1967-GOETHE UND DAS PREISGEDICHT
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1967-GOETHE UND DAS PREISGEDICHT
)21 GOETHE UND DAS PREISGEDICHT KATHARINA MOMMSEN Daß dieser Tadel gegen Goethe, den Rätseldichter, zu Unrecht erhoben wurde und daß es sich hier im Gegenteil um eins seiner geistreichsten Rätsel handelt, wollen die folgenden Ausführungen zeigen. Das Gedicht lautet: »Räthsel. GOETHE UND DAS PREISGEDICHT Viel Männer sind hoch zu verehren, Wohlthätige durch Werk und Lehren; Doch wer uns zu erstatten wagt, Was die Natur uns ganz versagt, Den darf ich wohl den größten nennen: Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« Zum »Rätsel« in den Gedichten »An Personen« 1. Unter dem Titel Räthsel veröffentlichte Goethe im Jahre 1815 erstmalig ein Gedicht, dessen Deutung seither viel Kopfzerbrechen verursacht h~t. Immer neue Lösungsversuche wurden angeboten. Doch wie oft man SIch auch bemühte, eine wirklich überzeugende Erklärung konnte niemand erbringen. Die Zahl der Deutungen allein gibt einen Begriff von den ungewöhnlichen Schwierigkeiten, vor die uns da~ G~dicht s:~llt. S~hon vor hundert Jahren seufzte ein Kommentator, fur dIeses Ratsel fande sich »nirgends eine irgend haltbare Lösung«,! und noch in der ~isher letzten Publikation zum Thema von 1961 wird festgestellt, »daß dIe Be~ mühungen der Goethekommentatoren durchaus unbefriedigen~ ausge~ fallen« 2 seien: »Goethe gab die Lösung nicht bekannt, und kemem der späteren Kommentatoren gelang eine auch nur einigermaßen befriedigende Lösung.« 3 .. • Da nun die erhoffte, jedermann einleuchtende Erklarung mcht zu gelingen schien, beschuldigte man zu guter Letzt nicht die Ratenden, ~o~dern den Urheber des Rätsels der Unzulänglichkeit. Man behauptete, dIe Überschrift sei »irreführend«,4 man argwöhnte, die Stellung unter den Gedichten An Personen sei »eine Falle«,5 und schließlich erklärte man im Tone des Vorwurfs: »Dieses Rätsel ist als Rätsel nicht gerade zu loben, weil es zu allgemein gehalten ist und eine eindeutige Lösung kaum zuläßt.« 6 1 F. Strehlke in: Goethe's Werke. Th.2, Gedichte. Hrsg. u. m. Anm. begleitet. Berlin: Gustav Hempe11868, S. 262. .. 2 H. Kirste, Ein ungelöstes Rätsel Goethes. Ein Lösungsversuch. In: Munchnor Medizinische Wochenschrift, Jg. 10), 1961, Nr. 47, Sp.). 3 Kirste, a.a.O., Sp. 1. 4 H. Düntzer, Erläuterungen zu den Deutschen Klassikern. 1. Abth. Erläuterungon zu Goethes Werken. Bd. 72. 3., neu durchges. Aufl. Leipzig [1898], S. 149· 5 E. von der Hellen in: Goethes Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe, Bd. 2, Slutt· gart und Berlin 1907, S. )28. 6 Kirste, a.a.O., Sp . 2. Handschriften von diesem Sechszeiler existieren nicht mehr; eine Datierung ist nicht bekannt. Wir wissen nur soviel: veröffentlicht wurden die Verse zuerst 1815 innerhalb der Gedichtgruppe An Personen, die sich im 2. Band der 20bändigen Cottaschen Ausgabe von 1815-1819 findet. Unter der gleichen Rubrik An Personen wurde das Rätsel von dem Dichter auch wieder 1827 in die Ausgabe letzter Hand übernommen. Durch den Erstdruck ist für die Entstehungszeit des Gedichts zumindest der terminus ad quem gegeben: es muß vor dem 27. IH. 1815 entstanden sein, dem Datum der Absendung an Cotta zum Zwecke der Drucklegung. Auch die Stellung des Rätsels innerhalb der Gruppe An Personen ließe u. U. Rückschlüsse auf seine Datierung zu. Das unmittelbar vorausgehende Gedicht - ein Jubiläumsglückwunsch zum 2.1.1815 für den Gothaischen Minister und Geheimen Rat von Frankenberg - wurde Ende Dezember 181.4 oder Neujahr 1815 ver faßt, während das dem Rätsel unmittelbar folgende Gedicht Weihnachten 1814 entstand. Diese Anordnung legt zumindest die Vermutung nahe, daß auch das Rätsel selbst etwa in der gleichen Zeit, d. h. um die Jahreswende 181411815 gedichtet wurde. Seltsamerweise sind bei den bisherigen Auslegungsversuchen diese beiden philologischen Anhaltspunkte - Erstdruck und Stellung innerhalb der Gruppe An Personen - wenig beachtet und meist ohne weitere Bedenken beiseite geschoben worden. Dies hängt offenbar damit zusammen, daß die Andeutungen des Rätsels auf keine der Per:;iinlichkeiten zu passen schienen, die zu jener Zeit in Goethes Leben eine besondere Rolle spielten. Darum schrieb G. v. Loeper in seinem KommenI;lr von 1883: »Wäre die Stellung in dem ersten Druck zwischen Gedich1l'1l aus Weihnachten 1814 und Neujahr 1815 entscheidend, so verzichIl'ten wir auf jede Lösung.« 7 Ihm wie auch anderen Kommentatoren er7 Goc the's Werke. 2. Ausg., Bd. 2, Gedichte, Teil 2. Mit Einleitungen (; , v, I,ocper. ßcrlin: Gustav Hempe11883, S. 486. t1. Anm. v. 3 22 KATHARINA MOMMSEN schien der Standort des Gedichts in der Ausgabe von 1815 »mehr zufällig«. Loeper sprach sogar die Vermutung aus, »daß Goethe ein um mehrere Jahre älteres, jemand in Rätselform gewidmetes Gedicht, von welchem er Abschrift zurückbehalten, dort aus irgend einem andern Grunde eingeschoben« habe. Die Kommentatoren stellten sich daher die Aufgabe, in anderen Lebensepochen Goethes nach des Rätsels Lösung zu suchen. Glaubte man eine Persönlichkeit gefunden zu haben, auf die das Gedicht einigermaßen zu passen schien, so wurden auch die Verse entsprechend »datiert«. Dem späteren Betrachter dieser nicht sehr philologischen Bemühungen fällt dabei auf, daß je vager eine Vermutung ist, desto bestimmter der Ton, mit dem man sie ausspricht, desto entschiedener die Ablehnung jeglichen Widerspruchs. »Ohne Zweifel viel früher entstanden« als 1815 erschienen F. Strehlke die Rätselverse, weil er sie durch Schillers Turandot veranlaßt glaubte, »in die man anfangs bei jeder Aufführung drei neue Rätsel einzulegen liebte«. Doch hat schon Woldemar von Biedermann mit Recht darauf hingewiesen, daß alle Turandot-Rätsel an einen Einzelnen gerichtet sind; soweit überhaupt eine Anrede gebraucht wird, steht diese im Singular: sie lautet »Du« und nicht »ihr«. Zudem wäre Turandot mit dem Vers »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« - unter Anspielung auf einen Zeitgenossen Goethes - völlig aus ihrer Bühnenrolle gefallen, denn weder sie, die Prinzessin aus Urzeiten, noch der von ihr befragte Kalaf konnten von einer solchen Persönlichkeit jemals etwas gehört haben. 8 Für H. Düntzer gab es keinen Zweifel an der Entstehung des Rätsels »um 1800«. Er behauptete kühn: »In diese Zeit fallen die drei rasch hingeworfenen, aber scharfen Reimpaare.« 9 Zu dieser hypothetischen Datierung sah Düntzer sich gezwungen, weil er das Gedicht für den bereits 1803 verstorbenen Karl von Eckartshausen in Anspruch nehmen wollte. Etwas vorsichtiger formulierte G. von Loeper seine Vermutung, daß die Verse »in den Jahren von etwa 1800 bis 1806« an den Hofmedikus Christoph wilh. Hufeland gerichtet worden seien oder an Franz Josd Gall, »für den sich Goethe besonders 1805 lebhaft interessierte«.lO Am weitesten zurückverlegt wurde die Entstehungszeit des Rätsels durch Woldemar von Biedermann. Er meinte, die Zeit der Abfassung Vgl. Flodoard von Biedermanns Veröffentlichung des humoristischen »Brief. wechsels im Jenseits« zwischen G. v. Loeper und W. v. Biedermann aus dem Jahre 1890 über das vorliegende Rätsel, in: Zeitschr. für Bücherfreunde, N. F. Bd. 8, I, 5.65. 9 Düntzer, Erläuterungen, 5.150. Vgl. auch Düntzers Kommentar in der hist.-krlt, Ausg. von Joseph Kürschner. Bd.83 . Goethes Werke 11. Gedichte, Bd. 2, Berlin u, Stuttgart (1883), 5.357: »Riemer ... wußte nicht, wer damit gemeint sei; er wird, .0 wenig wie Eckermann, Goethe darum befragt haben; die Dichtung fiel vor sclnen Eintritt bei Goethe (1803) .« (!) 10 Loeper, Hempcl-Ausg. von 1883, S. 487. 8 GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT 32 3 möchte »in die ersten Monaten des Jahres 1784« zu setzen seinY Damals nämlich habe Goethe ein besonderes Interesse für den Hofapotheker Buchholz gezeigt, auf den Biedermanns Meinung nach der rätselhafte Sechszeiler anspielt. Doch fragt man sich angesichts all dieser hypothetischen Frühdatierungen, warum Goethe dann das Rätsel nicht bereits in den neunzig~r Jahren oder in der Ausgabe der Gedichte von 1806 - z. B. zusammen mIt einem anderen dort erstmals veröffentlichten Rätsel (»Ein Bruder ist's von vielen Brüdern«) - herausgegeben haben sollte. Warum geschah dies erst im Jahre 1815, wo Lösungen wie die von Düntzer, Loeper und Biedermann vorgeschlagenen kein aktuelles Interesse mehr beanspruchen konnten? In neuerer Zeit ist wiederum die Frage des Entstehungszeitpunkts aufgeworfen worden: »Wahrscheinlich kurz vor dem Jahre 1815«, so laut~t die Vermutung,I2 und damit rückt die Datierung dem Datum des Erschelnens wieder näher. Doch wird auch in diesem Fall nicht mit neuen philologischen Mitteln argumentiert,Is sondern wiederum lediglich mit dem Hinweis auf eine bestimmte Persönlichkeit. Diesmal ist es der im Jahre 1813 verstorbene Arzt Joh. Chr. Reil, der - von einem seiner heutigen Kollegen - für den von Goethe in Rätselform verherrlichten »Größten« erklärt wird. Reil ist nicht der erste Arzt, den man bei den Lösungsversuchen in Vorschlag gebracht hat. Es fiel auch schon in früherer Zeit sein Name im Zusammenhang mit diesem Gedicht. Bereits 1890 erinnerte Loeper in einem Brief an W. v. Biedermann, der sich mit unserm Rätsel beschäftigte, an »Reil in Halle«. Dieser gehöre durch seine Stellung und seine Schriften »in die vorderste Reihe der zeitgenössischen Ärzte«, er sei darin dem von ihm selbst ebenfalls vorgeschlagenen Weimarer Arzt Hufeland vergleichbarY Kann jedoch ein Arzt ernstlich in Betracht kommen? Auf Reil und Hufeland als bedeutende Ärzte und Gelehrte möchten allenfalls passen V.:( und 2: »Viel Männer sind hoch zu verehren, / Wohlthätige durch Werk und Lehren«, wobei freilich zugestanden werden muß, daß diese Worte auf eine Vielzahl verdienstvoller Männer verschiedenster Berufe anspielen können. Aber die folgenden Verse: »Doch 11 Woldemar von Biedermann, Goethe-Forschungen. Neue Folge, Leipzig 1886, H· 45 2 • '8 Kirste, a.a.O., Sp. 3. '" Einen philologischen Hinweis, der das Rätsel in die zeitliche Nähe des 1814 ·Hlldlchtetcn »Epimenides« rückt, lieferte H. Henkel, in: Goethe-Jahrbuch, Bd.28, '!)07, 5.225. Er machte auf die übereinstimmung des Schlußverses mit V.417 von ,Ue. Epimenides Erwachen« aufmerksam: »Ich dächte doch, du mußt ihn kennen«. U Flodollrd von Biedermann, Briefwechsel im Jenseits, a.a.O., S. 63 . 32 5 KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREISGEDICHT wer uns zu erstatten wagt, / Was die Natur uns ganz versagt«, dürfen, wenn man sie wörtlich nimmt, niemals auf die ärztliche Tätigkeit bezogen werden. Kein Arzt vermag zu »erstatten«, was die Natur uns »ganz versagt«. In vielen Fällen ist ärztliche Kunst machtlos gegenüber der Natur. Weder vermag sie jede Krankheit zu heilen, noch unbegrenzt gegen den Tod zu schützen. Niemals hätte Goethe bei aller Hochachtung vor Reil oder Hufeland von einern Arzt in so unzutreffender Weise gesprochen, auch nicht im Scherz, auch nicht im Tone des heiteren Kompliments. Im Faust heißt es mit Bezug auf die ärztliche Tätigkeit des Helden (V. :1009f.): »Vor jenem droben steht gebückt, / Der helfen lehrt und Hülfe schickt.« Sehen wir uns aber den Ausgang des Gedichtes noch einmal genauer an: »Doch wer uns zu erstatten wagt, ... Den darf ich wohl den größten nennen: / Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« Unverkennbar haben die fragenden Schlußworte eine heiter-persönliche Note. Zu dieser Heiterkeit - sie wurde von früheren Kommentatoren deutlich empfunden _15 paßt nicht die Vorstellung, daß Goethes Gedicht auf einen noch zu betrauernden Toten anspielen soll, auf den November :18:13 in Halle an Typhus verstorbenen Arzt Reil. Hierin liegt eine Unstimmigkeit, die es schlechthin unmöglich macht anzunehmen, daß Goethe »ein auf Reil gemünztes Rätsel schmiedete, das den Freunden des Dichters, die ja auch durch den tragischen Tod Reils stark beeindruckt waren, keine Lösungsschwierigkeiten bereitete.« 16 Die schelmisch neckende Schlußfrage: »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« schlägt einen Ton an, mit dem keinesfalls auf einen kürzlich verstorbenen Gelehrten hingedeutet sein kann. Nie hätte Goethe sich so vergriffen. Man tut Unrecht, ihm eine solche geschmackliche Entgleisung zuzutrauen. Übrigens erklärte schon Düntzer die Deutung auf die ärztliche Kunst für unmöglich mit der Begründung, daß diese der Natur nur nachzuhelfen imstande sei. Loepers Hinweis auf Hufeland erschien ihm als )>unbegreifliche Annahme einer Verspottung der ärztlichen Kunst«. Denn daß diese uns zu erstatten wagt, was die Natur uns ganz versagt, »wäre geradezu toll« .17 Der Einwand ist so einleuchtend, daß man nach weiteren Vertretern der Ärzteschaft in Goethes Umkreis nicht mehr hätte zu suchen brauchen. Weniger überzeugend ist Düntzers eigene Interpretation des Rätsels. Er sieht in ihm ein Spottgedicht, da in Wirklichkeit niemand uns zu geben vermöge, was die Natur uns ganz versage. Mit erstaunlicher Selbstsicherheit erklärt Düntzer: »Wer zu lesen versteht, eine Kunst, die so manchem Erklärer abgeht, muß erkennen, daß hier ein Hans Narr, der etwas Unmögliches zu leisten versprach, als größter Wohltäter der Menschheit verspottet wird. Damit ergab sich mir auch sogleich die einzig mögliche Beziehung auf den Grafen Karl von Eckartshausen, den ersten geheimen Kurbaierischen Hausarchivar.« Es handelt sich hier um einen wunderlichen Mystiker und Scharlatan, dessen im Reichsanzeiger verkündete palingenetische Künste Goethe im Brief an Schiller vom 20. I. :1800 verspottete. Düntzers Deutung wurde von Ludwig Geiger übernommen, und auch Eduard von der Hellen führt die Düntzersche These im Kommentar der Jubiläumsausgabe als diejenige an, die sich unter allen Erklärungsversuchen noch am ehesten hören lasse. Damit ist aber wiederum der Gesamtcharakter des Gedichts verkannt. Die heitere Note ist durch den Rätselcharakter des Ganzen und insbesondere durch den letzten, ans Publikum gerichteten Vers unüberhörbar. Aber hier spricht keineswegs mephistophelischer Spott. Das Rätsel ist ein positives, ein Lobgedicht, und es unterscheidet sich darin nicht von der gesamten Abteilung, der es zugehört. In diesen Gedichten An Personen werden hervorragende Zeitgenossen gefeiert. Der Dichter spricht in huldigender, nicht aber in detraktorischer Weise von ihnen. Sein Ton ist gelegentlich anmutig scherzend, doch niemals verletzend oder gar höhnisch. Das durchgehende Charakteristikum dieser Gedichtabteilung ist die Verherrlichung - nicht aber Verspottung! - von verehrungswürdigen Menschen, denen der Dichter auf diese Weise ein Denkmal setzte. Doch sehen wir uns auch die anderen Lösungsversuche noch einmal der Reihe nach an. Strehlke, der Kommentator der ersten Hempelschen (;oethe-Ausgabe von :1868, hielt mit eigenen Deutungen zurück und führt nur die ihm bekannt gewordenen Vermutungen an, wenn er ~;chreibt: »Einige wollen darin einen berühmten Luftschiffer, Andere die Philosophen Fichte oder Hegel finden«. Eine eigene Stellungnahme zu diesen Vorschlägen wird von Strehlke offenbar aus dem gleichen Grunde lIicht gegeben, den Loeper im Jahre :1883 anführt, wenn er feststellt, .>I,üsungen«, wie Fichte, Buchholz, Obereit, Eckardt, verdienten »keim' l"I'llsthafte Erörterung«. I.ocper selbst stellte umfangreichere Erwägungen an als sein VorKiill f,n. So legte er dar, daß sich in dem Wort »Männer« (V.:1) keinc llin dl'lIlung auf einen mit »Mann« auslaufenden Namen verbergt' (wil' 1.:lIll\ermann, Hahnemann etc.), da auf Goethes Freunde, welche Iwlche NillI1('n führten, das übrige nicht passe. Sodann folgt Loepers eiKene, I11" rl' iIs erwiihnte Deutung auf den Weimarer Arzt Hufeland (:1702- 1H)o ) IIl1d anschließend die Vermutung, daß auch ein anderer Arzt, niimlich 15 Auf Grund des heiteren Tons sah H. Henkel das Rätsel als »einen Scherz dc~ Dichters« an; er vermutete »die schalkhafte Beziehung auf eine wohlbekannte Wcimarische Persönlichkeit, einen Haarkünstler ... der Bedürftigen für den ihnen von der Natur versagten Haarwuchs durch Perücken Ersatz bot«, a.a.O., S. 226. 16 Kirste, a.a.O., Sp. 4. 17 Düntzer, Erläuterungen, S. 150 f. KATHARINA MOMMSEN Franz Josef Gall (:1758-1828) gemeint sein könne. Auch er, so behauptete Loeper, habe »die hier geforderten Requisite« vereinigt, »auch er legte den Menschen Eigenschaften bei, welche die Natur ihnen versagt hatte, insbesondre unserm Dichter die eines >Volksredners<. « Loeper spielt an auf Goethes Bericht über das Jahr 1805 in den Tag- und Jahresheften. In jenem Jahr hatte der Dichter an Galls phrenologischen Vorlesungen teilgenommen. Loepers Kommentierung des Rätsels rief lebhaften Widerspruch hervor. In streitbarer Tonart schrieb W. v . Biedermann: »Sehen wir zu, ob Hufeland und Gall auf ernsthafter Forschung beruhen!« 18 Nach eingehender Untersuchung der Hufeland-These kam Biedermann mit guten Gründen zu dem Schluß, diese sei »völlig unhaltbar«. Auch der zweite von Loeper gemachte Vorschlag wurde durch Biedermann mit einleuchtenden Argumenten widerlegt: »Gall machte es sich ... doch nicht zum Geschäft, Leuten Eigenschaften zuzuerkennen, die sie nicht besaßen«. Wenn er Goethe einen »Volksredner« nannte, so habe er dem Dichter damit etwas zugesprochen, was die Natur ihm durchaus nicht versagt habe, denn Goethe selbst berichte in der Italienischen Reise und in der Belagerung von Mainz, wie er aufgeregte Volkshaufen durch seine Ansprache beruhigt habe. Auch der Zweck der ersten Zeilen des Gedichts sei für die Lösung Gall nicht einzusehen. Biedermanns eigene Vermutung zielt in eine andere Richtung und hat den anderen Vorschlägen gegenüber zunächst einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad, insofern als hier wirklich von einem Können die Rede ist, das die Natur dem Menschen versagt hat, nämlich dem Fliegen. Biedermann erinnerte an MontgoHiers Erfindung der Luftschiffahrt, die in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts ungeheures Aufsehen erregte. Im Hinblick hierauf erklärte Biedermann, daß die Lösung des Rätsels »der Name eines Luftschiffers sei, möchte ... wohl nicht ernstlich in Abrede zu stellen sein« . Sein Vorschlag lautete nun aber nicht: MontgoHier, der Erfinder selbst, sondern einer seiner wenig erfolgreichen Nachahmer, der Weimarer Hofapotheker Wilhelm H. S. Buchholz (1734 bis 1798). Zur Stützung seiner These, daß Goethe an den Buchholzschen Versuchen lebhaften Anteil genommen habe, zitiert Biedermann zwei Sätze aus einem Brief Goethes an Knebel vom 27. XII. 1738: »Buchholz peinigt vergebens die Lüffte, die Kugeln wollen nicht steigen. Eine hat sich einmal gleichsam aus Bosheit bis an die Decke gehoben und nun nicht wieder«. Gemäß Biedermann war Buchholz »in Weimar der Einzige, der MontgoHiers Kunst nachahmend, es wagte, wenigstens im Kleinen zu zeigen, wie es der Mensch anfangen müsse, um das von der Natur IR Woldemar v . Biedermann, Goethe-ForsdlUngen, N. F., 1886, S. 447. GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT )27 ihm ganz versagte Fliegen ins Werk zu setzen, und Goethe folgte diesen .. :. Versuchen beharrlich. Er nahm Nachahmung für Erfindung, Versuche fur Ausführung - im Scherz; daher sein Rätsel.« 19 .. Auch Biederrnanns These stieß auf Widerspruch und wurde von spateren Kommentatoren nicht mehr übernommen. Düntzer bezeichnete es geradezu als eine »schwere Sünde«, daß man den Hofmedikus, Bergrath und Physikus Dr. Buchholz zu Jena als des Rätsels Lösung habe ~ns~hen können. Man dichte damit Goethe eine »Mißhandlung des tuchtIgen Mannes und Freundes« an. 20 Die Biederrnannsche Deutung des Rätsels hat sich in den Goethe-Ausgaben ebensowenig durchsetzen können wie die Lösungsversuche seiner Vorgänger. In der Weimarer Ausgabe wird keine Erklärung versucht. Im Kommentar der Jubiläums-Ausgabe bemerkt E. von der Hellen (1907), man sei »mit vielem Eifer und geringem Erfolg« der Goetheschen Aufforderung nachgekommen, in dem ~> Gr~ß ten« einen Zeitgenossen des Dichters zu suchen. Aus der Ergebmsloslgkeit der bisherigen Bemühungen folgert von der Hellen, daß vielleicht die Stellung des Rätsels zwischen den auf »Personen« bezüglichen Gedichten »nur eine Falle, und Christus als Verkündiger des ewigen Lebens ge. meint« sei. Gegen diese Hypothese spricht so viel, daß eine Widerlegung kaum nötig ist. Sie wurde denn auch, soweit ich sehe, von der späteren Forschung nicht beachtet. Besonders die Annahme, der J?ichter habe ~n b~ sagtem Sinne dem Leser eine »Falle« stellen wollen, 1st so abwegIg WIe l1ur möglich. Die Frage, warum das Räthsel in der Abteilung An Personen Aufnahme fand, bildet gerade das Kernproblem. Dies ist nicht auf solche Weise zu lösen, daß man Goethe eine absurde Willkürhandlung zumutet, wo man ratlos ist. Der Dichter hätte damals die Möglichkeit gehabt, dem Riitsel im gleichen Band 2 der Ausgabe von 1815 einen anderen platz zu /',cben: etwa in der Abteilung Epigrammatisch, wo er auch ein ande~es !{iirhsel betiteltes Gedicht placierte. Er tat dies nicht. Seine andersartIge I:ntscheidung muß respektiert werden. Bei der Bewußtheit und sorgfiilti1',1'11 künstlerischen Verantwortung, mit der Goethe zur damaligen. Zci t Jl.daktionelle Arbeiten vornahm, steht es außer Frage, daß der ellll'lll (;l'dicht zugewiesene Platz aus inneren Gründen richtig und notwendif{ i,; 1. I nnerhalb der Gruppe von Gedichten, die an zeitgenössische l'l'rS(lIH'1I "t'ri ch tet sind , kann das Rätsel nicht auf Christus deuten. Solchc 'kllIIlIlK r, I w:i rl' aber auch darum nicht möglich, weil in der Schlußfrage : »kh !lI'1I It' d, "h, ihr müßt ihn kennen?« eine charmante, fast scherzhafte !'(li 111 il'l'Il1lg 11"/',1, die schlechterdings nicht mit der Hinweisung auf Ch rislli Hi',1\: H1 111 - I. rlodonrd v. Biedermann, Bri efwechsel im Jenseits, a.a.O., S. 66. .n IliinI F.c r, Erläuterun gen, S. 150 f. 3 28 KATHARINA MOMMSEN menhängen kann. Der gesamte Ton des Rätsels gebietet es, von Christus abzusehen. 2 Jeder Versuch, die Deutung des Rätsels zu finden, sollte von der Voraussetzung ausgehen, daß Goethe dem Leser mit dem Gedicht keine unlösbare Aufgabe stellen wollte. Damit entfallen alle Hypothesen, die auf allzuwenig bekannte Persönlichkeiten zielen, auf Männer, deren Ruhm beim Publikum doch nicht so groß und nicht so besmaffen war, daß der Inhalt des Gedichts mit hinreichender Sicherheit auf sie hindeutet. Die in der Goetheforschung versuchten Deutungen beziehen sich aber fast durchweg auf Persönlichkeiten dieser Art. Vielfach handelt es sich um solche, die nur in Fachkreisen als bekannt gelten konnten, auch um Namen von längst vergangenem Ruf. Die Schlußzeile des Rätsel-Gedichts »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« ist dagegen so gefaßt, daß jedem Zeitgenossen, der bei Erscheinen der Verse nach ihrem Sinn suchte, auch dessen Findung als etwas Mögliches, ja als etwas Notwendiges und Leichtes zugetraut wurde. Gerade der Satz »ihr müßt ihn kennen« führt uns darauf, die Lösung nicht in allzuweiter Ferne zu suchen. Offenbar liegt sie nah, ist allgemein zugänglich. Nun, halten wir uns zuerst ans allernächste - betrachten wir einmal die nähere Umgebung des Gedichtes, die Stelle, die der Dichter ihm angewiesen hat innerhalb seines Werks. Jene Gruppe An Personen, in die das Rätsel gestellt wurde, diente einem besonderen Zweck. Zum erstenmal in seinem Leben vereinigte Goethe hier Gedichte, die ganz bestimmte Individuen besangen. Gemeinsam ist a11 diesen Gedichten, da(~ sie Huldigungen darstellen, daß der Besungene gelobt, geehrt, ja verehrt und gefeiert wird. Es gibt kein negatives, kein polemisches Gedicht untl'f ihnen. Die Huldigung nimmt gelegentlich enthusiastisch preisendl'll Charakter an. Schon das erste, berühmteste Gedicht der Gruppe, Ilmenall, endet mit einem Preis des Herzogs Carl August und seiner Herrschl'rtugenden. Enkomiastisch sind auch die anschließenden Gedichte: Geller/I; Monument von Oeser, An Zachariä, Einer hohen Reisenden, lubiliill//I am zweiten Januar 1.81.5, Den Drillingsfreunden von Cöln mit eine'/II Bildnisse. Ein ähnliches Gepräge zeigen ferner die Verse an den Kompo·· nisten Himmel (An Uranius) und den Maler Tischbein. Angeschlossell an diese Lobgedichte sind noch einige kürzere Gedichte an geliebte oder wr· ehrte Frauen, auch sie huldigenden Charakters mit schon leisem Vor- lind Anklang an die überschwenglich preisende Liebesdichtung des 11;11/1/1. Räumlich genau in der Mitte dieser Preis ge dichte steht da s 1\1;/11::,'/. Sieben Gedichte gehen ihm voraus. Sieben folgen ihm (wenn Illall dir Verse an Tischbein als Einheit betrachtet, wozu ihre gemeins<lllll' Lllt GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT J2'J stehung berechtigt). Hier im Räthsel aber wird von dem Mann gesprochen, der uns das »zu erstatten wagt«, was die Natur nicht geben kanll, was sie uns »versagt «. Eine denkbar einfache Erklärung bietet sich an: die Natur vermag uns eins nicht zu geben, eins versagt sie uns: näml ich Unvergänglichkeit, ewiges Leben, ein zeitloses Fortbestehen unserer Person. Wohl vermag derartiges aber die Kunst. »Wer dauern will, murs sich mit den Poeten halten«, schrieb Goethe unter Hinweis auf Horaz in einem Brief an Zelter vom :1.11. :183:1. Der Dichter, und zwar vor allem der panegyrische Dichter verleiht den Gestalten, die er besingt, Unsterblichkeit. In seinen Versen lebt der Verehrte, Geliebte fort, in schänster Weise, zu vorteilhaftestem Gedächtnis. Und so ergibt sich nun als Lösung des Räthsels: hier inmitten der Gruppe An Personen, mit der Goethe erstmals ein umfangreiches Korpus von Preisgedichten darbot, deutet er auf sich selbst. Hier erscheint unter den »Personen«, die er besingt, auch er in besonderer Eigenschaft, nämlich als enkomiastischer Dichter. Die Rätselform ermöglichte ihm die Einfügung eines Selbstporträts ohne Verletzung des guten Geschmacks. In dieser Form konnte er auch das Selbstlob wagen: wer als enkomiastischer Dichter Menschen zu verewigen und damit die Natur zu übertreffen vermag, den darf man wohl »den größten nennen« - keine »Wohltätigkeit«, die seiner gliche. So ist es also der spezielle Charakter der ganzen An Personen gerichteten Gruppe, der die Frage : »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« motiviert und berechtigtY Erkennbar, verständlich mußte der Sinn des Räthsels zunächst all den Personen sein, die, zumeist ja noch lebend, in diesen Gedichten verewigt wurden - darüber hinaus dann auch jedem Leser, der mit wachen Augen wahrnahm, was Goethe hier brachte: die Verewigung einzelner vorzüglicher Menschen durch das Medium der Kunst. Ein Blick sollte aber noch ferner geworfen werden auf die beiden eedichte, welche die Rätsel-Verse umgeben. Aufschlußreich ist hier vor ;lIlem das unmittelbar folgende Gedicht. Es verbirgt nämlich schon in :;t'inem ersten Vers die Antwort auf das Räthsel. Die erste der drei Strophen dieses Gedichts Den Drillingsfreunden von Cöln mit einem Hild I/i:;se lautet: »Der Abgebildete Vergleicht sich billig Heil' gern Dreikönige, '" Wer bezweifeln möchte, daß Goethe eines solchen Selbstlobs fiihig gl'W<'H,'n IIl'i, 01, ·,. Illi'g e s ich der »gewissen Aufschneiderei« und der »Anmaßun g« erinnern , <I"ITII ,.,. ",..Ii in den »Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan « - olsl) in d,'r /·.I, ·i dll ·n I:l'l)che - selb st bezich ti g t (Weimarer Ausgabe I, 7, 5.142: Knp. »Kiinflign I" V'II' «, Ab sdltlitt »ll udl des Unmuths«). 33 0 33 1 KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT Dieweil er willig Dem Stern, der ostenher Wahrhaft erschienen, Auf allen Wegen war Bereit zu dienen.« enthält damit die erste Strophe des Gedichts an die »Drillingsfreunde« einen Wink zur Lösung des Räthsels in ganz umfänglichem Sinne. Sie deutet auf Goethe als panegyrischen Dichter. Das Panegyrische erscheint sogar in doppelter Spiegelung und entsprechend intensiviert. Somit ist also die Frage: »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« eigentlich schon komplett beantwortet, wenn man nur den folgenden Gedichtanfang liest: »Der Abgebildete ... « Im übrigen sind auch die andern beiden Strophen des Gedichts an die »Drillingsfreunde« enkomiastischen Charakters. In der zweiten wird der »Bildner« Raabe gepriesen, allerdings nicht als Maler, sondern als Krieger. Goethe spielt hier an auf Raabes Teilnahme an den Befreiungskriegen, seine Verwundung und Auszeichnung durchs Eiserne Kreuz. Im Hinblick auf Goethes bekannte politische Gesinnung darf ein solches Lob aus seinem Munde Verwunderung hervorrufen und als Besonderheit gelten. Doch gab hier die Absicht, Raabe gefällig zu sein, den Ausschlag. Gerade damit bekundet sich der enkomiastische Charakter dieser Verse ougenfällig: der Lobdichter richtet sich bei seinen Huldigungen auch nach Wunsch und Geschmack des Belobten. Die dritte Strophe feiert dann die »Drillingsfreunde« selbst. Der »Abgebildete« - Goethe - und der »Bildner« - Raabe - treten gleichsam als Adoranten hin vor die beiden Boisserees und Bertram, um sie zu verehren als mutige Erneuerer altvergangener Kunst: Der »Abgebildete« ist - Goethe. Damit aber haben wir folgenden Sachverhalt: man braucht nach der im Schlußvers des Räthsels erhobenen Fra~e - »I~ denke doch, ihr müßt ihn kennen?« - nur weiterzulesen, '0 erhalt ~an m den nächstfolgenden Worten bereits die Antwort. Goeth. selbst 1st e.s, auf den das Räthsel deutet. Dessen Lösung wird uns al.o auf. anmutIg versteckte Weise alsbald gegeben. Wenn schon der allgememe Charakter der Gedichtgruppe, innerhalb derer das Räthsel steht, uns klarmachen kann, daß die Schlußfrage auf Goethe als enkomiast!schen Dichter. zielt, so wir~ uns ~as durch jene unmittelbar folgenden Worte noch eIgens verdeutlIcht - dIe Antwort wird uns gleichsam in den Mund gelegt. Sehe~ wir .g~nauer zu, so erscheint aber Goethe in der ersten Stropho der an d~e D:lll~ngsfreunde von Cöln gerichteten Verse auch in der Eigens~aft, dIe hIer m Rede steht, nämlich als Enkomiast. Die Verse beziehen sIch auf ein Bildnis Goethes, das der Maler Raabe während eines dreimonatigen Aufenthalts im Hause des Dichters - zu Ende des Jahre. 1~14 ~ angef~rtig~ hatte; Goethe sandte dieses Porträt am 2.1. 1815 an dIe Bruder Bo~ss.eree und deren Freund Bertram (die »Drillingsfreunde«) zusammen mIt Jenen Versen. Sulpiz Boisseree erkannte sofort, daß die erste, auf den »Abgebildeten« selbst bezügliche Strophe auf Goethe. neue, soeben in Arbeit befindliche Divan-Dichtung hindeutet. Er schrieb a~ "!-1. ~. 1~15 an Goethe: »Wenige wissen, daß Sie, ein anderer Dreikomg, sIch Jetzt ein dreifach Reich um sich gebildet haben und den Osten zugleich griechisch, persisch und christlich nehmen.« Richtig war damit ges.ehen, .daß Goe.the, indem er sich mit dem »heil'gen Dreikönig« vergleIcht, eme huldIgende Haltung annimmt; der Dichter feiert und ver· ehrt die orientalische Poesie, insbesondere Hafis, als den »Stern«, der ihm »?stenher :-vahrhaft erschienen«. Damit ergibt sich: in der ersten Strophe! dIeses GedIchts erscheint Goethe in der Gruppe An Personen auch selber a~s P:rson; er stellt sich dar in der Geste des Verehrens, hindeutend auf ~Ie VIelen soeben entstandenen Gedichte, in denen er den Orient, Ilantl m~besonde~e, pan.egyrisch feierte. Diese eigene enkomiastische J],lltUIlH WIrd nun Ihr~rseIts - ganz nach Sinn und Charakter der Gruppe 1\/1 Personen - mIt Lob bedacht: der Vergleich mit dem »heil'gen Dreikiinigl( faßt so!ches Lo~ in ein Bild, aus dem stolzes Selbstbewußtsein spricht, nur bcht gemIldert durch gewisse Bescheidenheitsfloskeln. Wirklkh »Darum zusammen sie Euch nun verehren, Die zum Vergangenen Muthig sich kehren, Stein, Heil' ge, Sammt und Gold Männiglich strebend Und altem Tage holdFröhlich belebend.« Somit stellt das Gedicht an die »Drillingsfreunde« in seiner Gesamtheit ('in Musterstück Goethescher Preisdichtung dar. Als solches ist es besondns kunstvoll gearbeitet, da das enkomiastische Licht in vielfacher IIrl'chung auf nicht weniger als fünf Personen zugleich fällt, deren eine (;Ol,the selber ist. Indem der Dichter diese Verse auf das Rätsel-Gedicht f"I':l'n ließ, hatte er also viel getan, um dem Leser die Bedeutung dcs NiUl, scls vor Augen zu führen. Allerdings wandte Goethe sich damit zur Zeit, als die Gruppe /\/1 l'I'I'~;()II('n erschien, doch nur an einen engeren Kreis von Eingeweihten. 1:1' IWlle die Lösung auch wieder versteckt. Für die Öffentlichkeit mußte I' ~ vor ollem fraglich sein, wer denn eigentlich der »Abgebildete« sei. Der 33 2 KATHARINA MOMMSEN Titel des Gedichts ließ den Bezug auf Goethe nicht erkennen, da er so formuliert war: Den Drillingsfreunden von Cöln mit einem Bildnisse. Ursprünglich hatte die Überschrift jedoch gelautet: Den Drillingsfreunden von Cöln, gegenwärtig in Heidelberg, mit meinem Bildniß. In dieser Form betitelt war das Gedicht an Sulpiz Boissen~e gesandt worden. Durch die Änderung, die Goethe bei der Veröffentlichung der Verse in der Überschrift vornahm, erschwerte er ihr Verständnis. Er schuf, indem er es vorzog inkognito zu bleiben, ein weiteres Rätsel, das lösbar war nur für den engeren Kreis seiner Freunde, wo man von den Beziehungen des Dichters zu Boisseree und vom Goetheporträt Raabes wußte. Diesen Freunden allerdings - so durfte der Dichter annehmen - war durch die Verse an die »Drillingsfreunde« auch ein Wink für das Verständnis de!! Rätsel-Gedichts gegeben. Betrachten wir nun das Gedicht, das in der Abteilung An Personell dem Räthsel vorangestellt wurde, so bietet auch dieses Züge, die zur Lösung der Rätselfrage beitragen können. Das Gedicht, betitelt Jubiläum am zweiten Januar 1815, ist eine festliche Huldigung, dargebracht dem Gothaer Minister und Geheimrat Sylvius Friedrich Ludwig v. Frankenberg. Der Besungene gehörte nicht eigentlich zum Kreise der engeren Freunde Goethes. Beide kannten sich seit Jahrzehnten. Doch beruhte ihre Verbundenheit mehr auf gemeinsamer dienstlich-geschäftlicher Tätigkeit als auf unmittelbar persönlicher Zuneigung. Um so bemerkenswerter ist es, mit welch verschwenderischem Lob Goethe Frankenberg als Menschl'I1, als Persönlichkeit feiert. Er zeichnet sein Porträt so schön wie möglich, ju, es ist keine Frage, daß er ihn idealisiert darstellt. Unverkennbar tri t t darin bewußte Absicht, ein Programm zutage - die Tendenz zu echtl'l' Preis dichtung. Besonders zeigen die letzten zwei Drittel des neunstrophi gen Gedichts diese enkomiastische Haltung. Hier heißt es: » ... Dem Würdigen, dem Biedern Winden wir vollkommne Kränze, Und zu aller Art von Liedern Schlingen sich des Festes Tänze. Selbst das Erz erweicht sich gerne, Wundersam ihn zu verehren; Aber ihr, auch aus der Ferne, Laßt zu seinem Preise hören! Er, nach langer Jahre Sorgen, Wo der Boden oft gebidmet, Sieht nun Fürst und Volk geborgen, Dem er Geist und Kraft gewidml't. GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT 333 Die Gemahlin, längst verbunden Ihm als treulichstes Geleite, Sieht er auch, der tausend Stunden Froh gedenk, an seiner Seite. Leb' er so, mit Jünglingskräften Immer herrlich und vermögsam, In den wichtigsten Geschäften Heiter klug und weise regsam, Und in seiner Trauten Kreise Sorgenfrei und unterhaltend, Eine Welt, nach seiner Weise, Nah und fern umher gestaltend.« Mehreres darf uns an diesen rühmend-huldigenden Strophen interessie- . ren. Wie sehr hier der Jubilar »zu seinem Preise« verschönt, wie »wundersam« er »verehrt« wird, wie Goethe sich bemüht, ihm möglichst »vollkommne Kränze« zu winden, das läßt jeder Vers erkennen. Dabei wird es aber ebenso deutlich, daß Goethe sich mit dem ihm an sich gar nicht sehr nahestehenden v. Frankenberg in gewisser Weise identifiziert. Das meiste könnte auch über ihn, Goethe selbst, gesagt sein und würde erst dann eigentlich stimmig erscheinen. Die beiden mittleren d~r. zitierten Strophen mit ihrer Schilderung des erfolgreich verwalteten MImsteramts und des häuslichen Glücks lassen diese Ähnlichkeit mit Goethe in äußeren Zügen erkennen, die Schlußstrophen durch die Charakterisierung der jugendlich schöpferischen und souveränen sittlichen Persö~lichkeit. Alles in allem haben wir hier de facto auch eine Art Selbstportrat von Goethe. Zu diesem Selbstporträt mag den Dichter inspiriert haben vor allem der Umstand, daß von einem Manne die Rede war, der durch vieles, besonders durch seine Stellung im äußeren Leben, an ihn selber erinnern konnte: Frankenberg war wie Goethe höchster Staatsbeamter, Minister lind Geheimrat; er stand in hohem Alter, sein berufliches Wirken lag hinter ihm. Wiederum war für des Dichters nähere Umgebung diese Parallele erkennbar. Die Verse an Frankenberg erschienen zu dessen Jubiliill\11 Jonuar 1815 in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, zusammen übrigens mit einem lateinischen Preis gedicht auf den Jubil~r von d~\11 Iierausgeber der Zeitung, Eichstädt. Auf diese Doppelhuldlgllng SPielt Goethe noch an in den Versen der Mittelstrophe: »Aber ihr, auch aus der Ferne, Laßt zu seinem Preise hören!« KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT Gedichte aus Weimar und Jena ~eierten den Jubilar von Gotha »aus der Ferne«. Somit wußten auch weite Kreise in Thüringen um den Bezug des Goetheschen Gedichtes, als sie es später im 2. Band der Cottaschen Ausgabe wiederfanden. Für sie war es auch möglich, die an Goethe er- , innernden Züge, das Selbstporträt des Dichters darin zu gewahren. Dies wiederum konnte ihnen helfen, das folgende Räthsel zu verstehen. Im einen wie im andern Gedicht deutete Goethe auf sich und auf sein I Wirken als Lobdichter. In den Jubiläumsversen für Frankenberg verbindet sich nun sehr deutlich mit dem freizügigen Lob und dessen speziell auf Goethe selbst weisenden Zügen noch ein Drittes. Es liegt in all diesem Rühmen auch eine Ermahnung an den Adressaten, vor allem aber an den Leser: sei oder werde so, wie hier das Idealbild eines älteren Mannes ausgeführt ist: voll »Geist und Kraft« ... »Immer herrlich und vermögsam ... heiter klug ... weise regsam ... unterhaltend ... eine Welt nah und fern umher gestal-tend« usw. Goethe begann mit dieser Art von erzieherischer Lobdichtung eine neue Form, in der er später noch ähnliches schuf. Schon das Mai 1.81.5 geschriebene Jubiläumsgedicht für Karl Kirms und Ernst Konstantin v. Schardt weist gleiche Züge auf - Goethe sandte dies Gedicht alsbald seinem Sohn August, weil die darin mit dem Lob verbundenen Lehren diesem gerade im Augenblick für die eigene Entwicklung nützlich und wegweisend sein konnten. 22 Später sind hervorragende Beispiele für diese Art von huldigender Poesie besonders die Gedichte Zu Thaers Jubelfest (1.824) und Die Feier des achtundzwanzigsten Augusts dankbar zu erwidern (1.81.9). Beide stellte der Dichter ähnlich in die Mitte der Gruppe Inschriften, Denk- und Sendeblätter (Band 4 der Ausgabe letzter Hand, 1.827), wie das Gedicht auf Frankenberg nahezu im Zentrum der Abteilung An Personen steht. 23 Dies mag es uns deutlich machen, daß Goethe gerade bei der Ausführung der Aufgabe, ein Festgedicht für Frankenberg zu schreiben, Anlaß fand, sich auch theoretisch über die Art von Poesie klarzuwerden, die er nun schuf. Es war Preisdichtung, die den Einzelnen verschönte und ihn als Idealbild, in seiner besten Fonn, verewigte. Zugleich konnte solche Lobdichtung erzieherisch für alle wirken durch Darbietung von »Musterbildern«, - dies machte sie für Goethe anziehend. Das Gedicht Räthsel möchte man sich daher aus inneren Gründen am ehesten in jener Zeit entstanden denken, als Goethe du Frankenberg-Carmen schrieb. Es deutet auf den Zug des Verewigens und Verschönens beim Enkomiasten und weist damit auf das Verdienst der Dichtart hin, sofern das nötig sein sollte. Es enthält übrigens auch einen Hinweis darauf, daß große Preisdichtung mit soICher Verewigung pädagogisch, belehrend wirkt: sie ist - wie Vers 2 des Gedichts sagt -, »wohltätig durch Lehren«, und zwar in ganz hervorragender Weise. Wenn das Gedicht Räthsel dann zwischen das Frankenberg-Carmen und die etwa gleichzeitig geschriebenen Verse für die »Drillingsfreunde« gestellt wurde, so darf dies auch als äußerer Anhalt für die mutmaßliche Entstehung des Räthsels gelten: hier werden drei Gedichte zusammengereiht sein, die der gleichen Zeit entstammen, der Zeit kurz vor Abschluß der Redaktion von Band 2 der zweiten Cotta-Ausgabe. 334 VgI. K. Mommsen, Goethe und Diez, Berlin 1961, S. 120-132. Zu dem Gedicht »Die Feier des achtundzwanzigsten Augusts dankbar zu cr. widern«, in dem die Freunde des Dichters Gegenstand panegyrischen Lobes sind, v8!. K. Mommsen, Der Dank des Weisen, in: Jahrbuch der Goethe-Gesellsch . in Kan'AI, Bd. 7, Osaka 196:r [1966], S. 1-22. 22 23 335 3 Um die Gruppe der genannten drei Gedichte hat Goethe dann eine - nicht allzu große - Anzahl von weiteren Gedichten aus früheren Zeiten ge-'" reiht, die bereits ähnliche enkomiastische Elemente enthielten. Das wichtigste dieser Gedichte sei noch mit einem Blick gestreift, Ilmenau, aus der frühen Weimarer Zeit stammend, doch jetzt erstmals veröffentlicht. Am Anfang der Abteilung An Personen fand nun dieses Gedicht einen höchst geeigneten Platz. Es wäre seinem Charakter und dem großen Umfang nach auch in einer anderen Abteilung, z. B. in den Vermischten Gedichten, unterzubringen gewesen. Daß Goethe sich für seine Placierung zu Beginn der Gruppe An Personen entschied, war sinnvoll geworden dadurch, daß l'r dieser Gruppe bewußt - und durch die zentralen Gedichte betont - den ('harakter der öffentlichen Huldigung verliehen hatte. Denn letzten Endes i~ t auch Ilmenau ein Preisgedicht. Verewigt wird darin eine Anzahl von Frcunden, aber noch mehr als das: eine Epoche, die für Goethe und alle ,dL' miterlebenden Gefährten zur teuersten Erinnerung geworden war. I )ic Früh-Weimarer Zeit in ihrer Besonderheit, Köstlichkeit und Proble1110 tile darzustellen, war auch ein dringliches Anliegen Goethes, als er I lichtung und Wahrheit schrieb. Es erwies sich jedoch im Rahmen der All tobiographie als undurchführbar; zuviel äußere und innere Gründe ~ Inndcn hemmend dagegen. Nun stellt das Gedicht Ilmenau im Schaffcn (;o,'lhcs die wesentlichste Rückerinnerung an diese Zeit dar - es hält Hlr IlIlIlll'r etwas fest von ihrem Zauber, ihrer Atmosphäre, ihren Menschen HUllz im Sinne des Räthsel-Gedichts verewigt hier Poesie menschliches I hl ll l'ill in einem schönsten Moment. Dabei erscheint in dem Carl August H" /l l11'IHlcten Lob am Schluß schon viel von jenem Pädagogischen, dll u (;'"'Iltl'~l spätere Preisgedichte kennzeichnet. Mahnungen werden 11l1Hgl' /l l't'Odll'n, wie sie noch der späte Goethe ganz ähnlich - im Zweltt'n '1'1'1 1d(' 9 Faust - der Menschheit zuruft: KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT »Du kennest lang die Pflichten deines Standes Und schränkest nach und nach die freie Seele ein. Der kann sich manchen Wunsch gewähren, Der kalt sich selbst und seinem Willen lebt; Allein wer andre wohl zu leiten strebt, Muß fähig sein, viel zu entbehren.« Beispiel, wie er selbst in frühster Jugend einmal einen verehrten Dichter in gültiger Weise enkomiastisch gefeiert hatte. Er reiht hier seine noch aus der Leipziger Zeit stammende Ode An Zachariä ein. Diese wird nun durch ihre Placierung zum Gegenstück von Gellerts Monument. Wieder ist durch die Zusammenstellung eine innere Verbindung zwischen zwei Gedichten hergestellt. Dem Beispiel der stümpernden Preisdichtung setzt Goethe das der gelungenen entgegen. Erwähnung verdient ferner das Gedicht Einer hohen Reisenden, das in der Gruppe An Personen unmittelbar dem Jubiläumscarmen für Fran-· kenberg voraufgeht. Es ist ein Preislied auf die Erbprinzessin Auguste von Hessen-Kassel aus dem Jahre 1.808. Die wesentlichen Elemente des Enkomions, wie Goethe es verstanden wissen wollte, finden sich auch hier: Verewigung und Verklärung eines Menschen. Da es sich wieder um eine Persönlichkeit handelte, der der Dichter mit echter Hochachtung gegenüberstand, konnte er ihrer Charakteristik Züge beifügen, die allgemein vorbildlich wirken, dabei aber zugleich auch an ihn selbst erinnern. Vom Reichtum des eigenen Wesens trägt Goethe viel hinüber in die gefeierte Person. In diesem Sinn enthält die erste Strophe eine Fülle schönster Winke, ist sie ein Muster rur die Verbindung von Preis dichtung mit »wohltätiger Lehre«: Auf Ilmenau folgt als zweites Gedicht Gellerts Monument von Oeser. Diese Verse, 1.777 geschrieben, d. h. acht Jahre nach Gellerts Tod, waren für die Gruppe An Personen besonders geeignet, weil in ihnen der junge Goethe bereits einmal den Anlaß gefunden hatte, über Probleme der Enkomiastik zu sprechen. Gegeißelt wird darin das schlechte, handwerksmäßige, ungekonnte Lobdichten. Jeder Stümper, so heißt es hier, habe nach Gellerts Tod ein »mattes schiefes Lied« auf den Verstorbenen zu verfassen gewagt; dürftige poetische »Scherflein« seien damals »mit viel..zufriedner Miene« die Fülle gegeben worden. In aller Stille habe dagegen Oeser, der große Künstler, ein würdiges, »ein bleibend Bild« in seinem Marmordenkmal geschaffen. Indem Goethe diesem Denkmal Beifall spendet, wird er nun seinerseits zum Lobdichter, der beide, GelIert und Oeser zugleich rühmt. Oeser, so sagt er » ... fühlte den Geschiednen, sann Ein bleibend Bild, ein lieblich Deuten Auf den verschwundnen werthen Mann; Und sammelte mit Geistesflug Im Marmor alles Lobes Stammeln, Wie wir in einen engen Krug Die Asche des Geliebten sammeln.« Wenn die Kunst - das kommt in diesen Versen zum Ausdruck - ein »bleibend Bild« von Personen schaffen und so Dauer verleihen soll, die die Natur »versagt« (mit dem Räthsel zu sprechen), so bedarf es dazu eines wirklichen Meisters. Mit gutem Grund wird das von Goethc betont. Enkomiastisches Dichten war in seiner Zeit gang und gäbe, so sehr, daß Goethe gelegentlich einmal seine Epoche geradezu eine »encomiastische« nennen konnte. 24 Diese Dichtart war aber auch allgemein in Verruf gekommen, weil allzu viele, die es nicht konnten, sich als Lobdichter produzierten. Die Rechtfertigung der Preisdichtung, die Goclh" im Alter gab, erforderte auch eine Klarstellung dieses Punkts: stülllPl'l'hafte, handwerksmäßige Enkomiastik, wie es sie schon seit dem 13al'Od( in Fülle gab, war nicht gemeint. Im dritten Gedicht der Abteilung An Personen gibt Goethe danll l'in 24 VgI. unten Abschnitt 7. 337 »Wohin du trittst, wird uns verklärte Stunde, Dir leuchtet Klarheit frisch vom Angesicht, Vom Auge Gutheit, Lieblichkeit vom Munde, Aus Wolken dringt ein reines Himmelslicht. Der Ungeheuer Schwarm im Hintergrunde Er drängt; er droht, jedoch er schreckt dich nicht, Wie du mit Freiheit unbefangen schreitest, Das Herz erhebst und jeden Geist erweitest.« Form und Gehalt des Gedichts Einer hohen Reisenden erinnern an die sieben »Karlsbader Gedichte« von 1.81.0 und 1.81.2, in denen Goethe die Kaiserinnen von Österreich und Frankreich sowie den Kaiser von Österreich feiert. Dichtungen dieser Art waren es nicht zuletzt, die Goethe den Vorwurf ein:trugen, ein »Fürstendiener« zu sein. Mochten ihn selb.t Ilolche Beschuldigungen wenig kümmern, so konnte es doch angebracht erscheinen, auch und gerade für solches Fürstenlob um Verständnl. zu werben. Derartiges mochte bezweckt sein, wenn Goethe das Gedicht AuE die »hohe Reisende« in der Abteilung An Personen erstmals veröffentlichte. Hier ließ der Zusammenhang erkennen, daß Verse auf Füratlichkeiten eben auch zur hohen panegyrischen Poesie gehörten, daß sie durch die Dichtart auch ihrem ganzen Charakter nach gerechtfertigt waren ..... ". Hane Magnus Enzensberger unterliefen bei seiner Charakterisierung der »Kult- KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREISGEDICHT Die zweite Hälfte der Gruppe An Personen beginnt mit einem Stück humoristischer Preisdichtung. Die Verse An Uranius (Karlsbad 18°7), die unmittelbar auf die Verse an die »Drillingsfreunde« folgen, feiern in drei kurzen Strophen den Musiker Himmel mit scherzhaftem Wortspiel. »Pfaff- und Ritterorden« will sich, so heißt es in der ersten Strophe, den Himmel verdienen, Jugend findet im »Weltgetümmel«, >>Unter Tanz und Spiel« ihren Himmel, Goethe jedoch erlebt den Himmel in der Kunst, diesmal im Klavierspiel des Meisters, der Himmel heißt: ferner seine Freiheit im Geistigen, seine Fruchtbarkeit als Maler und »Dichter« sowie das »Belebende« seiner menschlichen Persönlichkeit. Das vierte der Tischbein-Gedichte beschließt die Reihe der im engeren Sinn enkomiastischen Stücke. Die Gruppe An Personen läuft aus in einige epigrammatische Huldigungen an Freundinnen Goethes. Mit dem vierten Tischbein-Gedicht aber läßt der Dichter nochmals den Humor zu Wort kommen. Hier am Ende der Gruppe An Personen wird das Enkomiastische plötzlich ironisierend gesehen, es ist als ob »Mephistopheles spricht«. Goethe spielt an auf ein Tierbild von Tischbein und sagt: »Doch von dem Claviere tönt Ganz ein andrer Himmel i Alle Morgen grüß' ich ihn, Nickt er mir vom Schimmel.« Auf anmutigste Weise vereinen sich hier Huldigung, Verewigung einer Person mit dem Aussprechen einer Lehre. Daß die Kunst auf Erden die einzigen wahren Himmel bilde, das war Goethes feste Überzeugung, dia er den Menschen seiner Zeit begreiflich zu machen suchte. Es folgen die vier Gedichte auf den Maler Tischbein, gleichfalls au. früherer Zeit stammend, in ihrer Gesamtheit wiederum ein Enkomion bildend. Was Goethe - namentlich in dem ersten Gedicht - an dem ihm befreundeten Maler rühmt, das könnte er gleichfalls von sich selbst sagen. Immer wieder dient Preis dichtung auch zur Selbstdarstellung und wird dann zu überpersönlich gültiger, »wohltätiger Lehre«. An Tischbein preist der Dichter das Internationale, die Wandlung seines Deutsch- und Schweizerturns zum Italienischen, seinen Weg nach Rom und Neapel i bader Gedichte« einige Irrtümer, die hier richtiggestellt seien. Enzensberger behauptet (Poesie und Politik [= Einzelheiten II], Frankfurt a. M. 1964, S. 118 f.): »Goethe hnt sich der herkömmlichen Hofpoesie ... als einer fleiß aufgabe unterzogen. Die devoten, glatten und kalten Strophen, die er an regierende Häupter gerichtet hat (etwa An den Kaiser und an die Kaiserin von Österreich), verraten keine Regung, es sei denn geheime Verachtung. Keine von ihnen hat Goethe in die Ausgabe letzter Hand ouf· genommen.« Hierzu sei folgendes bemerkt: 1. Sämtliche Gedichte an regierende Hiiup· ter wurden von Goethe auch in die Ausgabe letzter Hand aufgenommen. Die »Korl.bader Gedichte« (an den Kaiser und die Kaiserin von Österreich) finden sich in Bd. 1) dieser Ausgabe. - 2. Daß die »Karlsbader Gedichte« von Goethe nicht nur als rein" fleiß aufgabe betrachtet wurden, beweisen die Entstehungszeugnisse. Bezüglich dUM dritten, der Kaiserin von Österreich geltenden Gedichts betont Goethe, er hohl' ". »aus eigenem Antrieb« geschrieben (an Knebel, 10. VII. 1810). - 3. Von »geheimur Verachtung« findet sich in den Gedichten nichts, kann sich nichts finden, dn die Kaiserin Maria Ludovica von Goethe verehrt und geliebt wurde wie nur wenige Menschen in seinem Leben. Darüber existiert eine breite Literatur. Vgl. das an die Kol~l'rln gerichtete Gedicht »Geheimstes« im »Divan«, das auch im »Maskenzug 1811;« zllll"1'I wird - die Strophen sind das Gegenteil von »devot, glatt und kalt«. 339 »Statt den Menschen in den Thieren Zu verlieren, Findest du ihn klar darin, Und belebst, als wahrer Dichter, Schaf- und säuisches Gelichter Mit Gesinnung wie mit Sinn.« Durch die Stellung innerhalb der enkomiastischen Gedichtsammlung bekommen diese Verse einen recht hintergründigen Sinn. Goethe lenkt unsern Blick darauf, daß des Lobdichters Verdienst gelegentlich auch darin besteht, daß er idealisierend zu sehen vermag, daß er seinen Gegenstand, sein Modell, auch wenn dieses an Größe und Höhe zu wünschen übrigläßt, »mit Gesinnung und Sinn belebt«. Noch diese Fähigkeit gehört zu den Eigenschaften des Lobdichters, auf die das Räthsel-Gedicht hindeutet: auch insofern »erstattet« Kunst, was die Natur »versagt«. Goethe berichtete später über die Entstehung der Gedichte an Tischbein in den Tag- und /ahresheften. Hier spricht er von Tischbeins Bildern als von »sittlich-künstlerischen Träumen«. Mit dieser schönen Formel ließe sich auch Goethes Preisdichtung bezeichnen. Das Ermahnende, Pädagogische, das wir darin fanden, wäre damit benannt - und auch die Fähigkeit Idealisierenden Sehens, die Goethe mit dem befreundeten Maler teilte. 4 Wir sahen, daß Goethe in der Abteilung An Personen Beispiele für sein ~ nkomiastisches Dichten zusammenstellte, daß er hier auch wiederholt uuf solches Dichten unmittelbar bezügliche eigene Äußerungen vorfUhrt. Dies leitet uns zu der Erkenntnis, daß die Gruppe An Person en In Ihrer Gesamtheit den Charakter eines Werkes hat. Ein bestimmtes Themn beherrscht das Ganze, eben das Thema des Rühmens von Menschlm . Durch seine Stellung innerhalb dieses Werkes ist auch für du Gedicht IWtlt sel, von dem wir ausgingen, erst die Deutungsmöglichkeit Bcgeben. I~cll~t man das Gedicht aus diesem Zusammenhang, stellt ma.n C8 In 340 GOETHE UND DAS PREISGEDICHT KATHARINA MOMMSEN andere Gedichtabteilungen, womöglich zu weiteren Rätsel-Gedichten Goethes, so erschwert man von vornherein die Möglichkeit des Verstehens. Dies aber ist leider in vielen Goethe-Ausgaben geschehen. Bereits Riemer ging in der Quartausgabe von 1.836 mit schlechtem Beispiel voran, indem er das Räthsel, gefolgt von drei weiteren Goetheschen Rätselgedichten, in die Abteilung Epigrammatisch stellte. Dies war gegen Goethes Intention. Der Dichter hätte schon 1.81.5 die Möglichkeit gehabt, das Gedicht der Gruppe Epigrammatisch zuzuweisen, die ja im gleichen zweiten Bande seiner Ausgabe erschien, der auch die Gruppe An Personen bringt. Schon damals enthielt Epigrammatisch ein anderes Rätselgedicht, zu dem es rein äußerlich hätte passen können. Goethes Disposition aber war wohlbegründet. Der Dichter betrachtete An Personen als ein geschlossenes werkartiges Ganzes, zu dem auch das Räthsel gehörte. Noch in der Ausgabe letzter Hand ließ er später die Gedichte An Personen als Abteilung unverändert. Er verzichtete darauf, sie durch andere Gedichte, auch wenn diese noch so geeignet erscheinen konnten, zu erweitern. Es widerstrebte ihm anzutasten, was in sich abgeschlossen war. Sowohl durch die ganze Abteilung, der es zugehört, wird das Räthsel erhellt, als auch - und dies ganz besonders - durch die Gedichte, in deren unmittelbare Nachbarschaft es gestellt ist. Im Hinblick auf das letztere sei hier noch einmal erinnert an die wichtige Briefäußerung Goethes, die sein Verfahren bezüglich »dunkler Stellen« in seinen Gedichten schildert. An C. J. L. Iken schrieb der Dichter am 27. IX. 1.827, er möchte »Folgendes zu bedenken geben«. »Da sich gar manches unserer Erfahrungen nicht rund aussprechen und direct mittheilen läßt, so habe ich seit langem da Mittel gewählt, durch einander gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnde Gebilde den geheimeren Sinn dem Aufmerkenden zu offenbaren.« Wir haben gesehen, daß Goethe durch ebendies Verfah. ren auch für das Rätsel-Gedicht die Deutungsmöglichkeit erleichtert '. Das Räthsel und die ihm folgenden Verse sind buchstäblich »einand 'r gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnde Gebild ' «, die bereits durch ihre Stellung »den geheimeren Sinn dem Aufmerkend n zu offenbaren« vermögen. Man hat von diesem Wink nicht Gcbrall h gemacht. Nicht nur Goethe, sondern fast jeder große Dichter gibt in s I· nen Werken den Teilen eine wohlüberlegte, zur Deutung beitragend Anordnung. Dies aber wird von Lesern und Interpreten allzu wenlH beachtet. Was Goethe betrifft, so kann besonders das Beispiel des Riitrwu! in den Gedichten An Personen es klarmachen, daß man bei Ed ition n Goethescher Gedichte auf keinen Fall die Form der einzelnen AbteilunHCI1 verändern sollte, die der Dichter selbst ihnen gab. Man würde damit MI seinen Werken ändern. Es sei nun noch von einer Frage gesprochen, die sich bei der DeuI'tll1U 341 des Rätsels aus dem Charakter der ganzen Gruppe An Personen ergeben könnte. Des öfteren wird hier, wie wir sahen, neben der enkomiastischen Dichtung auch die bildende Kunst erwähnt. Letzteres ließe an die Möglichkeit denken, daß unter dem »Größten«, der uns das von der Natur Versagte gibt - Verewigung -, nicht der Dichter selbst als Lobpreiser, sondern ganz allgemein der Künstler, und somit auch der Maler oder Bildhauer zu verstehen sei. Gegen diese Deutung spricht jedoch vor allem die Zusammenstellung des Räthsels mit den Versen an die »Drillingsfreunde in Cöln«. Gerade die scherzhafte Pointe, die darin liegt, daß auf die Schlußfrage: »Ich denke doch, ihr müßt ihn kennen?« unmittelbar folgend Goethe selbst auf den Schauplatz tritt, und zwar - mit viel Nachdruck und Kunst betont-in seiner Eigenschaft als enkomiastischerDichter, diese Pointe bliebe unbeachtet. Der eigentliche Charme des Räthsels wäre damit verkannt. Die erste Antwort auf die Rätselfrage sollte somit bleiben, daß Goethe in jenem gekennzeichneten Sinne auf sich selber deutet. Es kann und braucht aber nicht ausgeschlossen zu werden eine allgemeinere und erweiterte Auslegung, wonach auch andere, die es Goethe auf dem Gebiete des Enkomiastischen gleichzutun vermögen, sich in ähnlicher Weise als größte Wohltäter bezeichnen dürften - andere Dichter, aber auch Maler und Bildhauer. Hiermit stände noch in Übereinstimmung eine Besonderheit von Goethes Anschauung: bekanntlich forderte er vom bildenden Künstler, daß auch er »Dichter« sei. An den Aufsatz Ruysdael als Dichter sei als an ein besonders nachdrückliches Bekenntnis zu dieser Auffassung erinnert. Doch wird auch in den auf Maler und Bildhauer bezüglichen Gedichten der Abteilung An Personen das Dichterische auszeichnend hervorgehoben und zwar gerade, wo es sich um die Darstellung von Personen durch die bildende Kunst handelt. So heißt es von Oeser, er habe »ein bleibend Bild, ein lieblich Deuten« gegeben, »alles Lobes Stammeln« sammle sich in seinem Marmor. Die Ausdrücke sind aus dem Bereich der Wortkunst genommen. Auch an Tischbein rühmt Goethe, er sei nicht nur Maler, sondern auch »wahrer Dichter«»Dichter, fruchtbar aller Orten Bald mit Zeichen, bald mit Worten . . . ... Dein Meisterwille Schafft ein sichtliches Gedicht.« Schließlich ist hier noch in Betracht zu ziehen, daß, als Goethe U111 die Jahreswende 1.814-11815 die Gruppe An Personen redigiertc, cr ~:ol'bl'n durch das Porträt Raabes verewigt worden war. Wochen lind Monate hatte ihn die Anfertigung dieses Bildes beschäftigt, und er 5a h I' i; d;lI11al g (spä ter nicht mehr) als das beste Porträt von sich an, das er kl'llnl· . ~n Die 2. GOl,thc fln Co tta, 25. III. 1816 (Weimarer Ausgabe IV, 2(\, S. :\OH) . KATI-IARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREISGEDICI-IT Fähigkeit des bildenden Künstlers, dem Einzelindividuum Dauer zu verleihen, war somit durch eigene Erfahrung soeben neu ins Bewußtsein getreten. Das mag in Bezug auf das Räthsel zu der Annahme berechtigen, daß in erweitertem Sinn auch auf den Maler, den Bildhauer hingedeutet sein kann. Allerdings nicht auf einen bestimmten, auch nicht etwa auf Raabe. Dafür geben weder die Verse selbst noch ihre Umgebung dem Leser konkreten Anhalt. Die eigentliche Bedeutung des Räthsels wird erst dann genügend erkennbar, wenn man Goethes Stellung zur Preisdichtung allgemeiner betrachtet. Schon aus früherer Zeit finden sich in Goethes Dichtung Aussprüche darüber, daß das Verewigen von Personen vornehmste Aufgabe des Dichters sei, daß nur er dem flüchtig Vergänglichen menschlicher Größe Dauer verleihen könne. Von besonderer Wichtigkeit sind einige Verse aus der Elegie Euphrosyne (:1797/98), weil da sogar in der Formulierung sich eine Parallele zu unserm Räthsel zeigt. Als Vision erscheint in der Elegie die soeben verstorbene anmutig-schöne Schauspielerin, die der Dichter Euphrosyne nennt, und die Tote redet ihn an: In Euphrosyne ist es das »Leben«, im Räthsel die »Natur«, die dem Menschen etwas »versagt«. In beiden Gedichten ist das Nämliche gemeint. »Versagt« sind Vollendung, Vollkommenheit, zeitüberwindende Dauer, Unsterblichkeit. Diese kann nur der Dichter verleihen. Dadurch, daß das Wort »versagt« in beiden Gedichten ans Versende gestellt ist, wird die übereinstimmung besonders spürbar. Wir erhalten hier eine Bestätigung unsrer Deutung des Rätsels durch Goethes eigene Worte. Von der verewigenden Kraft des dichterischen Wortes spricht auch Wilhelm Meister in den Lehrjahren. Die große Rede über das Wesen der Poesie im 2. Buch enthält folgenden Passus mit Bezug auf die Dichter: »Der Held lauschte ihren Gesängen, und der überwinder der Welt huldigte einem Dichter, weil er fühlte, daß ohne diesen sein ungeheures Dasein nur wie ein Sturmwind vorüberfahren würde ... der Reiche konnte seine Besitzthümer, seine Abgötter, nicht mit eigenen Augen so kostbar sehen, als sie ihm vom Glanz des allen Werth fühlenden und erhöhenden Geistes beleuchtet erschienen. Ja, wer hat, wenn du willst, Götter gebildet, uns zu ihnen erhoben, sie zu uns herniedergebracht, als der Dichter?« 26 In ähnlicher Weise preist auch Leonore in Torquato Tasso den Dichter als den, der Unsterblichkeit verleiht (V. :1950ff.): 34 2 » ... Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn! Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod. Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneia' s Reiche, massenweis', Schatten vom Namen getrennt; Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet, Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu .. . « Schon diese Verse besagen, daß nur die Kunst verewigt. Sie gibt dem Namen Dauer und erhält - vor vergessenem Schattendasein bewahrenddes Menschen Gestalt. Euphrosyne schildert des weiteren, wie in der Unterwelt bestimmte »göttliche Frauen« ihr nahen, zu ihr reden, solche nämlich, denen das dichterische Wort Dauer verlieh, die »der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind«: Penelopeia, Euadne, Antigone, Polyxena und andere. Euphrosyne weiß, daß sie durch gleiche poetische Verewigung eine »Schwester« dieser Frauen ist, da nämlich auch sie durch des Dichters »Gesänge« Unsterblichkeit empfängt. »Das was vergänglich ist, bewahrt sein Lied. Du bist noch schön, noch glücklich, wenn schon lange Der Kreis der Dinge dich mit fortgerissen.« Nichts anderes meint auch Hölderlin in seinem berühmten lakonischen Spruch» Was bleibet aber, stiften die Dichter. « Aufgabe und Amt des Dichters finden sich nochmals in Versen von Goethes Faust bezeichnet. Im Vorspiel auf dem Theater ist es der »Dichter«, der hierüber spricht, und seine Rede endigt in einem Preis der Enkomiastik. Interessant ist diese Partie in unserm Zusammenhang auch von der formalen Seite her - abermals zeigt sich eine übereinstimmung mit dem Räthsel. Die betreffenden Verse lauten (V. :142 ff.): »Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge, Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt, Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge Verdrießlich durcheinander klingt; Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt? Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe, Wo es in herrlichen Akkorden schlägt? Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten? » ... Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge, Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt. « Die letzte Wendung, daß die Gesänge des Dichters »vollenden«, was »da tl Leben versagt«, stimmt auffallend überein mit den Versen des RätIJ sC/li: »Doch wer uns zu erstatten wagt, Was die Natur uns ganz versagt, Den darf ich wohl den größten nennen .. . « 343 MU Wilhelm Mei s ters Lehrjahre, Buch 2, Kap . 2 ; geschrieben 17 80 11 7!:Il. 344 KATHARINA MOMMSEN Das Abendrot im ernsten Sinne glühn? Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art? Wer sichert den Olymp, vereinet Götter? Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.« Durch die sechsmalige Wiederholung von Fragen, die mit »Wer« beginnen, erhält die ganze Partie die Form eines Rätsels. Die letzten beiden Fragen sprechen von der Preisdichtung, und zwar bezeichnenderweise von einer Preisdichtung, die sowohl Menschen verherrlicht, sie mit grünen Lorbeerblättern bekränzt, als auch die Götter feiert, deren Olymp sichert. Das letzte deutet auf die theogonische Möglichkeit der Panegyrik als auf ein höchstes. Dieser Gedanke findet sich in gleicher Form des Fragens schon in der vierten, von Goethe unterdrückten Römischen Elegie, wo es heißt: »Wer hat Jupiters Thron, den schlechterworbnen, befestigt? Farb und Elfenbein, Marmor und Erz und Gedicht. « Was die Schilderung des Übergangs von enkomiastischer zu religiöser Dichtung betrifft, so entsprechen die Faust-Verse den schon zitierten Worten Wilhelm Meisters. Wir werden sehen, daß noch der späte Goethe solchen Übergang als schönste Möglichkeit rühmt. Schließlich gibt der »Dichter« im Faust, nachdem der höchste Aspekt gezeigt ist, die Lösung seines Rätsels expressis verbis. Die Parallele zum Räthsel in der Gruppe An Personen ist unverkennbar. Die sämtlichen erwähnten Stellen - aus Euphrosyne, Wilhelm Meisters Lehrjahren, Torquato Tasso, der Römischen Elegie und Faust - können als Kommentar zu dem uns beschäftigenden Gedicht herangezogen werden. In den bisher angeführten Zitaten erweist sich Goethes Stellung zur Preisdichtung als von antiken Vorstellungen bestimmt. Dank seiner innigen Vertrautheit mit dem klassischen Altertum war ihm bekannt, welch große Rolle die Panegyrik bei Griechen und Römern spielte. Pindar, den großen griechischen Enkomiasten, betrachtete schon der junge Goethe ale Vorbild. Dann aber war es vor allem die römische Dichtung, die Goethe zur Hochschätzung der Panegyrik führen konnte. Enkomiastische Elemente finden sich hier bekanntlich überall. Der Antike waren Vorstellungen wie diese geläufig, daß ohne Homer niemand von Achilleus und Agamemnon gewußt hätte. Immer wieder wird von römischen Dichtern auf das Verdienst des Preisdichters hingewiesen. Der Gedanke, daß da s Lied dem Gefeierten Unsterblichkeit verleihe, findet sich in berühmten GOETHE UND DAS PREISGEDICHT 345 Gesängen des Catull, Horaz, Properz. 27 Er war den römischen Dichtern vermittelt durch Pindar und die Enkomien Theokrits. Eine Elegie Ovids enthält eine Partie, die mit Goethes Auffassung von Preisdichtung in bemerkenswerter Weise übereinstimmt (Ex ponto IV 8, 43 ff.): »Angenehmer doch auch ist nichts den fürstlichen Männern, Als durch der Dichter Gesang ihnen geleisteter Dienst. Durch den Gesang verbreitet das Lob sich eueres Ruhmes, Und daß der Taten Ruf dauere, sichert euch er. Durch den Gesang wird Tapferkeit unsterblich und kommet, Unteilhaftig des Grab's, bis auf die späteste Zeit. Eisen und Steine verzehrt allmählich schmelzendes Alter, Und auf der Welt hat nichts größere Kraft, als die Zeit. Schriften ertragen die Zeit; durch die Schriften lebt Agamemnon Und wer Waffen mit ihm, oder auch gegen ihn trug. Wer wüßt' ohne Gesang von den sieben Führern und Theben, Und was später, als dies, und was da früher gescheh'n? Auch die Götter entsteh'n, wenn sagen ich's darf, durch Gesänge; Solche Größe sogar heischet des Singenden Mund.« 28 Hier findet sich auch der Gedanke, der uns in den zitierten Stellen aus Wilhelm Meisters Lehrjahren, der Römischen Elegie und Faust begegnete, daß nämlich des Dichters Wort theogonische Macht habe. 29 Ovids Hindeutung bezüglich Agamemnons, er lebe nur durch »Schriften« der Dichter, hat folgende Verse des Horaz zum Vorbild (Carm. IV 9, 25ff., übersetzt von Joh. Heinr. Voß): »Viel Tapfre lebten vor Agamemnon schon Ruhmvoll; doch alle träumen sie unbeweint Und ungekannt in langer Nacht, weil Heiligen Sehergesangs sie mangeln.« Diese Horaz-Worte kehren wieder in der Eingangspartie von Byrons [)on Juan, die Goethe 1819 übersetzte: 30 »Vor Agamemnon lebten manche Braven, So wie nachher, von Sinn und hoher Kraft; Sie wirkten viel, sind unberühmt entschlafen, Da kein Poet ihr Leben weiter schafft.« "7 Catull 68; Horaz carm. IV 8 u. 9; Properz III 1. u. 2. "" Des Publius Ovidius Na sa Klagelieder, Briefe aus Pontus ... Im Vl'l'~ I1111I.'~C .I .... I Jrschrift übersetzt ... von Alexander Berg. Stuttgart 1865 , Bd . 2, S. 97· "" Vgl. Iliilderlin , Tod des Empedokles, Erste Fass un g V. 2 .~ ~ Ir : »LIII.!, hall>.... wacht, ein fiirdül'I'li cher Träumer, spricht er. .. Durch sein Won ''''i n d il' Ciilll'l' :111 Wcim,\rcr Aus gabe I ), S. lyH . ";lI s l' gl'wo rd l' ll .« GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT KATHARINA MOMMSEN Im übrigen haben immer wieder der Antike verpflichtete Dichter den Wert enkomiastischer Poesie mit ähnlichen Argumenten betont, wie sie beispielsweise in den zitierten ovidischen Versen enthalten sind. So sagt Logau, einer Zeit angehörend, die dem Lobgedicht besonders zugewandt war (III 6, 13): »Was wüs ten wir von Helden Und ihrer Thurst [Kühnheit] zu melden, Wann nicht Poeten-geister. .. Die Sterbligkeit verbürget Dasz sie sie nicht gewürget?« In einem Lobgedicht von Paul Fleming an Adam Olearius heißt es: » ... Drum treibet mich mein Sinn/ zu stellen eine Schrifft / wo nur die Feder zu mit dem Gemüthe trifft / die ihren Tod lacht aus. Die wider Neid und Zeiten Für deinen Ruhm und mich ohn Ende möge streiten. Thalia, reiche mir ein taurendes Pappier / denn seine schwäche geht dem starken Marmel für. Mein Denckmahl sol ein Brieff / ein Blat seyn voll mit Zeilen / das Trutz beuth / Jupiter / auch deinen Donner-keilen. das steiffer / als Demant und Gold im Feuer hält / und endlich mit der Welt in einen Hauffen fällt.« Ähnlich findet sich - die Beispiele ließen sich häufen - bei Platen solcher ' Ausdruck stolzen Selbstbewußtseins eines enkomiastischen Dichter. (Sonett Nr. 56, V. 7 f.): » ... Ich aber lasse deinen Namen prangen, Und überliefre dich dem Lob der Zeiten ... « Ebenfalls Platen in dem Epigramm Dichtergeschick: »Selig der Dichter, er kann festhalten das zeitliche Dasein Aber verewigen auch alle Gestalten des Raums! « 5 Zu der Zeit, als Goethe die Gruppe An Personen redigierte und d", Räthsel in deren Zentrum stellte, zu Anfang des Jahres 1815, war dem Dichter das Interesse für Lobdichtung auf ganz neuartige Weise erweckt worden. Nicht die Antike, sondern der Orient war es, von dem nun cntscheiden~e A~regu~gen kamen. Seit einem halben Jahr beschiiftlsto Goethe SIch mIt Hafls. Das neue Werk, der West-östliche Divan, bcgll nn zu entstehen. Bei dieser Hinwendung zum Osten aber traf Gocthc auch 347 ~lUf die Fülle der enkomiastischen Dichtung, die sich in der orientalischen Literatur findet. Das hatte weitreichende Folgen. In Goethe erwachte das intensive Bedürfnis, nun seinerseits sich gleichfalls als Enkomiast zu betiitigen - vor allem innerhalb seiner neuen orientalisierenden Dichtungen, aber auch außerhalb dieser. Im Rahmen jener plötzlich so stark erwachenden enkomiastischen Tendenz muß auch das Räthsel, muß auch die Gruppe An Personen betrachtet werden. Erst damit werden diese in der rechten Weise verständlich. Bedeutende panegyrische Elemente fand Goethe schon in den Dichtungen von Hafis. In der Vorrede des Hafis-Übersetzers Joseph v. Hammer, die der Dichter sorgfältig studierte, wird nachdrücklich auch auf die Tätigkeit Hafis' als »Lobredner« hingewiesen. Im Winter 1814115 begann Goethe dann ein intensives Studium orientalischer Literatur, das weit über Hafis hinausführte. Damals lernte er u. a. bereits Enweri, den Hauptvertreter persischer panegyrischer Dichtung, kennen, der ihm als solcher künftig stets eine hochbedeutsame Gestalt blieb. Die anspornende Wirkung, die von solchen Begegnungen mit der enkomiastischen Literatur des Ostens ausging, wird in Goethes Schaffen sofort erkennbar. Mehrere Preisgedichte des West-östlichen Divan entstanden damals (darunter Schach Sedschan und seinesgleichen, Geheimstes). Von Frühjahr 1815 stammt aber auch der Plan Goethes, den verdienstvollen Orientalisten »poetische Monumente « zu errichten, und zwar »den verstorbenen sowohl als lebenden«. Dies Projekt, dem Goethe später die Bezeichnung Buch der Freunde gab, wurde nicht ausgeführt. Doch schrieb Goethe damals das »Lobgedicht« auf den Orientalisten Diez (»Wie man mit Vorsicht auf der Erde wandelt«) als erstes Beispiel eines solchen »poetischen Monuments «. Wäre das Buch der Freunde wirklich zustande gekommen, so besäßen wir in ihm ein weiteres Werk enkomiastischer Art aus Goethes Feder. 31 Die durch den Orient hervorgerufene Neigung zur Preisdichtung manifestiert sich aber auch in anderen Goetheschen Gedichten damaliger Zeit. Befreundete Personen wie Jakob v. Willemer oder Antonie v. Brentano erhielten von dem Dichter huldigende Verse, auf orientalisierende Weise in der Handschrift mit Blumenumrahmung versehen. Es entstanden ergiinzende Strophen zu dem enkomiastischen Epilog zu Schillers Glocke. (;oethe begann ferner ein Epitaph größeren Umfangs, das leider fragIllentarisch blieb: Requiem dem frohsten Manne des Jahrhunderts, dem hirsten Karl Joseph von Ligne gewidmet. In merkwürdiger Weise zeigen :; ich enkomiastische Tendenzen ferner in den Aufsatzvcröffenllirhun gen Goethes aus damaliger Zeit; wir finden sie beispiel swei se in delll '" Z u d er im fo lgenden geschild erten Hinwendung Goethes zur Lllhdirh llllll'., An - 1''' '' 1'. 1H-'5 , vg L K_ Mommscl1, Goethe und Diez, S. 291- 3°8 (Knp . • ()i <:~. ulld d,, :, lIudl .kr Freunde «). KATHARINA MOMMSEN GOETHE UND DAS PREISGEDICHT A~fsatz Zu ~chillers und Ifflands Andenken sowie in shalcespeare und kem Ende. Eme Lobrede auf den italienischen Satiriker Giovanni Francesco Lazzarelli enthält der im März! April 1815 verfaßte Aufsatz Don Ciccio. Mit wohlbegründetem und stark akkumuliertem Interesse wandte Goethe sich also in den Wintermonaten 1814115 dem Gebiet des Enkomiastischen zu. Zieht man dies in Betracht, so wird auch klarer ersichtlich, welche. Gedanken den Dichter bewegten, als er zu Anfang des Jahres 181 5 dIe Grup~e An Personen redigierte und ihr die Gestalt gab, die wir besprachen. MIt der Schaffung dieser Abteilung - sie wird erstmals in einem Schreiben an Cotta vom 20.11. 1815 genannt - trat Goethe selbst deutlich als Lobdichter auf. Das mochte ihn gerade in der damaligen Epoche.zu ~berleg~ngen veranlassen bezüglich der generellen Bedeutung enkomIastIscher DIchtung. Doch ist noch an weiteres zu erinnern. Das am 20. 11. 1815 an Cotta gesandte Schreiben enthielt eine Inhaltsübersicht d.~r gesamten jetzt zu publizierenden Werkausgabe. Darin hatte Goethe f~r Band 8 auch eine Anzahl seiner »Maskenzüge« angekündigt, sodann dIe »Karlsbader Gedichte« (von 1810 und 1812). All das hatte weitge~en~ enko~iastisches Gepräge, die letztgenannten preisen Kaiser und Kalsennnen m sehr freizügig panegyrischer Weise. Es geschah zum erstenma!, daß eine Ausgabe seiner Werke auch dieses panegyrische Element m Goethes Schaffen durch umfänglichere Dichtungen sichtbar machen sollte. Goethe aber wußte - noch der Prosa teil des Divan deutet es. an. -, ~aß Lobdichtung, vor allem auch Verherrlichung von Fürsten, WIe SIe dIe »Maskenzüge« und »Karlsbader Gedichte« enthielten auf gewisse Widerstände beim modernen Publikum stoßen würde. Dies' - so wi~l es scheinen - v~r~nlaßte ihn, den Leser vorzubereiten, ihm einige Wmke zu .. geben. DIe m Band 2 erscheinende Abteilung An Personen konnte erlauternd dartun, was das Preis gedicht für Goethe bedeutete und so. ein besseres V.erständnis für die in Band 8 zu publizierenden umfangreIcheren EnkomIen begründen. Die Gruppe An Personen stellte beispielha~ dar, worauf es Goethe bei dieser Dichtungsart ankam. Verehrte und g.~hebte ~enschen werden gepriesen, ihr Bestes wird im poetischen Wort fur ~IIezeIt .festgehalten. Auch der Umkreis wird schon im allgemeinen be~elc~net, mnerhalb dessen sich die Goethesche Lobdichtung bewegt. Die FeIer emzelner Persönlichkeiten umfaßt einen weiten Bereich: von zarter L~~beshuldigung bis zum Preisgedicht auf Künstler, Staatsmänner und Fursten. In diesem Zusammenhang erhellt nun auch die Funktion des Räthsels. Es spricht dasselbe aus, was antike Dichter mit feierlichem Stolz b~.tonten : den Gedanken vom Unsterblichkeit-Verleihen der Poesie. Es ~un~et also vo~ h~chsten V~rdienst des Preisgedichts. Aber eingekleidet Ist dIese Lehre m dIe Form emer schalkhaften Rätselfrage - damit wahrt der moderne Lobdichter bei allem Stolz die Bescheidenheit. So durfte er hoffen, sich bei einem der Enkomiastik eigentlich abgeneigten Lesepublikum eher Gehör zu verschaffen. 349 6 Preisdichtung nahm beim alten Goethe - seit der Divan-Zeit - erst vollends einen breiten Raum in seinem Schaffen ein. Die Abteilung 1nschriften, Denk- und Sende blätter, veröffentlicht 1827, brachte annähernd :wo Gedid1te, z. T. größeren Umfangs, an Personen. Ungefähr ebensoviel seit Sommer 1814 verfaßte Gedichte finden sich in der aus dem Nachlaß zusammengestellten zweiten Gruppe An Personen der Weimarer Ausgabe. Enkomiastischen Charakter hat besonders auch der Maskenzug von 1818 (Bei Allerhöchster Anwesenheit Ihro Majestät der Kaiserin Mutter Maria Feodorowna). Einzelnes, wie Howards Ehrengedächtnis, kommt noch hinzu. Für alle diese Dichtungen darf gelten, daß ihr Wesen und Charakter durch die Gruppe An Personen von 1815 mit dem darin enthaltenen Räthsel vordeutend interpretiert wurde. Diese Gruppe bildet gleichsam das Fundament zu dem umfangreichen Gebäude Goethescher Lobdichtung. Enkomiastische Elemente enthält auch der West-östliche Divan entsprechend den Anregungen, die Goethe durch die orientalische Dichtung empfangen hatte. Indessen sprach Goethe in den Noten und Abhandlungen sein Bedauern darüber aus, »daß der enkomiastische Theil seines Divans nicht reich genug sei«; dies könne man ihm, »dem Dichter vorwerfen «.32 Das Kapitel Künftiger Divan, das diese Bemerkung enthält, spricht auch weiter davon, daß Goethe wirklich beabsichtigte, das Werk durch enkomiastische Gedichte später zu bereichern. Der alte Plan eines /luchs der Freunde ist noch nicht ganz aufgegeben.33 Noch immer hofft der Dichter, den Orientalisten zu huldigen, seinen »Dank, Gönnern und Freunden zu Ehren«, auszusprechen, »um die Lebenden mit freundlichem Wort fest zu halten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wieder zurück zu rufen.« Hier kehrt der Urgedanke der Preisdichtung wieder, daß I11cn :-!l'h· lich Vergängliches durch des Dichters Lied dauerhaft werden könne. Goethe versucht dabei auch zu erklären, warum er diese Preisgcdidlll' I>idler nicht habe schreiben können. Er fürchtet, daß orientali sche Pnllt'· I~yrik heute und hier nicht recht verstanden werden könne. »Z u lll'dl' ll l\l~ n« sei - so sagt er -, »daß der orientalische Flug und Schwunll,l jl'llt' n'idl und übermäßig lobende Dichtart, dem Gefühl des Westliindcl'tl vil'l "" Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-ösllidll'n Illvjjll ~, Kill'. »Künftiger Divan «, Abschnitt »Buch des Unmuths «. :", Vgl. K. Mommscn, Gocthc und Dicz, S. 305 ff. 35° KATHARINA MOMMSEN leicht nicht zusagen möchte. « Die »eigentlichsten Vorzüge trefflicherMänner auszusprechen«, vermöge allenfalls nur »eine reine, wohl gefühlte Poesie«. Ein Sprechen in »Hyperbeln«, wie sie der Orientale liebt, sei für den modernen Enkomiasten schwierig. Goethe hatte gute Gründe, wenn er Scheu trug, sein Orientalisieren auch auf dem Gebiet des Preisgedichts weiter auszudehnen. Joseph v. Hammer, ein führender Orientalist seiner Zeit, durch seine Schriften vielfach Goethes Lehrmeister, hatte die orientalische Panegyrik mit stark abwertenden Akzenten behandelt. In seinen Einwänden sprach sich jedoch im wesentlichen die Gesinnung der damaligen Zeitgenossen überhaupt aus. Wenn Hammer das Verherrlichen von Fürsten und Helden, wie man es bei den persischen Lobdichtern, vor allem bei Enweri fjndet, als »Abgötterei« betrachtete, aus Geschmacklosigkeit und Goldgier resultierend, dann konnte er der Zustimmung weiter Kreise sicher sein. Goethe dachte hierin anders. Fürstenlob, schon damals bei den meisten verpönt, galt Goethe nicht als etwas grundsätzlich Anstößiges. Seine eigene Dichtertätigkeit hatte ihn immer wieder auch zum Preislied auf Herrscherpersönlichkeiten geführt. Immerhin scheinen sich Hammers Einwände gegen die Panegyrik hindernd auf die eigentliche Divan-Dichtung ausgewirkt und Goethe vielleicht sogar in einen inneren Konflikt gebracht zu haben. So blieb der enkomiastische Teil des Werkes »nicht reich genug«. Bezeichnend ist, daß Goethe jetzt in den Noten und Abhandlungen zum Divan die orientalische Preisdichtung durch ausführliche Darlegungen in Schutz nimmt. Für den von Hammer geschmähten Enweri hatte Goethe sich schon im Frühjahr :18:15 interessiert. Damals begann er bereits, Aufzeichnungen über diesen Dichter zu machen, die uns noch erhalten sind. In den Noten und Abhandlungen nimmt er Enweri energisch gegen Hammer in Schutz. Die Abschnitte Enweri, Despotie, Nachtrag und Einrede bilden eine einzige großartige Apologie der orientalischen Panegyrik, und sie polemisieren damit deutlich gegen Hammer. In dem Kapitel Einrede führt Goethe prachtvolle Sätze eines Dritten - Matthäus von Collin - an und gibt durch sie seiner eigenen Meinung Ausdruck. Die Worte Collins kennzeichnen Goethes Stellung zur Panegyrik so eindrucksvoll, daß diese wichtige Partie hier angeführt sei. Es heißt dort: »Wenn es nämlich der menschlichen Natur gemäß, und ein Zeichen ihrer höheren Abkunft ist, daß sie das Edle menschlicher Handlungen, und jedl' höhere Vollkommenheit mit Begeisterung erfaßt, und sich an deren Erwägung gleichsam das innere Leben erneuert, so ist die Lobpreisung auch der Macht und Gewalt, wie sie in Fürsten sich offenbart, eine herrlichl' Erscheinung im Gebiete der Poesie. « Diese Ausführungen Collins waren geeignet, alle große Dichtung, die den Menschen verherrlicht, zu rechtfertigen, von Pindar lind Enweri bi ll GOETHE UND DAS PREISGEDICHT 35 1 hin zu Goethe. Der echte Lobsänger rühmt Einzelne, weil er in ihnen die höhere Abkunft der menschlichen Natur gewahrt. Solcher Preis dient der Erneuerung inneren Lebens und erfüllt dadurch eine schönste Aufgabe; denn Bild und Begriff hoher Menschlichkeit werden durch ihn bewahrt, vor Verfall geschützt. Preisdichtung auf oberster Stufe steht somit religiöser Dichtung nahezwischen beiden ist der Übergang fließend. Auch davon sprechen Sätze Collins, die Goethe anführt: »Die despotische Natur der Herrscherwürde Persiens ... hat ... durch die Idee verklärter Macht, die sie in edlen Gemüthern erzeugte, auch manche der Bewunderung der Nachwelt werthe Dichtungen hervorgerufen. Und wie die Dichter dieser Bewunderung noch heute werth sind, sind es auch diese Fürsten, bei welchen wir echte Anerkennung der Würde des Menschen, und Begeisterung für die Kunst, welche ihr Andenken feiert, vorfinden. Enweri, Chakani, Sahir Farjabi und Achestegi sind die Dichter dieses Zeitraums im Fache der Panegyrik, deren Werke der Orient noch heute mit Entzücken lies't, und so auch ihren edlen Namen vor jeder Verunglimpfung sicher stellt. Ein Beweis, wie nahe das Streben des panegyrischen Dichters an die höchste Forderung, die an den Menschen gestellt werden kann, gränze, ist der plötzliche Übertritt eines dieser panegyrischen Dichter, Sanaji's, zur religiösen Dichtung: aus dem Lobpreiser seines Fürsten ward er ein nur für Gott und die ewige Vollkommenheit begeisterter Sänger, nachdem er die Idee des Erhabenen, die er vorher im Leben aufzusuchen sich begnügte, nun jenseits dieses Daseins zu finden gelernt hatte. « Bereits bei den antiken Dichtern fanden wir ausgesprochen, daß der Dichter, der durch sein feierndes Lied Menschen unsterblich macht, auch die Götter zum Leben ruft. In Wilhelm Meisters Lehrjahren, im Fau st hatte Goethe an solche Gesinnungen angeknüpft. Hier wird nun auch im W est-östlichen Divan auf das gleiche gedeutet. Panegyrik und religiöse Dichtung stehen sich denkbar nahe. Ein großer Dichter kann u. U. beide vereinen. Im Kapitel Gegenwirkung der Noten und Abhandlungen spricht Goethe diese Überzeugung nochmals mit eigenen Worten all s. Bemüht um die Verteidigung der Lobdichtung Enweris sagt er - und hier ist die Hindeutung auf die eigene Person unverkennbar: »Der Dichter. . . hat am ersten Ursache sich dem Höchsten, der sein Talent schiiti'.t, zu widmen. Am Hof, im Umgange mit Großen, eröffnet sich ihm eine Wt'lt übersicht, deren er bedarf, um zum Reichthum aller Stoffe zu gelallgl'll. Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, sondern Berechtigung i',lI ~ dlllll'i ·· cheln, wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Handwerk ;1111 11l' ~;tl'll ausübt, wenn er sich mit der Fülle des Stoffes bereichert, Uill l'iir!;!l'll IIlld Vesire, Miidchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja zull.'t zt die (;()tt heit selbst, menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken ,« GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT 35 2 KATHARINA MOMMSEN In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen: im Bereich des West-östlichen Divan behandelt Goethe die Worte Enkomiast und Panegyrist als Synonyma. Im Anschluß an die Ausführungen von Collin sagt der Dichter: »persische Enkomiasten«, obwohl Collin im unmittelbar Vorhergehenden stets von »Panegyrik« bzw. »panegyrischer Dichtung« sprach. In den Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan bezeichnet Goethe einmal Enweri als »Enkomiasten« (Kap. Enweri), ein andermal wird im Hinblick auf Enweri und ähnliche orientalische Dichter - wie wir eben sahen - von »Panegyristen« gesprochen (Kap. Gegenwirkung). Die Epoche Enweris nennt Goethe wiederholt in seinen DivanVorstudien die Zeit der »Lyrischen Panegyriker«.34 Den gleichen Zeitraum bezeichnet er als »enkomiastische Epoche« in einem sogleich noch zu betrachtenden Prosastück von 1829. Wiederum von Panegyrik spricht eine Aufzeichnung der Divan-Studien von 1815: »Panegyrischer Dichter muß gelehrt seyn. Jeder Dichter muß gelehrt seyn. Pindar. Enweri.« 36 Heute scheint man geneigt zu sein, unter Panegyrik eher ein überschwengliches Preisen zu verstehen, zum Unterschied von einem mehr gemäßigten Lob im Enkomion. Mag Goethes Preis gedicht so verstanden im allgemeinen dem »Enkomion« näherstehen, so ist doch nicht zu ver· kennen, wie oft Übergänge zum »Panegyrischen« wahrzunehmen sind. Besonders gilt dies seit der Einwirkung orientalischer Dichtung in der Divan-Zeit. Wie Goethe sich gerade als Dichter des Divan in jahrelanger Arbeit »mit der Fülle des Stoffes bereichert«, um die Objekt seines Preisens »menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken« nach Art eines »Panegyristen«, ist bekannt. Die hierauf deutenden Worte des Kapitels Gegenwirkung in den Noten und Abhandlungen sollen ja Goethe eigenes Verfahren erklären. Doch schon in der noch ganz klassizistisch en Euphrosyne wird eine Verstorbene mit »begeistertem Sinn« als »Göttin « gefeiert. Dies Gedicht zeigt beispielhaft, daß ein Element des Enthusiasmus gerade da auftritt, wo das Dichterwort - im Sinne des Räthsels Dauer, Verewigung »erstattet«. So gilt für die Höchstform des Goethcschen Preis gedichts, daß sie aus »panegyrischer« Haltung herauswii.chst. Die Marienbader Elegie, die Lynkeuslieder im Helena-Akt des Fau M haben als Preis gedichte »panegyrischen« Charakter. Eine grundsätzlich Bereitschaft zu einer derartigen Haltung war überhaupt bei Goe thc In starkem Maße angelegt. Ohne eine solche Bereitschaft zu überschwen _34 Weimarer Ausgabe 17, S. 283; Akademie-Ausgabe des West-östlichen Divon , S. 96: »Zweyter Zeitraum. Panegyrische Lyrik«. - Akademie-Ausgabe ), S. '1 6 ~ I »Zweiter Zeitraum. Lyrische Panegyriker und romantische Dichter, vom j,lhr 500 bl 8 600 der Hedschira. Der größte dieser Dichter in der panegyrischen Lyrik IEIwhndeddlll Enwari.« 35 Weimarer Ausgabe I 7, S. 307; Akademie-Ausgabe), S. 164. 353 Iieher Huldigung wäre einem europäischen Dichter die Annäherung und Ilin gabe an orientalische Vorbilder gar nicht möglich gewesen, zu der (;oethe vordrang. Der West-östliche Divan verdankt sein Entstehen die;'CJ" Bereitschaft Goethes zur »Panegyrik«.36 7 I):\s Räthsel, von dem wir ausgingen, spricht von den Aufgaben des Lobdichters in vergleichsweise heiterer Tonart. Sehr merkwürdig ist es, daß eine der spätesten Äußerungen Goethes über die enkomiastische DichI Llng wiederum leicht heiteren Charakters ist. Es handelt sich um eine I'rosaaufzeichnung, ein kurzes Diktat, das, nach der Schreiberhandschrift ·I.LI schließen, nicht vor 1825 entstanden sein kann. Die Sätze, ohne Titel ni edergeschrieben, nehmen noch einmal Bezug auf Enweri - ein Zeichen, wie stark Goethes Interesse für diesen Dichter war. Im übrigen sind sie schwer deutbar und stellen beinahe wiederum ein Rätsel dar. Die fragIllentarische Aufzeichnung lautet: 37 36 Zum Verständnis der Worte Enkomion und Panegyrikos sei darauf hingewiesen, daß eine klare Unterscheidung auf Grund der antiken Überlieferung nicht möglich ist. ), rhe panegyric is hardly distinguishable from an encomium«, lautet die Auskunft des »Oxford Classical Dictionary«; die Begründung hierfür findet man in den ent,' prechenden ausführlichen Artikeln der Real-Enzyklopädie von Pauly-Wissowa. Das Adjektiv »panegyrikos« hatte bei den Griechen die Bedeutung: zugehörig zu einer I'anegyris, einer Festversammlung. Ein »panegyrikos logos« war eine vor einer allge meinen Versammlung gehaltene Rede, glanzvoll nach Form und Gehalt. Hiermit hiingt es zusammen, daß das Adjektiv »panegyrikos« im Hellenismus auch allgemeinere Bedeutung erhielt: im positiven Sinne »feierlich«, »festlich«, »großartig«, »glänzend« - im abwertenden Sinne »aufgeputzt«, »üppig«, »prahlerisch« . Zum rhetorischen Terminus wurde »Panegyrikos« seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. Bei der Dreiteilung der Redekunst wurde das genos epideiktikon auch als »ge nos panegyrikon« bezeichnet. Daraus resultierte eine beträchtliche Erweiterung des Sinnes, doch blieb die Abgrenzung schwankend. Wesentlich ist, daß der Panegyrikos auf diese Weise sowohl Lob (enkomion) als auch Tadel (psogos) zum Inhalt h;lben konnte; als sein Ziel galt das Schöne (kalon). In diesem Sinne konsolidiert sich die Wortbedeutung seit Hermogenes, der zur Zeit Mare Aurels lebte, seit dem 5. Jh. z. u kanonischer Geltung gelangte. Erst die Römer der späten Kaiserzeit (3. Jh.) gaben dem Wort Panegyricus auch die spezielle Bedeutung: laudatio, die es bei den Griechen "i e hatte. Unter Enkomion verstand man immer Lobgedicht, Lobrede, schon bei den Griechen. (I:nkomion = Lied, das beim Festzug, Komos, gesungen wurde.) Bei diese m Wol'! is l kl'ineswcgs an Einschränkung des Redeprunks gedacht, welcher für Loblicd und - n·.!,· ill' Altertum mehr oder weniger unentbehrlich war. Dem Enkomion s leiH dn I':;' )I:" S (T,,,leI) gegcn üb er, er ist nicht als Möglichkeit in ihm befaßt (wi e im »I:"""" 1"""·I:yri kon «). Doch g ibt es Enkomien auf Personen und Gegen s t,indL', di e d,'s I.,,!> ,·s ni ehl wvl'! s ind . So k;1I111 u. U. d,lS Enkomion zur Satire werden. '" Weil'l1 ;lI'l' r Au sg <lbe I, '1.2 (11), S. 5"J f. (Epochen deulschel' I.i lel'<I I111') . GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT 354 355 KATHARINA MOMMSEN » [Neues te Epoche] So mannigfaltig auch das Bestreben aller und jeder Künste in Deutschland seyn mag, in dem Grade daß man darüber etwas Näheres und Bestimmteres auszusprechen sich kaum getraute; so geht doch im Ganzen eine gewisse Richtung durch, welche uns veranlaßt, die Epoche unsrer gegenwärtigen Dicht- und Bildkunst jener zweiten der persischen Poesie zu vergleichen, in welcher sich Enweri besonders hervorthat und die wir die Encomiastische nennen dürfen. Sowohl unmittelbar gegenwärtige Verdienste als kurz geschiedene, längst dahin gegangene werden gefeyert. Geburtstäge lassen die Freunde nie unbegrüßt vorbey ; silberne und goldene Hochzeiten geben Anlaß zu Festen; bey Dienstjubiläen erklärt sich der Staat selbst als Theilnehmer; bey funfzigjährigem Wiedereintritt einer academischen Würde sind Universitäten und Facultäten in Bewegung, und weil die lebhaftesten Segnungen auf Gesundheit, eines dauernden Ruhms und verlängerten Lebens nicht ausbleiben dürfen, so fügt sich so schönen Prämissen als nothwendige Conclusion ein löbliches: Ergo bibamus hinzu.« Es fällt ins Auge, daß sich mit dem scherzenden Ton dieser Sätze eine abschätzige Betrachtung des Enkomiastischen verbindet. Lobdichtung wird hier nicht so gesehen, wie man das sonst bei Goethe gewohnt ist als etwas Wertvolles und Großes. Befremdend muß es da erscheinen, daß in solchem Zusammenhang auch der Name Enweris fällt, den der Dichter in anderen Fällen stets mit Verehrung nennt. Vor allem wird die Charakteristik der zeitgenössischen deutschen Literatur Verwunderung erregen müssen. Worauf zielt Goethe, wenn er sie so ganz allgemein als »enkomiastische Epoche« bezeichnet? Für all das findet sich schwer eine Erklärung, da wir bisher keine Kenntnis haben über die gedanklichen Hintergründe des Aufsatzfragments. Wissen wir doch nicht einmal, wann zwischen Oktober 1825 und März 18)2 38 - es entstanden ist. Seit es 18)) im Nachlaß-Band 49 der Ausgabe letzter Hand erschien mit dem von Riemer und Eckermann erfundenen Titel Neueste Epoche, steht das Fragment in den Goethe-Ausgaben unter gleicher Überschrift, aber ungedeutet. Indessen läßt sich auch hier eine gewisse Klärung herbeiführen. Das Fragment steht in Zusammenhang mit dem Schreiben Goethes an Zelter vom 17. V. 1829. Dort finden sich folgende Sätze, die in Gedanken und Wortlaut mit dem Aufsatz Neueste Epoche übereinstimmen: »Auch das ablehnende Brieflein laß ja nicht ohne Gesellen! Dergleichen Zudringlichkeiten sind durchaus nicht nur in Deutschland, sondern in der 38 Die Handschrift stammt von Schuchardt, der seit Oktober 1825 Gocthc Schreiber diente. nl ~ ganzen Welt rege. Die jetzige Zeit ist eigentlich enkomiastisch, sie will etwas vorstellen, indem sie das Vergangene feyert: daher die Monumente, Feste, die säcularen Lobreden und das ewige ergo bibamus, weil es einmal tüchtige Menschen gegeben hat.« Was Goethe hier schreibt, ist nur eine gedrängte Zusammenfassung des Aufsatzfragments. Die Wendungen: enkomiastische Zeit, Feier des Vergangenen, Monumente, Feste, säkulare Lobreden, Ergo bibamus - sie begegnen uns sämtlich dort wieder. Klarer wird aber in dem Brief, worauf C.oethe in der Hauptsache zielt. Er kritisiert vor allem jene enkomiastische I.iteratur, die »das Vergangene feiert« in dem Bestreben, damit die I A~ere der Gegenwart zu verdecken. Die jetzige Zeit will so aus dem verborgenen Gefühl eigenen Ungenügens heraus »etwas vorstellen«. Allenthalben suchen dürftige Talente sich zu produzieren, Feststimmung in den \'igenen farblosen Alltag zu bringen, indem sie »tüchtigen Menschen« von einst irgendwelche Denkmale errichten. Das Aufsatzfragment bringt die gleichen Gedanken, aber in abgemilderter Form. Neben der Feier »Iiingst dahin Gegangener« wird auch die von »gegenwärtigen Verdien[lIen« genannt. Es fehlt der Vorwurf, »etwas vorstellen« zu wollen. Unveriindert bleibt jedoch der ironische Blick auf ein hektisches enkomiastilIl'hes Bestreben, dem durchaus selbstische Zwecke zugrunde liegen. Das Ilil.l\ vermuten, daß der Aufsatz einen Nachklang zu dem Brief darstellt. (:ol'the versucht offenbar, den Zelter gegenüber formulierten Gedanken rine Form zu geben, die der Öffentlichkeit mitteilbar wäre. Jedenfalls haben wir jetzt eine bessere Vorstellung davon, wohin die Polemik des Aufsatzes zielt. Aus dem Briefwechsel zwischen Goethe und f,l,ller läßt sich noch dazu erkennen, was den eigentlichen Anlaß zu (:oclhes Betrachtungen gegeben hat. Das »ablehnende Brieflein«, das (:\lclhe in dem Schreiben vom 17. V. 1829 erwähnt, war ein Schreiben f.l,llcrs an einen seiner ehemaligen Schüler in Breslau; Zelter hatte es am I 'I . V. 1829 einem Brief an Goethe beigefügt. Jener Schüler war mit recht dn'i ~; tl'n Aufforderungen an Zelter herangetreten (worauf sich Goethes Wl'llllung »dergleichen Zudringlichkeiten« bezieht). Er projektierte ein .. I :pi\;lph«, eine Denkschrift auf zwei kürzlich in Breslau Verstorbene. Sie rotl ille einem verhältnismäßig unbedeutenden Musiker und zugleich dem \'I'liillinten Physiker Chladni gelten. An Zelter ging das Ersuchen, dies I JIIIl'lI1ehmen zu unterstützen, vor allem für dessen Finanzierung tätig / .11 Ilein . Diesen Zumutungen hatte Zelter in seiner derb-komischen Ausdlll l'bweise - die für Goethe unerschöpflicher Quell des Vergnügens W.lI . eine ausweichende Antwort erteilt und nur einen gewissen Gcld111'1 IUK gestiftet. I-lierauf bezieht sich der Anfang der oben zitierten Stelle 111 ( ;\ll'll!es Brief vom 17. V. 1829. GOETHE UND DAS PREIS GEDICHT KATHARINA MOMMSEN Damit klärt sich der sonst so rätselhafte Inhalt des Goetheschen Aufsatzes. Wenn der Dichter darin von dem Feiern »kurz Geschiedener« spricht, so ist gedacht an die beiden in Zelters Briefbeilage genannten Persönlichkeiten. Mit der von Goethe hier kritisch betrachteten Enkomiastik ist gemeint eine solche auf unterer Ebene, wie sie noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gang und gäbe war. Sie bildete eine umfangreiche, ihrer Wertlosigkeit wegen inzwischen längst vergessene Literatur. 39 Das frühe Gedicht Gellerts Monument von Oeser in der Gruppe An Personen geißelte bereits Enkomiasten dieser Art als »Stümper«. Wieder zeigt sim, daß die Gruppe An Personen bereits alle wesentlichen Gesichtspunkte enthielt, unter denen Goethe die Preis dichtung betrachtete. Zelters Mitteilung gab den Anlaß zu den Gedankengängen von 1829; ein beliebiger Ehrgeizling macht sich wichtig durch das Preisen von Verstorbenen, sogar eines solchen, an dem es gar nichts Remtes zu preisen gab. Die moderne Zeit - diesen Gedanken schließt Goethe daran - feiert das Vergangene, aber nicht, um »das innere Leben zu erneuern«, wie es in den Noten und Abhandlungen hieß, sondern das äußere. Man sucht, auch durch das poetische Preisen belangloser Lebender, nur die Gelegenheiten zu Feiern und Festen, die Prämisse zu der Konklusion: Ergo bibamus. So hatte Goethe schon in der Sammlung Sprichwörtlich von 1815 bezüglich dieser Art Beweihräucherung von Toten gesagt: »Ja! Wer eure Verehrung nicht kennte : Euch, nicht ihm baut ihr Monumente!« Der Grund dafür, daß Goethe das Aufsatzfragment von 1829 schließlich unbenutzt ließ, daß er es verwarf, ist leicht zu erkennen. Es fand sich darin eine Unstimmigkeit. Das massenweise Auftreten von kleinen Festund Jubiläumsdichtern in der Restaurationszeit zu vergleichen mit Enweri und der zweiten, enkomiastischen Epoche der persischen Poesic, war ein Fehlgriff. Dieser Vergleich konnte nur gelten, wo es sich um echtc, große Preisdichtung handelte. So entsprach es Goethes eigentlicher hohcr Wertschätzung Enweris, wie sie im West-östlichen Divan durchweg zum Ausdruck gekommen war. Man muß sich nur erinnern, mit welcher un bedingten Verehrung dort der persische Enkomiast charakterisiert wordcn war. Im Kapitel Enweri der Noten und Abhandlungen sagt Goethe mit apologetischer Beredsamkeit: »Was sollt' aus dem Dichter werden, wcnll es nicht hohe, mächtige, kluge, thätige, schöne und geschickte Mensdll'n gäbe, an deren Vorzügen er sich auferbauen kann? An ihnen, wie di e 39 Kennzeichnend für die übermäßige Produktivität der »enkomia sti schen Ero<"h,'. ist es, daß König Ludwig I. von Bayern bei seiner Thronbes teigung im J:lhr,· dl A~ Gedkhte zu Hunderten erhielt, unter denen ihn nur ein einziges, »jenes .leg (; rnf"1\ Platen angesprochen «. (König Ludwig an August Graf v. Platen, 3. VII. 1!l27 ') 357 Rebe am Ulmenbaum, wie Epheu an der Mauer, rankt er sich hinauf, Au ge und Sinn zu erquicken. Sollte man einen Juwelier schelten, der die I:delgesteine beider Indien zum herrlichen Schmuck trefflicher Menschen l ,lI verwenden, sein Leben zubringt ?« So dachte Goethe über Enweri, lind l'S ist diesen Worten abzumerken, daß sie zugleich das eigene enkomias ti:;che Schaffen charakterisieren. Von ähnlicher Bedeutung ist die Schildenill g Enweris in dem Kapitel Ub ersicht : »Enweri hielt sich fest an der (: egenwart. Glänzend und prächtig, wie die Natur ihm erschien, freudlind gabenvoll erblickt' er auch den Hof seines Schahs; beide Welten und ihre Vorzüge mit den lieblichsten Worten zu verknüpfen war pflicht und Ilc hagen. Niemand hat es ihm hierin gleich gethan. « Es ist eine geschichtli che Tatsache, die auch durch Goethes Verlautbarungen bestätigt wird, daG Preisdichtung von hohem Rang eine doppelte Voraussetzung hat. Der I )I chter selbst muß innerlich reich sein, und er muß in einer Umwelt Il'ben, die ihm »freud- und gabenvoll« erscheint. Der wahre Enkomiast i:;t zugleich Schenkender und Empfangender. Er teilt, indem er andere rii hmt, vom Reichtum der eigenen Seele mit. Auch zum Erkennen fremder Vorzüge gehört ja innere Fülle. In freudlos armen Zeiten wird es daher kl'in e Preis dichtung hohen Ranges geben können. Das Aufsatzfragment von 1829, das über die kümmerliche enkomiastische Poesie der Restauralionsepoche spricht, läßt verspüren, daß Goethe solche Zeiten herannahen : ;: dl.~O ·111 In seiner bereits genannten SChrift (5. Anm. 24") vertritt H . M. Enzensberger die 1\ 11 '; lch t: »HerrsCherlob und Poesie sind unvereinbar.« (Poesie und Politik, S.125 .) I )"'"e n Sa tz läßt ein Blick auf die GesChichte der Weltliteratur als unhaltbar erscheinen . I\ IIIh Enzensberger hält einen »Blick auf die Geschichte des Herrscherlob s für lehrrei Ch « ,I I (,), führt aber als historische Beispiele lediglich an: Walther von der Vogelweid e, 1" ,''';1', Fontan e und Goethe (in der ob en gekennzeichneten n egativen W eise) . Un erw ,dUH bleiben Hauptrepräsentanten der Panegyrik wie Pindar, Theokrit, VergiI, Il oraz, I IIw"ri , Im Hinblick auf solche und andere Panegyristen ist aber doch zu k () n s t~ ti e r e n , .I,d' :; id1 bei bedeutenden Dichtem des Okzidents und Orients das Herrscherl ob a l ~ ,:lIll i/ :,' un d Zeiten überdauernde poetische Ausdrucksfo rm find et. Goethe w e i ~I' dlill 1111 1 :: ich gezeigt - auf die MögliChkeit und BereChtigung panegyrische r Didl lllll/' Ill il N" ll.drud< h in . Gerade au s Goethes Äußerungen zum Thema Pancgy ri k e rl ll'1I1 '" Iwr 11 111 '1. di es in all er wünschenswerten Klarheit, daß alles an ko mmt a uf d i,' l'n:Ii\ II(i.l , 1" '11 "11 des Lobend en und des Gelobten . Sowo hl beim ein en als aud, Iwi lll 1111.11'1'11 1111 1:':11'11 s ich a uf besundere Wei se men schlich e Qualitäten akklllllll Iil'l'l' lI , NIII' .1 11 1111 1" '111111/: hohl' pa negyrische Dichtung, verm ag auch das Herrschc rl o[, !'I' ill 11 11 .1"11 T lIg 1 11 11'1'1" 11. Ik mgcgc nüber kann Enzensbergers Behaup tun g n idll iib"I'Z" II ,:I' II : .1 1'1' ( ;11111.1 .1 '1" i 1', dar., bei modernen Pa negyr isten (Hitler- und Sta lin siin/·:t'1'1I1 dli ll l'Il 'l lIg,·d k l.l /1 1111 Sltll lld nl wi rd , liige »weder in der Person des Lubenden noch ill .I n d"11 ( ;,· llI l>lt'lI ' I" " ,( )" ~; , I l oj l , (>