Trojanow 01
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Trojanow 01
Der unfassbare Reisende Sir Richard Burton Ilija Trojanows Roman „Der Weltensammler“ ist ein Teppich aus Farben und Ornamenten, Bewegungen, Gestalten, Licht und Schatten. Koloniale Bewegungsmuster auf drei Kontinenten, in Indien, Arabien und Afrika, diachron geschnittene Geschichten und Geschichte, die immer da, wo man vom Gegenwartspol her eindringt, bedeutsame Funde zutage fördert. Und wo immer die Knüpfmasse sich verdichtet, erscheint die Gestalt von Richard Burton, britischer Offizier in Diensten der Ostindischen Armee (1821-1890), ein seltsames Chamäleon, selber ein Rätsel, eine Hohlform. Burton, durchgängige Hauptfigur des über vierhundert Seiten starken Romangeflechts, ist Spion für die einen, ein Abtrünniger für die anderen. Eine literarische Figur für den Autor, eine historische Gestalt für die Historienschreiber. Anfang des 19. Jahrhunderts reist er nach Bombay, heuert sich einen Diener an, der seinerseits wieder zwölf andere in Dienst stellt, ein kleiner Hofstaat, der ihn versorgen soll. Doch Burton ist nicht an den Privilegien eines britischen Kolonialherrn interessiert, sondern sucht sich bald einen einheimischen Lehrer, um sich in den Lehren, den heiligen Schriften und Geheimnissen des Landes unterweisen zu lassen. Vor allem aber in den Sprachen, die ihm als einzigartiger Schlüssel zur Mentalität erscheinen. Während er im Morgengrauen einer miserabel motivierten Truppe sinnloses Exerzieren beibringt, sitzt er in der Mittagshitze in seinem einfachen Bungalow hinter heruntergezogenen Jalousien und liest und exzerpiert. Burton füllt seine Hefte mit „ethnologischen“ Notizen, er ekelt sich vor dem klebrigen Stumpfsinn eines Lebens, das dem Billard und dem Bridge gewidmet ist, er weigert sich, seine Dienstdauer zu durchwarten, versunken in Polstern, so tief wie muffig, einen starren Blick auf Fingernägel gerichtet, in denen sich Staub und Sand ansammelt. Der indische Lehrer unterweist ihn ebenso in den Mythen und Legenden – und Burton ist davon so angetan, dass er sich langsam in einen Nordinder verwandelt. Die Sprachen gehen unterdessen als Namen und 2 Sachbezeichnungen, die Mythen als Episoden und Geschichten in das Buch ein, das Burtons Diener Naukaram einem Berufsschreiber am Strassenrand andiktiert. Die plaudernden, reflektierenden und hinterfragenden Gespräche dieses Dieners und des Schreibers bilden die Hintergrundmusik für eine fiktive Biografie, deren Konturen in der immer grösseren Anstrengung Burtons zur Mimesis zu verschwimmen drohen. Natürlich führt seine Reise ins Innere Indiens auch über eine Geliebte; Kundalini ist eine Sklavin mit hüftlangem schwarzem Haar, deren ausserordentliche Schönheit mit ihrer Rätselhaftigkeit konvergiert. Immerhin bringt das Verfasserpaar Diener und Schreiber soviel Ironie auf, dem Leser Kundalinis einsame Kunst nicht zu verschweigen, mit der sie den Koitus durch das Erzählen einer spannenden Geschichte so lange wie möglich hinauszögert. Mit der Zeit wird absehbar, dass Burton sich ganz in einen Einheimischen verwandelt; er zieht sich eine Kurta über, färbt seine eh schon dunkle Gesichtshaut mit Henna-Öl ein und mischt sich als Himalaja-Inder unters Volk, statt es zu beherrschen. Diesen Traum eines jeden Ethnologen erzählt Trojanow mit hoher Plausibilität, sodass es ihm gelingt, durch das Medium Burton, Indien,- und später Arabien und Afrika, in ein fliessendes Stück Sprache zu verwandeln und dem Leser fast so etwas wie Primärerfahrung anzubieten. Der Autor, der während Jahren den Spuren Burtons nachgereist ist, ist mit jenen Wassern gewaschen, die alles Erlebte sofort in metaphorisches Bildmaterial umwandeln: „Ihre Finger krochen über seine Brust, so bedächtig, wie die Pflanze zum Fenster hereinwuchs. Wenn sie etwas sagen würde, im entwurzelten Mondlicht, wäre es ein Gedicht.“ – Oder, etwas unzarter: „ Der Mann war ein Verbündeter des Blitzes, er war der Pharao seiner Karawane, sein Herz, so flüsterten uns seine Sklaven zu, ..., war nicht in seinem Körper, es war eingepackt in schwere Tücher, es ruhte in der Truhe mit seinem Habgut.... .“ Weitab von exotischem Kitsch lässt der Autor die Sprache sich rollen, winden, winseln und in Wüsten zur wundersamen Fata Morgana sich aufblähen. 2 3 Unentwegt öffnen die Sprachbilder Fenster zu einer synästhetischen Realität, anstatt schulmeisterlich auf ihre Sprachlichkeit zu verweisen. Dazu gesellen sich Redewendungen, Allusionen und Sprichwörter, von denen allein Gott, Allah oder allenfalls die afrikanischen Götter wissen, ob sie in den jeweiligen Regionen oder unter der Feder des Autors gewachsen sind: „Der schlechteste Zwirn wird benutzt, um den geweihten Stoff auszubessern.“ Oder: „Man erschafft nicht die Sonne, wenn man den Vorhang zurückzieht.“ Die Sprache bewegt sich mithin exakt im Feld des Hybriden, indem sie sich von der Erzählrationalität des Plots immer wieder wegbiegt und sich einheimischen Wendungen, Legenden und Versatzstücken von Mythen anverwandelt. Wie Burton, einmal verkleideter Muslim in Indien, dann wieder Derwisch in Arabien und zuletzt völlig depersonalisiert in Afrika, keine feste Identität mehr hat, so mäandert die Sprache des Buches zwischen dem Eigenen und Fremden in einem ortlosen Zwischenraum zwischen den jeweiligen Kulturen. Sie wird selber zum Spion, zum Derwisch, einmal klar wie Quellwasser, und dann wieder delirierend wie Tropenfieber. Was aber treibt diesen Burton an, immer wieder das Bündel zu packen und zu den unwegsamen Expeditionen aufzubrechen? Einmal heisst es: „Er beliess es nicht dabei, die Fremde zu beobachten. Er wollte an ihr teilnehmen. Er war ihr verfallen... . Dieser Burton hingegen wollte die Fremde sich selbst überlassen, weil die Verbesserung der Fremde ihre Auslöschung bedeuten würde.“ Martin R. Dean 3