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494-498.qxd 30.08.2006 11:31 Seite 494 TA G U N G S B E I T R A G ❚ D. Reißmann, M. T. John, O. Schierz1 Bewertung prothetischer Therapieeffekte durch den Patienten Mundgesundheitszustand und mundgesundheitsbezogene Lebensqualität Ziel dieser Arbeit war die Beschreibung der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit sowie der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität vor und nach einer prothetischen Therapie. 119 konsekutive prothetische Patienten schätzten vor und einen Monat nach Ende der Behandlung ihre Mundgesundheit (mittels „globaler“ Frage von 1-„exzellent“ bis 5-„schlecht“) und ihre mundgesundheitsbezogene Lebensqualität (mittels Oral Health Impact Profile, OHIP-G49) ein. Die Ergebnisse wurden mit bevölkerungsrepräsentativen Daten (n=2016) verglichen. Prothetische Patienten schätzten ihre Mundgesundheit vor Behandlung schlechter ein als Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Während einer prothetischen Therapie kam es zu einer statistisch signifikanten (p<0,001) Verbesserung der Selbsteinschätzung, was mit einer Verringerung der Anzahl angegebener Mundgesundheitsprobleme (OHIP) korrelierte. Dies legt nahe, dass sich während einer prothetischen Behandlung der allgemeine Mundgesundheitsstatus und die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität wesentlich verbessern. Eine einzelne fünfstufige Frage zur Situation der Mundgesundheit liefert eine leicht zu erhebende und einfach zu interpretierende Information und kann zur routinemäßigen Befunderhebung und -dokumentation in der klinischen Praxis empfohlen werden. Schlüsselwörter: Selbsteinschätzung, Mundgesundheitsstatus, mundgesundheitsbezogene Lebensqualität, prothetische Therapie, festsitzender Zahnersatz, abnehmbarer Zahnersatz, Totalprothese Patient’s perception of prosthodontic treatment effects – oral health status and oral health-related quality of life. Aim of the study was to describe self-reported oral health status and oral health-related quality of life before and after prosthodontic treatment. In a convenience sample of 119 prosthodontic patients self-reported oral health status was measured with a global question ranging from 1-“excellent” to 5-“poor” and oral health-related quality of life was measured using the Oral Health Impact Profile (OHIP-G49). The results were compared with findings in a national sample (n=2016). Before treatment, prosthodontic patients judged their oral health status poorer than general population subjects. After prosthodontic treatment, a statistically significant (p<0.001) improvement could be observed which was correlated with a decrease of reported oral health problems measured by OHIP. These results suggest that during prosthodontic treatment perceived oral health status and oral health-related quality of life improve substantially. A single 1 Poliklinik für zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde (DIrektor: Prof. Dr. Th. Reiber) Universität Leipzig 494 question describing the overall situation of perceived oral health or its change may provide simple and easy to interpretable information about the impact of prosthodontic treatment and can be recommended in routine clinical practice for patient diagnosis and monitoring of treatment outcome. Keywords: Self-reported oral health status, oral health-related quality of life, prosthodontic treatment, fixed dentures, removable dentures, complete dentures 1 Einleitung Der Effekt zahnärztlich prothetischer Therapie bezieht sich auf die unterschiedlichsten Bestandteile und Funktionen des orofazialen Systems und damit auf die gesamte Mundgesundheit. Im Idealfall hat eine Therapie einen positiven Effekt für den Patienten. Probleme, für die der Patient eine Behandlung gesucht hat, sollten sich verringern und damit sollte sich auch die Einschätzung der Mundgesundheit verbessern. Dies bezieht sich aber nicht nur auf objektive Befunde, sondern auch das Befinden, also die subjektive Einschätzung durch den Patienten. Nach einer prothetischen Rehabilitation sollte sich diese wesentlich verbessern, d.h., der Patient sollte diesen Effekt der prothetischen Behandlung auch wahrnehmen. Da der Nachweis der Wirksamkeit eine zentrale Rolle in der (Zahn-)Medizin spielt, werden Methoden benötigt, mit deren Hilfe man den Therapieeffekt prothetischer Behandlungen adäquat charakterisieren kann. Alle Aspekte einer prothetischen Therapie sollten in diese Auswertung einbezogen werden können. Es gibt dazu prinzipiell 2 Möglichkeiten. Man kann die spezifischen Aspekte separat abfragen und anschließend einen Summenwert bilden, der alle Teilbereiche repräsentiert, oder man überlässt dem Patienten diese Zusammenfassung und erfragt eine Gesamteinschätzung. Die Befragung des Patienten zur Beurteilung des Effektes hat den wesentlichen Vorteil, dass die für den Patienten wesentlichen Aspekte erhoben werden, d.h., der Patient bewertet die Probleme nach ihrer Bedeutung für ihn selbst, somit kann die Therapie patientenorientiert beurteilt werden. Diese einzelne Frage zur Therapiebewertung wäre gerade in der zahnärztliche Prothetik sehr gut anzuwenden, da gerade in der prothetischen Therapie viele unterschiedliche Aspekte der Mundgesundheit betroffen sind. Eine einzelne Frage zur Beschreibung der (Mund-)Gesundheit ist mittlerweile zum Standard in epidemiologischen Studien geworden, die sich mit der Beschreibung der wahrgenommen (Mund-)Gesundheit beschäftigen [13]. Sie sind einfach zu interpretieren und liefern wesentliche Informationen über den wahrgenommenen (Mund-) Gesund- © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 8 494-498.qxd 30.08.2006 11:31 Seite 495 D. Reißmann et al.: Bewertung prothetischer Therapieeffekte heitszustand der befragten Person. Durch die internationale Verbreitung sind Ergebnisse sehr gut zu vergleichen. In zahnmedizinischen klinischen Studien wurde solch eine einzelne Frage jedoch bis jetzt selten angewendet. Bisher hat man vor allem Methoden gewählt, die mehrere Fragen beinhalten und dann daraus einen Gesamtwert als Maß für den Zielgröße der Untersuchung ableiten. Ein sehr umfassendes Instrument zur Messung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (MLQ) ist der Oral Health Impact Profile [14]. Dieses Instrument liegt neben der englischen Originalversion auch in Deutsch [5] und weiteren Sprachen vor [11, 18], was zu einer sehr guten internationalen Vergleichbarkeit führt [2]. Es besteht aus 49 Fragen. Das führt zu einem erhöhten administrativen Aufwand und kann im Rahmen einer Behandlung oft hinderlich sein. In den letzten Jahren hat eine Entwicklung eingesetzt, die zu immer kürzeren Instrumenten geführt hat. So wurden Instrumente mit 21, 14 und auch nur 5 Fragen entwickelt, ohne dass dadurch ein wesentlicher Informationsverlust zur Gesamtsituation der Mundgesundheit eingetreten scheint [1, 8, 9]. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung ist die Etablierung einer einzelnen Frage und die Untersuchung, inwieweit diese Frage den Therapieeffekt prothetischer Therapie adäquat wiedergeben kann, wenn sehr umfangreiche, international standardisierte Instrumente als der „Goldstandard“ für die Charakterisierung des Therapieeffektes eingesetzt werden. Es war Ziel dieser Studie, den Effekt der prothetischen Therapie mittels Selbsteinschätzung der Mundgesundheit und den Zusammenhang zwischen dieser Bewertung und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität zu untersuchen. 2 Material und Methode Untersuchungsteilnehmer dieser prospektiven klinischen Studie waren 119 erwachsene Patienten (Alter: 20 bis 89 Jahre, 47% Frauen), die in der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde der Universität Leipzig eine Behandlung mit Zahnersatz suchten. Die Patienten wurden mit festsitzendem Zahnersatz (30 Patienten mit Kronen und 31 mit Brücken), mit abnehmbarem Zahnersatz (9 Teleskopprothesen, 25 Modellgussprothesen, 7 klammerverankerte Kunststoffprothesen und 7 Kombinationen aus festsitzend und abnehmbaren Zahnersatz sowie Totalprothese) sowie nur mit Totalprothesen (10 Patienten) versorgt. Die durch die Patienten wahrgenommenen Veränderungen ihrer Mundgesundheit wurden anhand von zwei Methoden charakterisiert. In einer „globalen“ Bewertung sollten alle Aspekte der Mundgesundheit zusammengefasst werden. Im Gegensatz dazu sollten die vielen unterschiedlichen Facetten der Mundgesundheit mit einzelnen spezifischen Fragen erfasst werden, die dann zu einem Gesamtwert des Fragebogens kombiniert wurden. Mittels der Frage „Wie würden Sie Ihren Mundgesundheitszustand einschätzen?“ beurteilten die Patienten ihre Mundgesundheitssituation. Fünf Antwortkategorien („ausgezeichnet“, „sehr gut“, „gut“, „mittelmäßig“ und „schlecht“) standen für die Selbsteinschätzung zur Verfügung. Die Frage wurde den Patienten vor der Therapie und ein Monat nach Therapieende gestellt. Mit einem zweiten Instrument, der deutschen Version des Oral Health Impact Profile (OHIP49-G), wurde die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität erhoben [5, 14]. Die deutsche Version enthält gegenüber der englischen Version 4 zusätzliche Fragen (gesamt 53 Fragen). Um eine internationale Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden nur die Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 9 49 Fragen der englischen Originalversion in die Auswertung mit einbezogen. Alle Fragen beziehen sich dabei auf den Zeitraum des letzten Monats. Die Häufigkeit der eingeschränkten Lebensqualität konnte von den Patienten in folgender Abstufung angegeben werden: „nie“=0, „kaum“=1, „ab und zu“=2, „oft“=3, „sehr oft“=4. Die Selbsteinschätzung der Mundgesundheit bei prothetischen Patienten wurde mit Ergebnissen in der Allgemeinbevölkerung verglichen, die mit der identischen Fragestellung erzielt wurden. Diese Werte dienten dabei als Referenzen zum Vergleich mit den prothetischen Patienten, um das „normale“ Niveau der vom Probanden wahrgenommenen Mundgesundheit zu charakterisieren. In der Allgemeinbevölkerung lagen Werte für Personen ohne (Teil- oder Total-) Prothesen (n=1534), für Personen mit Teilprothesen (n=387) und für Personen mit Totalprothesen (n=95) vor. Weitere Details, wie die Daten in der Untersuchung in der Allgemeinbevölkerung erhoben wurden, sind bei John et al. [6] veröffentlicht. Es wurden 3 Hypothesen aufgestellt: 1. Patienten schätzen vor der Behandlung ihre Mundgesundheit deutlich schlechter ein als die Allgemeinbevölkerung. 2. Durch eine prothetische Therapie kommt es zu einer wesentlichen Verbesserung der Mundgesundheit, die sich in der Selbsteinschätzung des Mundgesundheitszustandes widerspiegelt. 3. Die Einschätzung des Mundgesundheitszustandes korreliert mit der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Im ersten Schritt der Auswertung der prothetischen Patienten wurden die fünf Antwortkategorien der Mundgesundheitseinschätzung in ihrer Häufigkeit sowohl vor als auch nach der Therapie mit den Werten aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. Danach wurden Veränderungen zwischen den Selbstbeurteilungen der Basis- und der Nachuntersuchung mit dem Wilcoxon-Test für Paardifferenzen auf ihre statistische Signifikanz hin überprüft. Abschließend wurde der Zusammenhang zwischen der Selbsteinschätzung des Mundgesundheitsstatus und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität mit dem Spearman’schen Rangkorrelationskoeffizienten untersucht. Die Test-Retest-Reliabilität der Selbsteinschätzung des Mundgesundheitsstatus wurde bei 40 Patienten in einem zeitlichen Abstand von einer Woche vor Behandlungsbeginn untersucht. Zur Bestimmung wurde die Kappa-Statistik (Kappa=0,57) benutzt. Nach Landis and Koch [10] kann die Test-Retest-Reliabilität als moderat eingeschätzt werden. Die interne Konsistenz der OHIP-Fragen betrug vor der prothetischen Therapie Cronbachs alpha = 0,97 und nach der Therapie Cronbachs alpha = 0,95. Alle Analysen wurden mit der Statistiksoftware STATA Version 9 (StataCorp. 2005, Stata Statistical Software, College Station, TX), mit einer auf 0,05 eingestellten Wahrscheinlichkeit für einen Typ I-Fehler durchgeführt. 3 Ergebnisse 3.1 Vergleich der Selbsteinschätzung des Mundgesundheitsstatus prothetischer Patienten mit dem der Allgemeinbevölkerung Patienten, welche eine prothetische Therapie beanspruchten, schätzten ihre Mundgesundheit hauptsächlich als schlecht, mittelmäßig oder gut ein (94% der Patienten, Tab. 1). Das Niveau der angegebenen Mundgesundheit war schlech- 495 494-498.qxd 30.08.2006 11:31 Seite 496 D. Reißmann et al.: Bewertung prothetischer Therapieeffekte Personen aus der Allgemeinbevölkerung (N=2016) Prothetische Patienten (n=119) Selbsteinschätzung der Mundgesundheit Alle Personen Personen differenziert nach prothetischer Versorgung (n=2016) kein abnehmbarer oder totaler Zahnersatz (n=1534) abnehmbare Teilprothese (n=387) Totalprothese (n=95) % (n) % (n) % (n) % (n) % (n) 4,2 (5) 0,8 (1) 1,5 (31) 1,0 (16) 2,8 (11) 4,2 (4) Mittelmäßig 37,0 (44) 21,9 (26) 13,1 (264) 8,7 (133) 26,4 (102) 30,5 (29) Gut 54,6 (65) 61,3 (73) 45,4 (916) 42,6 (653) 55,0 (213) 52,6 (50) Sehr gut 4,2 (5) 16,0 (19) 26,5 (534) 31,2 (479) 12,9 (50) 5,3 (5) Ausgezeichnet 0,0 (0) 0,0 (0) 13,4 (271) 16,5 (253) 2,8 (11) 7,4 (7) Schlecht vor Therapie (n=119) nach Therapie (n=119) % (n) Selbsteinschätzung des Mundgesundheitsstatus vor Therapie Tabelle 1 Häufigkeiten der einzelnen Kategorien der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit bei prothetischen Patienten vor Therapie und einen Monat nach Therapieende und in der Allgemeinbevölkerung allgemein und differenziert nach Art der prothetischen Versorgung Selbsteinschätzung der Mundgesundheit nach Therapie Schlecht Mittelmäßig Gut Sehr gut Ausgezeichnet Schlecht 0 2 3 0 0 Mittelmäßig 1 17 23 3 0 Gut 0 7 45 13 0 Sehr gut 0 0 2 3 0 Ausgezeichnet 0 0 0 0 0 ter als das von Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Werden diese Personen nach Art der vorhandenen prothetischen Versorgung differenziert, so war das Niveau der angegebenen Mundgesundheit bei prothetischen Patienten vor der Behandlung vergleichbar mit dem von Personen aus der Allgemeinbevölkerung mit Totalprothesen, aber schlechter als das von Personen mit Teilprothesen oder ohne abnehmbaren Zahnersatz. Nach erfolgter prothetischer Rehabilitation veränderte sich die Situation wesentlich (und statistisch sehr hoch signifikant, p<0,001). 16% gaben einen sehr guten oder ausgezeichneten Mundgesundheitsstatus an, was vergleichbar ist mit der Prävalenz dieser Angaben bei Personen mit abnehmbarem Zahnersatz (welcher schon eine Zeit lang getragen wurde) in der Allgemeinbevölkerung und besser als bei Personen mit Totalprothesen. Wie erwartet, schätzten Personen aus der Allgemeinbevölkerung ohne abnehmbaren Zahnersatz (also auch keine Totalprothesen) ihre Mundgesundheit besser ein als prothetisch versorgte Patienten einen Monat nach Therapieende. Tabelle 2 Veränderung der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit vor Therapie zum Status nach Therapie (die Diagonale repräsentiert keine Veränderung, Personen oberhalb der Diagonale erlebten eine Verbesserung, Personen unterhalb der Diagonale eine Verschlechterung) ner Verschlechterung (um eine Kategorie) innerhalb der 5 Kategorien der Frage zur Mundgesundheit (Tab. 2). Diese Veränderung war statistisch sehr hoch signifikant (p<0,001). 3.3 Zusammenhang von Mundgesundheitsstatus und mundgesundheitsbezogener Lebensqualität Wie erwartet, gaben Patienten, die ihre Mundgesundheit schlechter einschätzten, auch mehr Probleme auf dem OHIP-Fragebogen an, d.h., der OHIP-Summenwert war höher, unabhängig, ob man den Zeitpunkt vor Therapie oder einen Monat nach Therapieende betrachtete (Tab. 3). Dieser Zusammenhang konnte für alle Antwortkategorien der Frage nach dem Mundgesundheitsstatus gefunden werden. Der Rangkorrelationskoeffizient (Spearman’s rho) lag für den Zusammenhang vor Therapie bei 0,47 und für den Zusammenhang nach Therapieende bei 0,44. 3.4 Zusammenhang der Veränderungen des Mundgesundheitsstatus mit mundgesundheitsbezogener Lebensqualität 3.2 Veränderung des Mundgesundheitsstatus Wenn man die Selbsteinschätzung vor und einen Monat nach einer prothetischen Therapie verglich, zeigte sich bei mehr als der Hälfte der Patienten (55%) keine Veränderung, 37% gaben eine Verbesserung an und bei 8% kam es zu ei- 496 Bei den Patienten (36,9%), bei denen sich in Folge einer prothetischen Therapie die Selbsteinschätzung der Mundgesundheit verbesserte, kam es, gemessen mit dem OHIPG49, zu einer wesentlichen Abnahme von Problemen (Tab. 4). Wenn die Selbsteinschätzung der Mundgesundheit Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 9 494-498.qxd 30.08.2006 11:31 Seite 497 D. Reißmann et al.: Bewertung prothetischer Therapieeffekte Selbsteinschätzung der Mundgesundheit Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität vor Therapie Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität nach Therapie (n=118)1 χ (±SD) (n=119) χ (±SD) Schlecht 5 81,0 (±31,6) 1 43,0 Mittelmäßig 43 37,3 (±20,2) 26 39,3 (±18,0) Gut 65 21,9 (±18,6) 73 24,4 (±18,7) Sehr gut 5 15,2 (±13,9) 19 16,3 (±12,9) Ausgezeichnet 0 - 0 - 1 ein Patient hatte mehr als 5 fehlende Werte im OHIP-Fragebogen, so dass auf eine Berechnung des Instrumentsummenwertes verzichtet wurde Veränderung der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit OHIP-Differenz Anzahl der Patienten n (%) χ (±SD) +2 (Verbesserung) 6 (5,0) -27,7 (±24,0) Æ Abnahme der Probleme +1 (Verbesserung) 38 (31,9) -7,5 (±14,6) Æ Abnahme der Probleme 0 (keine Veränderung) 65 (54,6) +0,6 (±12,4) Æ Konstanz der Mundgesundheitssituation -1 (Verschlechterung) 10 (8,4) 9 (7,6)2 -1,8 (±25,2) +4,7 (±16,6)2 Æ geringfügige Abnahme der Probleme Æ Zunahme der Probleme 2 Tabelle 3 Zusammenhang zwischen der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität vor und nach einer prothetischen Therapie Interpretation Tabelle 4 Zusammenhang zwischen Veränderung der Mundgesundheit (+2: Verbesserung um 2 Kategorien; +1: Verbesserung um 1 Kategorie; 0: keine Veränderung; -1: Verschlechterung um 1 Kategorie) und der Veränderung des OHIP-Summenwertes (negative Werte bedeuten eine Abnahme der Probleme, positive eine Zunahme) Korrigierter Wert, wenn ein Patient mit einer extremen Verbesserung der MLQ von der Analyse entfernt wurde. konstant blieb (54,6% der Patienten), war auch keine wesentliche Veränderung im OHIP-Summenwert zu erkennen, d.h., die Anzahl der Probleme blieb mit durchschnittlich nur 0,6 OHIP-Punkten Unterschied annähernd gleich. Eine Differenz von 0,6 OHIP-Punkten bedeutet, dass sich die Patienten in ihrer Beantwortung (im Durchschnitt) nicht einmal um eine Kategorie bei 5 möglichen Antwortkategorien der 49 vorgegebenen Probleme vor und nach der Behandlung unterschieden. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Antwortmuster bei allen Patienten vor und nach der Therapie identisch war, es zeigt aber die Konstanz des Summenwertes (als die Kombination aller Antworthäufigkeiten). Wider Erwarten war auch bei Patienten (8,4% der Stichprobe) eine Verringerung (wenn auch nur eine kleine, d.h. 1,8 OHIP-Punkte) des OHIP-Summenwertes zu erkennen, wenn eine Verschlechterung der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit erfolgte. Der Rangkorrelationskoeffizient (Spearman’s rho) liegt mit 0,31 dem entsprechend etwas niedriger. Dieses Ergebnis war auf einen Patienten mit einer extremen Verbesserung der MLQ zurückzuführen. Wenn dieser Patient von der Auswertung entfernt wurde, reduzierte sich die Streuung der OHIP-Differenz (von SD=±25,2 auf SD=±16,6) wesentlich. Es wurde nun ein Erhöhung des OHIP-Mittelwerts von ca. 5 OHIP-Punkte beobachtet, was der erwarteten Verschlechterung der Mundgesundheit entspricht. Dieses Ergebnis war im absoluten Wert dem Wert von 7,5 OHIP-Einheiten ähnlich, der bei einer Verbesserung des Mundgesundheitszustands um einen Schritt beobachtet wurde. 4 Diskussion Die Einschätzung der Mundgesundheitssituation mittels einer Frage scheint für prothetische Patienten wichtige Informationen zur allgemeinen Bewertung der oralen Situation Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 9 des Patienten und seiner möglichen Veränderung infolge einer Behandlung zu liefern. Die Korrelation zwischen der Selbsteinschätzung der Mundgesundheit und dem Summenwert eines anerkannten Instrumentes zur Erfassung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität unterstützt diese Aussage. Somit scheint eine einzelne Frage gut in der Lage zu sein, die wahrgenommene Mundgesundheit eines prothetischen Patienten zu charakterisieren. Auch wenn man annimmt, dass einzelne Fragen (gegenüber Fragebögen mit vielen Items) anfälliger für Messfehler sind [15], so belegt die Korrelation mit dem OHIP-Summenwert die Validität der hier verwendeten Frage zur Selbsteinschätzung der Mundgesundheit. Unter der Annahme, dass ohne eine prothetische Therapie der Mundgesundheitszustand gleich geblieben wäre, zeigt die Veränderung der Selbsteinschätzung den Effekt der prothetischen Therapie. Die Veränderung des OHIP-Summenwertes zeigt, dass sich gleichzeitig die angegebenen Probleme wie erwartet verringern, was als ein wesentliches Ziel einer zahnärztlichen Therapie angesehen wird. Es liegen uns aktuell keine prospektiven Studien zu prothetischen Therapien vor, die die Selbsteinschätzung der Mundgesundheit als „globale“ Frage beinhalteten. Wir können aber unsere Ergebnisse bei den prothetischen Patienten mit Werten aus der Allgemeinbevölkerung vergleichen. Hier zeigte sich wie erwartet ein großer Unterschied. Prothetische Patienten schätzten ihre Mundgesundheit vor einer Therapie schlechter ein, als die Allgemeinbevölkerung. Dies ist nachvollziehbar. Patienten kamen wegen einer Therapie, d.h., sie suchten eine Behandlung auf Grund bestehender Probleme. In der Allgemeinbevölkerung ist der Anteil der Personen mit Problemen deutlich geringer. Personen in der Allgemeinbevölkerung sind durchschnittlich jünger als prothetische Patienten, somit ist auch der Anteil der Personen mit abnehmbarem oder totalem Zahnersatz deutlich geringer. Diese Per- 497 494-498.qxd 30.08.2006 11:31 Seite 498 D. Reißmann et al.: Bewertung prothetischer Therapieeffekte sonen haben aber die meisten Mundgesundheitsprobleme [3, 7]. Eine Untersuchung älterer Probanden (Altersspanne: 52-100 Jahre) zeigte im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung vergleichbare Ergebnisse in der Selbsteinschätzung wie die vorliegende Arbeit [12]. Betrachtet man die Veränderung des OHIP-Summenwertes, so sind unsere Ergebnisse vergleichbar mit einer Studie, die sich mit der Veränderung der Anzahl der Probleme der Patienten im Rahmen einer prothetischen Therapie beschäftigte [16]. Auch hier kam es zu einer signifikanten Abnahme. Auch bei Patienten, deren verkürzte Zahnreihe mit unterschiedlichen Therapieoptionen innerhalb einer randomisierten klinischen Studie behandelt wurde, war, wie in unserer Studie, eine klinisch relevante und statistisch signifikante Veränderung der MLQ zu beobachten [17]. Vergleicht man die Patienten unserer Studie mit anderen Untersuchungen, die das OHIP im deutschsprachigen Raum verwendet haben, so lag die Beeinträchtigung unserer Patienten vor einer Behandlung auf dem gleichen Niveau wie das von älteren Probanden in Alters- und Pflegeheimen [4]. Diese relativ hohe Beeinträchtigung unserer Patienten scheint nicht verwunderlich, da diese auch eine Behandlung für Ihre eingeschränkte Mundgesundheitssituation gesucht haben. Auf Grund der guten Übereinstimmung unserer Studienergebnisse und der Ähnlichkeit unserer Patienten mit anderen Populationen prothetischer Behandlungszentren, gehen wir von einer guten Verallgemeinerungsfähigkeit der Resultate aus. Unsere Studie hat aber auch Schwächen. So war es auf Grund der relativ geringen Anzahl von Patienten in den einzelnen Therapiegruppen nicht möglich, den Effekt des Therapiemittels auf die Veränderung der Mundgesundheit zu bestimmen. 5 Schlussfolgerung Zusammenfassend kann betont werden, dass psychosoziale Indikatoren der Mundgesundheit eine immer wichtigere Rolle in der Zahnmedizin spielen. Patienten-basierte und Patienten-orientierte „Outcomes“ werden immer öfter zur Evaluation zahnmedizinischer Interventionen eingesetzt. Prothetische Therapie hat für die große Mehrzahl der Patienten einen wesentlichen Gesundheitsnutzen. Umfassende Konzepte wie die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität erlauben es, diesen Effekt mess- und dokumentierbar zu machen und komplementieren damit klinische Indikatoren oraler Erkrankungen. Eine einzelne Frage zur Situation der Mundgesundheit ergänzt das umfassende Repertoire Patienten-orientierter Befunderhebung. Sie liefert eine einfach zu erhebende und leicht zu interpretierende Information über 498 die Selbsteinschätzung der Mundgesundheit sowie über deren Veränderung. Damit kann sie für die routinemäßige Befunderhebung und -dokumentation in der klinischen Praxis empfohlen werden. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. ❙ Allen F, Locker D: A modified short version of the oral health impact profile for assessing health-related quality of life in edentulous adults. Int J Prosthodont 15, 446-450 (2002) Allison P, Locker D, Jokovic A, Slade G: A cross-cultural study of oral health values. J Dent Res 78, 643-649 (1999) Bae KH, Kim C, Paik DI, Kim JB: A comparison of oral health related quality of life between complete and partial removable denture-wearing older adults in Korea. J Oral Rehabil 33, 317-322 (2006) Hassel A, Koke U, Schmitter M, Rammelsberg P: Factors associated with oral health-related quality of life in institutionalized elderly. 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