Förderung der Kommunikation bei ´nichtsprechenden

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Förderung der Kommunikation bei ´nichtsprechenden
Uta Herzog
Förderung der Kommunikation bei
„nichtsprechenden“ Menschen, die
blind und mehrfachbehindert sind
Erste Staatsexamensarbeit
––– 2001 –––
föpädn.et
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Herzog, Uta: Förderung der Kommunikation bei "nichtsprechenden" Menschen, die
blind und mehrfachbehindert sind.
Online im Internet: URL: http://www.foepaed.net/volltexte/herzog/komm-foerder.pdf.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung............................................................................................... 3
2
Beschreibung des Personenkreises ................................................... 5
2.1 Sehschädigung und Blindheit...................................................................................... 5
2.2 „Nichtsprechende“ Menschen ..................................................................................... 6
2.3 Blindheit und nicht vorhandene Lautsprache als Komponenten einer
Mehrfachbehinderung ................................................................................................. 7
3
Kommunikation und Sprache .............................................................. 9
3.1 Kommunikation............................................................................................................ 9
3.1.1 Begriffsdefinition..................................................................................................... 9
3.1.2 Verschiedene Formen der Kommunikation ......................................................... 12
3.1.3 Bedeutung und Funktion von Kommunikation ..................................................... 13
3.2 Sprache ..................................................................................................................... 14
3.3 Kommunikations- und Sprachentwicklung bei nichtbehinderten Kindern ................ 14
3.3.1 Interaktionales Entwicklungsmodell ..................................................................... 15
3.3.2 Ganzheitliches Entwicklungsmodell..................................................................... 15
3.3.3 Entwicklung von Kommunikation und Sprache.................................................... 17
3.4 Zwei Spracherwerbsstile ........................................................................................... 20
3.4.1 Referenzieller Spracherwerb ............................................................................... 20
3.4.2 Expressiver Spracherwerb................................................................................... 21
3.5 Sprachverständnis..................................................................................................... 21
3.6 Kommunikations- und Sprachentwicklung unter erschwerten Bedingungen............ 22
3.6.1 Früheste Kommunikation, ungezielte Äußerungen.............................................. 22
3.6.2 Gezieltes Verhalten.............................................................................................. 23
3.6.3 Gezielte Partnerkommunikation........................................................................... 24
3.6.4 Konventionelle Kommunikation............................................................................ 24
3.6.5 Symbolische Kommunikation............................................................................... 24
3.6.6 Der weitere Spracherwerb ................................................................................... 25
4
Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten ......... 26
4.1 Basale Kommunikation nach Mall ............................................................................. 26
4.1.1 Primäre Kommunikation als Grundlage für einen Austausch .............................. 28
4.1.2 Prinzipien der Förderung ..................................................................................... 29
4.1.3 Kritische Würdigung des Konzeptes .................................................................... 30
4.2 Hinführung zur Kommunikation nach der Methode Jan van Dijks ............................ 31
4.2.1 Stufe der Resonanz ............................................................................................. 32
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Inhaltsverzeichnis
4.2.2 Stufe der co-aktiven Bewegung ........................................................................... 32
4.2.3 Stufe des nicht-repräsentationalen Bezugs ......................................................... 33
4.2.4 Stufe der verzögerten Imitation............................................................................ 33
4.2.5 Stufe der natürlichen Gebärden........................................................................... 33
4.2.6 Kritische Würdigung des Konzeptes .................................................................... 34
5
Unterstützte Kommunikation (UK)..................................................... 36
5.1 Definition und Ziele.................................................................................................... 36
5.2 Geschichtliche Entwicklung....................................................................................... 37
5.3 Zielgruppe ................................................................................................................. 38
5.4 Abgrenzung zur „Gestützten Kommunikation“ (FC= Facilitated Communication) .... 39
5.5 Besonderheiten der Gesprächssituation ................................................................... 40
5.6 Kommunikationsformen im Rahmen Unterstützter Kommunikation ......................... 43
5.6.1 Körpereigene Kommunikationsmodi .................................................................... 44
5.6.2 Extern unterstützte Kommunikationsformen........................................................ 50
5.6.3 Elektronische Kommunikationshilfen ................................................................... 66
5.6.4 Ansteuerung und Auswahlverfahren bei externen Kommunikationshilfen .......... 69
5.6.5 Beginn einer Förderung: diagnostischer Prozess................................................ 72
5.6.6 Auswahl des Vokabulars für eine Kommunikationshilfe ...................................... 75
6
Fallbeispiel des Jungen R. ................................................................. 77
6.1 Fallbeschreibung: ...................................................................................................... 78
6.1.1 Diagnose: ............................................................................................................. 78
6.1.2 Entwicklungsbeschreibung: ................................................................................. 78
6.1.3 Hilfsmittel/ Medikamente:..................................................................................... 79
6.1.4 Förderungen......................................................................................................... 79
6.1.5 Kommunikative Verhaltensweisen und linguistische Fähigkeiten ....................... 79
6.1.6 Kognitive Fähigkeiten........................................................................................... 82
6.2 Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten durch UK....................................... 85
6.2.1 Ausgangspunkt der Therapie............................................................................... 85
6.2.2 Bisherige Ziele und Ergebnisse der Förderung ................................................... 86
7
Fazit .....................................................................................................100
8
Anhang................................................................................................103
8.1 Glossar .................................................................................................................... 103
8.2 Schema der Förderung ........................................................................................... 106
8.3 Fragebogen zur Abklärung verschiedener Fähigkeiten .......................................... 108
8.4 Abbildungsverzeichnis............................................................................................. 111
8.5 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 111
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2
Kapitel 1: Einleitung
1
Einleitung
„Schwerstbehindert, nicht sprechend, kaum oder gar nicht sehend, aber offensichtlich gut ansprechbar und sie würden reden,
wenn sie es könnten“ (Hück 1998, S. 538).
Dieses Zitat bezieht sich auf einen Personenkreis, der in den letzten Jahren im Bereich der
Blinden- und Sehbehindertenpädagogik vermehrt anzutreffen ist. Mehr als die Hälfte der
Schüler1 an Schulen für Blinde und Sehbehinderte weisen neben der Sehschädigung mindestens eine weitere Behinderung auf (vgl. Appelhans 1992, S. 31).
Dies lässt sich sicherlich auch durch die Entwicklung der medizinischen Möglichkeiten begründen. Immer mehr Frühgeborene werden durch spezielle Hilfsmittel am Leben erhalten.
Gerade bei diesen Personen erhöht sich aber auch das Risiko für eine Mehrfachbehinderung.
Zu der Blindheit kommen unterschiedliche Beeinträchtigungen. In vielen Fällen liegt eine
körperliche oder geistige Behinderung vor. Spezielle Sprachstörungen, die als Folge der
Blindheit auftreten, sind, nach Meinung vieler Autoren, nicht zu benennen. Dennoch weisen
gerade mehrfachbehinderte Kinder mit einer Sehschädigung gehäuft Probleme im sprachlichen Bereich auf. Einem nicht unerheblichen Teil der Schüler an Schulen für Blinde, Sehbehinderte und Mehrfachbehinderte steht die Lautsprache nicht oder kaum zur Verfügung.
Aktuelle Daten über den Anteil der Schüler mit Sprachproblemen sind in der Literatur nicht
zu finden.
Die veränderte Klientel der Schule für Blinde und Sehbehinderte macht auch ein Umdenken
bei den Pädagogen nötig. Das Nicht-Sprechen-Können gilt oft als Indiz für eine geistige Behinderung oder völlige Sprachlosigkeit. Eine solche Ansicht wird den „nichtsprechenden“
Menschen aber nicht gerecht, denn „nicht sprechen können bedeutet weder, über Sprache
nicht verfügen können noch, nicht denken können“ (Gangkofer 1992, S. 243). Um das Bedürfnis dieser Personen nach Kommunikation zu erkennen, wie es in dem Zitat zu Anfang
geschildert wurde, müssen wir mit ihnen in Kontakt treten. Da ihnen die Lautsprache als
expressives Medium nicht zur Verfügung steht, sind individuelle Kommunikationsformen zu
erarbeiten.
Weit verbreitet sind an den Schulen Konzepte, die auf basale Bedürfnisse eingehen oder die
Anbahnung der kommunikativen Fähigkeiten auf einer bestimmten Stufe zum Ziel haben.
Ein weniger bekanntes Konzept ist die Unterstützte Kommunikation. Sie möchte nicht nur
Grundbedürfnisse befriedigen oder einzelne Voraussetzungen zur Kommunikation schaffen,
1
Alle in dieser Arbeit aufgeführten Gruppenbezeichnungen, wie Schüler, Lehrer, Nutzer etc.,
beinhalten jeweils die männliche und weibliche Form.
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3
Kapitel 1: Einleitung
sondern den im Zitat geschilderten Wunsch des Menschen nach Kommunikation erfüllen.
Ziel ist der Aufbau eines „inneren und äußeren Symbolsystems“ als Grundlage für das Denken (Gangkofer 1992, S. 243). Man orientiert sich hierbei nicht nur an der oralen Sprache
(vgl. Gangkofer 1992, S. 243).
Diese Arbeit stellt die drei Konzepte Basale Kommunikation, van Dijk Methode und Unterstützte Kommunikation vor. Der Schwerpunkt liegt auf der Unterstützten Kommunikation. Da
sie bislang nur wenig bekannt ist, erläutere ich die Prinzipien des Konzeptes ausführlich. Es
soll herausgestellt werden, welche der im Rahmen der Unterstützten Kommunikation verwendeten Methoden und Hilfsmittel sich für die Arbeit mit blinden Menschen eignen und
welche angepasst werden müssen. Die Faktoren, die das Ziel der Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten beeinflussen, werden herausgearbeitet.
Zu diesem Zweck stelle ich das Fallbeispiel eines „nichtsprechenden“ Jungen vor, der blind
und mehrfachbehindert ist. Ich führe bei ihm seit fast zwei Jahren eine Sprachtherapie im
Sinne der Unterstützten Kommunikation durch. Die Beschreibung macht die Vorgehensweise im Rahmen einer Therapie deutlich. Es lässt sich erkennen, welche Bedingungen sich auf
die Förderung auswirken.
Diese Arbeit ist in einen Theorie- und einen Praxisteil gegliedert. Im Theorieteil werden
grundlegende Begriffe geklärt. Neben der Beschreibung des Personenkreises soll die Entwicklung von Kommunikation und Sprache verdeutlicht werden. Zunächst steht die Entwicklung bei nichtbehinderten Kindern im Vordergrund. In einem zweiten Teil werden Phasen
herausgestellt, in denen sich eine Sehschädigung negativ auf die Sprachentwicklung auswirken kann.
Im Anschluss folgt die Vorstellung von Konzepten zur Anbahnung kommunikativer Fähigkeiten. Da die Basale Stimulation und die van Dijk Methode bereits vielfach in den Schulen
verwendet werden, stelle ich diese nur kurz dar. Der Schwerpunkt liegt auf dem Konzept der
Unterstützten Kommunikation.
Der Praxisteil stellt das Fallbeispiel einer Kommunikationsförderung im Sinne der Unterstützten Kommunikation vor.
Zu Beginn stehen eine ausführliche Entwicklungsbeschreibung und die Erfassung der kommunikativen Verhaltensweisen des Jungen. Dies ist die Grundlage für die Förderung. Im
Anschluss werden einzelne Schritte der Therapie erläutert. Bisherige Ziele und Fortschritte
sind daran zu erkennen. Auf Grenzen, die eine Festlegung neuer Ziele beeinflussen, gehe
ich ebenfalls näher ein.
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4
Kapitel 2: Beschreibung des Personenkreises
2
2.1
Beschreibung des Personenkreises
Sehschädigung und Blindheit
Sehschädigung bezeichnet jede Art von Beeinträchtigung der Sehfähigkeit (vgl. Rath 2000,
S. 104). Nach W. Rath ist Sehschädigung ein Kontinuum, d.h. eine „stufenlose Abfolge von
Schweregraden herabgesetzten Sehvermögens“ (Rath 2000, S. 104). Die Einteilung in
Blindheit und Sehbehinderung erfolgt entlang dieses Kontinuums (vgl. Rath 2000, S. 104).
Die beiden Pole sind Normalsichtigkeit auf der einen und Vollblindheit als schwerste Schädigung auf der anderen Seite (vgl. Rath 2000, S. 104).
In der Regel unterscheidet man innerhalb der Pole zwischen Sehbeeinträchtigung, wesentlicher Sehbehinderung und Blindheit. Die Zuteilung zu den Kategorien erfolgt durch Messwerte (vgl. Rath 2000, S. 105).
Zur Festlegung von Grenzen wird meist der Fernvisus2 herangezogen (vgl. Rath 1998, S.
11). Personen, deren Sehfähigkeit unter 1/50 liegt, gelten als blind. Von diesem Wert sind
Unterstützungsleistungen wie Blindengeld und Sozialhilfe abhängig (vgl. Rath 1998, S. 10).
Der Bruch nennt im Zähler, aus welcher Entfernung ein Optotyp3 von der Person erkannt
wird. Der Nenner gibt darüber Auskunft, aus welcher Entfernung normalsichtige Menschen
diesen Optotypen identifizieren können (vgl. Rath 2000, S. 105). Aus dem Wert 1/50 lässt
sich also ableiten, dass ein Individuum einen Optotypen aus 1 Meter Entfernung erkennt, der
von normalsichtigen Personen aus einer Entfernung von 50 Metern gesehen wird (Rath
2000, S. 105).
Die Untergrenze für die Kategorie Blindheit stellt der Wert 0 = Vollblindheit dar (vgl. Rath
2000, S. 105).
Landläufig gilt eine Person als blind, die „keinen Lichtschein wahrnimmt“, d.h. „die gar nichts
sieht“ (Rath 1998, S. 10). Aus einer solchen Definition ergibt sich die Vollblindheit als einzige
Form der Blindheit (vgl. Rath 2000, S. 108). Außer dem Fernvisus sind aber noch andere
Teilfunktionen des Sehens von Bedeutung. Für ein ausreichendes Verständnis sind, neben
dem Nah- und Fernvisus, die Bereiche Gesichtsfeld, Farbensinn, Lichtsinn und Blendungsempfindlichkeit und das beidäugige Sehen zu betrachten (vgl. Appelhans 1992, S. 22f). Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Teilbereiche macht der Begriff Blindheit in der
Einzahl keinen Sinn. Es ergeben sich verschiedene Formen der Blindheit, wie z.B. Farbblindheit oder Nachtblindheit (vgl. Rath 2000, S. 108).
2
Visus: Maß für das Sehvermögen (vgl. Fritsch 1993, S.90).
3
Optotyp: Sehzeichen zur Visusbestimmung (vgl. Fritsch 1993, S.79)
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5
Kapitel 2: Beschreibung des Personenkreises
Blindheit lässt sich beschreiben als eine „interne Variable, deren Wirkungen mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit in Bereichen wie Psychomotorik4, mimischem Ausdruck, Wahrnehmung und Denken, Motivation, Affekte, Entwicklung zu beobachten sind“ (Rath 1998, S.
16).
Die fehlenden visuellen Informationen müssen von einem blinden Menschen durch andere
Sinneswahrnehmungen ausgeglichen werden. Vorwiegend geschieht dies über den Tastsinn
und das Gehör (vgl. Appelhans 1992, S. 22).
2.2
„Nichtsprechende“ Menschen
Als „nichtsprechend“ werden Menschen bezeichnet, die „die Lautsprache nicht oder nur unzureichend beherrschen“ (Thümmel 1998, S. 1).
Es handelt sich hierbei um eine sehr heterogene5 Gruppe. Die vielfältigen Probleme bei der
Sprachentwicklung haben unterschiedlichste Ursachen. Pickl unterscheidet zwischen sechs
Ursachengruppen: kognitive oder emotionale Beeinträchtigung, Sinnesbehinderungen, neurologische Schädigungen, Schädigungen der Sprechorgane und fortschreitende Erkrankungen. Häufig fallen mehrere dieser Ursachen zusammen. Wie sich die einzelnen Störungen
auf die Sprachentwicklung auswirken, hängt nicht unwesentlich von der Persönlichkeit ab
(vgl. Pickl 1994, S. 26f).
Pickl weist ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff „nichtsprechend“ für die Bezeichnung
eines Personenkreises ungünstig ist. Er suggeriert, dass eine Person über gar keine Lautsprache verfügt. Auch wenn die so bezeichneten Menschen die expressive Sprache im konventionellen Sinne nicht beherrschen, können sie doch Laute produzieren oder einzelne
Wörter sprechen (vgl. Pickl 1994, S. 26). Weid-Goldschmidt weist ebenfalls auf die Unzulänglichkeit der Bezeichnung hin. Sie erklärt, dass auch „Nichtsprechende“ in der Lage sind
zu „reden“. Sie verständigen sich mit alternativen Kommunikationsformen, die von der Umgebung nicht oder kaum verstanden werden (vgl. Weid-Goldschmidt 1995, S. 26). Das Gleiche gilt für die Bezeichnung „Menschen ohne Lautsprache“.
Da man sich aber noch nicht auf einen zufrieden stellenden Begriff geeinigt hat, werde ich
die Bezeichnungen in der vorliegenden Arbeit verwenden. Ich setze sie in Anführungsstriche, um die Unzulänglichkeit der Ausdrücke zu verdeutlichen.
4
Psychomotorik: alle willkürlich gesteuerten und bewusst erlebten Bewegungsabläufe, die
von psychischen Komponenten beeinflusst werden, z.B. Gehen, Sprechen, Mimik (vgl.
Duden 1999)
5
heterogen: sehr ungleich zusammengesetzt (vgl. Duden 1997)
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6
Kapitel 2: Beschreibung des Personenkreises
2.3
Blindheit und nicht vorhandene Lautsprache als Komponenten einer Mehrfachbehinderung
Mehrfachbehindert sind Menschen, die neben ihrer Blindheit noch mindestens eine weitere
Behinderung aufweisen. Der Begriff Mehrfachbehinderung ist unabhängig von der Schwere
der einzelnen Behinderung (vgl. Appelhans 1992, S. 30). Die Gesamtheit der Schädigungen
macht eine spezifische Förderung, über das übliche Maß der Schule für Blinde und Sehbehinderte hinaus, erforderlich (vgl. Appelhans 1992, S. 31). Aus der Kombination der Beeinträchtigungen ergibt sich ein kompliziertes Gefüge von Bedingungen, die sich je nach Art
unterschiedlich beeinflussen. Rath unterscheidet zwischen „Behinderungen mit zwangsläufigem Kausalzusammenhang6“, Behinderungen „ohne Kausalzusammenhang“ und solchen
ohne „zwangsläufigen Kausalzusammenhang“ (vgl. Rath 1984, S. 195). Bei dem im Folgenden dargestellten Personenkreis können prinzipiell alle drei Formen vorliegen.
Man rechnet mit über 50 % mehrfachbehinderten Schülern an den Schulen für Blinde und
Sehbehinderte (vgl. Appelhans 1992, S. 31).
Durch die Tatsache der wechselseitigen Beeinflussung der Behinderungen ist die Gruppe
der Mehrfachbehinderten sehr inhomogen7. Daher sind auch individuelle Erziehungs- und
Förderprogramme nötig (vgl. Rath 1985, S. 402).
Der in dieser Arbeit vorgestellte Personenkreis hat als Gemeinsamkeit, dass die Personen
alle im Sinne des Gesetzes blind sind. Sie erreichen somit einen Visuswert, der kleiner als
1/50 ist. Die zweite Komponente der Mehrfachbehinderung soll die nicht oder kaum vorhandene Lautsprache sein.
Gerade im Umgang mit mehrfachbehinderten Menschen „ohne Lautsprache“ ist es besonders wichtig zu erkennen, dass jede Handlung für den Handelnden einen Sinn ergibt. Die
Aufgabe des Beobachters ist es, diesen Sinn zu suchen und die Äußerungen des Menschen
als Vorschlag zu erkennen und aufzugreifen (vgl. Walthes 1998, S. 9).
Unter diesem Aspekt sind vor allem zwei Erziehungsschwerpunkte, die W. Rath für Menschen mit einer Mehrfachbehinderung angibt, besonders wichtig:
Sie nennt die Förderung der „menschlichen Beziehungen“ und „Interaktionen und Sprachentwicklung und Kommunikation“ (Rath 1985, S. 402). Um diese Schwerpunkte soll es auch
in der weiteren Arbeit vorwiegend gehen.
Im Titel der Arbeit werden „nichtsprechende“ Jugendlichen, die blind und mehrfachbehindert
sind genannt. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass Blindheit und „Nichtsprechen“ als
zusätzliche Komponenten zu einer Mehrfachbehinderung gesehen werden. In diesem Fall
6
Kausalzusammenhang: „Auf den Prinzipien von Ursache und Wirkung beruhender Zusammenhang von Ereignissen“ (Duden 1999)
7
inhomogen: „nicht gleichartig“, heterogen (Duden 1997)
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7
Kapitel 2: Beschreibung des Personenkreises
ergäben sich mindestens vier Behinderungen. Ich möchte das Thema jedoch so auslegen,
dass die Begriffe Blindheit und „Nicht-Sprechen-Können“ als Komponenten innerhalb der
Mehrfachbehinderung gelten. Weitere Beeinträchtigungen sind damit nicht ausgeschlossen,
müssen aber nicht zwingend auftreten. Ein nicht geringer Anteil der mehrfachbehinderten
Schüler mit einer Sehschädigung weist zusätzlich eine körperliche oder geistige Behinderung auf. Häufig findet dann die Förderung nicht an Schulen für Blinde und Sehbehinderte,
sondern an Schulen für Körper- oder Geistigbehinderte statt (vgl. Fischer 1992, S. 157).
Diese weiteren Beeinträchtigungen wirken sich zusätzlich erschwerend auf den Kommunikationsprozess aus. Im folgenden Kapitel werde ich einige Behinderungen und ihre Auswirkungen auf den Kommunikationsprozess kurz erwähnen. Auf eine genaue Definition möchte ich
jedoch verzichten.
Die Arbeit soll sich im Wesentlichen auf Jugendliche beziehen. Bei der Entwicklung von
Kommunikation und Sprache liegt es aber zunächst einmal nahe, von Kindern zu sprechen,
da sich dieser Prozess normalerweise im Kindesalter vollzieht. Im Bereich der eigentlichen
Förderkonzepte benutze ich dann die Ausdrücke Kinder, Jugendliche oder auch Menschen
mit Behinderung. Dies hat den Hintergrund, dass die Konzepte in der Regel nicht spezifisch
für eine Altersgruppe entwickelt wurden. Sie sind auf alle Altersstufen anwendbar. Wichtig ist
jedoch, dass eine altersgemäße Behandlung erfolgt (vgl. Nirje 1994, S. 20). Die spezifischen
Probleme, die sich bei Jugendlichen ergeben, werden in dem Fallbeispiel am Ende der Arbeit erläutert.
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8
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
3
Kommunikation und Sprache
Lautsprache kann und darf nicht als einzige Kommunikationsform gesehen werden. Nur,
wenn wir uns die vielfältigen anderen Möglichkeiten bewusst machen, sind wir in der Lage,
mit „nichtsprechenden“ Menschen zu kommunizieren.
Um dies zu verdeutlichen, möchte ich zunächst die Begriffe Kommunikation und Sprache
näher erläutern. Zusätzlich halte ich es für sinnvoll, Ausdrücke wie „kommunikative Möglichkeiten", „kommunikative Kompetenz“ oder auch „kommunikative Fähigkeiten“ zu erklären, da
sie häufig in der Fachsprache genutzt werden, aber ihre Bedeutung oft nicht klar ist.
Die Kommunikations- und Sprachentwicklung wird zunächst unter normalen Bedingungen
beschrieben.
Anschließend erfolgt eine Darstellung der Schwierigkeiten, die bei verschiedenen Behinderungen während dieser Entwicklung auftreten können. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den
Auswirkungen von Blindheit bzw. Mehrfachbehinderung.
3.1
3.1.1
Kommunikation
Begriffsdefinition
Der Begriff Kommunikation wird in verschiedenen Bereichen verwendet. Nicht nur in der
Pädagogik bemüht man sich, vermehrt den Blick auf die Prozesse zu lenken, die in der
Kommunikation stattfinden. Die Kommunikationsprozesse sind so vielfältig, dass eine einheitliche und vollständige Definition schwer zu finden ist (vgl. Fröhlich 1998, S. 62f). Ich werde daher verschiedene pädagogische Sichtweisen vorstellen.
Das Organon-Modell beschreibt Kommunikation als einen Informationsaustausch zwischen
„Sender und Empfänger“ (vgl. Bühler 1982, S. 28). Einige Autoren bezeichnen die Beteiligten auch als „Sprecher und Hörer“ (vgl. Baun 1980, S. 13f). Ich möchte mich in der vorliegenden Arbeit auf die Begriffe „Sender und Empfänger“ beziehen, da der Ausdruck „Sprecher und Hörer“ bei Menschen „ohne Lautsprache“ irreführend sein kann. Der Sender enkodiert8 seine Mitteilungen. Diese werden durch einen Kanal zum Empfänger übertragen, der
sie dann wahrnimmt und dekodiert9. Bei der Dekodierung bezieht der Empfänger die jeweilige Situation mit ein. Die Grundlage für die De-, bzw. Enkodierung ist ein gemeinsamer Kode,
in diesem Fall die Lautsprache (vgl. Baun 1980, S. 13f). Ausgeweitet auf „nichtsprechende“
Menschen können auch non-verbale Signale diese Funktion übernehmen und den gemeinsamen Kode darstellen. Die einzelnen Autoren nennen unterschiedliche Komponenten, die
8
enkodieren: Verschlüsseln einer Nachricht mit Hilfe eines Kodes (vgl. Duden 1997)
9
dekodieren: Entschlüsseln einer Nachricht mit Hilfe eines Kodes (vgl. Duden 1997)
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9
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
sich auf den Dekodierungsprozess auswirken. Neben der Situation sieht z.B. Frühwirt die
Kompetenzen des Empfängers als Einflussfaktoren für die Kommunikation (vgl. Frühwirt
1994, S. 13).
Dieses Modell wird jedoch der eigentlichen Situation in der Kommunikation nicht gerecht.
Der Empfänger übernimmt dabei eine passive Rolle. Gerade im Umgang mit „nichtsprechenden“ Menschen ist aber eine große Aktivität des sprechenden Partners, auch in der
Rolle des Empfängers, gefordert. Er muss die non-verbalen Äußerungen interpretieren und
entsprechend beantworten.
Die wörtliche Übersetzung des Begriffes Kommunikation macht bereits deutlich, dass es um
mehr geht, als das reine Versenden und Aufnehmen von Informationen. Kommunikation
lässt sich aus dem lateinischen Begriff „communicare“ ableiten. Übersetzt bedeutet es „gemeinsam machen, teilnehmen lassen, Anteil nehmen, sich beraten, besprechen“ (Pickl 1994,
S. 24). Dies betont den Aspekt der Gemeinsamkeit, d.h. der gegenseitigen Beeinflussung.
Die Kommunikation verläuft nicht einseitig vom Sender zum Empfänger, sondern sie ist ein
„interpersonaler Prozess zwischen gleichermaßen beteiligten Partnern“ (vgl. Pickl 1994, S.
24). Dieser Aspekt wird von verschiedenen Definitionen in den Vordergrund gestellt.
Grohnfeldt sieht Kommunikation als „vitales Verhalten der lebenden Materie, das dem Austausch von Informationen dient, mit dem Ziel gemeinsamen, bzw. aufeinander abgestimmten
Handelns der Kommunikationspartner“ (Grohnfeldt 1994, S. 77).
Durch verbale und non-verbale Signale beeinflussen sich die Kommunikationspartner gegenseitig (vgl. Grohnfeldt 1994, S. 78). Dieser Prozess kann die Partner entweder „be- oder
auch entlasten“ (vgl. Fischer 1993, S. 32).
Einige Autoren setzen Kommunikation mit Verhalten gleich, indem sie die non-verbalen und
paralinguistischen Aspekte betonen (vgl. Watzlawick 1990, S. 23). Nach Hörmann ist Kommunikation die „Fortsetzung des Handelns mit anderen Mitteln“ (Grohnfeldt 1994, S. 78, zit.
nach Hörmann 1977). Das Axiom von Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren ist
auf diese Weise zu erklären (Watzlawick 1990, S. 51). Unsere körperlichen Reaktionen, d.h.
die non-verbalen Zeichen, lassen sich nicht abschalten. Sie sind in der Kommunikation mit
einem Partner immer präsent.
Eine solche Sichtweise macht es auch möglich, bei Menschen „ohne Lautsprache“ Verhaltensweisen als kommunikative Angebote zu interpretieren und aufzugreifen. Man kann
kommunikative Kreisprozesse initiieren, bei denen die Gesprächspartner immer wieder auf
das Tun des anderen reagieren (vgl. Mall 1998, S. 34).
Neben der Kommunikation findet man auch den Ausdruck „Interaktion“. Es gibt keine eindeutige Trennung der beiden Begriffe. Viele Autoren benutzen sie synonym (vgl. Franzkowiak in Braun 1996b, S. 59). Wenn unterschieden wird, dann gilt Interaktion in der Regel als
wechselseitige Beeinflussung beim Austausch von Mitteilungen (vgl. Watzlawick 1990, S.
51; Franzkowiak 1996b, S. 59). Dagegen meint Kommunikation den einfachen Austausch
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10
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
von Informationen oder Mitteilungen (vgl. Watzlawick 1990, S. 51). In diesem Sinne ist
Kommunikation ein Teilbereich der Interaktion. Der Übergang von einem Prozess zum anderen ist fließend und damit nicht eindeutig festlegbar.
3.1.1.1
Kommunikative Kompetenz
Kompetenz bedeutet, sprachwissenschaftlich betrachtet, „die Summe aller sprachlichen
Fähigkeiten, die ein Muttersprachler besitzt“ (Duden 1999). Kommunikative Kompetenz bedeutet daher die Fähigkeit, Gespräche einzuleiten, aufrecht zu erhalten und zu beenden (vgl.
Franzkowiak 1996b, S. 59). Dies geschieht unter „unter Berücksichtigung von Sozialstatus
und Informationsstand des Kommunikationspartners“ (Franzkowiak 1996b, S. 59).
3.1.1.2
Kommunikative Fähigkeiten
Sie sind das Fundament der Sprache. Kommunikative Fähigkeiten sind bereits vor der Lautsprache vorhanden. Koerselmann führt folgende Kommunikationshandlungen an:
-
Aufmerksamkeit für den Partner
-
Bemerken, wann ein Spiel oder eine Aktivität unterbrochen wird
-
seine Gefühle zum Ausdruck bringen
-
während einer Aktivität beachten, wer an der Reihe ist
-
Annehmen eines angebotenen Objekts
-
Protestieren oder Abweisen
-
Wählen
-
Grüßen
-
Bitten um Hilfe
-
Bitten um einen Gegenstand oder eine Aktivität
in der direkten Umgebung
außerhalb der direkten Umgebung
-
Ja-Nein-Fragen beantworten
-
Auskunft erteilen über etwas oder jemand
-
Bitten um Information
-
Ausdrücken von Gefühlen, Gedanken und Meinungen
-
Spaß machen, so-tun-als-ob und necken (Koerselmann 1997, S. 3f)
Zu Anfang werden diese Kommunikationshandlungen non-vokal zum Ausdruck gebracht,
später vokal (vgl. Koerselmann 1997, S. 4). Die Aufstellung macht deutlich, dass bereits vor
dem Erwerb deutlicher Ja-Nein-Symbole, erhebliche Fähigkeiten vorhanden sein können.
Diese gilt es bei „nichtsprechenden“ Menschen aufzudecken und auszuweiten.
Die kommunikativen Fähigkeiten werden durch andere Komponenten beeinflusst. Frühwirt
führt die Bereiche der sprachsystematischen und der sozial-emotionalen Fähigkeiten an. Zur
Sprachsystematik gehören Sprachverständnis, Grammatik und Aussprache. Der Begriff so-
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11
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
zial-emotionale Fähigkeit meint Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Frühwirt hält die Förderung der sozial-emotionalen Fähigkeiten für besonders wichtig (vgl. Frühwirt 1994, S. 43).
3.1.1.3
Kommunikative Möglichkeiten
Der Begriff „kommunikative Möglichkeiten“ umfasst mehr als kommunikative Fähigkeiten.
Fähigkeit bezieht sich auf die Kompetenz eines Individuums (vgl. Duden 1999). Möglichkeit
beinhaltet nicht nur das Können, sondern auch die Gelegenheiten zur Kommunikation, die
im Umfeld vorhanden sind (vgl. Duden 1999). Dies ist vor allem bei „nichtsprechenden“
Menschen von Bedeutung. Nur wer die Erfahrung macht, dass er erfolgreich kommunizieren
kann, hat auch die Motivation dazu. Wenn ein Mensch aber keine Möglichkeit zur Kommunikation bekommt, fehlen ihm auch die positiven Erfahrungen.
Häufig sind Eltern verunsichert, wenn ein Kind nicht deutlich auf Ansprache und Kommunikationsversuche reagiert. Gerade bei motorisch eingeschränkten Kindern kann dies erschwert sein. Die Mutter reagiert nicht selten auf undeutliche Signale, mit einem geringeren
Einsatz von Mimik und Ansprache dem Kind gegenüber. So bekommt das Kind noch weniger Gelegenheit, seine Reaktionen zu erproben. Es entsteht ein Teufelskreis (vgl. Pickl
1994, S. 28f).
Daher gilt im Bereich der Unterstützten Kommunikation die Erweiterung der kommunikativen
Möglichkeiten als Ziel. Es sollen bewusst Kommunikationsangebote geschaffen werden (vgl.
Kristen 1993, S. 14).
3.1.2
Verschiedene Formen der Kommunikation
Eine typische Ausdrucksform der Kommunikation ist die Lautsprache. Sie ist ein „geordnetes
System konventioneller Lautzeichen, das zur symbolischen Darstellung von gedanklich erfassten Sinn- und Sachverhalten tauglich ist“ (Pickl 1994, S. 24, zit. nach Kainz).
Neben dieser Form gibt es noch andere Kommunikationsarten. Die einzelnen Autoren nehmen hierbei verschiedene Einteilungen vor. Ich möchte zunächst einige Sichtweisen erläutern, um daraus die Aufteilung abzuleiten, die in dieser Arbeit gelten soll.
Pickl unterscheidet verbale Sprache, non-verbale und paralinguistische Kommunikationsformen sowie einfache Laute (vgl. Pickl 1994, S. 24). Paralinguistische Phänomene sind
nach ihrer Aufteilung Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Gestik und Pantomime (vgl. Pickl
1994, S. 24). Unter non-verbalen Formen versteht Pickl Gestik, im Sinne von Gebärden,
Symbolsysteme und sogar sämtliche Arten von Kommunikationshilfen, auch solche mit
Sprachausgabe (vgl. Pickl 1994, S. 33-47). Es sind also alle Formen, mit denen man Mitteilungen macht, ohne die eigene Lautsprache zu nutzen.
Autoren aus dem Bereich der Sprachwissenschaft bezeichnen mit paralinguistischen Formen die Aspekte Tonfall, Tonhöhe etc. Dies sind „Informationen, die nicht selbst sprachlicher
Art sind, sich aber im sprachlichen Ausdruck manifestieren“ (vgl. Linke 1996, S. 24). Non-
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
verbale Formen sind, im Unterschied zu Pickl, lediglich Gestik, Mimik, Blickkontakt, Körperhaltung etc. (vgl. Linke 1996, S. 25).
Im Rahmen der Unterstützten Kommunikation gilt folgende Unterteilung: der Begriff verbal
beschränkt sich nicht nur auf die Lautsprache. Er bezieht generell Sprache, d.h. alle symbolischen Zeichen, die der Kommunikation dienen, mit ein. Lautsprache, Gebärdensprache,
Symbolsysteme und auch Sprachgeräte sind damit verbale Kommunikationsformen. Diese
Gruppe lässt sich noch weiter untergliedern in vokale und non-vokale Kommunikationsmodi.
Elektronische Sprachgeräte und die eigentliche Lautsprache sind vokale Systeme, da sie
irgendeine Form der expressiven Sprache nutzen. Non-vokal ist in diesem Sinne jede Kommunikationsform, die sich körpereigener oder externer Formen ohne Sprachausgabe bedient. Gebärden und Symbolsysteme sind daher verbale non-vokale Kommunikationsformen. Non-verbal dagegen, sind Ausdrucksformen, die keinen Symbolcharakter haben, d.h.
für die keine Bedeutung vereinbart wurde. Auch hier gibt es non-vokale Formen, wie Mimik
und Körperbewegungen. Diese entsprechen den von Linke genannten non-verbalen Aspekten. Vokale Modi sind lachen, wimmern etc. (vgl. Weid-Goldschmidt 2000, S. 25, zit. nach
Shane 1980).
Ich möchte im folgenden Text die Definition von Linke für den paralinguistischen Aspekt
übernehmen. „Paralinguistische“ Kommunikationsformen beziehen sich auf Bereiche, wie
Stimmlage, Tonfall und Tonhöhe, die im lautsprachlichen Ausdruck zur Geltung kommen
(vgl. Linke 1996, S. 25). Bei der Unterteilung von verbalen/ non-verbalen und vokalen/ nonvokalen Formen beziehe ich mich auf die Definition von Weid-Goldschmidt.
Normalerweise sorgen wir unbewusst dafür, dass die verbalen und non-verbalen Verhaltensweisen übereinstimmen. In diesem Sinne „kommentieren“ die non-verbalen Signale
unsere Äußerungen (vgl. Grohnfeldt 1999, S. 50). Wenn sich allerdings die beiden Formen
widersprechen, verlassen wir uns in der Regel auf den non-verbalen Eindruck. Wir gehen
davon aus, dass die Körpersprache „weniger manipuliert werden kann“ (Grohnfeldt 1999, S.
50). Mall beschreibt solche Prozesse als „Doppelbindungs-Situation“. Der Empfänger deutet
die Körpersprache des Gegenübers. So kann es zu Missverständnissen kommen, da diese
in der Regel nicht bewusst gesteuert wird (vgl. Mall 1998, S. 40).
3.1.3
Bedeutung und Funktion von Kommunikation
„Kommunikation ist lebensnotwendig“ (Kristen 1993, S. 9). So oder ähnlich beschreiben die
meisten Autoren die Bedeutung von Kommunikation. Da der Mensch „ein zutiefst kommunikatives Wesen“ ist, hat er auch das Bedürfnis, zu kommunizieren (Mall 1998, S. 31). Wird
dieser Wunsch erfüllt, indem der Prozess erfolgreich verläuft, kann Kommunikation die
„Selbstverwirklichung“ und „persönliche Entfaltung“ fördern (Kristen 1993, S. 9). Wer die
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
Erfahrung macht, dass er verstanden wird und mit seiner Kommunikation seine Umwelt beeinflussen kann, der ist motiviert zu kommunizieren (vgl. Kristen 1993, S. 9).
Fröhlich zitiert nach Scherer sechs Funktionen der Kommunikation:
„-
Kennzeichnung der Identität
-
Ausdruck des inneren Zustandes
-
Herstellen von Interaktion
-
Aufforderungen
-
Wissensvermittlung
-
Regulation von Beziehungen“ (Fröhlich 1998, S. 63 zit. nach Scherer)
Diese Funktionen sind nicht getrennt zu sehen. Sie müssen als Gesamtheit gefördert werden, da die gesonderte Behandlung einer Funktion eine „Verarmung“ bedeuten würde (Fröhlich 1998, S. 63).
Die Motivation zur Kommunikation kann gesteigert werden, indem eine Person die Möglichkeit bekommt, erfolgreiche Kommunikation zu betreiben. Bei Menschen ohne Lautsprache
ist es daher besonders wichtig, auch die non-vokalen Kommunikationsfähigkeiten zu fördern
(vgl. Frühwirt 1994, S. 29).
3.2
Sprache
Wie bereits deutlich wurde, ist die Lautsprache ein mögliches Kommunikationsmittel.
Sprache ist „als aktives Handeln zu verstehen, das sich die Aneignung von Umwelt zum Ziel
setzt“ (vgl. Rath 1995, S. 233). Sie beginnt bei der „Verwendung des ersten sinnvoll genutzten Begriffes“ (vgl. Grohnfeldt 1999, S. 52). Sprache ermöglicht es, „nichtaktuelle Ereignisse
zu repräsentieren bzw. hervorzurufen“ (vgl. Holler-Zittlau 1997, S. 248).
3.3
Kommunikations- und Sprachentwicklung bei nichtbehinderten Kindern
Um die kommunikativen Möglichkeiten bei „nichtsprechenden“ Kindern zu fördern, sind
Kenntnisse über die Entwicklung von Kommunikation und Sprache notwendig. Am bedeutsamsten ist in diesem Zusammenhang der Bereich der vorsprachlichen Entwicklung. Die
präverbale Kommunikation ist die Grundlage für die symbolische Kommunikation (vgl. Kane
1992, S. 303). Daher soll der Schwerpunkt auch auf der Darstellung dieses Bereiches liegen.
Dennoch möchte ich kurz die Sprachentwicklung darstellen. Dies hat zwei Gründe: zum
einen wurde bereits im Kapitel 2.2 erwähnt, dass „nichtsprechende“ Menschen meistens
über geringe Fähigkeiten im Bereich der Lautsprache verfügen. Zum anderen möchte ich
unter den Bereich der Sprachentwicklung auch das Sprachverständnis fassen. Das Sprachverständnis spielt eine entscheidende Rolle beim Spracherwerb (vgl. Zollinger 1991, S. 119).
Gerade bei „nichtsprechenden“ Menschen entsteht schnell die Diagnose einer „geistigen
Behinderung“. Wer nicht sprechen kann, ist scheinbar auch nicht in der Lage, Sprache zu
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
verstehen. Dies ist jedoch eine falsche Schlussfolgerung. Nach Szagun ist das Sprachverständnis bereits vor der aktiven Sprache vorhanden (vgl. Szagun 1996, S. 100).
Auf die Darstellung von lerntheoretischen und strukturtheoretischen Modellen zur Erklärung
des Spracherwerbs möchte ich hier verzichten. Sie berücksichtigen den vorsprachlichen
Bereich nur sehr wenig.
In welchem Ausmaß sich die verschiedenen Behinderungen auf die Entwicklung der Kommunikation bei Kindern auswirken, ist noch nicht untersucht worden (vgl. Adam 1993, S. 86).
Man geht in der Regel davon aus, dass sich die Blindheit verlangsamend auf die Sprachenwicklung auswirken kann, dies aber nicht zwingend ist. Ob sich die Sprachenwicklung generell von der nichtbehinderter Kinder unterscheidet, ist nicht klar zu sagen (vgl. Gerlinger
1985, S. 68). Ich möchte im Folgenden die normale Entwicklung darstellen, da sie vielfach
die Grundlage für eine Kommunikationsförderung ist (vgl. Adam 1993, S. 87).
3.3.1
Interaktionales Entwicklungsmodell
Dieses Modell wurde 1987 von Bruner entwickelt. Es geht davon aus, dass Kind und Umwelt
sich gegenseitig beeinflussen. Das Kleinkind ruft durch seine Handlung eine Reaktion bei
den Bezugspersonen hervor. Dieses Verhalten der Bezugsperson wirkt sich wiederum auf
die Entwicklung des Kindes aus. Das Kleinkind erwirbt neue Fähigkeiten, die von den Eltern
erkannt und angesprochen werden. Wichtig ist nicht nur die Quantität der Reize, die von
Bezugspersonen geboten werden, sondern vor allem auch, wie weit sie auf das Verhalten
des Kindes eingehen (vgl. Kristen 1997, S. 32). Eine ständige Über- oder Unterforderung
wirkt sich negativ auf die Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten des Kleinkindes aus.
Diese Gefahr ist vor allem bei Kindern gegeben, die auf Grund einer schweren Behinderung
nur wenige Ausdrucksmöglichkeiten haben. Ihre Signale werden von den Eltern häufig missverstanden (vgl. Kristen 1997, S. 33).
Die Unterstützte Kommunikation sieht deshalb die „Beobachtung und Beurteilung der sozialen Interaktion zwischen Eltern bzw. Partner und Kind“ als bedeutend an (Kristen 1997, S.
33). Ihr muss genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt werden wie der Anpassung eines
geeigneten Kommunikationsmittels (vgl. Kristen 1997, S. 33).
3.3.2
Ganzheitliches Entwicklungsmodell
Fröhlich sieht die Entwicklung der Kommunikation in einem ganzheitlichen Gefüge (siehe
Abbildung 1) aus sieben verschiedenen Bereichen (vgl. Fröhlich 1998, S. 63). Kommunikation, Bewegung, Gefühle, Wahrnehmung, Kognition, soziale Entwicklung und Körpererfahrung
beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Kristen 1997, S. 33). Der Begriff „Ganzheitlichkeit“ entzieht sich „weitgehend wissenschaftlicher Beschreibung“ (Fröhlich 1998, S. 63). Fröhlich
erläutert ihn in dem Sinne, dass die sieben Bereiche einander gleichwertig beeinflussen. „Es
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
besteht eine Gleichzeitigkeit, Gleichwirklichkeit und Gleichgewichtigkeit dieser Entwicklungsbereiche“ (Fröhlich 1998, S. 64).
Abbildung 1: Ganzheitliches Entwicklungsmodell.
(entnommen aus: Fröhlich 1998, S. 64)
Die Kommunikation steht zwar im Mittelpunkt des Schemas, allen anderen Komponenten
wirken aber gleichermaßen auf sie ein. Umgekehrt beeinflusst die Kommunikation auch die
übrigen Bereiche (Fröhlich 1998, S. 64). Hieraus folgt zweierlei: Zum einen beeinflusst die
Förderung der kommunikativen Fähigkeiten gleichzeitig alle übrigen Bereiche (Bewegung,
Körpererfahrung, Gefühle, Kognition, Sozialerfahrung und Wahrnehmung), zum anderen
kann die Unterstützung eines anderen Entwicklungsbereiches auf die Kommunikation Einfluss nehmen (vgl. Kristen 1996, S. 10).
Keiner der Bereiche darf isoliert betrachtet werden. Die motorische Handlung eines Kindes
verursacht z.B. eine taktile Wahrnehmung und ermöglicht auch eine soziale Erfahrung. Das
Kind kann durch eine einfache Bewegung eine Interaktion mit der Bezugsperson auslösen.
Der Kommunikationspartner geht auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Dies wiederum ermöglicht eine Anpassung an die veränderte Umwelt wodurch alle Entwicklungsbereiche beeinflusst werden (vgl. Kristen 1997, S. 34).
Ein Kind, das in seiner Motorik und den körperlichen Ausdrucksformen eingeschränkt ist,
kann seine Bedürfnisse oft nicht eindeutig vermitteln. Es erlebt wesentlich seltener, dass
seine Signale Auslöser für ein passendes Verhalten der Bezugsperson sind (vgl. Kristen
1997, S. 34).
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
3.3.3
Entwicklung von Kommunikation und Sprache
Je nach Autor, wird der Beginn der Kommunikation zu unterschiedlichen Zeiten beschrieben.
In den folgenden Ausführungen ist sie, nach G. Kane, ein Austausch zwischen Eltern und
Kind, der „von Geburt an“ existiert (Kane 1992, S. 303). Die Entwicklung der Kommunikation
verläuft als Kontinuum, d.h. von unspezifischen Äußerungen zu immer differenzierteren Botschaften (vgl. Kane 1992, S. 303). In diesem Sinne stelle ich im Folgenden die Entwicklung
von der präverbalen Kommunikation bis hin zur Erwachsenensprache dar.
Sprachentwicklung ist der Erwerb von Regeln zur Bedeutung und Verknüpfung von Begriffen
(Wortschatz und Grammatik). Gesetzmäßigkeiten zur Artikulation werden erfasst und müssen umgesetzt werden (vgl. Roddewig 1995, S. 32). Sprache entsteht durch „Wechselwirkungen zwischen den Ressourcen des Kindes und der Umwelt“ (Roddewig 1995, S. 32).
3.3.3.1
Früheste Kommunikation, ungezielte Äußerungen
In der ersten Phase kann der Säugling nur durch ungezielte Äußerungen seine Bedürfnisse
ausdrücken. Die Eltern reagieren auf solche Signale. Die Mutter interpretiert das Verhalten
des Kindes durch ihre eigenen Handlungen oder Verbalisierungen. Der Säugling lernt so,
dass auf seine Handlungen stets eine Antwort folgt (vgl. Szagun 1996, S. 177f, zit. Bruner).
Es entstehen wechselseitige Aktivitätsphasen, da die Reaktion der Mutter wiederum eine
Reaktion des Kindes hervorruft. So wird bereits eine erste Dialogfähigkeit angebahnt (vgl.
Kane 1992, S. 304).
3.3.3.2
Gezieltes Verhalten (ab ca. 5 Monaten)
Der Säugling erkennt einen Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und der Reaktion
der Umwelt. Er beginnt, gezielt zu handeln. Durch Schreien kann er Mitmenschen herbeirufen (vgl. Kane 1992, S. 306).
Die Aufmerksamkeit des Kindes ist zu diesem Zeitpunkt noch auf ein Objekt oder eine Person fixiert. Wenn es etwas erreichen möchte, konzentriert es sich zunächst auf das jeweilige
Objekt. Im Laufe dieser Phase erkennt das Kleinkind, dass die Eltern helfen können. Es
lernt, die Aufmerksamkeit zwischen der helfenden Person und dem Objekt zu teilen. Dies ist
der „wichtigste Schritt zum Erlernen gezielter, d.h. intentionaler, Kommunikation“ (Kane
1992, S. 307).
Zu diesem Zeitpunkt lässt sich der Beginn der „Lallperiode“ einordnen. Das Kind produziert
nicht nur Laute der eigenen Sprache, sondern auch solche, die in anderen Sprachen vorkommen. Vermutlich ist diese Lautproduktion angeboren, da auch gehörlose Säuglinge Lalltöne von sich geben (vgl. Zimbardo 1995, S. 68).
3.3.3.3
Gezielte Partnerkommunikation (ab ca. 8.-9. Monat)
Das Kind übt, Objekte zu beobachten und mit dem Partner darüber zu kommunizieren. Diese Interaktion geschieht durch Mimik, Gestik und Laute. Außerdem findet ein Hin- und Ab-
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
wenden zwischen dem Gegenstand und dem Kommunikationspartner statt. Blicken und
Zeigegesten folgt das Kind mit den Augen (vgl. Kane 1992, S. 308).
3.3.3.4
Konventionelle Kommunikation
Das Kind macht vermehrt Mitteilungen mit Hilfe konventioneller Signale, z.B. Zeigegesten.
Eine Interaktion findet statt, wenn die Eltern Objekte benennen, auf die das Kind zeigt. So
wird eine wichtige Grundlage für die nächste Stufe, die Stufe der Benennung oder „symbolischen Kommunikation“ gelegt (vgl. Kane 1992, S. 310). Neben der Zeigegeste gibt es vielfältige andere „konventionelle Gesten“.
Lautliche Äußerungen nehmen immer mehr zu. Das Kind ahmt Sprachmelodien nach und
führt „Lallmonologe“ (Kane 1992, S. 310). Eltern betonen in der Kommunikation mit dem
Kleinkind einzelne Wörter und heben sie so hervor. Dadurch kann das Kind bestimmte Vokabeln herausfiltern und erlernen (vgl. Szagun 1996, S. 192).
3.3.3.5
Symbolische Kommunikation (ab ca. Ende des ersten Lebensjahres)
Das Kind spricht bereits erste Wörter, die es in verschieden Situationen anwendet. Gesten
bleiben ein wichtiges Kommunikationsmedium, da die lautsprachliche Kommunikation überwiegend erst ab dem 20. Monat eingesetzt wird (vgl. Kane 1992, S. 311).
Untersuchungen haben gezeigt, dass visuelle Symbole leichter zu erlernen sind als akustische. Daher kann auch die Gebärdensprache schneller erlernt werden als die konventionelle
Lautsprache (vgl. Kane 1992, S. 312).
3.3.3.6
Beginn des Sprechens
Die Sprache besteht aus Symbolen. Symbole sind „innere Vorstellungsbilder“ von einem
Objekt. Bevor Kinder den Erwerb konventioneller Symbole erreichen, schaffen sie sich selbst
so genannte individuelle Symbole (vgl. Szagun 1996, S. 76). Sie ersetzen z.B. Lebewesen
durch Gegenstände. Ein weiches Fellstück kann z.B. eine „Katze“ darstellen. Die Objekte
werden nach bestimmten Kriterien als Ersatz verwendet. Sie weisen Ähnlichkeiten mit dem
Original in Farbe, Form oder Oberflächenbeschaffenheit auf. Diese Symbole sind sehr flexibel. Sie werden häufig erneuert (vgl. Szagun 1996, S. 76).
Am Ende des Spracherwerbs steht die Verwendung konventioneller Symbole in Form von
Wörtern. Die Lautsprache besteht aus willkürlichen Lautfolgen, die etwas Bestimmtes repräsentieren. Diese Symbole werden dem Kind „von außen angeboten“ (Szagun 1996, S. 77).
Sie sind einheitlich festgelegt und nicht veränderbar. Wenn das Kind eine Lautfolge benutzt,
ohne die Bedeutung zu verstehen, spricht man von „Verbalismus“ (Bretz u.A. 1994, S. 225).
Sprache befähigt uns, erkannte Realitäten durch Symbole zu repräsentieren (vgl. Szagun
1996, S. 77).
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
Erste Wörter
Begriffe beinhalten das Wissen eines Individuums über die Welt. Sie entstehen aus dem
handelnden Umgang mit der Umgebung (vgl. Grohnfeldt 1991, S. 6). Somit ist ein Begriff
eine individuelle Bedeutung.
Die Wortbedeutung ist die „verbale Form des Begriffs“ (Szagun 1996, S. 105). Sie ist konventionell festgelegt (vgl. Szagun 1996, S. 138). „Das Wort erhält seine Bedeutung durch die
Verknüpfung mit dem Begriff“ (Szagun 1996, S. 139).
Ein Kind kann bereits einen Begriff für ein Objekt haben, ohne die Bedeutung erworben zu
haben. Das heißt, es erkennt z.B. einen Hund wieder, aber kann ihn nicht benennen (vgl.
Szagun 1996, S. 103).
Das Kind muss lernen den Bezug zwischen einem Begriff und einem Objekt herzustellen.
Dies geschieht vielfach über die unmittelbare Wahrnehmung des Gegenstandes (vgl.
Schmalohr 1985, S. 62).
Zum ersten Vokabular gehören oft „Gegenstände und Personen, die sich im direkten Umkreis des Kindes befinden“ (Szagun 1996, S. 100). Es lernt die Namen der Gegenstände
kennen, mit denen es ständig umgeht. Dies sind in der Regel zunächst Substantive.
Ab dem 2. Lebensjahr kommen Adjektive hinzu, die einen Zustand beschreiben, z.B. heiß,
kalt etc. (vgl. Szagun 1996, S. 100). Innere Zustände, z.B. Gefühle, werden ab dem dritten
Lebensjahr über Verben wie „wollen“, „freuen“ etc. ausgedrückt (vgl. Szagun 1996, S. 100).
Sobald die ersten 50-100 Wörter gelernt sind, beginnt ein „Vokabelspurt“. Die Kinder haben
dann begriffen, dass jeder Gegenstand einen Namen hat. Sie wollen immer mehr Wörter
erlernen und erweitern so ihren Wortschatz schnell (vgl. Szagun 1996, S. 101).
Zu Beginn verbindet das Kleinkind mit einem Wort immer nur wenige Merkmale. Es kann die
eigentliche Wortbedeutung noch nicht erfassen (vgl. Szagun 1996, S. 105). Das Wort wird
daher zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich genutzt. Häufig findet eine Über- oder
Unterdehnung statt (vgl. Szagun 1996, S. 120). Bei der Überdehnung verwendet die Person
den Namen für viele Gegenstände. Z.B. ist alles, was fährt ein Auto. Diese Gegenstände
haben dann entweder ein gemeinsames Merkmal oder sie treten in ähnlichen Situationen
auf (vgl. Szagun 1996, S. 125). Zu einer anderen Zeit kann der gleiche Begriff unterdehnt
werden. Das bedeutet, das Wort „Auto“ gilt z.B. nur für alle roten Autos (vgl. Szagun 1996,
S. 119). Je mehr Merkmale das Kind mit einem Begriff verbindet, desto näher kommt es an
die eigentliche Wortbedeutung heran (vgl. Szagun 1996, S. 105).
Zwei-Wort-Sätze
Das Kind benutzt die Kombination von zwei Wörtern, um etwas auszudrücken. In unterschiedlichen Sprachen lassen sich diesen Sätzen ähnliche Bedeutungskategorien zuweisen.
Sie symbolisieren Handlungsträger und Handlung (z.B. „Ball rollt"), Handlung und Objekt
(z.B. „gib Ball") oder Person und Lokalisierung (z.B. „Mama da") (vgl. Szagun 1996, S. 78).
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19
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
Brown u.a. folgerten aus Untersuchungen von 1973, dass diese Äußerungen universell sind
(vgl. Szagun 1996, S. 78).
Für die Interpretation der Sätze muss der Kontext bekannt sein (vgl. Zimbardo 1995, S. 69).
Telegrammstil
Zu dieser Zeit machen die Kinder Aussagen, ohne Funktionswörter, z.B. Artikel, zu verwenden. Sie beschränken sich auf Inhaltswörter, meist Substantive und Verben. Es fehlen Plural- und Tempusendungen (vgl. Zimbardo 1995, S. 69). Die Sätze können unterschiedlicher
Länge sein. Kinder erlernen die Sprache, indem sie das Gehörte in seine einfachsten Bestandteile zerlegen. Sie „entwickeln dann Regeln, auf Grund derer sie die Teile der Sprache
selbst zusammensetzen“ (Zimbardo 1995, S. 72). Diese Regeln entsprechen dem jeweiligen
Entwicklungsstand des Kindes (vgl. Zimbardo 1995, S. 72).
Frühgrammatische Phase
Die Kinder beginnen, aus dem Gehörten Flexionsregeln10 abzuleiten. Langsam erlernen sie
den Zeitbegriff. Zu diesem Zeitpunkt erreicht das Fragealter seinen Höhepunkt. Zum Ende
der Phase beginnt die Annäherung an die Erwachsenensprache (vgl. Grohnfeldt 1999, S.
56).
3.4
Zwei Spracherwerbsstile
Szagun u.a. unterscheiden zwei Typen von Spracherwerbsstilen. Sie scheinen zwar zunächst grundsätzlich verschieden zu sein, schließen sich aber nicht gegenseitig aus. In der
Regel folgt ein Kind zunächst dem einen Stil und wechselt später zu dem anderen über. Die
beiden Stile unterscheiden sich stark in der Menge des Vokabulars, das aktiv und passiv
bekannt ist (vgl. Szagun 1996, S. 241). Es lässt sich aber aus keinem der beiden Stile ein
langsamerer oder schnellerer Spracherwerb ableiten (vgl. Szagun 1996, S. 250).
3.4.1
Referenzieller Spracherwerb
Die referenziellen Lerner benutzen vorwiegend Objektwörter, die Hälfte der Begriffe sind
Nomen (vgl. Szagun 1996, S. 235). Diese Kinder sprechen die bekannten Wörter sehr deutlich aus. Die Aussprache ist unflexibel. Auch bei einer Korrektur von den Bezugspersonen
wird eine falsche Aussprache zunächst nicht verändert (vgl. Szagun 1996, S. 246). Die Kinder sind in der Lage, die erworbenen Begriffe auch kontextunabhängig zu verwenden. In der
Phase des Telegrammstils benutzen sie kaum Grammatik, sondern lediglich Inhaltswörter
(vgl. Szagun 1996, S. 241f).
10
Flexion: Deklination oder Konjugation eines Wortes (vgl. Duden 1997)
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Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
3.4.2
Expressiver Spracherwerb
Diese Kinder verwenden viele Pronomen und stereotype Ausdrücke, wie „hör auf“ (vgl. Szagun 1996, S. 235f). Sie beziehen sich mit ihrer Sprache auf andere Menschen oder auf sich
selbst (vgl. Szagun 1996, S. 235f). Es werden bereits einige wenige Funktionswörter mit
Inhaltswörtern kombiniert. Die Kinder imitieren die Lautsprache ihrer Bezugspersonen. Daher kommt es auch zur Verwendung von Floskeln (vgl. Szagun 1996, S. 243). Dies sind
längere Ausdrücke, die vermutlich durch Nachahmung gelernt werden. Durch das Imitieren
der sprachlichen Strukturen scheint diese Gruppe „grammatisch fortgeschrittener“ zu sein
(Szagun 1996, S. 243). In der Spontansprache sind die grammatischen Strukturen allerdings
noch nicht verinnerlicht (vgl. Szagun 1996, S. 243). Die Kinder spielen mit der Intonation von
Tonhöhe und Lautstärke. Die Aussprache ist oft so undeutlich, dass die Wörter verständlich
sind (vgl. Szagun 1996, S. 246). Diese Kinder gehen insgesamt ganzheitlich an die Sprache
heran und segmentieren weniger die referenzielle Gruppe (vgl. Szagun 1996, S. 247).
3.5
Sprachverständnis
Das Verstehen der Welt und das Sprachverständnis sind zwei unterschiedliche Dinge.
Sprachverständnis erfordert ein Verständnis der Welt. Das Weltverständnis dagegen kann
sich bis zu einem gewissen Punkt ohne ein Sprachverständnis entwickeln (vgl. Zollinger
1991, S. 111).
Die Voraussetzung für ein Sprachverständnis stellen Prozesse der Individuation und Identifikation dar. Der Mensch muss erfahren, dass andere Personen, je nach Situation, ähnliche
oder auch völlig andere Gefühle zeigen wie er selbst (vgl. Zollinger 1991, S. 111). So kann
er sich selbst gegenüber der Umwelt als eigene Person wahrnehmen. Der nächste Schritt ist
die Erkenntnis, dass die anderen Dinge Namen haben. Daher nennt Zollinger einige Grundbedingungen für die Entwicklung des Sprachverständnisses:
Das Kind muss sich zunächst für einen Gegenstand oder eine Handlung interessieren. Es
lernt, dass in der Umwelt verschiedene Personen und Objekte vorhanden sind und beschäftigt sich mit ihnen. Die Bezugspersonen reagieren darauf. Das Kleinkind muss aufmerksam
zuhören und sich für die Kommentare der Eltern interessieren, damit es die Bezeichnung für
einzelne Objekte oder Personen kennen lernt. In einem weiteren Schritte entwickelt das Kind
Strategien, um neue Wörter zu erlernen. Es findet heraus, wie es die Eltern zum Benennen
von Gegenständen bringen kann (vgl. Zollinger 1991, S. 113).
Im 2. Lebensjahr wird einzelnen Wörtern eine Bedeutung zugeordnet. Sie ist zunächst noch
eng an die Handlung gebunden. Als Reaktion auf eine sprachliche Äußerung führt das Kind
eine Handlung aus (vgl. Zollinger 1991, S. 114).
Das Sprachverständnis spielt eine entscheidende Rolle beim Spracherwerb. Eine Störung
wirkt sich auch auf die Produktion der Sprache aus (vgl. Zollinger 1991, S. 119).
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21
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
3.6
Kommunikations- und Sprachentwicklung unter erschwerten Bedingungen
Die verschiedenen Autoren betonen, dass sich keine eindeutige Sprachstörung beschreiben
lässt, die ihre Ursache in einer verminderten Sehfähigkeit hat (vgl. Rath 1995, S. 234).
Blindheit scheint eine Komponente zu sein, die sich auf die Sprachentwicklung nur in sehr
geringem Maße negativ auswirkt (vgl. Rath 1995, S. 230). Einzelne Phasen in der Kommunikations- und Sprachentwicklung können jedoch durchaus beeinträchtigt sein, wenn ein
geringes Sehvermögen vorliegt (vgl. Rath 1995, S. 234).
Hudelmayer u.a. geben an, je früher eine Sehbehinderung eintritt und je stärker sie ausfällt,
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Sprachstörung (vgl. Hudelmayer 1982, S. 385).
Kinder mit einer Mehrfachbehinderung, bei der eine Komponente die Blindheit ist, zeigen
auffällig oft Sprachstörungen (vgl. Rath 1995, S. 232). Es fehlt jedoch jegliche Erläuterung,
ob die Blindheit die entscheidende Komponente für die Sprachstörung ist.
Ich möchte im folgenden Teil darauf eingehen, wie sich verschiedene Behinderungen auf die
Sprachentwicklung auswirken können.
3.6.1
Früheste Kommunikation, ungezielte Äußerungen
In dieser Phase werden die Grundlagen für eine Dialogfähigkeit gelegt. Indem Eltern mit
ihrem Kind wechselseitig interagieren, schaffen sie entsprechende Voraussetzungen.
Bei Kindern mit einer Behinderung liegen oft ungünstige Bedingungen für die Sprachentwicklung vor. Vor allem bei Mehrfachbehinderten treten häufig Probleme in mehreren Bereichen
auf. Für die Eltern ist es zunächst schwierig, die Schädigung des Kindes anzunehmen und
damit umzugehen. Statt in Interaktion mit dem Säugling zu treten, ziehen sie sich von ihm
zurück (vgl. Rath 1995, S. 234). Das Kind, das eigentlich besonders viele Dialogsituationen
bräuchte, um gut kommunizieren zu lernen, bekommt weniger Gelegenheiten geboten als
nötig.
Gerade Kinder mit einer Mehrfachbehinderung bringen in frühen Lebensjahren viel Zeit im
Krankenhaus zu. So sind die Eltern nicht so viel Zeit mit dem Kind zusammen, wie wenn es
sich zu Hause aufhält. Es entstehen insgesamt weniger kommunikative Situationen, in denen das Kind Lernmöglichkeiten hat (vgl. Kane 1992, S. 305, vgl. auch Gerlinger 1985, S72).
Signale, die einen Dialog initiieren, sind oft ganz spezifisch durch die jeweilige Behinderung
geprägt. Sie können für die Bezugspersonen zunächst schwer zu deuten sein. Im schlimmsten Fall ist es möglich, dass sie negative Gefühle oder sogar Abwehrreaktionen hervorrufen,
statt den Wunsch zu helfen (vgl. Kane 1992, S. 305).
Bei Kindern mit einer Sehschädigung ergibt sich weiterhin, dass die Kommunikation über
Mimik erschwert ist. Frühe Dialoge zwischen Eltern und Kind geschehen meist auf der
Grundlage von Blicken. Dies ist bei blinden Kindern gar nicht oder nur in sehr geringem Ma-
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22
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
ße möglich (vgl. Kane 1992, S. 305). Oft fehlen bestimmte Signale, die positive Gefühle bei
den Kommunikationspartnern auslösen (vgl. Kane 1992, S. 305).
Für blinde Säuglinge ist das Zuhören besonders wichtig. Statt bei Ansprache das Gesicht in
Richtung des Gesprächspartners zu drehen, wenden sie anfangs den Kopf ab. Dies dient
der Verbesserung der Aufmerksamkeit, da das Verknüpfen der lautlichen Erfahrungen beider Ohren erst später gelernt wird. Die Eltern können ein solches Verhalten schnell missverstehen und als Desinteresse deuten. Das Hinwenden des Kopfes zum Kommunikationspartner geschieht erst, wenn die aufgenommenen Reize der beiden Ohren miteinander verknüpft
werden können (vgl. Dik 1985, S. 77f). Es ist einsichtig, dass bei mehrfachbehinderten Kindern die oben angeführten Probleme verstärkt auftreten.
Als Kompensation ist es nötig, taktile und akustische Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen,
in denen sich die Bedürfnisse des Kindes wiederfinden (vgl. Rath 1995, S. 235). Wenn es
den Kommunikationspartnern gelingt, erste Dialogformen, die über Mimik und Gestik ablaufen, durch differenzierte „Körperspiele und Lautproduktionen“ zu ersetzen, muss sich die
Blindheit nicht negativ auf die Sprachentwicklung auswirken (vgl. Schmalohr 1985, S. 60)
3.6.2
Gezieltes Verhalten
Während das nichtbehinderte Kind gezielt nach Gegenständen greift, die sein Interesse wecken, geschieht dies bei Kindern mit Einschränkungen meist in viel geringerem Maße.
Sie scheinen oft passiv und wenig interessiert zu sein. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.
Ein Kind mit einer motorischen Einschränkung kann zwar vielleicht einen interessanten Gegenstand sehen, ist aber nicht in der Lage, ihn zu erreichen. Wenn es nicht gelernt hat, von
den Eltern Hilfe einzufordern, verliert das Kleinkind schnell das Interesse an dem Objekt (vgl.
Kane 1992, S. 307f). Bei sehgeschädigten Kindern kommt erschwerend hinzu, dass sie
kaum visuelle Reize aus der Umwelt wahrnehmen. Interessante Gegenstände in der Umgebung fallen ihnen nicht auf, solange keine akustischen oder taktilen Reize vorliegen. Somit
ist die Umgebungserkundung weitgehend auf den direkten Tastraum beschränkt. Die Greifbewegung ist zwar schon früh entwickelt, aber eine gezielte Orientierung an Geräuschen
gelingt erst gegen Ende des ersten Lebensjahres. Dann kann die Bewegung gezielt an der
Lokalisation von Geräuschen ausgerichtet werden (vgl. Dik 1985, S. 80).
Die Produktion der Lalltöne erfolgt als Reaktion auf die Erkundung der Umgebung. Wenn
diese nur in einem geringen Ausmaß wahrgenommen wird, ist möglicherweise auch die
Lautproduktion verzögert (vgl. Zuckrigl 1975, S. 215). Daher sollten die Kinder gezielt Erfahrungsmöglichkeiten geboten bekommen, damit ihr Interesse an der Umwelt geweckt wird
(vgl. Rath 1995, S. 235).
Bei blinden Kindern fehlt die visuelle Kontrolle, ob ein Zuhörer anwesend ist. Um sich zu
vergewissern, dass jemand zuhört, benötigt es Kontrollsysteme wie Körperkontakt, Rufen
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23
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
oder Schreien. Die Bezugspersonen können evtl. gerade Formen wie Schreien missverstehen und ihren Kontakt zu dem Kind abbrechen (vgl. Schmalohr 1985, S. 61).
3.6.3
Gezielte Partnerkommunikation
Diese Phase beruht weitgehend auf dem Austausch von Blicken. Bei blinden Kindern ist
dieser Teil der Kommunikation erheblich erschwert, da „das sehgeschädigte Kind nur in geringem Maße in der Lage ist, Mimik und Gestik seiner Mitmenschen aufzunehmen“ (vgl.
Hudelmayer 1976, S. 3). Die Teilung der Aufmerksamkeit, die auf Blicken beruht, ist unter
den Bedingungen von Blindheit oder Sehschädigung nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Beobachtung und Nachahmung von Gestik und Mimik des Gegenübers beschränken sich
weitgehend auf taktile Reize (vgl. Kane 1992, S. 305). Das Kind muss außerdem sichergehen, dass der Kommunikationspartner den gemeinten Gegenstand ebenfalls wahrnimmt und
seine Aufmerksamkeit darauf lenkt (vgl. Schmalohr 1985, S. 61). Hierbei ist das blinde Kind
auf taktile und akustische Reize angewiesen.
3.6.4
Konventionelle Kommunikation
Zeigegesten sind ein wichtiger Faktor beim Bedeutungserwerb. Indem das Kleinkind auf
etwas deutet, bekommt es ein Wort genannt, das es mit seinen visuellen Erfahrung verknüpfen kann. Bei blinden Kindern ist es wichtig, den Begriffserwerb durch taktile und akustische
Erfahrungen zu unterstützen. Die Handlungen des Kindes sollten grundsätzlich durch
sprachliche Äußerungen begleitet werden. So bekommt das Kind Gelegenheit die Sprache
mit der taktilen Erfahrung zu verbinden. Wenn dies nicht entsprechend geschieht, kann es
zu „Verbalismus“ kommen. Das Kind benutzt leere Worthülsen, die nicht mit Inhalten aus der
Vorstellung gefüllt sind (vgl. Rath 1995, S. 237).
Oft wird diese Stufe bei Mehrfachbehinderten nicht als kurzer Übergang durchlaufen, sondern zieht sich über eine lange Zeit hin (vgl. Kane 1992, S. 311).
3.6.5
Symbolische Kommunikation
Sehende Kinder beginnen mit der Lautbildung, indem sie die Artikulation von ihrem Kommunikationspartner imitieren (vgl. Schmalohr 1985, S. 56). Bei verschiedenen Behinderungsformen ist dies erheblich verzögert. Kinder mit geistiger Behinderung können durch vielfältige Möglichkeiten, wie Gebärden oder bildliche Darstellungen in ihrem Spracherwerb unterstützt werden (vgl. Kane 1992, S. 312).
1983 führte Mills eine Untersuchung durch, um zu überprüfen, ob bei blinden Kindern die
Lautbildung generell erschwert ist. Sie unterschied zwischen Lauten, deren Artikulationsweise deutlich visuell zu erkennen ist (z.B. [p], [m]) und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist
(z.B. [g], [t] (vgl. Schmalohr 1985, S. 56). Die Untersuchung ergab, dass die blinden Kinder
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24
Kapitel 3: Kommunikation und Sprache
lediglich bei den zuerst genannten Lauten Schwierigkeiten in Vergleich zu den sehenden
Altersgenossen zeigten. Mills stellte einen „begrenzten Ausfall“ fest (Schmalohr 1985, S. 56).
Es fehlt allerdings eine Erklärung darüber, wie weit sich solche Probleme auf die Sprachentwicklung auswirken (vgl. Schmalohr 1985, S. 18).
3.6.5.1
Erste Wörter
Das Kind muss den Bezug zwischen dem Begriff und einem Objekt herstellen können (vgl.
Schmalohr 1985, S. 62). Um dies bei blinden Kindern zu erleichtern, sollten gezielt Objekte
dargeboten werden. Das Kind kann so den Gegenstand ertasten und direkt die Bezeichnung
dafür erlernen (vgl. Zuckrigl 1975, S. 216). Die Vorstellung von dem Gegenstand erfolgt über
Tast- und Hörerfahrungen. Diese können nur sukzessiv11 gemacht werden, d.h. einzelne
Erfahrungen müssen miteinander verknüpft werden (vgl. Schmalohr 1985, S. 63). Dadurch
ist evtl. die Begriffsbildung erschwert. Letztendlich lernen aber blinde Kinder „dieselben lexikalischen Ausdrücke und thematischen Beziehungen in annähernd der gleichen Reihenfolge
wie sehende Kinder“ (Schmalohr 1985, S. 63).
3.6.6
Der weitere Spracherwerb
Landau beschreibt den weiteren Spracherwerb wie bei sehenden Kindern. Die zuerst erlernten Wörter entsprechen dem Wortschatz normalsichtiger Kinder (vgl. Landau 1985, S. 30).
Die Sprache entwickelt sich zwar teilweise zeitlich verzögert, bis zum 3. Lebensjahr ist aber
ein altersgemäßer Wortschatz erreicht (vgl. Mills 1983, S. 12).
11
sukzessiv: „allmählich, nach und nach, schrittweise erfolgend“ (Duden 1999)
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25
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
4
Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
Im Folgenden möchte ich einige Konzepte zur Anbahnung und Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten vorstellen. Dieses Kapitel beschreibt zwei Förderansätze, die sich jeweils
auf eine bestimmte Stufe der kommunikativen Entwicklung beschränken. Das nächste Kapitel geht dann ausführlich auf den Ansatz der Unterstützten Kommunikation ein. Dieser berücksichtigt alle Phasen der kommunikativen Entwicklung.
Die Basale Stimulation nach Mall ist ursprünglich für autistische und schwerstbehinderte
Menschen konzipiert. Für eine Förderung sind keinerlei Voraussetzungen bei dem Behinderten nötig. Eine Kommunikationsbasis wird allein über die körperliche Begegnung geschaffen
(vgl. Braun 1997a, S. 8ff).
Die Methode nach Jan van Dijk wurde speziell für taubblinde Kinder entwickelt. Das Ziel ist
zunächst die Anbahnung eines Signal- und Symbolverständnisses, als Grundlage für ein
später eingesetztes Kommunikationssystem (vgl. Köhler 1988, S. 136).
4.1
Basale Kommunikation nach Mall
Diese Form der Kommunikationsanbahnung entstand aus der praktischen Arbeit in einem
Heim für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Es soll kein Förderkonzept im eigentlichen Sinne sein. Mall möchte Anregungen geben, um Situationen der Begegnung mit
schwerstbehinderten Menschen zu schaffen. Seine Vorschläge sind als Anstöße zu sehen,
die individuell auf die zu fördernde Person abgestimmt werden müssen (vgl. Mall 1984, S.
3).
Man beschränkt sich auf basale Grundbedürfnisse der Kommunikation. Der Begriff „basal“
bedeutet, in Anlehnung an Fröhlich, die Voraussetzungslosigkeit (vgl. Mall 1984, S. 3). Basale Kommunikation ist eine Art, mit Menschen in Kontakt zu treten (vgl. Mall 1998, S. 62). Die
Sprache rückt dabei in den Hintergrund, sie darf sich nur auf die aktuelle Situation beziehen.
Die Basale Kommunikation wendet sich an Menschen, die sich selbst nur schlecht oder gar
nicht mitteilen können (vgl. Mall 1984, S. 1). Es werden vor allem autistische12 Menschen mit
oder ohne zusätzliche Beeinträchtigung und Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung angesprochen.
Die Art des Kontaktaufbaus richtet sich immer nach den individuellen Bedingungen, unter
denen eine Begegnung stattfindet (vgl. Mall 1998, S. 62). Mall beschreibt den sprechenden
Menschen als aktiven Partner, während die Person mit einer schweren Behinderung einen
passiven Part übernimmt.
12
Autismus: Schwer zu definierende Verhaltensstörung. Ablehnung von Zuwendung schon
im Kleinkindalter und verminderte emotionale Bindungsfähigkeit. Oft wird das Sprechen
nicht erlernt (vgl. Franzkowiak 1996b, S. 58).
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26
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
Wir nutzen verschiedene Kommunikationskanäle, um Kontakt zu anderen aufzunehmen.
Personen, die über Lautsprache kommunizieren, setzen vorwiegend Blickkontakt, Sprache,
Mimik und Gestik ein. Dagegen verdeutlichen uns Menschen mit schwersten Behinderungen
auf anderen Wegen ihre Bedürfnisse. Um mit ihnen in Kontakt zu treten, müssen wir Atemrhythmus, Lautäußerungen, Berührungen und Bewegungen beobachten. Einen Menschen,
der nicht kommuniziert gibt es nicht. Es ist allerdings möglich, dass die Kanäle der Kommunikationspartner nicht zueinander passen und somit zu einer Person scheinbar kein Zugang
möglich ist (siehe Abbildung 2). Ziel ist daher, die Kanäle aufeinander abzustimmen und
sensibel für Mitteilungen zu werden (vgl. Mall 1984, S. 4).
Abbildung 2: Die eingesetzten Kommunikationskanäle „passen“ nicht (entnommen
aus: Mall 1984, S. 4)
Die Basale Kommunikation nutzt vor allem den Atemrhythmus als Kommunikationskanal.
„Sie nimmt den Ausdrucks- und Mitteilungscharakter des Atemverhaltens ernst und versucht,
auf der Ebene des Atemrhythmus mit dem Partner in einen Austausch zu treten, zu spüren,
wie ihm ist, ihm mitzuteilen, wie man zu ihm steht, zu erreichen, dass er sich besser fühlt“
(Mall 1984, S. 5). Der Atemrhythmus sagt viel über eine Person aus. Die derzeitige Stimmungslage des Menschen, seine Befindlichkeit, z.B. Anspannung oder Freude, lassen sich
daran ablesen. Nach Mall gibt die Atmung weiterhin Auskunft über die Persönlichkeit des
Menschen (vgl. Mall 1984, S. 5). Der Atemrhythmus funktioniert autonom, ist aber teilweise
steuerbar. Bei der Basalen Kommunikation versucht der aktive Partner, sich in den Rhythmus des anderen einzufühlen und sich auf ihn einzulassen. Die Befindlichkeit des Gegen-
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27
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
übers soll genauestens erspürt werden. Indem der aktive Partner sich dem anderen anpasst,
zeigt er ihm, dass er sich für ihn interessiert und ihn verstehen möchte. Eine für beide Beteiligten Personen angenehme Körperhaltung und Distanz sind individuell zu erproben (vgl.
Mall 1998, S. 65). Zunächst kann ein so intensiver Kontakt nur einige Minuten dauern. Die
Zeitspanne der Förderung ist nach und nach zu verlängern (vgl. Mall 1998, S. 67).
Neben dem Atemrhythmus nutzt die Basale Kommunikation weitere Kommunikationskanäle,
die bereits in frühen Mutter-Kind-Beziehungen eine Rolle spielen.
4.1.1
Primäre Kommunikation als Grundlage für einen Austausch
Als Basis für jeden Kommunikationsprozess beschreibt Mall eine Form der Beziehung, die
schon zwischen Mutter und Neugeborenem funktioniert. Bereits in den ersten Kontakten mit
der Mutter finden „feinste aufeinander abgestimmte wechselseitige Beeinflussungen“ statt
(Mall 1998, S. 35). Dies ist eine erste Form der Kommunikation. Die Mutter reagiert auf das
Schreien des Säuglings und bemüht sich, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Das Kind kann
sich entspannen. Je besser die Situation in der Familie auf den Säugling abgestimmt ist,
desto eher entwickelt er ein Ur-Vertrauen. Verläuft die Eltern-Kind-Beziehung negativ, so
kann dies die emotionale, körperliche, soziale und kognitive Entwicklung beeinträchtigen
(vgl. Mall 1998, S. 35f).
Diese Grundeinstellung soll auf Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung übertragen werden. Über die Kanäle Bewegung, Berührung und Lautäußerungen regt die Bezugsperson so genannte primäre Kreisprozesse an (siehe Abbildung 3), um eine Kommunikation zu ermöglichen (vgl. Mall 1998, S. 38). Mit „primärer Kommunikation“ ist keine Sonderform der Kommunikation gemeint, sondern vielmehr eine Erfahrung, „die am Anfang von
Entwicklung steht“ (Mall 1998, S. 86). Die Kreisprozesse stellen die Grundlage für jede weitere Entfaltung der Kommunikation dar (vgl. Mall 1998, S. 86). Ein solcher Kreisprozess umfasst vier Schritte (vgl. Mall 1998, S. 34).
Der „nichtsprechende“ Mensch führt eine Handlung aus, die von der Bezugsperson vorsichtig interpretiert wird. Sie nimmt das Verhalten als Äußerung wahr und sieht es als kommunikatives Angebot. Es folgt eine passende Erwiderung des sprechenden Partners. Der behinderte Mensch reagiert nun seinerseits auf die Antwort und zeigt damit, dass er diese erhalten hat. Jetzt wird auch deutlich, ob die Reaktion der Bezugsperson angemessen war. Damit
kann der Kreisprozess von Neuem beginnen (vgl. Mall 1998, S. 33).
Solche Kreisprozesse sollten die Grundlage in jeder Kommunikationsförderung sein. Die dort
Einfluss nehmenden non-verbalen Kommunikationsformen sind in jedem Kommunikationsprozess präsent. Die non-verbalen Anteile rücken allerdings üblicherweise in den Hintergrund, da wir uns auf die Sprache konzentrieren. Es kann im Einzelfall passieren, dass sich
die non-verbalen und verbalen Signale widersprechen. Mall spricht dann von einer „Doppelbindungs-Situation“ (Mall 1998, S. 41). In solchen Fällen verlässt sich der Partner eher auf
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28
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
die Körpersprache. Es können Missverständnisse entstehen, da wir die nicht-sprachlichen
Zeichen in der Regel nicht bewusst steuern (vgl. Mall 1998, S. 41).
Um die Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Körpers zu nutzen, muss man sie bewusst
einsetzen (vgl. Mall 1998, S. 44). Der aktive Partner soll daher lernen, die Körpersprache
des behinderten Menschen genau zu beobachten und seine eigenen non-verbalen Signale
bewusst zu steuern (vgl. Mall 1998, S. 40). Für Menschen mit Behinderungen gibt es Übungen, mit denen diese ihren Körper bewusst erleben können (vgl. Mall 1998, S. 50). Ein Partner massiert auf eine bestimmte Art und Weise den Körper des behinderten Menschen, sodass dieser alle Einzelteile seines Körpers spürt (vgl. Mall 1998, S. 50ff).
DU
Der andere tut irgend etwas.
Der andere nimmt mein Tun
als auf ihn bezogene Antwort
wahr.
ICH
Ich beziehe den andern und
Ich antworte mit einem „pas-
sein Tun auf mich, nehme
senden“ Tun.
sein Verhalten als Äußerung
wahr.
Abbildung 3: Der Kreislauf der primäre Kommunikation (entnommen aus: Mall 1998, S.
34)
4.1.2
Prinzipien der Förderung
Die Förderung soll Rituale, d.h. möglichst häufig wiederkehrende Situationen, schaffen. Solche Situationen erleichtern es dem Menschen, sich auf die Kommunikation einzulassen.
Erfolgt in diesen alltäglichen Situationen immer die gleiche Ansprache, so lernt die Person
mit einer kognitiven Einschränkung, darauf jeweils in der gleichen Weise zu reagieren. Das
Verhalten des Behinderten wird dann von dem aktiven Partner möglichst genau wiedergegeben. Der behinderte Mensch erkennt, dass ein Interesse an seinen Äußerungen besteht
(vgl. Mall 1998, S. 41). Er erfährt das eigene Verhalten unter einem neuen Aspekt, da es
einen Kommunikationsprozess auslöst. Die Person erlebt ein Gefühl des Angenommenseins. Gerade stereotypes Verhalten kann in einen anderen Kontext gesetzt und neu erfahren werden. Auf diese Weise entstehen Kommunikationsprozesse, ohne dass sich der
Mensch mit Behinderung ändern muss (vgl. Mall 1998, S. 42).
Die angesprochenen Prinzipien dürfen sich nicht nur auf eine Fördersituation beschränken.
Kommunikationssituationen müssen vor allem auch in den Alltag integriert werden. Hierfür
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29
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
bieten sich unter anderem die Pflegesituationen an. Sie sind ein Hauptbestandteil im Alltag
von behinderten Menschen. Während der Pflege entstehen ständig wiederkehrende Situationen, die man als Spiel- und Kommunikationsanlass nutzen kann (vgl. Mall 1998, S. 53).
Hier finden immer Kommunikationsprozesse statt, ohne dass sie geplant sind. Der Mensch
mit Behinderung spürt die Einstellung seines Gegenübers, die sich in der Körperhaltung
manifestiert (vgl. Mall 1998, S. 54).
Erfolgreiche und angenehme Kommunikationssituationen erfordern einige Grundvoraussetzungen:
-
Ruhe und Zeit nehmen, sich auf sein Gegenüber einzulassen
-
einen eigenen Raum aufsuchen
-
sensibel auf die Äußerungsversuche des anderen eingehen
-
Entscheidungsmöglichkeiten bieten, um Äußerungen anzuregen
-
der aktive Partner soll bemüht sein, die Bedürfnisse des Gegenübers vorherzusehen
(vgl. Mall 1998, S. 55)
-
Sprachlichen Elemente in der Förderung auf das „Hier und Jetzt“ beschränken. Dies
geschieht, indem eine Handlung verbalisiert wird (vgl. Mall 1998, S. 42).
Kommunikation beginnt, wenn ein Mensch erkennt, dass seine Verhaltensweisen angenommen und passend beantwortet werden. Durch diese Prinzipien kann man erreichen,
dass sich nicht nur die Kommunikation entwickelt, sondern auch die Persönlichkeit ausdifferenziert wird (vgl. Mall 1998, S. 78f).
4.1.3
Kritische Würdigung des Konzeptes
Winfried Mall bezieht sich bei den Ausführungen der Basalen Kommunikation vorwiegend
auf Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung. Meiner Ansicht nach sind die
Grundprinzipien aber eine wichtige Voraussetzung für die Kommunikation mit jedem Menschen. Gerade bei „nichtsprechenden“ Personen ist es besonders nötig, im Sinne der primären Kreisreaktionen, jede Handlung als Äußerung zu erkennen. Nur über diese non-verbalen
Signale ist zunächst eine Interaktion möglich. Die Kreisprozesse können aber lediglich als
Grundlage gesehen werden. Sofern das Bedürfnis nach weiterer Kommunikation von Seiten
des „Nichtsprechenden“ vorhanden ist, sollte eine Möglichkeit zum Austausch geschaffen
werden, die über den Körperkontakt hinausgeht.
Die Unterteilung in aktive und passive Partner erweckt den Eindruck, nur der sprechende
Partner könne Auslöser einer Interaktion sein (vgl. Mall 1998, S. 62). In der Kommunikation
mit „nichtsprechenden“ Menschen nimmt die sprechende Person eine aktive Rolle ein. Dennoch soll aber das Verhalten des „passiven“ Partners einen Kreisprozess initiieren.
Die Sprache spielt bei Mall eine sehr untergeordnete Rolle. Sie bezieht sich lediglich auf die
aktuelle Situation. Dahinter steht die Annahme, dass Menschen mit schweren geistigen Behinderungen hauptsächlich ihre Grundbedürfnisse äußern können. Andere Mitteilungen wie
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30
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
z.B. das Erzählen von vergangenen Ereignissen werden nicht ermöglicht. Es findet eine
Reduzierung des behinderten Menschen auf seine Grundbedürfnisse statt.
Die Förderung macht einen sehr engen Körperkontakt nötig. Auch wenn Mall die Distanz als
individuell regulierbar beschreibt, ist gerade bei der Kontaktaufnahme über die Atmung eine
Nähe erforderlich, die im normalen Umgang mit Jugendlichen und auch Erwachsenen nicht
üblich ist. In der Regel suchen wir solche körperliche Nähe nur zu Personen, zu denen wir
ein besonders Verhältnis haben. Dies ist aber in einem schulischen Umfeld oder auch in
einer Fördersituation nicht gegeben. Oft haben beide Personen nicht unbedingt das Bedürfnis, so eng miteinander in Kontakt zu treten. Menschen „ohne Lautsprache“ können sich
aber meist nicht wehren, wenn sie die Nähe als unangenehm empfinden.
4.2
Hinführung zur Kommunikation nach der Methode Jan van Dijks
Van Dijk entwickelte seine Methode in den 60er-Jahren aus der Arbeit mit mehrfachgeschädigten gehörlosen Kindern. Am „Institut voor Doven“ in den Niederlanden arbeitete er über
20 Jahre mit taubblinden Kindern an einem Konzept für die Hinführung zur Kommunikation
(vgl. Köhler 1988, S. 136).
Die Zielgruppe wird zunächst als „in sich gekehrt“ beschrieben (Adam 1993, S. 88). Die Kinder weisen scheinbar autistische Züge auf, die sie aber im eigentlichen Sinn nicht haben.
Ihre Handlungen sind immer auf den eigenen Körper gerichtet (vgl. Adam 1993, S. 89).
Andere Autoren haben das Konzept im Laufe der Jahre verändert, sodass es für Menschen
mit einer geistigen Behinderung genutzt werden kann. Hierauf möchte ich aber nicht weiter
eingehen.
Das Symbolverständnis ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung eines Kommunikationssystems. Nur wenn dieses vorhanden ist, kann die differenzierte Kommunikation gelingen. Nach van Dijk sollen die Grundlagen für ein Symbolverständnis durch die Förderung
der vorangehenden Stufe, d.h. der präsymbolischen Stufe, geschaffen werden. Zunächst
wird ein Signalverständnis13 angebahnt, um es in einem weiteren Schritt zu einem Symbolverständnis auszubauen (vgl. Köhler 1988, S. 136). Die präsymbolische Stufe ist in 5 Stufen
unterteilt. Diese überlappen sich teilweise. Bevor man ein Kommunikationssystem14 einführt,
muss das Kind alle Stufen durchlaufen haben (vgl. Köhler 1988, S. 137).
Van Dijk nennt drei vorsprachliche Fähigkeiten, die das Kind während der präsymbolischen
Stufe erwerben soll.
Das Kind muss lernen,
-
dass es kommunizieren kann
-
dass es Dinge gibt, über die kommuniziert werden kann
13
Signalverständnis: Erkennen, dass auf eine Handlung eine Reaktion erfolgt.
14
Kommunikationssystem: Alle Hilfsmittel, die den Kommunikationsprozess unterstützen.
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31
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
-
dass es Menschen gibt, mit denen man kommunizieren kann (vgl. Adam 1993, S. 89).
4.2.1
Stufe der Resonanz
Resonanz meint „die Offenheit des Kindes für die Welt“ (Köhler 1988, S. 137). Das Ziel dieser Stufe ist das Erlernen von Antizipation15 und Signalverhalten (vgl. Köhler 1988, S. 137).
Zunächst werden einfachste Bewegungen, die das Kind gerne ausführt, in dialogische Spielsituationen umgeformt. Betreuer und Kind haben hierzu einen engen Körperkontakt. Sie
führen gemeinsam die Bewegungen des Kindes aus (vgl. van Dijk 1982, S. 491). Regelmäßige Pausen lösen die Bewegungsphasen ab. Zunächst bestimmt noch der Erwachsene,
wann die Bewegung fortgesetzt wird. Er achtet dabei sehr genau auf das Verhalten des
Schülers (vgl. Köhler 1988, S. 138).
Die Pausen können zwei Arten von Reaktionen hervorrufen. Anfangs ist das Kind erstaunt
und verwirrt. In einem fortgeschrittenen Stadium beginnt es, ein Signal für den Neubeginn
der Bewegung zu setzen (vgl. van Dijk 1982, S. 491). Dieses Zeichen wird vom Betreuer
sofort aufgegriffen (vgl. Köhler 1988, S. 138). So lernt der Schüler, die Fortsetzung der Bewegung nach der Pause zu antizipieren. Van Dijk spricht hier von operanter Konditionierung,
d.h. das Kind lernt ein Verhalten, indem es sich an den Konsequenzen orientiert (vgl. Köhler
1988, S. 138).
4.2.2
Stufe der co-aktiven Bewegung
Die vorher erprobten Bewegungen werden jetzt zu Bewegungssequenzen verknüpft. Auch
neue Bewegungsfolgen können erarbeitet werden. Es ist möglich, sich dabei an den lebenspraktischen Fertigkeiten zu orientieren. Beispielsweise kann die Bewegungsfolge des Anziehens oder des Zähneputzens erlernt werden. Der Wechsel von Aktivitäts- und Pausenphasen ist weiterhin ein Bestandteil der Phase. Auf diese Weise kann der Schüler seine Antizipationsfähigkeit und das Signalverhalten weiter üben (vgl. Köhler 1988, S. 139).
Zunächst führen die beiden Personen die Handlung noch gemeinsam durch. Später soll die
Distanz zwischen den Partnern langsam vergrößert werden. Der Bewegungsraum wird ebenfalls ausgeweitet (vgl. Köhler 1988, S. 139). Wenn das Kind gelernt hat, eine Bewegung
zu antizipieren, muss eine neue Bewegungsfolge eingeführt werden. Sonst kann es zur mechanischen Ausführung der Bewegungen kommen. Die Komplexität der Bewegungsfolgen
kann durch eine Verlängerung der Handlungsfolge, durch das Einbauen von Hindernissen
oder durch das Einbeziehen von Objekten gesteigert werden (vgl. Köhler 1988, S. 138f).
15
antizipieren: etwas gedanklich vorwegnehmen (vgl. Duden 1997)
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32
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
4.2.3
Stufe des nicht-repräsentationalen Bezugs
Nicht-repräsentationaler Bezug meint hier „Akte, bei denen sich der Erwachsene und das
Kind auf etwas beziehen, indem sie darauf hinweisen, hindeuten oder zeigen“ (Köhler 1988,
S. 139).
Das Kind zeigt auf Gegenstände, mit denen man sich dann beschäftigt. Ansätze dieses Verhaltens sind schon in der vorangehenden Stufe zu finden. Durch gemeinsames Reiben,
Streicheln und Benennen der Körperteile lernt der Schüler seinen Körper und den des Gegenübers kennen. Die Unterscheidung zwischen dem eigenen und dem Körper des anderen
ist hierbei wichtig (vgl. Köhler 1988, S. 139).
Wenn das Kind die eigenen Körperteile kennt, wird ein Modell eingesetzt. Es bietet sich eine
Puppe an, bei der die einzelnen Gliedmaßen gezeigt werden. Der Schüler antwortet, indem
er das entsprechende Körperteil am eigenen Körper bewegt oder darauf deutet (vgl. Köhler
1988, S. 140).
Auf einer späteren Stufe wird die Puppe durch immer abstraktere Symbole bis hin zu Zeichnungen ersetzt. Für blinde Kinder bieten sich taktile Collagen an. Auf diese Weise kann das
Kind nicht nur ein Körperschema entwickeln, sondern auch reflektierende Verhaltensweisen
erlernen (vgl. Köhler 1988, S. 140).
4.2.4
Stufe der verzögerten Imitation
Zu der körperlichen Distanz bei den Bewegungen kommt nun die zeitliche Verzögerung. Die
bereits bekannten Handlungen werden vom Erwachsenen ausgeführt. Das blinde Kind soll
die Aktivität nachvollziehen, indem es die Körperhaltung des Betreuers abtastet. Dann ahmt
es die Bewegung nach (vgl. Köhler 1988, S. 140).
Eine Mitarbeiterin van Dijks schlägt Übungen auf verschiedenen Schwierigkeitsstufen vor:
-
einfache symmetrische Übungen z.B. klatschen
-
asymmetrische Übungen z.B. ein Bein heben
-
Gegenstände in die Bewegung einbeziehen z.B. auf einen Stuhl setzen
-
Körpermodell durch abstrakte Modelle wie Puppe oder später Zeichnung, bzw. tastbare
Darstellungen ersetzen (vgl. Köhler 1988, S. 140).
Das Kind soll den Zusammenhang zwischen den ertasteten oder gesehenen Aktivitäten und
den eigenen Bewegungen herstellen (vgl. Köhler 1988, S. 140).
4.2.5
Stufe der natürlichen Gebärden
Natürliche Gebärden sind Handzeichen, die Eigenschaften oder mögliche Handlungen in
Bezug auf ein Objekt darstellen. Sie beruhen auf individuellen Vorstellungen von einem Gegenstand und sind damit in der Regel nicht konventionell (vgl. Köhler 1988, S. 141).
Um natürliche Gebärden entwickeln zu können, sind zwei Faktoren wichtig:
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33
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
Die Dekontextualisierung, d.h. das Kind muss antizipieren können. Es benutzt z.B. die Gebärde für „Essen“ beim Betreten der Küche. Es weiß, dass es dort etwas zu Essen bekommt.
Bei der Denaturalisierung geht die Gebärde von einer großen Armbewegung zu einer kleinen, ökonomischeren Handbewegung über. Somit wird das Zeichen abstrakter (vgl. Köhler
1988, S. 141).
Mit den natürlichen Gebärden ist bereits der Schritt zur symbolischen Stufe der Sprachentwicklung vollzogen. (vgl. Köhler 1988, S. 141).
Im Anschluss an die präsymbolische Stufe erfolgt die Einführung eines Kommunikationssystems. Es soll möglichst gut an die Fähigkeiten der Person angepasst sein. Van Dijk schlägt
bei Kindern mit einem Sehrest die Gebärdensprache vor (vgl. van Dijk 1982, S. 492).
Für Taubblinde empfiehlt er ein System, dass sich auf die Schriftsprache stützt. Die BrailleSchrift bietet eine entsprechende Grundlage. Außerdem kann ein Handalphabet, z.B. das
Lormalphabet (siehe Abbildung 6), eingeführt werden (vgl. van Dijk 1982, S. 492).
Der Weg zur Gebärde, bzw. zum alternativen Kommunikationssystem, ist lang. Nicht alle
mehrfachbehinderten Kinder erreichen dieses Ziel. Wichtig ist aber, dass vor allem kleinste
Schritte auf dem Weg dorthin honoriert werden (vgl. Köhler 1988, S. 142).
4.2.6
Kritische Würdigung des Konzeptes
Die Anbahnung des Symbolverständnisses ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum
Spracherwerb. Wie bereits in Kapitel 3.2 dargestellt, ist Sprache nichts anderes als ein konventionelles Symbolsystem. Das Signalverhalten wird durch Bewegungen angebahnt.
Wie weit die Sprache bei dieser Methode in den kommunikativen Prozess mit einfließt ist
nicht klar. Das Konzept wurde ursprünglich für Taubblinde entwickelt, die den akustischen
Aspekt der Sprache nicht wahrnehmen können. Dennoch sind diese Personen teilweise in
der Lage, Mundbewegungen beim Sprechen zu ertasten. Van Dijk bezieht häufig auch
hochgradig Sehbehinderte in seine Förderung mit ein. Diese Personen könnten evtl. sogar
noch Lippenbewegungen wahrnehmen und imitieren.
Köhler beschreibt das Konzept in der Anwendung bei blinden Kindern mit einer geistigen
Behinderung. Vermutlich werden nicht alle die Stufe der verzögerten Imitation erreichen. Die
Erfassung von Bewegungen über das Tasten erfordert hohe kognitive Fähigkeiten, da die
einzeln, sukzessiv erfahrenen taktilen Eindrücke zu einem Bewegungsmuster zusammengesetzt werden müssen.
Wenn neben der Blindheit eine motorische Einschränkung vorliegt, wirkt sich diese ebenfalls
erschwerend auf die Entwicklung aus. In diesem Fall ist evtl. das Abtasten einer Geste gar
nicht mehr möglich. Einige Kinder, die zusätzlich eine geistige oder körperliche Einschränkung aufweisen, werden vermutlich auf einer frühen Stufe verweilen. Sie bekommen nie die
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34
Kapitel 4: Konzepte zur Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten
Gelegenheit, ein Kommunikationssystem zu erproben, da die Anbahnung des Symbolverständnisses bei ihnen fehl geschlagen ist.
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35
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
5
Unterstützte Kommunikation (UK)
Unterstützte Kommunikation ist als Oberbegriff für alle Maßnahmen zu sehen, die eine Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten bei Menschen „ohne Lautsprache“ zum Ziel
haben. Sie beschränkt sich nicht, wie die bisher vorgestellten Konzepte, auf eine Stufe der
kommunikativen Entwicklung. Eine Kommunikationsförderung nach dem Konzept der Unterstützten Kommunikation kann daher auch die Basale Kommunikation oder die Van DijkMethode beinhalten.
Ich möchte die Prinzipien der Unterstützten Kommunikation ausführlich erläutern, da dieses
Konzept die Grundlage für die Förderung ist, die ich im nächsten Kapitel vorstelle.
Exemplarisch werden einige Kommunikationshilfen dargestellt, die teilweise auch im anschließenden Fallbeispiel von Bedeutung sind. Diese Auflistung der möglichen Hilfen ist
keinesfalls vollständig und dient nur als Anregung. Eine Kommunikationshilfe muss immer
individuell für den Nutzer angepasst werden. Neben grafischen Symbolen kommen reale
Objekte und elektronische Sprachgeräte zum Einsatz. Diese Formen bieten sich auch für
eine Kommunikationsförderung bei blinden Menschen an.
5.1
Definition und Ziele
Das Konzept wurde in den 70er-Jahren im amerikanischen Raum entwickelt. Dort ist es unter dem Namen AAC (augmentative und alternative communication), d.h. unterstützende,
ergänzende und alternative Kommunikation, bekannt (vgl. Braun 1996b, S. 3).
Seit 1992 gilt die Übersetzung Unterstützte Kommunikation in Deutschland als Oberbegriff
für alle pädagogischen und therapeutischen Maßnahmen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten bei „nichtsprechenden“ Menschen (vgl. Kristen 1997, S. 15).
Für die meisten Menschen ist die Lautsprache das wichtigste Kommunikationsmedium. Es
gibt aber einige Personen, die nicht oder nicht ausreichend über dieses Kommunikationsmittel verfügen (vgl. Braun 1996b, S. 3). Sie erleben immer wieder, dass ihre Signale falsch
oder gar nicht verstanden werden. Der Prozess der Kommunikation verläuft für diese Menschen oft negativ (vgl. Kristen 1993, S. 10). Dies kann zu Frustration und Passivität bei der
„nichtsprechenden“ Person führen (vgl. Braun 1996b, S. 3). Unterstützte Kommunikation
zielt daher auf die „Verbesserung der Kommunikation und die Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten eines Menschen“ (Kristen 1996, S. 16).
Zu diesem Zweck stellt die Unterstützte Kommunikation Hilfsmittel, Techniken und Strategien bereit, die ergänzend (augmentative) oder als Ersatz (alternative) zur expressiven
Sprache genutzt werden können (vgl. Braun 1996b, S. 3). Neben sämtlichen körpereigenen
Möglichkeiten, wie Mimik, Gestik, Körpersprache etc., ist auch der Einsatz von externen
Kommunikationshilfen möglich.
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36
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Eine Person ist vielfältigen kommunikativen Situationen ausgesetzt. In der Regel kann eine
einzelne Kommunikationshilfe nicht allen gestellten Anforderungen genügen. Ziel ist daher
die Erarbeitung eines „multimodalen16 Kommunikationssystems“, um die Verständigung in
möglichst vielen Alltagssituationen zu erleichtern (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 16). Ein solches System sollte körpereigene, elektronische und nicht-elektronische Hilfsmittel umfassen
(vgl. Braun 1997b, S. 7).
Gerade beim Einsatz elektronischer Geräte ist es notwendig, ein zusätzliches Hilfsmittel
bereit zu stellen. Der Nutzer darf nicht „sprachlos“ sein, wenn das Sprachgerät defekt ist.
Außerdem gibt es Situationen, in denen ein körpereigenes Mittel schneller und effektiver ist,
als die Bedienung eines Sprachgerätes (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 27).
Die verwendeten körpereigenen Formen sind auch in der Kommunikation mit sprechenden
Menschen immer präsent. In dem Konzept der Unterstützten Kommunikation werden sie
systematisch und bewusst eingesetzt (vgl. Braun 1996b, S. 3).
Ergänzende oder alternative Kommunikationsformen ermöglichen oft die Erfahrung erfolgreicher Kommunikation. Hierdurch kann auch die Bedeutung der Lautsprache erkannt werden. Förderung der Kommunikation führt dann auch zu einer Erweiterung der lautsprachlichen Fähigkeiten. Unterstützte Kommunikation steht damit nicht im Widerspruch zur Sprachförderung, sondern ergänzt diese (vgl. Braun 1996b, S. 4). Diese Sichtweise wird erst seit
einiger Zeit vertreten. Bis vor wenigen Jahren fürchteten einige Therapeuten, unterstützende
und alternative Kommunikationsformen könnten die lautsprachliche Entwicklung unterdrücken. Man förderte nur solche Personen, die nach langer Zeit der herkömmlichen Sprachtherapie keine Fortschritte zeigten. Auch heute findet man solche Befürchtungen noch bei den
Bezugspersonen (vgl. Braun 1996b, S. 4).
5.2
Geschichtliche Entwicklung
Die Ursprünge der augmentative and alternative communication (AAC) kommen aus dem
englischsprachigen Raum. Bereits Anfang der 80er-Jahre entwickelte sich der Bereich der
augmentative communication in den USA. Grundlage waren die erfolgreiche Verwendung
der Gebärdensprache bei Gehörlosen und der Einsatz von ersten Kommunikationstafeln.
Das Angebot an elektronischen Kommunikationshilfen wurde stetig vergrößert. Damit rückte
der Bereich der AAC immer mehr in die Öffentlichkeit. Es entstanden AAC-Zentren, und
auch die Ausbildungsangebote für AAC-Kräfte wurden erweitert (vgl. Kristen 1997, S. 19).
1983 erfolgte die Gründung der International Society for Augmentative and Alternative
Communication (ISAAC) in Toronto, Kanada. Sie ist bis heute die zentrale Organisation für
das Fachgebiet der Unterstützten Kommunikation (vgl. Kristen 1997, S. 19).
16
multimodales Kommunikationssystem: nutzt verschiedene Kommunikationsformen
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37
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
In Deutschland ist die Geschichte der Unterstützten Kommunikation noch relativ jung. Es
gab zwar bereits in den 70er-Jahren vereinzelte Bemühungen, die kommunikativen Fähigkeiten bei „nichtsprechenden“ Menschen zu erweitern, sie wurden aber kaum umgesetzt
(vgl. Kristen 1997, S. 19). Erst mit der Einführung von Bliss-Kursen im Jahr 1981 rückte das
Problem auch in der BRD weiter in den Vordergrund.
In den letzten Jahren vergrößerte sich das Angebot an elektronischen Hilfsmitteln immer
mehr. Es entstand zunehmend der Wunsch nach Erfahrungsaustausch im Umgang mit
„nichtsprechenden“ Menschen (vgl. Kristen 1997, S. 19).
Die deutsche Gruppe der ISAAC besteht seit 1990. Sie organisiert den regionalen und überregionalen Erfahrungsaustausch. Seit 1992 finden regelmäßige Fachtagungen zum Thema
statt. An der hohen Teilnehmerzahl dieser Tagungen lässt sich die Relevanz des Fachgebietes erkennen (vgl. Kristen 1997, S. 9).
Auch in der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik wird zunehmend die Bedeutung alternativer und unterstützender Kommunikationsformen erkannt (vgl. Strothmann 1982, S. 103).
Aitken weist darauf hin, dass bei blinden Kindern, die weitere Behinderungen aufweisen,
nicht mehr alleine die Sehschädigung im Vordergrund stehen darf. Sie sieht die Notwendigkeit, mit anderen Fachbereichen, wie AAC, zusammenzuarbeiten (vgl. Aitken 1997, S. 96).
Die Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum beschränken sich allerdings bislang
vorwiegend auf Erfahrungsberichte. Aus allen Artikeln, die ich im Rahmen der Literaturrecherche für meine Arbeit finden konnte, geht hervor, dass gerade in diesem Sonderpädagogischen Fachgebiet noch sehr wenig Erfahrungen mit Unterstützter Kommunikation gemacht
wurden. Die Autoren sprechen sich für einen vermehrten Einsatz des Konzeptes aus. Der
Wunsch nach Austausch mit anderen Betroffenen ist groß (vgl. Hück 1998, S. 542).
5.3
Zielgruppe
Das Konzept der Unterstützten Kommunikation richtet sich an Menschen, die nicht oder
nicht ausreichend über sprachliche Fähigkeiten verfügen. Bei diesem Personenkreis können
die kommunikativen Bedürfnisse mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht zufrieden stellend erfüllt werden (vgl. Kristen 1997, S. 16).
Ursprünglich ging man davon aus, dass eine Person vor Beginn der Kommunikationsförderung eine bestimmte kognitive Stufe erreicht haben muss. Der „nichtsprechende“ Mensch
sollte bereits über ein Symbolverständnis verfügen, um dann ein Kommunikationssystem
nutzen zu können. Diese Ansicht hat sich in den letzten Jahren verändert. Pat Mirenda sagt:
„That is because breathing ist the only prerequesite to communication. Breathing equals life,
and life equals communication“ (Mirenda 1993, S. 3). Die einzige Voraussetzung für die Förderung ist somit, dass ein Mensch atmet. Atmung bedeutet Leben und Leben ist Kommunikation. Vor diesem Hintergrund ist das Symbolverständnis als notwendige Voraussetzung für
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38
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
eine Kommunikationsförderung nicht mehr angemessen. Vielmehr müssen solche Fähigkeiten im Laufe der Therapie angebahnt werden.
Die Ursachen für die unterschiedlichen Sprachprobleme liegen in angeborenen oder erworbenen Schädigungen. Viele Autoren unterscheiden vier Personengruppen:
Menschen mit angeborenen Behinderungen (Zerebralparesen17, geistige Behinderung
„-
u.a.);
Menschen mit einer fortschreitenden Erkrankung (Muskeldystrophie18, Amyothrophe
-
Lateralsklerose19, Multiple Sklerose20, u.a.);
Menschen mit erworbenen Schädigungen durch Unfälle (Schädel-Hirn-Trauma u.a.)
-
oder Schlaganfälle;
Menschen mit vorübergehend eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten (Tracheoto-
-
mie21, Gesichtsverletzungen u.a.)“ (Kristen 1997, S. 15).
Die in dieser Arbeit vorgestellten Jugendlichen sind der ersten Beschreibung zuzuordnen.
Ich gehe von angeborenen Schädigungen aus, die sich bereits im Spracherwerb auswirkten.
Ein nicht unerheblicher Anteil der Gruppe weist eine zusätzliche geistige oder körperliche
Behinderung auf. Diese Kombination von Beeinträchtigungen wirkt sich insgesamt negativ
auf die Kommunikation aus.
Unterstützte Kommunikation spricht grundsätzlich alle Altersgruppen an. Die Heterogenität
des Personenkreises macht eine sehr individuelle Förderung nötig. Die Voraussetzungen
und Möglichkeiten des Einzelnen müssen genau analysiert und berücksichtigt werden (vgl.
Kristen 1997, S. 16).
Die ergänzenden Kommunikationsformen können als ständige bzw. vorübergehende Hilfe
sowie bereits als Unterstützung zum Spracherwerb bei Kleinkindern eingesetzt werden (vgl.
Kristen 1997, S. 15).
5.4
Abgrenzung zur „Gestützten Kommunikation“ (FC= Facilitated Communication)
Rosemary Crossley erprobte die Facilitated Communication in Australien. (vgl. Kristen 1997,
S. 30).
17
Zerebralparese: zerebrale Lähmung in Folge eines kindlichen Hirnschadens (vgl. Pschyrembel 2000)
18
Muskeldystrophie: Muskelerkrankung mit unterschiedlichen Verlaufsformen (vgl. Pschyrembel 2000)
19
Lateralsklerose: fortschreitende Rückbildung des 1. und 2. motorischen Neurons (vgl.
Pschyrembel 2000)
20
Multiple Sklerose: entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems (vgl. Pschyrembel 2000)
21
Tracheotomie: Luftröhrenschnitt (vgl. Pschyrembel 2000)
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39
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
FC darf keinesfalls mit UK gleichgesetzt werden. In der Gestützten Kommunikation berührt
oder stützt ein Helfer Hand, Arm, Ellenbogen oder Schulter des nichtsprechenden“ Menschen. Dadurch wird dieser in die Lage versetzt, auf Bilder oder Buchstaben zu zeigen und
somit zu kommunizieren (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 17). Gestützte Kommunikation ist „vom
Grundsatz her eine Methode, Menschen dabei zu helfen und sie zu befähigen, genau auf
das zu zeigen, was sie zeigen wollen“ (Arnusch/ Pivit 1996, S. 18). FC stellt daher eine mögliche Form im Rahmen der Unterstützten Kommunikation dar (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S.
18).
Das Konzept kommt vorwiegend bei Menschen mit Autismus zum Einsatz. Es führt zwar zu
erstaunlichen Erfolgen, wird aber auch immer wieder in Frage gestellt. Kritiker fürchten, dass
die stützende Person das Schreiben oder Zeigen beeinflusst. Dennoch können mit dieser
Methode „nichtsprechende“ Menschen aus ihrer Isolation befreit werden. Daher sollten die
Erfahrungsberichte nicht unterschätzt werden (vgl. Kristen 1997, S. 31).
5.5
Besonderheiten der Gesprächssituation
Die Gesprächssituation mit „nichtsprechenden“ Menschen unterscheidet sich stark von einer
üblichen Kommunikation. Beiden Gesprächspartnern werden Fähigkeiten abverlangt, die sie
nicht in anderen kommunikativen Begegnungen erlernen können. Wenn diese Vorraussetzungen nicht gegeben sind, verläuft die Kommunikation oft negativ oder scheitert (vgl. Braun
1996a, S. 134).
Es besteht ein „atypisches Rollenverhältnis“ zwischen den Partnern (Braun 1996a, S. 134).
Das Ziel, eine Mitteilung zu machen und diese zu verstehen, ist oft nicht einfach zu verwirklichen. Der sonst passive Zuhörer muss aktiv werden, um die Nachricht des „Nichtsprechenden“ zu entschlüsseln. Das Gespräch erfordert seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sobald der
sprechende Partner den Kopf abwendet, kann er weder die körpereigenen Signale noch die
mit Hilfe einer nicht-elektronischen Kommunikationshilfe „gesprochenen“ Inhalte wahrnehmen. Die Kommunikation ist somit unterbrochen (vgl. Braun 1996a, S. 134).
Eine häufig genutzte Form der nicht-elektronischen Kommunikationshilfen sind z.B. Kommunikationstafeln mit grafischen oder tastbaren Symbolen (siehe 5.6.2.1).
Die Anzahl der Zeichen auf einer Kommunikationstafel ist begrenzt durch die Größe des
Hilfsmittels. Daher hat ein Symbol oft nur eine ungefähre Bedeutung. Das Bild von einem
Haus kann z.B. für drinnen, nach Hause oder auch für ein bestimmtes Gebäude stehen.
Ähnlich wie zu Beginn des Spracherwerbsprozesses werden die Symbole sozusagen „überdehnt“. Der Zuhörer muss mit Hilfe von Ja-Nein-Fragen die eigentliche Bedeutung der Aussage ermitteln (vgl. Braun 1996a, S. 134). Braun nennt diese Form des Gesprächs „Kokonstruktion", d.h. die Äußerungen des sprechenden Partners zielen darauf ab, die sprachlichen Handlungen des Gegenübers zu entwickeln (Braun 1997b, S. 6). Bei diesen Rückfragen kann es zu falschen Schlussfolgerungen kommen und das Gespräch verläuft in eine
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40
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
ungewollte Richtung. Wenn die „nichtsprechende“ Person merkt, dass sie ihre eigentliche
Äußerung nicht vermitteln kann, gibt sie diese im schlimmsten Fall auf (vgl. Braun 1996a, S.
137). Dennoch bietet ein begrenztes Vokabular immer noch mehr Möglichkeiten als eine
reine Ja-Nein-Kommunikation.
Die Situation ist auch für den Nutzer der Kommunikationshilfe nicht ganz einfach. Er muss
zunächst einmal ein geeignetes Symbol für seine Aussage suchen, das auch vom Gegenüber verstanden wird. Das Verneinen oder Bestätigen der Rückfragen des sprechenden
Partners erfordert eine große Aufmerksamkeit. Wenn der „nichtsprechende“ Mensch motorisch eingeschränkt ist, bedeutet ein Gespräch mit vielen Fragen auch eine körperliche Anstrengung (vgl. Braun 1996a, S. 135).
In der Regel ist die Kommunikation mit einer nicht-eingespielten Person kaum möglich. Der
Gesprächspartner benötigt eine Einführung in die speziellen Kommunikationsstrategien.
Daher ist eine Aufgabe der Förderung auch die Anleitung potenzieller Kommunikationspartner (vgl. Braun 1996a, S. 135).
Im Rahmen einer üblichen Unterhaltung werden im Schnitt 120-180 Wörter pro Minute ausgesprochen. Diese Geschwindigkeit ist bei „nichtsprechenden“ Menschen stark herabgesetzt. In der Regel können 2-6 Wörter in einer Minute vermittelt werden (vgl. Braun 1996a, S.
135). Eine motorische Einschränkung erschwert die Ansteuerung der Symbole einer Kommunikationshilfe und verlangsamt somit den Kommunikationsprozess. Die notwendigen
Rückfragen setzen ebenfalls die Geschwindigkeit herab (vgl. Braun 1996a, S. 135).
Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Kommunikationspartner. Wir erleben in der Regel
bereits Gesprächspausen von mehr als drei Sekunden als unangenehm. Mit einer Kommunikationshilfe können minutenlange Unterbrechungen entstehen. Da solche Situationen ungewohnt sind, fühlen sich die sprechenden Partner während dieser Zeit oft unwohl. Es kann
zu Irritationen kommen, da nicht klar ist, ob der andere noch etwas sagen möchte (vgl.
Braun 1996a, S. 136). Häufig versucht die sprechende Person in diesem Fall wieder einen
Rollentausch vorzunehmen und selbst ans Sprechen zu kommen. In einem üblichen Dialog
wechseln sich die beiden Gesprächspartner regelmäßig ab. Sie können aber trotzdem jeweils mehrere Mitteilungen machen. Der „nichtsprechende“ Mensch hat meist nur die Möglichkeit, eine knappe Aussage zu vermitteln. Um Zeit zu sparen, antwortet er teilweise im
Telegrammstil, statt in vollständigen Sätzen. Einige Inhalte werden gar nicht vermittelt, da
ihre Ausführung zu lange dauern würde (vgl. Braun 1996a, S. 136). Spontane Kommentare,
Witze und situationsbezogene Äußerungen sind kaum möglich (vgl. Braun 1996a, S. 136).
Bei dem Personenkreis der „nichtsprechenden“ Menschen finden wir häufig veränderte Signale für einen Dialogaufbau. Körperliche Einschränkungen oder eine starke Sehbehinderung
können dazu führen, dass kein direkter Blickkontakt zum Gegenüber aufgenommen wird. In
einem üblichen Kommunikationsprozess verdeutlichen die Gesprächspartner den Wechsel
der Rollen durch Blickzuwendung und Stimmsenkung etc. Wenn diese Signale fehlen, weiß
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41
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
der Sprechende nicht, ob sein Gegenüber noch etwas sagen möchte (vgl. Braun 1996a, S.
137). Andererseits verleihen undeutliche Signale dem Kommunikationspartner auch eine
gewisse Macht. Er kann bestimmen, ob er auf eine Äußerung eingeht oder sie einfach absichtlich „nicht wahrnimmt“. Braun bezeichnet dies als „Unterbewertung“ (Braun 1996a, S.
140). Vor allem bei Kommunikationshilfen ohne Sprachausgabe kann dies schnell passieren.
Auf die Missachtung eines Zeichens erfolgt selten ein hörbarer Protest. Bei Geräten mit
Sprachausgabe kann eine Mitteilung nicht so einfach übergangen werden. (vgl. Braun
1996a, S. 139).
Eine andere extreme Reaktion ist die „Überbewertung“. Sie bezieht sich vorwiegend auf
Beschimpfungen oder andere unangenehme Aussagen, die den sprechenden Partner direkt
betreffen. Braun nimmt an, dass solche Mitteilungen als besonders schlimm gesehen werden, weil der Angesprochene bei nicht-elektronischen Hilfsmitteln sozusagen seine eigene
Beschimpfung aussprechen muss. Außerdem stehen diese Aussagen im Widerspruch zu
dem üblichen Bild eines „nichtsprechenden“ Menschen. Er wird normalerweise als hilflos und
dankbar gesehen. Wenn diese Person plötzlich negative Äußerungen macht, dann zerstört
sie damit dieses Menschenbild. Sie gilt als undankbar, weil sie sich für die viele Mühe nicht
erkenntlich zeigt (vgl. Braun 1996a, S. 140).
Weitere Probleme im Kommunikationsprozess ergeben sich aus der mangelnden Kenntnis
kommunikativer Regeln beim „nichtsprechenden“ Menschen. Bestimmte Prinzipien werden
diesen Personen oft nicht vermittelt, da sie nicht sprechen können. Sie lernen häufig nicht,
dass auf eine Frage immer eine Antwort erwartet wird. Auch grundlegende Prinzipien des
Dialogverhaltens, wie Turn-Taking22, haben sie oft nicht gelernt. Solche Regeln können in
der Kommunikationsförderung nicht vorausgesetzt werden. Sie sind im Rahmen einer Förderung zu entwickeln (vgl. Braun 1996a, S. 138).
Diese Aspekte machen deutlich, dass die Kommunikation mit „nichtsprechenden“ Menschen
von beiden Partnern Geduld, gegenseitiges Verständnis und Einfühlungsvermögen verlangt
(vgl. Braun 1996a, S. 135). Die grundlegenden Voraussetzungen für ein Gelingen des
Kommunikationsprozesses liegen daher im Verhalten des sprechenden Partners. Entscheidend ist seine Einstellung zum Gegenüber (vgl. Kristen 1992, S. 30). Es genügt nicht, die
Förderung auf die „nichtsprechende“ Person zu beschränken. Vielmehr ist es nötig, das Umfeld mit seinen Grenzen und Möglichkeiten einzubeziehen. Bei den sprechenden Bezugspersonen sollen Voraussetzungen geschaffen werden, die eine effektive Kommunikation
ermöglichen. Bei den potenziellen Gesprächspartnern muss die Wahrnehmung für die nonvokalen Äußerungen geschärft werden (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 16).
22
Turn-Taking: Sprecherwechsel während des Kommunikationsprozesses (vgl. Franzkowiak
1996, S. 60)
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42
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Die Basis für eine erfolgreiche Beziehung in der Unterstützten Kommunikation ist ein humanistisches Menschenbild. Man geht davon aus, dass jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt und in einem gewissem Sinn Eigenverantwortlichkeit hat (vgl. Kristen 1992, S.
30).
Als Grundlage für die Kommunikationsförderung dient daher der humanistische Ansatz der
personenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers. Dabei werden besonders die drei
Rogers-Variablen als Basis für die Unterstützte Kommunikation betont (vgl. Kristen 1997, S.
54):
Empathie:
-
Der sprechende Kommunikationspartner soll versuchen, sein Gegenüber zu verstehen.
Er fühlt sich in den „nichtsprechenden“ Menschen ein und versucht, möglichst alle Signale zu erfassen. (vgl. Kristen 1992, S. 32).
Achtung/ Wertschätzung/ Akzeptanz:
-
Der sprechende Partner nimmt den anderen ernst, seine Meinung wird akzeptiert (vgl.
Kristen 1992, S. 32). Akzeptanz meint das „unbewertete Erfassen dessen, was ein
Mensch ausdrücken möchte“ (vgl. Kristen 1993, S. 19).
Authentizität/ Echtheit:
-
Alles, was gesagt wird, soll ernst gemeint sein. Die Gefühle der Kommunikationspartner
sollen möglichst mit den Aussagen übereinstimmen. Probleme, die in der zwischenmenschlichen Beziehung der beiden auftreten, werden angesprochen (vgl. Kristen 1993,
S. 19).
Darüber hinaus gibt es noch andere Voraussetzungen, die sich auf den Kommunikationsprozess auswirken. Der sprechende Partner muss sich Zeit für ein Gespräch nehmen und
ein echtes Interesse zeigen. Alternative Kommunikationsformen können nicht zwischen „Tür
und Angel“ genutzt werden, da z.B. die Auswahl eines Symbols oft langwierig ist. Auch wenn
der „nichtsprechende“ Partner lange braucht, um einen Gedanken zu formulieren, ist es
wichtig ihn ausreden zu lassen. Insgesamt ist eine möglichst normale Behandlung das oberste Ziel. Dazu gehört auch ein angemessener Sprachstil. Der so genannte Baby-Talk23 ist
bei „nichtsprechenden“ Jugendlichen oder Erwachsenen nicht angebracht (vgl. Magenreuter
1994, S. 17).
5.6
Kommunikationsformen im Rahmen Unterstützter Kommunikation
Kristen unterscheidet zwischen Kommunikationsformen und Kommunikationsfunktionen. Die
Formen oder Modi sind alle direkt erfahrbaren Elemente im Kommunikationsprozess. Funk23
Baby-Talk: Ansprache, die gegenüber Kleinkindern genutzt wird. Sie zeichnet sich durch
eine hohe Stimmlage und stark vereinfachte Sätze aus (vgl. Szagun 1996, S. 187).
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43
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
tionen sind die Absichten, die eine Person mit ihrer Äußerung verbindet. Mit einem Modus
können verschiedene Funktionen vermittelt werden. Umgekehrt kann eine Absicht immer auf
verschiedene Arten ausgedrückt werden (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 12). In der Regel kombinieren wir mehrere Formen miteinander. Dies macht sich die Unterstützte Kommunikation
zu Nutze. Sie versteht sich als Ansatz der totalen Kommunikation (siehe Abbildung 4) und
bezieht alle möglichen Kommunikationsmodi mit ein (vgl. Braun 1997b, S. 22). Wenn konventionelle Ausdrucksformen nicht möglich sind, können individuelle Zeichen erarbeitet werden. Man unterscheidet zwischen körpereigenen und extern unterstützten Kommunikationsformen (vgl. Braun 1997b, S. 22).
Beim Einsatz neuer Kommunikationsformen dürfen bereits bestehende Formen nicht verdrängt werden. Wenn eine Person bislang immer „heiß“ für „Ja“ geäußert hat, muss dieses
Zeichen nach wie vor anerkannt werden. Sobald eine alternative Form vereinbart wurde, gilt
es diese zu verstärken, wenn sie genutzt wird (vgl. Braun 1993, S. 26).
verbal
non-verbal
Stimmlich
Lautsprache, elektronische Hilfsmittel
Laut- oder Gefühlsäußerun-
(vokal)
mit Sprachausgabe
gen, Schreie, Weinen, Summen, Kichern, Murren, Wimmern
nicht-stimmlich
(non-vokal)
Schrift, Symbolsprachen (Gebärden,
24
Bilder, Piktogramme )
Mimik, Gestik, Anfassen,
Körperbewegungen, Gucken,
Körperhaltung
Abbildung 4: Kommunikationsmodi (entnommen aus: Lingen 1994, S. 8, hervorgehobene
Begriffe wurden ergänzt)
5.6.1
Körpereigene Kommunikationsmodi
Körpereigene Formen sind dynamisch, d.h. sie existieren nur für kurze Zeit. Der Benutzer
muss sie immer wieder neu hervorbringen. Die Produktion dynamischer Symbole erfordert
bestimmte motorische Fähigkeiten (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 19). Auch in einer alltäglichen Gesprächssituation nutzen wir solche Formen als Ergänzung zur Lautsprache.
Die körpereigenen Modi lassen sich in allgemein gebräuchliche und kompensierende Formen unterteilen (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 19).
Allgemein gebräuchliche Formen der körpereigenen Kommunikation sind, neben der gesprochenen Sprache, Mimik und Gestik. Diese verstärken oder mildern die verbalen Äuße24
Piktogramm: vereinfachte Darstellung von einem Gegenstand, die eine bestimmte Information vermittelt (vgl. Duden 1997)
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44
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
rungen. Auch bei „nichtsprechenden“ Menschen können solche Mittel eingesetzt werden.
Nicken und Kopfschütteln als Zustimmung oder Ablehnung und Mimik zum Ausdruck der
Gefühle sind prinzipiell möglich. Sie sind aber kein ausreichender Ersatz für die Lautsprache, da komplexe Mitteilungen nicht allein über Mimik und Gestik vermittelt werden können.
Bei vielen Menschen „ohne Lautsprache“ ist außerdem die Verwendung der konventionellen
Mittel durch eine körperliche Einschränkung erschwert. Die Mimik kann oft nicht genügend
kontrolliert werden und vermittelt einen falschen Eindruck (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 19).
In diesem Fall ist der Einsatz von kompensierenden körpereigenen Kommunikationsformen
hilfreich. Man kann für jede Person individuelle Zeichen vereinbaren, die der Verständigung
dienen.
Die Verabredung von Ja-Nein-Zeichen ist sehr nützlich. Durch Gesten wie Augenzwinkern
o.ä. kann auch eine Person mit körperlichen Einschränkungen Zustimmung und Ablehnung
zeigen (vgl. Braun 1996b, S. 4). „Zeigegesten“ mit den Augen oder mit dem Kopf statt mit
Hilfe des Armes erleichtern ebenfalls den Kommunikationsprozess. Auch Gebärden zählen
zu den körpereigenen Kommunikationsmodi (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 20). Weiterhin gibt
es im Bereich der Schriftsprache die Möglichkeit, Buchstaben mit verschiedenen Körperteilen, z.B. dem Kopf, in die Luft zu schreiben (vgl. Weid-Goldschmidt 1994, S. 7).
5.6.1.1
Ja-Nein-Zeichen
Nichtbehinderte haben vielfältige Möglichkeiten, Ja und Nein durch non-vokale oder vokale
Zeichen auszudrücken. Menschen mit Behinderungen verfügen meist nur über wenige dieser Strategien. Dies kann den Kommunikationsprozess erheblich erschweren (vgl. Volbers
1992, S. 4).
Arnusch/ Pivit stellt drei Gruppen von „nichtsprechenden“ Menschen vor, bei denen die Anbahnung von Ja-Nein-Zeichen sinnvoll erscheint:
„-
die nichtsprechende Person verfügt über keine Ausdrucksmöglichkeiten für JA und/ oder
NEIN
-
JA und/ oder NEIN ist bereits vorhanden, allerdings nur von einem begrenzten Personenkreis kontextabhängig/ -unabhängig zu verstehen (hoher Individualisierungsgrad)
-
JA und/ oder NEIN hat eine Form, die von der personalen Umwelt dauerhaft nicht akzeptiert werden kann (z.B. lautes, andauerndes Schreien als Artikulation für NEIN)“ (Arnusch/ Pivit 1996, S. 41)
Volbers unterscheidet zwischen Antworten auf intentionale bzw. assertive Fragen. Bei intentionalen Fragen, z.B. „Willst du x?“, kann x ein Objekt oder eine Handlung sein. Die Frage
zielt auf etwas Subjektives. Die Antwort darauf entspricht sozusagen einer Handlung. Ja
steht für Zugreifen und Nein für Abwehren. Diese Gesten können auch leicht als Ersatz für
ein lautsprachliches Ja bzw. Nein eingesetzt werden (vgl. Volbers 1992, S. 4). Eine assertive
Frage, z.B. „Stimmt es, dass x?“, möchte den Wahrheitswert der Aussage x ermitteln. Ges-
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45
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
ten sind hier nur verständlich, wenn vorher eine Bedeutung vereinbart wurde (vgl. Volbers
1992, S. 4).
Bei beiden Frageformen ist eine direkte oder indirekte Antwort möglich. Bei der direkten
Reaktion ist in der Antwort das jeweilige Symbol für Ja oder Nein enthalten. Es muss nicht
das lautsprachliche Wort sein, sondern kann auch durch ein Bildsymbol oder eine Geste
repräsentiert werden. Indirekte Antworten können aus dem Inhalt erschlossen werden. Die
Synonyme, die Aufschluss über die Antwort geben, unterscheiden sich bei assertiven und
intentionalen Fragen. Eine intentionale Reaktion kann „Ja, bitte“ oder „Nein, danke“ sein.
Assertiv sind die Antworten „Ja, stimmt“ oder „falsch“ möglich (vgl. Volbers 1992, S. 4).
Assertive Antworten können nur symbolisch ausgedrückt werden. Es müssen konventionelle, d.h. einheitliche Vereinbarungen mit dem Gesprächspartner getroffen werden, damit auch
individuelle Signale verständlich sind. Durch solche Abmachungen wird ein Zeichen wiederum zum Symbol (vgl. Adam 1993, S. 7). Wenn keine Verabredung von Signalen stattfindet,
ist die Antwort meist nicht eindeutig zu verstehen. Auf die Frage „Hast du Schmerzen?“,
kann z.B. eine traurige Miene als Ja verstanden werden: „Ja, mir geht es schlecht, das sieht
man doch.“ Andererseits könnte es auch bedeuten: „Nein, ich habe keine Schmerzen“ (Volbers 1992, S. 5). Abbildung 5 zeigt mögliche Ausdrucksformen für Zustimmung und Ablehnung bei assertiven und intentionalen Fragen.
Ja- bzw. Nein-Signale ermöglichen mit geübten Partnern eine einfache und auch effektive
Kommunikation. Wenn sich die Partner nicht gut kennen, besteht aber die Gefahr, dass ungünstige Fragen gestellt werden. Dann ist ein Gespräch oft frustrierend, da die gewünschten
Mitteilungen nicht gemacht werden können. (vgl. Braun 1996b, S. 4).
Für die Verwendung einer Kommunikationstafel o.ä. mit Partnerscanning25, ist ein eindeutiges Ja-Signal nötig. Darüber kann die richtige Zeile bzw. das richtige Feld bestimmt werden.
Außerdem bietet ein Nein-Signal die Möglichkeit zu zeigen, wenn ein falsches Symbol gewählt wurde (vgl. Braun 1996b, S. 7).
Dennoch gibt es auch einige Menschen, die keine Ja-Nein-Antwortstrategien entwickeln.
Wie bereits in 3.1.1.2 erwähnt gibt es vielfältige kommunikative Absichten, die bereits von
dem Erwerb klarer Ja-Nein-Symbole vermittelt werden. Für solche Menschen gilt es, spezielle Fragestrategien zu entwickeln. Eine „nichtsprechende“ Person, die nicht mit Ja oder Nein
antworten kann, ist vielleicht in der Lage, auf die Frage, „Wer möchte etwas trinken?“ mit
„Ich“ zu antworten. Sodass indirekt auch eine Reaktion erzielt wird.
25
Partnerscanning: Auswahlverfahren, das mit Hilfe eines Kommunikationspartners durchgeführt wird. (siehe 5.6.4.1)
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46
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Kognition
Nicht-symbolischer Ausdruck
Symbolischer Ausdruck
referenzielle
natürliche Ausdrucksbewegung Geste
direkt
indirekt
Zustimmung.
Nicken „Ja (bitte)“.
Zustimmung: x!
Ablehnung:
Kopfschütteln,
„Nein (danke)“.
Ablehnung: y!
Zustimmung:
Nicken „Ja
(stimmt)“.
Zustimmung: x!
Ablehnung:
Kopfschütteln,
„Nein (falsch)“.
Ablehnung: y!
Zustimmung:
Zustimmung:
Zeigen oder
freudiger Gesichtsausdruck, gucken auf x
(x= Gegenstand entsprechende
oder Handlung) Körperbewegungen und Laute.
INTENTION
„Willst du x?
Ablehnung:
Abwehrgestik
und -mimik,
Schreien.
ASSERTION
„Stimmt es,
dass x?“
(x= Aussage)
Ablehnung:
Zeigen oder
gucken auf y
oder weggucken
von x.
geht nicht
Abbildung 5: Ausdrucksformen für Ja und Nein (modifiziert nach: Volbers 1992, S. 5)
5.6.1.2
Gebärden
Eine Form der körpereigenen Kommunikation sind Gebärden. Dies sind Bewegungen, die
eine konventionelle Bedeutung haben. Dadurch unterscheiden sie sich von individuellen
Gesten (vgl. Adam 1993, S. 7). Gebärden können unterschiedliche Funktionen haben.
Gangkofer benutzt den Oberbegriff visumotorische Zeichen für alle Symbole, die mit den
Händen oder Armen produziert werden und eine konventionelle Bedeutung haben. Der Wert
solcher Zeichen ist sehr unterschiedlich. Ein Zeichen kann einen Laut, einen Buchstaben
oder ein ganzes Wort repräsentieren (vgl. Gangkofer 1992, S. 401).
Den Bereich der in Deutschland gebräuchlichen visumotorischen Zeichen gliedert Gangkofer
in die Deutsche Gebärdensprache (DGS), lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) und
Handzeichen für Geistigbehinderte (vgl. Gangkofer 1992, S. 402).
Die DGS ist eine eigenständige Sprache und somit gleichwertig mit der Lautsprache. Sie hat
eine eigene Grammatik und Syntax26, die sich von der gesprochenen Sprache unterscheidet.
26
Syntax: Die Lehre vom Satzbau, d.h. der Verbindung von Wörtern und Wortgruppen zu
Sätzen (vgl. Duden 1997).
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47
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Bei der Deutschen Gebärdensprache ergeben die Bewegungen der Hand und des Mundes
zusammen mit der Mimik einen Gesamteindruck. Ein Zeichen enthält im Durchschnitt zwei
Informationen. Die Kommunikationsgeschwindigkeit ist somit genauso hoch, wie beim
Gebrauch der Lautsprache (vgl. Gangkofer 1992, S. 402).
Die lautsprachbegleitenden Gebärden dienen als zusätzlicher visueller Input zur Sprache.
Sie sind abgeleitet von der DGS. Lautsprachgebärden benutzen die gleiche Syntax wie die
gesprochene Sprache. Daher können sie parallel zu dieser dargeboten werden. Das Ausführen einer Gebärde nimmt mehr Zeit in Anspruch als das Sprechen eines Wortes. Somit verlangsamt die Benutzung dieser Symbole den Gesprächsfluss. Für Menschen mit geistiger
Behinderung kann das von Vorteil sein (vgl. Gangkofer 1992, S. 403).
Als Handzeichen für geistig Behinderte entstanden in den letzten Jahren vielfältige Gebärdensammlungen. Sie sind teilweise von den DGS übernommen, vereinfacht oder neu erfunden. Die Handzeichen sind ebenfalls parallel zur Sprache einsetzbar und folgen der gleichen
Syntax. Nachteilig ist die vorweggenommene Vereinfachung. Dadurch ist die sprachliche
Kompetenz des Nutzers von Anfang an eingeschränkt (vgl. Gangkofer 1992, S. 403). Gangkofer spricht sich für den einheitlichen Einsatz der LBG bei allen betroffenen Personen aus.
Diese Gebärden sind allgemein verständlich. Eine Vereinheitlichung würde auch den problemlosen Wechsel von einer Einrichtung in eine andere ermöglichen, ohne dass erneut
Kommunikationsprobleme aufträten. Die lautsprachbegleitenden Gebärden bieten außerdem
die Möglichkeit, später die DGS zu nutzen (vgl. Gangkofer 1992, S. 404).
Das Fingeralphabet ermöglicht die Darstellung der einzelnen Grapheme27 mit Hilfe der Hände, es gilt aber nicht als eigenes System (vgl. Gangkofer 1992, S. 404) (siehe Abbildung 6).
Mit der DGS ist ein komplexes Gespräch möglich, unter der Voraussetzung, dass der Gesprächspartner die Zeichen kennt (vgl. Pickl 1994, S. 34). Gebärden können Personen mit
einer geistigen Behinderung das Sprachverständnis und den Weg zu Sprache erleichtern
(vgl. Braun 1996b, S. 5).
Bei blinden Menschen ist das visuelle Erfassen einer Gebärde nicht möglich. Durch Abtasten
können sie die Form einer Gebärde erfassen und nachahmen, dies erfordert aber einen sehr
ausgeprägten Tastsinn. Ein Großteil des hier dargestellten Personenkreises wird, auf Grund
einer zusätzlichen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung, nicht in der Lage sein, die
Gebärdensprache zu benutzen. Daher empfiehlt auch van Dijk in diesem Fall ein anderes
Kommunikationssystem (vgl. van Dijk 1982, S. 492).
In der Arbeit mit Taubblinden wurde das Lormalphabet entwickelt. Hierbei werden Buchstaben durch Punkte, Striche und verschiedene taktile Zeichen in die Hand gelormt. Der Kom-
27
Graphem: Kleinstes bedeutungsunterscheidendes grafisches Symbol, das einen oder
mehrere Laute wiedergibt (vgl. Duden 1997).
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48
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
munikationspartner stellt die Buchstaben durch bestimmte, definierte Berührungen der Hand
dar (siehe Abbildung 7).
Auch dieses System erfordert erhebliche taktile und feinmotorische Fertigkeiten, die ein
Großteil des hier vorgestellten Personenkreises nicht hat. Da dieses System auf der Grundlage einzelner Grapheme arbeitet, ist eine Kommunikation, die ausschließlich mit Hilfe des
Lormalphabetes geschieht, äußerst langwierig. Darüber hinaus setzt die Verwendung dieses
Zeichensystems die Schriftsprachkompetenz voraus.
Abbildung 6: Das Fingeralphabet
Abbildung 7: Das Lormalphabet
(entnommen aus: Jussen 1994, S. 256)
(entnommen aus: Grauel 1985, S. 442)
5.6.1.3
Vor- und Nachteile körpereigener Kommunikationsformen
Körpereigene Formen können jeder Zeit eingesetzt werden. Mit eingespielten Kommunikationspartnern ist eine effektive und schnelle Interaktion möglich. Nicht-eingespielte Personen
haben oft Schwierigkeiten, solche Signale zu verstehen.
Die Zeichen sind dynamisch, d.h. sie stehen nur in dem Moment zur Verfügung, in dem sie
produziert werden. Vom Benutzer wird eine hohe Gedächtnisleistung verlangt, da die Anwendung eines Zeichens immer die Erinnerung an seine Form voraussetzt (vgl. Arnusch/
Pivit 1996, S. 20).
Über körpereigene Modi können grobe Gefühlsäußerungen vermittelt werden (vgl. Franzkowiak 1990, S. 12ff). Die Inhalte einer solchen Kommunikation bleiben auf gegenwärtige Ereignisse beschränkt. Vergangenes und Zukünftiges ist nicht vermittelbar. Der „nichtsprechende“ Mensch befindet sich mit diesen Zeichen in einer großen Abhängigkeit, da er selbst
kaum ein Gespräch initiieren kann. Er ist auf die Geduld, das Einfühlungsvermögen und vor
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49
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
allem den Blickkontakt seines Gegenübers angewiesen. Fragen sind lediglich in begrenztem
Umfang möglich (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 21). Nur, wenn der Partner die Signale aufmerksam beobachtet und richtig deutet, kann die Kommunikation gelingen (vgl. Arnusch/
Pivit 1996, S. 21).
Bei blinden Menschen „ohne Lautsprache“ kann das Erlernen einzelner einfacher Gesten
oder Gebärden möglich sein. Bei der Einführung solcher Zeichen, sollte das Symbol zunächst immer mit der Handlung direkt in einen Zusammenhang gebracht werden. Dies erleichtert das Erlernen. Der Bewegungsablauf muss genau erlernt werden, da der Person bei
der Ausführung die eigene visuelle Kontrolle fehlt. Die Gebärden sollten nach Möglichkeit am
Körper enden, um die Produktion zu erleichtern. Bei blinden Menschen muss man sich auf
Signale beschränken, die sich in ihrer Ausführung möglichst gut unterscheiden. Bei diesem
Personenkreis können z.B. Ja-Nein-Signale und dringende Botschaften, wie „Ich muss auf
die Toilette“, „Ich verstehe dich nicht“ etc. mit Hilfe körpereigener Formen vermittelt werden.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass die blinde Person sich nicht vergewissern kann, ob ihr
Gesprächspartner aufmerksam ist. Die Kommunikation über körpereigene non-vokale Signale ist nur möglich, so lange der Gesprächspartner den Blickkontakt hält. In diesem Sinne
sind solche Kommunikationsformen bei blinden Menschen nur als Ergänzung zu weiteren
Hilfsmitteln zu sehen.
5.6.2
Extern unterstützte Kommunikationsformen
Hierbei unterscheidet man zwischen nicht-elektronischen und elektronischen Kommunikationshilfen. Externe Kommunikationsformen benutzen so genannte statische Symbole. Diese
sind stets vorhanden und müssen vom Nutzer nur wiedererkannt und ausgewählt, aber nicht
selbst produziert werden. Für körperbehinderte Menschen sind solche Formen in der Regel
einfacher zu nutzen als dynamische (vgl. Franzkowiak 1990, S. 12). Auch die Berichte über
Kommunikationsförderungen bei blinden mehrfachbehinderten Kindern zeigen, dass vor
allem der Einsatz elektronischer Kommunikationshilfen diesen Personen ein Stück Selbstständigkeit ermöglicht (vgl. Aitken/ McDevitt 1995, S. 8).
5.6.2.1
Nicht-elektronische Kommunikationshilfen
Nicht-elektronische Hilfsmittel sind relativ einfach herzustellen. Es bieten sich vielfältige
Möglichkeiten an, ein System individuell auf den Benutzer abzustimmen. Reale Objekte sowie Miniaturen von Gegenständen, Fotos oder grafische Symbole können in Form von
Kommunikationsbüchern, -tafeln, -kästen etc. organisiert werden (vgl. Braun 1996b, S. 6).
Reale Objekte und Miniaturen
Gegenstände, mit denen die Person ständig umgeht, werden als Symbol für bestimmte Aktivitäten o.ä. verwendet. Im Rahmen der Unterstützten Kommunikation setzt man sie vielfach
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50
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
bei stark entwicklungsbeeinträchtigten und autistischen Personen ein. Mit Hilfe solcher Objekte oder grafischer Symbole können individuelle Tagespläne erstellt werden. Diese helfen,
den Tag zu strukturieren und Veränderungen vorherzusehen. Häufig reduziert sich auffälliges Verhalten, das in Veränderungssituationen als Zeichen der Unsicherheit auftritt, durch
den Einsatz solcher Pläne. Der „nichtsprechende“ Mensch kann außerdem ein Stück Autonomie erhalten, wenn er die Gelegenheit bekommt, einzelne Bereiche des Tages nach seinen Wünschen zu gestalten und dies auf einem Tagesplan festzuhalten. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Objekten als Merkhilfe, z.B. als Einkaufszettel (vgl. Mirenda 1994,
S. 19ff).
Adam Ockelford arbeitet mit mehrfachbehinderten blinden Kindern mit so genannten Objects
of References. Dies sind einfache Gegenstände, für die eine bestimmte Bedeutung vereinbart wurde. Wie normale Wörter repräsentieren die Objekte Aktivitäten, Orte und Menschen
(vgl. Ockelford 1994, S. 4f). Sie werden damit zum Symbol für etwas. Das Objekt kann ein
Teil des Gemeinten, z.B. ein Plastikball für „Bällchenbad“, oder ein wichtiges Hilfsmittel für
eine Aktivität sein, z.B. Geld für das Wort „einkaufen“. Der repräsentierte Begriff und das
Object of Reference müssen nicht zwangsläufig Gemeinsamkeiten in Farbe, Form oder Oberflächenbeschaffenheit aufweisen. Eine Bedeutungszuweisung entsteht durch Assoziationen. Daher benutzen verschiedene Personen unterschiedliche Objekte für denselben Begriff, bzw. ein Objekt kann bei unterschiedlichen Kindern eine andere Bedeutung erhalten.
Dies macht deutlich, dass Objects of References immer individuell sind (vgl. Ockelford 1994,
S. 6f).
Ockelford setzt Objects of Reference bei Kindern mit Sehschädigung als Gedächtnisstütze
oder als Verstehenshilfe ein. Später werden sie auch als Kommunikationsmittel genutzt (vgl.
Ockelford 1994, S. 8). Für den erfolgreichen Einsatz sind einige Voraussetzungen nötig, die
im Laufe der Arbeit angebahnt werden können:
-
Die Objekte sollen auf Grund taktiler Reize unterschieden werden können, d.h. das Kind
muss eine gewisse taktile Erfahrung mitbringen.
-
Die Person muss erkennen, dass ein Objekt für etwas steht.
-
Die Person muss sich an die Bedeutung erinnern können (vgl. Ockelford 1994, S. 9f).
Im Umgang mit mehrfachbehinderten Kindern schlägt Ockelford multisensorische Objekte
vor. Dies sind Gegenstände, die verschiedene Sinne ansprechen. Sie bieten taktile, olfaktorische28 oder auch akustische Reize. Bei Kindern mit Sehrest ist darüber hinaus eine farbliche Markierung sinnvoll (vgl. Ockelford 1994, S. 10).
Auswahl und Einführung erster Objekte
28
olfaktorisch: den Geruchssinn betreffend (vgl. Duden 1997)
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51
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Grundsätzlich folgt die Auswahl der Objekte den gleichen Prinzipien wie die Bestimmung
eines ersten Vokabulars für eine andere Kommunikationshilfe (siehe 5.6.6).
Die Wahl des ersten Objektes richtet sich nach den Interessen des Kindes. Die Bedeutung
sollte sich auf eine Lieblingstätigkeit der Person beziehen. Das Symbol ist einem alltäglichen
Bereich zu entnehmen, damit es in der täglichen Kommunikation eingesetzt werden kann.
So macht das Kind erste Erfahrungen mit Kommunikation und prägt sich die Bedeutung des
Symbols ein (vgl. Ockelford 1994, S. 10). Der erste Gegenstand ist so zu wählen, dass eine
direkte Verbindung zwischen ihm und seiner Bedeutung besteht, z.B. eine Tasse für „trinken“. Das Objekt soll charakteristisch und attraktiv für die Person sein und somit das Verstehen erleichtern. Zur Einführung ist es nötig, im Anschluss an das Symbol sofort die jeweilige
Aktivität folgen zu lassen. Auf diese Weise lernt der Schüler, einen Gegenstand mit der Bedeutung zu verknüpfen (vgl. Ockelford 1994, S. 12).
Die Einführung weiterer Objekte kann unterschiedlich verlaufen. Ockelford stellt einige
Grundsätze vor, die dabei zu beachten sind:
-
Die Objekte sollten sich möglichst gut im Aussehen, in ihrer Oberflächenbeschaffenheit
und ihrer Bedeutung unterscheiden.
-
Es sollten motivierende Gegenstände gewählt werden.
-
Die Abstraktheit der verwendeten Symbole ist nicht alleine abhängig von den die kognitiven Fähigkeiten der Person. Durch die direkte Verknüpfung eines abstrakten Symbols
mit einer Handlung, können auch bei kognitiv eingeschränkten Menschen weniger anschauliche Symbole eingesetzt werden (vgl. Ockelford 1994, S. 12).
Sobald das Kind das Prinzip verstanden hat, können die Objekte verkleinert oder vereinfacht
werden, um Platz zu sparen. Zunächst bietet man ein immer kleineres Stück des ursprünglichen Gegenstandes dar. Der Schüler soll lernen, dass es immer noch die gleiche Bedeutung
hat. Diese verkleinerten Objekte können dann auf Karten geklebt und in Buchform angeordnet werden (siehe Abbildung 8) (vgl. Ockelford 1994, S. 14). Später ist es möglich, die Darstellungen mit Hilfe einer Tiefziehpresse aus Plastik herzustellen. Bei dieser Darstellung
erfordert das Wiedererkennen ein großes Abstraktionsvermögen, das nicht alle Personen
leisten können (vgl. Ockelford 1994, S. 16).
Im Laufe der Zeit soll das Symbol von der direkten Handlung gelöst werden. Es ist möglich,
das verkleinerte Objekt als Ankündigung, z.B. auf einem Stundenplan, zu nutzen. Damit
kann das Kind den Tagesablauf erkennen und ist auf Veränderungen vorbereitet (vgl. Ockelford 1994, S. 19). Zur Anordnung der Symbole schlägt Ockelford Schubfächer vor, die nach
Ende einer Phase geschlossen werden können (vgl. Ockelford 1994, S. 19). Dies ist natürlich nur eine mögliche Form. Die Objekte können ebenso platzsparender und kostengünstiger auf einer Fußmatte mit Klettband befestigt und nach Beendigung einer Aktivität abgenommen werden.
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52
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Abbildung 8: Schrittweise Reduktion des Objektes (entnommen aus:
Ockelford 1994, S. 15)
Objects of Reference als Kommunikationsmittel
Man beginnt zunächst mit zwei Objekten. Der „nichtsprechende“ Mensch darf eines auswählen und sich damit für etwas entscheiden. Die Aussage wird gemacht, indem das Kind auf
einen Gegenstand zeigt oder diesen in die Hand nimmt. Im Laufe der Zeit kann die Anzahl
der Wahlmöglichkeiten gesteigert werden (vgl. Ockelford 1994, S. 21).
Die Nutzung von Objects of References schließt andere Kommunikationsformen, z.B. körpereigene oder elektronische Hilfen, nicht aus. Es ist z.B. denkbar, die Tasten eines elektronischen Sprachgerätes mit solchen Objekten zu markieren. So erfolgt auf die Auswahl eines
Symbols gleichzeitig eine akustische Rückmeldung und der blinde Nutzer weiß sofort, ob er
das gewünschte Objekt gewählt hat (vgl. Ockelford 1994, S. 31).
Jedes Symbol sollte beschriftet werden. Zum einen mit Moon- oder Braille-Schrift (je nach
Kenntnissen des Kindes) und zum anderen mit Schwarzschrift, sodass auch fremde Personen die Bedeutung verstehen. Jedes neue Symbol sollte vom Schüler selbst aus einer Reihe
von Möglichkeiten ausgewählt werden. Dies erleichtert das Verständnis und erhöht die Motivation (vgl. Ockelford 1994, S. 24).
Die Auswahl erster Objekte ist sehr sorgfältig zu planen. Dazu ist ein Austausch mit möglichst vielen Bezugspersonen nötig. Ein eingeführtes Symbol kann in seiner Bedeutung nicht
mehr verändert werden. Alle Objekte sollen nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause
genutzt werden. Nur so erkennt das Kind die Bedeutung der Symbole (vgl. Ockelford 1994,
S. 25).
Fotos, Bilder und grafische Symbole
Ein Bild oder Foto wird zum Symbol, sobald eine Bedeutung des Bildes vereinbart wurde
(vgl. Adam 1993, S. 7).
Fotos, Bildkarten oder grafische Symbole können zu Kommunikationshilfen zusammengestellt werden. Ihre Anordnung richtet sich nach den individuellen motorischen und kognitiven
Fähigkeiten des Nutzers. Die Gliederung muss einsichtig für den „nichtsprechenden“ Menschen sein, damit ein Wiederfinden der Symbole gewährleistet ist. Die Art der Bilder ist an
die kognitiven Möglichkeiten der Person anzupassen. Für die Auswahl eines ersten Vokabu-
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53
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
lars sind Beobachtungen und Befragungen der Bezugspersonen nötig (vgl. Arnusch/ Pivit
1996, S. 21).
Fotos sind wirklichkeitsnah und gut erkennbar. Gleichzeitig zeigen sie viele redundante Einzelheiten. Dadurch sind solche Darstellungen oft nur in bestimmten, vereinbarten Situationen
nutzbar. Fotos sind immer individuell und müssen für jede Person neu hergestellt werden
(vgl. Adam 1993, S. 236).
Es gibt inzwischen über 40 veröffentlichte Sammlungen und Systeme mit grafischen Symbolen. Sie unterscheiden sich in ihrer Abstraktheit und in der Art und Weise, welche sprachlichen Strukturen damit abgebildet werden können. Das in Deutschland lange Zeit bekannteste System ist Bliss (vgl. Franzkowiak 1997, S. 38).
Bei Bildsymbolen differenziert man zwischen drei Stufen der Ikonizität. Die Ikonizität beschreibt den „Zusammenhang zwischen dem Aussehen des Symbols und der intendierten
Bedeutung“ (Franzkowiak 1997, S. 41). Es wird danach unterschieden, wie weit die Bedeutung eines Symbols aus der Abbildung erschlossen werden kann (vgl. Franzkowiak 1997, S.
41).
Die einfachste Stufe ist die Transparenz, d.h. Erkennbarkeit. Solche Abbildungen sind oft
Piktogramme. Die Symbole müssen in der Regel nicht erläutert werden.
Bei transluzenten29 Symbolen kann leicht ein Zusammenhang zu der Bedeutung hergestellt
werden. In der Regel ist eine kurze Erläuterung der Zeichen nötig.
Opake Symbole30 bieten keine Möglichkeit, die Bedeutung zu erraten. Hier muss eine ausführliche Einführung erfolgen (vgl. Franzkowiak 1997, S. 41) (siehe Abbildung 9).
Die Auswahl eines Symbolsystems sollte sich nicht allein an dem Grad der Ikonizität orientieren. Ob ein transparentes Bild leichter zu erlernen ist als ein opakes, ist abhängig von den
Vorerfahrungen der Person. Bei der Festlegung auf ein Symbolsystem sind daher auch andere Faktoren, wie Erweiterungsmöglichkeiten, Herstellung, Kosten etc., zu berücksichtigen
(vgl. Franzkowiak 1997, S. 42f).
29
transluzent: durchsichtig (vgl. Duden 1997)
30
opak: undurchsichtig (vgl. Duden 1997)
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Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
IKONIZITÄT
bezieht sich auf den Grad des Zusammenhangs zwischen dem Aussehen des Symbols und der intendierten Bedeutung.
TRANSPARENZ
(lt. Durchsichtigkeit,
Erkennbarkeit)
TRANSPARENZ
(lt. Durchsichtigkeit)
= Grad der Erkennbarkeit eines Symbols auf Anhieb ohne Vorkenntnisse
= Grad der Abteilbarkeit der
Bedeutung eines Symbols bei
vorangegangener Instruktion
Kiste, Schachtel
Auto
Transparente Symbole
(typisch: konkrete, piktografische Symbole)
müssen häufig nicht erläutert
werden; eine Einführung ist oft
nicht nötig.
Bei sehr transluzenten Symbolen läßt sich leicht ein Zusammenhang zur Bedeutung herstellen; sie werden als „repräsentativ“ eingestuft. In der Regel müssen Symbole und Bedeutung zunächst erläutert
werden.
Transparente Symbole werden
auch als hochgradig transluzent
angesehen.
OPAZITÄT
(lt. Durchsichtigkeit)
= Grad der willkürlichen
Festlegung des Aussehens
eines Symbols
Kuchen
Ist ein Symbol opak, so läßt
sich seine Bedeutung nicht
erraten. Zwischen Symbol und
Bedeutung ist kein Zusammenhang erkennbar.
Zum Symbolverständnis ist
Instruktion unbedingt erforderlich.
Abbildung 9: Ikonizität bei grafischen Symbolen (entnommen aus: Franzkowiak 1997, S.
41)
5.6.2.2
Verschiedene Symbolsysteme
Ich möchte im Folgenden einige Bildsymbolsysteme vorstellen. Dies ist nur eine kleine Auswahl der vorhandenen Sammlungen und Systeme. In der Abbildung von Gegenständen
unterscheiden sich die einzelnen Systeme oft kaum. Eigenschaften, Tätigkeiten und vor
allem abstrakte Begriffe sind dagegen sehr unterschiedlich dargestellt (vgl. Adam 1993, S.
279). Daher hat jedes System auch Vor- und Nachteile. Oft ist eine Kombination aus mehreren Systemen sinnvoll (vgl. Adam 1993, S. 282). Wie weit die Symbole für Menschen mit
Sehschädigung nutzbar sind, muss jeweils überprüft werden.
Franzkowiak unterscheidet zwischen Symbolsammlungen und Symbolsystemen.
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55
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Symbolsammlungen haben nur eine beschränkte Anzahl von Zeichen. Sie sind kaum erweiterbar. Für ihre Anwendung gibt es keine konkreten Regeln. Touch’n Talk Symbole und LöbBilder gehören zur Kategorie der Sammlungen (vgl. Franzkowiak 1997, S.38).
Symbolsysteme haben dagegen ein umfangreiches Vokabular. Sie folgen einem logischen
Aufbau und bieten vielfältige Erweitungsmöglichkeiten. Für die Anwendung gibt es ein spezielles Regelwerk. Bliss- und PCS-Symbole zählen zu den Symbolsystemen (vgl. Franzkowiak 1997, S.39).
LÖB-Bildersammlung (siehe Abbildung 10)
Reinhold Löb entwickelte diese Sammlung in den 80er-Jahren in Deutschland. Sie umfasst
60 Bildkarten im DIN-A-6-Format (ca. 10X14 cm). Es werden die Bereiche allgemeine Verständigungszeichen, Eigenschaftswörter, Gesundheitsfürsorge, Nahrungsmittel, häusliche
Gegenstände, Körperhygiene, Spielen und Beschäftigung, Religion, Gefühle und Arbeit/
Vergnügen abgedeckt. Als Grundlage dienen Symbole aus dem internationalen Reiseverkehr. Für Ja und Nein ist jeweils ein Zeichen vorhanden (vgl. Adam 1993, S. 239). Die Bedeutung einer Abbildung ist unterhalb des Bildes in Schwarzschrift angegeben. Es gibt einen
Erweiterungssatz mit 180 Symbolen ohne Beschriftung (vgl. Kristen 1997, S. 91).
Abbildung 10: Beispiele aus dem LÖB-System
(entnommen aus: Kristen 1997, S. 92)
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56
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Um mehrere Kommunikationskanäle gleichzeitig anzusprechen, sollen im ursprünglichen
Sinn zu den Karten jeweils reale Objekte und Gebärden dargeboten werden (vgl. Kristen
1997, S. 91).
Die Symbole sind klar und einfach dargestellt und somit auch von Menschen mit einer geistigen Behinderung gut wiederzuerkennen. Der Wortschatz ist sehr begrenzt (vgl. Kristen
1997, S. 91).
Touch’n-Talk-Bildersammlung (siehe Abbildung 11)
C. Drolet und K. Hume entwickelten diese Sammlung 1983 in den USA. Sie enthält ca. 600
Bilder, die nach Oberbegriffen geordnet sind. Ursprünglich waren es nur schwarz-weiß Sticker. Adam bezeichnet die Bilder als klar und eindeutig. Abbildung 11 (links) macht aber
deutlich, dass zur Klärung der Bedeutung bei einigen Symbolen eine Beschriftung dringend
erforderlich ist. Da die Bilder ursprünglich nicht mit Schrift versehen sind, können die Symbole auch in anderen Ländern genutzt werden (vgl. Adam 1993, S. 242). Außerdem enthält die
Sammlung einige leere Sticker, was die Anfertigung eigener Symbole im gleichen Format
ermöglicht (vgl. Kristen 1997, S. 95).
Abbildung 11: Bilder aus der Touch’n-Talk-Sammlung (entnommen aus: Kristen 1997, S.
93; Adam 1993, S. 242)
Seit 1986 gibt es die gleichen Symbole als Pick’n-Stick-Sammlung auch in Farbe. Die farbige Darstellung ist für Kinder besonders ansprechend, daher empfiehlt sich die Anwendung
im Vorschul- und Schulalter (vgl. Kristen 1997, S. 95).
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Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Eine erneute Weiterentwicklung fand 1988 mit den See’n Sign Cards statt. Die eigentlichen
Symbole sind hierbei stark verkleinert. Zusätzlich ist jeweils die Gebärde für einen Begriff
abgebildet (vgl. Adam 1993, S. 243).
Durch die Gebärden kann allerdings die internationale Nutzbarkeit der Bilder eingeschränkt
sein, da sie sich in verschiedenen Sprachen unterscheiden.
Abbildung 12: See’n Sign Card (entnommen aus: Adam 1993, S. 243)
PIC (Pictogramm Ideogramm Communication) (siehe Abbildung 13)
Diese Sammlung beinhaltet ungefähr 400 Bilder. Sie sind piktografisch oder ideografisch31
(vgl. Adam 1993, S. 248). Auch hierbei sollen Gebärden und taktile Objekte parallel eingesetzt werden.
Die PIC-Symbole sind weiß auf schwarzem Untergrund dargestellt. Damit sollen sich sie
besonders gut für Menschen mit visuellen Wahrnehmungsstörungen eignen (vgl. Franzkowiak 1996c, S. 27). Die Bilder sind schlecht selbst zu produzieren. Sollte ein benötigtes Zeichen fehlen, kann es nicht selbst gezeichnet werden. Auch wenn einige Menschen nicht
mehr als 20 Bilder benutzen können, ist oft ein benötigtes Symbol nicht vorhanden. Adam
schlägt daher vor, lediglich einzelne Bilder der Sammlung als Ergänzung zu einem anderen
System zu nutzen (vgl. Adam 1993, S. 248f).
Abbildung 13: PIC-Symbols (entnommen aus: Adam 1993, S. 248)
31
ideografisch: ein Konzept oder eine Handlung repräsentierend (vgl. Adam 1993, S. 248)
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Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
PCS-System (Picture Communication Symbols) (siehe Abbildung 14)
Die Autorin R. Mayer-Johnson entwickelte dieses System 1981 in den USA. Es enthält 1800
schwarz-weiße Umrisszeichnungen mit vereinfachten Darstellungen zu verschiedenen
Sachgebieten. Die sechs Rubriken umfassen die Bereiche Soziales, Tätigkeiten, Menschen,
Dinge, Eigenschaften, Verschiedenes. Innerhalb einer Kategorie ist wieder eine Einteilung
nach Oberbegriffen vorgenommen worden. Ursprünglich sind die Bilder jeweils in zwei Größen vorhanden. Man geht davon aus, dass zunächst die großen Symbole eingesetzt werden, um dann den Übergang zu den kleineren zu schaffen (vgl. Adam 1993, S. 251ff).
Abbildung 14: PCS-Symbols (entnommen aus:
www.fst.ch/ind/allemand/katalog/pc/pcg.htm)
Ungewöhnlich ist die Darstellung von Personen. Während viele andere Systeme Fotos für
die Abbildung von bekannten Personen nutzen, bietet diese Sammlung verschiedene einfache Gesichtsformen mit unterschiedlichen Haarschnitten an (siehe Abbildung 15). Diese
sollen annähernd passend ausgesucht werden (vgl. Adam 1993, S. 253). Das erleichtert die
Herstellung einer Kommunikationstafel, da nicht erst Fotos gemacht werden müssen. Ob
eine solche Art der Darstellung sinnvoll ist, sollte im Einzelfall für den jeweiligen Benutzer
entschieden werden.
Abbildung 15: PCS-Symbols: Personen
(entnommen aus: Adam 1993, S. 254)
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59
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Abbildung 14 macht deutlich, dass bei den Bildern immer ein Schriftaufdruck nötig ist, damit
auch Außenstehende den Sinn erfassen können. Mit Hilfe des Computerprogramms Boardmaker können die Symbole in einer individuellen Größe und mit individueller Beschriftung zu
einer Kommunikationstafel zusammengestellt werden. Seit einigen Jahren ist das PCSSystem auch in Farbe erhältlich.
Nach einer Befragung der Nutzer des Systems wurde ein zweiter Band erstellt. Er enthält
mehr gesprächssteuernde Aussagen, Witze und ansatzweise auch Themen wie Partnerschaft, Liebe und Sexualität (vgl. Adam 1993, S. 254f).
Abbildung 16: PCS-Symbols: Ja und Nein (entnommen aus: Adam 1993, S. 254)
Abbildung 17: PCS-Symbols: kommunikationssteuernde Aussagen (entnommen aus:
Adam 1993, S. 254)
Bliss-System (siehe Abbildung 18ff)
Charles Bliss wollte ursprünglich eine Bildersprache entwickeln, die für alle Völker der Erde
verständlich war. Er orientierte sich in den 40er-Jahren an der chinesischen Schrift. Sie kann
über Provinzen und Landesgrenzen hinaus (Korea/ Japan) gelesen werden (vgl. Adam
1993, S. 215ff). Durch Bliss sollten die Staatsoberhäupter verschiedener Länder ohne Dolmetscher miteinander sprechen können. Einen solchen „ungehinderten Dialog“ sah C. Bliss
als Grundlage für den Weltfrieden an (Adam 1993, S. 216).
Auch wenn das Ziel einer Universalsprache nicht erreichen werden konnte, ist das so genannte Bliss-System heute ein wichtiges alternatives Kommunikationsmittel (vgl. Adam
1993, S. 271). Franzkowiak bezeichnet die Symbole als „visuelle Sprache", die nicht lautgebunden ist (Franzkowiak 1996a, S. 241). Das Symbolsystem weist verschieden Merkmale
einer Sprache auf:
In Anlehnung an die Schriftsprache haben die Zeichen unterschiedliche Bedeutungen. Es
gibt Piktogramme im Sinne einer Bilderschrift, willkürlich vereinbarte Zeichen im Sinne einer
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60
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Begriffsschrift und diakritische32 Zeichen oder Indikatoren, z.B. für Wortarten, die durch ihre
Anwendung die Bedeutung eines Symbols nach bestimmten Regeln verändern (vgl. Franzkowiak 1996a, S. 242).
Wie unsere Schriftsprache ist Bliss aus 25 immer wiederkehrenden Grundelementen aufgebaut, die mit einer Schablone erzeugt werden können. Diese Elemente sind einfache grafische Symbole ohne Details. Durch unterschiedliche Kombination und Anordnung ist die Bildung von über 2000 Begriffen möglich. (vgl. Franzkowiak 1996a, S. 240).
Abbildung 18: Grundelemente von Bliss von der
Zeichenschablone (entnommen aus: Franzkowiak 1996a, S. 243)
Darüber hinaus weist das System orthografische33 Regeln auf. Die Anordnung der Symbole
erfolgt zwischen zwei gedachten Linien, die Erde und Himmel repräsentieren. Die Symbolbedeutung verändert sich durch ihre Lage, Größe und Zwischenräume (vgl. Franzkowiak
1996a, S. 242).
Bliss zeichnet sich durch eine Grammatik aus. Es gibt Zeichen für Wortarten und Flexionsformen und einzelne Morpheme34. Das Symbolsystem hat auch eine vorgegebene Syntax
(vgl. Franzkowiak 1996a, S. 242).
Die Zeichen folgen einer semantischen35 Orientierung. Durch Zusammensetzung von Symbolen erhält man zusammengesetzte Begriffe (vgl. Franzkowiak 1996a, S. 240).
„Damit ist Bliss zwar nicht lautgebunden, aber es erfüllt alle Kriterien, die an Sprache als
Kommunikationssystem gestellt werden“ (Franzkowiak 1996a, S. 242, zit. nach Brügel-
32
diakritisches Zeichen: zeigt die besondere Aussprache eines Zeichens an (Duden 1997,
S. 187)
33
Orthografie: Rechtschreibung (vgl. Duden 1997)
34
Morphem: „kleinstes sprachliches Zeichen“ (Duden 1997)
35
Semantik: Bedeutung und Inhalt eines Wortes (vgl. Duden 1997)
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61
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
mann).
Das System umfasst piktografische und ideografische Symbole zu den Oberbegriffen Menschen, Dinge, Tätigkeiten, Eigenschaften und Gefühle, Beziehungen, ideelle Vorstellungen
(vgl. Adam 1993, S. 274) (siehe Abbildung 19ff).
Abbildung 19: Piktografische Bliss-Symbole (entnommen aus: Adam 1993, S. 273)
Abbildung 20: Ideografische Bliss-Symbole (entnommen aus: Adam 1993, S. 274)
Die Symbole können auf verschiedenen Niveaus (Ein-Symbol-Aussagen, Telegrammstil
oder komplexe Sätze) verwendet werden, sodass eine Anpassung an unterschiedliche Benutzergruppen möglich ist (vgl. Franzkowiak 1996a, S. 242).
Abbildung 21: Bliss-Symbole (entnommen aus: Adam 1993, S. 274)
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62
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Bliss ist wohl das abstrakteste Bildsymbolsystem, das derzeit auf dem Markt ist. Dennoch
sollte es nicht generell Menschen mit scheinbar geringen kognitiven Fähigkeiten vorenthalten bleiben (vgl. Adam 1993, S. 271). Sofern die Grundsymbole bekannt sind, können die
zusammengesetzten Formen einzelner Zeichen relativ leicht erschlossen werden. Die Erstellung neuer Symbole ist möglich, da es klare Anwendungsregeln gibt. Die Produktion der
Abbildungen ist einfach und kann teilweise von Nutzer selbst vorgenommen werden. (vgl.
Franzkowiak 1996a, S. 246).
Vor allem in der Arbeit mit körperlich eingeschränkten Menschen wird dieses System eingesetzt. Auch im Umgang mit Personen mit einer geistigen Behinderung können die Symbole
genutzt werden. In diesem Zusammenhang verbinden einige Pädagogen die abstrakten
Symbole mit kleinen Piktogrammen, um sie konkreter erscheinen zu lassen (siehe Abbildung
22). Bei Menschen mit einer kognitiven Einschränkung kann oft nur eine begrenzte Auswahl
an Symbolen eingesetzt werden (vgl. Adam 1993, S. 275).
Abbildung 22: Picture your Bliss (entnommen aus: Adam 1993, S. 275)
Das Cheyne Symbolsystem für blinde Kinder (siehe Abbildung 23f)
Das System wurde in Anlehnung an die Bliss-Symbole entwickelt. Es entstand aus der Arbeit mit spastisch gelähmten blinden Kindern in London. Sie verfügten alle über ein geringes
Sprachverständnis. Man wollte Symbole schaffen, die besser taktil zu erfassen und zu analysieren sind als die Bliss-Zeichen (vgl. Adam 1993, S. 276).
Für die Darstellung der Symbole gibt es drei Möglichkeiten: die Zeichen können als Form in
ein Brett geritzt, mit Draht oder anderen Hilfsmitteln auf eine glatte Oberfläche geklebt oder
mit Hilfe verschiedenartiger Materialien flächig auf eine glatte Oberfläche aufgebracht werden. Bei der Entscheidung für eine Darstellungsform muss auf eventuelle Tastscheu oder
Tastempfindlichkeit des Nutzers Rücksicht genommen werden (vgl. Adam 1993, S. 276).
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63
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Die Zeichen haben für Sehende Symbolcharakter. Für blinde Menschen erscheinen sie eher
arbiträr36.
Die Sammlung umfasst 112 Symbole, die teilweise zusammengesetzt sind. Sie decken die
Bereiche Haus und Wohnung, Essen und Trinken, Natur, Tiere, Spielzeug, Eigenschaftswörter, Tätigkeiten, Umstandsbestimmungen, Fahrzeuge, Menschen und Sonstiges ab.
Ein Teil der Zeichen ist identisch mit Bliss, andere sind leicht verändert oder vereinfacht und
einzelne Bliss-Symbole erhielten eine neue Bedeutung (vgl. Adam 1993, S. 276f).
Abbildung 23: Aufbau der Cheyne-Symbole: Tiere (entnommen aus: Adam 1993, S. 278)
Abbildung 24: Aufbau der Cheyne-Symbole: Verben (entnommen aus: Adam 1993, S.
278)
36
arbiträr: willkürlich festgelegt (vgl. Duden 1997)
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64
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Die Zeichen können miteinander kombiniert werden und ergeben so einen neuen Sinn. Die
Cheyne-Symbole gehören zu den Symbolsammlungen und sind damit nicht beliebig erweiterbar.
Im Einzelfall ist zu überprüfen, ob bei Ausschöpfung der Symbole der Einsatz des BlissSystems möglich ist (vgl. Adam 1993, S. 277).
Schriftsprache
Einige Nutzer bevorzugen Tafeln mit einer individuellen Anordnung von Buchstaben. So
können Gedanken gut verdeutlicht werden. Ein solches System erfordert hohen Zeitaufwand
und große Konzentration bei beiden Gesprächspartnern. Daher bietet sich eher eine Kombination aus Symbolen, Wörtern und Buchstaben an. Grundgedanken können dann mit Hilfe
der Bilder schnell geäußert werden. Die Schrift macht die Vermittlung von Inhalten möglich,
die mit den vorhandenen Symbolen nicht zu erklären sind (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 23).
Sofern es die kognitiven Möglichkeiten des „Nichtsprechenden“ erlauben, ist in jedem Fall
der Erwerb der Schriftsprache anzustreben. Nicht nur für die Beseitigung von Missverständnissen hat sie in der Kommunikation ihre Bedeutung. Sie erschließt außerdem wesentliche
gesellschaftliche Bereiche (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 23).
Für blinde Menschen ist nur eine tastbare Schrift wie Braille oder Moon zugänglich. Diese
beherrschen aber nur wenige Sehende. Für eine Tafel empfiehlt sich daher eine Kombination aus Schwarz- und Braille-Schrift.
5.6.2.3
Vor- und Nachteile nicht-elektronischer Kommunikationshilfen
Nicht-elektronische Hilfsmitteln lassen sich relativ einfach selbst herstellen. Sie sind daher
preiswert und können durch Laminieren auch wasserbeständig und abwischbar gemacht
werden. Einfache Tafeln oder Bücher sind in jeder Situation einsetzbar, sodass sie ebenso
genutzt werden können wie die Lautsprache (vgl. Braun 1996b, S. 6).
Diese Kommunikationssysteme erfordern, wie körpereigene Modi, die Nähe des Gesprächspartners. Er muss die Symbole und die „nichtsprechende“ Person im Blick haben, um sie zu
verstehen. Oft ist ein „Dolmetscher“ nötig, um Aussagen für fremde Personen zu übersetzen. Die Kommunikationsinhalte können nicht gespeichert werden. Das bedeutet, wenn der
Gesprächspartner etwas nicht versteht, muss der „nichtsprechende“ Mensch die Symbole
neu anwählen (vgl. Braun 1996b, S. 6). Mit Hilfe der Bilder kann der Nutzer oft nur grobe
Gesprächsinhalte festlegen. Einzelheiten sind durch Nachfragen abzuklären. Der sprechende Partner nimmt somit eine aktive Rolle ein. Je besser sich die Kommunikationspartner
kennen, desto eher gelingt in der Regel die Kommunikation. Bekannte Personen verstehen
oft nach wenigen Schlüsselbegriffen die Aussage des „nichtsprechenden“ Menschen (vgl.
Arnusch/ Pivit 1996, S. 23).
Grundsätzlich lassen sich nicht-elektronische Kommunikationshilfen sehr individuell an die
Bedürfnisse und Fähigkeiten des Nutzers anpassen. Die Auswahl eines ersten Vokabulars
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65
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
muss genau überlegt werden. Hierfür sind ausführliche Gespräche mit Bezugspersonen und
Beobachtungen nötig (vgl. Braun 1996b, S. 7).
5.6.3
Elektronische Kommunikationshilfen
Man unterscheidet zwischen Geräten mit und ohne Sprachausgabe.
Geräte ohne Sprachausgabe zeigen die gewünschten Inhalte über ein Display, einen Bildschirm oder auch über Papierstreifen an. In diese Gruppe lassen sich die elektrische
Schreibmaschine und Computer einordnen. Die meisten Geräte sind inzwischen auch mit
Sprachausgabe erhältlich (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 24).
Die Kommunikationshilfen mit Sprachausgabe sind in den letzten Jahren sehr vielfältig geworden. Sie reichen von einem einfachen Hilfsmittel, das sprachliche Inhalte von maximal 20
Sekunden speichert, die über Tastendruck abgerufen werden (BIGmack), bis hin zu hochkomplexen Sprachcomputern.
Im Folgenden stelle ich eine begrenzte Auswahl der auf dem Markt erhältlichen Geräte vor.
Beispielhaft werden zwei Systeme erläutert, die sich für den Einsatz bei blinden oder sehgeschädigten Menschen eignen.
Es gibt Kompaktgeräte, die eigens für die Kommunikation entwickelt wurden, sowie tragbare
Kleincomputer mit speziellen Zusatzausrüstungen und Kommunikationsprogrammen (vgl.
Arnusch/ Pivit 1996, S. 25). Einige kleinere Hilfsmittel erläutere ich im anschließenden Fallbeispiel.
Man unterscheidet die natürliche und die synthetische Sprachausgabe.
Bei der natürlichen oder digitalen Sprachausgabe „leiht“ ein Helfer sozusagen seine Stimme
aus, indem er die Inhalte auf das Gerät spricht. Diese Sprache ist sehr gut zu verstehen.
Evtl. kann sich der Nutzer besser mit einer solchen Stimme identifizieren. Bei einer digitalen
Sprachausgabe kann die „nichtsprechende“ Person nur Inhalte aussprechen, die zuvor aufgenommen wurden (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 25).
Die synthetische Sprachausgabe setzt Buchstaben selbstständig in Laute um, somit ist der
„nichtsprechende“ Mensch in der Lage, alles zu sagen, was er möchte. Die synthetische
Stimme klingt künstlich. Eine sinnvolle Betonung der Silben ist nur in begrenztem Umfang
möglich. Dies erschwert oft das Verständnis. Manchmal müssen sich Nutzer und Zuhörer
erst einhören und an die Stimme gewöhnen (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 25).
Wie bei den nicht-elektronischen Kommunikationshilfen gibt es auch hier die Möglichkeit,
über verschiedene Zeichen zu kommunizieren. Einige Geräte lassen nur die Auswahl von
Bildern oder von Buchstaben zu, manche bieten sogar eine Kombination von beidem an. Zur
Ansteuerung gibt es ebenfalls verschiedene Möglichkeiten wie Schalter, Stirnstab etc., die
sehr genau an die motorischen Fähigkeiten des Nutzers angepasst werden können (vgl.
Arnusch/ Pivit 1996, S. 25).
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66
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
5.6.3.1
Verschiedene Sprachgeräte
AlphaTalker (siehe Abbildung 25)
Er ist eine tragbare elektronische Kommunikationshilfe mit natürlicher Sprachausgabe. Der
AlphaTalker hat bis zu 6 ½ Minuten Speicherkapazität. Das reicht für mehr als 200 Sätze,
Phrasen oder Wörter. Die Kapazität ist bis auf 25 Minuten erweiterbar. Der Speicherinhalt
lässt sich auch auf einem Computer abspeichern.
Üblicherweise liegt über der Tastatur ein Deckblatt, sodass jede Taste mit einem individuellen grafischen Symbol gekennzeichnet ist. Dies ermöglicht ein schnelles Wiederfinden der
Aussagen.
Die geringste Anzahl an Auswahlmöglichkeiten sind 4 Felder (2x2). Maximal sind 32 Tasten
(8x4) zu belegen. Das Vokabular kann nach Themenbereichen geordnet und abgespeichert
werden. Die 32 Felder können mehrfach belegt werden. Zu jedem Thema erstellt man dann
ein Deckblatt. Es ist denkbar, die Tasten für blinde Nutzer mit tastbaren Objekten zu gestalten. Beim Gebrauch von Thementafeln ist die Markierung mit taktilen Medien aber nicht
sinnvoll, da das Auswechseln des Deckblattes dadurch umständlich wird. In diesem Fall ist
die Bedienung über akustisches Scanning zweckmäßiger.
Eine Kombination von jeweils zwei Tasten ermöglicht eine Erweiterung des Vokabulars. Hier
bietet sich eine tastbare Oberfläche eher an als bei den Thementafeln.
Die Ansteuerung des Gerätes funktioniert direkt durch Tastendruck, mit einem optischen
Stift, über externe Tasten oder mit diversen Scanning-Verfahren (siehe 5.6.4.1).
Weiterhin ist ein spezielles Kommunikationsprogramm, die Quasselkiste, erhältlich. Sie enthält ein bereits organisiertes Vokabular.
Abbildung 25: AlphaTalker
Audiocom: (siehe Abbildung 26)
Audiocom ist seit 1997 erhältlich. Es wurde speziell für die Anwendung bei schwerstbehinderten blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen entwickelt. Audiocom ist eine
spezielle Software, die für alle windows-fähigen Rechner geeignet ist. Sie bietet die Möglichkeit, ein Vokabular auf 1-3 Ebenen zu strukturieren. Beispielsweise können in einer ersten
Ebene die Oberbegriffe „essen", „trinken“ etc. geordnet werden. Die zweite Ebene bietet eine
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67
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
weitere Spezifizierung z.B. mit „Frühstück“, „Mittagessen“ etc. In der dritten Ebene werden
dann schließlich die einzelnen Nahrungsmittel ausgewählt. Umfang und Gliederung sind
individuell bestimmbar. Für den Anfang reicht oft eine einzelne Ebene, auf der die Aussage
direkt angesteuert wird.
Zu der Software gehören ein Ohrhörer und eine Taste, mit denen das akustische Scanning
möglich ist (vgl. Hück 1998, S. 540f). Die Software wird auf ein Notebook gespielt, um
größtmögliche Mobilität zu erreichen. Der Laptop muss während des Betriebes nicht geöffnet
sein, sodass er einfach in einer Tasche untergebracht werden kann (vgl. Hück 1998, S.
540f).
Abbildung 26: Ansicht der Audiocom-Struktur
5.6.3.2
Vor- und Nachteile der elektronischen Kommunikationshilfen
Die Sprachausgabe bietet vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten. Der Nutzer kann reden,
schimpfen etc. ohne auf Hilfe angewiesen zu sein. Bei digitalen Sprachausgaben ist die
„nichtsprechende“ Person allerdings nach wie vor darauf angewiesen, dass jemand entsprechende Inhalte aufnimmt. Der Nutzer hat die Möglichkeit, selbstständig ein Gespräch zu
steuern. Er ist nicht mehr auf den Blickkontakt des Kommunikationspartners angewiesen.
Man kann z.B. auch jemanden herbeirufen. Gespräche mit fremden Personen werden so
erleichtert (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 25).
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten sind auch diese Geräte keine Wundermittel. Zunächst
erfordert die Anpassung einer elektronischen Kommunikationshilfe viel Zeit. Der Talker muss
eingestellt und, bei einer digitalen Sprachausgabe, besprochen werden. Nicht nur der Nutzer, sondern auch die Helfer benötigen eine ausführliche Einführung in die Technik, damit
die Kommunikation gelingen kann und eine schnelle Erweiterung des Vokabulars möglich
ist. Da ein Sprachgerät auf lange Sicht angeschafft wird, sind die Möglichkeiten nicht von
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68
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Anfang an ausgeschöpft. Gerade die Bezugspersonen sind aber dadurch oft enttäuscht, da
sie sich eigentlich mehr von dem Gerät versprochen hatten. Es ist wichtig, bereits kleine
Fortschritte zu erkennen und entsprechend zu honorieren (vgl. Hoffmann-Schöneich 1995,
S. 4-7).
Komplizierte Sprachgeräte sind oft anfällig. Daher ist es immer sinnvoll, eine alternative
Kommunikationshilfe zu haben. Die Stimme, vor allem bei der synthetischen Sprachausgabe, ist teilweise gewöhnungsbedürftig. Weiterhin sind der Kommunikation Grenzen durch
den Speicher des Gerätes gesetzt.
Natürlich ist auch hier das Vokabular begrenzt und die Auswahl dauert lange. Aber dennoch
ist es eine angemessene Alternative zur „Sprachlosigkeit“ (Hück 1998, S. 542). Der Nutzer
kann selbst aktiv werden und zielgerichtet und bestimmt handeln (vgl. Hück 1998, S. 542).
5.6.4
Ansteuerung und Auswahlverfahren bei externen Kommunikationshilfen
Eine stabile Ausgangsposition des „nichtsprechenden“ Menschen erleichtert die Ansteuerung des Vokabulars und kann somit die Kommunikationsgeschwindigkeit steigern. In Zusammenarbeit mit einem Krankengymnasten sind die motorischen Fähigkeiten der Person
genau abzuklären. Die Aktivierung, bzw. Ansteuerung des Feldes kann auf verschiedene
Weise geschehen. Mit einzelnen Körperteilen oder Hilfsmitteln, z.B. Stirnstab, Maus etc.,
wird ein Feld gedrückt oder nur berührt. Bei nicht-elektronischen Hilfen genügt auch eine
Blickbewegung oder eine Zeigegeste. Das geeignete Körperteil zur Ansteuerung muss gefunden werden. Dann gilt es, eine optimale Position für das Individuum und die benötigten
Schalter bzw. anderen Kommunikationshilfen zu finden (vgl. Kristen 1997, S. 87).
Mit solchen Schaltern ist nicht nur die Bedienung eines elektronischen Sprachgerätes möglich. Vor allem bei Menschen mit einer starken körperlichen Einschränkung ermöglichen
externe, individuell angepasste Schalter eine aktive Beeinflussung der Umgebung. Viele
Fallberichte von mehrfachbehinderten Kindern mit einer Sehschädigung beschreiben den
Einsatz solcher Tasten. Es gibt Schalter, die mit Hilfe eines Batterieunterbrechers die Steuerung batteriebetriebener Spielzeuge ermöglichen. Kinder können sich dadurch mit Gegenständen beschäftigen, die ihnen sonst nicht zugänglich wären. Jugendliche und Erwachsenen
möchten oft alltägliche Geräte bedienen können. Dies ist über zusätzliche Hilfsmittel wie
einen Power-Link oder Netzschaltadapter möglich. Solche Adapter dienen als Verbindung
zwischen einem elektronischen Gerät und der Steckdose. Sie können mit einem externer
Schalter, z.B. Jelly Bean (siehe Abbildung 27f), verbunden werden. So bekommen motorisch
stark eingeschränkte Menschen die Möglichkeit, z.B. ein Radio, einen Kassettenrekorder
oder auch eine Lampe selbstständig anzuschalten. Sie erhalten ein Stück Autonomie (vgl.
Aitken/ McDevitt 1995, S. 8). Die notwendigen externen Schalter können individuell an den
Benutzer angepasst werden.
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Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Abbildung 27: Jelly-Bean-Taste (siehe 8.1)
Abbildung 28: PowerLink (siehe auch 8.1)
Die Auswahl des Vokabulars bei einer Kommunikationshilfe geschieht durch direkte oder
indirekte Selektion.
Bei der direkten Selektion wird durch eine Bewegung sofort das gewünschte Feld angewählt.
Dies geschieht mit den oben beschriebenen Hilfsmitteln. Es ist die schnellste Form der Selektion. Viele Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben mit dieser Art der Ansteuerung Schwierigkeiten. Sie nutzen die indirekte Selektion (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 29).
Die indirekte Selektion kann auf zwei Arten durchgeführt werden:
5.6.4.1
Scanning
Voraussetzung für dieses Verfahren ist ein Ja-, bzw. Nein-Signal. Bei nicht-elektronischen
Kommunikationshilfen führt der Partner die Abfrage der einzelnen Felder durch. In diesem
Fall spricht man auch von Partnerscanning. Elektronische Kommunikationshilfen können ein
solches Verfahren automatisch ablaufen lassen. Dabei zeigt ein Lichtpunkt an, welches Feld
gerade aktiviert werden kann. Ein externer Schalter dient als Ja-Signal. Mit ihm wird ein aktiviertes Feld ausgewählt.
Beim einfachsten Scanning-Verfahren werden die einzelnen Felder der Kommunikationshilfe
der Reihe nach angezeigt, bis der Benutzer ein Ja-Zeichen gibt. Der Prozess beginnt von
vorne. Dieses Verfahren ist äußerst langwierig und somit nicht sehr effektiv (vgl. Arnusch/
Pivit 1996, S. 30).
Um die Auswahl zu verkürzen, nutzt man in der Regel das Zeilen-Spalten-Scanning (siehe
Abbildung 29) oder das Block-Scanning (siehe Abbildung 30).
Abbildung 29: Zeilen-Spalten-Scanning (entnommen aus: Arnusch/ Pivit 1996, S. 31)
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70
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Beim Zeilen-Spalten-Scanning wird zunächst jeweils eine ganze Zeile abgefragt. Der Nutzer
wählt die richtige Zeile mit einem Ja-Signal aus. Innerhalb dieser Reihe werden dann die
einzelnen Symbole durchgegangen. Ein erneutes Ja-Zeichen, bestätigt das richtige Symbol
(vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 30).
Beim Block-Scanning ist das gesamte Feld in gleich große Bereiche eingeteilt. Zunächst
werden die Blöcke (oft Viertel) abgefragt und der Benutzer stoppt bei dem Bereich, in dem
sich das gewünschte Symbol befindet. Innerhalb dieses Blockes werden dann die einzelnen
Felder abgefragt, bis das richtige Symbol ausgewählt ist (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 31).
Abbildung 30: Block-Scanning (entnommen aus: Arnusch/ Pivit 1996, S. 31)
Die Geschwindigkeit, in der der Lichtpunkt von Feld zu Feld vorrückt, ist bei elektronischen
Geräten individuell einstellbar (vgl. Hück 1998, S. 536).
Eine andere Möglichkeit bei elektronischen Geräten ist das akustische Scanning. Jeder Aussage ist hierbei ein Stichwort zugeordnet. Dieses Wort repräsentiert sozusagen den Inhalt
einer Aussage, z.B. „essen“ als Stichwort für „Ich möchte etwas essen.“ Zur Auswahl werden
die Stichwörter der Reihe nach über einen Kopfhörer angesagt. Der Nutzer wählt mit einem
externen Schalter eine Aussage. Der Inhalt der Taste wird dann ausgesprochen (vgl. Hück
1998, S. 536). Im Umgang mit blinden Menschen bietet dieses Verfahren eine gute Möglichkeit zur Bedienung einer elektronischen Kommunikationshilfe. Es kann allerdings vorkommen, dass ein Nutzer mit Sehschädigung keinen Kopfhörer toleriert. Dies liegt oft wohl daran, dass durch den Hörer das Ohr als Sinnesorgan beeinträchtigt ist. Hier bietet sich ein
externer Kopfhörer an, der z.B. an der Kopfstütze eines Rollstuhles befestigt wird.
Auch sehende Menschen nutzen das akustische Scanning teilweise zusätzlich zu dem visuellen Verfahren. Der „nichtsprechende“ Mensch kann so während der Auswahl den Blickkontakt zu seinem Gesprächspartner aufrechterhalten (vgl. Kovach 1998, S. 2).
Bei einer solchen Ansteuerung ist eine logische Strukturierung besonders wichtig, da sich
der blinde Nutzer keinen Überblick über die Symbole verschaffen kann. Bei der Anordnung
und Festlegung von Stichworten ist zu bedenken, dass Personen, die ihre Umwelt vorwie-
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71
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
gend taktil und akustisch wahrnehmen, andere Assoziationen haben können als sehende.
Daher müssen die Stichworte sorgfältig gewählt werden (vgl. Kovach 1998, S. 3).
5.6.4.2
Kodierung
Die Auswahl eines Feldes findet hier mit Hilfe eines Kodes statt. Dieser kann, entsprechend
den kognitiven Fähigkeiten der Person, Zahlen, Buchstaben, Farben etc. beinhalten.
Diese Form der Auswahl bietet sich bei Kommunikationstafeln oder –büchern an. Wenn der
Nutzer nicht über ausreichende motorische Fähigkeiten verfügt, um eine direkte Selektion
durchzuführen, kann hiermit eine relative Unabhängigkeit von dem Kommunikationspartner
erreicht werden. Der „nichtsprechende“ Mensch muss nicht abwarten, bis der Helfer beim
Scanning die passende Zeile abfragt (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 30).
Für Sehgeschädigte mit einem verbliebenen Sehvermögen bietet sich die Kodierung über
Zahlen an. Zeilen und Spalten werden durchnummeriert. Durch entsprechendes Klopfen
kann dann zunächst die Zahl der passenden Zeile und dann der Spalte, bzw. umgekehrt
angegeben werden.
Eine weitere denkbare Lösung ist die Einteilung der Tafel in Viertel. Je nach Kopfbewegung
nach links, rechts, oben oder unten kann der entsprechende Block ausgewählt werden. Die
Ansteuerung der vier Felder in einem Bereich erfolgt ebenso (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S.
31).
5.6.5
Beginn einer Förderung: diagnostischer Prozess
Die Unterstützte Kommunikation möchte die Teilnahme einer unterstützt kommunizierenden
Person in unterschiedlichen Lebensbereichen verbessern (vgl. Lage 2000, S. 144). Hierzu
wird die Aufmerksamkeit nicht alleine auf den Menschen mit Behinderung gerichtet. Es muss
überprüft werden, in welchen Situationen keine zufrieden stellende Partizipation am gemeinschaftlichen Leben möglich ist und worin die Ursachen hierfür liegen. Ungünstige Bedingungen sollen dann möglichst verbessert werden (vgl. Lage 2000, S. 147). Beukelmann und
Mirenda haben das Partizipationsmodell zur Evaluation von Partizipationsmöglichkeiten und
zur Beseitigung von Barrieren entwickelt (siehe Abbildung 31).
Zu Beginn der Evaluation steht der Vergleich der Alltagssituation des „nichtsprechenden
Menschen mit Personen seiner Altersgruppe. Das Ziel sind möglichst altersangemessene
Partizipationssituationen. Bisherige Möglichkeiten sollen auf diesen Gesichtspunkt hin untersucht werden. Beukelmann und Mirenda möchten Interventionsmaßnahmen finden, die sich
am Alltagsleben des „nichtsprechenden“ Menschen orientieren (vgl. Lage 2000, S. 145).
Diese Evaluation findet nicht nur zu Beginn einer Intervention statt. Sie wird regelmäßig wiederholt, da in Bezug auf die Lebenslauforientierung immer wieder neue Ziele in den Vordergrund rücken (vgl. Lage 2000, S. 145).
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Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
Erfassen der Patizipationsmuster
und Kommunikationsbedürfnisse
Erfassen der Patizipationsbarrieren
Auf der Ebene der
Wertesysteme
Auf der Ebene der
Person-Umfeld-Systeme
Planen und Implementieren der entwicklungsorientierten Interventionen
Auf der Ebene der
Auf der Ebene der Person-Umfeld-Systeme
Wertesysteme
- Politische Aktivitäten
- Öffentlichkeitsarbeit
- Reflexion über gesellschaftliche
und eigene Werte
- Weiterbildung zum Thema Unterstützte Kommunikation
- Inservice Training
Im individuellen Bereich:
Im Bereich der
sozialen
Bezugssysteme:
- Erfassen der kommunikativen Bedürfnisse
- Erarbeiten eines individuellen und multikomponenten Kommunikationssystems mit körpereigenen
und externen AAC-Modi
- Inteventionen im
familiären und
- Außerfamiliären
Bezugssystemen
sowie Institutionen
Evaluation der Interventionen
Follow-Up
Abbildung 31: Das vereinfachte Partizipationsmodell (entnommen aus: Lage 1997, S. 7;
modifiziert und übersetzt nach: Beukelmann/ Mirenda 1992)
Der zweite Schritt ist die Erfassung von Barrieren, d.h. Situationen und Grundlagen, die eine
weitere Partizipation am alltäglichen Leben erschweren oder sogar verhindern (vgl. Lage
2000, S. 145). Die Autoren unterscheiden zwischen Zugangs- und Gelegenheitsbarrieren.
Zugangsbarrieren beziehen sich auf die Möglichkeiten der betroffenen Person, diese können
durch die Behinderung oder das Umfeld eingeschränkt sein. Es werden Profile, d.h. Zustandsberichte, in einzelnen Bereichen angefertigt:
-
Anforderungsprofil: es erfasst die Voraussetzungen für die Nutzung des Hilfsmittels
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73
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
-
Einschränkungsprofil: es klärt die Haltungen, Einstellungen und Fähigkeiten des „nichtsprechenden“ Menschen und seiner Kommunikationspartner ab und überprüft Finanzierungsmöglichkeiten
-
Fähigkeitsprofil: es berücksichtigt die motorischen, kognitiven, sprachlichen und perzeptiven Fähigkeiten des Nutzers (vgl. Lage 2000, S. 145).
Zum Zweck dieser Abklärung hat Ursi Kristen einen Fragebogen entwickelt, in dem die Fertigkeiten und Bedürfnisse der „nichtsprechenden“ Person erfasst werden. Ziel ist es herauszufinden, auf welche Weise der Mensch „ohne Lautsprache“ Kontakt zu anderen Personen
aufnimmt, welche Inhalte er vermittelt und welche Funktion die Kommunikation hat (vgl.
Kristen 1997, S. 110). Der Fragenkatalog erfasst die folgenden Bereiche (siehe 8.3):
-
-
Kommunikative Verhaltensweisen wie z.B.
a)
Vokalisation
b)
Blickverhalten
c)
Mimik und Gesichtsausdruck
d)
Gestik
e)
Interaktives Verhalten
Linguistische Fähigkeiten
a)
Sprachverständnis
b)
Sprachliche Ausdrucksfähigkeit (z.B. Mundmotorik, Lautsprache, Kommunikationshilfe, Lesen und Schreiben)
-
Kognitive Fähigkeiten wie z.B.
a)
Aufmerksamkeit
b)
Wahrnehmung
c)
Darstellende Fähigkeiten
d)
Klassifikation
e)
Gedächtnis
-
Psychosoziale Fähigkeiten
-
Motorische Fähigkeiten
(vgl. Kristen 1997, S.111-116)
Die Punkte sind im Rahmen von Befragungen der Bezugspersonen bzw. durch eigene Beobachtungen abzuklären (vgl. Kristen 1997, S. 104).
Für die Feststellung der individuellen Kommunikationsstrategien können Videoaufnahmen
hilfreich sein. In der direkten Beobachtungssituation werden durch den schnellen Situationswechsel leicht kommunikative Fähigkeiten einer Person übersehen. Videoaufnahmen er-
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74
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
möglichen ein wiederholtes Betrachten und Analysieren der Situationen. Auf dieser Grundlage kann eine regelmäßige Evaluation der Förderung und Festlegung von neuen Zielen erfolgen. Die Filmausschnitte sollten gemeinsam mit den Bezugspersonen betrachtet werden, da
so Problemsituationen aufgedeckt und behoben werden können (vgl. Kristen 1994, S. 42).
Die Planung und Implementierung37 von Interventionsmaßnahmen geschieht auf Grundlage
der drei Profile.
Die Gelegenheitsbarrieren umfassen alle Faktoren, die sich entwicklungshemmend auswirken. Sie beziehen allgemeine soziale Probleme, soziologische und sozialisatorische Bereiche mit ein (vgl. Lage 2000, S. 145).
Die Schwierigkeiten in der Partizipation liegen nicht in der Person selbst, sondern vielmehr in
mangelndem Wissen und fehlender Bereitschaft des Umfeldes. Diese Barrieren sollen aufgedeckt und nach Möglichkeit beseitigt werden, um die Teilnahme zu verbessern (vgl. Lage
2000, S. 147).
5.6.6
Auswahl des Vokabulars für eine Kommunikationshilfe
Die Auswahl des ersten Vokabulars einer Kommunikationshilfe ist entscheidend für das Gelingen der Kommunikation. Erste Begriffe sind an den Erfahrungen und Bedürfnissen des
„nichtsprechenden“ Menschen auszurichten. Der Fragebogen von Kristen und die oben angeführten Profile sind hilfreich für die Zusammenstellung einer Wörterliste. Das Vokabular ist
an die kognitiven Fähigkeiten des Nutzers anzupassen. Es muss in möglichst vielen Situationen eingesetzt werden können. Da jeder Mensch andere Interessen hat, ist das Vokabular
immer individuell aufgebaut (vgl. Franzkowiak 1993, S. 3ff).
Durch so genannte „kommunikationssteuernde Aussagen“ kann das asymmetrische Verhältnis zwischen dem „nichtsprechenden“ und dem sprechenden Partner verringert werden
(Petersen 1998, S. 19). Die Sätze: „Wie meinst du das?“, „Du hast mich falsch verstanden!“
etc. bieten dem Unterstützt Kommunizierenden die Möglichkeit, den Gesprächsverlauf zu
unterbrechen. Er kann damit die Kommunikation in eine andere Richtung lenken. Aus diesem Grunde sind solche Aussagen auch möglichst von Anfang an in eine Kommunikationshilfe zu integrieren. Für viele Schwerstbehinderte sind die Möglichkeiten, die diese Floskeln
bieten, sehr ungewohnt. Es ist oft ein langer Prozess, bis sie selbstverständlich verwendet
werden. Petersen schlägt aber dennoch den sofortigen Einsatz der Aussagen vor. Da sie
eine direkte Konsequenz hervorrufen, lernt der Nutzer ihre Bedeutung kennen und gewöhnt
sich an den Umgang mit ihnen. Darüber hinaus sollte ein Zeichen für die Aussage: „Ich
brauche eine neues Symbol“ zur Verfügung stehen (vgl. Petersen 1998, S. 12). Viele Autoren halten es ebenfalls für angebracht, soziale Floskeln, z.B. „Gesundheit“ und andererseits
37
Implementierung: Umsetzung von Veränderungen in einem bestehenden System (vgl.
Duden 1997)
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75
Kapitel 5: Unterstützte Kommunikation (UK)
auch Schimpfwörter in das Vokabular aufzunehmen. Der „nichtsprechende“ Mensch sollte im
Prinzip die gleichen Äußerungen machen können wie ein sprechender Altersgenosse (vgl.
Braun 1997b, S. 10).
Strukturierung des Vokabulars
Zur Organisation des Vokabulars machen die einzelnen Autoren unterschiedliche Vorschläge. Es wird nach Übersichtlichkeit, nach Themen, Oberbegriffen, nach Häufigkeit sowie nach
syntaktischen Regeln geordnet (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 34). In der Regel empfiehlt sich
eine syntaktische Anordnung nach dem Fitzgerald-Code. Die Symbole werden hierbei so
zusammengestellt, dass in Leserichtung die Bildung eines Satzes möglich ist. Von links nach
rechts werden Subjekte, Verben, Adjektive und Objekte platziert. Jede Wortart ist außerdem
farblich gekennzeichnet (vgl. Braun 1997b, S. 11).
Welche Form der Anordnung sinnvoll ist, hängt von den jeweiligen motorischen, kognitiven
und visuellen Fähigkeiten der „nichtsprechenden“ Person ab (vgl. Braun 1997b, S. 12).
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
6
Fallbeispiel des Jungen R.
Im Folgenden möchte ich das Beispiel einer Förderung im Sinne der Unterstützten Kommunikation vorstellen. Aus Gründen des Datenschutzes benenne ich die Personen nur mit ihrem Anfangsbuchstaben.
Anhand dieses Beispiels soll deutlich werden, welche Möglichkeiten der Förderung es im
Einzelfall gibt. Die oben beschriebenen Hilfsmittel müssen zum großen Teil erst modifiziert
werden, damit sie in diesem speziellen Fall einsetzbar sind. Auch die im letzten Kapitel angesprochenen Partizipationsbarrieren werden hier deutlich. Diese können die Fähigkeiten
der „nichtsprechenden“ Person, aber auch Einstellungen und Möglichkeiten im Umfeld
betreffen. Durch die spezielle Situation einer Familie mit zwei schwerstbehinderten Kindern
ist eine Umsetzung der Fördermaßnahmen im Alltag oft nicht einfach.
R. nimmt seit fast 5 Jahren an einer Freizeitgruppe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen teil, die ich mit betreue. Darüber hinaus sind wir mehrere Jahre lang regelmäßig zusammen auf eine Sommerfreizeit gefahren. Seit 1 ½ Jahren führe ich jetzt bei R. die Therapie im Sinne der Unterstützten Kommunikation durch. Begleitet und unterstützt wird die Förderung durch eine Mitarbeiterin des Sprachtherapeutischen Ambulatoriums der Universität
Dortmund. Neben dieser Mitarbeiterin und den Eltern gehört noch eine weitere Studentin
zum Team. Sie fördert die kommunikativen Fähigkeiten von R.s Schwester K. ebenfalls nach
dem Konzept der Unterstützten Kommunikation. Die Inhalte der Förderung sind bei beiden
Kindern relativ ähnlich, daher sprechen wir uns in der Regel ab und tauschen unsere Erfahrungen aus.
Zunächst stelle ich kurz R.s Entwicklung und seine Fähigkeiten bis zum Beginn der Therapie
vor. Eine solche Fallbeschreibung ist, nach Bundschuh, immer nur die Beschreibung einzelner Handlungsmöglichkeiten einer Person. Sie kann niemals eine umfassende Darstellung
der Persönlichkeit eines Menschen sein (vgl. Bundschuh 1996, S. 285). Um einzelne
Schwerpunkte herauszuarbeiten, orientiere ich mich daher an dem Fragebogen von Ursi
Kristen (vgl. Kristen 1997, S. 111-115) (siehe 8.2). Er bietet eine gute Grundlage für die Unterstützte Kommunikation, da er viele Aspekte erfasst, die für die Kommunikation wichtig
sind. Die Eltern hatten zu Beginn der Förderung eine Kurzfassung des Fragebogens ausgefüllt. Die medizinischen Daten konnte ich den Arztberichten entnehmen, die mir die Eltern
freundlicher Weise zur Verfügung stellten.
Nach der Darstellung der Entwicklung werden dann einzelne Punkte der Förderung beschrieben. Fortschritte und Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben, schildere ich in diesem Teil.
Die Ziele der Therapie formulieren wir in regelmäßigen Teamsitzungen. Die Vorgehensweise
und eine Festlegung von Handlungsschritten erfolgt im Rahmen dieser Treffen. Um genaue
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77
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Fortschritte erkennen zu können, ist eine systematische Beobachtung nötig. Zu diesem
Zweck wird die Planung und Reflexion jeder Therapiestunde in einem Protokoll festgehalten.
Dies macht nicht nur eine differenzierte Betrachtung der Fortschritte möglich, sondern auch
die Festlegung neuer Handlungsschritte (vgl. Kern 2000, S. 966). Regelmäßige Videoaufnahmen dienen ebenfalls der Evaluation. Sie machen die genaue Analyse einzelner Situationen möglich. So können auch außenstehende Personen in die Auswertung mit einbezogen
werden (vgl. Kristen 1994, S. 42). Die Mitarbeiterin des Sprachtherapeutischen Ambulatoriums ist in der Regel selbst nicht während der Stunden anwesend. Die Videoaufnahmen geben ihr einen besseren Einblick in die Arbeit und machen eine Supervision möglich.
6.1
6.1.1
Fallbeschreibung:
Diagnose:
Sprachentwicklungsstörung stärkster Ausprägung bei Kleinhirnatrophie38, verbunden mit
Blindheit wegen einer Atrophie des Nervus Opticus39, schwerster Bewegungsbehinderung
und schwerer Skoliose40.
6.1.2
Entwicklungsbeschreibung:
R. ist 1984 geboren. Inzwischen ist er ein 17-jähriger, sehr lebhafter Junge.
Wegen eines ausgeprägten Ikterus41 blieb R. nach der Geburt für einige Zeit in stationärer
Behandlung. Darüber hinaus zeigten sich anfangs keine Auffälligkeiten.
Die Mutter bemerkte ab dem 4. Monat eine nachlassende Halsbeherrschung und im 6.-7.
Monat eine verringerte Reaktion auf optische Reize. Die daraufhin durchgeführte augenärztliche Untersuchung ergab den Befund einer Opticusatrophie. Des Weiteren diagnostizierten
die Ärzte eine „Zerebralparese bei neurodegenerativer Erkrankung unklarer Genese“. Ab
dem 7. Lebensmonat bekam R. eine krankengymnastische Förderung nach dem Konzept
von Voijta und Bobath.
R.s weitere Entwicklung veranlasste die Eltern, eine genetische Beratung aufzusuchen. Da
man zunächst kein bekanntes Syndrom benennen konnte, gingen die Ärzte nicht von einer
38
Kleinhirnatrophie: Schwund des Kleinhirns, führt zu erheblichen Gangstörungen und
Sprachveränderungen (vgl. Pschyrembel 2000).
39
Nervus Opticus Atrophie: Sehnervenschwund (vgl. Pschyrembel 2000)
40
Skoliose: Seitliche Verbiegung der Wirbelsäule mit Drehung der einzelnen Wirbelkörper
(Torsion) (vgl. Pschyrembel 2000)
41
Ikterus: Gelbsucht (vgl. Pschyrembel 2000) (siehe 8.1)
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78
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
genetischen Störung als Ursache aus. Man sah keine Gefahr, dass ein zweites Kind die
gleichen Behinderungen haben könnte.
Zwei Jahre später wurde R.s Schwester K. geboren. Auch bei ihr sind ähnliche Symptome
festzustellen. Nach eingehender Untersuchung nehmen die Ärzte nun doch eine genetische
Störung als Ursache für die Behinderung der beiden Kinder an. Ein bestimmtes Syndrom
konnte bislang nicht benannt werden.
R. besucht seit dem Schuljahr 1990/91 eine Schule für Geistigbehinderte mit Waldorfausrichtung.
6.1.3
Hilfsmittel/ Medikamente:
R. sitzt seit seinem 6. Lebensjahr im Rollstuhl. Er trägt Windeln, da er sich bislang nicht
deutlich äußern kann, wenn er auf die Toilette muss. Zu Hause hat er aber feste Toilettenzeiten, die er in der Regel auch einhält.
Da R. seit dem 4. Lebensjahr Krampfanfälle zeigte, nimmt er einmal täglich Ergenyl Chrono
und homöopathische Tropfen. Nach einigen anfallsfreien Jahren, hatte R. vor wenigen Monaten wieder einen einmaligen Krampfanfall.
Zur Reduktion des Muskeltonus bekommt R. regelmäßig Botolinum Toxin-A verabreicht.
6.1.4
Förderungen
Ab Februar 1985 erhielt R. eine Frühförderung. Dabei standen die Verbesserung des Gehörs, der taktilen Wahrnehmung und Exploration sowie motorische Übungen im Vordergrund. Eine Frühförderung aus dem Gebiet der Blinden- oder Sehbehindertenpädagogik
bekam R. nicht.
Seit der frühen Kindheit führt R.s Vater eine Sprachförderung nach der Methode der Chirophonetik42 durch.
Außerdem hat R. in der Schule einmal pro Woche Krankengymnastik und außerhalb der
Schulzeit eine wöchentliche Hippotherapie. Seit August 1999 bekommt er eine Sprachtherapie im Sinne Unterstützter Kommunikation.
Im November 2000 wurde R. an der Hüfte operiert. Daher erhält er zusätzlich eine spezielle
Schwimmtherapie als Fortsetzung der Rehabilitationsmaßnahmen.
6.1.5
6.1.5.1
Kommunikative Verhaltensweisen und linguistische Fähigkeiten
Vokalisation
Als Kleinkind sprach R. Einzelwörter wie „Papa“ oder „Mama“. Im 2. Lebensjahr gingen diese
sprachlichen Äußerungen zurück. Seitdem produziert er lediglich Laute und einzelne andere
42
Chirophonetik: anthroposophische Sprachtherapie (siehe 8.1)
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Wörter. Er entwickelte ein stereotypes Brummen. Dies setzt er vorwiegend in Unterforderungs- und Lageweilesituationen ein.
R. spricht heute die Wörter „hei“, „heiß“, „ei", „eis“ und „Mama“ und einzelne Laute wie [e:],
[u:], [i:], [ç], [ ], [pf], [m] oder [a:]. Je nach Situation, stehen „heiß“, „hei", „eis“ oder „ei“ für
„Ja". Genauso benutzt er sie aber auch zur Begrüßung, um auf sich aufmerksam zu machen
u.v.m. Die Personen aus seinem täglichen Umfeld kennen die Bedeutung dieser Äußerungen und reagieren entsprechend. Ablehnung zeigt R. situativ durch Wegstoßen eines Gegenstandes oder einer Person sowie durch Murren. Insgesamt kann R. mit seinen wenigen
Ausdrucksmitteln viele kommunikative Absichten deutlich machen. Neben den oben beschriebenen Mitteilungen drückt er Protest und Freude über Lautäußerungen aus. Alltagsbedürfnisse, wie „Ich muss auf Toilette“, kann er nicht vermitteln.
R.s Vater führt bereits seit vielen Jahren mit beiden Kindern Chirophonetik durch. Einige Zeit
nach Beginn dieser Förderung fing R. an, Melodien nachzusummen. Dies tut er bis heute. Er
hat inzwischen ein enormes Repertoire an Liedern. Es erstreckt sich von diversen Kinderliedern über anthroposophische Melodien, klassische Musik und alte Schlager bis hin zu moderner Popmusik. R. und seine Schwester werden zu Hause immer zusätzlich von einem
Zivildienstleistenden oder einem Behindertenbetreuer versorgt. Über diese Personen lernt R.
ständig aktuelle Lieder kennen. Da er Melodien bereits nach dem ersten Hören nachsummt,
wächst sein Liedrepertoire ständig. Dies macht deutlich, dass R. über eine differenzierte
auditive Wahrnehmung und eine gute Merkfähigkeit verfügt. Beim Summen werden Ansätze
von vorhandener Dialogfähigkeit deutlich. R. kann angefangene Melodien fortsetzen oder im
Wechsel mit einer anderen Person singen. Auf Aufforderung summt er ein genanntes Lied,
d.h. er kann jeweils den Titel mit einer Melodie verbinden. Dies ist ein starkes Indiz dafür,
dass R. sprachliche Äußerungen angemessen verarbeitet und umsetzt.
R. summt auch von sich aus viele Lieder. Es besteht sogar teilweise Anlass zu der Vermutung, dass er Melodien gezielt einsetzt, um etwas auszudrücken, z.B. das Lied „Was sollen
wir trinken...“ für „Ich habe Durst“. Diese Hypothese konnte bislang nicht eindeutig bestätigt
werden. Wir haben aber im Rahmen der Therapie daran angeknüpft und versucht, diese
Fähigkeit anzubahnen.
6.1.5.2
Mimik und Gestik
Mit Hilfe seines Gesichtsausdrucks kann R. Gefühle, wie Freude, Schmerz, Unwohlsein,
Trauer etc., deutlich machen. Allerdings ist dies manchmal nur für die nächsten Bezugspersonen verständlich. Auf Grund der Skoliose und der mangelnden Halsbeherrschung hat er
meist den Kopf nach unten gerichtet. Daher ist seine Mimik nicht immer einfach zu erkennen. R. ist ein sehr fröhlicher Junge. Er lacht viel und zeigt seine Freude durch ein schelmisches Grinsen, das immer sofort zu sehen ist. Wenn er seine Mitmenschen gezielt ärgern
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80
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
möchte, dann macht er murrende Äußerungen für Unzufriedenheit. An seinem Lächeln lässt
sich aber dennoch erkennen, dass er sich einen Spaß erlaubt.
R. führt gezielte Greifbewegungen aus, um einen Gegenstand oder eine Person zu erreichen. Er orientiert sich dabei vorwiegend an akustischen Reizen. Brillenträgern zieht er mit
Vorliebe die Brille von der Nase. In diesen Aktionen hat er inzwischen eine große Zielgerichtetheit entwickelt. Er holt sich auch selbst Gegenstände, von denen er weiß, wo sie sich
befinden. Dabei benutzt er bevorzugt den rechten Arm. Schwerere Objekte kann er daher
manchmal nicht zu sich heranziehen. Wenn R. auf dem Boden sitzt und ein gewünschter
Gegenstand nicht in Reichweite liegt, rollt er sich gezielt dorthin.
Als direktes Kommunikationsmittel, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder Gefühle
bzw. Grundbedürfnisse zu äußern, setzt R. keine Gesten ein. Für solche Äußerungen bedient er sich eher seiner Stimme.
6.1.5.3
Sprachverständnis
R.s passiver Wortschatz ist größer als der aktive. Dies lässt sich immer wieder aus seinen
Erwiderungen schließen. Auf normale Alltagsfragen reagiert er adäquat. Auch Scherzfragen
scheint er zu verstehen, er antwortet im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf.
In einer Therapiestunde sollte R. einmal gezielt den Nein-Button (siehe 6.2.2.3) benutzen.
Hierzu stellte ich ihm einige scherzhafte Fragen, die mit Nein zu beantworten waren. R.
drückte, wie erwartet, auf den entsprechenden Button, aber sagte gleichzeitig lachend
„heiß". Hierdurch machte er mir deutlich, dass er meine nicht ernst gemeinte Frage auch
nicht ernsthaft beantworten wollte.
R. erkennt seinen eigenen Namen und auch die Namen bekannter Personen wieder. Wenn
in einer Erzählung z.B. der Name eines Klassenkameraden erwähnt wird, antwortet er darauf mit einem „heiß“. Er scheint mit dem Namen etwas verbinden zu können. Alltägliche
Sätze und Aufforderungen versteht er.
Wenn sich zwei Personen in seinem Beisein über ein Thema unterhalten, das ihn betrifft,
schaltet er sich ein, auch ohne dass er direkt angesprochen ist. Er wirft dann lautsprachliche
Äußerungen, wie „heiß“, ein.
Schwierigkeiten scheinen ihm zeitliche Dimensionen zu bereiten. Auf die Frage, ob er von
„gestern" oder vom „Wochenende" erzählen möchte, reagiert R. meist nicht. Die allgemeine
Frage, ob er irgendetwas zu erzählen hat beantwortet er in der Regel.
Zustimmung und Ablehnung kann R. lautsprachlich deutlich machen. Konventionelle Zeichen wir Kopfschütteln oder Nicken sind für ihn auf Grund der Skoliose und der mangelnden
Halsbeherrschung nicht möglich. Manchmal erlaubt er sich auch einen Spaß und sagt „Ja“
statt „Nein“ oder umgekehrt. Die Antwort auf intentionale und assertive Fragen ist möglich.
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81
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
6.1.6
6.1.6.1
Kognitive Fähigkeiten
Aufmerksamkeit
R. ist sehr interessiert an neuen Dingen. Vor allem bei unbekannten akustischen Reizen hört
er sehr genau zu. Er lässt sich durch Umgebungsgeräusche gerne ablenken. Wenn R. sich
unterfordert fühlt oder langweilt, verfällt er schnell in ein Brummen. Dann ist er kaum ansprechbar, da er in sich versunken ist.
R. mag es, wenn sich jemand speziell mit ihm befasst und er viel Aufmerksamkeit bekommt.
Alleine beschäftigt er sich in der Regel immer nur für kurze Zeit. Generell zeigt er wenig
Ausdauer beim Arbeiten. Aufgaben, die er schon mehrmals ausgeführt hat oder solche, die
länger dauern, langweilen ihn.
6.1.6.2
Wahrnehmung
1985 wurde eine starke Wahrnehmungsstörung in allen Bereichen diagnostiziert.
Visuell
Bereits im ersten Lebensjahr ließen R.s Reaktionen auf optische Reize nach. Mit ca. 12 Monaten wurden keine Fixationsaufnahmen und Blickfolgebewegungen erkannt. R. reagierte
lediglich auf Licht. Mit 18 Monaten bestätigten die Ärzte den Verdacht einer Opticusatrophie
in einem ophthalmologischen43 Bericht. Der Befund gibt an, dass keine Fixationsaufnahme
und Blickfolgebewegungen stattfinden. Die Sehnervenscheibe ist schmutzig grau abgeblasst. Die brechenden Medien sind klar, aber eine direkte und indirekte Reaktion auf Licht
ist nur schwach feststellbar. Die Überprüfung des Sehvermögens und des Gesichtsfeldes
wurde zum damaligen Zeitpunkt als nicht durchführbar angesehen, da R. noch zu jung war.
Die Ärzte gingen aber davon aus, dass sein Sehvermögen unter 1/50 lag. Damit gilt er im
medizinischen Sinne als blind. Spätere Berichte geben ähnliche Visuswerte an. Es ist jedoch
nicht zu entnehmen, auf welche Weise die Sehfähigkeit geprüft wurde. Die letzte Information
zu diesem Aspekt nennt eine Hell-Dunkel-Unterscheidung und verzögerte Lichtwahrnehmung. Fixation von Gegenständen und Blickfolgebewegungen wurden im Rahmen dieser
Untersuchungen nicht festgestellt.
Bei der Überprüfung optisch evozierter Potenziale ergaben sich 1989 altersadäquate Latenzzeiten. Dies lies auf eine Durchlässigkeit der Sehbahn schließen.
Auditiv
Im ersten Lebensjahr wurde bei R. zunächst eine Hörschädigung vermutet, da er keine deutlichen Reaktionen auf Geräusche zeigte. Dieser Verdacht bestätigte sich jedoch nicht. Im
Laufe der Frühförderung bekam R. ein Hörtraining. Anfangs fiel es ihm schwer, Geräusche
43
ophthalmologischer Bericht: augenärztlicher Bericht
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
zu orten und sich in ihre Richtung zu bewegen. Inzwischen orientiert er sich sehr gut an akustischen Reizen. Er kann gezielt nach Gegenständen greifen, die einen Laut verursachen.
R. hat mit der Zeit ein ausgeprägtes Gedächtnis für Geräusche entwickelt. Meist ist er in der
Lage, Objekte wieder zu finden, die vor einiger Zeit an einer Stelle abgelegt wurden. Er greift
nach diesen Gegenständen, sobald er sie wieder haben möchte.
Bekannte Personen erkennt R. an der Stimme wieder. Seine Reaktionen zeigen, dass er
eindeutig zwischen bekannten und unbekannten Personen unterscheidet. Auch andere Umweltgeräusche kann er zuordnen. Er kennt z.B. das Geräusch des Schulbusses oder auch
Schritte. Sehr interessiert ist er bei neuen Klängen. Hier hört er aufmerksam zu.
Taktil
Als Kleinkind reagierte R. überempfindlich auf taktile Reize. Inzwischen verträgt er normale
Berührungen. Allerdings ist er im Bereich der Ohren immer noch sehr empfindlich. Er mag
es nicht, wenn diese durch eine Mütze oder einen Kopfhörer abgedeckt sind. Möglicherweise ist dies dadurch zu begründen, dass z.B. durch einen Hörer noch ein weiteres Sinnesorgan beeinträchtigt wäre.
Gezielte Strategien zur Erkundung von Gegenständen wendet R. nicht an. Wenn er Dinge
berührt, dann tut er dies immer mit der ganzen Hand.
6.1.6.3
Sensomotorische Fähigkeiten
R. verfügt über Objekt-Permanenz: einen Gegenstand, der ihm entzogen wird, beginnt er
aktiv zu suchen. Da er blind ist, nutzt er hierfür taktile und akustische Reize. Ansatzweise
verfügt er über ein Symbolverständnis. Indem er den Titel eines Liedes zu einer Melodie
zuordnet, dient der Titel als Symbol. Auch die lautsprachlichen Äußerungen für „Ja“ lassen
eindeutig auf ein vorhandenes Symbolverständnis schließen.
Objekte kann er nicht nach bestimmten Merkmalen sortieren. Dabei müsste er sich an taktilen Eindrücken orientieren und gezielte Taststrategien anwenden, die bei ihm nicht genügend ausgeprägt sind.
R. ist als geistig behindert eingestuft und besucht eine Schule für Geistigbehinderte mit Waldorfausrichtung.
6.1.6.4
Psychosoziale Fertigkeiten
R. beschäftig sich gerne mit Dingen, die Geräusche machen. Zu Hause hat er verschiedene
Trommeln, Rasseln, einen Regenstab, einen Reifen und einen Ball mit einem Glöckchen.
Wenn gerade keine Trommel in der Nähe ist, klopft er häufig auch einfach einen Rhythmus
auf seine Knie oder auf einen Tisch u.ä. Er summt sehr gerne.
Außerdem macht er oft Späße mit anderen Personen. In solchen Situationen kann er hoch
motiviert sein Ziel verfolgen und ist sehr ausdauernd. R. erzählt gerne von seinen Erlebnissen, wenn er gefragt wird.
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83
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
6.1.6.5
Motorik
Grobmotorik
R. entwickelte sich zunächst unauffällig. Im Alter von 5 Monaten ließ seine Halsbeherrschung zunehmend nach. Die rechte Körperhälfte reagierte deutlich besser als die linke. Es
wurde eine beginnende Skoliose diagnostiziert und R. bekam eine regelmäßige Krankengymnastik nach Voijta und Bobath.
So lernte R. mit der Zeit, sich selbst von der Bauch- in die Rückenlage zu bewegen und ihm
gelang eine Sitzkontrolle. Er war zwischenzeitlich in der Lage, einige Schritte zu gehen und
auch mit Hilfe zu stehen. Diese Fähigkeiten gingen aber später wieder zurück.
Heute setzt R. sich selbstständig aus der waagerechten Körperlage auf. Er dreht sich um die
eigene Körperachse (wie beim Baumstammrollen). Sitzen kann er ohne Hilfsmittel, sein Kopf
ist jedoch auf Grund der schweren Skoliose meistens nach unten gerichtet. Wenn R. über
etwas nachdenkt oder gespannt zuhört, gelingt es ihm für kurze Zeit den Kopf aufzurichten.
Er kann mit Hilfe stehen und einige Schritte laufen. Dies fällt ihm auf Grund der Hüftfehlstellung zunehmend schwerer.
Der rechte Arm bietet R. die größte Bewegungsmöglichkeit. Da er mit dem linken Arm wesentlich eingeschränkter ist, hebt er den rechten Arm häufig auch über die Körpermitte hinweg, um einen Gegenstand oder eine Person zu erreichen. So ermöglicht sich R. die Erkundung seiner Umwelt, bzw. das Erreichen von Gegenständen in einem relativ großen Radius.
Im Rahmen der Therapie zur Unterstützten Kommunikation hat sich herausgestellt, dass R.
in der Lage ist, einen einfachen Schalter zu bedienen.
Feinmotorik
Im Alter von drei Monaten war R. in der Lage, nach Gegenständen zu greifen. Diese Fähigkeit ließ jedoch mit der Zeit nach. Durch die Krankengymnastik wurde R. so weit gefördert,
dass er inzwischen wieder gezielt nach Gegenständen greift. Hierfür benutzt R. immer die
ganze Hand. Im Rahmen der Krankengymnastik sollte zeitweilig die Diskrimination der einzelnen Finger und später der Daumen-Zeigefinger-Griff gelernt werden. Dies beherrscht R.
nicht.
R. benötigt beim Essen und Trinken Hilfe, da er nicht selbstständig eine Tasse oder einen
Löffel halten und zum Mund führen kann. Kaubewegungen führt er ohne Probleme aus.
6.1.6.6
Lebenspraktische Fertigkeiten
R. ist in der Lage, beim An- und Ausziehen seiner Jacke mitzuhelfen. Beim Anziehen bemüht er sich, seine Arme durch die Ärmel auszustrecken, bis sie am Ende des Ärmels herauskommen. Ansonsten benötigt er in allen Lebensbereichen Hilfe.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
6.1.6.7
Sozialverhalten
R. ist gerne unter vielen Leuten. Wenn viel um ihn herum los ist, fühlt er sich meistens sehr
wohl.
6.2
Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten durch Unterstützte Kommunikation
Im folgenden Teil beschreibe ich nun die bisherigen Ziele und Fortschritte der Therapie. Die
ersten Ziele ergaben sich aus der vorangehenden Beschreibung.
Die Gliederung der Darstellung erfolgt nach Themenbereichen. Es soll dennoch deutlich
werden, wie einzelne Schritte aufeinander folgten. Zusätzlich befindet sich ein schematisierter Ablaufplan der Förderung im Anhang (siehe 8.2)
6.2.1
Ausgangspunkt der Therapie
In ihrem täglichen Umgang mit R. hatten die Eltern den Eindruck, dass der Junge mehr mitteilen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Sie setzten sich daher mit dem Sprachtherapeutischen Ambulatorium der Universität Dortmund in Verbindung.
Zunächst fand ein Besuch von zwei Mitarbeiterinnen des Sprachtherapeutischen Ambulatoriums und einer Studentin bei der Familie statt. Bei diesem Treffen wurde ein ausführliches
Elterngespräch geführt. Außerdem beschäftigte sich eine Mitarbeiterin mit den Kindern. So
konnten direkt einzelne Fähigkeiten, z.B. Objektpermanenz, ermittelt werden. Der Besuch
wurde auf einem Video festgehalten.
Im nächsten Schritt werteten die drei Besucher das Videoband und den Bericht der Eltern
aus. Dabei standen die Aspekte Kognition, Sprache, Bewegung, Motorik, Ausdauer und
Sozialverhalten im Vordergrund. Nach dem Erstbesuch wurde ich als eine von zwei weiteren
Studentinnen hinzugezogen, um die Förderung bei einem der Kinder durchzuführen. Da ich
R. bereits seit mehreren Jahren kannte, übernahm ich die Förderung bei ihm.
Im Rahmen des ersten Teamtreffens mit den Mitarbeitern des Ambulatoriums und den Studentinnen wurden die Fähigkeiten der beiden Kinder R. und K. besprochen und gemeinsam
erste Schritte für die Förderung geplant. Bei der Festlegung neuer Ziele sollen auch die
Wünsche der Eltern berücksichtigt werden. Daher finden regelmäßige Teamsitzungen statt.
Bei diesen Treffen sind die Eltern, eine Mitarbeiterin des Sprachtherapeutischen Ambulatoriums und die Studentinnen anwesend. Gemeinsam legen wir jeweils weitere Schritte der
Therapie fest. Mit den Eltern sollen Möglichkeiten erörtert werden, wie die einzelnen Ziele in
den Alltag zu integrieren sind.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
6.2.2
Bisherige Ziele und Ergebnisse der Förderung
Zu Beginn einer jeden Förderung steht der Beziehungsaufbau und das Kennen lernen (vgl.
Arnusch/ Pivit 1996, S. 39). Da ich R. bereits seit mehreren Jahren kannte, fiel diese Phase
kurz aus. Dennoch ist die Einzeltherapie immer eine völlig andere Situation als die Begegnung in einer Gruppe. Im Rahmen der Förderung hatte ich Gelegenheit, viel Neues von R.
zu erfahren. Er zeigt mir immer wieder, dass er mehr kann, als ich ihm zunächst zutraue.
Für die Beziehungsbildung nennt Arnusch/ Pivit einige Grundregeln:
-
man soll sich dem Behinderten als Interaktionspartner anbieten
-
die Fähigkeiten der Person annehmen und daran anknüpfen
-
während der Beschäftigung soll immer auch eine Beobachtung stattfinden, sodass Ziele
revidiert und neu festgelegt werden können (vgl. Arnusch/ Pivit 1996, S. 39)
6.2.2.1
Vorbereitung der Förderung
Zunächst wurden die Eltern gebeten, ein Tagebuch für R. zu führen. Die Ereignisse des
Tages werden aus R.s Sicht darin festgehalten. Morgens in der Schule können die Lehrer
der Klasse vorlesen, was R. am Vortag gemacht hat. Da der Text in Ich-Form geschrieben
ist, kann R. praktisch selbst erzählen. Am Nachmittag schreiben die Lehrer ebenfalls R.s
Erlebnisse auf. Die Inhalte des Tagebuches werden jeweils mit der „nichtsprechenden“ Person abgesprochen. Im Rahmen der Unterstützten Kommunikation sind solche Tagebücher
eine sehr gebräuchliche Form. Sie repräsentieren Vergangenes und dienen der Gedächtnisschulung (vgl. Schneider 2000, S. 172).
6.2.2.2
Aufbau eines Symbolverständnisses und Kommunikation mit Gegenständen
Als ein erstes Ziel hatten wir die Verbesserung des Symbolverständnisses festgelegt. Zum
damaligen Zeitpunkt schien noch der Einsatz einer Kommunikationstafel mit tastbaren Symbolen, wie sie Ockelford beschreibt, als Fernziel sinnvoll. Der Aufbau des Symbolverständnisses orientierte sich an der Arbeit mit Objects of References (siehe 5.6.2.1). Dafür wählte
ich zu R.s Lieblingsaktivitäten jeweils ein passendes Objekt, das diese repräsentierte. Der
Gegenstand sollte jeweils einen direkten Zusammenhang zu seiner Bedeutung aufweisen,
um eine Zuordnung zu erleichtern. R. bekam die Gegenstände nacheinander dargeboten.
Ich erklärte jeweils, welche Bedeutung sich mit einem Objekt verbindet. So stand z.B. seine
Ocean Drum44 für „Musik machen“, eine Kassettenhülle für „Musik hören“ und ein Ball für
„Ball spielen“. R. hatte nun die Möglichkeit durch Wegstoßen oder Klopfen auf den Gegenstand etwas abzulehnen oder auszuwählen. Dieses Prinzip hatte er sehr schnell verstanden.
44
Ocean Drum: Musikinstrument, in dem sich Metallkugeln befinden, die bei Bewegung eine
Art Meeresrauschen verursachen. Man kann auch darauf trommeln.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Die Gegenstände wurden auch später noch als Repräsentanten für bestimmte Tätigkeiten
eingesetzt. Die Art des Auswahlverfahrens habe ich im Laufe der Zeit verändert. Ebenfalls in
Anlehnung an Ockelford, bekam R. nun zwei Objekte gleichzeitig dargeboten. Je eines links
und rechts von ihm. Ich führte seine Hand zu den Objekten und erklärte die Bedeutung.
Durch Klopfen auf einen Gegenstand konnte er sich für eine Handlung entscheiden. So hatte
R. immer gleich zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Damit war einerseits direkt eine Alternative
geboten, andererseits verkürzte sich das Auswahlverfahren. Später bekam er außerdem die
Möglichkeit, zu sagen, dass er nichts von beidem machen wollte (siehe 6.2.2.3).
6.2.2.3
Ja-Nein-Anbahnung
R. hatte zu Beginn der Therapie keine Möglichkeit, Ja und Nein konventionell eindeutig zu
äußern. Er war immer darauf angewiesen, dass die Kommunikationspartner seine individuellen Formen richtig deuteten. Nicken und Kopfschütteln sind wegen R.s mangelnder Halsbeherrschung nicht möglich.
Im Rahmen der Therapie sollte R. befähigt werden, Ja und Nein lautsprachlich oder mit anderen Symbolen deutlich zu machen. Wir suchten vor allem nach Möglichkeiten, die auch
außenstehende Personen erkennen würden. Nach einiger Überlegung kamen wir im Team
zu dem Ergebnis, zwei tastbare Buttons anzufertigen. R. hat in der Schule keine blindenspezifische Förderung, daher ist ihm die Braille-Schrift nicht bekannt. Es lag also nahe, tastbare
Buchstaben zu produzieren, die R. mit der ganzen Hand erfassen konnte. Auf einen runden
Untergrund aus Moosgummi wurden hierzu die Wörter Ja und Nein, ebenfalls aus Moosgummi, aufgeklebt. „Nein“ war in Rot geschrieben und „Ja“ in Gelb (siehe Abbildung 32).
Hierdurch konnten auch Kinder nach einer kurzen Erklärung die unterschiedliche Bedeutung
der Buttons erfassen, ohne lesen zu müssen. Wir gingen davon aus, dass R. die Schrift zwar
nicht lesen konnte, dass er aber die unterschiedliche Länge der Wörter erfassen würde. Als
zusätzliche Unterscheidungshilfe hatten beide Symbole einen festen Platz. Nein lag auf dem
linken und Ja auf dem rechten Knie. Zur Befestigung legten wir Klettbänder um R.s Beine,
auf denen dann die Buttons hielten. So konnten sie nicht mehr herunterrutschen, auch wenn
R. einmal aus Versehen daran stieß. R. lernte sehr schnell, die Buttons gezielt einzusetzen.
Wir begannen nun jede Stunde mit einer kurzen Erzählphase, in der R. von seinem Tag oder
seiner Woche berichten konnte. Hierzu stellte ich ihm Ja-Nein-Fragen, die er dann lautsprachlich oder mit Hilfe der Buttons beantwortete. Den Ja-Button benutzte R. ziemlich häufig in Kombination mit dem lautsprachlichen „heiß“. Nach wenigen Stunden begann R. immer
häufiger statt „heiß“ A-Laute zu produzieren. Auch das Nein machte er jetzt lautsprachlich
deutlich über ein „mmm“, das wie ein Murren klang. Diese lautsprachlichen Äußerungen
sollten natürlich weiter unterstützt werden. Da Laute wie „ha, ha“ oder „a“ dem konventionellen Ja mehr gleichen, als „heiß“, verstärkte ich diese Äußerungen. Ich sagte: „Du meinst Ja“
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
und führte R.s Hand gleichzeitig zu dem entsprechenden Button. Wenn R. „heiß“ sagte, reagierte ich darauf ebenso.
Abbildung 32: Ja-Nein-Buttons: Originalgröße ca. 14cm Durchmesser
Der Nein-Button wurde auch in das oben beschriebene Auswahlverfahren eingebunden.
Wenn R. zu keiner der beiden vorgeschlagenen Aktivitäten Lust hatte, konnte er auf den
Nein-Button drücken. Diese Geste hieß: „Ich möchte nichts von beidem tun!“ R. wusste,
dass ich mir dann etwas anderes überlegen würde. Auch hier begann R. bald zusätzlich zum
Zeigen seine Lautsprache einzusetzen. Statt den Nein-Button zu berühren sagte er teilweise
„mmm“ oder „oh man“. Ein paar Wochen, nachdem R. zum ersten Mal „mmm“ als lautsprachliches Nein in der Therapie geäußert hatte, begann er, die Buttons immer wieder abzureißen. Es wurde deutlich, dass er sie nicht mochte. Ich einigte mich mit ihm darauf, dass
er von nun an lautsprachlich antworten würde. So kämen wir auch ohne die Buttons gut zurecht. R. versprach mir dies zunächst einmal. Daraufhin ließ ich die Buttons weg.
Im Laufe der Förderung stellte sich heraus, dass R. auch das konventionelle Wort Ja produzieren kann. Er verwendet es allerdings nie als Antwort auf eine Frage. Die Eltern berichten,
dass R. dieses Wort lediglich als Reaktion auf etwas einsetzt. Warum er es nicht im eigentlichen Sinn nutzt, ist nicht klar. Ich gehe davon aus, dass ihm die Bedeutung des Wortes bekannt ist.
6.2.2.4
Elektronische Hilfsmittel
Einige Zeit nach Beginn der Förderung wurde der Einsatz verschiedener elektronischer
Hilfsmittel angedacht. Es war nicht bekannt, ob R. in der Lage sein würde, einen einfachen
Schalter zu bedienen. Dies war noch nie erprobt worden. Um das geeignete Gerät herauszufinden, konnte ich anfangs verschiedene Hilfsmittel an der Universität ausleihen und ausprobieren.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Als Erstes führte ich den BIGmack45 ein (siehe Abbildung 33). Die große Taste ist auch bei
starken motorischen Einschränkungen noch gut zu bedienen. Auf einen Sprachspeicher mit
20 Sekunden Kapazität konnte ich mehrere Sätze oder auch einen Liedrefrain aufnehmen.
R. drückte bereits nach wenigen Versuchen selbstständig den BIGmack. Er war anfangs
hoch motiviert, mit dem Gerät zu arbeiten. Der Schalter bot R. die Möglichkeit zu sprechen.
Bevor ich etwas aufnahm, klärte ich durch Ja-Nein-Fragen ab, was er sagen wollte. Wenn
sich R. beim Auswahlverfahren für etwas entschieden hatte, sprach ich die gewünschte Aktion auf das Gerät, z.B. „Ich möchte Ball spielen.“ Dabei wurde R. natürlich durch eine weibliche Stimme vertreten. Ihm schien aber klar zu sein, dass ich ihm sozusagen meine Stimme
lieh, damit er sprechen konnte. Manchmal sang R. selbst ein Lied auf den BIGmack. Da die
Speicherkapazität begrenzt ist, wurde immer nur eine Strophe aufgenommen. R. spielte
dann durch Bedienen des Schalters die Melodie ab und setzte sie selbstständig fort.
Leider benutzte R. den BIGmack häufig als Trommel, d.h. er drückte ihn nicht nur einmal,
sondern mehrmals hintereinander im Rhythmus eines Liedes. Dies ist auch ein Grund, warum der das Gerät in der Schule lange Zeit nicht eingesetzt wurde. Die Lehrerin entnahm
diesem „Trommeln“, dass R. nicht in der Lage war, den Schalter gezielt zu bedienen. Sie
meinte, er würde nur reflexartig darauf drücken. R. kann allerdings den Schalter durchaus
sehr sicher auslösen.
Es ist aber zu bedenken, dass der BIGmack für ihn eines von wenigen Mitteln ist, um sich
lautsprachlich zu äußern. Andere Schüler stören den Unterricht z.B. durch lautes Reden. R.
hat diese Möglichkeit nicht. Daher nutzt er vermutlich den BIGmack, um auf sich aufmerksam zu machen oder auch seinen Unmut zu äußern.
Abbildung 33: Der BIGmack
Neben dem Sprachgerät sollte R. die Möglichkeit bekommen, im Hauswirtschaftsunterricht in
der Schule aktiv mitzuarbeiten. Dafür bot sich der PowerLink (siehe 8.1) in Verbindung mit
einem einfachen Schalter an. Ich wählte zunächst die Big Red-Taste46, da sie die gleiche
45
BIGmack: einfaches Sprachgerät (siehe 8.1)
46
BIG Red-Taste/ Jelly Bean-Taste: einfache Schalter (siehe 8.1)
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89
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Größe hat wie der BIGmack. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass R. auch den kleineren Jelly Bean bedienen kann.
R. konnte nun im Hauswirtschaftsunterricht den Mixer betätigen. Zu Hause schaltet er sich
selbstständig seinen Kassettenrekorder an und aus. Da er gerne Musik hört, macht ihm das
viel Spaß. Der PowerLink ermöglicht R. so ein hohes Maß an Mitbestimmung. Auch im schulischen Bereich sollte das Gerät ihm mehr Möglichkeiten eröffnen, am üblichen Unterricht
teilzunehmen.
6.2.2.5
Abendbrot
Um R. weitere Mitbestimmungsmöglichkeiten im Alltag zu bieten, sollte er sein Abendessen
bestimmen können. Ein erstes Ziel war die Auswahl des Brotbelages. In einem späteren
Schritt konnte R. ein gewünschtes Getränk und ein Stück Obst aussuchen. Dieses Auswahlverfahren wird immer noch auf die gleiche Weise durchgeführt. R. sagt zunächst, ob er sein
Essen bestellen möchte. Wenn er sich dafür entscheidet, werden die einzelnen Wahlmöglichkeiten vorgestellt. In der Regel gibt es maximal vier verschiedene Brotaufstriche. Ich frage die einzelnen Beläge nacheinander ab. Als letzte Möglichkeit nenne ich immer ein Überraschungsbrot, das der Betreuer dann schmiert. Durch Zustimmung oder Ablehnung macht
R. deutlich, was er essen möchte. Hierbei ist es wichtig, R. Zeit zu lassen. Wie bereits bei
den Besonderheiten der Gesprächssituation in Kapitel 5.5 geschildert, erfolgen Reaktionen
bei „nichtsprechenden“ Menschen oft verzögert. In der Regel warte ich bis zu 10 Sekunden,
bevor ich die nächste Wahlmöglichkeit anbiete. Wenn R. bei einem Vorschlag nicht reagiert,
geht man nach dieser Zeit weiter. Im Anschluss wird dann diese Möglichkeit noch einmal
geboten.
Um die Wahl zu erleichtern, bekam er anfangs die einzelnen Beläge auch zum Riechen angeboten. Damit sollte gewährleistet werden, dass R. die Bedeutung der einzelnen Namen
kannte. Diese Auswahl war für ihn eine ganz neue Erfahrung, daher dauerte es eine Weile,
bis er die Möglichkeit nutzte. Dann machte es ihm aber sichtlich Spaß.
Da es um Mitbestimmungsmöglichkeiten im Alltag ging, wurde schon bald der Betreuer mit
dem Verfahren vertraut gemacht. Hierbei ist es wichtig, dass wir nicht nur das gleiche Verfahren nutzen, sondern dass auch alle Bezugspersonen die gleichen Bezeichnungen für die
einzelnen Brotbeläge wählen, um R. nicht zu verunsichern.
Die Auswahl von Getränken und zusätzlichen Lebensmitteln, wie Obst oder Gemüse, wird
genauso gehandhabt. Manchmal möchte R. auch nur ein Getränk oder nur ein Stück Obst
auswählen. Dies klären die Bezugspersonen immer mit der ersten Frage ab.
Zurzeit ist die Bestellung immer von R.s Tagesform abhängig. Entweder hat er gar keine
Lust, etwas auszuwählen, oder er möchte nur etwas zu trinken bzw. ein Stück Obst bestellen. Mitunter bestellt er nur bei einer bestimmten Person.
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90
Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Wenn R. dann seine Wünsche geäußert hat, werden diese auf den BIGmack oder Step-byStep47 gesprochen, sodass er seine Bestellung noch einmal selbst aussprechen kann.
6.2.2.6
Akustisches Tagebuch
Als Erweiterung zu dem geschriebenen Tagebuch werden R.s Erlebnisse seit einiger Zeit
auf einer Kassette festgehalten. Diese Aufnahme bietet R. auch die Möglichkeit, die Erzählung mitzugestalten. Er kann selbst ein Lied aufnehmen oder Kommentare zu dem Gesprochenen abgeben. Diese Art des Tagebuches wird nur im Rahmen der Therapie benutzt. Wir
nehmen die Inhalte der Stunde darauf auf. R. kann dann einer Person im Haus „erzählen“,
was wir gemacht haben. Beim Abspielen reagiert er oft auf das Gesagte, indem er lautsprachliche Kommentare abgibt oder auch bei einem aufgenommenen Lied mitsingt. Mit
dem PowerLink kann R. jedem aus der Familie die Kassette vorspielen.
Damit er auch in der Klasse von seinem Nachmittag erzählen kann, schreibe ich alle Inhalte,
die ich auf die Kassette spreche, zusätzlich in das Tagebuch.
6.2.2.7
Tastbarer Stundenplan
Durch das Auswählen des Abendbrotes und das akustische Tagebuch ergaben sich einige
feste Bestandteile der Therapiestunde. In der Literatur wird immer wieder betont, dass solche Rituale im Rahmen einer Förderung sinnvoll sind. R. ist auch im Alltag an einen sehr
festen Zeitplan gewöhnt. Die immer wiederkehrenden Elemente der Stunde sollten daher in
einer festen Reihenfolge ablaufen. Um diese Gliederung auch für R. einsichtig zu machen,
wollte ich einen tastbaren Stundenplan, wie ihn Ockelford beschreibt, einführen. Für jeden
Teil der Stunde sollte ein Objekt mit Klettband auf einer Fußmatte befestigt werden. Dieser
Stundenplan diente nicht nur als Orientierung, sondern bot R. auch die Möglichkeit, den
Gebrauch tastbarer Symbole kennen zu lernen. Der Plan war als weiterer Schritt in Richtung
einer tastbaren Kommunikationstafel gedacht.
Wir teilten zunächst die Stunde in einzelne Phasen auf und suchten jeweils ein passendes
Symbol. Die Einführung der Symbole sollte schrittweise stattfinden.
Im Folgenden werden die gewählten Symbole genauer erläutert:
Begrüßung → Symbol: Handschuh
Eine konventionelle Begrüßungsgeste ist das Händeschütteln. Wir wählten daher als Repräsentation für die Hand einen Handschuh aus. Um die direkte Verbindung zwischen dem
Symbol und der Geste herzustellen, zog ich in den ersten Stunden den Handschuh an und
schüttelte R. dann die Hand. Gleichzeitig erklärte ich R. die Bedeutung des Handschuhs und
das Prinzip der Tafel. R. fand es ziemlich amüsant, dass ich ihn an einem heißen Frühlingstag mit einem Handschuh begrüßte. Er schien aber meine Erklärung zu verstehen. Nachdem
47
Step-by-Step: elektronisches Sprachgerät (siehe 8.1)
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
ich R. einige Male mit dem Handschuh begrüßt hatte, zog ich diesen aus und füllte ihn mit
Watte. R. half mir dabei. Auf der Rückseite hatte ich bereits Klettband befestigt, sodass R.
das Symbol auf der Fußmatte anbringen konnte.
Anschließend sangen wir gemeinsam ein Begrüßungslied, bevor R. am Ende der Phase den
Handschuh wieder von der Matte entfernen sollte.
Erzählen und Tagebuch → Symbol: Mund
Als Symbol für das Erzählen wählten wird einen Mund aus Salzteig. Dieses Symbol stellten
wir in einer gemeinsamen Aktion mit R.s Schwester und deren Therapeutin her. Die Geschwister konnten dabei mit Hilfe des PowerLink und der Jelly Bean-Taste den Mixer betätigen. Auch beim Formen des Mundes half R. mit. Wir formten gleich zwei Symbole, da für die
letzte Phase der Stunde, das Besprechen des Tagebuches, ebenfalls ein Mund stehen sollte. Genau wie der Handschuh, wurde auch der Mund zu Beginn der Phase auf die Fußmatte
gelegt. Dann fragte ich R., ob er mir etwas erzählen wollte. Anfangs geschah dies nur über
Ja-Nein-Fragen, inzwischen nutzen wir ein Sprachgerät wie den Step-by-Step (siehe
6.2.2.9). Wenn R. wissen möchte, was ich in der Woche gemacht habe, kann er sich mein
akustisches Tagebuch anhören. Mit Hilfe seines PowerLink schaltet er die Kassette selbstständig an.
Am Ende der Stunde wird der Mund von der Tafel entfernt.
Verschiedenes → Symbol: Dose, die jeweils mit Inhalt gefüllt werden kann
Da in diesem Teil der Stunde immer andere Inhalte im Vordergrund stehen, sollte die Dose
mit etwas gefüllt werden, das den Inhalt der Stunde repräsentierte. R. sollte dann jeweils erst
einmal erkunden, was wir machen würden.
Essen auswählen → Symbol: Löffel
Der Löffel ist ein Utensil, dass fast bei jedem Essen eine Rolle spielt, daher wählten wir ihn
als Repräsentanten. Er ist R. bekannt, da er damit oft das Essen gereicht bekommt. Außerdem hat er eine klare Form, die beim Tasten leicht zu erkennen ist.
Tagebuch → Erzählen: Mund
Beschreibung des Symbols siehe Erzählen.
Wie oben erklärt, wird hier das akustische Tagebuch besprochen. Wenn R. möchte, kann er
außerdem die Kassette anderen Personen vorspielen.
Umsetzung des tastbaren Stundenplanes und einer tastbaren Kommunikationstafel
Der Stundenplan war als Vorstufe für eine tastbare Kommunikationstafel gedacht. Ich führte
zunächst die ersten zwei Symbole ein. Dabei wurde deutlich, dass R. die Symbole vermutlich nicht allein auf Grund von taktilen Merkmalen unterscheiden kann. Aus diesem Grunde
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
beschlossen wir in der Teamsitzung, die Einführung einer tastbaren Kommunikationstafel
zunächst aufzuschieben. Auch der tastbare Stundenplan wurde nicht weiter eingeführt. Ein
weiterer Grund hierfür war, dass R. die Fußmatte nicht auf seinen Knien tolerierte.
Wir suchten nach einem Hilfsmittel, das R. auch eine akustische Rückmeldung bietet. Gemeinsam wurde der Einsatz einer elektronischen Kommunikationshilfe beschlossen.
Das Symbol des Mundes nutze ich auch weiterhin. Er wird allerdings nicht mehr auf die Tafel
gelegt. Wenn R. mir noch mehr erzählen möchte, gibt er mir das Symbol, sonst legt er es
weg. Dabei zeigt er immer wieder, dass er die Bedeutung des Symbols genau kennt.
6.2.2.8
Beantragung eines Hilfsmittels
Nachdem wir eine Weile erfolgreich mit dem BIGmack gearbeitet hatten, sollte R. ein eigenes Sprachgerät bekommen. Wir waren uns im Team jedoch einig, dass der BIGmack auf
lange Sicht zu wenig Möglichkeiten bot. Daher beantragten wir den Step-by-Step mit Ebenen. Er bietet die dreifache Speicherkapazität des BIGmack. Außerdem lässt sich mit diesem Gerät ein Dialogverhalten anbahnen. Die Inhalte können in Sequenzen unterteilt werden. Mit einem Tastendruck spricht man z.B. nur einen Satz aus. Dies macht Rückfragen
möglich. Außerdem können Ebenen angelegt werden. Man speichert z.B. auf jeder Ebene
einen Themenbereich ab. Das Gerät ist so in verschiedenen Situationen einsetzbar, ohne
dass es jedes Mal neu besprochen werden muss.
Zu dem Step-by-Step wurden ein PowerLink und ein Jelly Bean bestellt. Einige Wochen
später bekam R. diese Hilfsmittel.
6.2.2.9
Step-by-Step
In der ersten Stunde mit dem Step-by-Step schien R. etwas irritiert. Ich hatte den Eindruck,
dass er nicht genau wusste, woher die vielen Sätze auf dem Geräte kamen. Daher begann
ich, gemeinsam mit ihm mehrere Strophen eines Liedes aufzunehmen. Er summte die Melodie und ich sang den Text dazu, damit wir später die Strophen auseinander halten konnten.
R. musste, gemeinsam mit mir, den Aufnahmeschalter zwei Mal drücken. Wir hielten dann
zusammen die große Taste fest, um jeweils eine Strophe aufzunehmen. So sangen wir mehrere Lieder auf das Gerät und hörten sie uns anschließend an. Dadurch erkannte R., dass
auch bei diesem Gerät alle Inhalte erst von einem Helfer aufgesprochen werden müssen.
In den folgenden Stunden veränderte ich unsere Erzählrunde. Ich fragte R., ob er mir diesmal mit seinem Step-by-Step etwas erzählen wollte. Hierzu musste ich natürlich erst ins
Tagebuch schauen, um herauszufinden, was R. gemacht hatte und die Sätze anschließend
aufnehmen. R. war dabei jedes Mal hoch motiviert. Ich merkte, dass es ihm Spaß machte,
über den Step-by-Step zu kommunizieren. Auch wenn ich einmal nicht das Richtige aufgenommen hatte, störte ihn das nicht. Später bat ich den Betreuer, vor der Stunde etwas für R.
aufzusprechen.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Abbildung 34: Step-by-Step
R. drückt auch den Step-by-Step in manchen Situationen nicht gezielt, sondern trommelt
einen Rhythmus darauf. Dann kann man die Sätze kaum noch verstehen. Da mit jedem Drücken ein neuer Satz abgespielt wird, ist das Führen eines Dialoges oder das Antworten auf
eine Frage in diesem Fall nicht mehr möglich. Wir suchten daher im Team nach einer Möglichkeit, den Step-by-Step so zu besprechen, dass R. motiviert ist, nicht sofort weiter zu drücken. Die Inhalte werden jetzt nicht mehr als reine Erzählung aufgesprochen. Die Mitteilung
soll sozusagen Rückfragen und damit einen Dialog herausfordern. Zu diesem Zweck werden
immer wieder Fragen eingebaut wie: „Ratet mal, was ich heute gemacht habe.“ Oder: „Weißt
du, was es heute zum Mittagessen gab?“ Um das Rätsel aufzulösen, muss R. erst erneut
den Schalter betätigen. Wenn er ruhig nacheinander drückt, dann hat der Kommunikationspartner Zeit zu überlegen. Gerade bei diesen Fragespielchen gelingt es R. zunehmend, gezielt den Schalter zu drücken. Es macht ihm Spaß, erst zuzuhören, was die anderen vermuten. Wenn der jeweilige Gesprächspartner etwas Falsches rät, lacht R. Manchmal ist er dann
allerdings so begeistert, dass er wieder in das Trommeln verfällt und aus Versehen zu früh
die Frage auflöst. Das gezielte Drücken gelingt ihm aber zunehmend besser.
Mit Hilfe des Step-by-Step veränderten wir auch das Aufnehmen des akustischen Tagebuches. Ich fand heraus, dass R. die Kassette selbst mit dem Step-by-Step besprechen wollte.
Seit diesem Zeitpunkt legt er besonderen Wert darauf, das akustische Tagebuch im Anschluss an die Stunde vorzuspielen. Ich habe den Eindruck, dass R. das Aufgenommene so
mehr als sein Eigenes betrachtet, als wenn ich nur für ihn aufspreche. Ich muss zwar immer
noch für ihn die Inhalte auf den Step-by-Step aufnehmen, aber er kann jetzt selbst bestimmen, wann er den Schalter drückt und damit das Aufgesprochene abspielt. In letzter Zeit
wird die Kassette nicht mehr besprochen. Stattdessen erzählt R. direkt mit dem Step-bySteR.
Im Alltag dient das Gerät als akustisches Tagebuch. R. erzählt damit in der Schule von seinem Nachmittag und zu Hause von seinem Schultag. Allerdings war es nicht ganz einfach,
in der Schule eine feste Zeit zu finden, zu der R. von seinen Erlebnissen berichten kann.
Darauf gehe ich später näher ein (siehe 6.2.2.10).
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Da der Step-by-Step als Sprachgerät für R. dient, müssen die Inhalte vorher mit ihm abgesprochen werden. In der Regel nehmen R.s Bezugspersonen die Sätze in seinem Beisein
auf. Anschließend darf er sich noch einmal alles in Ruhe anhören. So weiß er genau, wann
die letzte Aussage kommt. Wenn R. nachmittags zu Hause den Step-by-Step abspielt, dann
hört er in der Regel nach der letzten Aufnahme auf zu drücken. R. scheint immer ziemlich
sicher zu sein, welches die letzte Aussage ist. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass er über
ein gutes Gedächtnis verfügt.
Leider ist der Step-by-Step mit Ebenen ziemlich anfällig und hat häufig einen Wackelkontakt.
So kann es passieren, dass Inhalte einfach gelöscht oder gar nicht aufgenommen werden. In
der Therapie erlebe ich immer wieder Situationen, in denen R. mir unbedingt etwas erzählen
möchte. Wenn dann das Gerät mal wieder versagt, ist er ziemlich enttäuscht.
Insgesamt zeigt der Umgang mit dem Step-by-Step, dass R. hoch motiviert ist, zu kommunizieren. Die Vermutung der Eltern, dass R. gerne mehr sagen würde, hat sich damit eindeutig
bestätigt.
6.2.2.10 Schulbesuch
Ende letzten Jahres war ein Treffen mit den betreuenden Studentinnen und den Lehrern der
beiden Geschwister angesetzt. Wir wollten zunächst einmal die Klassenlehrer darüber aufklären, was wir im Rahmen der Therapie machen und wofür wir die Hilfsmittel nutzen. Anschließend sollten gemeinsam Zeitpunkte im schulischen Tagesablauf gesucht werden, zu
denen man die Hilfsmittel einsetzen konnte. An diesem Treffen nahmen auch andere Lehrer
der Schule teil, die sich grundsätzlich für das Konzept der Unterstützten Kommunikation
interessierten. Es stellte sich heraus, dass die Lehrer anderer Klassen aufgeschlossener
gegenüber dem Konzept waren als die direkt betroffenen. Von den Klassenlehrern kam immer wieder das Argument: „Wir verstehen R. doch, warum sollen wir plötzlich ein elektronisches Sprachgerät einsetzen?“ Dementsprechend abwartend zeigten sich diese Lehrer auch
bei der Suche nach Kommunikationssituationen im Schulalltag. Einer der Pädagogen schlug
vor, R. könne dem Zivildienstleistenden auf der Toilette seine Erlebnisse vom Vortag erzählen. Dies zeigte deutlich, dass dem Lehrer die Bedeutung erweiterter Kommunikationsmöglichkeiten nicht klar war. Weitere Situationen, in denen man das Sprachgerät einsetzen
könnte, wurden nicht genannt. Das Besprechen des Step-by-Step am Ende eines Schultages übernimmt inzwischen der Zivildienstleistende. Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass
die betroffenen Kollegen jegliches elektronische Gerät ablehnen. Ähnliches berichten verschiedene Autoren auch von Kindern einer anderen Waldorfeinrichtung. Die Pädagogen dort
wenden sich oft entschieden gegen ein Gerät mit Sprachausgabe, weil diese künstlich ist
(vgl. Herrmann 1995, S. 13). Hier zeigt sich ein typisches Beispiel von Zugangsbarrieren im
Umfeld. Diese sind leider nur schwer zu beseitigen.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Wir möchten in er nächsten Zeit noch einmal versuchen, mit der Schule Kontakt aufzunehmen. Diesmal soll ein Videoband vorbereitet sein, auf dem die Fähigkeiten der Kinder und
die Möglichkeiten, die das Sprachgerät bietet, deutlich werden. Außerdem möchten wir
selbst einige Stunden im Unterricht hospitieren, um gezielt nach Partizipationsmöglichkeiten
zu suchen.
Es wäre schade, wenn die Kommunikationsmöglichkeiten von R. nur auf die häusliche Situation beschränkt blieben. Sprechende Menschen bedienen sich schließlich auch nicht nur zu
Hause ihrer Lautsprache. Warum soll es „nichtsprechenden“ Personen anders gehen?
6.2.2.11 Einführung eines Talkers
Das entfernteste Ziel in der Therapie war die Einführung eines komplexen elektronisches
Sprachgerätes wie AlphaTalker oder Audiocom. Zu Anfang stand noch die Überlegung im
Raum, den AlphaTalker mit tastbaren Symbolen zu versehen und somit eine direkte Selektion zu versuchen. Im Laufe der Zeit wurde aber immer deutlicher, dass R. dafür motorisch zu
sehr eingeschränkt ist. Auf diese Weise hätte man höchstens 4 Tasten belegen können.
Daher begannen wir uns mit der Methode des akustischen Scanning zu befassen.
In der letzten Teamsitzung stand dann die Frage zur Diskussion, ob nun die Zeit für ein solches Gerät gekommen wäre. Dies hätte natürlich R.s kommunikative Fähigkeiten erheblich
erweitert. Alltägliche Bedürfnisse wie „Ich muss auf die Toilette“, aber auch viele andere
Mitteilungen könnte R. darüber machen. Kognitiv wäre er dazu in der Lage, das Gerät zu
bedienen und die Struktur der Inhalte zu durchschauen.
Wir haben uns dann aber, gemeinsam mit den Eltern, gegen eine solche Möglichkeit entschieden. Ein Sprachgerät ist, wie viele Autoren beschreiben, kein Zaubermittel (vgl. Hoffmann-Schöneich 1995, S. 5). Es braucht viel Zeit, bis der Nutzer damit vertraut ist. Nur,
wenn das Gerät regelmäßig eingesetzt wird, ist gewährleistet, dass der „nichtsprechende“
Mensch den Umgang damit erlernt. Es genügt jedoch nicht, R. alleine mit dem Gerät vertraut
zu machen. Auch die Bezugspersonen müssen die Struktur des Systems verstehen und
gegebenenfalls in der Lage sein, das Vokabular zu erweitern. Insgesamt erfordert ein so
komplexes Sprachgerät viel Zeit und Geduld.
Es war von vorne herein klar, dass die Schule das Gerät nicht akzeptieren würde. Die Phase
der Gewöhnung und des Einarbeitens hätte sich daher auf das häusliche Umfeld beschränken müssen. In dieser Umgebung verbringt R. aber den geringsten Teil des Tages. Die wenige Zeit zwischen der Ankunft aus der Schule und dem Abendbrot würde keinesfalls ausreichen, um mit beiden Kindern täglich eine intensive Kommunikationsförderung mit einem
Talker durchzuführen. Die Kapazitäten der Bezugspersonen, d.h. Eltern und Betreuer, sind
hierfür zu begrenzt. Die Anschaffung eines solchen Gerätes hätte daher zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich eher Unzufriedenheit und zusätzlichen Stress als positive Kommunikationssituationen verursacht.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
Aus diesem Grunde suchten wir gemeinsam nach kleinen Zielen für die Kommunikationsförderung, die auch einfach in den Alltag zu integrieren sind. Gleichzeitig wurde ein Zeitlimit bis
zu den Sommerferien gesetzt. Bis dahin sollen die Fertigkeiten in der Therapie so weit gefestigt sein, dass sie auch im häuslichen Umfeld genutzt werden können. Damit ist zunächst
einmal eine Pause in der Förderung angedacht. Zu einem späteren Zeitpunkt kann dann
noch einmal der Einsatz eines Talkers überlegt werden. Dies geschieht vor allem im Hinblick
darauf, dass R. in einigen Jahren in eine betreute Wohngruppe umziehen wird. Dort wäre ein
Sprachgerät natürlich sinnvoll.
6.2.2.12 Zukünftige Ziele im Rahmen der Therapie
Die weiteren Ziele dienen der Ausweitung und Festigung der bisher erreichten Fähigkeiten.
Sie sollen R.s Verständigungsmöglichkeiten im Alltag erhöhen.
Liedsequenzen für bestimmte Aussagen
In der Entwicklungsbeschreibung ist bereits die Hypothese erwähnt, dass R. einzelne Lieder
für gezielte Aussagen einsetzt. Wirklich bestätigen konnten wir dies bislang nicht. Wir wollen
aber versuchen, diese Fähigkeit anzubahnen.
Die Eltern hatten schon vor einiger Zeit den Wunsch geäußert, dass R. sagen sollte, wenn er
auf die Toilette muss. Ein zugehöriges Lied sollte auch inhaltlich etwas mit dem Thema zu
tun haben. Uns fiel als einziges die Melodie von „Katzenklo“ ein.
Da R. feste Toilettenzeiten hat, die er auch einhält, waren die Eltern bei der Einführung des
Liedes zunächst auf sich alleine gestellt. Bis zu dem letzten Teamgespräch machte es den
Anschein, dass R. das Lied nicht gezielt einsetzen würde. Daher besprachen wir noch einmal gemeinsam die Vorgehensweise bei der Einführung und suchten gleichzeitig nach anderen Aussagen, die über Lieder kodiert werden könnten. Wir gingen davon aus, dass R. das
Prinzip vielleicht eher verinnerlichen würde, wenn er mehrere Aussagen über Melodien machen könnte.
Zu Anfang wählten wir nur wenige Melodien, um R. nicht zu verwirren:
-
Was sollen wir trinken sieben Tage lang...? für „Ich habe Durst, bzw. Ich möchte etwas
trinken.“
-
Der Refrain des Begrüßungsliedes: Hallo..., bist du da? Hallo ..., dann ruf‘ laut ja. für
„Guten Tag, bzw. Hallo“
-
Nehmt Abschied Brüder ungewiss... für „Auf Wiedersehen, bzw. Tschüss“.
-
Katzenklo für „Ich muss auf die Toilette.“
Bei der Auswahl der Lieder spielten verschiedene Kriterien eine Rolle:
-
Sie sollten inhaltlich einen Zusammenhang zu der Aussage aufweisen.
-
Es sollen leicht erkennbare Melodien sein.
-
Die Lieder müssen dem Umfeld von R. bekannt sein.
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
-
R. soll die Lieder nicht ständig singen, da sonst nicht klar ist, wann er nur singt und wann
er etwas sagen möchte.
Zunächst muss R. die Bedeutung eines Liedanfangs kennen lernen, z.B. „Was sollen wir
trinken?“ für „Ich möchte etwas trinken.“ Vor der jeweiligen Aktivität wird dann die Liedsequenz gemeinsam mit R. gesummt. Auch am Ende der Aktivität wiederholen wir diese noch
einmal mit der Betonung, dass die Handlung nun beendet ist. Im nächsten Schritt wird vor
der Aktivität gefragt: „Was summst du, wenn du x möchtest?“ Darauf soll R. dann antworten.
Wenn die Melodie noch nicht verinnerlicht hat, summen wir noch einmal gemeinsam. In einem weiteren Schritt summt R. bei der Anmerkung, dass er jetzt auf die Toilette geht von
sich aus das Lied. Die Lösung des Liedes von der Situation ist das letzte Ziel. Erst dann
kann R. die Melodie jeder Zeit einsetzen, um anzuzeigen, was er möchte. Dieses Verfahren
muss regelmäßig und konsequent durchgeführt werden.
Die gewählten Aussagen sind an R.s Grundbedürfnissen orientiert. Sie bieten aber gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Einführung in die Therapiestunde zu integrieren. Das Begrüßen und
Verabschieden sowie das Trinken sind relativ feste Bestandteile der Stunde.
Zur Begrüßung singe ich nicht mehr mit R. das ganze Begrüßungslied. R. summt nur noch
den Refrain: „Hallo..., bist du da? Hallo..., dann ruf‘ laut ja!“ Inzwischen beginnt R. diesen
Refrain zu summen, wenn ich frage, wie er „Guten Tag“ sagen kann. Seine übliche Begrüßung ist das „hei“. Dies nutzt er natürlich auch weiterhin. Ich habe ihm versucht zu erklären,
dass er dieses Wort schon für „Ja“ verwendet und dass daher eine andere Form sinnvoller
ist. Mir gegenüber benutzt er das Lied inzwischen auch schon teilweise. Seine Klassenkameraden, die wissen, dass R. „hei“ sagen kann, begrüßen ihn mit „Hei, R.“. Darauf antwortet
R. natürlich wiederum mit „hei“. Dies wird sich vermutlich auch nicht ändern.
Das Lied „Was sollen wir trinken?“ benutzt R. inzwischen immer häufiger von sich aus, wenn
er Durst hat.
4 One-Step-Communicatoren
R. kann inzwischen den Step-by-Step gezielt drücken. Um weitere Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen, bot sich daher ein Gerät an, dass ähnlich zu bedienen ist. Im Team beschlossen wir, 4 One-Step-Communicatoren zu beantragen. Diese haben die gleiche Form
wie der Step-by-SteR. Sie speichern aber nur jeweils eine Aussage. Zwei der Geräte sollen
mit „Ja“ bzw. „Nein“ besprochen werden. Auf die beiden anderen können zwei alternative
Handlungsmöglichkeiten aufgenommen werden. R. entscheidet sich dann durch Drücken
einer Taste für eine Aktivität. Mit Bedienen des Nein-Schalters macht er deutlich, dass er mit
keiner der Möglichkeiten einverstanden ist.
Um eine immer gleiche Platzierung der Geräte zu gewährleisten, werden mit Hilfe von Klettband auf einem Brett angeordnet, das mit einer Fußmatte überzogen ist. Links liegt, wie
schon bei den Buttons ein One-Step-Communicator für „Nein“. Ganz rechts wird „Ja“ fest
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Kapitel 6: Fallbeispiel des Jungen R.
gemacht. In der Mitte bleibt der Step-by-Step, mit dem R. weiterhin erzählen kann. Links und
rechts davon befinden sich zwei weitere One-Step-Communicatoren. Darauf können jeweils
zwei Auswahlmöglichkeiten gesprochen werden. Z.B. „Ich möchte meine Ruhe haben“ und
„Ich möchte gerne singen“. Diese sind individuell zu besprechen. Alternativ sollen diese Tasten auch für gesprächssteuernde Aussagen genutzt werden. Durch Sätze, wie "Lass mich
bitte in Ruhe" oder "Frag mich bitte, was ich machen möchte", kann R. dann eine Interaktion
gezielt initiieren oder abbrechen. Mit Ja-Nein-Fragen können dann die Wünsche näher spezifiziert werden.
Die Handhabung dieser Geräte wird bis zum Ende der Therapie geübt. Gleichzeitig werden
die Geräte auch schon in den Alltag eingebunden.
Während der Therapie muss eine regelmäßige Evaluation und Festlegung neuer Ziele erfolgen. Diese sind an den alltäglichen Möglichkeiten des Umfeldes zu orientieren. Mitunter sind
die ursprünglich gesteckten Ziele nicht zu erreichen. Man gewinnt dann den Eindruck, dass
alles umsonst war. Bei einer genaueren Betrachtung findet man jedoch immer wieder kleine
Fortschritte, die durchaus eine Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten bedeuten.
Auch diese kleinen Veränderungen müssen als Entwicklung gewertet werden.
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Kapitel 7: Fazit
7
Fazit
In dieser Arbeit ist deutlich geworden, dass der Personenkreis der „nichtsprechenden“ Menschen sehr heterogen ist. Somit sind individuelle Fördermaßnahmen nötig. Im Laufe der
Arbeit wurden einige bekannte Konzepte vorgestellt, die der Anbahnung von kommunikativen Fähigkeiten auf einer bestimmten Stufe dienen.
Die Unterstützte Kommunikation ist ein umfassenderes Konzept. Das Ziel ist hierbei die aktive Einbeziehung des Behinderten in sein soziales Umfeld. Daher steht am Anfang eine genaue Abklärung der individuellen Fähigkeiten und der bisherigen kommunikativen Möglichkeiten. Die Suche nach weiteren Partizipationsgelegenheiten bezieht zwei Aspekte mit ein:
die individuellen Fähigkeiten des „nichtsprechenden“ Menschen sowie die Einstellungen und
Kapazitäten innerhalb der sozialen Bezugssysteme, wie Familie, Schule etc.
Für die Abklärung der Fähigkeiten einer Person gibt es verschiedene Fragebögen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde der Fragenkatalog von Ursi Kristen vorgestellt (siehe 8.2). Eine
Fallbeschreibung, die sich daran orientiert, legt automatisch den Schwerpunkt auf die Stärken der Person. Man findet bereits vorhandene Fähigkeiten, an die in der Förderung angeknüpft werden kann.
Bei der Festlegung von Zielen für die Kommunikationsförderung orientiert sich das Partizipationsmodell an den Bedürfnissen gleichaltriger Menschen ohne Behinderung. Natürlich ist es
im Hinblick auf eine möglichst altersadäquate Behandlung der Personen sinnvoll, die Gruppe
der Gleichaltrigen hinzuzuziehen. Es muss jedoch bedacht werden, dass die Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung sehr verschieden sind. Gleiche Bedürfnisse können nicht unbedingt vorausgesetzt werden.
Zur Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten nutzt die Unterstützte Kommunikation körpereigene und externe Kommunikationsmodi. Die Darstellung der eingesetzten Kommunikationsformen macht deutlich, dass sie sich zum großen Teil an der visuellen Wahrnehmung
orientieren. Für die Arbeit mit blinden Menschen müssen oft alternative Hilfen entwickelt
werden. Zur Anbahnung eines Symbolverständnisses nutzt man in diesem Fall bislang häufig das van Dijk Konzept aus der Taubblindenpädagogik. Ein Teil des hier dargestellten Personenkreises wird mit diesem Konzept die letzte Stufe, d.h. ein Symbolsystem als Kommunikationshilfe, nicht erreichen können, da diese Personen zu sehr motorisch eingeschränkt
sind. Die Unterstützte Kommunikation bietet vielfältige andere Möglichkeiten, um auch bei
diesen Menschen dem Bedürfnis nach Kommunikation gerecht zu werden.
Einige Menschen des vorgestellten Personenkreises verfügen bereits über ein Symbolverständnis. Den Veröffentlichungen zu Folge, kommen in diesem Fall hauptsächlich elektronische Hilfsmittel zum Einsatz. Da bei Geräten mit Sprachausgabe eine direkte akustische
Rückmeldung erfolgt, erleichtern sie die Kommunikation in vielen Fällen. Solche Hilfen sind
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100
Kapitel 7: Fazit
jedoch kostenintensiv und störanfällig. Auch die Integration der Geräte in den Alltag ist nicht
immer einfach.
Grenzen in der Förderung sind nicht allein durch die persönlichen Fähigkeiten gegeben. Aus
diesem Grunde bezieht das Partizipationsmodell im Rahmen der Unterstützten Kommunikation auch die sozialen Bezugssysteme ein. Innerhalb dieser Systeme können die Einstellungen der Bezugspersonen und zeitliche Begrenzungen die Erweiterung der kommunikativen
Möglichkeiten einschränken.
Ein soziales System ist die Familie. In diesem Umfeld sollen die Handlungsschritte der
Kommunikationsförderung später umgesetzt werden. Daher müssen sich die festgelegten
Ziele immer am Alltag orientieren.
Das Fallbeispiel zeigt, dass hier der zeitliche Aspekt eine große Rolle spielt. Die Eltern sind
sich darüber im Klaren, welche Möglichkeiten ein komplexes Sprachgerät bringen würde.
Für eine zeitaufwändige Einführung sind im Moment aber keine Kapazitäten vorhanden.
Dies ist sicherlich kein Einzelfall. Pflege und Therapien eines Kindes mit mehreren Behinderungen benötigen viel Zeit. In diesem speziellen Fall ist die Situation durch zwei mehrfachbehinderte Kinder besonders schwierig. Neben Schule und anderen Therapien bleibt kaum
ein Freiraum für die Einübung einer differenzierten Kommunikation, wie sie z.B. elektronische Sprachgeräte erfordern.
Das Partizipationsmodell hat die Beseitigung von diesen Barrieren als Ziel. Gerade die zeitlichen Aspekte setzen aber besonders stabile Grenzen, die nur schwer zu durchbrechen sind.
In solchen Fällen müssen neue Handlungsschritte bestimmt werden, die einfacher in den
Alltag zu integrieren sind.
Den größten Teil der Zeit verbringen Schüler mit mehreren Behinderungen in der Schule.
Zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten ist dieses soziale System ebenfalls zu
berücksichtigen.
Das Fallbeispiel zeigt hier Grenzen, die auf Grund von ungünstigen Einstellungen entstehen.
Mit den bisherigen Fragestrategien konnten die Grundbedürfnisse meist erfolgreich geklärt
werden. Viele Lehrer sind sich nicht bewusst, dass der Wunsch nach einer weiter gehenden
Kommunikation vorhanden ist, wie es das Zitat zu Beginn der Einleitung beschreibt. Ein
Empfinden für dieses Bedürfnis könnte vielleicht durch die Verbreitung der Prinzipien der
Unterstützten Kommunikation geweckt werden. Es ist notwendig, das Konzept an den Schulen mehr bekannt zu machen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich die Lehrer mit
den Methoden vertraut machen und diese wenigstens teilweise akzeptieren. Es wäre wünschenswert, wenn in den Institutionen nicht nur bereits vorhandene Kommunikationshilfen
genutzt würden. Darüber hinaus sollten die Pädagogen erkennen, dass viele ihrer Schüler
den Wunsch nach mehr kommunikativen Möglichkeiten haben. Auch diesen Menschen sollten die Prinzipen der Unterstützen Kommunikation zur Verfügung gestellt werden.
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101
Kapitel 7: Fazit
Hierzu müssen allerdings Formen gefunden werden, die eine Integration der Förderung in
den täglichen Unterricht ermöglichen. Auch wenn die Einzelförderung die effektivste Möglichkeit zur Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten ist, kann sie, angesichts der vielen
„nichtsprechenden“ Schüler, im Rahmen des regulären Unterrichts nicht verwirklicht werden.
In diesem Fall macht sich ebenfalls wieder der zeitliche Aspekt bemerkbar. Es ist aber möglich, immer wieder kleine kommunikative Situationen und Mitbestimmungsmöglichkeiten in
den schulischen Alltag zu integrieren. Zunächst werden dies nur kurze Einheiten sein, wie
das Erzählen vom Vortag mit einem Sprachgerät oder die Auswahl des Brotbelages beim
Frühstück. Nach und nach können so Mitbestimmungsmöglichkeiten geschaffen werden, die
zu einem Stück Selbstständigkeit verhelfen. Man darf nie vergessen, dass auch kleine Erfolge ein erster Schritt in Richtung des Zieles sind.
Um in Zukunft auch ein vermehrtes Verständnis für „nichtsprechende“ Menschen zu erreichen, sollte bereits in der sonderpädagogischen Ausbildung der Bereich der Kommunikationsentwicklung eine größere Rolle spielen. In diesem Rahmen wäre es auch wünschenswert, das Prinzip der Unterstützten Kommunikation an der Universität mehr zu verbreiten.
Bislang gibt es in der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik leider noch keine Veranstaltungen zum Thema. Durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen, z.B. der Sprachbehindertenpädagogik, könnten auch die zukünftigen Pädagogen für
das Thema sensibilisiert werden.
Ich hoffe, dass mit dieser Arbeit das Interesse am Thema Unterstützte Kommunikation geweckt wurde.
Es wäre ein schönes Ziel, wenn in Zukunft auch an den Blindenschulen noch mehr „nichtsprechende“ Menschen die Möglichkeit bekämen, sich mit alternativen Kommunikationsmitteln zu verständigen. Sie sollen nicht nur die Chance bekommen zu reden, sondern auch
demonstrativ zu schweigen (vgl. Hück 1997, S. 6).
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102
Kapitel 8: Anhang
8
Anhang
8.1
Glossar
BIGmack:
Einfache elektronische Kommunikationshilfe mit natürlicher Sprachausgabe. Die Bedienung des Gerätes geschieht über eine bunte Taste. Diese hat einen Durchmesser von
12,5 cm. Der BIGmack bietet eine Speicherkapazität von 20 Sekunden. Mit einem Tastendruck werden alle Inhalte des Sprachspeichers abgespielt. Der BIGmack kann auch
als externer Schalter an ein batteriebetriebenes Gerät angeschlossen werden.
Chirophonetik:
Die Chirophonetik ist eine Therapie, die auf den Grundlagen der Menschenkunde Rudolf Steiners entwickelt wurde. Der Name leitet sich von dem griechischen Wort „cheires“, das übersetzt Hand bedeutet, ab. Die Hand folgt den Lautbildungen der Phonetik48
(vgl. Baur 1984, S. 9ff). Die Therapie geht davon aus, dass jeder Laut eine charakteristische Luftströmung im Körper verursacht. Die einzelnen Artikulationszonen sind auch
auf dem Gesamtkörper wiederzufinden. Man bildet die Luftströmung auf dem Rücken
durch Streichen mit der Hand nach. Unterstützend findet ein langsames und betontes
Aussprechen des Lautes statt. So kann der Mensch Laute durch auditive und kinästhetische Reize empfangen. Das Streichen auf den Körper wird rhythmisch wiederholt (vgl.
Baur 1985, S. 6ff).
Ideogramm:
Ein Schriftzeichen, das einen ganzen Begriff darstellt (vgl. Duden 1997). Adam bezeichnet Symbole als Ideogramme, die ein Konzept oder eine Handlung abbilden (vgl.
Adam 1993, S. 248).
Ikterus:
Gelbsucht: „Hell- bis dunkelgelbe Hautfarbe infolge Übertritts von Gallenbestandteilen
ins Blut, dann durch das Gefäßendothel in die Haut, die Conjunctiva bulbi und das übrige Körpergewebe. Symptom, das bei verschiedenen Grundkrankheiten auftreten kann“
(Pschyrembel 2000).
48
Phonetik: Lautlehre (vgl. Duden 1997)
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103
Kapitel 8: Anhang
Jelly Bean-Taste/ BIG Red-Taste:
Schalter zum Bedienen elektronischer Geräte, z.B. in Zusammenhang mit dem PowerLink. Der Jelly Bean hat einen Durchmesser von 6,25 cm, der BIG Red hat einen
Durchmesser von 12,5 cm.
Kleinhirnatrophie:
Schwund des Kleinhirns. Führt zu erheblichen Gangstörungen und Sprachveränderungen (vgl. Pschyrembel 2000).
Kokonstruktion:
Äußerungen des sprechenden Partners die darauf abzielen, die sprachlichen Handlungen des Gegenübers zu entwickeln (vgl. Braun 1997b, S. 6).
Nervus Opticus Atrophie:
Sehnervenschwund (vgl. Pschyrembel 2000)
Ophthalmologischer Bericht:
Bericht des Augenarztes
Piktogramm:
Ein stilisiertes, d.h. vereinfachtes Bild von etwas, das eine bestimmte Information enthält (vgl. Duden 1997). Nach Adam ist es ein Symbol, das einen Gegenstand repräsentiert (vgl. Adam 1993, S. 248).
PowerLink:
Bindeglied zwischen einem elektronischen Gerät und der Steckdose. Hierdurch besteht
die Möglichkeit, einen externen Schalter (z.B. Jelly Bean) mit einem Gerät zu verbinden,
mit dem dieses dann bedient wird. So können motorisch eingeschränkte Menschen, die
kleine Tasten z.B. an einem Kassettenrekorder nicht drücken können, das Gerät trotzdem betätigen. Über den PowerLink kann auch die erforderliche Dauer des Tastendruckes zum Auslösen der Taste eingestellt werden.
Scanning:
Selektionstechnik, bei der die „nichtsprechende“ Person auf nacheinander dargebotene
Wahlmöglichkeiten mit einem vereinbarten Signal reagiert (vgl. Franzkowiak 1996b, S.
60).
Skoliose:
Seitliche Verbiegung der Wirbelsäule mit Drehung der einzelnen Wirbelkörper (Torsion)
(vgl. Pschyrembel 2000).
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104
Kapitel 8: Anhang
Step-by-Step-Communicator mit Ebenen:
Einfache elektronische Kommunikationshilfe mit natürlicher Sprachausgabe. Mit Hilfe
einer bunten Taste im Durchmesser von 6,25 cm wird das Gerät ausgelöst. Der Stepby-Step speichert beliebig viele Aussagen im Rahmen von 75 Sekunden. Diese können
so aufgenommen werden, dass mit jedem Tastendruck z.B. ein Satz abgespielt wird.
Das Anlegen von Ebenen ist ebenfalls möglich. Vom Benutzer können jeweils nur die
Aussagen einer Ebene abgerufen werden. Wie alle Schalter und Kommunikationshilfen
dieser Art ist der Step-by-Step-Communicator in verschiedenen Farben erhältlich.
Turn-Taking:
Sprecherwechsel während des Kommunikationsprozesses (vgl. Franzkowiak 1996, S.
60)
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105
Kapitel 8: Anhang
8.2
Schema der Förderung
Eindruck der Eltern,
dass R. mehr sagen
möchte.
Erstbesuch:
•
•
Elterngespräch
Abklärung von Fähigkeiten (Beobachtung
+ Videoaufzeichnung)
Auswertung des Videos
Erstes Teamgespräch (ohne Eltern):
•
•
Festlegung der Therapeuten (Studentinnen)
Festlegung von Zielen und Suche nach Partizipationsmöglichkeiten
Beginn der Förderung
Erste Ziele:
Förderung des
Symbolverständnisses
Objects of References:
Einsatz von Gegenständen als Symbol
für bestimmte Aktivitäten
Anbahnung allgemein
verständlicher expresiver
Formen für Ja und Nein
Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten
Kennen lernen von
Auswahlverfahren
• Auswahl des
Abendbrotes
• Auswahl aus zwei
Möglichkeiten
Ja-Nein-Buttons
Erzählen von
vergangenen
Ereignissen
Elektronische Hilfsmittel
Sprachgerät Schalter zur
Bedienung von
Geräten
R. akzeptiert Buttons nicht mehr,
antwortet lautsprachlich: A-Laute
Fernziel
Einsatz einer tastbaren
Kommunikationstafel
Nein
Neue Fördermöglichkeiten hätten
entwickelt werden
müssen
1
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Kann R. einen einfachen Schalter bedienen?
Ja
2
3
106
Kapitel 8: Anhang
1
2
tastbarer Stundenplan:
Vorstufe für eine tastbare
Kommunikationstafel
Ja
Bigmack
Aussprechen
eines Wunsches und
Erzählen
Kann R. die Symbole durch Tasten
erkennen?
R. möchte mehr
äußern können.
Er ist motiviert,
mit dem Gerät zu
sprechen.
Nein
Kommunikationstafel, z.B. für
Abendbrot
tastbare Kommunikationstafel wird bis
auf Weiteres verschoben
3
PowerLink + BigRed
oder Jelly Bean
Entscheidung für Jelly-BeanTaste
• Bedienen des Kassettenrekorders
• Einschalten des Mixers im
Hauswirtschaftsunterricht
• akustisches Tagebuch in der
Therapiestunde
Step-by-Step mit Ebenen
• Kommunikation
• Anbahnung von Dialogverhalten
• akustisches Tagebuch
Erwägung des Einsatzes
von AlphaTalker oder
Audiocom mit akustischem Scanning
Bedingungen
• R. ist in der Lage, das Gerät zu bedienen (auch Motivation) (+)
• Eltern sehen die Möglichkeiten, die das Gerät bietet (+)
• Schule akzeptiert das Gerät (-)
• Zeit zur Übung vorhanden (-)
Ja
Bedingungen im
Wesentlichen
erfüllt?
Einsatz des Gerätes
Nein
Alternativen, die einfacher in den Alltag zu integrieren sind
• Summen von Melodien für bestimmte Aussagen
• 4 One-Step-Communicatoren für Ja, Nein und zwei weitere Aussagen
• Versuch, diese Hilfsmittel auch in der Schule zum Einsatz kommen zu lassen.
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3
107
Kapitel 8: Anhang
8.3
Fragebogen zur Abklärung verschiedener Fähigkeiten
(entnommen aus: Kristen 1997, S. 111-116)
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108
Kapitel 8: Anhang
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109
Kapitel 8: Anhang
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110
Kapitel 8: Anhang
8.4
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 1: GANZHEITLICHES ENTWICKLUNGSMODELL. ........................................ 16
Aus: Fröhlich, A.D. (1998): Basale Stimulation. Das Konzept. Düsseldorf. S. 64
ABBILDUNG 2: DIE EINGESETZTEN KOMMUNIKATIONSKANÄLE „PASSEN“ NICHT.... 27
Aus: Mall, W. (1984): Basale Kommunikation – ein Weg zum andern. In:
Geistige Behinderung. Heft 1. (Einhefter). S. 4
ABBILDUNG 3: DER KREISLAUF DER PRIMÄRE KOMMUNIKATION............................... 29
Aus: Mall, W. (1998): Kommunikation mit schwer geistig behinderten Menschen.
Ein Werkheft. 4. Überarbeitete Auflage. Heidelberg. S. 34
ABBILDUNG 4: KOMMUNIKATIONSMODI........................................................................... 44
Aus:
Lingen,
A.
(1994):
Elektronische
Kommunikationshilfen
für
nichtsprechende Schülerinnen und Schüler mit Infantiler Zerebralparese.
Grundlagen – Ziele – Möglichkeiten. Wetter. S. 8, hervorgehobene Begriffe
wurden ergänzt
ABBILDUNG 5: AUSDRUCKSFORMEN FÜR JA UND NEIN............................................... 47
Modifiziert nach: Volbers, A. (1992): Zum Gebrauch von Ja und Nein bei
nichtsprechenden intellektuell Behinderten. In: ISAAC’s Zeitung. Heft 2. S. 5
ABBILDUNG 6: DAS FINGERALPHABET.............................................................................49
Aus: Jussen, H. (1994): Lautbildung bei Hörgeschädigten. 3. überarbeitete
Auflage. Berlin. S. 256)
ABBILDUNG 7: DAS LORMALPHABET................................................................................ 49
Grauel, A. (1985): Pädagogische Förderung von Taubblinden. Aus:
Handbuch der Sonderpädagogik. Band 2. Pädagogik der Blinden und
Sehbehinderten. Berlin. S. 442
ABBILDUNG 8: SCHRITTWEISE REDUKTION DES OBJEKTES ....................................... 53
Aus: Ockelford, A. (1994): Objects of Reference. 2. überarbeitete Auflage.
London. S. 15
ABBILDUNG 9: IKONIZITÄT BEI GRAFISCHEN SYMBOLEN............................................. 55
Aus: Franzkowiak, T. (1997): „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.
Verständigung mit Hilfe graphischer Symbole. Aus: Landesinstitut für Schule
und Weiterbildung (Hrsg.): Kommunikationsförderung nichtsprechender oder
schwer verständlicher Kinder. Dokumentation einer Fachtagung. Soest. S.
41
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111
Kapitel 8: Anhang
ABBILDUNG 10: BEISPIELE AUS DEM LÖB-SYSTEM ....................................................... 56
Aus:
Kristen,
U.
(1997):
Praxis
Unterstützte
Kommunikation.
Eine
Einführung. 2. Auflage. Düsseldorf. S. 92
ABBILDUNG 11: BILDER AUS DER TOUCH’N-TALK-SAMMLUNG.................................... 57
Aus:
Kristen,
U.
(1997):
Praxis
Unterstützte
Kommunikation.
Eine
Einführung. 2. Auflage. Düsseldorf. S. 93; Adam, H. (1993): Mit Gebärden
und Bildsymbolen kommunizieren. Voraussetzungen Möglichkeiten der
Kommunikation von Menschen mit geistiger Behinderung. Würzburg. S. 242
ABBILDUNG 12: SEE’N SIGN CARD.................................................................................... 58
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 243
ABBILDUNG 13: PIC-SYMBOLS........................................................................................... 58
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 248
ABBILDUNG 14: PCS-SYMBOLS ......................................................................................... 59
Aus: www.fst.ch/ind/allemand/katalog/pc/pcg.htm
ABBILDUNG 15: PCS-SYMBOLS: PERSONEN ................................................................... 59
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 254
ABBILDUNG 16: PCS-SYMBOLS: JA UND NEIN................ ................................................ 60
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 254
ABBILDUNG 17: PCS-SYMBOLS: KOMMUNIKATIONSSTEUERNDE AUSSAGEN .......... 60
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 254
ABBILDUNG 18: GRUNDELEMENTE VON BLISS VON DER SCHABLONE...................... 61
Aus: Franzkowiak, T. (1996a): Bliss - eine lebendige Sprache!. Aus: ISAACDeutschland Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.): „Edi, mein
Assistent“. Und andere Beiträge zur Unterstützten Kommunikation. Reader
der Kölner Fachtagungen. Düsseldorf. S. 243
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112
Kapitel 8: Anhang
ABBILDUNG 19: PIKTOGRAFISCHE BLISS-SYMBOLE ..................................................... 62
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 273
ABBILDUNG 20: IDEOGRAFISCHE BLISS-SYMBOLE ....................................................... 62
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 274
ABBILDUNG 21: BLISS-SYMBOLE ...................................................................................... 62
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 274
ABBILDUNG 22: PICTURE YOUR BLISS............................................................................. 63
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 275
ABBILDUNG 23: AUFBAU DER CHEYNE-SYMBOLE: TIERE............................................. 64
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 278
ABBILDUNG 24: AUFBAU DER CHEYNE-SYMBOLE: VERBEN ........................................ 64
Aus: Adam, H. (1993): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren.
Voraussetzungen Möglichkeiten der Kommunikation von Menschen mit
geistiger Behinderung. Würzburg. S. 278
ABBILDUNG 25: ALPHATALKER ......................................................................................... 67
ABBILDUNG 26: ANSICHT DER AUDIOCOM-STRUKTUR ................................................. 68
ABBILDUNG 27: JELLY-BEAN (SIEHE 8.1) ......................................................................... 70
ABBILDUNG 28: POWERLINK (SIEHE AUCH 8.1) .............................................................. 70
ABBILDUNG 29: ZEILEN-SPALTEN-SCANNING................................................................. 70
Aus: Arnusch/ Pivit, G. (1996): Was ist Unterstützte Kommunikation. Aus:
ISAAC-Deutschland Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.):
„Edi,
mein
Assistent“.
Und
andere
Beiträge
zur
Unterstützten
Kommunikation. Reader der Kölner Fachtagungen. Düsseldorf. S. 31
ABBILDUNG 30: BLOCK-SCANNING................................................................................... 71
Aus: Arnusch/ Pivit, G. (1996): Was ist Unterstützte Kommunikation. Aus:
ISAAC-Deutschland Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (Hrsg.):
www.foepaed.net
113
Kapitel 8: Anhang
„Edi,
mein
Assistent“.
Und
andere
Beiträge
zur
Unterstützten
Kommunikation. Reader der Kölner Fachtagungen. Düsseldorf. S. 31
ABBILDUNG 31: DAS VEREINFACHTE PARTIZIPATIONSMODELL ................................. 73
Aus: Lage, D (1997): Ein soziologischer Zugang zur Unterstützten
Kommunikation.
Möglichkeiten
eines
umfassenderen
Implementierungsmodells für AAC-Maßnahmen. Aus: ISAAC-Deutschland
(Hrsg.):
Beiträge
zur
4.
Fachtagung
„Unterstützte
Kommunikation“.
Karlsruhe. S. 7; modifiziert und übersetzt nach: Beukelmann/ Mirenda 1992
ABBILDUNG 32: JA-NEIN-BUTTONS: ORIGINALGRÖßE CA. 14CM DURCHMESSER ... 88
ABBILDUNG 33: DER BIGMACK .......................................................................................... 89
ABBILDUNG 34: STEP-BY-STEP ......................................................................................... 94
8.5
Literaturverzeichnis
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24-61
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Kapitel 8: Anhang
PSCHYREMBEL, W.:
Klinisches Wörterbuch. Mit klinischen Syndromen. 258-2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: 2000
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Blindenpädagogik. Aus: Bleidick, U.: Einführung in die Behindertenpädagogik. Band
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RATH, W. (2000):
Blindheit und Sehbehinderungen. Aus: Borchert, J. (Hrsg.): Handbuch der sonderpädagogischen Psychologie. Göttingen. S. 104-113
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Damit Kommunikation gelingt! Schüler mit schwersten Behinderungen verstehen –
sich mit ihnen verständigen!
Aus: www.vds-bundesverband.de/Material/kongress98/thuemmel.htm
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Kapitel 8: Anhang
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WEID-GOLDSCHMIDT; FRANZKOWIAK, T. (1995):
Willst du mir etwas erzählen? In: Das Band. Heft 1. S. 26-27
ZIMBARDO, R. (1995):
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ZOLLINGER, B. (1991):
Förderung des Sprachverständnisses als Integration symbolischer und kommunikativer Prozesse. Aus: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Handbuch der Sprachtherapie. Band 3.
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