Produktionsintegrierter Umweltschutz Teil 1: PIUS – Mit weniger
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Produktionsintegrierter Umweltschutz Teil 1: PIUS – Mit weniger
04.10 Produktionsintegrierter Umweltschutz Teil 1: PIUS – Mit weniger mehr erreichen Produktionsintegrierter Umweltschutz (PIUS) bedeutet die Hinwendung vom nachsorgenden zum vorsorgenden Umweltschutz. Mit weniger mehr erreichen heißt Kostensenkung im Betrieb und gleichzeitig Entlastung der Umwelt. Stichworte: Produktionsintegrierter Umweltschutz (PIUS); nachsorgender Umweltschutz; Produktionsprozesse; Ressourceneinsatz; Wertschöpfungskette; Einsparpotenziale; Stoffkreisläufe; Emissionsminderung; Prozessoptimierung; Ressourceneffizienz; Ökoeffizienz. Nachsorgender Umweltschutz Der betriebliche Umweltschutz hat bisher hauptsächlich den nachsorgenden, also additiven Umweltschutz als Schwerpunkt. Bei der industriellen Produktion entstehende ökologisch bedenkliche Nebenprodukte werden durch der Produktion nachgeschaltete Prozesse separiert und neutralisiert. Als Beispiele seien hier nur Rauchgasreinigungs- oder Kläranlagen genannt. Diese Prozesse verlaufen weitgehend losgelöst von eigentlichen Produktionsprozessen, um die Emissionsgrenzwerte entsprechend den Richtlinien und Verordnungen einzuhalten, die den maximalen Schadstoffgehalt von Abwasser, Abluft oder Abfall definieren. .......... ....................................................................... In diesem Beitrag erfahren Sie: ! Wie sich PIUS vom nachsorgenden Umweltschutz unterscheidet, ! welche Ansätze und Ziele PIUS verfolgt, ! wie Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung von PIUS aussehen. ....................................................................... PETER JAHNS und HENNING H. SITTEL .......... Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum Teil 1: PIUS Letztendlich werden betriebliche Maßnahmen durchgeführt, die zwar die Symptome bekämpfen, an den Ursachen – also der Entstehung der Schadstoffe während des Produktionsprozesses – jedoch meist vorbei gehen. Zusätzlich fallen hierdurch in den Betrieben Kosten an, die nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beitragen. Der Bau einer Rauchgasreinigungsanlage auf Grund einer gesetzlichen Verordnung beispielsweise bedeutet Ausgaben, denen aus Sicht des Unternehmens zunächst 1 04.10 Teil 1: PIUS weil Schadstoffe gar nicht erst entstehen und somit nicht aufwändig entsorgt werden müssen, zum anderen ergeben sich durch eine Verringerung des Ressourcenverbrauchs und des Entsorgungsaufwandes effektiv Einsparpotenziale im Betrieb. Durch Kreislaufschließungen sind Mehrfachnutzungen der eingesetzten Ressourcen möglich, die Minimierung und Vermeidung des Einsatzes schadstoffintensiver Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe spart Kosten, und nicht entstehender Abfall muss nicht entsorgt werden. Hierdurch wird der Umweltschutz zu einem integralen Bestandteil der WertPIUS als ökonomische schöpfungskette. Zentrale Ansätze des und ökologische Chance Einen anderen Ansatz verfolgt das Prin- Produktionsintegrierten Umweltschutzes zip des Produktionsintegrierten Umwelt- sind: schutzes – kurz PIUS. Die Devise lautet: " Minimierung des Einsatzes von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen bei gleichVermeiden statt entsorgen. Der PIUS bleibender Produktqualität durch hat das Ziel, schon während des ProdukSteigerung des Prozesswirkungsrades. tionsprozesses " Einsatz der Hilfs- und Betriebsstoffe – den Ressourceneinsatz zu über einen längeren Zeitraum, also vermindern, Schließung von Stoffkreisläufen in – Kreisläufe zu schließen, der Produktion bzw. Mehrfachnut– Emissionen zu vermeiden. zungen. Durch den Einsatz von innovativen Fer- " Substitution von bedenklichen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen durch untigungs- und Prozessabläufen können gefährliche und möglichst auf Basis Arbeitsvorgänge effektiver gestaltet und von nachwachsenden Rohstoffen erkostenintensive, nachsorgende Maßnahzeugten Materialien. men vermieden werden. Zwei entschei" Weitgehende Emissionsminderung dende Vorteile ergeben sich gegenüber zur Minimierung des nachsorgenden dem nachsorgenden Umweltschutz: Umweltschutzes. zum einen wird die Umwelt entlastet, 2 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum kein betriebswirtschaftlicher Gewinn gegenübersteht. Darüber hinaus sorgen die Reinigungsmaßnahmen zwar für eine Entlastung des behandelten Mediums, verlagern aber die Schadstoffe und somit das Problem oft nur in einen anderen Bereich. So entstehen beispielsweise bei der Abwasserreinigung meist auch Abfallstoffe, die wiederum entsorgt werden müssen. Eine Schonung der Ressourcen wird in solchen Fällen nur im geringen Maße erreicht. ....................................................................... 04.10 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum Teil 1: PIUS Die Verringerung von kostenerzeugenden Emissionen einerseits und einer besseren Ausbeute der eingesetzten Rohstoffe andererseits bedeutet also nicht nur eine höhere Entlastung der Umwelt, sondern auch eine Nutzensteigerung für den Unternehmer. Die Tatsache, dass sich Umweltschutz nicht nur ökologisch lohnt, sondern auch wirtschaftlich rechnet, motiviert erfolgsorientierte Betriebe mehr als jede Verordnung oder Richtlinie. Produktionsintegrierter Umweltschutz birgt ein hohes Potenzial zur Prozessoptimierung. Was genau ist nun PIUS? Die Palette der Maßnahmen ist groß. Sie reicht von einfachen organisatorischen Aktivitäten bis hin zur Implementierung komplett neuer Fertigungstechnologien. Folgende Beispiele geben einen ersten Überblick über die vielfältigen Chancen und Möglichkeiten, die mit PIUS erreicht werden können. Hier wird deutlich, dass PIUS kein branchen- oder unternehmensspezifisches Instrument ist, sondern sich dadurch Potenziale zur Steigerung der Ressourceneffizienz in vielen Bereichen des produzierenden Gewerbes eröffnen lassen. ....................................................................... Emissionen (Abwasser, Abluft, Abwärme und Lärm) Rohstoffe Hilfsstoffe Vorprodukte Betriebsstoffe Energie Produktion:η Prozess 1 Prozess 3 Prozess 2 Prozess n Produkte Abfall ProduktionsIntegrierter UmweltSchutz: - Verbrauchs- und emissionsarme Prozessführung - Schadstoffarme Rohstoffe, Betriebsmittel und Produkte - Prozessnahe Kreislaufschließung Abb. 1: Vereinfachtes Fließschema PIUS, ® PIUS ist ein eingetragenes Warenzeichen der EffizienzAgentur NRW 3 04.10 Teil 1: PIUS Beispiele der erfolgreichen Umsetzung von PIUS Beispiel 1 Abb. 2: Präzitec, Einsatz des vibro-tec-Verfahrens zur Reinigung von ölbehafteten Werkstücken 4 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum Ein in Unna ansässiger Betrieb für Präzisionsbearbeitungstechnik und Werkzeugbau, der vorwiegend als Zulieferer für den Maschinen- und Anlagenbau sowie die Chemische Industrie tätig ist, konnte ein neuartiges Trockenreinigungsverfahren entwickeln. Hintergrund war, dass bei der herkömmlichen Befreiung der Werkstücke von Ölen, Kühlschmierstoffen und anderen Verunreinigungen sowohl per Nassreinigung als auch einer speziellen Blas-/Saug-Technik sehr viel Energie, Wasser und Platz gebraucht wurde. Zusätzlich sind belastete Wasser- und Ölschlämme angefallen – was natürlich mit hohen Kosten verbunden war. Das jetzt entwickelte Trockenreinigungsverfahren überwindet mit Hilfe von Schwingungen die Adhäsionskraft, also die Anhaftung von Ölen, Emulsionen und anderen Verunreinigungen an den Werkstücken. Das sogenannte vibro-tec-Verfahren arbeitet abwasserfrei und vermeidet unerwünschte Aerosolbildung. Das Ergebnis: 80 Prozent geringere Betriebskosten, keine zu entsorgenden Lösemittel und eine um- 04.10 Teil 1: PIUS Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum weltschonende Öl-Rückgewinnung von nahezu 100 Prozent. währende Reinigung nötig machte. Das bis dahin eingesetzte KationenaustauschVerfahren war aufgrund seiner hohen Kosten und dem Anfall großer Mengen Beispiel 2 schwermetallbelasteten Abwassers ökologisch und ökonomisch unattraktiv. Bei Ein mittelständischer Galvanik-Betrieb dem jetzt eingesetzten Verfahren der aus Bielefeld mit dem ArbeitsschwerElektro-Dialyse werden die Arbeitsbäder punkt der hochwertigen technischen Hartverchromung von Werkstücken ent- durch Entfernung bzw. Aufoxidierung der Fremdionen vor Ort gereinigt, was wickelte und implementierte das eigens entwickelte Verfahren der Elektro-Dialy- eine theoretisch unendliche Lebensdauer der Bäder zur Folge hat. Die entfernten se. Hintergrund war, dass während des Verunreinigungen werden elektrolytisch Verchromungsvorgangs der Elektrolyt durch Metallkationen verunreinigt wur- abgeschieden und recycelt. Vorteile sind vor allem der Wegfall von Abwasser und de, was sich negativ auf die AnwenKonzentraten sowie der reduzierte Rohdungsqualität auswirkte und seine fort- Abb. 3: Jatzke, Standzeitverlängerung durch Einsatz des Elektro-Dialyse-Verfahrens bei der Hartverchromung 5 04.10 Teil 1: PIUS Abb. 4: Vulkanfiber, UmkehrosmoseAnlage zur Abwasserbehandlung und Wasserkreislaufschließung 6 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum und Textilindustrie setzt die Membrantechnik zur Verbesserung der Produktionsprozesse ein. Hintergrund war die Suche nach einer Alternative zum herkömmlichen Fällungs- und Flockungsverfahren, mit dem das beim Pergamentiervorgang anfallende zinkchloridhaltige Abwasser vor der Ableitung in die Kanalisation behandelt wurde. Durch den Einsatz einer Umkehrosmose-Anlage mit einer Leistung von 5 m3 bei 300 m2 Membranfläche werden aus dem anfallenden Abwasser sowohl Reinstwasser für Spülzwecke als auch eine hochwertige Zinkchloridlösung für das Prozessbad zurückgewonnen. Das Ergebnis: Neben der Einsparung von Fällungs- und FlokBeispiel 3 kungsmitteln hat sich der Bedarf an Zinkchlorid durch die gezielte WertstoffEin Gelderner Zulieferer von Dichtungen, Webführungen und Stanzteilen aus rückgewinnung minimiert. Darüber hinVulkanfiber für die Automobil-, Elektro- aus entstehen dem Unternehmen dank stoff- und Chemikalieneinsatz. Es entstehen keine schwermetallhaltigen und kostenintensiv zu entsorgende Schlämme. Das Ergebnis: Eine jährliche Senkung der Betriebskosten um 90.000 DM. Große Mengen belasteten Abwassers und 7,5 t Schwermetall-Schlamm werden vermieden. Der jährliche Chemikalienbedarf wird um 25.000 kg reduziert, und statt 10.000 Liter Schwefelsäure werden nur noch 750 Liter unbedenkliche Zitronensäure eingesetzt. Durch den Einsatz einer computergesteuerten Kühlanlage schließlich konnte der Wasserverbrauch um 28.000 m3 reduziert werden. 04.10 Teil 1: PIUS Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum der Wasserkreislaufschließung und dem dadurch niedrigeren Bedarf an Brauchwasser geringere Kosten für die Enthärtung des Brunnenwassers. Beispiel 4 Im Obersontheimer Werk eines Herstellers von Reinigungssystemen werden Bauteile, die zur Pulverlackierung vorgesehen sind, in einer kombinierten Entfettungs- und Phosphatierungsanlage (Tunnelspritzverfahren) vorbehandelt. Bisher wurde die Entfettungs-/Phosphatierlösung nicht aufbereitet, sondern wöchentlich ausgetauscht. Dadurch ergab sich sowohl eine organische Belastung als auch große Menge des anfallenden Hydroxid- und Phosphatschlamms. Durch die Installation einer Mikro- und Ultrafiltration zur Standzeitverlängerung und Abwasserbehandlung und damit zusammanhängender Optimierungsschritte der Prozessabläufe konnten entscheidende Verbesserungen erzielt werden. Die Menge des Fällungsschlammes aus der nachgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage hat sich von über 5 t pro Jahr auf 180 kg pro Jahr reduziert. Nach der Einführung der Mikrofiltrationsanlage mit Keramikmodulen erhöhte sich die Standzeit des Vorbehandlungsbades um das 40-fache. Die Menge der mit hohen organischen Anteilen behafteten Phosphatierschlämme wurde um 46 Prozent verringert. Insgesamt ergibt sich für den Betreiber der Anlage eine jährliche Kostenersparnis von fast 60.000 DM. Durch den stark reduzierten Verbrauch von Einsatzchemikalien fallen mit 7.300 DM pro Jahr nur 15 Prozent der Kosten für diese an, der Wasserverbrauch wurde um 68 Prozent auf 1.000m3 pro Jahr gesenkt. Für die Mikrofiltrationsanlage ergibt sich eine Amortisationszeit von weniger als zwei Jahren. ....................................................................... Der PIUS-Check der Effizienz-Agentur NRW Um diese Entwicklung des Produktionsintegrierten Umweltschutzes am Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen gezielt zu fördern, wurde – bundesweit bisher einzigartig – 1998 von der Landesregierung NRW die Effizienz-Agentur NRW (www.efanrw.de) mit als erste Anlaufstelle zum Thema PIUS gegründet. Die vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (MUNLV) initiierte Agentur soll den PIUS-Gedanken vor allem bei kleineren und mittelständischen Unternehmen (KMU) bekannt machen, um seine vielfältigen Chancen zu erkennen und Potenziale zu nutzen. Die Effizienz-Agentur NRW stellt hierzu in thematischen Veranstaltungen und Veröffentlichungen erfolgreiche Referenzprojekte in den verschiedensten Bereichen vor. Schwerpunktthemen sind gegenwärtig Mem- 7 04.10 Teil 1: PIUS und Informationsvermittlung rund um das Thema PIUS. Darüber hinaus bietet sie den bewährten PIUS-Check an, ein Kooperationsprojekt der EFA gemeinsam mit dem Unternehmen, bei dem ein externer Berater die Stoffströme und Prozesse analysiert und erste PIUS-Potenziale aufzeigt. 70 Prozent der Kosten übernimmt die Effizienz-Agentur NRW. Natürlich erfordert der Produktionsintegrierte Umweltschutz ein grundleAbb. 5: Haus der Wirtschaftsförderung, Duisburg, Standort der EFA NRW 8 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum brantechnik, Ressourcenkostenrechnung und Stoffstrommanagement. In Projektforen zu verschiedenen Themen werden Netzwerke mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geknüpft, um Know-how-Transfer zu ermöglichen und Lösungsideen und -ansätze zum PIUS zu initiieren. Die Effizienz-Agentur NRW unterstützt die Unternehmen zum Beispiel durch ein kostenfreies Initialgespräch 04.10 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum Teil 1: PIUS Abb. 6: Umweltschutz-Investitionen in KMU; Quelle: Befragung von rund 1.400 KMU in Deutschland, 2000; Fraunhofer-Institut, ISI Karlsruhe gendes Umdenken und umfassende Überzeugungsarbeit. Doch selten wurden die Vorteile eines neuen Denkens so deutlich wie hier: Wenn Abfall meist nur der richtige Rohstoff am falschen Platz ist und Unternehmen und Umwelt glei- chermaßen von seiner Vermeidung profitieren können, dann ist jede Mark, die heute in vorsorgende Maßnahmen investiert wird, eine richtige Investition in die Zukunft. ....................................................................... 9 04.10 Teil 1: PIUS Zusammenfassung Die Umstellung vom nachsorgenden auf den vorsorgenden Umweltwichtiger Bestandteil zur nachhaltigen Entlastung der Umwelt. Diese Darstellung zeigt, dass schon viele Betriebe Investitionen in den Umweltschutz getätigt haben, aber auch noch ein großes Potenzial für weitere Maßnahmen besteht. PIUS soll aber nicht das Ende auf dem Weg zu einem effektiven, nachhaltigen Umweltschutz markieren. Neben der umweltverträglichen Gestaltung der Produktion müssen weitere Faktoren einfließen, die schließlich zum Ziel »Ökoeffizienz« führen. Produktintegrierter Umweltschutz, Ressourcenkostenrechnung oder effektives Stoffstrommanagement sind solche integralen Bestandteile einer ganzheitlichen Betrachtung auf dem Weg zur Ökoeffizienz. 10 Betriebliches Umweltmanagement – © Symposion Publishing Oktober 2001 – www.qm-trends.de/bum schutz mit Hilfe des Produktionsintegrierten Umweltschutzes ist ein