Jesus in der Politik A4 quer

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Jesus in der Politik A4 quer
Jesus in der Politik?
Die geistlichen Werte des Evangeliums für die Politik
Roland Hardmeier
Referat an der ChristNetKonferenz vom 1. Februar 2003 in Bern.
Herausgeber: www.ChristNet.ch
© Copyfree! Roland Hardmeier, Kloten, und ChristNet 2003.
Dieser Text kann in seiner Gesamtheit unter Angabe dieses Hinweises frei vervielfältigt und kostenlos verbreitet werden.
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Roland Hardmeier
INHALT
Einleitung ............................................................................................2
I. DIE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE SITUATION ZUR ZEIT JESU ..............3
II. DAS RADIKALE UND WELTVERÄNDERNDE HANDELN JESU..................4
1. Gewaltfreiheit (Matthäus 16,21-23) ................................................4
2. Solidarität (Lukas 4,16-19) ............................................................5
3. Prophetie (Matthäus 21,12-13) ......................................................6
4. Machtkritik (Matthäus 20,25) .........................................................6
5. Dienst (Matthäus 20,26-28) ...........................................................7
III. ABGELEITETE GRUNDSÄTZE FÜR KIRCHE, GESELLSCHAFT UND
POLITIK HEUTE ...................................................................................8
Jesus in der Politik?
Einleitung
Früher dachte ich, dass das Evangelium von Jesus Christus mit der
Tagesordnung der Welt nicht viel zu tun hat. Ich wuchs in einem
konservativen christlichen Umfeld auf. Der Jesus, den ich kennen
lernte, war ein individueller Erlöser aber niemals ein politischer
Mensch! Der Gedanke der Weltveränderung schien mir ein Verrat des
Evangeliums zu sein. Glaube hatte für mich nichts mit
Weltzugewandtheit zu tun. Glaube war für mich eine Flucht aus der
Gegenwart. Wäre ich damals zu einer Konferenz mit dem Thema
„Jesus in der Politik?“ eingeladen worden, hätte ich gesagt: „Das ist
irrelevant, es interessiert mich nicht!“ Heute denke ich anders. Ich bin
der Überzeugung, dass das Leben und die Lehre von Jesus Christus
eine hohe Relevanz für die sozialethischen Herausforderungen
unserer Zeit haben.
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte nach dem 11.
September 2001: „Wir wissen, dass die Anschläge von New York und
Washington nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun haben“.
Der katholische Theologe Hans Küng dagegen sagt: „Man braucht...
nicht religiös zu sein, um Religion... ernst zu nehmen. Eine
Zeitanalyse, welche die religiöse Dimension ausklammert... ist
defizitär!“ i
LITERATUR..........................................................................................9
Man kann ja bekanntlich auf beiden Seiten des Pferdes herunterfallen.
Eine Zeitanalyse, welche die religiöse Dimension ausklammert - wie
Schröder das tut - ist defizitär. Umgekehrt gilt: Glaube, der die
politische Dimension ausklammert ist ebenso defizitär. Glaube hat
eine politische Dimension, und Politik hat eine religiöse Dimension.
Der amerikanische evangelikale Christ und Friedensaktivist Jim Wallis
hat gesagt, dass die alten politischen Kategorien, die wir kennen, so
gut wie unbrauchbar geworden sind. Was er von der Politik in seinem
Land sagt, trifft auch auf die politische Szene in unserem Land zu.
Wallis sagt:
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„Der links-progressive Ansatz ist gescheitert, weil er unfähig ist, jene ethischen
Werte zu formulieren..., die jede... Bewegung speisen müssten, wenn sie
tiefgreifende soziale Veränderung will. Der Linken fehlt die notwendige
Zusammenschau von persönlicher Verantwortung und gesellschaftlicher
Veränderung.“
„Der Konservatismus hingegen leugnet nach wie vor das Faktum struktureller
Ungerechtigkeit und sozialer Unterdrückung. Wenn man... die Rückkehr zu
Familienwerten predigt und gleichzeitig die Augen verschliesst vor den
verheerenden Auswirkungen von Armut, Rassismus und Sexismus... schiebt
man... die Schuld auf die Opfer.“ ii
Nachdem Wallis mit den Linken und den Rechten ins Gericht gegangen ist,
folgert er:
„Beide ideologischen Ansätze sind ausserstande, mit dem Ausmass und der
Vielschichtigkeit der sozialen Krise umzugehen, mit der wir konfrontiert sind.“iii
Was wir brauchen ist ein Brückenschlag zwischen links und rechts - ein
Brückenschlag, der die Stärken beider Seiten vereinigt und die Schwächen
überwindet. Wir brauchen geistliche Werte in der Politik - geistliche Werte,
welche uns die moralische Kraft geben, das Gemeinwohl zum Fokus der
Politik zu machen. Ich glaube, dass das Evangelium von Jesus Christus
diesen Brückenschlag ermöglicht, sofern es richtig verstanden und radikal
gelebt wird.
Jesus in der Politik?
I. DIE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE
SITUATION ZUR ZEIT JESU
Als Jesus öffentlich aufzutreten begann, befand sich das jüdische Volk
in einem Zustand der Zerrissenheit:
Politisch war das Land in drei Lager gespalten. Die erste Kraft im Land
war Rom. Die Römer waren den meisten Juden verhasst. Die zweite
Kraft war die Königsfamilie des Herodes. Rom liess den
herodianischen Herrschern weitgehend freie Hand. Diese nutzten
ihren Spielraum aus und taten sich durch Ausbeutung und Willkür
hervor. Die dritte Kraft konzentrierte sich in den hohepriesterlichen
Familien. Das Nervenzentrum ihrer Macht war der Tempel.
Wirtschaftlich tat sich eine Kluft zwischen Arm und Reich auf. Die
hohenpriesterlichen Familien und deren Günstlinge gehörten zur
reichen Oberschicht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung gehörte
bildete die arme Mittelschicht. Aus ihr kam Jesus und wahrscheinlich
der grösste Teil seiner Nachfolger. Zur untersten Schicht gehörten
Bettler, Aussätzige und Herumtreiber. Ihnen mangelte es am
Lebensnotwendigen.
Diese
Unglückssituation
Reaktionen:
provozierte
die
unterschiedlichsten
REVOLUTION. Die Zeloten wählten den Weg der Revolution. Die
Römer und alle, die mit ihnen kollaborierten waren den Zeloten
zutiefst verhasst. Sie waren die „Befreiungstheologen“ ihrer Zeit.
TEILVERWEIGERUNG. Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren
Teilverweigerer. Sie wählten den Weg des Kompromisses. Ihr
Versuch, umfassende Veränderung durch strikte Religionsausübung
herbeizuführen artete in fromme Haarspalterei aus.
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TOTALVERWEIGERUNG. Die Essener traten als Totalverweigerer den
Weg in die Wüste an. Sie lebten in einem geistlichen Ghetto. Sie weigerten
sich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
ANPASSUNG. Die Sadduzäer reagierten mit Anpassung an das System.
Sie rekrutierten sich aus der Priesteraristokratie und entpuppten sich als
Opportunisten. Sie waren auf Machterhaltung aus und vertraten ein
gemässigt progressives Weltbild.
ALTERNATIVE. Es gab Juden, die den aufreibenden Mittelweg zwischen
Verweigerung und Anpassung gingen, ohne ihren Glauben zu
kompromittieren. Der kleinere Teil von ihnen diente Gott und der
Gesellschaft im Zentrum der Macht. Der grössere Teil führte ein
unauffälliges Leben.
Diese Skizze zeigt, dass es zwischen der gesellschaftspolitischen Situation
damals und unserer heutigen durchaus Parallelen gibt. Wie heute gab es
damals eine Kluft zwischen den Armen und den Reichen, den Mächtigen
und den Schwachen und den Gewaltbereiten und Friedfertigen. Die
Parallelen zwischen damals und heute erlauben es uns, Linien von der
Vergangenheit in die Gegenwart zu ziehen.
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II. DAS RADIKALE UND
WELTVERÄNDERNDE HANDELN JESU
Es gibt Leute die der Meinung sind, dass Jesus kein politischer Mensch
war. Doch diese Behauptung hält einer genaueren Prüfung nicht
stand. Wir müssen die besondere Situation verstehen, in der Jesus
sich befand. Er lebte in einer römischen Provinz, die Teil einer
totalitären Diktatur war. Jesus hatte das römische Bürgerrecht nicht
und damit keine politischen Rechte. Die politischen Möglichkeiten, die
sich Jesus boten, waren äusserst beschränkt.
Die Botschaft Jesu war nicht vorrangig politischer Natur. Der Kern
seiner Lehre war das Kommen des Reiches Gottes. Jesus rief die
Menschen in seine Nachfolge und forderte sie auf, Gottes Reich über
alles andere zu stellen. Die Botschaft Jesu war so radikal, dass sie
unweigerlich politisch wurde. Jesus war radikal, weltverändernd und
damit unweigerlich ein politischer Mensch. Ich gebe Ronald Sider
recht, der gesagt hat:
„Wenn man sagt, dass Jesu messianische Sendung an die jüdische Nation
keine ‚politische‘ gewesen wäre, heisst das, das ganze Evangelium vom
Reich Gottes zu vergeistigen und damit misszuverstehen.“ iv
Wie hat Jesus auf die Unglückssituation des jüdischen Volkes
reagiert? Ich möchte die Antwort auf diese Frage in Stichworten und
einem je entsprechenden Bibeltext geben.
1. Gewaltfreiheit (Matthäus 16,21-23)
In dieser Begebenheit widerspiegelt sich die Tatsache, dass der
zelotische Weg ein reale Versuchung für Jesus darstellte. v Jesus
wirkte zweifellos anziehend auf die Zeloten. Aus den Evangelien
wissen wir, dass zumindest einer seiner engeren Jünger ein Zelot war.
Von seiner Versuchung am Anfang seines öffentlichen Auftretens bis
zu seinem inneren Ringen vor seiner Verhaftung kämpfte Jesus mit
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der zelotischen Option, aber er gab ihr nie nach. Er erkannte sie als
satanisch. Jesus vernahm in den gutgemeinten Worten von Petrus die
Stimme des Versuchers und wies ihn deshalb schroff zurecht: „Weg mit
dir, Satan!“
Jesus hätte zweifellos gegen die Römer mobil machen können. Die Zeloten
waren bereit, die Menschen wären ihm gefolgt. Die Versuchung, Macht
ohne Dienst und ohne Leiden zu erlangen war für Jesus real. Aber Jesus
ging den Weg ans Kreuz. Er wusste, dass dies der Weg des Vaters ist. Er
wusste auch, dass der bewaffnete Kampf gegen Rom in der Katastrophe
geendet hätte. Tatsächlich tat er dies im Jahre 70 n.Chr., nachdem die
Zeloten den Aufstand gegen Rom provoziert hatten und die römischen
Legionen Jerusalem zerstörten. Der Kampf hätte keine grundlegende
Änderung der Situation gebracht. Das eigentliche Hindernis für die
Herbeiführung einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens lag - und
liegt immer noch - im Menschen selber. Die Mission Christi war es, durch
seine Tat am Kreuz die Menschen mit Gott zu versöhnen und so
Veränderung von innen her zu bewirken. Wie will jemand ein Friedenstifter
sein, wenn er mit Gott und dem Nächsten keinen Frieden hat?
2. Solidarität (Lukas 4,16-19)
In diesem sogenannten „Nazareth-Manifest“ definiert Jesus seine Aufgabe:
Er wusste sich zu den Armen gesandt. Mit den Armen sind im Neuen
Testament zwei Personengruppen gemeint: Zum einen diejenigen, die
wegen der Benachteiligung durch das herrschende System oder wegen
Katastrophen verarmt waren. Zum andern die, welche in ihrer
Ohnmachtssituation ihre Hoffnung bei Gott suchten und deshalb die
„geistlich Armen“ genannt werden.vi Im Lukasevangelium sind die Armen
ein Sammelbegriff für alle in irgendeiner Weise Benachteiligten.vii
Jesus erklärt sich im Nazareth-Manifest also solidarisch mit den Armen und
Unterdrückten. Er sah seine Aufgabe darin, sie zu befreien und ihnen Heil
zu schenken. Nie verlor Jesus den einzelnen Menschen aus den Augen. Er
schenkte seine besondere Aufmerksamkeit denen, die am Rande der
Gesellschaft waren - seien es diskriminierte Frauen, sich selbst überlassene
Jesus in der Politik?
Kranke oder sonstige Randständige. Jesus ging zu diesen Menschen.
Er scheute sich nicht, sie zu berühren. Er gab ihnen Würde. Er liebte
sie.
Für die Randständigen hatte man damals einen passenden Begriff
parat: Man nannte sie „Sünder“. Die Sünder - das war die
Prostituierten, die Zolleinnehmer, die Kranken etc. Wenn Jesus einen
„Sünder“ sah, sah er in ihm ein verirrtes Kind Gottes. Jesus zog den
Zorn des jüdischen Establishments auf sich, als er reuigen Sündern
die Gnade Gottes zusprach, während er den „Frommen“ das Gericht
ankündigte. Warum tat er das? Weil die Frommen durch ihren Stolz
kränker geworden waren als die Sünder durch ihre Sünde!
Mit seinem solidarischen Handeln setzte Jesus Zeichen. Er kümmerte
sich ganzheitlich um den Menschen. Leib und Seele waren ihm
gleichermassen wichtig. Das lehrt uns, dass wir niemals einen Keil
zwischen ein „persönliches“ und ein „soziales“ Evangelium treiben
dürfen. Es gibt nur ein Evangelium, das von Jesus Christus.viii
Durch sein ausserordentliches Leben hat Jesus vordemonstriert, was
die Bibel mit dem Begriff der Nächstenliebe konkret meint:
Nächstenliebe heisst solidarisch mit den Armen und Unterdrückten zu
sein. Würde Jesus heute leben, würde er den Begriff der
Nächstenliebe ausweiten. Jesus würde sich für die einsetzen, die im
Namen des freien Marktes ausgebeutet werden. Von der
Globalisierung profitieren hauptsächlich der reiche Norden und eine
kleine Elite in der Zwei-Drittel-Welt. Der grösste Teil der
Weltbevölkerung hat vom Globalisierungssegen noch nichts gespürt im Gegenteil. Wir leben heute global. Wir essen Bananen aus
Honduras, trinken Kaffee aus Brasilien und tragen Kleider aus China.
Die Menschen, die diese Konsumgüter produzieren sind - obwohl sie
tausende von Kilometern von uns entfernt sind - unsere Nächsten.
Wir sind durch den Welthandel mit ihnen verbunden. Die
Nächstenliebe gebietet es uns, uns auch für sie einzusetzen. Wer
Christus folgen will muss heute globale Nächstenliebe leben.
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3. Prophetie (Matthäus 21,12-13)
In der Tempelreinigung zeigt sich noch einmal, dass die Gewalt durchaus
eine Option war. Der mennonitische Theologe John H. Yoder schrieb in
seinem bahnbrechenden Buch Die Politik Jesu folgendes dazu:
„Jesus hat nun den weiteren Verlauf der Ereignisse in seiner Hand. Es bräuchte
nur einen Schritt mehr, diese Macht zu festigen, sich auf dem Gipfel der
Massenbegeisterung tragen zu lassen... Der Staatsstreich ist zu zwei Dritteln
gewonnen; es bliebe nur noch, das römische Fort nebenan zu stürmen. Doch es
gehört zum Wesen der neuen Ordnung, dass sie, obwohl sie die alte verdammt und
ablöst, dies nicht mit deren Waffen tut.“ ix
In der Tempelreinigung, diesem Akt zivilen Ungehorsams, zeigt sich, dass
Jesus die Linie der alttestamentlichen Propheten fortsetzte, die sich gegen
Unrechtszustände zur Wehr gesetzt hatten. Die Tempelreinigung war nicht
nur ein religiöser, sondern auch ein wirtschaftlicher und ein politischer Akt:
Er war religiös, weil es Jesus darum ging, dass Gottes Dinge heilig bleiben
sollen. Es erschütterte ihn, dass der Tempel als Haus des Gebets
zweckentfremdet wurde. Die Tempelreinigung war zudem ein
wirtschaftlicher Akt. Der Tempel war nicht nur das religiöse, sondern auch
das wirtschaftliche Zentrum des Landes.x
Schliesslich war die Tempelreinigung auch ein politischer Akt. Durch seinen
Angriff auf den ungezügelten Materialismus, der sich im Tempel breit
gemacht hatte, traf Jesus den empfindlichsten Nerv der herrschenden
Priesteraristokratie. Er griff sie frontal an und prangerte damit den
Unrechtszustand an, für den sie verantwortlich waren.
In der ökumenischenxi und neuerdings auch in der evangelikalenxii
Missionstheologie hat man aus den Handlungen der alttestamentlichen
Propheten und der Tempelreinigung Jesu das „prophetische Amt der
Kirche“ abgeleitet. Der Begriff besagt, dass die Kirche nicht nur das
Evangelium zu verkünden hat, sondern auch die Pflicht hat,
Unrechtszustände anzuprangern. Das prophetische Amt ist keine neue
Erfindung. Martin Luther sah es als die Aufgabe eines Predigers, das
Unrecht der Mächtigen zu kritisieren.xiii
Jesus in der Politik?
Jesus hat also solidarisch und prophetisch gehandelt. Solidarität und
Prophetie sind im Grunde genommen zwei Seiten der gleichen Sache.
Die Solidarität mit den Ausgebeuteten nimmt bei Jesus unter anderem
die Form der probethischen Anklage an, denn die Mächtigen sind
mitschuldig am Elend der Armen. Jesus beschränkte sich also nicht
auf diakonisches Handeln. Er setzte sich gegen die strukturellen
Ursachen des Elends zur Wehr. Was ist das anders als eine politische
Handlung?
4. Machtkritik (Matthäus 20,25)
Dieser Satz fasst Jesu polit-ökonomische Analyse zusammen.xiv Rom
und seine Verbündeten missbrauchen ihre Macht, die Pax Romana ist
nichts als Unterdrückung und Ausbeutung. Damit erweist sich Jesus
als Prophet. Das alttestamentliche Prophetentum erlebte seinen
Höhepunkt in der Zeit nach Salomo. Die Propheten erkannten klarer
als andere die Kehrseite des salomonischen Wohlfahrtstaates. Das
Wirtschaftswachstum und der Wohlstand unter Salomo veränderte die
jüdische Gesellschaft. Als nach Salomos Tod das Reich geteilt wurde,
kam zu einem sozialethischen Dammbruch. Die Kapitaleigner
übernahmen das wirtschaftliche Diktat. Als Folge davon tat sich die
Schere zwischen Arm und Reich auf. Dagegen traten die Propheten
an. Getrieben vom Geist Gottes entwickelten sie eine machtkritische
Sicht der Dinge und stellten sich im Namen Gottes auf die Seite der
Armen und Unterdrückten.
Dieselbe machtkritische Sicht der Dinge finden wir bei Jesus. Jürgen
Moltmann hat treffend gesagt: „Jesus war Torheit für die Weisen und
ein Ärgernis für die Frommen und ein Störenfried für die Mächtigen.“xv
Jesus war machtkritisch, aber er war nicht gegen die staatliche
Ordnung als solche. Das zeigt sich in seinem berühmten Wort: „Gebt
dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“
(Markus 12,17). Jesus gesteht in diesem Wort dem römischen Kaiser
das Recht zu, Steuern zu erheben. Selbst wenn der römische Staat
totalitäre Züge aufwies - es braucht die ordnende Staatsgewalt. Der
Staat darf sich aber nicht absolut setzen. Mit der Aufforderung: „Gebt
Gott, was Gott gehört“ verweigert Jesus dem Kaiser den Kult.
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Sowohl die Propheten als auch Jesus entwickelten aus Liebe zu Gott und
ihrer Nation eine machtkritische Sicht. Daraus können wir für heute lernen:
Wir müssen den Status quo kritisch hinterfragen. Wir brauchen eine
kritische Distanz zu unserem eigenen Kontext. Dann sind wir am besten in
der Lage, unserer Nation zu dienen.
5. Dienst (Matthäus 20,26-28)
Jesus in der Politik?
war, starb als jüdischer Aufrührer an einem römischen
Verbrecherpfahl. Jesus stellte sich nicht mit Gewalt gegen die
Ungerechtigkeit, sondern überwand sie durch Liebe, Dienst und
Vergebung. Sein Leben bedeutete den Beginn einer neuen Art von
Menschsein. Mit seinem Leben und Sterben wies Jesus den Weg, wie
Hass mit Liebe, Macht mit Dienst und Unversöhnlichkeit mit
Vergebung überwunden werden kann.
In diesem Wort stellt Jesus die Alternative zur Macht vor. Die Alternative
zur Macht ist der Dienst. Wir hatten gesehen, dass Jesus beschränkte
politische Möglichkeiten hatte, um etwas zu verändern. Die einzige
„politische Weg“ war die Schaffung einer Alternativgemeinschaft. Deshalb
rief Jesus nicht nur einzelne Menschen in seine Nachfolge, er kündigte
nicht nur die Gottesherrschaft an, sondern er begann auch das Volk
zusammen, das zu dieser Herrschaft gehört.xvi Jesus wollte, dass die
Werte, die er lebte und lehrte, in der Gemeinschaft seiner Nachfolger
konkrete Gestalt gewinnen. Wenn einzelne sich von Gott verändern lassen
und diese Veränderung gemeinschaftlich ausleben - dann hat die Welt sich
zu verändern begonnen.
Nun wird klarer, wie Jesus auf die Unglückssituation seines Volkes
reagierte: Es ging ihm um eine neue geistliche und gesellschaftliche
Verfassung. Jesus wählte dazu weder den Weg der Revolution, noch der
Verweigerung. Er passte sich weder dem herrschenden System an, noch
entwarf er ein politisches Programm. Jesu Strategie bestand - um es mit
Ulrich Duchrow zu sagen - im Aufbau einer Alternativgemeinschaft als
Kontrast zum herrschenden System. Jesus begann die Verhältnisse zu
verändern, in dem er Menschen zu einer erneuerten Gottesbeziehung rief
und indem er sie anwies, ihm zu folgen und wie er radikal zu handeln. Das
ist weltverändernd. Streng genommen ist das kein politisches Programm.
Aber es hat mit voller Absicht politische Auswirkungen.
Niemand anders als Jesus selbst dient als Vorbild für diese
weltverändernde Alternative. Jesus erklärte seinen Jüngern, dass er
gekommen sei, um sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben (Vers 28).
Die radikale Liebe Jesu ging bis zum äussersten. Jesus ging bis ans Kreuz.
Er starb den schändlichsten Tod. Er, der Sohn Gottes, der ohne Sünde
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III. ABGELEITETE GRUNDSÄTZE FÜR
KIRCHE, GESELLSCHAFT UND POLITIK
HEUTE
Im abschliessenden Teil möchte ich vom Leben Jesu einige Grundsätze für
Kirche, Gesellschaft und Politik ableiten. Ich möchte das tun, indem ich
frage, welches im Licht der Taten Christi unsere Aufgabe in unserer
Situation ist.
Die erste und wichtigste Aufgabe, die Christen haben, ist die Verkündigung
der guten Nachricht von der Gnade Gottes in Jesus Christus.
Zu dieser Verkündigung gehört:
•
•
dass der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist und darum eine ihm
angeborene Würde und das Recht auf Freiheit und Gerechtigkeit hat;
dass der Mensch ein gefallenes Geschöpf ist, in der Schuld Gottes
steht und die Versöhnung mit dem Schöpfer durch Jesus Christus
braucht;
•
dass Christus für unsere Sünden gestorben und auferstanden ist und
durch Umkehr und Glaube zu seiner Nachfolge aufgefordert wird;
•
dass Christen ihre Stimme in der Gesellschaft erheben. Wir dürfen
nicht schweigen zu den Fragen der Abtreibung und Homosexualität,
aber ebenso wenig zum ungezügelten Materialismus, zum dreisten
Marktliberalismus und zum ungerechten Welthandel;
•
dass Gott diese Welt immer noch liebt und eines zukünftigen Tages
den ganzen Kosmos erneuern wird.
Ein Evangelium, welches auch nur eine dieser grundlegenden Wahrheiten
verschweigt ist ein verkürztes Evangelium.
Jesus in der Politik?
Die zweite Aufgabe, die der ersten unbedingt folgen muss, besteht
darin, dass die Kirche das Heil, das sie verkündigt auch verkörpern
muss.
Wenn das Leben der Kirche keine relevante Alternative zum Status
quo ist, verdient sie es, nicht gehört zu werden. Die Kirche ist wichtig.
Es braucht mehr als einzelne Menschen, die Christus nachfolgen. Das
Evangelium erweist sich nur durch das Ausleben in Gemeinschaft als
glaubwürdig und weltverändernd. Die Bestimmung der Kirche ist es,
eine sichtbare Demonstration des Heiles Gottes zu sein. Am
wichtigsten ist die Liebe untereinander. Die Kirche sollte eine
Alternative sein. Das Leben ihrer Mitglieder sollte eine glaubwürdige
Möglichkeit darstellen, ein Leben in Liebe, Solidarität und
Gerechtigkeit zu leben. Das fängt im Alltag an. Jesus gebietet denen,
die ihm nachfolgen, wie er radikal zu lieben. In einer Welt voller
zerbrochener Beziehungen stellt die Liebe, die Christen untereinander
haben ein unübersehbares Zeichen dar.
Drittens: Wir müssen der ganzen Welt das ganze Evangelium bringen
mit dem Ziel, dass Christus Herr in allen Lebensbereichen wird.
Im Rückblick auf sein Lebenswerk schrieb Francis Schaeffer, was ihn
während all den Jahren antrieb:
„Wenn Christus wirklich der Herr ist, dann muss er Herr in allen
Lebensbereichen sein - in geistlichen Angelegenheiten... aber in genau
demselben Masse auch im gesamten Spektrum des Lebens, einschliesslich
der intellektuellen Fragen und den Gebieten der Kultur, der Gesetzgebung
und der staatlichen Gewalt.“ xvii
Was bedeutet es, dass Christus in allen Lebensbereichen Herr wird?
Im religiösen Bereich bedeutet es, dass der Ruf zur Umkehr nicht
verstummen darf. Gott bietet allen Menschen eine ungetrübte
Beziehung zu ihm an, doch bedingt diese den Glauben an Jesus
Christus und die Anerkennung seiner Herrschaft. Das wird nicht von
allen gern gehört. Trotzdem dürfen wir nicht schweigen. Es geht nicht
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Jesus in der Politik?
nur um die Lehre, sondern um die Person des auferstandenen Christus.
Was nützt uns die Bergpredigt ohne den Bergprediger?
LITERATUR
Im gesellschaftlichen Bereich bedeutet es, dass der Kampf gegen
ungerechte Strukturen fortgesetzt werden muss. Das Böse zeigt sich nicht
nur in individuellen Vergehen, es kann sich auch in schlechten
Institutionen und falschen Gesetzen einnisten; diese müssen bekämpft und
verbessert werden. Die Demokratie bietet hier Einflussmöglichkeiten, die
es früher so nicht gab.
Beyerhaus, Peter. 1996. Er sandte sein Wort: Theologie der
christlichen Mission. Band 1. Die Bibel in der Mission.
Wuppertal und Bad Liebenzell: Brockhaus und Verlag der
Liebenzeller Mission.
Im wirtschaftlichen Bereich bedeutet es die Befreiung von
wirtschaftlicher Ausbeutung. Das Ziel muss sein, eine gerechte
Wirtschaftsordnung zu entwickeln, in der die Maxime der
Gewinnanhäufung gebrochen und als unmenschlich gebrandmarkt wird.
Im kulturellen Bereich bedeutet es, die Kreativität, die der Schöpfer in
den Menschen gelegt hat freudig zu nutzen, dies jedoch innerhalb der
Grenzen seiner moralischen Weisungen zu tun.
Im ökologischen Bereich bedeutet es, sich aktiv für die Bewahrung der
Schöpfung einzusetzen und damit auf Gott, den Schöpfer hinzuweisen.
Die radikale Liebe Christi ist auf die sozialethischen Herausforderungen
unserer Zeit anwendbar. Durch sein Leben und seine Tat am Kreuz hat
Jesus den Massstab für unser Denken und Handeln gesetzt. Im Leben und
Sterben Christi zeigt sich die Liebe Gottes so vollkommen, dass hier der
Ausgangspunkt für all unser Tun sein muss. Wenn wir uns an Jesus
Christus orientieren ist der Brückenschlag möglich, den wir heute so nötig
haben. Die Politik wird durch geistliche Werte belebt werden - Werte, die
uns die moralische Kraft geben das Gemeinwohl zum Fokus der Politik zu
machen. Wir werden viel Zeit brauchen und unsere besten Fähigkeiten
aufbieten müssen, um die Implikationen des Evangeliums auf unsere Zeit
anzuwenden. Der Weg ist lang, aber er lohnt sich.
Costas, Orlando E. 1989. Liberating News. A Theology of Contextual
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Cullmann, Oscar. 1961. Der Staat im Neuen Testament. Tübingen:
Mohr (2., veränd. Aufl. Angaben unvollständig)
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Alternativen
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zur Überwindung einer lebensbedrohenden Ökonomie. 2.,
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Mainz: Gütersloher Verlagshaus und Matthias GründewaldVerlag.
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Kulturgeschichtliche Untersuchung zur neutestamentlichen
Zeitgeschichte. Leipzig: Pfeiffer.
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ix
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xii
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xiii
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xiv
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xv
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Steuernagel, Valdir. 1990. „Die brennenden Fragen der Welt“, in
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