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Bianka Blavustyak Aufwachsen mit Attachment Parenting Wie Attachment Parenting in der Babyzeit und danach wirkt Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die Schlechte zuerst: Es gibt keine magische Formel für die Erziehung von Kindern. Die gute Nachricht allerdings ist, dass Attachment Parenting (AP) dieser magischen Formel zumindest nahe ist. Eltern können zwar weder die genetischen Vorbedingungen ihrer Kinder ändern noch haben sie Einfluss auf sämtliche Lebensumstände. Aber Eltern haben Einfluss darauf, welche Beziehung sie zu ihren Kindern aufbauen, was sie von den Kindern erwarten und was sie ihnen vermitteln. Und das ist das Ma- gische am AP: Sie konzentrieren sich auf die Anteile im Zusammenleben mit Ihren Kindern, die Sie verändern können und geben damit Ihrem Kind automatisch die Fähigkeiten mit, die es braucht, um mit den Herausforderungen seines Lebens umgehen zu können. Die Grundlagen des AP Der Begriff Attachment Parenting wurde vom Kinderarzt Dr. William Sears geprägt. AP beschreibt eine Philosophie im Umgang mit Kindern, die auf die Bindungstheorie von John Bowlby aufbaut. Leider gibt es keinen passenden deutschen Begriff. Es wird häufig als »bedürfnisorientierte Elternschaft« bezeichnet. AP legt im Gehirn des Babys die Grundlage für zukünftige Beziehungen. Kinder, die von klein auf lernen, was es bedeutet, mit jemandem verbunden zu sein und einer anderen Person zu vertrauen, versuchen, dieses Vertrauen und die Verbundenheit beim Aufwachsen zu erhalten und in ihr Erwachsenenleben mitzunehmen. Die Beziehung, die Eltern zu ihrem Kind aufbauen, wird die Grundlage für all seine weiteren Beziehungen sein. Auch wie Kinder sich selbst sehen, hängt von der Beziehung zu ihren Eltern ab. Eine liebevolle, verständnisvolle Einstellung hilft Eltern, ihre Kinder besser kennenzulernen. Diese Eltern können ihre Kinder besser dabei unterstützen, sich selbst und ihre eigenen Werte zu finden. Bestimmte Praktiken im Umgang mit dem Baby bauen in den ersten, entscheidenden Jahren eine enge Verbindung zwischen Mutter, Vater und Kind auf. Diese Praktiken werden auch als Werkzeuge des AP bezeichnet. Sie sollten so viele dieser Werkzeuge verwenden, wie Sie können und auch so oft und so lange Sie können. Nicht alle Werkzeuge passen zu jeder Familie und in jede Lebenssituation. Ihr Lebensstil, Ihr Baby und Sie selbst beeinflussen die Auswahl der für Ihre Familie passenden Werkzeuge. Behalten Sie dabei stets im Auge, dass das Ziel nicht die Anwendung möglichst vieler der Werkzeuge ist, sondern der Aufbau einer engen Bindung zu Ihrem Kind. Sie folgen keinem strengen Regelwerk, Sie stärken Ihre Bindung mit Ihrem Kind. Ein Werkzeugkasten, kein Regelwerk – Die 7 Baby-Bs 1. Birth bonding – Bonding nach der Geburt: Am besten für die enge Bindung zwischen Eltern und Kind ist es, die sensible Phase direkt nach der Geburt intensiv zu nutzen. Bitten Sie darum, die erste Stunde nach der Geburt ohne Störungen www.unerzogen-magazin.de mit ihrem Kind verbringen zu dürfen. Messen und Wiegen können noch danach erfolgen. In den ersten Lebenstagen des Babys sollten Sie versuchen, Ihre Zeit mit ihm zu verbringen. Sollte das nicht möglich sein, versuchen Sie zumindest, so viel Zeit wie möglich mit Ihrem Baby zu verbringen. 2. Breastfeeding – Stillen: Auch Stillen erleichtert es, eine Bindung zu Ihrem Baby aufzubauen. Beim Stillen werden bindungsfördernde Hormone freigesetzt. ein Signal, das dafür geschaffen wurde, das Überleben des Babys zu sichern, indem es die Aufmerksamkeit auf seine Bedürfnisse lenkt. Reagieren die Eltern auf das Weinen ihres Babys, indem sie es zum Beispiel aufnehmen – und damit Verbindung mit ihm aufnehmen – beruhigt sich das Baby. Auch das Weinen und Ihre Antwort darauf ist eine gute Gelegenheit, Ihr Kind kennenzulernen. Bei jedem Mal verstehen Sie die Zeichen Ihres Kindes besser und können besser darauf antworten. Das Attachment Parenting strebt nach einem Gleichgewicht der Bedürfnisse aller Beteiligten, also Mutter, Vater und Kind(ern). Laut Studien haben stillende Mütter weniger Stresshormone im Blut, was die Bindung zum Baby begünstigt. Beim Stillen nach Bedarf beobachten Mütter ihre Babys statt die Uhr, um herauszufinden, wann es Zeit für die nächste Stillmahlzeit ist. Das ist eine sehr gute Übung, Ihr Kind kennenzulernen. Mit jedem Mal erkennen Sie die Zeichen Ihres Kindes besser und verstehen, was es ausdrücken will. Auf diese Weise lernen Sie auch, sich in Ihr Baby einzufühlen, die Welt durch seine Augen zu sehen. 3. Babywearing – Tragen: In vielen Kulturen, die einen ursprünglicheren Lebensstil pflegen, als im Westen, gehören getragene Babys noch heute zum normalen Alltag. Babys sind ruhiger, wenn sie nah bei einer Bezugsperson sind. Sie können so aus einer sicheren Position heraus ihre Umwelt entdecken. Da Ihr Baby so nah bei Ihnen ist, ist auch Ihre Aufmerksamkeit stärker auf das Kind fokussiert, was für eine enge Bindung gut ist. 4. Believing in the language value of your baby's cry – Vertrauen in das Weinen als Kommunikation: Weinen ist das Alarmsignal Ihres Babys. Es hat keine anderen Kommunikationswege, auf denen es Ihnen mitteilen kann, dass etwas nicht stimmt. Leises Wimmern als Vorstufe des Weinens zieht den Zuhörer zum Baby hin und wirkt bindungsfördernd, da es eine empathische Reaktion auslöst. Erst wenn auf dieses leise anfängliche Weinen keine Reaktion erfolgt, weint das Baby immer lauter, bis es einen Punkt erreicht, ab dem das Weinen eine Vermeidungsreaktion beim Zuhörer hervorruft. Weinen ist Sie lernen im Laufe der Zeit sogar, auf Ihr Kind einzugehen, schon ehe es tatsächlich weint, da Sie die Zeichen, mit denen es seine Bedürfnisse zum Ausdruck bringt, besser deuten lernen. Auf der anderen Seite lernt Ihr Baby, zielgerichteter mit Ihnen zu kommunizieren. Ihre Verbindung zu Ihrem Baby wird so immer enger, da Sie sich gegenseitig besser kennenlernen. 5. Bedding close to baby – Gemeinsames Schlafen: Das gemeinsame Schlafen in einem Bett setzt die Verbindung, die Sie tagsüber zu Ihrem Baby aufgebaut haben, in der Nacht fort. So wie Sie tagsüber auf die Bedürfnisse Ihres Babys eingehen, zeigen Sie ihm damit, dass seine Bedürfnisse auch nachts wahrgenommen werden und wichtig sind. Auch für das Familienbett gilt, wie für alle BabyBs, dass es kein richtig und kein falsch gibt. Sie sind keine schlechte Mutter, wenn Sie Ihr Baby nicht mit in Ihrem Bett schlafen lassen. Schlafen Sie gemeinsam mit Ihrem Baby, nutzen Sie damit einfach eine weitere Möglichkeit, Ihre Beziehung zu Ihrem Kind zu festigen. 6. Being wary of baby trainers – Vorsicht vor Babytrainern: Mit Babytrainer sind all jene Leute gemeint, deren Erziehungsansatz ganz ähnlich dem ist, wie Hunde erzogen werden. Babytrainern ist es wichtiger, das Baby möglichst nahtlos in ihr bisheriges Leben einzupassen als es beim Aufwachsen zu einem glücklichen, ausgeglichenen Wesen zu begleiten. Für Babytrainer ist vor allem das Weinen eines Babys eine nervige Angelegenheit, die es abzustellen gilt, statt Kommunikation des Babys mit seiner Umwelt. Ba- 2/2014 unerzogen 7 bytrainer hören nicht auf ihr Bauchgefühl und denken, das Eingehen auf die Bedürfnisse Ihres Babys verwöhne das Baby. Sie als Mutter oder Vater sind von Natur aus mit der Angst ausgestattet, in der Erziehung Ihrer Kinder etwas falsch zu machen. Aus diesem Grund sind Sie nur allzu oft empfänglich für die Ratschläge solcher Babytrainer. 7. Establishing balance and boundaries – Gleichgewicht und Grenzen: Auch wenn sich im AP alles darum zu drehen scheint, die Bedürfnisse Ihres Babys zu erfüllen, dürfen Sie nicht vergessen, auch Ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Nur eine ausgeruhte, zufriedene Mutter kann sich ausreichend um ihr Baby kümmern, so dass dieses zufrieden ist. AP strebt nach einem Gleichgewicht der Bedürfnisse aller Beteiligten, also Mutter, Vater und Kind(ern). Denken Sie an Pausen, die Sie auch einmal ohne Ihr Baby verbringen. Versuchen Sie, sich von außen nicht unter Druck setzen zu lassen. Niemand ist eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater, aber Sie werden immer die perfekte Mutter oder der perfekte Vater für Ihr Kind sein. Lernen Sie, auch Nein zu sagen, Prioritäten zu setzen und um Hilfe zu bitten bzw. Hilfe anzunehmen. Ist Ihre Familie im Gleichgewicht, fällt es Ihnen auch leichter, Ihrem Kind Grenzen zu setzen, die es dank der engen Verbindung zu Ihnen auch leichter akzeptieren kann. Sie alle lernen Ihre eigenen Grenzen durch AP kennen, und das geht auch Ihrem Baby so. Auswirkungen der Baby-Bs Mit AP haben Sie einen Weg, eine enge Bindung zu Ihrem Kind aufzubauen. Über Attachment Parenting lernen Sie, die Körpersprache Ihres Kindes zu lesen und passend zu seinen Signalen zu antworten. Diese Fähigkeit, zu verstehen, was in einem Kind vorgeht, ist wohl der wichtigste Teil des AP. Die Einzigartigkeit Ihres Kindes zu verstehen, ist die Grundlage für alles, womit Sie Ihrem Kind helfen, aufzuwachsen. Sie wissen, warum Ihr Kind so handelt, wie es handelt, weil Sie sich in Ihr Kind hineinversetzen können. Statt schlechtes Verhalten zu korrigieren, versuchen Sie, gutes Verhalten zu fördern. Sie lassen Ihr Kind wissen, welches Verhalten Sie von ihm erwarten. Ihr Kind 8 unerzogen 2/2014 Köperkontakt direkt nach der Geburt fördert eine enge Eltern-Kind-Bindung. fühlt sich sicher, geliebt und wertgeschätzt. Ihr Baby lernt Ihnen zu vertrauen, wenn Sie seine Zeichen lesen lernen und einfühlsam darauf reagieren. So lernen Sie als Eltern, sich zuzutrauen, die Zeichen Ihres Kindes zu lesen. Aus den Baby-Bs werden die Kinder-Cs Laut Dr. Sears entwickeln sich aus der Anwendung der Baby-Bs die Kinder-Cs – Qualitäten, die Kinder haben, die mit AP aufgewachsen sind. 1. Caring kids – Fürsorgliche Kinder: In AP-Familien sind Fürsorge, Geben, Zuhören und einfühlsames Reagieren die Verhaltensnorm. Kinder lernen, sich ebenso zu verhalten. Sie lernen, empathisch zu reagieren, da auf ihre Bedürfnisse ebenso empathisch reagiert wurde. Sie lernen, die Gefühle anderer zu beachten und vor ihrem Handeln zu bedenken. 2. Compassionate kids – Mitfühlende Kinder: Die Kinder lernen, ihrem in- neren Sinn für richtig und falsch zu vertrauen. Sie lernen, sich für andere einzusetzen, wenn diese falsch behandelt werden. Sie reagieren auf die Stimmungen der Menschen in ihrer Umgebung und fühlen sich in sie ein. 3. Communicative kids – Kommunikative Kinder: Über AP werden Kinder von Beginn an dafür »belohnt«, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Durch den engen Kontakt mit ihren Eltern und anderen Erwachsenen beim Getragenwerden sind sie auf Augenhöhe mit ihren Mitmenschen und lernen, mit ihnen Augenkontakt zu halten und ihre Mimik und Gestik zu lesen. 4. Connected kids – Verbundene Kinder: AP-Kinder verbringen einen Großteil ihrer Zeit in engem Kontakt zu ihren Eltern. Das führt dazu, dass sie keine Bindungsängste haben und enge emotionale Bindungen genießen. Sie binden sich eher an andere Menschen als an materielle Dinge. 5. Careful and considerate kids – Sorgsame und aufmerksame Kinder: www.unerzogen-magazin.de durch Ihren Umgang mit ihm geprägt, und das merkt man ihm an. Schon in den Grundschuljahren zeigt sich, dass AP-Kinder die Fähigkeit haben zu erkennen, wem sie vertrauen können und wer Hilfe braucht. Sie haben ein gutes Gefühl dafür, was richtig und was falsch ist. AP-Kinder können sich in andere hineinversetzen und verstehen, wie ihr eigenes Verhalten sich auf andere auswirkt. Sie sind damit aufgewachsen, dass ihre Eltern sie verstanden haben und können dieses Wissen nun auf andere Personen anwenden. Sie als Eltern können ihren Kindern Vorschläge machen, wie sie mit bestimmten Situationen besser umgehen können. In AP-Familien herrscht eine von diesem gegenseitigem Vertrauen und Verständnis geprägte Atmosphäre. Sie als Eltern versuchen, ihre Kinder zu leiten, indem Sie ihnen erklären, wie bestimmte Regeln, Grenzen und Werte zustande kommen und warum sie wichtig sind. Sie vertrauen Ihren Kindern, die richtige Entscheidung selbst zu treffen und helfen ihnen in schwierigen Situationen mit Lösungsvorschlägen. Das macht es Ihren Kindern später leichter, gute und sinnvolle Entscheidungen zu treffen, wenn sie älter werden. Machen Sie weiter mit AP Das Vertrauen der Eltern in die Fähigkeiten der Kinder führt dazu, dass die Kinder ihre eigenen Fähigkeiten besser einschätzen können und weniger ihre Grenzen austesten müssen. 6. Confident kids – Selbstsichere Kinder: Selbstsichere Kinder sind »sich selbst sicher«. Sie wissen, dass sie anderen vertrauen können und nehmen dieses Vertrauen ihren Betreuern gegenüber auch mit als ein Vertrauen in sich selbst. 7. Cuddly kids – Anschmiegsame Kinder: Mit dem Tragen, Stillen und gemeinsamen Schlafen erhalten AP-Kinder sehr viel körperliche Zuwendung. Diese Kinder genießen Körperkontakt und kommen auch oft noch als Teenager zu ihren Eltern, um sie zu umarmen. Sie kennen das Gefühl emotionaler Nähe und verwechseln dieses nicht mit anderen Gefühlen. 8. Confident parents – Selbstsichere Eltern: Neben den positiven Auswirkungen auf Kinder gibt es auch eine sehr positive Auswirkung auf Erwach- www.unerzogen-magazin.de sene: AP-Eltern sind selbstsichere Eltern. Eltern, die mit ihren Kindern verbunden sind und auf deren Bedürfnisse angemessen reagieren, sind sich ihrer Rolle und ihrer Fähigkeiten als Eltern sicher und vertrauen darauf. Sie passen ihren Umgang mit den Kindern sich ändernden Lebensumständen und den sich ändernden Bedürfnissen ihrer Kinder an, indem sie sich selbst und ihre Kinder beobachten und als Barometer nutzen. Wenn die Kinder größer werden Die Werkzeuge des Attachment Parenting zielen auf die Babyzeit Ihres Kindes ab. Sie können Ihr Kind nicht unendlich lange stillen und tragen, und auch aus Ihrem Bett wird es irgendwann ausziehen. Sie können jedoch das in den ersten Jahren aufgebaute vertrauensvolle Verhältnis zu Ihrem Kind in seine Kinderund Jugendzeit mitnehmen. Ihr Kind ist Sie versuchen weiterhin, Ihr Kind zu verstehen und sich in Ihr Kind hineinzuversetzen. Auch wenn es einmal etwas »Dummes« tut, können Sie eher seine Beweggründe dahinter verstehen. Oft genug schaffen Sie es, das Verhalten Ihres Kindes vorherzusehen und schon im Vorfeld einzugreifen. Durch das Attachment Parenting kennen Sie und Ihr Kind sich so gut, dass Sie beide in vielen Fällen ohne Worte kommunizieren können. Oft erkennt ihr Kind von selbst, dass es sich im Moment nicht so verhält, wie Sie es eigentlich von ihm erwarten. Sein inneres Gefühl sagt ihm dann, was »richtig« ist. Ihre Kinder respektieren Sie, Sie teilen als Familie häufig ihre Interessen und verbringen viel Zeit miteinander. Investieren Sie in die Beziehung zu Ihren Kindern Die Zeit und Energie, die Sie durch das AP in den ersten Jahren in die Bezie- 2/2014 unerzogen 9 hung zu Ihren Kindern investieren, bekommen Sie mehrfach zurück, wenn Ihre Kinder größer werden. Je mehr Sie investieren, desto mehr bekommen Sie zurück. In den ersten Jahren werden Sie Ihrem Baby sehr viel geben, manchmal so viel, dass Sie meinen, mehr ginge nicht. Doch dieses hohe Maß an Geben hat nur Vorteile für die Entwicklung Ihres Babys. Sie als Eltern wachsen mit Ihren Aufgaben, und die Zeit mit Ihren Kindern wird einfacher, wenn sich diese hohen Anfangsinvestitionen beginnen auszuzahlen. Sogar wenn Sie ein »schwieriges« Kind haben, haben Sie es durch Ihre Investition leichter, gemeinsam mit Ihrem Kind durch schwere Zeiten zu steuern. Sehen Sie die positiven Merkmale Ihres Kindes Jedes Merkmal, mit dem Sie bewusst oder unbewusst Ihr Kind versehen, führt dazu, dass sich das Kind entsprechend dieses Merkmals zu verhalten beginnt. Nennen Sie Ihr Kind immer wieder einen Schreihals, so wird es sicherlich immer mehr schreien statt weniger. Versuchen Sie daher, Ihr Kind mit möglichst positiven Merkmalen zu versehen. Sagt die Großmutter beispielsweise, Ihr Kind sei »trotzig«, so formen Sie das in die positive Aussage »es weiß, was es will«. Diese positiven Umschreibungen ändern nicht nur Ihre Einstellung Ihrem Kind gegenüber, sie bieten auch in vielen Fällen die Lösung eines als problematisch angesehenen Verhaltens. Bianka Blavustyak ist Übersetzerin, Lektorin und Mutter dreier Kinder. Sie lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Seit der Geburt ihrer Kinder betreibt sie das Online-Magazin attachment-parenting.de und beschäftigt sich intensiv mit diesem Erziehungsansatz und begleitenden Themen. 2012 erschien im tologo Verlag ihre Übersetzung von William Sears‘ Das Attachment Parenting Buch. 10 unerzogen 2/2014 Lernen Sie Ihr Kind kennen Das ist der wohl wichtigste Rat, den Sie bekommen können. Lernen Sie das Verhalten und die Fähigkeiten Ihres Kindes in jeder seiner Entwicklungsstufen kennen. Dabei helfen Ihnen auch Bücher über die Entwicklung von Kindern und Gespräche mit anderen Eltern. Am besten hilft Ihnen dabei jedoch, die Welt aus dem Blickwinkel Ihres Kindes zu betrachten. So schaffen Sie es, Ihr Kind angemessen durch die Welt zu führen. Ihre besten Helfer sind dabei oft Geduld, Humor und Anleitung. Erwarten Sie nicht mehr von Ihrem Kind, als es bereits geben kann. Kaum ein Zweijähriger kann längere Zeit in einem Restaurant stillsitzen. Als verbundene Eltern wissen Sie das und können angemessen darauf reagieren, wenn Ihr Kind anfängt, zappelig zu werden. Ihr Kind wird jedoch auch verstehen, wenn Sie ihm sagen, dass es in dieser Situation nicht auf den Tisch klettern darf. Bieten Sie Ihrem Kind Strukturen, erst dann zeigen Sie Ihre Grenzen Das kleine Sozialgefüge, das ein Kind zu Hause kennenlernt, legt fest, wie es sich in größeren Sozialgefügen (Kindergarten, Schule usw.) verhält. Ihrem Kind Strukturen anzubieten bedeutet, die Bedingungen zu Hause so zu gestalten, dass es dem Kind leichter fällt, die Grenzen und Regeln anderer zu erkennen und zu akzeptieren. Regeln und Einschränkungen sollten dabei immer dem Alter und Entwicklungsstand Ihres Kindes angepasst sein und Ihrem Kind deutlich kommuniziert werden. Es gibt eine Phase, in der Eltern scheinbar ständig Nein zu ihren Kindern sagen. »Nein, steck den Finger nicht in die Steckdose!«, »Nein, fass das Messer nicht an der Klinge an!« und »Nein, kletter' nicht mit dem Stuhl auf das Fensterbrett.« All diese Einschränkungen sind notwendig für das Kind, aber schwer ins Gedächtnis zu rufen, wenn es auf Entdeckungstour ist. Bieten Sie Ihrem Kind daher Struktur an, indem Sie die Steckdosen sichern, die Messer kindersicher verstauen und den Stuhl weit weg von jedem Fensterbrett stellen. Bieten Sie Ihrem Kind stattdessen andere Möglichkeiten, seine Umwelt zu erforschen, beispielsweise indem Sie ihm eine Schublade im Küchenschrank zur Verfügung stellen mit ungefährlichen Sachen. Auch zeitliche Strukturen gehören zu diesem Punkt. Wenn Sie wissen, dass Ihr Kind am Nachmittag eine Phase schlechter Laune hat, erledigen Sie Termine mit dem Kind beispielsweise am besten vormittags. Ihre enge Verbindung zu Ihrem Kind und das gegenseitige Vertrauen werden Ihrem Kind helfen, Ihr Nein zu akzeptieren und damit Ihre eigene persönliche Grenze zu beachten. Führen Sie Ihr Kind, statt es zu kontrollieren Kinder beim Aufwachsen zu begleiten ist ein wenig wie Gartenarbeit. Sie legen den Samen, aber ob daraus eine Tomate oder eine Sonnenblume wächst, liegt nicht in Ihrer Hand. Sie können aber das Unkraut entfernen, die Pflanze gießen und pflegen. Sie versuchen, mit sanften Mitteln Ihr Kind und sein Verhalten zu beeinflussen. Diese sanften Mittel sind Hinweise für Ihr Kind, welches Verhalten Sie von ihm erwarten. Vor einem voraussichtlich langweiligen Besuch bei der Verwandtschaft helfen Sie Ihrem Kind, sich ein paar Bücher als Beschäftigung auszusuchen. Sie sagen Ihrem Kind nicht, was es zu tun hat, sondern bieten ihm Lösungsmöglichkeiten, aus denen es wählen kann. Der Unterschied zwischen Kontrolle und Führung ist nicht immer einfach zu erkennen. Kontrolle richtet sich mehr auf das äußere Verhalten des Kindes statt auf seine innere Entwicklung. Führung hingegen hilft vor allem die sich entwickelnde Persönlichkeit des Kindes. Erlauben Sie Fehler und Frustration Schotten Sie Ihr Kind nicht vor allen Fehlern und Frustrationen ab, helfen Sie ihm dabei, damit umzugehen. Aus Fehlern zu lernen und sich nach Niederlagen wieder aufzurappeln, sind wertvolle Lektionen für das gesamte Leben Ihres Kindes. Schauen Sie jedoch auch nicht weg, wenn Ihr Kind einen Fehler macht oder frustriert ist. Sehen Sie sich das Problem aus der Sicht Ihres Kindes an und hören Sie ihm zu, helfen Sie ihm dabei zu verstehen, was passiert und wie es damit umgehen kann. Erfahrungen sind die besten www.unerzogen-magazin.de Lernen Sie Ihr Kind kennen: Betrachten Sie die Welt aus dem Blickwinkel Ihres Kindes. Lehrer Ihres Kindes. Erlauben Sie Ihrem Kind, seine eigenen Erfahrungen zu machen und die natürlichen Konsequenzen seines Handelns kennenzulernen. Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Fernsehsendungen oder surfen Sie gemeinsam durch das Internet. Erwarten Sie viel von Ihrem Kind Überprüfen Sie wichtige Personen Denken Sie daran, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen müssen. Dennoch wollen Sie Ihr Kind natürlich beschützen. Seien Sie nicht überbehütend, aber schützen Sie Ihr Kind angemessen. Haben Sie immer ein Auge auf das Leben Ihres Kindes außerhalb seines Zuhauses. Ihr Kind ist von vielen Rollenmodellen umgeben, suchen Sie daher Babysitter sorgfältig aus, lernen Sie Lehrer und Trainer Ihrer Kinder kennen und achten Sie darauf, welche Werte sie vertreten. Auch auf das, was Ihr Kind in Fernsehen, Internet und anderen Medien sieht, sollten Sie achtgeben, ohne einschränkend zu sein. Gemeinsame Unternehmungen helfen Ihnen dabei, Ihr Kind und seine Umwelt außer Haus besser kennenzulernen: Trainieren Sie die Fußballmannschaft Ihres Sohnes. Bieten Sie Ihre Hilfe bei Ausflügen in der Schule an. Schauen www.unerzogen-magazin.de Erwarten Sie als Eltern von Ihrem Kind angemessenes Verhalten, so wird Ihr Kind versuchen, dieser Erwartung zu entsprechen. Erwarten Sie dieses Verhalten einfach als gegebenen Standard, als ein »wir verhalten uns hier zu Hause so«. Lassen Sie Ihr Kind Kind sein, indem Sie als Erwachsener klar machen, dass Sie die Verantwortung haben. Glauben Sie nicht nur daran, dass Ihr Kind etwas tun kann, sondern helfen Sie Ihrem Kind dabei, an sich selbst zu glauben. Aus dem Werkzeugkasten des Attachment Parenting suchen Sie sich nach der Geburt Ihres Babys die Werkzeuge heraus, die zu Ihrer Familie und Ihrem Leben passen. Die »Anwendung« Ihrer Werkzeuge bewirkt, dass Ihre Beziehung zu Ihrem Kind enger wird. Sie lernen, Ihrem Kind zu vertrauen, und Ihr Kind lernt im Gegenzug, Ihnen zu vertrauen. Sie als Eltern sind aufmerksamer für die Belange Ihrer Kinder. Sie können sich in Ihr Kind hineinversetzen. Ihre Kinder wachsen in dem Wissen auf, dass ihre Gefühle ernstgenommen werden. Aus diesem Wissen heraus handeln sie empathisch und bedenken im Voraus, wie sich ihr Handeln auf andere auswirkt. Ihre Kinder werden kooperativer sein. Sie haben von Anfang an gelernt, dass sie und ihre Meinungen wertvoll sind und beachtet werden, und sie durften ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Sie fühlen sich anderen verbunden, sind in der Lage, Freundschaften und Beziehungen einzugehen und interessieren sich für die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Mitmenschen. Sie wissen, wie es sich anfühlt, »das Richtige« zu tun und streben dieses Gefühl immer wieder an. Das bedeutet nicht, dass nicht auch ein AP-Kind mal über die Stränge schlägt. Auch Kinder aus AP-Familien rebellieren gegen die Normen und Werte, mit denen sie aufgewachsen sind. Doch dank AP haben sie die besten Voraussetzungen dafür, mit ihren Problemen selbst fertig zu werden und den für sie richtigen Weg durch das Leben zu finden. n 2/2014 unerzogen 11 »Schätze bergen – Alltag in Freien Alternativschulen« zeigt eindrucksvoll das Leben und Lernen an Freien Schulen, praktisch und theoretisch. Kommentierte Portraits Freier Schulen zeichnen ein lebendiges Bild der praktischen Arbeit und des Lernens an diesen Schulen. Sie belegen anschaulich wie spannend, wertvoll und unerschöpflich die Welt dieser Schulen ist. Im theoretischen Teil greifen die Autoren schulübergreifende, aktuelle Themen auf: Inklusion, Schutz vor sexuellem Missbrauch, Ausbildung von Fachkräften für Freie Schulen und Organisationsberatung. www.tologo.de Impressum Herausgeber: Sören Kirchner Chefredakteurin: Sabine Reichelt (sr) (V.i.S.d.P.) Redaktion: Johanna Gundermann (jgm), Sören Kirchner (sk) Layout: Sören Kirchner Anschrift Redaktion und Verlag: Redaktion »unerzogen Magazin« tologo verlag Aurelienstr. 15 04177 Leipzig Tel: 0341/49240341 Fax: 0341/49240342 [email protected] www.unerzogen-magazin.de Geschäftsführer: Sören Kirchner Anzeigen: Sören Kirchner Tel: 0341/49240341 Fax: 0341/49240342 [email protected] www.unerzogen-magazin.de/anzeigen Nächstes Heft 3/14: September 2014 Aboservice und Preise: Preise: Heftpreis: 6,90 Euro, Jahresabo (4 Ausgaben): 24,00 Euro frei Haus innerhalb Deutschlands. Bei Lieferungen ins Ausland fallen zusätzliche Versandkosten von 2,50 Euro pro Heft an. 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