andere Länder, andere Sitten?

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andere Länder, andere Sitten?
Abschlussbericht
Name der Kanzlei:
Noerr Alicante IP, S.L.
Zeitraum des Praktikums:
16.07.2012 – 21.09.2012
Studienfach: Rechtswissenschaft (5. Semester)
Deutsche Großkanzlei in Spanien
…andere Länder, andere Sitten?
Nach meinem einjährigen ERASMUS-Aufenthalt in León, einer kleinen
Stadt im Norden der iberischen Halbinsel, hatte ich die Absicht, vor
meiner Rückkehr nach Deutschland mit der Hilfe von Student und
Arbeitsmarkt ein Auslandspraktikum in Spanien zu absolvieren, wenn
möglich in einer Großkanzlei. Aber wo?
Ich arbeitete bereits bei der bekannten deutschen Großkanzlei Noerr
LLP in München im Tätigkeitsbereich „Media, IP & IT“ als Studentische
Hilfskraft. Während einer Noerr Practice Veranstaltung im Bereich
Patentrecht – diese Veranstaltung bietet jedem Interessierten die
Möglichkeit, Einblicke in konkrete Tätigkeitsbereiche der Kanzlei zu
gewinnen – lernte ich meine zwei derzeitigen Betreuer aus dem NoerrBüro in Alicante kennen. So ergab sich die Möglichkeit für ein Praktikum
bei Noerr Alicante IP, S.L.
Vor Beginn des Praktikums war ich sehr gespannt, was mich in einer
deutschen Kanzlei in Spanien erwarten würde. Noerr Alicante IP, S.L.
berät Mandanten zu allen Fragen im Zusammenhang mit dem HABM
(Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt), d.h. Gemeinschaftsmarken,
Gemeinschaftsgeschmacksmustern und internationalem Markenschutz.
Dazu gehören Verfügbarkeitsrecherchen und Markenstrategien, Schutz
und Durchsetzung von Gemeinschaftsmarken und -geschmacksmustern
sowie Verfahren vor den Europäischen Gerichten in Luxemburg. Das
Team berät außerdem zu globalen Marken- und Designstrategien. Da
das Büro sehr spezialisiert ist, konnte ich einen sehr detaillierter Einblick
in das Markenrecht erhalten und mich in diesen speziellen Fachbereich
einarbeiten. So erhielt ich ein umfassendes Bild dieser Materie.
Das Büro von Noerr in Alicante gibt es seit Mitte letzten Jahres. Daher
stand auch noch einige administrative Arbeit an. Die von mir
durchgeführten Tätigkeiten waren jedoch sehr unterschiedlich. Zunächst
wurde ich mit dem „Takeover“ aller Gemeinschaftsmarken und
Gemeinschaftsgeschmacksmuster von Noerr in München nach Alicante
beauftragt. Weiterhin habe ich Schriftsätze (Schreiben, Briefe,
Widersprüche, Beschwerden etc.) in spanischer, deutscher und
englischer Sprache an Rechtsanwälte und Mandanten aus aller Welt
formuliert und versendet. Desweiteren habe ich Anmeldungen neuer
Gemeinschaftsmarken, Wiedersprüche, Anträge auf Löschung oder
Nichtigkeit einer Gemeinschaftsmarke online beim HABM über MyPage
eingereicht, habe gemäß interner Regelungen Akten angelegt und
geschlossen,
mich
in
Patricia
(Markenverwaltungssoftware)
eingearbeitet und Aktendaten vervollständigt, Fristen (Widerspruch,
Cooling-off, Verlängerung, etc.) überwacht sowie Übersetzungen
angefertigt (vor allem vom Spanischen ins Deutsche und umgekehrt). Ich
habe Online-Markenrecherchen bei Polymark durchgeführt, eine neue
Mandantenliste angelegt sowie Pitch-Präsentationen zur Gewinnung von
Mandanten erstellt. Durch die anspruchsvollen Aufgaben, die ich in der
Kanzlei erhielt, konnte ich meiner Ansicht nach als Studentin viel lernen
und gleichzeitig einen Beitrag für die Kanzlei Noerr leisten.
Bei Fragen konnte ich jederzeit auf meine Betreuer und das ganze Team
zukommen. Diese sorgten stets für ein kollegiales Miteinander und die
damit verbundene angenehme Arbeitsatmosphäre in der Sozietät. Das
Team hat mich am ersten Tag sehr nett empfangen und vertraute mir
seit diesem Tage verantwortungsvolle Aufgaben an, da ich bereits
Erfahrung aus München mitbrachte. Schnell war ich eingearbeitet und
gehörte zum Team dazu.
Die Office-Sprachen waren Englisch, Spanisch und Deutsch; unter
Arbeitskolleginnen wurde ab und an Französisch gesprochen, was für
mich jedoch kein Problem war, da ich diese Sprache in der Schule
erlernt hatte. Da ich bereits nach dem Abitur ein Jahr im
englischsprachigen Ausland und nun zu Beginn des Praktikums bereits
fast ein Jahr in Spanien gelebt hatte, war die Kommunikation auf
Englisch und Spanisch ebenfalls sehr angenehm. Die Arbeitsatmosphäre
war sehr international, was mir wiederum sehr gut gefiel.
Am 31. August fand der „Noerr Alicante – Day out“ des Büros statt, an
dem ich das Team näher kennen lernen konnte und der Zusammenhalt
noch einmal gestärkt wurde. Wir verbrachten einen ganzen Tag auf einer
Segelyacht und segelten von Dénia aus die Costa Blanca entlang, u.a. an
den wunderschönen Calas in der Marina Alta vorbei.
Die Kanzlei ermöglichte mir außerdem einen „Schnuppertag“ beim
HABM. Dieses Amt der Europäischen Union mit Sitz in Alicante ist
zuständig für die Eintragung und Verwaltung der Gemeinschaftsmarken
und Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Rechte des geistigen Eigentums.
Sie bieten Marken- und Geschmacksmusterschutz in der gesamten
Europäischen Union.
Ich fragte mich vor Beginn des Praktikums, ob es bei Noerr Alicante IP,
S.L. Unterschiede zu Noerr LLP München geben würde bezüglich der
Arbeitszeit oder der Motivation der Kollegen, bedingt durch die
spanische Erziehung und Kultur. Würde die Kanzlei nachmittags
zwischen 14 und 17 Uhr auch schließen, wie fast alle Geschäfte in
Spanien?
Fehlanzeige. Die 3-stündige „Siestazeit“ gehört immer mehr der
Vergangenheit an. Unternehmen können sich im Hinblick auf den
europäischen und internationalen Wettbewerb diese lange Mittagspause
nicht mehr erlauben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Arbeitszeit bei
Noerr Alicante richtet sich damit auch nach dem nordeuropäischen
Modell. Zudem werden bei Noerr Alicante viele deutsche Traditionen
gepflegt. Die Anwälte sitzen, wenn nötig, auch noch bis spät in die Nacht
an ihren Schreibtischen und arbeiten genauso hart wie die Anwälte in
Deutschland. Ich fühlte mich bei meiner Arbeit daher fast wie im
Münchner Büro, jedoch sind meine Kollegen, einige Spanier/innen,
vielleicht etwas aufgeschlossener, gelassener und lebensfreudiger und
nicht ganz so ernst und formell, Eigenschaften, die die Deutschen von
den Spaniern gerne zugeschrieben bekommen.
Ich habe während meines Praktikums mit einer spanischen Familie im
Zentrum von Alicante gelebt, da ich mein Spanisch noch weiter
verbessern wollte. Neben dem Valenciano, Sprache der autonomen
Gemeinschaft Valencia, sprechen alle Alicantinos ein sehr verständliches
Castellano.
Im Zentrum, einer süßen Innenstadt mit vielen kleinen Sträßchen,
befinden sich unter anderem die Kathedrale Concatedral de San Nicolás,
die auf den Grundmauern einer alten Moschee errichtet wurde, die Burg
Castillo de Santa Bárbara, auf der man wechselnde Kunstausstellungen
mit Bildern und Skulpturen namhafter Künstler, die faszinierende
Aussicht über Alicante und das Umland, sowie die für diese Gegend
typischen Pflanzen bewundern kann, das MARQ, das Archäologische
Museum der Provinz von Alicante (ein Besuch dort ist sehr zu
empfehlen), der Plaza de Torros, die Stierkampfarena, und natürlich das
Weggehviertel, in dem man viele traditionelle Cafes und Restaurants
findet und die spanische Küche probieren kann; dort sind viele Bars und
Clubs auf sehr engem Raum versammelt und jeden Abend ist dort sehr
viel los. Zudem gibt es in einigen Bars zu jedem Getränk die berühmten
Tapas gratis (!) – typisch für Alicante sind z.B. die Paella Alicantina,
Chipirones (fritierte Tintenfischringe), Revuelto de ajetes (Rührei mit
Knoblauchstangen) oder auch Ensalada Muciana (Tomatensalat mit
Thunfisch, schwarzen Oliven, Zwiebeln und einem gekochten Ei). Auch
die Clubs und Restaurants am Hafen sowie das Casino sind zum
Weggehen (Essen, Trinken, Tanzen zu spanischer Musik) sehr zu
empfehlen. Außerdem findet man in Alicante alles, was auch in einer
kleineren deutschen Stadt vorhanden ist: große und kleine Geschäfte
verschiedenster Art, viele Supermärkte, gute und preiswerte
Restaurants, viele Shoppingmalls (3 Outletstores; u.a. das Outlet von
„Mango“), Kinos und einige Clubs mit typisch spanischer Musik. Die
Alicantiner sind sehr aufgeschlossen und hilfsbereit, was das Leben in
Alicante sehr angenehm macht.
Generell ist es zu empfehlen eine Wohnung erst vor Ort zu suchen sowie
ein paar Tage vor Praktikumsbeginn anzureisen, um sich selbst vor
Abschluss des Mietvertrages ein Bild von den einzelnen Wohnungen
machen zu können. In Alicante werden aufgrund der derzeitigen
Situation sehr viele freie Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt
angeboten und daher ist die Suche nach einer Wohnung sehr leicht.
Preiswerte und schöne Wohnungen werden z.B. auch auf der
Internetseite der Universidad de Alicante angeboten.
Die Vermieter hier in Alicante, so habe ich die Erfahrung gemacht,
vermieten die Wohnungen eigentlich nur nach Besichtigung, weil sie
ihre Mieter erst einmal kennen lernen wollen. Gleichzeitig hat man als
Vermieter die Sicherheit, dass die Wohnung überhaupt so existiert, wie
sie angeboten wird. Hat man jedoch die perfekte Wohnung schon über
das Internet gefunden – und Vertrauen zum Vermieter aufgebaut, kann
man
dem
Vermieter
während
des
Telefongespräches,
EMailkorrespondenz etc. aus Deutschland auch anbieten, eine Kaution zu
überweisen, um die Wohnung/das Zimmer so zu sichern. Ob sich der
Vermieter darauf einlässt, ist dann immer eine persönliche Frage. Durch
die Überweisung der Kaution weiß der Vermieter sicher, dass man
kommen wird und das Zimmer haben möchte. Ich habe die Spanier als
ehrliche Menschen kennen gelernt. Dennoch: sollte man Bedenken
haben und will auf Nummer Sicher gehen, was mit seinem Geld passiert,
würde ich von einer vorzeitigen Überweisung eher abraten.
Außerdem kann ein gutes Spanisch bei der Wohnungssuche durchaus
ein Vorteil sein, weil viele Kleinigkeiten bezüglich der Wohnung einfach
vorher abgeklärt werden müssen. Die meisten Alicantiner (sowie
generell die Menschen in Spanien inklusive der Großstädte wie Madrid
und Barcelona) sprechen wenig bis gar kein Englisch.
In Alicante werden die meisten Wohnungen im Preisrahmen von 200300 Euro angeboten. Dies (inklusive Nebenkosten) ist ein angemessener
Preis für die momentane Situation. Man sollte sehr darauf achten, ob
zusätzliche Nebenkosten auf einen zukommen – um z.B. böse
Überraschungen in Form von hohen Rechnungen der Heizkosten im
Winter zu vermeiden (Tipp für alle, die ein Praktikum während der
Wintermonate machen; denn „ja“, auch in Spanien gibt es einen
Winter!).
Zudem halte ich es für sehr nachteilig, während der Praktikumszeit mit
Mitbewohnern gleicher Nationalität zusammen zu wohnen, da die
Kommunikationssprache häufig die eigene und nicht die des Landes ist,
in der man sich jedoch eigentlich verbessern wollte/sollte. Mein Zimmer
in der Wohnung der spanischen Familie war wirklich ein Glücksgriff. Die
Mutter holte mich bei meiner Ankunft mit dem Bus an der Busstation ab
und die Familie empfing mich zum Mittagessen mit einer Tortilla
Española, ein typisches Gericht in ganz Spanien. Noch am ersten Tage
kümmerten sie sich mit mir um Fahrtickets, Busverbindungen (zur
Kanzlei waren es jedoch nur 10 min. zu Fuß) und eine erste Orientierung
in der Stadt.
In den nächsten Tagen kam ein Freund aus León, dessen Familie in
Alicante ein Ferienhaus hat, und stellte mich seinen alicantinischen
Freunden vor. Mit diesen unternahm ich sehr viel während meiner Zeit
in Alicante und lernte so andere Einheimische kennen und baute mir
schnell einen vorübergehenden „Freundeskreis“ auf.
An Alicante, der spanischen Hafenstadt an der Costa Blanca, reizt mich
besonders, dass diese Stadt das südländische Lebensgefühl – im
Gegensatz zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Metropole wie z.B.
Barcelona – unverfälscht greifbar macht. Alicante verkörpert (trotz
Tourismus) immer noch das ursprüngliche Spanien und ermöglicht –
geprägt durch die Geschichte und die Tradition kombiniert mit einer
Fülle kultureller Möglichkeiten – einen sehr persönlichen Zugang zu
Land und Kultur. Zudem ist die Umgebung von Alicante wunderschön.
Kleine Städte wie Altea, Calp oder Elche muss man gesehen haben.
In diesem Zuge möchte ich mich bei Student und Arbeitsmarkt für die
tolle Unterstützung meines Praktikums bedanken. Ohne die finanzielle
Hilfe hätte ich „la vida española“ bestimmt nicht so genießen können!
Das Praktikum hat mir sehr viel Spaß gemacht und meinen Entschluss
bestärkt, mich im Oktober mit dem Schwerpunkt 3 auf
Wettbewerbsrecht, Geistiges Eigentum und Medienrecht an der LMU zu
spezialisieren. Durch das Praktikum konnte ich die Bedeutung von
Gemeinschaftsmarken und Geschmacksmustern, die auch in Zukunft
weiter steigen wird, in der Praxis kennen lernen und einen vertieften
Einblick in die Rechte des Geistigen Eigentums erhalten.
Das Praktikum bei Noerr Alicante IP, S.L. war eines der besten meiner
bisherigen Ausbildung. Trotz vollem Arbeitsalltag war jeder Tag gefüllt
mit neuen Aufgaben und kleinen „Abenteuern“. Durch den
Praktikumsaufenthalt konnte ich nicht nur meine Sprachkenntnisse
verbessern, sondern auch einen ganz persönlichen Zugang zu den
kulturellen Aspekten des Landes entwickeln. Der Auslandsaufenthalt
stellt für mich eine einzigartige, individuelle Erfahrung dar, an der ich
nicht nur fachlich, sondern auch persönlich gewachsen bin.