Gothic vs. Vampir in der TV-Serie South Park

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Gothic vs. Vampir in der TV-Serie South Park
Gothic vs. Vampir in der TV-Serie South Park
Marcus Recht
Der folgende Aufsatz befasst sich mit der Differenzierung der aus der Jugendkultur stammenden Stilrichtungen der Gothics und einer neueren in der Szene
eher verpönten Erscheinung der „Real Vampires“. Eine solche Unterscheidung
wird insbesondere in einer Episode der Animations-Comedy South Park mit
dem Titel „The Ungroundable“ (12x14) thematisiert, die es im Folgenden näher
zu betrachten gilt.
Die Gothic- und Dark-Wave-Szene, auch umgangssprachlich als „Gruftie“- oder Schwarze-Szene bezeichnet, ging Anfang der 1980er-Jahre in England aus
einer düsteren Seite des Punk und dem „New Wave“ hervor. Als Basiselemente
spielt das Zusammenwirken von heute recht unterschiedlichen musikalischen
Stilen, die Thematik des Todes und der Vergänglichkeit eine ebenso große Rolle wie die Selbstinszenierung und Schnittmengen von heute sehr unterschiedlichen Kleidungsstilen. Allgemein wird der Begriff des Gothics mit den GruselRomanen von Edgar Allan Poe und auch H. P. Lovecraft, den sogenannten
„Gothic-Novels“, in Verbindung gebracht. Für Gothics war der introvertierte
Zweifel am Sinn des Lebens ebenso zentral, wie sich der Melancholie hinzugeben und eigene Probleme zu verinnerlichen und sich mit dem Tod zu beschäftigen (Richard 1995). Mittlerweile ist der Begriff der Schwarzen-Szene ebenso
breit gefächert wie der Begriff der Independent-Szene. Zur Gothic-Szene zählen unter anderem Dark Wave, ältere Stilrichtungen wie die New Romantics
oder Blitz-Kids, Gothic-Rock und Black Metal, Electronic-Body-Music, Industrial und Noise, die Mittelalter-Szene, Batcave, Neo-Folk und Szenen, die mit
der Gothic-Szene weitaus weniger gemein haben, wie die Vampir-Szene, VisualKei und große Teile der Fetisch-Szene. In der klassischen ursprünglichen GothSzene bildet jedoch die Farbe Schwarz einen Kulminationspunkt, in dem sich
viele der genannten Sub-Szenen treffen. Ab Mitte der 1980er-Jahre stellt eine
rein schwarze Kleidung die einzige Möglichkeit dar, sich von der Buntheit und
Vielfältigkeit der normalen Mode zu distanzieren (Richard 1995: 118). Gleichzeitig zieht diese Farbe Aufmerksamkeit auf seinen Träger und repräsentiert die
tiefe und endlose Dunkelheit des Todes (Hollander 1993: S. 376).
Die äußerst klassisch konstruierten Gothics-Charaktere der South Park-Episode
„The Ungroundable“ (12x14) bestehen aus vier Charakteren. Der eine namenlose Dark Waver ist groß mit lockigen Haaren, trägt einen langen schwarzen
Mantel, ein weißes Hemd, hat einen hängenden Kreuz-Ohrring an seinem lin-
ken Ohr, wie er sich in den 1980er Jahren großer Popularität erfreute und benutzt einen Gehstock. Das zweite Mitglied ist ein nach dem Kindchen-Schema
mit großen Augen angelegtes Kindergarten-Kind. Das dritte männliche Mitglied
hat eine rote Strähne in seinen über die Augen reichenden Haare, die er in regelmäßigen Abständen durch eine ruckartige Halsbewegung aus dem Gesicht
schnickt und trägt lilafarbene Creepers-Schuhe (ein Schuhmodell, welches vor
allem von der Ted-Bewegung getragen wurde). Das letzte Mitglied der Gothics
ist ein übergewichtiges Mädchen, das den Namen Henrietta trägt. Sie trägt ein
langes Kleid, das über ihrer Brust in eine Netzstrumpfhose übergeht, ein großes
silbernes Kreuz um ihren Hals, und ihre Frisur entspricht dem, was man in den
1980er-Jahren in der schwarzen Szene als Vogel-Nest bezeichnet hatte; des
Weiteren trägt sie schwarze „China Flat“ Samt-Ballerina-Schuhe. Alle haben
schwarze Haare, rauchen (Henrietta mit einer überlangen Zigaretten-Spitze),
trinken Kaffee und lauschen Gothic-Musik auf dem mitgebrachten GhettoBlaster. Ihre Diskussionen kreisen um die Themen von Authentizität, Existentialismus, Konformismus und die Sinnlosigkeit von allem (Vgl. auch South Park
7x14), was besonders bei dem kleinen Gothic im Kindergartenalter recht absurd und gleichzeitig niedlich wirkt.
Dieser speziellen Subkultur der Gothics werden in der South Park-Folge „The
Ungroundable“ die sogenannten „Real Vampires“ gegenübergestellt, die auf der
popkulturellen Rezeption von Vampiren in Literatur und Film basieren und
diesem Lebensstil in Form von Kleidung, Sprache und falschen VampirZähnen huldigt. Die Szene der „Real Vampires“ existiert bereits seit Jahren, er-
lebte jedoch einen weitaus größeren Boom bei den jungen Teenagern, besonders durch die Romane und den Film Twilight, der Mormonin Stephenie Meyers.
Am Beginn dieser Episode rennt
Butters, einer der Charaktere, in
den Klassenraum und behauptet,
dass er Vampire auf dem Schulgelände gesehen hätte, die anstelle
von Blut „Clammato-Juice“ trinken (eine South Park-typische
Anspielung an das Getränk Clamato, ein Tomaten-Muschel-Glutamat-Drink, welches von der Farbe her entfernt an Blut erinnert). Wie immer in der Serie, hat Butters große Angst und
versucht, die „Möchtegern Vampire“ zwecklos mit einem Kruzifix abzuwehren.
Er wird innerhalb der Serie von seinen Eltern wiederholt und ungerecht bestraft und beschließt nun, auch zu einem der Vampir-Kinder zu werden, weil er
denkt, dann resistent gegen Hausarrest (Ungroundable) zu werden. Als Initiations-Ritus wird die kleine Zeichentrickfigur in eine Hot Topic-Filiale geführt,
die in dem kleinen Städtchen South Park neu eröffnet hat, und wird dort als
Vampir eingekleidet.
Für die Gothics, die innerhalb der Episode von den Erwachsenen fälschlicherweise wiederholt als Vampire bezeichnet werden, bricht eine Welt zusammen,
denn äußerlich finden sich zwischen den zwei Gruppierungen einige Parallelen,
wie die Farbe Schwarz und die Verbindung zum Tod. In einem AbschlussMonolog vor der gesamten Schule stellt der Gothic mit den Haaren im Gesicht
den Unterschied heraus: Wenn man das Leben hasst und tatsächlich keine Lust
auf die Sonne hat, des Weiteren raucht und Kaffee trinkt, ist man ein Gothic.
Wenn man sich jedoch schwarz kleidet, weil es Spaß macht und sich Glitzer auf
die Wangen klebt, sich gleichzeitig für das Okkulte interessiert, während man
Dinge meidet, die schlecht für die Gesundheit sind, sei man ein bescheuerter
Möchtegern-Vampir, so der Gothic; Des Weiteren müsse jeder geistig zurückgeblieben sein, der tatsächlich glaubt, er sei ein Vampir.
Was der jugendliche Gothic hier so polemisch formuliert, trifft jedoch die Unterscheidung der beiden Bewegungen. Authentizität ist das, was den Vampiren
fehlt, denn die Vampir-Bewegung wird in der Episode als Modeerscheinung
und als simple Verkleidung, als Cosplay dargestellt, in der zum Beispiel auch
Musik keine tragende Rolle spielt. Bei richtigen Gothics ist jedoch die Musik
ebenso zentral, wie das Verlangen, ein authentisches und leidendes Individuum
zu sein; hierin besteht der grundsätzliche Unterschied.
Wie so oft innerhalb von South Park, wird auch hier wiederholt ein aktuelles
Phänomen aufgegriffen, welches die Produzenten der TV-Serie auf kritische
und gelungene Weise persiflieren.
Literatur:
Richard, Birgit: Todesbilder. Kunst, Subkultur, Medien. Wilhelm Fink Verlag 1995.
Hollander, Anne: Seeing through Clothes. Berkeley & London: University of California Press 1993.