer Flasche Rum
Extramild zur rechten ins Bett gelegt.
»Was is’n?« fragte er in seiner gewohnt eloquenten Ausdrucksweise. Er trug
bunte Hawaii-Boxershorts (ohne Eingriff) und ein T-Shirt auf dem stand: „Ich bin
der Captain. Wenn du mich rennen siehst, hast du besser ein Schlauchboot
dabei.“
»Da ist ein riesiger Kerl, der dich gerne sprechen will. Er sagt, er hat
Geschenke.«
Es brauchte ein paar Sekunden bis sich diese Worte einen Weg durch das Gehirn
des Captains gebahnt hatten, das sich in diesem Moment anfühlte, als hätte es
jemand durch eine Schweinskopfsülze ersetzt.
»Ach so.« Mehr fiel ihm nicht ein. Aber er ging mit nach draußen, wo sich bereits
der Rest der Crew versammelt hatte. Ein Riesenkerl stand in einem seltsam
tuffigen Weihnachtsmann-Outfit mit Schildmütze vor dem Steuerbordaufbau. Das
Schiff hatte seinetwegen Schlagseite wie Michl Körnbröd nach zwei Radlern.
»Ick bin dä Weihnachtsman,« dröhnte Big M. »And ick habe das bäste Geschänk
äures Läibens fur euch.«
»Was ist das denn?«
Chris Baum hatte einen riesigen Kessel zwischen Ruhberndl und den
Weihnachtsmann auf den Kutschbock gewuchtet. An der Seite des Kessels war
eine Art Griff mit einem Abzug angebracht. Auf dem Kessel stand „Goran
Goransonsons Glibberiger Süßwarenladen“.
»Ist es das, was ich denke, dass es ist?« fragte ihn Dan stirnrunzelnd.
Chris Baum grinste wie ein Rind unter Veganern. »Hihi, das ist die erste und
einzige Zuckerwatte-Kanone der Welt. Ich habe sie mit extra viel Klebereis
geladen. Bring uns einfach nah genug ran, Ruhberndl. Ich mach’ uns den Weg
schon frei.«
»Jo, wenn d’meinst… Jiiiihaaa…« Ruhberndl trieb die Rentiere an und der
Schlitten schoss der Luftstraßensperre entgegen.
»Hat jemand von euch Schnuffeln ein feuchtes Tuch für mich? Ich hab schon
Schwitzflecken unter den Achseln. Unter allen vier.« keuchte G! und Rosetta
erwiderte: »Und es riecht mindestens wie zehn.«
Traktorstrahlen durchkreuzten den Himmel. Ruhberndl wich ihnen aus.
Lamettageschosse explodierten neben ihnen. Ruhberndl wich ihnen aus. XmasGlider kamen ihnen gefährlich nahe. Ruhberndl wich ihnen aus. (Fee hatte den
Piloten heiße Instant-Fangopackungen für die Handtasche in den Schoß
geworfen, was sie mit einem „Heiß, heiß, heiß,…“ den Ruckzug antreten ließ.)
Dann war die Sperre vor ihnen – massiv, dunkel und bedrohlich, wie männliche
Schweißfüße.
Der Weihnachtsmann rief: »Haltet euch fest. Jetzt, Chris. Jetzt!«
Fred drückte alle Daumen die er hatte. Okay, das waren null. Aber der Wille
zählte. Chris drückte den Abzug…
Nichts passierte.
»Blöde Feife.« Dan trat gegen den Kessel. Ein ohrenbetäubendes Donnern war zu
hören, als der Kessel seine Ladung extraklebriger Zuckerwatte ausspuckte. Dan
fiel rücklings in den Schlitten, genau zwischen Elfie und ihren Po. Grüne
Strumpfhosen zappelten in der Luft. Die Zuckerwatte explodierte kegelförmig
und füllte einen Raum aus, dessen Volumen sich durch die allseits bekannte
Formel V = 1/3 * r2 * π * h beschreiben ließ. Als die Zuckerwatte auf die XmasGlider der Luftstraßensperre traf, erinnerte das Geräusch an Helmut Kohl beim
Saumagenessen. Die Zuckerwatte mit Klebereis-Einlage überzog die Glider und
verstopfte sofort ihre Lufteinlassschlitze. Mit einem hässlichen Stottern kamen
die Xmas-Glider ins Trudeln und schmierten seitwärts ab. Die Luftstraßensperre
wurde verweht wie Pupse an einem windigen Herbsttag.
Die Crewmitglieder standen an Deck des Krabbenkudders und lauschten der
lieblichen Stimme Big M.s, die laut gegen die Sterne schepperte. Captain Jack
und sein Sabinela teilten sich einen Bademantel. Smutje Dirk stand neben E. La
Micha und rührte zur Beruhigung in einem Topf Tütensuppe „American Style“.
Matrose Otto trug in der lauen Weihnachtsnacht nur einen knappen Schlüpfer
und ein Feinrippunterhemd und schwitzte trotzdem. Seine Füße zierten
Pantoffeln in Gestalt von Stormtropper-Helmen. Die Zahlmeisterin des Schiffes
Andrea Schleippmanninov stand trotz der späten Stunde mit einem
rasiermesserscharfen Scheitel neben den Gääbs und wunderte sich kein bisschen
über das vibrierende Geräusch aus der schwarzen Latex-Handtasche von Frau
Gääb.
»…and däshalb schänkt oick McSanta diesa schraubenneua…« schrie Big M. wie
ein fleischgewordener Basslautsprecher.
Nagelneu heißt das, dachte Otto bei sich und lupfte sein Feinripp-Unterhemd um
sich abzukühlen.
»…450-Foot-Sporting-Yacht. Mit 25.000 Horsepowers, swei Sport-Beiboats, drai
Saunen, einam Rästaurant, inklusive Karaoke-Machine and Diesel füa fünf
Jahrä…«
Der Crew fielen die Augen raus. Zum Glück fielen sie weich auf das gummierte
Mahagoniimitat-Deck. Frank sang in Gedanken bereits „I’m just a Gigolo“ auf der
Karaoke-Maschine. Otto hielt sich in Gedanken bereits die Ohren zu.
»…jäda hat ainen aigenän Trakt auf dem Boat, wou er tun and macken kann
what er will…« Herr und Frau Gääb sahen zuerst Frau Gääbs Latex-Handtasche
und dann sich an. Beide lächelten geheimnisvoll.
»…erwäinte ick bäreits the Personal?...«
Captain Jack und seine Crew konnten ihr Glück kaum glauben.
Der Rentierschlitten durchbrach die Überreste der Luftstraßensperre als wäre sie
überhaupt nicht da, was vielleicht daran lag, dass sie nicht mehr da war. Elfie
und Fred jubelten. Dan und Chris prosteten sich mit Weihnachtsgrog zu. Der
Weihnachtsmann gestattete sich ein erstes vorsichtiges Lächeln, dass jedoch nur
so lange anhielt wie der Erfolg eines „Deutschland sucht den Superstar“Gewinners.
»Heiliges Grogkännchen. Big M. überreicht ihnen schon sein Geschenk.« stöhnte
er auf. »Wir müssen uns beeilen.«
»Nua koa’ Hektik, meina Herr’n,« erwiderte Ruhberndl ruhig wie Rüdiger
Hoffmann auf dem Klo. »Wia moch’n einfoach Stockholm.«
»Stockholm???« Der Weihnachtsmann wurde bleich und Entsetzen stand in
seinen Augen und trat von einer Pupille auf die andere. »Niemals! Nicht
Stockholm! Nicht mit dem neuen Schlitten! Der ist doch erst 371 Jahre alt.«
»Was ist Stockholm?« fragte Elfie.
»Das willst du gar nicht wissen, Po.«
Fred war beunruhigend und das lag nicht nur daran, dass Houston nervös an
einem seiner Blätter knabberte.
»Was ist Stockholm?« wiederholte Elfie nochmals.
»Wir machen keinen Stockholm! Verstanden?« brüllte der Weihnachtsmann über
den tosenden Fahrtwind hinweg. »Das hat schon beim ersten Mal…«
»Jötzt…! Stockholm…!!!« unterbrach ihn Ruhberndl ungewohnt energisch und
seine Augen funkelten wie Leuchtkondome in einem dunklen Schlafzimmer. Dan
und Chris griffen synchron wie zwei Synchronturmspringer (nur ohne die
putzigen Nasenklammern) am Schlitten nach vorne und lösten je eine
Aufhängung. Der Rentierschlitten fiel nach unten, während die Rentiere mit
Physio Fee in den Himmel stoben.
»Aaaaaahhhhhhh,« kreischte Elfie so laut, dass Houston vor Angst seine Krallen
in Freds Stamm grub. Fred versuchte ihn anzuknurren, wie er es in seinem VHSKurs „Hundisch für Topfpflanzen“ gelernt hatte.
»Pass auf die beiden Rentiere auf, Fee,« rief der Weihnachtsmann noch kurz
bevor sie in flachem Winkel auf der See aufschlugen. Wasser spritze wie bei einer
Playboy Poolparty. Dann wurden sie wieder in die Luft geschleudert. Wie ein
flacher Stein flitschten sie über das Wasser dem gelben Schiff entgegen. Sie
hüpften und sprangen über die See, dass es einem Hasen Freudentränen in die
Augen getrieben hätte.
»Wir werden immer langsamer! Wir schaffen es nicht!« grummelte Dan. Er war
wieder zwischen Elfie und ihren Po gefallen. Seine Beine zuckten wie bei
besoffenen „Lord of the Dance“-Tänzern.
Der letzte Hüpfer. Noch einmal würden sie die Wasseroberfläche nicht verlassen
können. Mit dem freundlichsten „Plopp“ seit Menschheitsgedenken schlug der
Schlitten gegen die Bordwand des Kudders. Seine Insassen wurden auf das Deck
des Schiffes geschleudert. Houston landete elegant wie es nur Katzen und
Wäschesäcke können in den Armen einer leicht verdutzten Andrea
Schleippmanninov. Fred flog hoch in die Luft und landete in den Händen von
Sabinela. Danach fiel er in Ohnmacht.
»Ös hoat gekloappt,« rief Ruhberndl überglücklich aus. Er hatte die Bommel
seiner Knechtsmütze im Mund, was sich in seiner Aussprache jedoch überhaupt
nicht bemerkbar machte.
»Was soll das heißen?« wollte Christ(ina) wissen, während sie sich eine
Haarsträhne und Dans grüne Strumpfhose aus dem Gesicht strich, die dieser
beim Sturz verloren hatte (die Hose, nicht die Haarsträhne).
Dan, nun unten herum ein wenig luftiger, frohlockte vergnügt. »Also beim ersten
Mal…«
»…wohl in Stockholm,« unterbrach ihn Christ(ina).
»Na ja, eigentlich war es in Bielefeld. Wir dachten nur wir wären in Stockholm.
Also beim ersten Mal hat es nicht ganz so geklappt. Aber diesmal…«
»…was für ein Ritt! Wow!!!« vollendete Chris den Satz. Er, Dan und Ruhberndl
gaben sich High-Five, während es dem Weihnachtsmann auf unerklärliche Weise
gelang mit nur zwei Händen drei Kopfnüsse simultan zu verteilen.
Die Crew, die McMerry-Angestellten und Big M. sahen aus wie
Altenheimbewohner auf einem Heavy-Metal-Konzert. Big M. brach die Stille als
erster.
Ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Bei der Produktion dieser Geschichte
kamen dank ausgebildeter Stuntmen und digitaler Tricktechnik keine Stillen,
Rentiere, Pos oder Österreicher zu Schaden. Wir bedanken uns bei der VHS
Bamberg Land für die Bereitstellung der WC-Towers.
»You? Wia habt ihr däs gäschafft?«
Captain Jacks Blick flog von Big M. zum Weihnachtsmann und wieder zurück –
inkl. Rückflug für nur 49 €. »Noch ein Weihnachtsmann?!?«
»Ja, und ich habe auch ein Geschenk für euch. Seht…« Der Weihnachtsmann
fasste in die Innentasche seines großen Mantels und holte ein Päckchen heraus.
»Pah, so klain? Was känn därin schoan Groaßartiges sein?« plusterte sich Big M.
auf. Die Knöpfe seiner Jacke drohten weggesprengt zu werden und hatten sich
bereits kleine Helme aufgesetzt.
Der Captain öffnete das Päckchen, schaute hinein und sagte eine lange Zeit gar
nichts. Eine wirklich lange Zeit. Eine verdammt lange Zeit. Wirklich, wirklich
lange. Also man könnte sagen, es dauerte echt sehr, sehr lange, bis...
»Freundschaft.«
Jack hielt lächelnd eine Dose Rostentferner und eine Dose gelber Farbe in die
Höhe.
»Ich glaube nicht, dass ihr eine riesige Luxusjacht wollt, die mit lauter HightechSpielzeug voll gestopft ist und wo ihr euch vielleicht Tage lang nicht über den
Weg lauft,« sprach der Weihnachtsmann. »Mit dem Rostentferner – natürlich
extrastark…« Er lächelte Frank gütig zu. »…und der Farbe könnt ihr den Kudder
am Schwimmen halten und weiterhin gemeinsam die 8¼ Weltmeere befahren.«
»Abä…?!?« Big M.s Gesicht sah aus, als hätte er sich selbst darauf gesetzt.
Sabinela trat neben ihren Captain und schloss ihn in die Arme. An den
strahlenden Augen der Crewmitglieder konnte man ablesen, wie sie sich
entschieden hatten. Sie alle umringten den Weihnachtsmann und seine
Mannschaft. Otto stand neben Dan, schaute auf dessen haarige Beine und fragte
neugierig: »Auch zu warm?«
»Seht mal, wen ich gefunden habe?« Fee schwebte mit Rosetta und G! ein und
setzte sanft auf dem hinteren Deck auf. Hinter ihr saß der Osterhase und hielt
sich mit einem seligen Grinsen an Physio Fee fest.
Der Hase sprang auf das Deck. »Es ist entschieden. Gratuliere, alter Gauner!« Er
schloss den Weihnachtsmann in die Arme. Er trug einen lila Pyjama und eine
goldene Playboy-Bunny-Halskette. Und zu Big M. gewandt, fuhr er fort: »Sie sind
ja immer noch da. Sie können sich vermöhren.«
Unter Grollen, Zetern und den Sternen verließ Big M. das Deck und startete mit
der „X-Force One“ in die Nacht hinein. Endlich lag die „Maria Cron“ wieder
waagrecht im Wasser.
Alle jubelten. Nur G! stand einsam ein wenig abseits und dachte an D!, der ihm
in diesem Moment mehr fehlte als er es je für möglich gehalten hätte. Was hätte
er dafür gegeben wieder Schneeeulenpopulationen zum Erröten zu bringen. Er
spürte einen sanften Hauch in seinem Nacken. Als er sich mit wässrigen Augen
umdrehte, wollte er seinen Augen nicht trauen. Da stand er: das Rentier seiner
Träume.
»D!!«
»Hallo, mein Zimtstängchen. Ich hoffe du hast mich auch ein bisschen vermisst.«
»Ich dachte mir ohne ihn wäre die Feier nicht komplett,« rief der Hase über die
Schulter hinweg. »A propos Feier, ich muss zurück zu meinen Bunnys. Ich habe
heute noch viele Häschen zu beschenken,« schloss er mit einem Augenzwinkern.
»Und sie kommen doch sicher auch mit, Fräulein Elfie. Sie werden von mal zu
mal schöner.« Elfie erröte wie eine ganze Schneeeulenpopulation.
»Nichts da,« widersprach Dan N. Sweig energisch. »Dieser Po gehört zu uns.«
Mit einem verstehenden Lächeln hinter den Löffeln blickte der Osterhase noch
einmal in die Runde, winkte und schnippte sich von dannen – zu Gertrud,
Sonnhild, Berta, Brunhilde, Magda, Kunigunda, Bärbel, Walburga und Lisalotta.
Physio Fee und Sabinela hielten Fred ein Fläschchen Dünger-Riechsalz unter die
Blätter. Blinzelnd kam er zur Besinnung. Der Weihnachtsmann beugte sich über
die drei, vollführte eine einfache aber wirkungsvolle Geste und Fred erstrahlte im
Schein abertausender von Kerzen. Der schönste Weihnachts-Benjamin diesseits
des Polarkreises. Der Weihnachtsmann blickte auf zu Christ(ina), die ihm mit
einer eleganten Kopfbewegung zu verstehen gab, dass sie stolz auf ihn war.
»Feiert ihr mit uns?« fragte Maat Körnbröd in die Runde. »Wir haben da noch
ausgezeichnetes Weihnachtsbier mit Lebkuchen- und Zimtaroma.«
–ENDE–