Krieg und Frieden

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Krieg und Frieden
22 M i li t a r is mus – Pa z i f i s mus a l s
E i ns t e l lu n g s di me ns i on
J. Christopher Cohrs
Teil II
Kriegskultur
In diesem Beitrag geht es um die Einstellungsdimension Militarismus-Pazifismus
und ihre Beziehungen zu anderen psychologischen Merkmalen. MilitarismusPazifismus umfasst zunächst konkrete außen- und sicherheitspolitische Präferenzen. Weitere Aspekte sind die kognitiv-funktionale Beurteilung der Zweckmäßigkeit militärischer Einsätze und die ethisch-moralische Bewertung militärischer
Gewalt. Militaristische Einstellungen sind in ein autoritär-punitives Einstellungssyndrom eingebettet und gehen mit Selbsterhöhungs- und Konservatismuswerten
sowie mit einem autoritäts-, machtbezogenen und aggressiven Persönlichkeitsbild
einher. Es wird argumentiert, dass militaristische bzw. pazifistische Einstellungen
politisch bedeutsame Faktoren sind und die Förderung pazifistischer Einstellungen ein wichtiges Ziel der Friedenserziehung sein sollte.
1
Einleitung
l Der Verteidigungsetat 2002 der Bundesrepublik Deutschland lag bei knapp 24
Milliarden Euro (vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2001). Finden Sie diesen
Betrag zu hoch?
l Die USA planen ein weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem. Befürworten Sie
die Entwicklung dieses Systems?
l Glauben Sie, dass der Einsatz militärischer Gewalt ein geeignetes Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Gruppen ist?
l Lehnen Sie Krieg als Mittel der Politik aus moralischen Gründen generell ab?
Wie sehen Ihre Antworten auf diese Fragen aus? Haben Sie der ersten und der letzten
Frage zugestimmt und die anderen eher ablehnend beantwortet? Oder haben Sie
genau umgekehrt reagiert? Wenn Ihr Antwortverhalten einem dieser beiden Muster
entspricht, so stehen Sie damit nicht allein: Die meisten Menschen verhalten sich so,
denn Meinungen zu unterschiedlichen militärischen Themen sind relativ konsistent.
Sie bilden eine generalisierte Einstellungsdimension, die Militarismus-Pazifismus
oder militaristische bzw. pazifistische Einstellungen genannt wird.
Begriffsabgrenzungen. Neben diesem psychologischen Verständnis von Militarismus und Pazifismus als sich gegenüber liegende Pole einer Einstellungsdimension,
die im Weiteren genauer beschrieben wird, gibt es auch andere Begriffsverwendun-
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Militarismus – Pazifismus als Einstellungsdimension
Teil II
Kriegskultur
gen. So wird mit „Militarismus“ in der politologischen und soziologischen Literatur
u.a. der Drang zur Aufrüstung, die wachsende Rolle des Militärs in der nationalen
und internationalen Politik oder der Gebrauch von Gewalt als Instrument der Politik
bezeichnet (vgl. Lippert, 1983; Thee, 1980). Im gesellschaftlichen Diskurs tritt
daneben der Begriff „Bellizismus“ auf, der sich vom lateinischen „bellum“ (= Krieg)
ableitet und bedeutet, dass Krieg als legitimes letztes Mittel der Politik angesehen
wird. Davon abgegrenzt bezeichnet „Militarismus“ dann die Einstellung, dass Krieg
nicht unbedingt unerwünscht ist, sondern auch positive Aspekte hat. Da solche
kriegsverherrlichenden Orientierungen heute jedoch kaum mehr vorkommen und
im Grunde alle Menschen Krieg als Übel ansehen – wenigstens, wenn sie nicht direkt
von Krieg profitieren – werden Militarismus und Bellizismus hier nicht unterschieden und wird der in der psychologischen Literatur etabliertere Begriff „Militarismus“
verwendet. Auch die Bezeichnung des anderen Pols der Einstellungsdimension als
„Pazifismus“ ist diskussionswürdig, denn mit „Pazifismus“ wird manchmal die kategorische Ablehnung jeder Form von Gewalt oder Gandhis Philosophie der aktiven
Gewaltfreiheit gemeint, die über eine Einstellung hinaus geht und Verhaltensorientierungen mit einschließt (→ Kap. 31 Gewaltfreier Widerstand; vgl. auch Elliott,
1980). Hier wird jedoch auf die Einstellung zu militärischer Gewalt fokussiert.
Übersicht. In Teil 2 dieses Kapitels wird zunächst die Frage beantwortet, worin die
Einstellungsdimension Militarismus-Pazifismus genauer besteht, indem ihre interne
Struktur beschrieben wird. In Teil 3 geht es auf der Basis empirischer Untersuchungen um Zusammenhänge mit anderen psychologischen Merkmalen. Teil 4 fasst die
empirischen Ergebnisse zusammen und stellt einige Schlussfolgerungen dar. Teil 5
beschließt das Kapitel mit einem Fazit und politischen und friedenspädagogischen
Implikationen.
2
Die interne Struktur von Militarismus-Pazifismus
Wie lassen sich militaristische bzw. pazifistische Einstellungen definieren? In der
Literatur werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Einerseits werden konkrete
politische Präferenzen betrachtet, dies vor allem in der Politikwissenschaft (vgl.
D’Agostino, 1995). Andererseits ruht der Blick auf einer tieferen psychologischen
Ebene, bei der es um „den Sinn und die Aufgabe einerseits und den Unsinn oder die
Moral von kriegerischen Auseinandersetzungen andererseits, ferner um Tauglichkeit
und Notwendigkeit des Krieges als Mittel staatlicher Politik“ (Feser, 1972, S. 117)
geht. Näher betrachtet, lassen sich auf der tieferen Ebene kognitiv-funktionale Beurteilungen von ethisch-moralischen Bewertungen militärischer Gewalt unterscheiden.
Diese drei Schwerpunktsetzungen werden nun genauer dargestellt und zu einer umfassenderen Definition von Militarismus-Pazifismus integriert.
Sicherheitspolitische Präferenzen. Erstens konkretisieren sich militaristische bzw.
pazifistische Einstellungen in verschiedenen relativ konsistenten außen- und sicherDie interne Struktur von Militarismus-Pazifismus
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heitspolitischen Präferenzen. Menschen mit militaristischen Einstellungen sind geneigt, die Entwicklung neuer Waffensysteme zu befürworten, militärische Interventionen zu unterstützen und dem Militär große Summen des Landesetats zuzugestehen. Wer pazifistisch eingestellt ist, spricht sich demgegenüber eher für eine Kürzung
des Militärhaushalts und eine Reduzierung militärischer Forschung aus und tendiert
zur Ablehnung militärischer Interventionen.
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Kriegskultur
Funktionale Beurteilungen. Zweitens gehen militaristische bzw. pazifistische Einstellungen mit kognitiv-funktionalen Beurteilungen militärischer Gewalt einher, mit
Beurteilungen der Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit militärischer Gewalt als
Mittel zur Sicherung und Herstellung von Frieden. Diesen Beurteilungen liegen
unterschiedliche subjektive Theorien über die Entstehungsbedingungen von Kriegen
zu Grunde (vgl. D’Agostino, 1995). Militaristische Einstellungen basieren auf einer
„Abschreckungstheorie“, wonach die fundamentale Ursache von Kriegen darin besteht, dass Aggressoren nicht genügend im Zaum gehalten werden. Pazifistische
Einstellungen gründen dagegen auf einer „Eskalationstheorie“, wonach die grundlegende Ursache von Kriegen in der eskalierenden Rüstungsspirale liegt, die mit einer
zunehmenden gegenseitigen Bedrohungswahrnehmung einhergeht. Aus diesen Theorien folgen unterschiedliche Annahmen darüber, welche Mittel am besten geeignet
sind, um internationale Konflikte zu lösen und Sicherheit zu gewährleisten. Militaristisch eingestellte Menschen sehen den Schlüssel zum Frieden in der Androhung und
nötigenfalls Anwendung militärischer Gewalt, während pazifistisch eingestellte Menschen ihn eher in internationalen Organisationen, Abkommen zur Rüstungskontrolle,
einseitigen Abrüstungsinitiativen und wirtschaftlicher Unterstützung sehen.
Moralische Bewertung. Drittens unterscheiden sich militaristisch und pazifistisch
eingestellte Menschen in der ethisch-moralischen Bewertung militärischer Gewalt, in
wertbezogenen Erwägungen über die Legitimität bzw. Illegitimität von Krieg (vgl.
Feser, 1972). Militaristische Einstellungen implizieren, dass der Einsatz militärischer
Mittel zur Erreichung politischer Ziele und zur Durchsetzung von Interessen akzeptiert wird. Pazifistisch eingestellte Menschen lehnen Krieg und das Töten im Krieg
dagegen aus ethischen Gründen ab und sehen die Anwendung militärischer Gewalt
höchstens im Verteidigungsfall als legitim an.
Militarismus-Pazifismus. Damit sind die beiden Pole der Einstellungsdimension
Militarismus-Pazifismus beschrieben. Auf der einen Seite stehen militaristische politische Präferenzen und die Beurteilung, dass militärische Gewalt ein taugliches und
legitimes Mittel zur Verhinderung von Kriegen und Erreichung politischer Ziele ist,
auf der anderen Seite stehen pazifistische politische Präferenzen und die Ansicht,
dass militärische Gewalt kontraproduktiv im Hinblick auf das Erreichen von Frieden
und aus ethisch-moralischen Gründen abzulehnen ist. Und, um den dimensionalen
Charakter von Militarismus-Pazifismus noch einmal hervorzuheben: Dazwischen
variieren militaristische und pazifistische Einstellungen kontinuierlich mit der Einschätzung der Tauglichkeit und Rechtfertigbarkeit militärischer Gewalt.
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Militarismus – Pazifismus als Einstellungsdimension
Wenn hier angedeutet wird, dass die drei Aspekte militaristischer bzw. pazifistischer
Einstellungen eine gemeinsame Dimension bilden, schließt dies nicht aus, dass es Menschen gibt, die z.B. Krieg für moralisch legitim, aber gleichzeitig für völlig ungeeignet
halten, Konflikte zu lösen. Für den Großteil der Menschen sind sicherheitspolitische
Präferenzen, funktionale Beurteilungen und moralische Bewertungen militärischer
Gewalt jedoch konsistent. Dies zeigt sich empirisch darin, dass Items zu diesen drei
Aspekten eine gemeinsame Skala bilden. So erwies sich die Kurzskala von Cohrs et al.
(2002a) als einfaktoriell und intern konsistent. Beispielaussagen der Skala sind:
l „Unser Staat sollte viel weniger Geld für Rüstung ausgeben“ (politische Präferenz)
l „Die Androhung militärischer Gewalt ist häufig die beste Möglichkeit, aggressive
Staaten in Schach zu halten“ (kognitiv-funktionale Beurteilung)
l „Krieg ist niemals gerechtfertigt“ (ethisch-moralische Bewertung).
Zusammenhänge mit anderen Merkmalen
Teil II
Kriegskultur
3
Worin unterscheiden sich Menschen mit militaristischen und pazifistischen Einstellungen noch, abgesehen von ihren Haltungen gegenüber militärischer Gewalt? Im
Folgenden wird auf der Basis empirischer Studien dargestellt, welche Beziehungen
Militarismus-Pazifismus zu allgemeinen sozialen Einstellungen, grundlegenden
Werthaltungen und Persönlichkeitsmerkmalen im engeren Sinne aufweist.
Eine Vermutung, die hin und wieder – von Pazifisten – geäußert wird, soll vorweg
kurz angesprochen werden: Gehen militaristische Einstellungen möglicherweise auf
eingeschränkte Fähigkeiten zur Problemlösung oder geringes Wissen über zivile
Konfliktlösungsstrategien zurück? Die Antwort lautet wohl „nein“ (vgl. Nelson &
Milburn, 1999). Aufschlussreich ist die Studie von Kowalewski (1994). Hier wurden
durch die Vermittlung empirischer Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung
Veränderungen in Richtung pazifistischerer Einstellungen erreicht; interessanterweise entwickelten Personen mit militärischem Hintergrund jedoch militaristischere
und nicht pazifistischere Einstellungen. Kognitive Kompetenzen und Wissen scheinen sowohl pazifistische als auch militaristische Einstellungen intensivieren zu können (vgl. auch Cohrs & Moschner, 2002).
Allgemeine soziale Einstellungen
Ideologisches Einstellungssyndrom. Militaristische bzw. pazifistische Einstellungen
treten nicht losgelöst von anderen Einstellungen auf, sondern sind Bestandteil eines
relativ konsistenten ideologischen Einstellungssyndroms. Wie sieht dieses „Syndrom“ aus? In der in Kanada durchgeführten Untersuchung von Eckhardt (1969)
gingen militaristische Einstellungen einher mit:
l Streben nach nationaler Macht (Nationalismus)
l Befürwortung härterer Strafen für Kriminelle (Punitivität)
l ablehnenden Einstellungen zum Kommunismus (Antikommunismus)
Zusammenhänge mit anderen Merkmalen
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l geringem Eintreten für internationale Kooperation (Antiinternationalismus)
l Befürwortung eines freien Wirtschaftssystems und Präferenzen für konservative
Politiker (Konservatismus)
l positiven Einstellungen zu Autoritäten (Autoritarismus)
l geringer Wertschätzung demokratischer Prinzipien (Antidemokratie) und
l ablehnenden Meinungen über Juden (Antisemitismus).
Teil II
Kriegskultur
Ein ähnliches Bild ergab sich in weiteren Studien der damaligen Zeit (vgl. Eckhardt,
1980), und zwar nicht nur im nordamerikanischen Raum, sondern auch in anderen
westlichen und zum Teil auch östlichen Ländern (vgl. Eckhardt, 1971).
Was ist der psychologische Kern dieses Einstellungssyndroms? Nach Eckhardt
(1969) geht es um die Bevorzugung bzw. Ablehnung einer „harten Linie“ gegen
Abweichungen von etablierten gesellschaftlichen Werten, um Zwangsmaßnahmen in
politischen und sozialen Beziehungen auf innergesellschaftlicher und internationaler
Ebene. Militaristisch eingestellte Personen sprachen sich generell eher dafür aus,
menschliches Verhalten zu kontrollieren und gegebenenfalls zu bestrafen. Pazifistisch eingestellte Personen traten dagegen eher für Freiheit in sozialen Beziehungen
ein und zeigten sich toleranter und kooperationsbereiter gegenüber innergesellschaftlichen Minderheiten und anderen Nationen.
Bestätigung des Syndroms. Lassen sich die Ergebnisse zur Struktur des Einstellungssyndroms auf die heutige Zeit übertragen? Mehrere Studien sprechen dafür. Sie
konnten Beziehungen militaristischer Einstellungen zu einzelnen Merkmalen des
Einstellungssyndroms feststellen, nämlich zu Nationalismus, Autoritarismus, Konservatismus und Antiinternationalismus, darüber hinaus auch zu Antiislamismus,
Proamerikanismus und sozialer Dominanzorientierung (z.B. Cohrs et al., 2002b;
Feshbach, 1990, 1995; Johnson et al., 1993; Nelson & Milburn, 1999; Pratto et al.,
1994). Letzteres Merkmal betrifft eine Befürwortung hierarchischer (vs. egalitärer)
Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen.
Weiter illustrieren lässt sich dieses Bild auch mit Daten des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Bundeswehr (Kohr et al., 1993): Die Affinität zur Bundeswehr, ein Indikator für militaristische Einstellungen, bildet gemeinsam mit einer eher rechten politischen Orientierung, einer pro-nationalen Haltung und Ausländerfeindlichkeit ein „traditionell-konservatives“ Syndrom, das sich auch als „autoritär-punitiv“ bezeichnen lässt.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass militaristisch eingestellte Personen immer auch
nationalistisch, autoritaristisch, konservativ, ausländerfeindlich usw. sind. Es handelt
sich um statistische Aussagen: Je autoritaristischer usw. eine Person ist, desto höher ist
die Wahrscheinlichkeit einer militaristischen Einstellung. (→ Kap. 29 Kultur und Krieg.)
Werthaltungen
Welche Werte sind Ihnen in Ihrem Leben wichtig: beruflicher Erfolg, Spaß, Traditionen, Freundschaften, soziale Gerechtigkeit? Werthaltungen sind situationsübergreifende, relativ stabile Leitprinzipien in unserem Leben. Menschen richten ihr Handeln an Werten aus und nutzen sie zur Interpretation und Bewertung der Welt.
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Militarismus – Pazifismus als Einstellungsdimension
Motivationale Werttypen. Weitgehend kulturübergreifend lassen sich zehn motivationale Typen von Werten unterscheiden (vgl. Schwartz, 1992). Sie sind vier Gruppen
zuzuordnen, die sich wiederum auf zwei Dimensionen beschreiben lassen. Auf der
einen Dimension liegen sich Werte der Selbsterhöhung (Macht und Leistung) und
der Selbstüberwindung (Universalismus und Wohlwollen) gegenüber. Auf der anderen Dimension stehen Werte, die sich auf die Bewahrung des Bestehenden beziehen
(Konservatismuswerte; Tradition, Konformität und Sicherheit) und solche, die
Offenheit gegenüber Neuem implizieren (Selbstbestimmung und Stimulation). Der
zehnte Werttyp, Hedonismus, weist Beziehungen zu zwei der übergeordneten Wertorientierungen auf, nämlich zu Selbsterhöhung und Offenheit.
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Empirische Zusammenhänge. In mehreren Studien wurden Beziehungen zwischen
Militarismus-Pazifismus und Werthaltungen untersucht (z.B. Cohrs et al., 2002b;
Gordon, 1972; Mayton et al., 1999). Es fanden sich durchgängig positive Beziehungen militaristischer Einstellungen zu Macht und Konformität, weniger konsistent
auch zu Leistung, Hedonismus und Sicherheit. Pazifistische Einstellungen waren mit
Wohlwollen und Universalismus verbunden. Insgesamt zeigen die Untersuchungen,
dass Menschen mit militaristischen Einstellungen Selbsterhöhungs- und Konservatismuswerte relativ wichtig sind. Sie streben stärker nach persönlichem Erfolg und
Dominanz über andere und halten stärker am Bestehenden fest als pazifistisch eingestellte Personen. Menschen mit pazifistischen Einstellungen finden demgegenüber
Selbstüberwindungswerte wichtiger. Im Vergleich zu milita-ristisch eingestellten
Menschen akzeptieren sie andere eher als gleichwertig, sind stärker um deren Wohlbefinden besorgt und sehen eher von persönlichen Vorteilen ab.
Auch hier – wie in Bezug auf die allgemeinen Einstellungen – ist jedoch eine Einschränkung angebracht. Selbsterhöhungswerte, wie z.B. soziale Anerkennung, gehen
nicht gesetzmäßig mit militaristischen Einstellungen einher, sondern sind für manche Gruppen von Menschen durchaus mit pazifistischen Einstellungen vereinbar
(vgl. Grosze Nipper & Rebel, 1987).
Persönlichkeitsmerkmale
Welche Persönlichkeitsmerkmale im engeren Sinne gehen mit militaristischen
bzw. pazifistischen Einstellungen einher? In Frage kommt Aggressivität, denn zumindest zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Annahme populär, dass Krieg ein
Symptom allgemeiner menschlicher Aggressivität ist (→ Kap. 7 Aggressives Verhalten).
Aggressivität. Tatsächlich wurden bei norwegischen Studenten geringfügige Zusammenhänge militaristischer Reaktionen in fiktiven internationalen Konflikten mit
aggressiven Reaktionspräferenzen im Alltagsbereich und mit psychodynamischen
Konflikten als Indikator für latente Aggressionen gefunden (Christiansen, 1959).
Andere Studien zeigten ebenfalls positive, wenn auch nicht sehr starke Beziehungen
zwischen militaristischen Einstellungen und unterschiedlichen Aggressivitätsmaßen
(vgl. Eckhardt, 1971; Feser, 1972; Feshbach, 1990).
Zusammenhänge mit anderen Merkmalen
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Ängstlichkeit. Neben Aggressivität könnten Ängstlichkeit, Unsicherheit oder Neurotizismus mit militaristischen Einstellungen zusammenhängen, da militärische Stärke
möglicherweise als Schutzschild vor Bedrohungen gesehen wird. Entsprechende
empirische Befunde sind jedoch inkonsistent (vgl. Christiansen, 1959; Eckhardt,
1971). Neuere Untersuchungen auf der Basis des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit zeigen keine Beziehungen politischer Einstellungen zu Neurotizismus (vgl.
Butler, 2000).
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Kriegskultur
Geschlechtsrollen. In der Studie von D’Agostino (1995) sollten Politiker und politisch Interessierte 72 persönlichkeitsbeschreibende Adjektive danach sortieren, für
wie charakteristisch sie diese für sich hielten. Militaristisch eingestellte Männer
schrieben sich im Vergleich zu pazifistisch eingestellten stärker typisch maskuline
(z.B. weniger feminin, weniger mitfühlend, wettbewerbsorientierter, aggressiver),
autoritaristische (z.B. weniger rebellisch, weniger erotisch, strenger) und machiavellistische (z.B. weniger idealistisch, zurückhaltender) Persönlichkeitszüge zu. Militaristisch eingestellte Frauen beschrieben sich im Vergleich zu pazifistisch eingestellten
ebenfalls als autoritaristischer (weniger rebellisch, weniger unkonventionell und
weniger erotisch), machiavellistischer (vorsichtiger, listiger) und weniger mitfühlend. Auffällig sind die Zusammenhänge mit Geschlechtsrollenorientierungen; weiter unten findet sich daher ein Exkurs zu Geschlechtsunterschieden in MilitarismusPazifismus.
Insgesamt deuten die Beziehungen militaristischer Einstellungen zu einem maskulinen Persönlichkeitsbild und autoritären Merkmalen erstens an, dass es um
Macht, Dominanz und Hierarchien zwischen Menschen geht. Hinzu kommen zweitens Beziehungen zu Aggressivität. Unsicherheit oder Ängstlichkeit gehen dagegen
nicht konsistent mit militaristischen bzw. pazifistischen Einstellungen einher.
Exkurs: Geschlechtsunterschiede
Das Militär war und ist in den verschiedensten Kulturen und historischen Epochen
eine männliche Institution (vgl. Winter et al., 2001). Männliche Rituale kennzeichnen den militärischen Bereich und Männer haben so gut wie alle militärischen
Führungspositionen inne. In Anbetracht dessen ist es nicht überraschend, dass Frauen in fast allen Untersuchungen im Mittel etwas pazifistischer eingestellt sind als
Männer, auch bei Kontrolle demographischer Merkmale. Dieser Geschlechtsunterschied besteht bereits im Alter von 11 bis 14 Jahren (Roscoe et al., 1988). Wie
kommt das?
„Proximale“ Ursachen. Durch welche psychologischen Variablen wird der Geschlechtsunterschied vermittelt? Hier kommen alle im Text erwähnten relevanten
Merkmale in Betracht, in denen sich Männer und Frauen unterscheiden. Dies ist z.B.
der Fall für das maskuline Persönlichkeitsbild (vgl. D’Agostino, 1995; Johnson et al.,
1993) sowie soziale Dominanzorientierung und Konservatismus (Pratto, et al.,
1997). Weitere Merkmale, die angeführt werden (vgl. Finlay & Love, 1998; Tessler &
Warriner, 1997), lassen sich zumeist unter die diskutierten Einstellungen, Wert-
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Militarismus – Pazifismus als Einstellungsdimension
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haltungen und Persönlichkeitsmerkmale subsumieren: Männer sehen die Welt eher
in hierarchischen Begriffen, Frauen sind egalitärer eingestellt; Männer sind kompetitiver, Frauen kooperativer; Männer betonen Status, Frauen sind Beziehungen wichtig; Männer betonen Unterschiede, Frauen Gemeinsamkeiten.
Ergänzen lässt sich hier auch Gilligans (1982) Annahme unterschiedlicher moralischer Standards. Danach legen Frauen ihren moralischen Ansichten eher einen
Fürsorgestandard zu Grunde; sie nehmen Verantwortung für andere wahr, sind
empathischer und fühlen sich stärker mit anderen verbunden. Männer orientieren
sich hingegen stärker an abstrakten Gerechtigkeitsprinzipien; sie betonen individuelle Rechte und absolute Regeln. Diese Annahme impliziert, dass Frauen nicht in jedem Fall pazifistischer sind, sondern militärische Gewalt möglicherweise eher akzeptieren können als Männer, wenn an den Fürsorgestandard appelliert wird, etwa bei
so genannten humanitären Interventionen (Finlay & Love, 1998; → Kap. 5 Menschenrechte und Friedensethik; Kap. 42 Moralische Kompetenz).
„Distale“ Ursachen. Inwieweit geht der Unterschied zwischen Männern und Frauen
auf biologische oder auf kulturelle, sozialisationsbedingte Ursachen zurück? Eine
biologische Erklärung bestünde darin, dass der Geschlechtsunterschied durch evolutionäre Bedingungen entstanden ist und sich auf physiologischer Ebene in einem
höheren Testosteronniveau der Männer widerspiegelt. Im Rahmen einer kulturellen
Erklärung hat Miedzian (1991) gezeigt, wie durch Filme, Spielzeug, Sport, Schulbücher und Musik ein durch Aggressivität, Dominanz, Gefühllosigkeit und Abenteuerlust charakterisiertes Männlichkeitsbild gezeichnet wird. Für eine kulturelle Erklärung spricht, dass nicht in allen Ländern Einstellungsunterschiede auftreten, z.B.
nicht in Israel, Ägypten, Palästina und Kuwait (Tessler & Warriner, 1997). Möglicherweise werden die Unterschiede in jüngerer Zeit auch in Folge einer Annäherung
der Sozialisation von Jungen und Mädchen geringer (vgl. Covell, 1999). Wichtig ist
festzuhalten, dass Unterschiede in Militarismus-Pazifismus nicht streng mit dem
biologischen Geschlecht assoziiert sind. Auch innerhalb der Geschlechter gibt es
große Variationsbreiten. (→ Kap. 7 Aggressives Verhalten.)
4
Zusammenfassende Würdigung
Wie lassen sich die dargestellten empirischen Befunde zusammenfassen und im
Hinblick auf ihre psychologische Bedeutung interpretieren? Das autoritär-punitive
Einstellungssyndrom, in das Militarismus eingebettet ist, wurde beschrieben als
generalisierte Neigung, sich für die Kontrolle und gegebenenfalls harte Bestrafung
eventuell abweichenden menschlichen Verhaltens auszusprechen. Menschen mit
militaristischen Einstellungen ist es wichtig, nach Macht und Erfolg zu streben und
an Bestehendem festzuhalten, während pazifistisch eingestellte Menschen Werte wie
Gerechtigkeit und Verbundenheit mit anderen wichtig finden. Schließlich stehen
militaristische Einstellungen in Zusammenhang mit einem maskulinen PersönlichZusammenfassende Würdigung
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keitsbild, das sich durch Streben nach Macht und Kontrolle, eine hohe Priorität von
Leistung und Autorität und durch Aggressivität kennzeichnen lässt.
Teil II
Kriegskultur
Mögliche Ursachen. Es ist vielleicht hilfreich, die psychologische Bedeutung militaristischer und pazifistischer Einstellungen tiefer zu ergründen. Eckhardt (1971) und
Wilson (1973) sehen das autoritär-punitive Einstellungssyndrom als generalisierte
Anfälligkeit, sich in unsicheren Situationen bedroht zu fühlen, und zumindest zum
Teil als Schutzmechanismus zur Kompensation eines niedrigen Selbstwertgefühls.
Nach dieser Erklärung werden unerwünschte Merkmale der eigenen Person und
innere Konflikte geleugnet oder unterdrückt. Dann werden sie auf andere projiziert
und dienen als Rechtfertigung für aggressive und militaristische Reaktionen. Theoretisch lässt sich jedoch auch ein anderer Zusammenhang begründen: Pazifistische
Einstellungen könnten ebenfalls durch Ängstlichkeit, durch Angst vor Krieg und
Gewalt motiviert sein, während militaristische Einstellungen die Bereitschaft implizieren, Leid und Zerstörung hinzunehmen.
Die Erklärung militaristischer Einstellungen als Reaktion auf Unsicherheitsgefühle ist somit eher spekulativ. Stattdessen erscheint es sinnvoller, die Entstehung militaristischer bzw. pazifistischer Einstellungen auf die allgemeinen Prinzipien der Sozialisation und Einstellungsänderung zurückzuführen (→ Kap. 10 Soziale Einstellungen, Kap. 13 Politische Sozialisation).
Auswirkungen auf das Verhalten. Welche Rolle spielen militaristische bzw. pazifistische Einstellungen für politisches Verhalten? Auf den ersten Blick scheint der Zusammenhang nicht besonders stark zu sein. Nicht alle Menschen, die pazifistisch
eingestellt sind, engagieren sich auch aktiv für den Frieden (vgl. Cohrs et al., 2003).
Es gibt jedoch eine Reihe von Variablen, die diesen Zusammenhang beeinflussen (→
Kap. 10 Soziale Einstellungen). Pazifistische Einstellungen sind somit keine hinreichende Bedingung für friedenspolitisches Engagement, wohl aber eine wichtige Voraussetzung dafür. Gemeinsam mit anderen Variablen wie Handlungsressourcen,
Verantwortungsgefühlen und Selbstwirksamkeitserwartungen ermöglichen sie politisches Verhalten (vgl. Downton & Wehr, 1998; → Kap. 30 Politisches Engagement für
den Frieden).
5
Fazit und Ausblick
Humanitäre Interventionen und Militarismus. Angesichts der Begründungen der
jüngsten militärischen Interventionen mag das Bild eines Militarismus, der mit Begriffen wie Autorität, Macht und Aggressivität verbunden ist, etwas verwundern. Die
Militäraktionen in Jugoslawien (1999) und Afghanistan (2001/02) wurden als so
genannte humanitäre Interventionen dargestellt, als militärische Gewalt zum Schutz
der Menschenrechte. Dieses vorgebliche Ziel korrespondiert aber keineswegs mit
Selbsterhöhungswerten wie Macht und Überlegenheit, sondern spricht im Gegenteil
eher Selbstüberwindungswerte an. Entsprechend fanden Pratto et al. (1994) in den
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Militarismus – Pazifismus als Einstellungsdimension
USA einen negativen Zusammenhang zwischen sozialer Dominanzorientierung und
der Befürwortung von Krieg zu humanitären Zwecken. In Deutschland ließ sich die
Einstellung zur militärischen Durchsetzung der Menschenrechte (vgl. Fetchenhauer
& Bierhoff, 2001) empirisch jedoch kaum von allgemeinem Militarismus-Pazifismus
unterscheiden und ging mit hoher sozialer Dominanzorientierung einher (Cohrs et
al., 2002b). Besonders für Personen, denen Selbstüberwindungswerte wie Gerechtigkeit und Frieden wichtig sind, dürften humanitäre Interventionen ein moralisches
Dilemma darstellen, da ein positiv bewertetes Ziel durch negativ bewertete Mittel
erreicht werden soll. Um eine möglichst breite Unterstützung für militärische Einsätze zu erreichen, versuchen Regierungen daher, durch die Betonung humanitärer
Ziele gerade diejenigen zu beeinflussen, die militärische Gewalt eigentlich ablehnen.
Fazit und Ausblick
Teil II
Kriegskultur
Gesellschaftliche Bedeutung. Welche gesellschaftliche Relevanz haben militaristische
bzw. pazifistische Einstellungen? Natürlich sind militaristische Einstellungen in der
Bevölkerung keine direkten Ursachen für Kriege.
l Erstens sind politische Einstellungen nicht starr und stabil, sondern selbst vom
historischen Kontext abhängig. Es kann bedeutsame Veränderungen militaristischer bzw. pazifistischer Einstellungen in Folge gesellschaftlicher Entwicklungen
oder durch besondere Ereignisse geben (→ Kap. 4 Geschichte der Friedenspsychologie).
l Zweitens wird über Kriege von politisch Verantwortlichen entschieden, auf die
viele verschiedene Faktoren einwirken: u.a. ihre eigene politische Überzeugung,
das von den Medien gezeichnete Bild der Wirklichkeit, Entscheidungsprozesse in
Gruppen, wirtschaftliche Faktoren und gesetzliche Bestimmungen – aber eben
auch die Ansichten der Bevölkerung und damit, neben anderen Merkmalen, militaristische bzw. pazifistische Einstellungen.
Neben ihrem Einfluss auf Entscheidungsträger können Einstellungen in der Bevölkerung auch auf anderen Wegen über Krieg und Frieden mitentscheiden. Sie sind Bestandteil der Kultur und stehen wechselseitig mit anderen gesellschaftlichen Prozessen in Beziehung (Winter et al., 2001; Johnson et al., 1993; → Kap. 29 Kultur und
Krieg). Vorherrschende militaristische Einstellungen können ein höheres Militärbudget legitimieren und die Bedeutung des Militärs in der Gesellschaft stärken und
dadurch nicht nur die Bereitschaft für militärische Gewalt erhöhen, sondern auch zu
Beeinträchtigungen sozialer Belange führen. Wahrscheinlich gilt also: Wenn alle
Menschen glaubten, dass Kriege unmoralisch wären und ungeeignet, um Frieden zu
erreichen, fänden weniger Kriege und mehr nichtmilitärische Interventionen zur
Befriedung von Konflikten statt. In der Geschichte sind auch andere Formen institutionalisierter Gewalt, so die Sklaverei, nach und nach moralisch inakzeptabel geworden (vgl. Forsberg, 2001). Es ist daher ein wichtiges Ziel des Friedensengagements
und der Friedenserziehung, pazifistische Einstellungen zu fördern und militaristische
Einstellungen abzuschwächen. Dieses Kapitel sollte zeigen, dass dabei auch weiter
gehende soziale Einstellungen, Werthaltungen und Persönlichkeitsmerkmale zu
berücksichtigen sind.
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