2 Epochen der Rechtsgeschichte
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2 Epochen der Rechtsgeschichte
Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp I GRUNDLAGEN 9 §1 EINFÜHRUNG 10 1. WAS IST RECHTSGESCHICHTE? 2. LEGITIMATION: WARUM RECHTSGESCHICHTE? 3. KONTEXT: VERHÄLTNIS ZUR RECHTSWISSENSCHAFT UND ZUR GESCHICHTSWISSENSCHAFT 4. RÄUMLICHER HORIZONT: „SCHWEIZERISCHE RECHTSGESCHICHTE?“ 5. ZEITLICHER HORIZONT: INTERESSIERENDER ZEITABSCHNITT? 10 10 10 10 10 §2 EPOCHEN DER RECHTSGESCHICHTE 11 1. GALLOROMANISCHE EPOCHE 1.1 BEGINN 1.2 ENDE DES RÖMISCHEN REICHS 1.3 PHASEN DES RÖMISCHEN RECHTS 2. FRÄNKISCHE EPOCHE 2.1 BEGINN 2.2 BURGUNDER 2.3 ALEMANNEN 2.4 FRANKEN 3. HOCH- UND SPÄTMITTELALTER 3.1 SCHOLASTIK 3.2 HEILIGES RÖMISCHES REICH 3.3 POLITISCHE HERRSCHAFT 3.4 DIE HABSBURGER 3.5 EIDGENOSSENSCHAFT 4. FRÜHE NEUZEIT 4.1 REFORMATION 4.2 NATURRECHT 5. GEGENWART 5.1 MENSCHENRECHTE 5.2 FRANZÖSISCHE REVOLUTION 5.3 KULTURKAMPF 5.4 RECHTSEINHEIT 5.5 SOZIALSTAAT 5.6 FRAUENEMANZIPATION 11 11 11 11 11 11 12 12 12 12 12 12 13 13 13 13 13 13 14 14 14 14 14 14 14 §3 RECHTSQUELLEN 15 1. ALLGEMEINES: GEWOHNHEIT, RECHTSPRECHUNG, GESETZ 2. RECHTSQUELLEN DER GALLOROMANISCHEN ZEIT 3. RECHTSQUELLEN DER FRÄNKISCHEN ZEIT 3.1 STAMMESRECHTE (LEGES BARBARORUM) 3.2 FRÄNKISCHE STAMMESRECHTE 4. RECHTSQUELLEN DES HOCH- UND SPÄTMITTELALTERS 4.1 UNIVERSALES RECHT 4.1.1 KIRCHENRECHT 4.1.2 WELTLICHES RECHT 4.1.3 LANDFRIEDEN 4.2 PARTIKULARES RECHT 15 15 15 15 15 16 16 16 16 17 17 1 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 4.2.1 WEISTUM 4.2.2 RECHTSSPIEGEL 4.2.3 STADTRECHTE 5. RECHTSQUELLEN DER FRÜHEN NEUZEIT 5.1 STADT- UND LANDRECHTSREFORMATIONEN 5.2 POLIZEIORDNUNGEN 6. RECHTSQUELLEN DER GEGENWART 6.1 KODIFIKATION 17 17 17 18 18 18 18 18 §4 ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER RECHTSWISSENSCHAFT 20 1. DIE WIEDERGEBURT DER RECHTSWISSENSCHAFT IN BOLOGNA 1.1 VORGESCHICHTE 1.2 DIE RECHTSSCHULE IN BOLOGNA 2. DIE REZEPTION DES RÖMISCH-KANONISCHEN RECHTS 2.1 ALLGEMEINES 2.2 DIE REZEPTION IN DER SCHWEIZ 3. DIE NATURRECHTSSCHULE 3.1 BEGRIFF UND HINTERGRUND 3.2 LEISTUNGEN DER NATURRECHTSLEHRE 3.2.1 IM VÖLKERRECHT 3.2.2 IM PRIVATRECHT 3.2.3 IM ÖFFENTLICHEN RECHT 3.3 NATURRECHT UND NATURRECHTSLEHRER IN DER SCHWEIZ 4. DIE HISTORISCHE RECHTSSCHULE (FRÜHES 19. J AHRHUNDERT) 4.1 DIE KRITIK AM NATURRECHT UND AM CODE CIVIL 4.2 DER KODIFIKATIONSSTREIT 4.3 DAS WISSENSCHAFTLICHE KONZEPT DER HISTORISCHEN RECHTSSCHULE 5. BEGRIFFSJURISPRUDENZ UND ANDERE ANSÄTZE 5.1 BEGRIFFSJURISPRUDENZ 5.2 RECHTSWISSENSCHAFTLICHER POSITIVISMUS 5.3 DIE PANDEKTISTIK 5.4 DIE SOZIALE RECHTSSCHULE 6. WAS BLIEB VON ALL DEM ÜBRIG? 7. RECHTSUNTERRICHT IN DER SCHWEIZ 7.1 DAS RECHTSSTUDIUM IM AUSLAND 7.2 DIE UNIVERSITÄT IN BASEL 7.3 RECHTSSCHULEN IN DER FRÜHEN NEUZEIT 7.4 UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT 20 20 20 20 20 21 21 21 22 22 22 22 22 22 22 23 23 23 23 24 24 24 24 25 25 25 25 26 II GESCHICHTE DES ÖFFENTLICHEN RECHTS 27 §1 DER BUNDESBRIEF VON 1291 28 1. DIE TRADITIONELLE INTERPRETATION 2. ANALYSE DER BESTIMMUNGEN 3. STRAFRECHTSHISTORISCHER KONTEXT: DIE FEHDE UND IHRE EINDÄMMUNG 4. VERFASSUNGSHISTORISCHER KONTEXT: POLITISIERUNG DES BÜNDNISSYSTEMS 5. PRIVATRECHTSHISTORISCHER KONTEXT: GRUNDHERRSCHAFT UND LEIBEIGENSCHAFT 28 28 28 29 29 §2 DIE STADT UND IHR RECHT 31 2 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 1. DIE ENTSTEHUNG DER STÄDTE 2. DIE ENTWICKLUNG DER PERSÖNLICHEN FREIHEIT 3. DIE ENTWICKLUNG DER POLITISCHEN FREIHEIT. 4. DIE RECHTSORDNUNG DER STADT 31 31 32 33 §3 REFORMATION UND STAATSKIRCHENRECHT 34 1. URSACHEN DER REFORMATION 1.1 VERFALLSERSCHEINUNGEN DER SPÄTMITTELALTERLICHEN KIRCHE 1.2 ERWACHEN DER TERRITORIALSTAATEN 1.3 ERSTARKEN DES BÜRGERTUMS 2. ENTSTEHUNG UND AUSBAU DES STAATSKIRCHENTUMS 3. VERFESTIGUNG DER KONFESSIONELLEN STRUKTUREN 34 34 34 34 34 34 §4 VÖLKERRECHT IN DER FRÜHEN NEUZEIT 36 1. DAS KRIEGSRECHT 2. DAS GESANDTSCHAFTSWESEN 3. DIE ANERKENNUNG NEUER STAATEN 4. HUGO GROTIUS UND DIE BEGRÜNDUNG DES VÖLKERRECHTS ALS WISSENSCHAFT 36 37 37 38 §5 DIE ENTSTEHUNG DES GELTENDEN VERFASSUNGSRECHTS 39 1. ALLGEMEINES 2. DAS POLITISCHE SYSTEM VOR 1798 2.1 DIE VERFASSUNG DER ALTEN EIDGENOSSENSCHAFT 2.2 DIE VERFASSUNGSSTRUKTUR DER EINZELNEN ORTE 2.3 GESELLSCHAFTLICHE ENTWICKLUNGEN AM VORABEND DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION 3. DIE HELVETIK 3.1 POLITISCHE EREIGNISSE 3.2 DER EINHEITSSTAAT NACH FRANZÖSISCHEM MUSTER 3.3 GESETZGEBUNG DER HELVETIK 4. DIE MEDIATION 4.1 DER POLITISCHE HINTERGRUND 4.2 DIE MEDIATIONSAKTE 5. DIE RESTAURATION 5.1 DIE POLITISCHE SITUATION 5.2 DER BUNDESVERTRAG VON 1815 5.3 DIE KANTONALEN VERFASSUNGEN 5.4 FORTSCHRITTE IN DIESER EPOCHE 6. REGENERATION 6.1 DIE POLITISCHE SITUATION 6.2 DIE VERFASSUNGEN DER REGENERATIONSKANTONE 7. DIE BV VON 1848 7.1. POLITISCHE UND MILITÄRISCHE EREIGNISSE 7.2 VERFASSUNGSINHALT 7.2.1 DAS ZWEIKAMMERSYSTEM 7.2.2 DAS DIREKTORIALSYSTEM 7.2.3 DIE BUNDESGERICHTSBARKEIT 7.2.4 DER ZWECKARTIKEL 7.2.5 DIE FREIHEITSRECHTE 8. DIE VERFASSUNGSREVISION VON 1874 39 39 39 39 40 40 40 40 41 42 42 42 43 43 43 43 44 44 44 44 45 45 45 45 46 46 46 46 46 3 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 8.1 ALLGEMEINES ZUR REVISION 8.2 DIE WIRTSCHAFTLICHEN ANLIEGEN 8.3 DIE RECHSTPOLITISCHEN ANLIEGEN 8.4 DIE STAATSKIRCHENRECHTLICHEN ANLIEGEN 8.5 DIE SOZIALEN ANLIEGEN 9. VERFASSUNGSENTWICKLUNG IM 20. JAHRHUNDERT 9.1 SOZIALE SICHERHEIT 9.2 POLITISCHE RECHTE 9.3 UMWELTSCHUTZ 9.4 BESTREBUNGEN ZUR VERFASSUNGSREVISION; BV 2000 46 47 47 47 48 48 48 48 48 48 III NEUERE STRAFRECHTSGESCHICHTE 50 §1 DIE STRAFRECHTSPFLEGE IM ZEITALTER DER LANDFRIEDEN 51 1. DER LANDFRIEDEN ALS VERSUCH ZUR EINSCHRÄNKUNG DER FEHDE 1.1 GERMANENSTÄMME: 1.2 FRÄNKISCHE ZEIT 2. DIE ENTSTEHUNG DER PEINLICHEN STRAFEN 2.1 TODESSTRAFEN 2.2 LEIBESSTRAFEN 2.3 ACHT UND VERBANNUNG 2.4 DIE EHRENSTRAFE 2.5 FREIHEITSSTRAFEN 3. SINN UND ZWECK DER PEINLICHEN STRAFEN 4. MILDERUNG DES STRAFSYSTEMS 4.1 RICHTEN NACH GNADE 4.2 ASYLRECHT 51 51 51 51 51 52 52 52 52 52 52 52 52 §2 MATERIELLES UND FORMELLES RECHT NACH DER REZEPTION 53 1. FORTSCHRITTE IN DER STRAFRECHTSDOGMATIK 1.1 ALLGEMEINES 1.2 VERSCHULDEN 1.3 VERSUCH 1.4 WEITERE LEISTUNGEN 2. DIE CONSTITUTION CRIMINALIS CAROLINA (1532) 3. DER INQUISITIONSPROZESS 53 53 53 53 53 53 53 §3 RANDGRUPPEN: VERFOLGUNG VON KETZERN, JUDEN UND HEXEN 55 1. EINLEITUNG 2. KETZERVERFOLGUNG 2.1 VORBEMERKUNGEN 2.2 KATARER (ALBIGENSER) UND WALDENSER 2.3 GEGENMASSNAHMEN DURCH KIRCHE 2.3.1 KIRCHLICHE ORDEN 2.3.2 MILITÄRISCHE GEWALT 2.3.3 GERICHTSHOF UND INQUISITION 2.4 INSBESONDERE ZUR INQUISITION 3. JUDENVERFOLGUNGEN 3.1 DATEN DER JÜDISCHEN GESCHICHTE 55 55 55 55 55 55 55 55 55 56 56 4 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3.1.1 SEPHARDIM 3.1.2 ASKENASIM 3.1.3 STELLUNG IN EUROPA 3.2 GESCHICHTE DER JUDEN IN DER SCHWEIZ 3.3 STELLUNG DER JUDEN IM MITTELALTER 3.3.1 ALLGEMEIN 3.3.2 JUDENVERFOLGUNG 1348/49 4. HEXENPROZESSE 4.1 FORSCHUNGSLAGE 4.2 TATBESTÄNDE DER HEXEREI 4.3 DATEN UND FAKTEN 4.4 ERKLÄRUNGSVERSUCHE 56 56 56 56 57 57 57 57 57 57 57 58 §4 DAS ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG 59 1. DER EINFLUSS AUF DIE THEORIENBILDUNG 1.1 DER STRAFZWECK 1.2 DAS LEGALITÄTSPRINZIP 2. DIE KRITIK AN DER ZEITGENÖSSISCHEN STRAFRECHTSPFLEGE 2.1 PROPORTIONALITÄT VON DELIKT UND STRAFE 2.2 MILDERUNG DES STRAFENSYSTEMS 3. DIE ANFÄNGE DER MODERNEN FREIHEITSSTRAFE 3.1 ALLGEMEINES 3.2 DAS HOUSE OF CORRECTION IN BRIDEWELL 3.3 DAS RASPELHAUS IN AMSTERDAM 3.4 DIE SCHELLENWERKE IN DER CH 59 59 59 59 59 59 60 60 60 60 60 §5 STRAFRECHT IM 19. JAHRHUNDERT 61 1. DER REFORMIERTE STRAFPROZESS 1.1 KRITIK AM INQUISITIONSPROZESS 1.2 DAS GRUNDPRINZIP DES REFORMIERTEN STRAFPROZESSRECHTS 1.3 DIE VERWIRKLICHUNG IM FRANZ. REVOLUTIONSRECHT: 1.4 DIE EINFÜHRUNG IN DEUTSCHLAND UND DER SCHWEIZ 2. BESTREBUNGEN ZUR MODERNISIERUNG DES FREIHEITSENTZUGES 2.1 MISSSTÄNDE IM STRAFVOLLZUG 2.2 DAS AMERIKANISCHE. EINZELHAFTSYSTEM 2.3 DAS PROGRESSIVSYSTEM 3. DAS EIDGENÖSSISCHE STRAFRECHT 3.1. STADTRECHTE UND LANDRECHTE 3.2 DAS STRAFGESETZBUCH DER HELVETIK 3.3 KANTONALE STRAFRECHTSKODIFIKATIONEN 61 61 61 61 61 61 61 62 62 62 62 62 62 §6 DAS SCHWEIZERISCHE STRAFRECHT IM 20. JAHRHUNDERT 64 1. DIE ENTSTEHUNG DES STGB 1.1 DER SCHULENSTREIT IN DER STRAFRECHTSWISSENSCHAFT 1.3 DIE GESETZGEBUNGSGESCHICHTE DES ST GB 2. DIE REVISION DES STGB 2.1 DIE REVISION VON 1971 ZUM STRAFVOLLZUG 2.2 DIE REVISION VON 1987 ZUM BT 2.3 DER ENTWURF VON 1993 ZUM SANKTIONENSYSTEM 64 64 64 64 64 64 64 5 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp IV NEUERE PRIVATRECHTSGESCHICHTE 65 §1 EINLEITUNG: ZUR TERMINOLOGIE 66 §2 DAS PRIVATRECHT VOR DER REZEPTION 67 1. ALLGEMEINES 2. DIE RECHTSFÄHIGKEIT 3. DAS FAMILIENRECHT 4. DAS ERBRECHT 5. DAS SACHENRECHT 6. DAS SCHULDRECHT 67 67 67 67 67 68 §3 DER BEITRAG VON GLOSSATOREN UND KONSILIATOREN 69 1. AUSGANGSPUNKT 2. GLOSSATOREN UND KONSILIATOREN 69 69 §4 DER BEITRAG DER KANONISTIK 71 1 FRAGESTELLUNG 2 KIRCHLICHE GERICHTSBARKEIT IM SPÄTMITTELALTER 3 SCHULDRECHT 4 EHE- UND FAMILIENRECHT 5 WEITERE RECHTGEBIETE 71 71 71 72 72 §5 FRANZÖSISCHE PRIVATRECHTSGESCHICHTE 73 §6 ENGLISCHE PRIVATRECHTSGESCHICHTE 74 1. ALLGEMEINES 2. ZUR REZEPTION 3. DAS COMMON LAW 3.1 CHARAKTERISTISCHES ZUM COMMON LAW 3.2 WIE IST DAS COMMON LAW ENTSTANDEN? 3.3 GERICHTSORGANISATION 4. EQUITY 74 74 74 74 74 74 75 §7 ANFÄNGE DES HANDELSRECHTS 76 1. FRAGESTELLUNG 2. HANDEL SEIT DEM SPÄTMITTELALTER UND IN DER FRÜHEN NEUZEIT 3. SPÄTMITTELALTERLICHES GEWOHNHEITSRECHT 3.1 ALLGEMEINES 3.2 AUSBILDUNG DES SEE- UND SEEHANDELSRECHTS 3.3 RECHT DES KAUFMÄNNISCHEN STANDES (HEUTE: HANDELSREGISTERRECHT) 4. GESETZGEBUNG IN DER NEUZEIT 5. HANDELSGESELLSCHAFTEN 5.1 EINLEITUNG 5.2 WURZELN UNSERES HEUTIGEN HANDELSRECHTS 76 76 76 76 76 77 77 77 77 77 6 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 5.3 WEITERE RECHTSQUELLEN 77 §8 DAS IUS COMMUNE 79 1. ALLGEMEINES 2. UMWELT DES IC 3. WICHTIGE VERTRETER DES IC 3.1 BENEDIKT CARPZOV (1595 – 1666) 3.2 GEORG ADAM STRUVE (1619 – 1692) 3.3 SAMUEL STRYK (1640 – 1710) 4. DOGMATISCHE LEISTUNGEN 4.1 ALLGEMEINE LEHREN 4.2 SACHENRECHT 4.3 OBLIGATIONENRECHT 79 79 79 79 79 79 79 79 79 80 §9 DER BEITRAG DES NATURRECHTS 81 1. ALLGEMEINES 2. DOGMATISCHE LEISTUNGEN 2.1 ALLGEMEINES 2.2 ALLGEMEINE LEISTUNGEN 2.3 KAUFVERTRAG 2.4 WEITERE LEISTUNGEN 3. NATURRECHTSKODIFIKATIONEN 3.1 DER GEISTESGESCHICHTLICHE RAHMEN 3.2 VORLÄUFER: BAYRISCHE KODIFIKATIONEN 3.3 DAS PREUSSISCHE ALLGEMEINE LANDRECHT 3.4 DAS ÖSTERREICHISCHE ABGB 3.5 DER CODE CIVIL 81 81 81 81 81 81 82 82 82 82 83 83 §10 RECHTSUNTERRICHT IN DER SCHWEIZ 84 1 ALLGEMEINES 2 RECHTSSTUDIUM IM AUSLAND 3 DIE UNI BASEL 4 RECHTSSCHULEN DER FRÜHEN NEUZEIT 5 UNIVERSITÄTSGRÜNDUNGGRÜNDUNGEN IM 19. JAHRHUNDERT 84 84 84 84 84 §11 PRIVATRECHT DER ALTEN EIDGENOSSENSCHAFT 86 1. ÜBERBLICK ÜBER DIE RECHTSENTWICKLUNG 2. DAS BEISPIEL BERN – DIE VERFASSUNGSRECHTLICHE SITUATION 86 86 §12 DIE KANTONALEN ZIVILRECHTSKODIFIKATIONEN DES 19. JAHRHUNDERTS 87 1. DER HISTORISCHE KONTEXT 1.1 DIE VERFASSUNGSPOLITISCHE SITUATION 1.2 DIE WIRTSCHAFTLICHE SITUATION 1.3. DIE RECHTLICHE SITUATION 1.4. DIE WISSENSCHAFTLICHE SITUATION 2. DIE ROMANISCHEN KANTONE 87 87 87 87 87 87 7 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3. DIE BERNER GRUPPE 4. DIE ZÜRCHER GRUPPE 5. KANTONE OHNE KODIFIKATION 87 88 89 §13 TENDENZEN DES PRIVATRECHTS IM 19. JAHRHUNDERT 90 1. DIE LEITENDEN POLITISCHEN IDEEN 1.1 LIBERALISMUS 1.2 KONSERVATISMUS 1.3 NATIONALISMUS 1.4 SOZIALISMUS 2. DIE ENTWICKLUNG DER TRADITIONELLEN PRIVATRECHTSGEBIETE 2.1 EHERECHT 2.2 ERBRECHT 2.3 SACHENRECHT 2.4 OBLIGATIONENRECHT 3. NEUE RECHTSGEBIETE DES 19. JAHRHUNDERTS 3.1 DAS ARBEITSRECHT 3.2 URHEBERRECHT 3.3 DAS PATENTRECHT 3.4 DAS MARKENRECHT 3.5 DAS RECHT DES UNLAUTEREN WETTBEWERBS UND DAS KARTELLRECHT 90 90 90 90 90 90 90 90 90 91 91 91 91 91 91 91 §14 DIE NATIONALEN VEREINHEITLICHUNGSBESTREBUNGEN 92 8 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp I Grundlagen 9 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §1 Einführung 1. Was ist Rechtsgeschichte? Rechtsgeschichte ist die Geschichte des geltenden Rechts. Wie ist das Recht, wie sind die verschiedenen Rechtsfiguren entstanden? Welches sind dabei die tragenden Ideen und Einflüsse? 2. Legitimation: Warum Rechtsgeschichte? Die Rechtsgeschichte erklärt uns die Vergangenheit. Sie erklärt uns unser Umfeld in der historischen Perspektive. Sie kann als vertikaler Rechtsvergleich gebraucht werden. Die Rechtsgeschichte dient als Verständnishilfe für das geltende Recht. Zudem wird bei der historischen Auslegung auf die Geschichte des Rechts abgestellt (Anwendung und Fortbildung des Rechts). Rechtsgeschichte ist Geisteswissenschaftliche Bildung. 3. Kontext: Verhältnis zur Geschichtswissenschaft Rechtswissenschaft und zur Rechtsgeschichte wird mit historischen Mitteln betrieben. Es ist also eine juristische Disziplin mit einer historischen Note. Wandel in der Geschichte betreffen auch die Gesetzesordnung (Bsp. Vereinigung Deutschlands). Rechtsgeschichte und die historischen Disziplinen stehen in einem Austauschverhältnis. 4. Räumlicher Horizont: „Schweizerische Rechtsgeschichte?“ Schweizerisches Recht ist zum Teil partikular und zum Teil von aussen beeinflusst. Die Schweiz hat an übernationalen Entwicklungen teilgenommen. Dasselbe gilt für die schweizerische Rechtsgeschichte. Rechtsgeschichte ist Geschichte des Austauschs. 5. Zeitlicher Horizont: Interessierender Zeitabschnitt? Antike Rechtsgeschichte Römisches Recht Mittelalterliche Rechtsgeschichte Franken Hoch- und Spätmittelalter Rechtsgeschichte der Neuzeit Frühe Neuzeit (16. – 18. Jahrhundert) Gegenwart (19. und 20. Jahrhundert) Die Epochen welche uns interessieren sind die I Galloromanische Epoche, II Fränkische Epoche, III Hoch- und Spätmittelalter, IV Frühe Neuzeit und V Die Gegenwart. 10 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §2 Epochen der Rechtsgeschichte 1. Galloromanische Epoche 1.1 Beginn In der Schweiz leben zu dieser Zeit die Helvetier. Diese werden von den Römern in das römische Reich integriert. 58 v. Chr. Unterwirft Cäsar die Helvetier bei Bibactre (im Burgund). Die Helvetier zogen auf der Suche nach Lebensraum ins Burgund. Bis zum Ende des 1. Jahrhunderts gehörte die ganze Schweiz zur Provinz Gallien. Die Integration ins römische Reich geschieht durch Bündnisse. Die Stammesführer erhalten das römische Bürgerrecht (so genannte Gallo-Römer). Es kommt zur Assimilierung mit dem sozialen und dem rechtlichen römischen System. Römer ziehen auch in die Schweiz. Sie bauen Strassen, gründen Städte (Avenches, Augst,…), bringen die Schrift, Latein und ein neues Währungs- und Rechnungssystem. 1.2 Ende des römischen Reichs Der Niedergang (Zerfall) erfolgt Schrittweise. Das zentralistische Staatsgebilde zerfällt von aussen nach innen und von innen nach aussen. Das militärische Niveau sinkt, da zu wenig professionelle Krieger vorhanden sind um das Reich gegen die Angriffe von allen Seiten zu verteidigen. Der Geldmangel führt zur Inflation. Dazu kommen Missernten, die Pest und alemannische Einfälle. Der ganze Zerfall dauert 200 Jahre. Die Römer in der Schweiz ziehen sich sukzessive wieder nach Italien zurück. 1.3 Phasen des römischen Rechts Wir unterscheiden das römische Recht in drei Phasen: • Recht der Republik (Mitte 1. Jahrhundert v. Chr.) • Klassisches römisches Recht (Mitte 3. Jahrhundert n. Chr.) • Nachklassisches römisches Recht (Ende Westrom, Justinian 6. Jahrhundert, Dominat) Von Bedeutung für die Schweiz sind die Phasen 2 und 3 (Prinzipat und Dominat). Im klassischen römischen Recht erfolgt die Rechtsbildung durch die Juristen (Prätor und freie Juristen). Die Römer denken vom Prozess her und nicht so sehr vom materiellen Recht. Das römische Recht hat also nur eine schwache Trennung zwischen materiellem und formellem Recht. Es war ähnlich dem heutigen Case-Law. Im nachklassischen römischen Recht wird das Gesetzesrecht wichtiger. Die freien Juristen haben keinen Platz mehr. Der Kaiser setzt Recht. Die Rechtskultur im westlichen Teil des Römischen Reiches geht unter, Im 4. Jahrhundert wurde das römische Reich von Kaiser Konstantin geteilt. In Ostrom blüht das Recht noch mal auf ( Codex Justinianus im 6. Jahrhundert). 2. Fränkische Epoche 2.1 Beginn Die Fränkische Epoche wird durch die Völkerwanderung im 5. Jahrhundert ausgelöst. Die Römer versuchen die ankommenden Völker abzuwehren (Limes = Grenzbefestigungen). 11 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 2.2 Burgunder Sie kommen aus Norddeutschland und siedeln in der Westschweiz und im Gebiet des heutigen Burgunds an. Im Burgundischen Reich leben Burgunder, Helvetier, Römer und Gallier. Jede Gruppe hat ihr eigenes Recht. 2.3 Alemannen Die Alemannen sind kein eigentliches Volk. Sie sind viel eher ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen. Sie ziehen nach Osten (Bayovaren), nach Westen (Franken) dann nach Süddeutschland und in die Deutschschweiz. 2.4 Franken Die Franken schlucken sukzessive die anderen Völker. Im 6. Jahrhundert die Burgunder, 740 schliesslich die Alemannen. Sie beherrschen grosse Teile Europas. Sie übernehmen viel von den Römern. Zum Beispiel die Besiedelungsform. Der Handel und die Landwirtschaft nehmen jedoch ab. Die Idee des Königtums wird von den Alemannen übernommen. Der König hat nicht so viel Macht wie der Kaiser im römischen Reich. Er erwirbt sich durch Geschenke an die Stammesoberhäupter deren Loyalität. Meist schenkt er Land. Später verschenkt der König das Land nicht mehr, sonder leiht es an die Stammesfürsten. So bindet er diese an sich. Die Stammesfürsten ihrerseits leihen das Land weiter an ihre Untertanen. So entsteht das Lehnwesen. An der Spitze der Lehnspyramide steht der König. In der mittleren Stufe sind die Stammesfürsten als Grundeigentümer. Am Fusse der Pyramide befinden sich die Hörigen, welche das Land nur bearbeiten. Der Staat im Mittelalter ist also quasi ein Personenverhältnis (Stammesfürsten – König). Die Stammesfürsten sind Grafen und Herzöge. Weitere Grundherren sind Abte und Bischöfe. Im Fränkischen Reich findet eine Christianisierung statt. Es werden überall Klöster gegründet. 3. Hoch- und Spätmittelalter 3.1 Scholastik Bildung gab es bis zum Spätmittelalter nur in Dom- und Klosterschulen. Nicht Geistliche und Frauen haben keinen Zugang. Im 14. und 15. Jahrhundert kommen die Stadtschulen auf. Es werden Methoden zur Wissenschaftsvermittlung erarbeitet. Diese Phase dauert 700 Jahre. Es entsteht eine Verschmelzung zwischen christlichem Glaubensgut und erkenntnistheoretischen Methoden der Antike (Plato, Aristoteles 3. Jahrhundert v. Chr.) Man will den christlichen Glauben verstehen. Die Bibel wird mit Platos und Aristoteles’ Methoden durchleuchtet: • Lesen Lectio • Fragestellung Questio • Unterschiede Distinctio • Synthese Aristoteles zeigt, wie man Widersprüche harmonisieren kann (These – Synthese – Antithese). Die ersten Juristen in Bologna Arbeiten mit den Methoden der Scholastik. 3.2 Heiliges römisches Reich Das heilige römische Reich entsteht mit der Krönung von Karl dem Grossen zum Kaiser (800). Er sieht sich in der Tradition der römischen Kaiser. Er will einen Gegenpol zum islamischen und zum oströmischen Reich schaffen. Der Kaiser ist Stellvertreter Gottes auf Erden für den weltlichen Bereich. 12 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Karl und seine Nachfolger sind König des Fränkischen Reichs und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Das Reich war eine Art Staatenbund. Bestehend aus Bistümern, Grafschaften,… Die Rechtsetzungskompetenz wird an die Herrscher der jeweiligen Gebiete delegiert. Der Kaiser ist zuoberst in der Lehnspyramide. In der Frühen Neuzeit lösen sich Teile vom Reich ab. Darunter zum Beispiel die Schweiz und die Niederlande. Das Reich wird auf ein Rupfgebiet bestehend aus Deutschland, Italien und Österreich beschränkt. Das Reich geht 1806 mit Napoleon unter. Der letzte Kaiser des Reiches ist Karl II. 3.3 Politische Herrschaft Man ging vom Lehnwesen zum Zentralstaat. Der Lehnsnehmer (Vasall) wurde Grundeigentümer. Er war der freie Eigentümer und übte die Gerichtsbarkeit aus. Er war Inhaber von Regalien. Es folgte die Zentralisierung von Rechten auf einzelnen zusammenhängenden Gebieten. Um diese Rechte zu verwalten, wurde ein Stab eingesetzt. 3.4 Die Habsburger Die Habsburger waren eine Herrscherdynastie wie zum Beispiel die Zähringer oder die Kyburger. Sie waren die ersten, welche „überregional“ tätig wurden. Rudolf von Habsburger war der erste König aus der Habsburgerdynastie. 200 Jahre später war der Habsburgische König auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Die Loslösung der Eidgenossen von den Habsburgern wurde nicht, wie oft gesagt und geglaubt erkämpft. Vielmehr war es so, dass die Habsburger viele Gebiete besassen und kein grosses Interesse an der Eidgenossenschaft mehr hatten und sie deshalb aufgab. 3.5 Eidgenossenschaft Die Eidgenossenschaft war erst ein Bündnisgeflecht. Im späten 15. Jahrhundert gab es eine Absetzbewegung vom Reich. Mit dem Schwabenkrieg und dem darauf folgenden Friede von Basel ist die Eidgenossenschaft unabhängig vom Reich und nicht mehr dem Reichskammergericht unterworfen. 4. Frühe Neuzeit 4.1 Reformation Die Reformation entsteht aus der Renaissance und dem Humanismus ( Frühaufklärung). Es kommt zu einer Aufspaltung der Kirche. Neu entsteht die reformierte Lehre. Diese will zurück zu den Quellen (zur Bibel) und der reinen christlichen Lehre. In der Folge entscheidet jedes Gebiet selbst zu welcher Lehre es gehen will. Es gilt: Cuius regio, eius religio. Wessen Herrschaft, dessen Religion. Die Religion wirkte in der Folge stark auf die Verfassungsentwicklung ein. Die Reformation war nicht die erste Bestrebung die Kirche zu „verändern“. Schon seit dem Mittelalter gab es Reformversuche. 4.2 Naturrecht Auch das Naturrecht ist eine Folge der Renaissance und des Humanismus. Es wird davon ausgegangen, dass es Grundregeln in der Rechtsordnung gibt, welche immer gelten (vorpositiv). Das Naturrecht begründet die Rechtsordnung neu. Der Autoritätsglaube aus dem Mittelalter verschwindet. Altes wird genau untersucht. Man versucht das Recht zu verstehen. Recht wird auch neu gesetzt. 13 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Im 16. und 17. Jahrhundert entsteht die moderne Naturwissenschaft, Erfahrung und Beobachtung verdrängen die Tradition als wichtigsten Anhaltspunkt. Es gilt denken statt glauben, Erfahrung statt Tradition und Induktion statt Deduktion. 5. Gegenwart 5.1 Menschenrechte Die elementaren Menschenrechte werden ins positive Recht übernommen. Der älteste Menschenrechtstext ist aus England. Es ist die Magna Charta Liberatum von 1215. 5.2 Französische Revolution Die Revolution beginnt 1789 und wird von Napoleon 1799 beendet. Erreicht wird die Abschaffung der Monarchie, eine ansatzweise Freiheit und Gleichheit. Privilegien werden abgeschafft. Dasselbe soll auch mit der Grundherrschaft passieren. Dies gelingt jedoch nur bedingt. Die Freiheit und die Gleichheit werden nur langsam vollzogen. Die Gesetze werden von einer Art Parlament erlassen ( Volkssouveränität). 5.3 Kulturkampf Kulturkampf meint den Kampf zwischen dem Liberalismus und der katholischen Kirche. Die Liberalen setzen sich ein für Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Industrialisierung. Sie lehnen den Führungsanspruch der Kirche in weltlichen Dingen ab. Sie wollen kirchliche Institutionen (Bsp. Ehe) staatlich machen. Dies wirkt sich auf die Verfassungsgebung aus. Der mittlere Teil Italiens wird Kirchenstaat genannt. Der Papst ist König und Kirchenoberhaupt zugleich. Als Folge des Kulturkampfs wird mit dem 1. Vatikanium (1870) die Unfehlbarkeit des Papstes erklärt. 5.4 Rechtseinheit Die Idee der Rechtseinheit ist eng verknüpft mit der Idee des Nationalstaates. In der Schweiz kommt die Rechtsvereinheitlichung auf nationaler Ebene erst sehr spät (1912 ZGB, 1942 StGB). 5.5 Sozialstaat Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Bürgerlichen- das 20. Jahrhundert dasjenige des sozialen Rechtstaates. Die Liberalen sahen den Staat als Nachtwächterstaat. Mit der Industrialisierung muss der Staat neue Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel dafür ist das erste Fabrikgesetz, welches 1877 in Kraft trat. Die soziale Sicherheit wird aufgebaut. Der Staat kümmert sich um Schwache ( Unfallversicherung, AHV, IV). 5.6 Frauenemanzipation Vor dem 19. Jahrhundert waren die Frauen im öffentlichen Leben nicht präsent. Für sie gab es keinen Platz in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Sie eroberten sich in der Folge ihre Rechte sukzessive. 1887 schloss E. Kempin Spyri als erste Jurastudentin der Schweiz ihr Studium ab. 1971 wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt. 14 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §3 Rechtsquellen 1. Allgemeines: Gewohnheit, Rechtsprechung, Gesetz Die Gewohnheit war eine wichtige Rechtsquelle. Sie wurde verbindlich und so entstand Gewohnheitsrecht, Das Gesetzesrecht war lange Zeit in Unterzahl. Heute wird die Rechtsprechung immer wichtiger, da der Richter viel schneller auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann als der Gesetzgeber. 2. Rechtsquellen der Galloromanischen Zeit Es gilt das römische Gesetzesrecht (nachklassisches Recht). Die Gesetze werden vom Kaiser erlassen. Im Gegensatz zu den Römern kennen die Germanen die Schrift noch nicht. Eine wichtige Quelle ihres Rechts ist die Germania des Tacitus. Tacitus war Stadthalter des Kaisers in der Provinz. In seinem Werk erzählt er, wie die Germanen mit ihrem Recht umgehen und dieses anwenden. Text 2 (Germania Auszug): • Das politische Gewicht bestimmt sich nach der sozialen Position • Es ist eine reine Männergesellschaft. Es gibt führende Männer und einen König. Es ist eine Art Oligarchie. Die soziale Position eines Mannes wird durch sein Verhalten im Kampf (Krieg) bestimmt. • Strafrechtliche Sanktionen sind die Todesstrafe und eine Art Schadenersatz. • Die Germanen werden als kriegerisches und faules Volk dargestellt. 3. Rechtsquellen der Fränkischen Zeit 3.1 Stammesrechte (Leges Barbarorum) Dieses Recht ist verschriftlichtes Recht der Stämme. Es ist eine Verschriftlichung von Gewohnheiten. Um zu wissen was gilt werden die Alten ( Rechtskundigen) befragt. Sie haben die meiste Erfahrung und kennen die Gewohnheiten. Stammesrechte haben oft idealtypischen Charakter. Das heisst sie sind eine Art „Wunschrecht“. Man hält darin fest, wie man es gerne haben möchte. Zum grossen Teil wird Strafrecht verschriftlicht. Nur zu einem kleinen Teil enthalten die Stammesrechte Privat- und öffentliches Recht. Ziel ist es Konflikte zu regulieren. Dazu verhelfen sollen Schadenersatz und Bussenkataloge statt die Fehde. Es gibt jedoch noch keine Vollzugsbehörde. 3.2 Fränkische Stammesrechte • • • • Lex Burgundonium (480 – 516). Fand Anwendung in der Westschweiz. Lex & Pactus Alamanorum (720). Galt in der Deutschschweiz. Lex Romana Curiensis (Ende 8. Jahrhundert). Angewendet im Graubünden. Edictus Rotari (643). Galt im Süden der Schweiz. Text 3 (Pactus Alamanorum): • Es ist eine ständisch gegliederte Gesellschaft. • Es wird nicht geheiratet. Der Vater gibt die Tochter mit einem Vertrag an den Ehemann. 15 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 4. Rechtsquellen des Hoch- und Spätmittelalters Im Zusammenhang mit der Aufteilung des Eigentums am Boden ( Lehnspyramide) setzten viele verschiedene Organe Recht für ihre Untertanen. Es war eine Phase der Rechtszersplitterung. Das Recht des kleineren Rechtskreises ging dem des grösseren vor. 4.1 Universales Recht 4.1.1 Kirchenrecht 1140 stellt Gratian, ein Mönch aus Norditalien, eine Quellensammlung des Gewohnheitsrechts der christlichen Kirche zusammen. Das Decretum Gratiani enthielt: • Bibelstellen • Kirchenväter • Konzilsentscheidungen • Päpstliche Entscheidungen (Decretale(n)) Gratian harmonisierte Widersprüche. Er arbeitete mit den Arbeitstechniken der Scholastik (These – Antithese – Synthese). Gratian ist der erste, welcher das Kirchenrecht so präsentiert. Sein Werk führt zur Entstehung der Kirchenrechtswissenschaft (z. Bsp. In Bologna). Das Decretum Gratiani wurde durch die Entscheidungen der Päpste sukzessive ergänzt. Die Dekretalen, welche nach 1140 erschienen, bezogen sich nun auf die Systematik des Decretum Gratiani. 1234 erschien die Liber Extra. Dabei handelt es sich um ein Buch, welches alle Dekretalen enthielt, welche nach 1140 erlassen wurden. Es kommen später noch andere Ergänzungen dazu, bis 1580 alles zum Corpus Iuris Canonici zusammengefasst wurde. Der Corpus Iuris Canonici bleibt bis 1917 (Codex Iuris Canonici) bestehen. Text 5 (Decretum Gratiani): Es werden die Unmittelbarkeitsmaxime Zeugenaussage formuliert. und die Psychologie der 4.1.2 Weltliches Recht Der Corpus Iuris Civilis entstand im 6. Jahrhundert in Ostrom. Kaiser Iustinian veranlasst im Zuge seiner Reichsreform eine Sammlung des römischen Rechts. Erfasst wurde überliefertes, aktuelles und geltendes römisches Recht. Tribunian leitete die Erstellung des Corpus Iuris Civilis. Zum Inhalt nahm er: • Die Institutionen (römisches Lehrbuch). Zum Vorbild nimmt er sich Gaius (2. Jahrhundert). • Digesten / Pandekten • Codex Iustinianus (Sammlung der Erlasse von Oströmischen Kaisern). Der Corpus Iuris Civilis ist 634 fertig gestellt. Er wird bis zum Untergang Ostroms weitergeführt. Die Nachfolgenden Erlasse werden bis 1453 in den so genannten Novellen gesammelt. Text 6 (Corpus Iuris Civilis): Hier wird die Anwaltsethik geregelt. Es werden Regeln aufgestellt, welche zum Teil bis heute noch Geltung haben. 16 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 4.1.3 Landfrieden Vorläufer der Landfrieden sind die Gottesfrieden (11. Jahrhundert Südfrankreich). Auf der Ebene des Reiches werden sie auch Reichslandfrieden genannt. Ihr Zweck ist die Sicherung des Friedens und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die Landfrieden enthalten gewisse Fehderegeln zur Eindämmung der Selbstjustiz. Der erste Reichslandfriede wurde 1103 von Heinrich IV. erlassen. Text 7 (Mainzer Reichsfrieden Kaiser Heinrichs IV. von 1103): Die Vasallen müssen den Landfrieden selbst durchsetzen. Es gibt kein Durchsetzungsorgan im Reich. 1195 wurde der letzte Reichslandfriede beschworen (auf ewig). 4.2 Partikulares Recht 4.2.1 Weistum Das Weistum war der Vorläufer des abstrakten Gesetzes. Das Gerichtsorgan sagt, was gilt. Bei unsicherer Rechtslage wird Gewohnheitsrecht angewendet. In der Schweiz werden sie Offnung genannt. Text 8 (Hofrecht für die Besitzungen des Klosters Engelberg im Zürich und Aargau, um 1300): • Der Abt hat das Recht der Verpflegung, er ist das Gericht, er sagt, wer mit wem heiraten darf (Genosssahme Ehe), Besthaupt (er bekommt das beste Vieh aus dem Stall, wenn ein Bauer stirbt) zudem erhält er die besten Kleider und andere Abgaben. • Die Eigenleute haben das Recht auf Bodennutzung und auf die Vererbung des Bodens für 9 Generationen. 4.2.2 Rechtsspiegel Rechtsspiegel sind Rechtssammlungen von Verfassern aus privater Initiative. Sie spiegeln das geltende Recht im weltlichen Recht (12. und 13. Jahrhundert). Eike von Repgow war ein Beisitzer bei Gericht. Er verfasste 1220 den Sachsenspiegel. Eine Sammlung des sächsischen Rechts. Er enthält das Recht der ländlichen Bevölkerung. Es gab einen Landrechts- und einen Lehnrechtsteil, welche Privatrecht, Eherecht,… enthalten. Die Gerichte in Saxen machten den Sachsenspiegel zur Entscheidungsgrundlage. Der Schwabenspiegel wurde 1275 verfasst. Er enthält Teile des Sachsenspiegels und süddeutsches Recht. Auch er wurde von den Gerichten angewendet und galt in Süddeutschland und in der Schweiz. 4.2.3 Stadtrechte Der Stadtherr verleiht Normen an eine Siedlung. Stadtrecht ist modernes Recht. Man kann es als eine Art frühes Verwaltungsrecht bzw. frühes Handelsrecht ansehen. Durch die Entwicklung der persönlichen und politischen Freiheit werden die Normen später von den Bürgern selbst erlassen (siehe § 6 „Die Stadt und ihr Recht“). 17 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 5. Rechtsquellen der Frühen Neuzeit 5.1 Stadt- und Landrechtsreformationen Reformation bedeutet eine Erneuerung der Gesellschaft. Neue Rechtsordnungen regeln die Gesellschaft neu. Das römische Recht wird in das partikulare Recht eingefügt. Alten Gedanken und Rechtsfiguren werden neue (römisch oder kanonisch Rechtliche) Namen gegeben. Von der Rechtsreformation nicht berührt ist das Familienrecht. Ganz im Gegensatz zum Schuldrecht, welches schon eine lange Tradition hatte. Auch das Prozessrecht wurde reformiert. Die Reformation dauerte von 1479 bis 1578. 1495 wird das Reichskammergericht ins Leben gerufen. Mit dem Friede von Basel 1499 trennt sich die Schweiz vom Reich. Somit untersteht sie nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts. Das Recht wird in der Folge in der Schweiz nicht reformiert. Das Reichskammergericht gab dem römischen Recht eine subsidiäre Bedeutung. Es kam nur zur Anwendung, wenn das lokale Recht keine Lösung bot. Text 12 (Freiburger neues Stadtrecht) 5.2 Polizeiordnungen Polizei stammt vom Wort Politeia, was Gemeinwesen bedeutet. Polizeiordnungen sind frühes öffentliches Recht. Hintergründe sind der Absolutismus und die kirchliche Reformation. Viele Dinge werden jetzt nicht mehr von der Kirche sondern von weltlichen Behörden geregelt (Bsp. Zinsen für Kredite). Es braucht also Normen für völlig neue Aufgabenbereiche. Der Absolutismus gibt jedem Hoheitsträger volle Souveränität. Die Polizeiordnungen regeln die Arbeit, den Handel und ethische Grundsätze (Bsp. Kinder dürfen Eltern nicht duzen). Die Flut von Polizeiordnungen wird im 18. Jahrhundert eingedämmt. 6. Rechtsquellen der Gegenwart 6.1 Kodifikation Die Kodifikation ist ein Gesetz, welches einen Rechtsbereich systematisch und annähernd vollständig regeln will. Der Begriff wurde von J. Bentham definiert und sollt eine Abgrenzung zum englischen Case-Law sein. Die Kodifikation hat also einen doppelten Anspruch. Einerseits die Vollständigkeit und andererseits die Systematik. Dies ergibt folgende Konsequenzen: • Es werden selbstverständliche Dinge geregelt. • Die Rechtsmaterien werden klar getrennt. • Der Richter wird zurückgedrängt. Ihm verbleibt nur noch eine Anwendungsfunktion. Von den Kodifikationen profitieren vor allem Bauern und Leute mit schlechter Rechtsstellung (Bsp. Juden profitieren). Historischer Hintergrund der Kodifikationen ist das Naturrecht der Frühen Neuzeit ( Methode der Deduktion), der Absolutismus ( der Herrscher hat die umfassende Gewalt zum Wohl der Bevölkerung Recht zu setzen). 18 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Der Codex Maximilianaeus (1756) war eine Vorläuferkodifikation. Die Zeit der Kodifikationen beginnt im 18. Jahrhundert. Die Grosse Kodifikationszeit ist das 19. Jahrhundert. Die Bedeutung der Kodifikation nimmt im 20. Jahrhundert wieder ab. Das Preussische Allgemeine Landrecht (1794) ist eine wichtige Quelle der deutschen Rechtsgeschichte. Es ist auch den Leuten ohne juristische Bildung leicht verständlich. Diese Kodifikation enthält Naturrecht und Preussisches Recht. Problemtisch ist, dass es ein vorrevolutionäres System festhält. Text 13 (Preussisches Allgemeines Landrecht (1794)): Das ALR will möglichst vollständig sein. Bei Lücken entscheidet eine Kommission. Von der Revolution geprägt führt der Code Civil 1804 eine neue Idee ein. Er ist ein Gesetzbuch des Bürgertums und soll Frankreich einigen. Es gibt keine Standesprivilegien und Grundherrschaften mehr. Zudem wird das Eigentum klar geregelt. Vor dem Code Civil war Frankreich zweigeteilt. Die Seine und die Loire trennten das Land. Im Norden galt das Droit Coutumier, im Süden das Droit Écrit. Mit den Ordonnances des Königs wurde das Recht allmählich vereinheitlicht. Mit dem Code Civil wurde diese Vereinheitlichung nun definitiv vollzogen. Der Code Civil war Vorbild für viele Kodifikationen in anderen Ländern. Text 14 (Code Civil (1804)): Mit dem Code Civil hat der Staat die Möglichkeit Teile des Rechts zu regeln, welche früher die Kirche regelte. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811). In der Schweiz entstehen in dieser Zeit aus Orten Kanone. Fast alle geben sich Kodifikationen. Diese sind meist beeinflusst vom Code Civil oder das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch. Auf Nationaler Ebene folgt 1881 das Obligationenrecht und 1912 das Zivilgesetzbuch. 19 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §4 Entstehung und Entwicklung der Rechtswissenschaft 1. Die Wiedergeburt der Rechtswissenschaft in Bologna 1.1 Vorgeschichte Mit dem Einfall der Germanen in das römische Reich geht das Recht (in Westrom) quasi unter. In Byzanz (Ostrom) lebt das Recht weiter (4. – 6. Jahrhundert). Dort entstand auch der Corpus Iuris Civilis. Mit dessen Tradition kam das Recht wieder nach Westeuropa zurück. Dadurch bleibt das Recht erhalten. Schulen gibt es erst mit den so genannten Artes Liberales (Artistenschulen). Es gibt folgende zwei Lehrgänge: • Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) • Quadrium (Geometrie, Arithmetik, Musik, Astronomie) Für uns ist vor allem die Rhetorik von Interesse, da dort auch juristische Texte vermittelt werden. 1.2 Die Rechtsschule in Bologna Sie wurde 1120 als Abteilung einer Artistenschule gegründet. Ende des 12. Jahrhunderts studieren in Bologna bereits über 1000 Studenten aus dem In- und Ausland. Es folgen auch andere Rechtsschulen in Norditalien und schliesslich auch im restlichen Europa (Frankreich, Spanien, England, Deutschland). Gelehrt wird vorwiegend Römisches Recht und Kirchenrecht. Dabei hat das Kirchenrecht zu Beginn Vorrang, da die ersten Schüler Kleriker sind. Es entsteht gelehrtes Recht und die Rechtswissenschaft lebt wieder auf. Gründe dafür: • Die Wiederentdeckung der Digesten. • Die Scholastik (Die Scholastik lehrt, wie man mit alten Texten umgeht. Die Texte werden dialektisch bearbeitet (These – Antithese Synthese)). • Norditalien erlebt im 11. und 12. Jahrhundert einen ökonomischen Aufschwung (Handel mit Asien). Es entstehen neue Rechtsfragen, welche geregelt werden müssen. • Die „Rom-Idee“. Man will das Reich der Antike fortführen. Zum Kaiser gehört das Römische Recht. 2. Die Rezeption des römisch-kanonischen Rechts 2.1 Allgemeines Rezeption ist die Aufnahme des gelehrten Römische und Kanonischen Rechts in die eigene Rechtsordnung. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit ersetzt das gelehrte Recht das Lokale oder wirkt zumindest darauf ein. Es findet eine Vermischung statt. Da alle dieselben Wissens- und Bildungshintergründe haben entsteht ein homogenes, gemeinsames Recht. Das Ius Commune. Dies bleibt bis zu den Kodifikationen bestehen. Die Kirche schickte die ersten Studenten an die Rechtsschulen und setzte diese dann auch ein (Verwaltung, Gerichte). Die Rezeption findet im weltlichen Recht also etwas später statt. In der folge findet in der Rechtspflege eine Verwissenschaftlichung statt. Die Rechtsschaffenden studieren nun. Dies führt zu einer Professionalisierung und zu einer Rationalisierung. 20 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Das römische Recht wurde in tradierter Weise vermittelt. Es wurde systematisiert und kommentiert. Primär wurde Privatrecht rezipiert. Dies passte zur damaligen Gesellschaft. Die Juristen sahen im Privatrecht die grösste Nutzanwendung im Privatrecht. Das Römische Recht ist Reichsrecht und gilt subsidiär. Statutarrecht (Stadt- und Landrecht) geht dem Reichsrecht vor (Statuta sunt stricte interpretanda). Neu Sachen dürfen nicht aus dem Statutarrecht, sondern müssen aus dem Römischen Recht genommen werden. Das Römische Recht (Reichsrecht) kann herangezogen werden, wie wenn es geltendes Recht ist. 2.2 Die Rezeption in der Schweiz Vor 1499 fand in der Schweiz eine intensive Rezeption statt. Nach dem Friede von Basel war die Schweiz nicht mehr dem Reichskammergericht unterstellt. Das Reichskammergericht wendete das Römische Recht an. Somit kam es in der Schweiz zu einer Zeit der extensiven Rezeption (1499 – 1798). Nach 1798 fand die Rezeption mittels der Pandektistik statt. Die Schweiz trat nach der Französischen Revolution aus ihrer Isolation. Man begann wieder im Ausland zu studieren. 3. Die Naturrechtsschule 3.1 Begriff und Hintergrund Naturrecht ist überpositives Recht, welches aus der Natur des Menschen stammt. Es wird ohne Gesetzgeber „erlassen“ und gilt zwischen den Bürgern und den Bürgern und dem Staat. Die naturrechtlichen Grundsätze gelten unabhängig vom geltenden Recht. Das Naturrecht hat Vorläufer. Thomas von Aquin (Verfasser der „Summe der Theologie“) nimmt die Ideen der Antike (Aristoteles, Cicero) und verbindet sie mit der Theologie. Die autoritätsgläubige Gesellschaft nimmt das Recht wie die Bibel. Das Recht bekommt eine grosse Bedeutung (Corpus Iuris Civilis und Decretum Gratiani Ratio scripta). In der Frühen Neuzeit verschwindet die theologische Ansicht. Auflösende Faktoren sind: • Die Aufklärung • Die Glaubensspaltung • Die Entdeckungen Wichtige Personen sind: • Hugo Grotius (16583 – 1645). Völkerrecht. • Samuel Pufendorf (1632 – 1694). Erster Professor für Naturrecht (in Heidelberg). • Thomas Hobbes (1588 – 1679). Die Grundregeln des Rechts werden im Naturrecht aus der Natur abgeleitet. Grundlage dafür sind der Humanismus und die Aufklärung. Überliefertes wird kritisch geprüft und nicht einfach hingenommen. Man geht von der Deduktion zur Induktion. Text 20 (Vom Wesen des Naturrechts (1673) von Samuel Pufendorf): • Absatz 3: „Schädigende niemanden“ Schadenersatzrecht 21 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3.2 Leistungen der Naturrechtslehre 3.2.1 Im Völkerrecht Der 30 Jährige Krieg dauert von 1618 bis 1648. Es brauchte ein Regelwerk um den Krieg zu beenden. Dies war die Geburt des Völkerrechts. Die Pacta Sunt Servanda brachte die Staaten dazu sich an das Völkerrecht zu halten. 3.2.2 Im Privatrecht Das Naturrecht spornte die Regenten an zu legiferieren. Dies führte zur ersten Kodifikationswelle. In der Allgemeinen Lehre wurde während der Zeit des Naturrechts das römische Recht weiter entwickelt. Weitere Leistungen sind die Vertragstreue, Schadenersatz und die Eigentumsfreiheit. 3.2.3 Im Öffentlichen Recht Hobbes’ Leviathan (Wie kann man Herrschaft erklären). Der Gesellschaftsvertrag ist ein fiktives Konstrukt. Die Menschen sind autonom, sie müssen aber in der Gesellschaft leben. Damit dies funktioniert müssen gewisse Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden. Es entsteht eine neue Theorie der staatlichen Gewalt. Der König ist der Souverän. Ihm wird die Freiheit übertragen. Um Gewaltmissbräuche zu verhindern wurden die Menschenrechte geschaffen. Zudem wurde das Strafrecht humanisiert. 3.3 Naturrecht und Naturrechtslehrer in der Schweiz Der Einfluss der Schweizer Naturrechtslehrer ist nicht zu verachten. Sie übersetzten vor allem Deutsche Werke. Diese werden von Rousseau gelesen und beeinflussen ihn. Seine Ideen bilden schliesslich das Grundgedankengerüst zur Französischen Revolution. Die wichtigsten Naturrechtslehrer in der Schweiz: • Jean de Barbeyrac (1674 – 1744). Er unterrichtete an der Akademie von Lausanne. Er übersetzte Grotius und Pufendorf. • Jean-Jacques Burlamaqui (1694 – 1748). Unterrichtete an der Akademie von Genf. Er verfasste die „Principes Du Droit Naturel“. • Emer de Vattel (1714 – 1767). Er schrieb die „Le Droit Des Gens“ ein wichtiges Völkerrechtslehrmittel. Text 21 (Principes Du Droit Naturel (1744) von Jean-Jacques Burlamaqui): • Auch im 18. Jahrhundert stützt man sich noch auf die Kirche. 4. Die Historische Rechtsschule (Frühes 19. Jahrhundert) 4.1 Die Kritik am Naturrecht und am Code Civil Napoleon herrschte über grosse Teile Europas. 1813 verlor er jedoch die Vielvölkerschlacht bei Leipzig. Seine Macht beginnt zu bröckeln. Welches Recht gilt nun für die Staaten, welche von Frankreich beherrscht wurden? 1806 schliessen sich die Deutschen Staaten zum Rheinbund zusammen. Sie nehmen den Code Civil an. Es blieb jedoch die Frage, was aus dem Code Civil nun auch wirklich galt. Gründe gegen den Code Civil: 22 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp • • • Die Franzosen sind weg und sollen weg bleiben. Man will sich auf allen Ebenen von Frankreich abwenden. Zudem soll ein deutsches Nationalgefühl aufgebaut werden. Der Code Civil war beeinflusst vom Naturrecht und der Revolution. Deutschland befindet sich jedoch in einer restaurativen Phase und will diese Grundsätze nicht. Dem Code Civil lag ein anderes Verständnis des römischen Rechts zugrunde als man im heiligen römischen Reich hatte. 4.2 Der Kodifikationsstreit Es geht um die Frage, ob und wie das Recht geschaffen werden soll. Den Streit tragen von Savigny und Tibaut aus. 1814 veröffentlicht Tibaut einen Aufsatz (Text 23: (Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland von A.F.J. Tibaut (Auszug))). In der Antwortschrift sagt von Savigny, dass die Zeit für eine Kodifikation nicht reif sei (Text 22: (Grundgedanken der Historischen Rechtsschule von Friedrich Carl von Savigny)). Die Mehrzahl der Rechtswissenschaftler schlug sich auf die Seite von Savigny. 4.3 Das wissenschaftliche Konzept der Historischen Rechtsschule Die Historische Rechtsschule ist die Gegenbewegung zur Naturrechtsschule. Eine Privatrechtskodifikation wird abgelehnt. Man sammelt und wertet alte Rechtsquellen aus. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: • Die Rechtsgeschichte als juristische Disziplin entsteht. • Es findet eine Rehabilitierung des römischen Rechts statt. • Die Historische Rechtsschule führt zu einer Erneuerung (Aufschwung) der Rechtsdogmatik. 1849 veröffentlicht von Savigny aufbauend auf den Pandekten „System des heutigen römischen Rechts“. Der Einfluss von Savignys ist auch in der Schweiz zu erkennen. J.C. Bluntschli (1808 – 1881) ist von Savignys Schüler. 1833 wird er Professor in Zürich. Er macht einen Entwurf für ein zürcherisches Privatrechtsbuch, welches 1854 in Kraft tritt. Es ist eine Mischung zwischen altem, überliefertem zürcherischem und modernem Recht. Dieses Privatrechtsbuch wurde Vorbild für viele Privatrechtskodifikationen. Unter anderem auch für das ZGB. 5. Begriffsjurisprudenz und andere Ansätze Ausgehend von der Historischen Rechtsschule entwickelten sich verschiedene Ansätze, aus welchen wiederum neue entstanden: • Begriffsjurisprudenz ( soziale Rechtsschule) • Pandektistik ( spätes Ius Commune) • Positivismus ( Gesetzespositivismus) 5.1 Begriffsjurisprudenz Das römische Recht (Digesten) war nur der Ausgangspunkt der Begriffsjuristen. Aus dem römischen Recht wurden durch Regeln des Naturrechts neue Normen entwickelt. Es entstand eine Begriffspyramide. Das zerlegen dieser Normen ist Arbeit der Begriffsjuristen. Text 24 (Cursus der Institutionen (1841/42) von Georg Friedrich Puchta) Es werden Begriffe für ein Privatrecht definiert (Debitor, Kreditor, Obligation…). 23 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Die Begriffsjurisprudenz führt zu einem Aufschwung der Privtrechtsdogmatik. Für die Begriffsjuristen gilt ein Rechtssatz nur wenn die Systematik und die Logik stimmen. 5.2 Rechtswissenschaftlicher Positivismus Der Rechtswissenschaftliche Positivismus leitet das Recht aus dem System, den Begriffen und den Lehrsätzen ab. Er lebt im 20. Jahrhundert weiter. Hintergrund sind die Philosophien von Kant (Trennung von Recht und Ethik). Das Recht ist Voraussetzung für Ethik. Es hat ein eigenes Dasein. Eine ethische Legitimation ist nicht nötig. August Comte begründet eine neue Lehre der Gesellschaft (sog. „Philosophie Positive“). Die Soziologie wird durch empirische Beobachtungen begründet. Aus ihnen sollen Gesetzmässigkeiten entdeckt werden. Diese Methode wird von der Jurisprudenz aufgegriffen. Ihre Aufgabe ist das Recht begrifflich zu erfassen und systematisch zu ordnen. Der Richter muss Recht nicht fortbilden, sondern nur anwenden (Subsumtion). Für den Gesetzespositivismus ist nur wichtig, dass das Recht im richtigen Verfahren erlassen wurde. Es gibt keine materielle Legitimation (Bsp. Der NS-Staat). Mit dem Ende des 2. Weltkrieges ist auch die Zeit des Gesetzespositivismuses fertig. 5.3 Die Pandektistik Sie geht von Savigny und dessen „modernes Römisches Recht“ aus. Die Pandektisten wollen auf der Grundlage des Corpus Iuris Civilis ein Rechtssystem aufbauen, welches der Gesellschaft entspricht. Sie nutzen dazu die Mittel der Begriffsjuristen. Durch die Verbreitung entsteht so etwas wie ein spätes Ius Commune. Die Pandektistik ist Grundlage für das BGB. Damit schaufelte sie sich jedoch ihr eigenes Grab, da die Schüler von nun an das Gesetz und nicht mehr die Lehrbücher studierten. Das Gesetzesrecht wird Lerninhalt. Das Römische Recht historische Disziplin. Wichtige Pandektisten sind: • Karl Adolf Vangerow (1808 – 18070) • Ernst Immanuel Bekker (1827 – 1916) • Friedrich Keller (1799 – 1860) • Johann Caspar Bluntschli 5.4 Die soziale Rechtsschule Die industrielle Revolution veränderte die Arbeitsbedingungen von vielen Leuten. Das Eigentum war frei und kannte keine Schranken. Die Fabrikbesitzer wollten sich nicht einschränken lassen. Die soziale Rechtsschule (begründet von Otto von Giereke) bringt neue Ansätze. Sie kritisiert schon früh das BGB. Das Eigentum gibt Rechte. Es verpflichtet jedoch auch. Text 26 (Die soziale Aufgabe des Privatrechts von Otto von Giereke): • Giereke wehrt sich gegen das Recht, wo der Einzelne keine Rechte hat und wo der Einzelne alle Freiheiten hat. • Die Autonomie muss seiner Meinung nach leicht eingeschränkt werden. Er schafft die Grundlage für unser soziales Privatrecht und das Sozialrecht. 6. Was blieb von all dem übrig? Rezeption: Weitergabe von Römischem Recht. Naturrecht: Menschenrechte, Gewaltenteilung, Gesellschaftsvertrag, Kodifikation. Begriffsjurisprudenz: Privatrechtsdogmatik 24 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Historische Rechtsschule: Gewachsenes Recht berücksichtigen. Pandektistik: „Europäisches Privatrecht“. Soziale Rechtsschule: Soziales Privatrecht, Sozialversicherungsrecht. 7. Rechtsunterricht in der Schweiz 7.1 Das Rechtsstudium im Ausland Im Spätmittelalter war die einzige Möglichkeit in der Nähe der Schweiz zu studieren in Oberitalien. In einer ersten Phase studieren Kleriker in Bologna. Zurück in der Schweiz arbeiten sie dann in kirchlichen Gerichten. In einer zweiten Phase kommen Söhne aus reichen Familien (Patrizier). Nach ihrem Studium bekleiden sie Stellen als Stadtschreiber oder in der Politik. Im 15. Jahrhundert verlagert sich das Studium auch ins übrige nahe Ausland (Paris, Avignon, Freiburg und Tübingen). Es wird rezipiertes Römisches Recht gelehrt. Dies führt in der Schweiz zu einer Frührezeption. Diese hält bis 1499 an, wo sich die Schweiz dann vom Reich trennt. In der Folge studieren weniger Schweizer im Ausland und das Niveau der Rechtspflege sinkt. Diese Situation ändert sich erst im 18. Jahrhundert wieder (Blütezeit des Naturrechts, später der Pandektistik). Man studiert vermehrt wieder im Ausland. Meist in Deutschland. 7.2 Die Universität in Basel Die Universität in Basel wurde im 15. Jahrhundert gegründet. Die Gründung ging zurück auf das Konzil von Basel (1432). Junge Kleriker können Theologie und Recht studieren. Als Abschluss wird der Doktortitel von Paris oder Bologna verliehen. 1449 ist die Zeit der Konziluniversität vorbei. Im Anschluss wird 1460 die Universität gegründet und der Papst wird um Erlaubnis gefragt. Text 18 (Papst Pius II stiftet die Universität Basel (1459)): Bologna ist wieder Vorbild für Universitäten. Es wird Kanonisches, später Römisches Recht unterrichtet. Die Blütezeit der Universität Basel ist im Humanismus, als Erasmus von Rotterdam hier unterrichtet. Ab 1550 nimmt das Niveau des Unterrichts ab. 7.3 Rechtsschulen in der Frühen Neuzeit In manchen (Protestantischen) Städten entstehen Rechtsschulen. Die Städte müssen sich um die Ausbildung der Pfarrer kümmern. Deshalb werden theologische Lernanstalten gegründet. Sie werden den Lateinschulen angegliedert. In der Folge schicken Patrizierfamilien ihre Söhne an diese Schulen. Es entsteht ein Phänomen der Ausdifferenzierung. Zur Ausbildung gehört nun auch Recht, da dies zur Ausübung politischer Ämter, welche die Patrizier bekleiden, nützlich ist. Man lehrt nach deutschen Naturrechtsbüchern und der Differenzmethode (Unterschied zwischen gelehrtem und lokalem Recht). Wichtig war die Rechtsschule in Genf. Sie nahm nach dem Widerruf des Ediktes von Nantes (1685 keine Religionsfreiheit mehr) auch Hugenotten auf. Die Rechtsschule war wichtig für die gebildeten Hugenotten. Es kamen auch viele Studenten aus dem Ausland. 25 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 7.4 Universitätsgründung im 19. und 20. Jahrhundert Alle Universitäten bauen auf bestehenden Akademien auf. Die Fakultäten sind Weiterführungen von Rechtsschulen. Die Universitäten in Zürich (1833) und Bern (1834) entstehen in der Regenerationszeit. Der Liberalismus will Bildung einer neuen Elite vermitteln. Es soll zu einer Umverteilung der Bildung und der Macht kommen. Die Liberalen wollen liberale Führer ausbilden. Die Universitäten orientieren sich am Prinzip der deutschen Universitäten (Prinzip der Freiheit keine Zwischenprüfungen dann Doktorat). Die Selbstverwaltung der Universitäten entspricht der liberalen Schweiz und geht zurück auf W. von Humboldt (preussischer Bildungsminister), welcher für die Einheit von Lehrer und Forscher einstand. Gut 50 Jahre später wurde die Universität in Fribourg gegründet (1889). Sie baute auf der städtischen Schule auf. Georges Python wollte damit das Bildungsdefizit der Katholiken beseitigen. Die katholische Kirche machte jedoch nicht aktiv mit. 26 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp II Geschichte des öffentlichen Rechts 27 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §1 Der Bundesbrief von 1291 1. Die traditionelle Interpretation Rudolf von Habsburg knechtete mit seinem Vogt die Leute in der Innerschweiz. Hans Schriber schildert in seinem Buch (das Weisse Buch von Sarnen 1470) die Entstehung der Eidgenossenschaft als Bündnis gegen den Tyrann. Dieses Bündnis wurde mit dem Rütlischwur zwischen Uri, Schwyz und Unterwalden besiegelt. Die Geschichte von Willhelm Tell hat Schriber aus Dänemark. Dort gab es eine Geschichte von einem Helden namens Toko. Mit der Uraufführung von Schillers Willhelm Tell 1804 blüht diese Interpretation wieder auf. Dieses Werk trug auch zu der Legendenbildung. Diese Legende wurde von General Guisan in den 1930er Jahren benutzt um den Widerstandswille der Schweizer zu wecken (1949 Versammlung der Militärs auf dem Rütli). Die Innerschweiz konnte sich von den Habsburgern lösen, da diese expandierten und ihre Aufmerksamkeit nicht mehr gross auf die Schweiz legten. 2. Analyse der Bestimmungen Text 27 (Übersetzung des Bundesbriefes von 1291): Gegenstände des Bundesbriefes sind • Die Eindämmung der Selbstjustiz Mord, Raub, Brandstiftung und Pfändung (Artikel 6 – 9) sind die klassischen Mittel der Fehde. Sie werden nun sanktioniert. • Die Gerichtsorganisation Somit brauchte es auch Organe (Gerichte) zur Streitbeilegung. Die Gerichte behandelten straf- und zivilrechtliche Konflikte. Es wird auch eine Rechtshilfe unter den Talschaften statuiert (Artikel 1). • Und die Wahrung bestehender Herrschaftsrechte Die Grundherren werden mit dieser Bestimmung beruhigt. Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. 3. Strafrechtshistorischer Eindämmung Kontext: Die Fehde und ihre Das Kollektiv hatte zu dieser Zeit noch kein Gewaltmonopol. Es gab keine Organe zur Rechtdurchsetzung. Jeder verschaffte sich selbst zu seinem Recht. Die Fehde war das einzige Rechtdurchsetzungsmittel, welchem sich die Leute bedienen konnten. Die Gewaltanwendung (Fehde) war erlaubt zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Jeder war bei der Durchführung von Fehdehandlungen verpflichtet die Sippe zu unterstützen. So führten die Fehden zu regionalen Konflikten. Warum kam es zur Fehde? • Generelle Rechtsunsichertheit Es war nicht klar, wem Grund und Boden gehören und es wurde um die Berechtigung daran gestritten. Es fehlte auch ein allgemeiner Eigentumsbegriff. Eigentum entstand durch Arbeit (Rodung) oder Verleihung. • Mangelhafte Gerichtsorganisation 28 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Wer regierte konnte Recht sprechen. So überlagerten sich die Gerichtskompetenzen der verschiedenen Regenten (Kaiser, Könige, Adlige...). Es gab also keine andere Möglichkeit, als mit der Fehde seine Ansprüche durchzusetzen. Es gab wenigstens gewisse Fehderegeln wie zum Beispiel die Reziprotitätsregel. Danach durfte nicht mehr geschadet werden, als einem selbst geschadet wurde. Die Fehdeeindämmung nimmt der lokale Machtinhaber vor ( Stadt-; Landfrieden). Der Bundesbrief kann als eine Art vorstaatliches Strafrecht angesehen werden. 4. Verfassungshistorischer Bündnissystems Kontext: Politisierung des Mit dem Ausdruck „fremde Richter“ in Artikel 4 des Bundesbriefes sind nicht zwingend Habsburger gemeint. Vielmehr war es so, dass die kommunalen Verbände das Recht selbst anwenden wollten. Die Konflikte zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern gipfelten in der Schlacht bei Morgarten 1315. In der folge werden viele Bündnisse geschlossen (Seite 59 Skript). Es entsteht ein Bündnisgeflächt, mit dem die Orte miteinander verbunden sind. Diese Struktur bildet dann auch die Verfassungsgrundlage bis 1798. Die Bündnisse dienen dazu die ausländischen Herrscher fern zu halten. So bekam der Bundesbrief eine neue Bedeutung. Es ging nun nicht mehr um die Fehdeeindämmung, sondern um den Schutz gegen aussen. In der Mediatisierung (Spätmittelalter) verliert das Reich an politischer Durchsetzungskraft. Die Vasallen (Fürsten, Könige, Herzöge,…) nehmen die Macht an sich und unterwerfen die lokalen Herrschaften, welche ihre Autonomie damit verlieren. Es entsteht eine mittlere Herrschaftsschicht. Mit den Bündnissen wollen sich die Städte gegen die Habsburger sichern, welche im Zuge der Mediatisierung ihre Herrschaft weiter ausbauen. 5. Privatrechtshistorischer Leibeigenschaft Kontext: Grundherrschaft und Wie oben beschrieben, stellt der Artikel 3 des Bundesbriefs ein Beruhigungsmittel für die Grundherren (Klöster, Adlige) dar, welche von ihrer Grundherrschaft leben. Die Grundherrschaft bedeutet zweierlei: • Herrschaft über Grund und Boden ( Privatrecht) • Herrschaft über die Personen welche den Boden bewirtschaften ( öffentliches Recht) Die Eigentumsfrage an Grund und Boden bestimmt die ökonomische und die soziale Stellung der Leute. Rechtstellung der Hörigen: • Pflichten Erbrecht des Grundherrn: Stirbt der Grundrechtsnehmer so wird das Recht weitervererbt. Die Nachkommen müssen jedoch das beste Tier im Stall dem Grundherrn überlassen. Grundzins: Ein Zehntel des Ertrages muss dem Grundherrn abgegeben werden. Davon leben die Grundherren. Gerichtsbarkeit: Der Grundherr übt die Gerichtsbarkeit aus. 29 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Beschränkung der freien Ehe: Es darf nur innerhalb derselben Grundherrschaft geheiratet werden. So wird verhindert, dass die Fahrhabe in eine andere Grundherrschaft gelangt. Treu und Gehorsam. • Rechte Vererbliches Nutzungsrecht: Der Boden bleibt in der Familie und darf auch von den Nachfahren bewirtschaftet werden. Schutz und Schirm. Flüchteten die Hörigen in die Städte (sog. Landflucht) konnte der Grundherr sie noch ein Jahr lang vom Stadtherrn herausverlangen und zurückholen. In Frankreich wurde dieser Feudalismus mit der Revolution abgeschafft. Damit entstand die persönliche Freiheit der Leute. In der Schweiz verlief diese Entwicklung anders. Die Ablösung der Grundherrschaft begann schon im 13. und 14. Jahrhundert. Die Adeligen hatten schon früh keine Bedeutung mehr. Die Familien starben aus oder der Adel wurde mediatisiert. Somit gab es auch keine Grundhörige mehr. Schon damals galt die Schweiz als freies Land, da in der Innerschweiz ein Grossteil frei war. Weitere Schritte zur Ablösung der Grundherrschaft folgten mit der Reformation ( Klöster verlieren in reformierten Gebieten die Grundherrschaft) und mit der Helvetik (19. Jahrhundert). Der Freie untersteht keinem Hofgericht und ist nicht unter der Herrschaft des Grundherrn. 30 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §2 Die Stadt und ihr Recht 1. Die Entstehung der Städte Ein Grossteil der Städte entstand im Hochmittelalter. Es fand eine Welle von Städtegründung statt. Es gibt jedoch auch später erfolgende Städtegründungen (Bsp. Agglomerationen). Bereits die Römer bildeten in den Bereichen der Provinzen Städte zur Verteidigung. Mit dem Zerfall des römischen Reiches gingen diese wieder unter. Die Germanen konnten mit der Lebensweise in der Stadt nichts anfangen. Sie lebten mehr oder weniger verstreut auf dem Lande (Streusiedlungen). Dörfer wurden auch erst im 12. Jahrhundert gegründet. Einige Römerstädte überdauerten den Reichsuntergang. Meist weil sich dort auch Bischofssitze befanden. Die Städtegründungswelle erfolgte aufgrund der Bevölkerungszunahme in Europa. Es braucht immer grösseren Landwirtschaftlichen Ertrag um die Bevölkerung zu ernähren ( Effizienz durch Dreifelderwirtschaft). Es braucht einen Umschlagsplatz für die landwirtschaftlichen Güter. So entstehen Marktsiedlungen. Hier wohnen die Händler und die Handwerker. Die Marktsiedlungen liegen an verkehrstechnisch gut erschlossenen Orten (Strassen, Flüsse...). Der Landesherr gründet solche Städte um am Markt zu verdienen. Er kann Abgaben verlangen. Städtegründungen sind auch Ausdrücke der Mediatisierung. Der Landherr wird immer wichtiger. 2. Die Entwicklung der persönlichen Freiheit Im Gegensatz zu den Leuten auf dem Land sind die Leute in der Stadt frei. Sie sind also keinem Grundherrn unterworfen ( „Stadtluft macht frei“). Diese Freiheit ergab sich jedoch nicht automatisch. Im Anfang der Städte setzte sich die Bevölkerung wie folgt zusammen. Beamten der Stadtherren ( Burgpersonal), die Betreiber und Bewohner der Fronhöfe (Landwirtschaftliche Güter in der Stadt), die Mönche, die Kaufleute welche Handel trieben, die Juden. Den grössten Teil der Bevölkerung machte jedoch die abgewanderte Landbevölkerung aus. Nach 1 Jahr und 1 Tag wechselten sie von der einen Grundherrschaft in die andere. Der frühere Grundherr konnte sie nicht mehr zurückfordern. Sie betätigten sich in den Städten als Handwerker. Sie waren Hörige des Stadtherrn. Der Stadtherr war: • Der Kaiser (er kann sagen wo Stadtmauern gebaut werden ( Befestigungshoheit). • Die Vasallen (erhalten das Recht vom Kaiser). Die Rechtsstellung der Hörigen in der Stadt war gleich wie diejenige der Hörigen auf dem Lande. Es fand jedoch ein Emanzipationsprozess statt, wo der Stadtherr die Hörigen sukzessive in die „Freiheit entlässt“ ( persönliche Freiheit). Dieser Prozess der persönlichen Emanzipation wird veranlasst von der politischen Emanzipation der Stadt. Der Stadtherr verliert immer mehr politische Macht und Rechte. Die Stadt löst sich vom Stadtherrn. Die Städte werden zu Inseln der Freiheit in einer sonst feudalistischen Umgebung, da der Emanzipationsprozess schneller voran geht als auf dem Lande. Der Rechtstatus des Freien zeichnet sich aus durch: 31 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp • Sie könne selbst über das verfügen, was sie verdienen. • Keine Pflicht zur Ehe. • Es gibt keine Erbvorschriften mehr. Da keine Abgaben mehr geleistet werden müssen, können die Familien Kapital anhäufen und an die Kinder weitervererben. Auch die Stadt profitiert davon, da sie mehr Steuereinnahmen hat. 80 – 90% der Leute leben jedoch immer noch auf dem Lande. Die Städte waren sehr klein (meist nicht mehr als 2000 Einwohner). Köln war mit 40000 Einwohnern die grösste Stadt des Reiches. Eine besondere Kategorie der Stadtbewohner waren die Ausbürger. Das Bürgerrecht der Stadt wurde mit dem Bau eines Hauses auf Stadtboden erworben. Das Stadtrecht wurde jedoch auch Leuten verliehen, welche ausserhalb der Stadt bauten. Es war interessant ein Bürgerrecht der Stadt zu haben, da man in Krisenzeiten in die Stadt ziehen konnte. Die Städte ihrerseits verdienten an der Verleihung des Bürgerrechtes. Sie konnten ihr Einflussgebiet erweitern und sie hatten eine Art „Bevölkerungsreservoir“. 3. Die Entwicklung der politischen Freiheit. Im Mittelalter unterstanden die Städte der Herrschaft des Kaisers. Zusätzlich unterstanden die meisten auch noch einem Herrscher auf der mittleren Ebene (weltlich oder geistlicher Fürst). Es gab nur wenige freie Reichsstädte (unterstehen keinem Herrscher). Die Städte versuchten nun sich vom Stadtherrn zu emanzipieren. Sie kaufen ihm die Rechte ab, welche er in der Stadt hat. Der Stadtherr verliert somit seine Zugriffsrechte. Meist lief dieser Prozess jedoch nicht so reibungslos ab. Der Stadtherr hatte ursprünglich folgende Rechte: • Marktrecht (er bestimmt wo ein Markt entsteht und wer wie viel abgeben muss). • Zollrecht • Münzrecht (er bestimmt welche Währung in der Stadt galt). • Gerichtshoheit (er sass dem Stadtgericht vor). • Steuerrecht • Bestimmung der Wehrpflicht Durch das abkaufen der Rechte entstehen in der frühen Neuzeit viele kleine, autonome Stadtstaaten mit kleinen Herrschaftsgebieten um die Stadtmauern (Bsp. Bern). Die Rechtstellung der einzelnen Bevölkerungsgruppen in der Stadt ist sehr verschieden. Es gab eine ökonomische Ober- und eine Unterschicht. Die politische Führung lag nur bei der Oberschicht (vermögende Familien Herrschaft des Patriziats). Es ist also eine Oligarchie. Die Handwerker bleiben von der Herrschaft ausgeschlossen. Teilweise bleibt diese Situation bis ins 18. Jahrhundert (Bern, Fribourg). In anderen Städten wollen die Zünfte auch an der Regierung Anteil haben. Die Zünfte verdängen die Patrizier. Sie bestücken nun den Stadtrat, es kommt zu einer Teilung der Macht oder zu einer Verdoppelung (es gibt einen Grossen und einen Kleinen Rat). Die meisten Städte haben in der frühen Neuzeit ein solches Zweikammersystem. Zünfte sind Zusammenschlüsse von Handwerkern, welche in der gleichen Branche tätig sind. Die Zünfte normieren die Arbeitsbedingungen. Sie sichern jedoch auch ihre Handwerker gegen Konkurrenz von aussen. 32 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 4. Die Rechtsordnung der Stadt Das erste Recht wurde der Stadt durch den Stadtherrn gegeben. Da der Stadtherr auch die Herrschaft über das Land hatte, gab es für die Stadt zuerst nur Landrecht. Mit der Zeit gab es Normen, welche auf das Leben in der Stadt zugeschnitten sind. Die Wurzel für dieses Stadtrecht sind der Handel und der Markt. Die Stadt muss zuerst den Marktfrieden regeln (Schutz vor Raub, Fehde, Betrug). Es muss weiter geregelt werden, was passiert, wenn eine Ware mangelhaft ist, wenn jemand den Kaufpreis nicht bezahlt, wenn auf den Termin nicht geregelt wird,... Diese ersten Stadtrechte des Stadtherrn finden ihre Verschriftlichung in so genannten Handfesten (Handfeste von Fribourg 1247). Die Stadt muss diese Gesetze durchsetzen und setzt dafür Gerichte ein. Das Gebiet in welchem das Recht Anwendung fand beschränkte sich auf das Stadtgebiet und die Bannmeile (1 Meile um die Stadt). Es brauchte jedoch auch Bestimmungen, welche das Leben in der Stadt regelten (Wie gross sind die Parzellen? Wie hoch darf gebaut werden? Mit welchen Materialien darf gebaut werden...). Baurecht ist also neben dem Marktrecht eine zweite Quelle des frühen Stadtrechts. Die dritte Quelle ist das frühe Sozialrecht (Krankenhäuser, Schulen, Altersheime,...). Zu Beginn erlässt der Stadtherr die Handfesten. Im Zuge der Emanzipation geht diese Befugnis auf den Stadtrat über. Das Stadtrecht wird auf dem Markt verlesen und die Bürger müssen schwören sich daran zu halten. Nicht jede Stadt erliess eigenes Recht. Es gibt Stadtrechtsfamilien. Die Handfeste von Fribourg war das Recht der Stadt Freiburg i. Brsg. Die Gerichte wurden vom Stadtherrn bestückt (meist wurde ein Vogt dafür eingesetzt). Mit der Emanzipation erhielt die Stadt in Stufen die Gerichtsbarkeit. Zuerst wurde ihr die Niedergerichtsbarkeit (Delikte der Zivilgerichtsbarkeit und der geringen Strafgerichtsbarkeit) übertragen. Erst später die Hochgerichtsbarkeit (alle Delikte, wo bei der Sanktion Blut floss). Das Gericht bestand aus dem Kleinen Rat. Es gab also keine Trennung zwischen Exekutive und Judikative. Der Kleine Rat bestimmt den Verhörrichter (Untersuchungsrichter). 33 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §3 Reformation und Staatskirchenrecht 1. Ursachen der Reformation 1.1 Verfallserscheinungen der spätmittelalterlichen Kirche Im Spätmittelalter ist die Kirche sehr vermögend. Der Kaiser hat der Kirche Grundbesitz geschenkt. Dies ermöglicht den Geistlichen ein angenehmes Leben. Sie leben von den Abgaben (Zehnten) der Gläubigen und den Gebühren, welche sie erhoben. Diese Einnahmen werden oft nicht sinngemäss eingesetzt. Der Pfarrer setzte einen Leutpriester ein und überliess diesem die Arbeit. Ein weiterer Missstand war das Klerikerkonkubinat. Der Bischof liess sich dies von seinen Priestern bezahlen. Dasselbe passierte mit den Kindern aus den Klerikerkonkubinaten. 1.2 Erwachen der Territorialstaaten Ein zweiter Faktor, welcher zur Reformation beitrug ist das Erwachen der Territorialstaaten. Sie erlangen eine beachtliche Autonomie gegenüber dem Kaiser (durch Mediatisierung) und auch gegenüber der Kirche. Die Stadtregierung fühlt sich dazu berufen die Missstände in der Kirche zu bekämpfen. So findet die Reformation in den Städten nahrhaften Boden. 1.3 Erstarken des Bürgertums Mit der Stadtgründung entstanden neue Bevölkerungsschichten. Die Bürger haben nun das Bedürfnis sich zu bilden. Zur Bildung hatten nur Kleriker Zugang. Nun wollen auch die Bürger sich bilden. Es erstarkt das Gemeindeprinzip, welches auch von der Reformation aufgegriffen wird. Die Gemeinde versammelt sich. Die Leute vor Ort wählen den Pfarrer und finanzieren ihn. 2. Entstehung und Ausbau des Staatskirchentums Der Staat erlässt Regelungen zu kirchlichen Fragen. Die weltliche Obrigkeit entscheidet über die Organisation der Kirche. Dieses System entstand aus einer Notsituation. Die Kirche hatte nichts getan um die Missstände zu beseitigen. Nun tut dies die weltliche Macht. Die evangelischen Landesherren wurden Notbischöfe genannt. Der Bischof hatte nichts mehr zu sagen. Der Landesherr wird nun auch zu einem geistlichen Oberhaupt der Kirche. In der Schweiz sind es vor allem die Städte, welche als Notbischöfe walten. Sie ziehen das Vermögen der Klöster und die Pfründe ein um Pfarrer anzustellen. Diese staatlichen Obrigkeiten bestimmen nun auch die Religion im Gebiet wo sie herrschen ( cuius regio, eius religio; wer regiert, bestimmt die Religion). Nur auf diese Weise konnte das Problem der zwei Religionen gelöst werden. Dies blieb bestehen bis ins 19. Jahrhundert, wo die Kirche wieder mehr Autonomie erhält. Religionsfreiheit gab es als solches in der Frühen Neuzeit noch nicht. 1563 Konzil (Versammlung der Bischöfe) von Trient. Die katholische Kirche versucht sich aus sich selbst zu reformieren und die Missstände zu beseitigen und die Kirchenspaltung wider rückgängig zu machen. 3. Verfestigung der konfessionellen Strukturen Die 13 Orte der Eidgenossenschaft (ab 1551) kommen jedes Jahr an der Tagsatzung zusammen. Sie beraten über gemeinsame Angelegenheiten. Die Tagsatzung beriet schon 1522 34 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp über das Problem der Religion, da Zürich und andere Orte zum anderen Glauben übertreten wollen. Die Tagsatzung verbietet die neue Religion. Zürich hält sich nicht daran und 1524 kommt es wieder vor die Tagsatzung. Es entsteht eine Sondertagsatzung der Orte, welche beim alten Glauben bleiben wollen (UR, SZ, UW, ZG, LU traditionell katholische Orte). Diese Orte sind bis 1855 der Kern der katholischen Kirche. Sie werden noch erweitert durch FR und SO. Diese sieben Orte legen 1525 ein Glaubensmandat fest. Text 33 (Glaubensmandat von 1525): Die sieben Orte versuchen dieses Mandat für verbindlich für alle Orte an der Tagsatzung annehmen zu lassen. Es gab Streitgespräche zwischen Vertretern der alten und der neuen Lehre (Disputationen) vor dem Stadtrat. Nach dem Gesprächsverlauf entschied der Stadtrat, welche Religion sie annehmen wollen. Der reformierte Kern der Eidgenossenschaft bilden ZH, BE, BS und SH. In GL und AP kann sich keine Religion durchsetzen. Appenzell teilt sich darauf nach Religion auf. 1874 wird die Religionsfreiheit als Grundrecht im Bundesstaat ausdrücklich verankert. 35 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §4 Völkerrecht in der frühen Neuzeit Epochen des Völkerrechts: • Bis 1500 • Bis 1648 • Bis 1815 • Bis 1914 • Bis 1945 • Bis 1991 Mittelalter Spanisches Zeitalter französisches Zeitalter englisches Zeitalter Weltkriege amerikanisches / sowjetisches Zeitalter 1. Das Kriegsrecht Seitdem es Mächte gibt auf dieser Welt gibt es Kriege. Die Frage war immer, ist ein Krieg rechtsmässig oder nicht?! Was ist also ein legitimer Grund um Krieg zu führen? Heute muss die Uno völkerrechtliche Konflikte lösen. Die Uno-Charta sagt, ob ein Krieg geführt werden darf oder nicht (es gibt 2 Gründe: Selbstverteidigung ist ein legitimer Kriegsgrund, und die Uno-Charta kann auch sonst Krieg legitimieren) Probleme heute (ist Irak-Krieg Verteidigung??) Cicero de re Publica: „Ein Krieg ist ungerecht, wenn er ohne jeden Grund angezettelt wurde, denn abgesehen von der Rache oder um Feinde zu vertreiben gibt es keine gerechten Gründe für den Krieg“ 2 Gründe: Bestrafung von Unrecht und Vertreibung von Feinden. Diese Lehre wurde aufgegriffen vom Kirchenvater Augustus. Der sagt man solle handeln, mit dem inneren Ziel, Frieden herzustellen. Diese Aussage wurde von den spätmittelalterlichen Theologen übernommen (Bsp. Grazia). Der Mensch muss mit der richtigen inneren Einstellung handeln, sonst begeht er Sünde (moralische Legitimation des Krieges). Bestrafung von Unrecht (im religiösen Sinne – moralisch) wurde bedeutend, als Spanien in Südamerika Land eroberte. Cortez eroberte Mexiko. Pizzaro eroberte Peru. Diese Eroberungen wurden vom Papst abgesegnet, mit der Bedingung, dass die Ureinwohner gleich zum christlichen Glauben bekehrt werden. Falls sich die Indianer nicht zum christlichen Glauben bekennen wollten, hatten die Spanier eine legitime Möglichkeit, physische Gewalt anzuwenden. Franciscus de Vitoria lehrte in Salamanca. Dieser Professor hat eine Vorlesung gegeben über die Rechtsstellung der Ureinwohner in „Westindien“. Er sagte, dass die Spanier nicht mit Gewalt den Ureinwohnern ihren Glauben aufzwingen dürfen. Er sagte weiter, dass die Glaubensunterschiede keine Legitimation für Krieg seien. Er sagte als erster, dass Bestrafung kein legitimer Kriegsgrund sei. Text 36 (Franciscus de Vitoria: Spaniens Rechte auf Indien 1538 (Auszug)): Wenn man missioniert, dann muss man dies auch gewissenhaft tun, um dem Ureinwohner Zeit zu lassen, den Glauben auch zu verstehen. Weiter behauptete er, dass die Eroberungen nicht rechtens waren. 36 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Das Völkerrecht war damals soweit, dass Völkerrecht nur auf die christliche Welt bezogen war. Erst Vitoria bejahte als erster, dass auch das Völkerrecht für Naturvölker gelten soll (Naturrechtlicher Anspruch auf die Achtung des fremden Lebens, Eigentums, etc...). 2. Das Gesandtschaftswesen Jedes Land hat Botschaften in anderen Ländern. In der Schweiz ist es die Aufgabe der Botschafter für ihr Land bei den hier ansässigen Firmen lobbying zu betreiben. Weiter treffen sie sich alle immer wieder an Nationalfeiertagen zu Parties in den verschiedenen Botschaften um sich gegenseitig ihre Nutzlosigkeit zu bestätigen. Im Spätmittelalter gab es keine ständigen Gesandtschaften (das damals benutzte Wort = Botschaften). Ständige Botschaften gab es erstmal in den Städten Norditaliens (Venedig, Florenz, Bologna, Siena) untereinander. Die Städte entsandten Botschafter in die anderen Städte. Die Botschafter mussten beobachten, was wichtig war für den Entsende-Staat. Über das Finanzsystem, Politik, militärische Mittel, innenpolitische Zustände. Dies diente dem Entsenderstaat für den völkerrechtlichen Kontakt mit dem anderen Staat. Nördlich der Alpen, herrschte praktisch keine Entwicklung (man hatte Angst vor Spionen). Als erstes kommen Gesandte aus Italien (al erster ein Gesandter Venedigs beim deutschen Kaiser, dann in England). Bis Anfangs 16. Jahrhundert hatten sich jedoch auch nördlich der Alpen Botschafter als üblich erwiesen. Alberico Gentili (Professor in Oxford) schrieb ein erstes theoretisches Werk über das Gesandtschaftenrecht. Er behandelte das Problem, wie man mit Botschafter umgeht, die im Gastland Verbrechen begehen (politische Delikte, Spionieren). Das römische Recht sah für Gesandte die Todesstrafe vor. Gentili sagte dass die Todesstrafe über das Ziel hinausschoss. Man sollte den Botschafter einfach zurückschicken (Immunität). Gentilini empfahl seine Theorie in einem praktischen Fall: Ein Spanier hatte gegen die Queen von England integriert. Er war in einem Mordkomplott beteiligt. Gentili hat ein Verfahren vorgeschlagen, dass dann auch befolgt wurde. Er sollte unverzüglich England verlassen. Er zeigte auf, dass es immer wieder Interessensgegensätze gibt zwischen zwei Ländern. Das Gastland sollte sich wehren können (Notwehrrecht). Wenn das Gastland den fremden Gesandten bestrafe, verliere das Gastland an Souveränität. So sollte der Gesandte rechtlich immun sein (diplomatische Immunität Keine Bestrafung, nur Wegweisung). Diese Regel ist bis heute in Kraft. 3. Die Anerkennung neuer Staaten Heute: Zerfall Sowjetunion, Jugoslawien, Palästina... Was macht einen Staat aus? • Territorium • Staatsvolk • Staatsmacht Die heutige Völkerrechtsdoktrin sagt, wenn dieses Minimum existiere, könne man ein Gebiet als Staat anerkennen. Das moralische Element gilt heute nicht mehr. Die Idee, dass das rein faktische genügt bildete sich in der frühen Neuzeit (die Schweiz ist faktisch 1499 entstanden, die Beneluxländer die Niederlanden gehörten zuvor dem spanischen König). In Holland gab es einen Guerillakrieg zwischen den spanischen Besatzern und den Holländern. Politische (finanzielle und religiöse Gründe). 1576 gab es einen Aufstand mit 37 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Sieg für die Niederlanden 1577 Union von Utrecht = Staatenbund der die Gebiete des heutigen Holland umfasste. Die spanischen Völkerrechtler haben Holland natürlich nicht als eigenen Staat angesehen. Sie sagten es war unrechtlich. Die holländischen Autoren sagten jedoch, dass es zur Volkssouveränität gehöre, sich von tyrannischen Herrschern zu lösen. Drittstaaten, haben sich gar nicht mit der Rechtmässigkeit befasst, sondern haben sich nur auf die Tatsachen abgestützt und somit Holland als Land anerkannt. Drittländer sind daran interessiert, dass sich möglichst rasch alles wieder normalisiert um wieder Kontakt aufzunehmen zu können (Wirtschaftliche und politische Beziehungen). Der heilige Stuhl (Papst) und seine Verwaltung haben kein Gebiet und kein Staatsvolk und sie haben auch keine Staatsmacht (sui iuris: Völkerrrechtssubjekte ohne Staatsmacht Der heilige Stuhl bildet eine Ausnahme). 4. Hugo Grotius und die Begründung des Völkerrechts als Wissenschaft 1625: In Grotius’ Buch wird die Theorie des damaligen Völkerrechts erstmals zusammengefasst. Dieses Buch wurde das massgebende Lehrbuch zum Völkerrecht über Jahrhunderte. Er hat vieles übernommen, aber es ist eine Zusammenfassung von vielem Wissen, das Bestand. Hugo Grotius: • Geburt 1583 in Holland. Er war ein „Wunderkind“, studierte an der Universität die antiken Wissenschaften ab dem 12. Lebensjahr. Mit 15 wurde er in Frankreich zum Doktor h.c. ernannt. 1618 hat er sich in Holland in religiöse Streitigkeiten eingemischt und wurde zu Haft verurteilt. Dort las er Bücher. • 1625 flüchtete er nach Paris. Dort hatte er eine delikate Stellung als Protestant (da der Glaubenskrieg herrschte und Paris Katholisch war). • 1618-1648 Glaubenskrieg in Frankreich. Grotius schrieb dort ein Werk mit Regeln, an die sich die Kriegsparteien halten können, um Krieg einzudämmen. • 1635 wird er Botschafter der Schweden in Frankreich. • 1645 wird er von Paris nach Stockholm berufen (Schiffbruch Tod). Grotius entwickelte Regeln, die er aber nicht spezifisch auf den 30jährigen Krieg bezog, sondern auf antike Herrscher und deren Kriege, so verletzte er niemanden konkret. Es wurde ein zeitloser Klassiker (über mehre Jahrhunderte), ohne zu veralten. Dies führte dazu, dass es später für die völkerrechtliche Lehre genutzt werden konnte. Das Werk richtete sich auch an Private, nicht nur an Völker. Er hat in seinem Werk auch Lehrtexte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Privatpersonen entwickelt. Somit wurde es auch ein Lehrbuch des Privatrechtes. 38 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §5 Die Entstehung des geltenden Verfassungsrechts 1. Allgemeines Von der Grundidee ist unser System zurückzuführen auf die BV von 1848. Entstehungsgeschichte dauerte 50 Jahre (das System bildete sich mit dem politischen System von 1798 Das System der Helvetik, das uns von Frankreich aufgedrängt wurde). 1798 – 1803 1803 – 1815 1815 – 1830 1830 – 1848 1848 1874 2000 Helvetik Mediation Restauration Regeneration Bundesstaat Revision BV Revision BV 2. Das politische System vor 1798 2.1 Die Verfassung der alten Eidgenossenschaft Der Bundesbrief von 1291 setzte sich fort. Im 17 und 18. Jahrhundert wurde immer noch dieses System fortgeführt. Die Schweiz war ein Staatenbund von einzelnen souveränen Orten. Dieser wurde jedoch erst im 19. Jahrhundert entwickelt (sozusagen rückwirkend). Dieser Staatenbund existierte aufgrund von Verträgen zwischen den Verschiedenen Orten (noch keine Kantone) Bündnisgeflecht. Diese Bündnisse hatten zwei wesentliche Inhalte: • Konflikte wurden auf dem Verhandlungsweg gelöst. • Militärische Schutz- und Hilfsversprechen für den Fall einer Bedrohung der Orte von aussen oder von innen. Text 39 (Stanser Verkommnis vom 22. Dezember 1481): Tagsatzung: Organisation der Orte durch Abgeordnete. Die „Minister“ konnten nur durch Einstimmigkeit entscheiden. Dies war ein sehr ineffizientes Organ, da der Abgeordnete immer zurück musste um sich zu beraten und dann wieder nach Baden musste um zu entscheiden (drei Tage vergingen und vielleicht war man immer noch nicht einstimmig). Diese Tagsatzung verwaltete die gemeinsamen Herrschaften (Untertanengebiete). Die Eidgenossenschaft bestand aus rund 50 verschiedenen Gebieten mit je einer eigenen Rechtsordnung (grosse Rechtszersplitterung). 2.2 Die Verfassungsstruktur der einzelnen Orte Alte Eidgenossenschaft: 13 Orte (UR, ZG), Zugewandte (VS, GR) und Untertanen (AG, TI) Verschiedene Verfassungen: • Landsgemeinde: AI, GL hier wurde die oberste Gewalt von den stimmberechtigten Männern an der Landsgemeinde ausgeübt. Sie verabschiedeten Gesetze und wählten den Regierungsrat und die Richter. Es herrschten Direktdemokratische Verhältnisse. Die Familien bestimmten die 39 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Politik (Kollektiv-genossenschaftliche Politik Willen der Familien vor der Landsgemeinde) gleich wie heute in GL und AI • Zunftverfasssung: ZH. keine Demokratie. Die Regierung bestand aus einem Rat, der durch die Handwerkerzünfte bestückt wurde. Wer nicht Mitglied einer Zunft war konnte politisch nicht mitreden. Der grosse Rat war der Souverän. Der kleine Rat war die Exekutive der die Gerichtsbarkeit ausübte, faktisch war er jedoch das Machtzentrum. • Patrizische Verfassung: BE, LU, FR, SO, GE, NE. Numerus Clausus der Familien (Familienoligarchie – die besten Familien der Stadt waren vertreten). Nur die einzelnen Familien konnten politisieren. Sie hatten die wirtschaftliche Macht durch Handel und Verkehr monopolisiert. Sie hatten die Mittel um sich Stimmen zu kaufen. Das System funktionierte durch Bestechung. Gesetze wurden nicht systematisch veröffentlicht, keine freie Presse (Zensur), keine öffentliche Politik, Rechtsunsicherheit und Rechtsunkenntnis. 2.3 Gesellschaftliche Entwicklungen am Vorabend der französischen Revolution 1798 wurde das System beseitig. Im 18. Jahrhundert zur Zeit der Frühindustrialisierung, entstand ein neuer sozialer Stand: Leute die geschult und ökonomisch selbständig waren: Anwälte, Ärzte, Pädagogen. Sie fingen an die Missstände zu kritisieren. Die Regierungen versuchten dies zu unterdrücken, was zu Aufständen führte. Eine breite Bevölkerungsgruppe war Mitte des 18. Jahrhunderts bereit für ein neues System. 3. Die Helvetik 3.1 Politische Ereignisse Frankreich wollte die Ideen der Französischen Revolution in andere Länder exportieren. Damit wollte man die Revolutionsverfassung sichern. Zur Not auch mit militärischer Gewalt. Auch die Schweiz soll ein Satellitenstaat werden. Anfang 1798 marschieren französische Truppen in die Westschweiz ein. Widerstand leisten diese Orte, welche am Bündnissystem festhalten wollen (vor allem die Patrizischen Orte). Im März 1798 kommt es zu einer entscheidenden Schlacht im Grauholz, wonach die Eidgenossen kapitulieren müssen. Die Schweiz ist nun faktisch Frankreich ausgeliefert. Nicht alle sind bereit dieses System zu akzeptieren. Es kommt zu Streiks und Aufständen. Das System in der Schweiz ist sehr instabil. 3.2 Der Einheitsstaat nach französischem Muster Während der Französischen Revolution kam der Gedanke des Einheitsstaates auf (kein föderales System mehr). Auch die Satellitenstaaten sollten dieses System übernehmen. Für die Schweiz wird 1798 eine Verfassung erarbeitet (durch Peter Ochs). Er lässt sich vom französischen Verfassungsystem leiten. Er hatte drei Vorbilder: • Französische MRK (1798) • Französische Dirtektorialverfassung (1795) • Amerikanische Unionsverfassung (1788) Text 41 (Atlantischer Kreislauf der Staatsideen): Es findet ein Austausch der Staatsideen zwischen Amerika und Europa statt. Der Ausgangspunkt ist England. Die Ideen werden in den Englischen Kolonien 40 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp in Amerika übernommen. Das Englisch-Amerikanische Gedankengut gelangt dann nach Frankreich und wirkt dort auf die Revolution ein. Exkurs (Englische und Amerikanische Verfassungsgeschichte): • 1754 Britisch-Französischer Kolonialkrieg • 1773 Boston Tea Party • 1776 Unabhängigkeitserklärung (die Staaten geben sich Verfassungen) • 1788 Unionsverfassung (Amerika gibt sich eine Einheitliche Verfassung. Es entstehen die Ideen des Kongresses, des Präsidenten und des Supreme Court). • 1791 Bill of Rights (als Verfassungszusatz). Exkurs (Französische Verfassungsgeschichte): • 1792 Monarchie wird abgeschafft • 1795 Direktorialverfassung (republikanische Verfassung. Die Gewalten blockieren sich). • 1799 Staatsstreich von Napoleon (die Revolution ist beendet. Es gab eine Konsulatsverfassung, welche eine Militärdiktatur von Napoleon ermöglichte). • 1804 Napoleons Kaiserkrönung Nach dieser Verfassung war die Eidgenossenschaft ein Einheitsstaat. Die Orte der Eidgenossenschaft verloren ihre Souveränität. Sie waren nun reine Verwaltungsbezirke, abhängig von der zentralen Verwaltungsmacht. Diese Verwaltungseinheiten werden Kantone genannt. Die Zentralregierung besteht aus drei Gewalten. Das Parlament wird vom Volk gewählt. Es besteht aus zwei Kammern. Dem Senat und dem Grossen Rat. Die Exekutive heisst Direktorium. Sie ist der Vorläufer des heutigen Bundesrates und hat 5 Mitglieder. Die Mitglieder arbeiten nach dem Kollegialitätsprinzip. Die Judikative wird ein dreistufiges Modell der Rechtspflege eingeführt (Distriktgericht – Kantonsgericht – Oberster Gerichtshof der Helvetik). Die Verwaltung der Kantone geschieht unter dem französischen Vorbild. Dem Präfektursystem. Die Kantone haben nur Vollziehende Befugnisse. Der Präfekt steht der Verwaltung der Kantone vor. Die Feudallasten sollen abgeschafft werden. Dazu erging 1798 ein Ausführungsgesetz welches jedoch im Vollzug scheitert. Die definitive Abschaffung der Feudallasten (Abschaffung der Grundherrschaften) dauert also noch etwas länger. 3.3 Gesetzgebung der Helvetik Die Helvetik will das Zivilrecht kodifizieren. Man kam jedoch nicht über Teilerlasse hinaus. Diese Teilerlasse orientieren sich an den Entwürfen des Code Civil. Erfolgreicher ist man bei der Kodifizierung des Strafrechts (1799 Peinliches Gesetzbuch). Die Folter wurde abgeschafft, die Todesstrafen wurden auf die Enthauptung reduziert und es gab ein besonderes Jugendstrafrecht. Text 40 & 44 (Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen du 26 août 1789 & Verfassung der helvetischen Republik (Auszug)): Welche Menschenrechte finden Eingang in die Helvetische Verfassung? Bsp.: Eigentumsfreiheit, Pressefreiheit, Bodenfreiheit (keine grundherrschaftlichen Rechte mehr), Strafprozessuale Rechte. Keinen Niederschlag findet jedoch das Gleichheitsrecht (alle Menschen sind gleich). Verschiedene Rechte für Besitzlose, Juden etc. Politische Ideen der Helvetik: 41 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp • • • • • • • • • Nationale Einheit Geschriebene Verfassung Schweizer Bürgerrecht Volkssouveränität Gewaltenteilung Gewähltes Zwei-Kammer-Parlament Kollegialregierung Rechtsgleichheit (Personen und Kantone) Schutz der Freiheitsrechte 4. Die Mediation 1803-1815 von Napoleon eingeführt; das System steht (wie Helvetik) unter französischem Einfluss 4.1 Der politische Hintergrund 1802 – Napoleon zog seine Truppen aus der Helvetik zurück. Es folgte eine Revolution, welcher die Zentralregierung nichts entgegen haben konnte. Die Patrizier wollten wieder an die Macht kommen. Auch die Kirche, die Föderalisten und die Bauern waren gegen den Einheitsstaat (keine politische Legitimation im Volk). Der Einheitsstaat bricht zusammen. Darauf berieten sich Senatoren mit Napoleon in Paris (Konsulta) und sie gestalteten eine neue Verfassung (bzw. Napoleon verfasste sie). Die Senatoren reisten zurück und setzten die neue Verfassung 1803 in Kraft. Das System der Helvetik hatte sich total aufgelöst. 4.2 Die Mediationsakte Sie wurde von Napoleon ausgearbeitet. Hatte 20 Kapitel: Kap. 1-19: Verfassungen der einzelnen Kantone waren enthalten Grundzüge Grundzüge des Systems, das vor der Helvetik in Kraft war, galten nun wieder. Innerhalb der Kantone kamen dieselben Eliten wieder an die Macht, welche es vor der Helvetik waren. Kap. 20: Bundesgewalt (Sie ist schwach ausgebildet; Schweiz wieder als Staatenbund mit wenig Kompetenzen des gemeinsamen Gremiums Tagsatzung) Die Tagsatzung hatte aussenpolitische Kompetenzen (Kriegsrecht und Handelsverkehr) Text 45 (Mediationsakte vom 19. Februar 1803 (Auszug)): Eigenständige Kantone, welche nun gleichberechtigt wurden (6 Kantone kamen dazu, das Gebiet der Eidgenossenschaft wurde 40% grösser: AG, TI, TG, VD, GR, SG). Neu auch eine Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit. Mediation bedeutete auch ein Rückschritt (bzgl. der Freiheitsrechte). Napoleon kannte die Schweiz nicht, aber er merkte, dass in der Schweiz die Autorität der einzelnen Orte sehr wichtig ist (Kantonskompetenzen – Kompetenztrennung). Dieses Modell blieb in seinen Grundzügen so bis heute bestehen. 42 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 5. Die Restauration 1815-1830; Wiederherstellung/Instandsetzung. Restauration bezeichnet die Epoche in der versucht wurde, die vorrevolutionäre Rechts- und Gesellschaftsordnung wieder einzuführen (das ancien régime wieder aufleben zu lassen). 5.1 Die politische Situation Napoleon war ein genialer Militärstratege, er hatte immer gewonnen. Als er zu verlieren begann (Russlandfeldzug: in Moskau sind viele seiner Soldaten erfroren; Völkerschlacht bei Leipzig; Waterloo 1813) muss Napoleon nach Elba fliehen. Die anderen europäischen Mächte in Europa (AT, Preussen, RU und ENG alles Monarchien) wollen Europa wieder so aufteilen, dass sie den Ton angeben können (Verfassungskongress/Wienerkongress 1815: Landkarte Europas wird neu gezeichnet und die Macht neu aufgeteilt). Auch für die Schweiz wurde am Wiener-Kongress die Zukunft festgelegt. Die Schweiz geriet unter österreichischen Einfluss und musste sich eine Verfassung geben, die der Österreichern passte (Bundesvertrag 1815). Die Besetzung der Schweiz durch AT hatte zu Staatsstreichen geführt, so dass der Bundesvertrag nur mit Not und Mühe zustande kommen konnte. Kantone bzw. Städte wollten ihre Untertanengebiete zurück (Bsp.: Bern wollte den Aargau wieder). 1813 herrschte ein Verfassungsloser Zustand. Erst 1815 kam dann mit dem Bundesvertrag eine neue Verfassung. Sie wurde von den europäischen Grossmächten gewährleistet. Diese Verfassung blieb bestehen bis 1848. Text 46 (Anerkennungs- und Gewährleistungs-Urkunde der immerwährenden Neutralität der Schweiz): Die ausländischen Mächte sollen die neuen Grenzen der Schweiz und die Schweiz als neutralen Staat anerkennen, aufgrund der Entschlüsse des Wienerkongresses und des Pariser Vertrags (März 1815). 5.2 Der Bundesvertrag von 1815 Text 47 (Bundesvertrag zwischen den XXII Kantonen der Schweiz (Auszug)): Bundesvertrag: 22 Orte (neu: Wallis, Genf und Neuenburg). Der Hauptgrund des Vertrages war die Bildung eines Abwehrbundes wie im Ancien Régime. Der zweite Zweck des Bundes war die Konfliktbewahrung im Innern. Es war eine reine Wehrverfassung. Die Handelsfreiheit wurde als einziges Freiheitsrecht gewährleistet. Eigentlich stellte der Bundesvertrag ein Rückschritt zur Mediationsakte dar (bezügl. der persönlichen Rechte). Die Legislative bildete die Tagsatzung und die Leitung der Bundesangelegenheiten wurde einem Vorort übertragen, der alle 2 Jahre zwischen Bern, Zürich und Luzern wechselte. Es gab eine Kanzlei und einen von der Tagsatzung gewählten Bundeskanzler. Der Staatenbund hatte eigentlich sehr wenige Kompetenzen. 5.3 Die kantonalen Verfassungen 1813 sind die kantonalen Verfassungen ausser Kraft getreten. Die Kantone mussten sich autonom neue Verfassungen geben. Sie knüpften jeweils an das System, das zur Zeit des Ancien Régime in den jeweiligen Kantonen gegolten hatten (Zünfte, Landsgemeinden). Häufig kam es zu einem Ungleichgewicht zwischen den Vertretern von Stadt und Land (Bsp. Bern: Stadt: 200 und Land: 99 Abgeordnete). Zensus-Vorschriften: Nicht jeder konnte regieren, es galt wieder eine Bevorzugung der Vermögenden. Dies sorgte für Spannungen. 43 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 5.4 Fortschritte in dieser Epoche Grundsatz der Gleichheit der Gebiete blieb bestehen und alle Gebiete hatten eine geschriebene Verfassung und nicht nur eine verfassungsrechtliche Praxis. Friedensrichter, Bezirksgerichte und Bezirksstatthalter (aus der Helvetik) blieben bestehen. Einige Kantone gaben sich Zivilrechtsordnungen (ZGB’s), einige erliessen StGBs welche vom Naturrecht beeinflusst waren (dadurch wurde die Strafrechtspraxis auch humaner). Es gab keine Pressezensur mehr (sinnvoll für intelligente Ideen). 6. Regeneration Regeneration bedeutete das Wiedererzeugen von Verfassungsgrundsätzen der französischen Revolution und der Helvetik. Kantonale Verfassungen nahmen Ideen auf aus der Helvetik (im Bereich der Volkssouveränität und der Eigentumsrechte). Es war eine Gegenbewegung zur Restauration. 6.1 Die politische Situation Ausschlaggebend für die Regeneration war die Juli-Revolution von 1830 in Frankreich. Dies war eine Volksrevolution gegen den franz. König Charles X. (Geschichte: Louis XVI wurde geköpft, dann kam Napoleon, 1815 wurde die Monarchie wieder eingeführt). Charles X wollte die Freiheitsrechte der Bürger einschränken, worauf das Volk mit einer Revolution antwortete. Nach der Juli-Revolution musste er abdanken. Dann wurde sein Neffe eingesetzt (Louis-Philippe). Er war jedoch ein Monarch aufgrund einer Verfassung (konstitutionelle Monarchie). Das Volk sagte, wie viel Macht der König noch haben sollte (wie heute in Spanien, England, Schweden heute keine faktische Macht mehr). Dies strahlte aus auf die Nachbarstaaten. Es entstand ein politisch-psychologischer Druck. Die liberalen Vordenker in der Schweiz haben Änderungswünsche an die Kantone gestellt, die vom Volk abgesegnet wurden. Die kantonalen Regierungen mussten klein beigeben (es gab bewaffnete Übergriffe). Nach 1830 wurde neue Verfassungen auf liberaler Grundlage verfasst und vom Volk angenommen (BE, SO, ZH...). Unternehmer begannen Einfluss zu gewinnen. Auch in der Regenerationszeit hatten Bauern immer noch weniger Rechte (Bsp: Abgaben an den Grundeigentümer durch Pachtzinse, Bauern mussten sich bei der Bank verschulden). Die Bauern wurden von den Unternehmern missbraucht. Es galt immer noch die Zensus-Vorschriften. 6.2 Die Verfassungen der Regenerationskantone Als Hauptbegriff galt die Volkssouveränität. Das Volk sollte der oberste Souverän im Kanton sein. Er beschränkte sich jedoch nur auf die Abstimmung über die Verfassung und die Wahl des grossen Rates (repräsentative Demokratie). Die Vertretungsverhältnisse Stadt/Land wurden verbessert (gerechtere Verteilung, aber immer noch ein Übergewicht der Stadt). Eine Rechtsgleichheit gab es noch nicht, viele Teile der Bevölkerung konnten noch nicht mitwirken (Frauen, Leute anderer Konfessionen, Arme). Freiheiten: Handels- und Gewerbefreiheit (beschränkt), Petitionsfreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit (beschränkt: die Bevölkerung wählt die Religion für ihre Gemeinde). Text 49 (Staatsverfassung für den eidgenössischen Stand Zürich): Die Staatsverfassung des Kantons Zürich war Vorbild für die BV von 1848. Ziff 3: Gleiche Rechte aber mit Ausnahmen. Ziff 7: Handels- und Gewerbefreiheit war nur gegeben, solange jemand nicht eine gefährliche Konkurrenz der Zünfte darstellte. Ziff. 14: Abschaffung der Folter (Peinlichkeit). 44 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Ziff 16: Bodenfreiheit; die belasteten Bauern mussten sich loskaufen und somit häufig verschulden. 7. Die BV von 1848 7.1. Politische und militärische Ereignisse Die BV 1848 war ein Ergebnis des Sonderbundkrieges: 1841: AG: Klosterstreit: Liberale wollten Wirtschaftsfreiheit und Nationalstaat. Die Konservativen wollten Föderalismus und eine starke Kirche. Dies führte zu Spannungen. Im AG wollte die liberale Regierung die Klöster aufheben, da sie die Bevölkerung antiliberal beeinflussten. Dies sorgte für Spannungen innerhalb der Tagsatzungen. Einige Orte verlangen die Wiederherstellung. Die Kantone, die dagegen waren, waren UR, LU, SZ, UW, ZG, FR, VS. 1844: LU: Jesuiten berufen 2 Freischarenzüge: Die Jesuiten wurden von der Regierung ermächtigt die Schulen und Gymnasien zu leiten. (Die Jesuiten waren zuvor lange Zeit verpönt und wurden verfolgt, da sie streng katholisch waren und streng nach den Vorgaben des Papstes lebten.) So stellte dies eine Provokation in entgegengesetzter Richtung dar. Es kam zu Freischarenzügen (bewaffneter Mob) gegen die Luzerner Regierung, die für die Liberalisierung kämpfen wollte und die Regierung stürzen wollte. 1845 kam es zum 2. Freischarenzug mit vielen Toten. 1845: Verteidigungsallianz (Sonderbund) der sieben oben genannten Kantone gegen Übergriffe von Liberalen. Dieser Sonderbund war verfassungswidrig Text 47 (Bundesvertrag zwischen den XXII Kantonen der Schweiz (Auszug)): Es durften unter den einzelnen Kantone keine dem Bund nachteiligen Verbindungen geschlossen werden (keine Sonderbündnisse). 1847: Die Tagsatzung beschloss die Auflösung des Sonderbundes. Dies war ein Zeichen, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen würde. General Dufour (für die Liberalen) gegen General v. Salis-Soglio (für die Konservativen). Einmarsch in Fribourg, welche widerstandslos aufgaben, dann Luzern. Schlacht bei Luzern (letzter Bürgerkrieg der Schweiz) am 23. November 1847. Die Schlacht dauerte 1 Tag und forderte 104 Tote und ca. 500 Verletzte. Die Verteidigungsallianz brachte sich in Sicherheit mit der Staatskasse des Kt. Luzern und ein paar Nonnen. Dufour bot die Versöhnung an und der Weg war frei für eine neue Verfassung. 1848: Verfassungskommission (zur Mehrheit liberale Juristen) macht einen Verfassungsentwurf. Die Verfassung wurde von der Tagsatzung angenommen und trat in Kraft. (Vorlage war eine Verfassung von 1832 von P. Rossi theoretische Verfassung). Bundesvertrag wurde ersetzt und es entstand ein Bundesstaat. 7.2 Verfassungsinhalt 7.2.1 Das Zweikammersystem Die Schweiz brauchte einen stärkeren Staat, ohne die Kantone zu stark zurückzubilden. Die Idee der Helvetik wurde erneut aufgegriffen (2-Kammersystem). Als Vorlage galten die Helvetik sowie das amerikanische Verfassungssystem. Congress = Bundesversammlung, 45 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Repräsentantenhaus = Nationalrat, Senat = Ständerat (Nachfolger der Tagsatzung). Mit diesem Zweikammersystem hatte man dafür gesorgt, dass die kleinen Kantone nicht vernachlässigt werden. Dieses Zweikammersystem war die einzige Übernahme aus dem amerikanischen Verfassungssystem. 7.2.2 Das Direktorialsystem Das helvetische Direktorialsystem wurde übernommen. Anstelle von Direktoren sprach man nun von Bundesräten (erst 5, später 7). Die Mitglieder des Bundesrates waren im Gegensatz zur USA einander gleichgestellt. Man wollte keine Annäherung an die Monarchie. 7.2.3 Die Bundesgerichtsbarkeit Die BV 1848 sah ein Bundesgericht vor (wie in der Helvetik). Das Bundesgericht hatte erst keinen festen Sitz und wanderte von der einen Stadt zur anderen („Ambulantes Bundesgericht“). Die Zahl der Kompetenzen war sehr beschränkt. Im Zivilrecht waren sie nur zuständig, wenn beide Parteien das Bundesgericht anriefen (nur bei „Prorogation“). Im Strafrecht war das Bundesgericht nur zuständig für politische Delikte. Im Verfassungsrecht war es nur zuständig bei Anweisungen der Bundesversammlung. Bis 1874 gab es nur einen Fall im Verfassungsrecht. Das Bundesgericht war also eine sehr rudimentäre Institution. 7.2.4 Der Zweckartikel • • • • Wahrung der Unabhängigkeit Ruhe und Ordnung im Innern Wahrung von Freiheitsrechten Wahrung der gemeinsamen Wohlfahrt (materielle Förderung der Bürger) 7.2.5 Die Freiheitsrechte Text 50 (Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft (Auszug)): BV übernimmt vieles der kantonalen Verfassungen der Regenerationszeit. Art. 41 Inwiefern wird die Niederlassungsfreiheit gewährleistet? Strafffällige, Sozialfälle und nicht Christen (damals Juden) können die Niederlassungsfreiheit nicht beanspruchen. Die Juden sah man als wirtschaftliche Konkurrenz. Man wollte sie daher nicht in der ganzen Schweiz. Art. 44 – 48 Welche Freiheitsrechte werden anerkannt? Kultusfreiheit, Vereinsfreiheit, Petitionsfreiheit. Nicht erwähnt wird die Handelsfreiheit. Zudem gilt die Kultusfreiheit nicht für Juden. Art. 49 – 55 Welche prozessualen Rechte werden anerkannt? Gerichtsstandsgarantie, Recht auf ein ordentliches Verfahren, kein Todesurteil wegen politischen Vergehen. Art. 101 – 105 Welche Kompetenzen hat das Bundesgericht? Das Bundesgericht darf bei Zivilfällen nur aktiv werden, wenn beide Parteien es aufrufen (Prorogation ein Gericht wird anstelle eines anderen tätig). Im Strafrecht bei politischen Delikten und im Verfassungsrecht nur beim Verletzung verfassungsmässiger Rechte. 8. Die Verfassungsrevision von 1874 8.1 Allgemeines zur Revision Die Verfassung wurde insofern verändert, dass in vielen Bereichen neue Bestimmungen dazu kommen. Die BV von 1848 wurde jedoch nicht völlig neu formuliert. 46 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Die Revision war eine Folge davon, dass sich die Schweiz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark veränderte. Diese Revision war der dritte Anlauf zu Revision. Es wurden Anliegen miteinander verknüpft, welche eigentlich nicht zusammen hingen. 8.2 Die wirtschaftlichen Anliegen Die Schweiz erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine starke Industrialisierung. Es war eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in einem damals unbekannten Ausmass. Es entwickelte sich die Textilindustrie, die Maschinen-, Uhren-, Nahrungsmittel- und die Chemische Industrie. In einem dritten Schritt der Industrialisierungswelle folgt die Bankgründung. Die Börsen und die Versicherungen werden errichtet. Die Zahl der Fabrikarbeiter nimmt in dieser Zeit sehr stark zu. Diese Entwicklungen stehen in einem Wechselverhältnis zu einer neuen politischen Strömung. Dem Wirtschaftsliberalismus. Ihnen geht es vor allem um die freie Entfaltung von Industrie und Handel. Es wird eine umfassende Handels- und Gewerbefreiheit durchgesetzt. Das Pendant zur Handels- und Gewerbefreiheit ist die Niederlassungsfreiheit. Die Beschränkungen der BV von 1848 werden in diesem Bereich aufgehoben. 8.3 Die rechstpolitischen Anliegen Ein erstes Anliegen war die Vereinheitlichung des Privatrechts. Dies ist eine Auswirkung des ökonomischen Aufschwungs und der zunehmenden Mobilität (Eisenbahn). Die kantonalen Rechtsordnungen werden als zu eng empfunden. Die vielen kantonalen Kodifikationen hemmen den Handel und haben meist keine Regeln für die neuen Entwicklungen im Handel und Schuldrecht. Es besteht ein Regelungsbedarf auf Bundesebene. Die BV von 1848 kannte noch keine Kompetenzen zum Erlassen des Rechts. 1874 wird die Kompetenz auch nur im Bereich des OR, des Handels- und Schuldrechts dem Bund zugesprochen. Erst 1898 folgte die Kompetenz für das ZGB und das StGB. Diese Kompetenzen auf Bundesebene erfolgt im Vergleich mit anderen Ländern relativ spät. Gründe für die späte Rechtsvereinheitlichung: • Das föderalistische System (die Kantone kämpfen den Verlust der Souveränität). • Widerstand der Westschweiz (sie befürchteten von der Deutschschweizerischen Rechtsvorstellung überrollt zu werden und ihre Tradition (Code Civil) zu verlieren). • Das demokratische System (in den anderen Ländern konnte der Monarch aus eigener Souveränität das Gesetz erlassen). Die Vereinheitlichung des Privatrechts ging im Gleichschritt mit der Entwicklung der politischen Rechte der Bürger. 1874 wird das fakultative Referendum für Bundesgesetze eingeführt. Etwas später (1891) wird das Initiativrecht für Partialrevisionen der BV eingeführt. Im Zuge der Verfassungsrevision erhält das Bundesgericht mehr Kompetenzen. Diese Kompetenzen werden nicht in der Verfassung, sondern in den Organisationsgesetzen festgehalten. Das Bundesgericht wird zur Rekursinstanz. Es wird zu einer ständigen Institution mit Sitz in Lausanne. Die Zahl der Richter wird aufgestockt. 8.4 Die staatskirchenrechtlichen Anliegen Die BV von 1848 schwieg über das Verhältnis Staat – Kirche. Nun kommt diesem Thema mehr Bedeutung zu. Die Religionsfreiheit wird ausgedehnt. Sie gilt nun auch für Nicht- 47 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Christliche-Religionen und das Individuum kann sich nun auf die Religionsfreiheit berufen. Neben der Kultusfreiheit wird eine Glaubens- und Gewissensfreiheit statuiert. Ein zweites sind die Säkularisationsbestimmungen. Gebiete, welche im Kompetenzbereich der Kirche waren werden nun vom Staat wahrgenommen. Die Religion verliert ihren Einfluss. Dies ist eine Folge des Kulturkampfes ( Auseinandersetzung zwischen den liberal geführten Staaten und der katholischen Kirche). Die liberalen Staaten versuchen den Einfluss der Kirche zu verringern. Die Kirche soll weniger Zugriff auf die Bürger haben. Primarschulen, das Zivilstands- und Begräbniswesen und das Ehewesen werden nun vom Staat geregelt. 8.5 Die sozialen Anliegen Die Industrialisierung führte zu einer Verschlechterung der Lage der Arbeiter. Der Verdienst war niedrig und die Arbeitszeiten waren lang. Es brauchte also unbedingt Rechtsnormen zum Schutz der Arbeiter. Diese Normen werden zuerst kantonal erlassen (zuerst im Kanton Glarus 1846). 1877 werden im Fabriksgesetz zum ersten Mal die Arbeitszeiten gesamtschweizerisch beschränkt. 9. Verfassungsentwicklung im 20. Jahrhundert 9.1 Soziale Sicherheit Der Staat entwickelt sich von einem liberalen Nachtwächterstaat zu einem Sozialstaat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt es nach dem Arbeitsschutz (1877 Fabrikgesetz) zu einer Bemühung (erst der Städte) des Aufbaus sozialer Sicherheit. Die Verfassungsgrundlage von 1890 führte zu folgenden Gesetzen (1948 AHV-Gesetz; 1960 IV-Gesetz). Diese Institutionen waren Nachahmungen von deutschen Vorbildern (von Otto von Bismarck). Es folgten der Familienschutz, der Mietschutz, die Neuordnung der ALV,... . 9.2 Politische Rechte 1874 Fakultatives Referendum (siehe oben). 1891 Volksinitiative für Total- und Partialrevision 1971 Frauenstimm- und Wahlrecht (Warum kam dies in der Schweiz so spät? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten sich die Frauenorganisationen politisch nicht durchsetzten. Erst 1944 kam ein parlamentarischer Vorstoss zur Einführung des Frauenstimmund Wahlrechts. Dieser wurde vom Bundesrat verzögert und als er endlich an die Urne kam (1959) wurde er von den Männern abgelehnt). 9.3 Umweltschutz 1897 Wasserbau und Forstpolizei (Jeder Baum der abgeholzt wird muss ersetzt werden). 1953 Gewässerschutz 1962 Natur- und Heimatschutz 1969 Raumplanung (Ermöglich mit Landwirtschaftsland sorgfältig umzugehen). 1971 Schutz der Umwelt 1973 Tierschutz 1987 Schutz der Moore 9.4 Bestrebungen zur Verfassungsrevision; BV 2000 Zwischen 1874 und 2000 wurden viele Revisionen vorgenommen. Die BV wurde unübersichtlich. Zudem war der Katalog der Grundrechte mittlerweile Mangelhaft. Dieser wurde im Verlauf der Jahre durch das Bundesgericht ausgebaut. 48 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Deshalb gab es seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Bestrebungen die Verfassung formell anzupassen. Das Projekt von Koller zum Bundesjubiläum (1998) wurde dann zu geltendem Recht. Materiell änderte sich nicht all zu viel. Wichtig war aber vor allem, dass die Sprache modernisiert wurde und der Grundrechtskatalog aktualisiert wurde. Zudem gibt es jetzt ein Referendum für Parlamentsbeschlüsse grosser finanzieller tragweite (Bsp. NEAT). Bei der Verbesserung der Rechtssprechung des Bundesgerichtes (Entlastung des Bundesgerichtes) ist die Arbeit noch nicht abgeschlossen und immer noch im gange. Auch diese Verfassung wird andauernd angepasst und erweitert (Bsp. UNO-Beitritt). 49 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp III Neuere Strafrechtsgeschichte 50 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §1 Die Strafrechtspflege im Zeitalter der Landfrieden 1. Der Landfrieden als Versuch zur Einschränkung der Fehde 1.1 Germanenstämme: Wichtig ist die Sippe (mehrere Familienverbände zur nächst grösseren Einheit). Die Fehde entwickelte sich als privater Streit, welcher ausgeglichen werden muss. Die Sippe als Einheit war wichtiger als das Individuum. Wenn ein Individuum angegriffen wurde, handelte die Sippe mit Rache. Später entstanden Ausgleichszahlungen (Fehdeverzicht). Die Höhe der Busse ermittelte sich durch die Höhe der Schädigung (rein objektive Betrachtungsweise). Die Sippe war Träger des Gewaltmonopols. Sie war selber für die Rechtsdurchsetzung besorgt. 1.2 Fränkische Zeit Kompositionssystem (Geld und Strafe): Feste Busssätze bei Tötungen, welche sehr hoch und somit existenzgefährdet. Auch hier wieder ausschliesslich erfolgsbezogen (rein subjektive Seite). Es herrschten ganz feine Unterscheidungen („wie viel Prozent des Fingers wurde abgehackt...“). Die Bestrafung war personalisiert (abgestuft nach Volkszugehörigkeit). Nach und nach entstand ein Ausgleich bei der Bestrafung bei freien und unfreien Menschen. Es entstanden Schöffenorganisationen. Schöffen waren Laien als Beisitzende in Gerichtssälen (Laienrichter, auch heute noch in den Kantonen). Gottesurteile: Man hat den Angeschuldigten mit einer Feuerprobe versucht zu überführen (er musste über glühende Kohle laufen und anhand der Narben entschied man, wie schuldig er ist. Heisswasserprobe: Kessel mit siedendem Wasser aus welchem der Angeschuldigte einen Gegenstand herausfischen musste. Kaltwasserprobe: man schmiss Leute mit verbundenen Beinen ins kalte Wasser. Wenn er auftauchte, dann galt dies als Zeichen, dass er unschuldig war, anderseits ertrank er (sozusagen als Gottesstrafe). 2. Die Entstehung der peinlichen Strafen 2.1 Todesstrafen Im 13. Jahrhundert wurden die Fälle für Todesurteile ausgeweitet. Die Frage stellte sich, wie diese drakonischen Strafen vollstreckt werden könnten. Es gab 6 Arten: • Hängen der Person (öffentliches Anprangern; man hängte Leute auf neben einem Hund Erniedrigung). Anwendung: Bsp. Wiederholung von Diebstahl (durch Armut) • Enthauptung. (keine Anprangerung, also weniger Grausam) • Vierteilung (mit vier Pferden). Erfolgte vor allem bei politischen Delikten. • Rädern. Vor allem bei Mord (Abschreckung). Sämtliche grösseren Knochen wurden erst gebrochen und ihn dann ins Rad geflochten. • Ertränken. Die Person wurde gefesselt in den See geworfen. Bei Unterschlagung oder ehelicher Untreue. • Verbrennen. Die Idee, dass von einem Menschen nichts mehr übrig blieben soll, vor allem im Zusammenhang von Hexenprozessen. 51 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 2.2 Leibesstrafen Es wurden Finger, eine Hand oder der ganze Arm abgehackt ( spiegelnde Strafen). Es sollte dieses Glied in Mitleidenschaft gezogen werden, welches zur Ausübung der Tat beitrug. Bei Lügnern wurde die Zunge rausgerissen. 2.3 Acht und Verbannung Wenn jemand mehrere Male in einer Stadt gestohlen hatte, wurde er aus der Stadt verbannt. 2.4 Die Ehrenstrafe Leute wurden öffentlich gemissbilligt. • Prangerstrafe • Schändlicher Aufzug. Jemand wurde in lächerlichem Aufzug durch die Strassen gezogen (Ehrenstrafe, wie auch während der Judenverfolgung wieder aufgetaucht, oder im Kommunistischen Kulturkampf Chinas. Auch heute entstehen ähnliche Prozesse wieder, Bsp. Jackson-Fall) 2.5 Freiheitsstrafen Gefängnisstrafen waren eher zur Überbrückung bis zum Todesvollzug. Wer im Gefängnis starb, wurde somit von der Todesstrafe „bewahrt“. Es gab aber keinen Freiheitsentzug als Strafvollzug. 3. Sinn und Zweck der peinlichen Strafen Man wollte sie sicher nicht resozialisieren, sondern stand die Unschädlichmachung des Täters im Vordergrund. Aber auch Vergeltung (Auge um Auge, Zahn um Zahn). Die Strafarten hatten häufig auch eine Symbolik inne (Feuer, Wasser Reinigung). Es handelte sich jedoch um ein sehr ineffizientes System, da die Probleme (zum Bsp der Armut) nicht aus der Welt geschafft werden konnten. 4. Milderung des Strafsystems 4.1 Richten nach Gnade Der Richter konnte die Strafe mildern. Problem: Einfluss durch reiche Bürger (Prestige oder Bestechung). Die Fürsprecher hatten die Aufgabe, den Richter milde zu stimmen. 4.2 Asylrecht Es gab Städte, in denen die Strafe nicht weiterverfolgt werden durfte. Man konnte sich beispielsweise in eine Kirche flüchten, später kamen weitere Asylstätten dazu (Spitäler, Gerichte etc...). Mit der Zeit etablierte sich jedoch das Gewaltmonopol des Staates und man hatte eigentliche Strafbehörden. 52 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §2 Materielles und formelles Recht nach der Rezeption 1. Fortschritte in der Strafrechtsdogmatik 1.1 Allgemeines Rezeption: Übernahme des gelehrten Rechts. Ab dem 13. Jahrhundert gewannen die Unis an Einfluss (Renaissance), was auch Einfluss hatte auf das Strafrecht (römisches Strafprozessrecht wurde übernommen). 1495 Einführung des Reichsgerichtes, was Einfluss ausübte, obwohl es überlastet war (es wirkte jedoch als eigentlicher Motor der Rezeption). Die römische Kirche hatte bereits eine subjektive Seite bei der Bussberechnung beachtet. So wurde durch die Rezeption auch die Schuldfrage behandelt. 1.2 Verschulden bisher war die Strafbemessung rein erfolgsbezogen. Mit der zeit spielte das Verschulden eine immer grössere Rolle (wie hat sich der Wille manifestiert?). So wurde der öffentliche Totschlag milder bewertet als der „klangheimliche“ Mord. Ungefährwerke: Delikte, welche unbeabsichtigt begangen wurden (heute: Fahrlässigkeit) eine Art „Ungefährdelikt“. Später entstand dann der Fahrlässigkeitsbegriff (culpa). 1.3 Versuch Auch der Versuch wurde nie berücksichtigt. Erst nach der Rezeption wurde der Versuch erstmals in Betracht gezogen (erfolgsbezogenes System kannte keinen Versuch). 1.4 Weitere Leistungen Entwicklung der Beteiligungslehre (Täterschaft, Teilnahme, Gehilfenschaft). Entwicklung des Tatplanes (subjektive Seite wurde mehr und mehr berücksichtigt). 2. Die Constitution Criminalis Carolina (1532) Ein neues StGB musste geschaffen werden, um die neuen Regeln durchzusetzen und der Willkür ein Ende zu verschaffen. Peinliche Strafen wurden zuvor kombiniert mit Folter, was auch der Auslöser war für die Erschaffung dieser Constitution. Die Folter sollte verhältnismässig sein und nur zum tragen kommen dürfe, wenn es im Bezug zum Unrecht als gerechtfertigt erschien. Die Constitution hat subsidiär gegolten, die einzelnen Regionen konnten selber entscheiden, ob sie dieses Recht anwenden wollten. Auch in der Schweiz hatte die Constitution nicht überall die gleiche Wirkung. Inhalt: Der Hauptpunkt war, dass man die Schuld als grundlegend betrachtete bei der Strafbemessung. Der zweite Hauptpunkt war die Frage über den Strafprozess (inwieweit das Gericht die Wahrheit erforschen durfte Folter). 3. Der Inquisitionsprozess Das Anklageverfahren: früher war die Anklage den privaten Parteien überlassen. Nach und nach wurde dieses Verfahren durch den Inquisitionsprozess abgelöst (Hexenverfolgung: Entartung des Inquisitionsprozesses. Die Hauptneuerung war, dass ein Verbrechen oder Vergehen von Amtes wegen verfolgt werden sollte (Prinzip der Strafverfolgung von Amtes wegen). Ein zweites Prinzip war die Pflicht des Gerichtes, selber die Tatwahrheit zu erforschen. Das Prinzip der peinlichen Strafen 53 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp wurde vom Inquisitionsprinzip verdrängt. Der Inquisitionsprozess ist aus dem Kirchenrecht entstanden. Die Kirchenämter wurden Pfründe. Die Kirche wollte das Klerikerkonkubinat verhindert werden sollte. Durch einen Reinigungseid konnte er sich freikaufen (er musste nur sagen, er lebe nicht im Konkubinat). Später wurde der Reinigungseid abgeschafft und dem Richter die Wahrheitsfindung auferlegt (durch Papst Innozenz). Er führte die „Qualiter et quando“ (1215) ein. Die Carolina führte diesen Prozess dann auch im weltlichen Recht ein. Weiteres Problem: Wie kann sich der Richter von der materiellen Wahrheit überzeugen? Es gab praktisch keine Beweismittel (keine Mobilität und somit keine Zeugen). Das meiste musste der Richter vom Angeklagten selbst erfahren. So musste man mit Folter nachhelfen. Die Folter hatte nicht unmittelbar vor Gericht stattgefunden, sondern während dem Untersuchungsverfahren. Der Unterschied zwischen dem Inquisitionsverfahren und dem heutigen Verfahren: • Untersuchungsverfahren Überweisungsverfügung Hauptverfahren • Untersuchungsverfahren Folter Bestätigung des Geständnisses, (falls nicht, Beginn von vorn Folter) Das Verfahren wurde später auch in der Verfolgung von Andersdenkenden übernommen. Der wichtigste Strafrechtler zu dieser Zeit war Benedikt Carpzov (1595-1666). Seit Carpzov spricht man von der deutschen Strafrechtswissenschaft (er erarbeitete das Strafrecht als erster systematisch). Er schloss das Studium ab und doktorierte. Arbeitete als Anwalt und wurde später in Leipzig Professor und war zudem am Schöffengericht Sachsen tätig. Er war der erste, welcher ein Strafrechtsbuch entwickelte, wo er sämtliche Fälle aufzeichnete und einen Kurzkommentar zu der Rechtssprechung entwickelte ( Fallbezogen). Sein Werk hatte einen durchschlagenden Erfolg, da er die Theorie mit der Praktik verbinden konnte und lokales Recht (Sachsenrecht) mit der Begrifflichkeit, welche nach der Rezeption gang und gäbe war. 54 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §3 Randgruppen: Verfolgung von Ketzern, Juden und Hexen 1. Einleitung Das mittelalterliche Strafrecht ist brutal und sieht für kleinste Delikte die Todesstrafe vor. Es fehlt an Sozialpolitik und es wird versucht mit Hilfe des Strafrechts der Armutsdelinquenz Herr zu werden. Das Kollektiv war überfordert und reagiert aggressiv. 2. Ketzerverfolgung 2.1 Vorbemerkungen Ab dem 12. Jahrhundert entstehen geheime Sekten. Ketzer leugnen die Lehre der Kirche. 2.2 Katarer (Albigenser) und Waldenser Die Katarer haben sich zum Ziel gesetzt möglichst rein dem Vorbild von Jesus zu folgen. Sie lehnten die Ehe ab, waren Vegetarier und lehnten die Kirchlichen Sakramente ab. Auch die Heiligenbildung der katholischen Kirche wurde abgelehnt. Grundlage ihrer Lehre war das neue Testament. Die Katarer waren in ganz Europa verteilt. Ein Ballungszentrum war in Albi (Frankreich). Diese Leute waren auch die ersten Opfer der Inquisition. Waldes war ein Kaufmann in Lyon. 1176 verkündete er das Armutsideal. Er sagt die wahren Nachfolger Jesu sind diejenigen, welche auf Wohlstand verzichten und in Armut und Glaube leben. Im Ergebnis laufen der katholischen Kirche die Anhänger davon. Die Kirchenleitung musste sich Gegenmassnahmen überlegen. 2.3 Gegenmassnahmen durch Kirche 2.3.1 Kirchliche Orden Um den Entwicklungen entgegen zu halten wurden in der Kirche Orden gebildet. 2.3.2 Militärische Gewalt Man versuchte die Waldenser und Albigenser mit militärischen Feldzügen (1209 – 1229 Albigenserkriege) zu stoppen. 2.3.3 Gerichtshof und Inquisition Von Seite der römischen Kirche wurden die Institution der Inquisition und ein Gerichtshof eingerichtet. Man will die Ketzer aufspüren und verurteilen. 2.4 Insbesondere zur Inquisition Papst Gregor setzt 1231 lokale Inquisitoren ein um Ketzer aufzuspüren und zu überführen. Die Inquisitoren sind direkt dem Papst unterstellt. Inquisitoren waren sehr häufig Dominikaner. Sie sind in ganz Europa tätig (Ausnahme England und Skandinavien). Der Inquisitor ging nach einem Handbuch vor („Manuel de l’inquisiteur“). Er hatte Vorort den Pfarrer zu beten im Gottesdienst die Ketzer aufzubieten sich zu stellen. Eine Selbstanzeige hat innerhalb der ersten 30 Tage nach Ankommen des Inquisitors zu erfolgen. 55 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Das Vermögen der verurteilten Ketzer wurde drei geteilt. Einen Drittel erhielt der Inquisitor, ein anderer dem Papst und der letzte Teil der weltlichen Macht. Dadurch wollte man das die Folterungen und Hinrichtungen durch die weltliche Macht durchgeführt wurde. Die Kirche „dürstet nicht nach Blut“. Auch in der Schweiz gab es Inquisitionsprozesse. 1399 wurden in Bern 130 Personen vorgeworfen sie seien Waldenser. Sie wurden zu hohen Bussen verurteilt. Zudem mussten sie an ihrer Kleidung Kreuze anbringen. Man erfuhr, dass es auch in Freiburg Waldenser gab. Ihre Namen wurden gemeldet, doch die Stadt Freiburg liess diese Leute frei. Im 16. Jahrhundert erlebte die Inquisition eine Renaissance in Mittelitalien. Eine Kommission, bestehend aus Kardinälen wurde an die Stelle der Inquisitoren gesetzt. Daraus entstand das „heiligen Offizium“. 3. Judenverfolgungen 3.1 Daten der jüdischen Geschichte 3.1.1 Sephardim Juden in Spanien. Sie wurden unter Protektion gestellt, da sie dem Herrscher gute Dienste erwiesen. 1492 erfolgte die Ausweisung der Juden aus Spanien mit dem Ziel Spanien mit den Mittel des Christentums zu einigen. 3.1.2 Askenasim Sie wurden in den Städten und Ländereien Frankreichs ausgegrenzt und wanderten nach Russland ab. Dort erhielten sie viele Privilegien, da sie viel zum Aufbau der Wirtschaft beitrugen (Kreditwesen). Im 17 Jahrhundert wurden sie jedoch auch hier vertrieben. Die Juden wanderten zurück in den Westen und nach Amerika. 3.1.3 Stellung in Europa Im 19. Jahrhundert kommt eine Bewegung, welche den Juden dieselben Rechte garantieren soll, wie den Christen. Die Juden ergreifen im Zuge dieser Gleichstellung auch neuartige Berufe (Arzt, Anwalt...). 3.2 Geschichte der Juden in der Schweiz Die Geschichte beginnt im 13. Jahrhundert. Die Juden werden in die Städte integriert. In der Schweiz gibt es keine Ghettos. Sie arbeiten als Geldverleiher und Ärzte. Sobald man sie nicht mehr brauchte wurden sie vertrieben. Vom 17. bis 19. Jahrhundert lebten die Juden fast ausschliesslich in Endingen und Lengnau. In den anderen Orten waren sie Bürger zweiter Klasse. In der helvetischen Verfassung wurde den Juden die Niederlassungsfreiheit gewährt. In den nachfolgenden Verfassungen sind die Juden jedoch wieder ohne Rechte. Die Niederlassungsfreiheit wird erst 1866 mit der BV Reform endgültig statuiert. Die Kultusfreiheit kam sogar noch später (1874). Heute leben in der Schweiz cirka 18000 Juden. 56 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3.3 Stellung der Juden im Mittelalter 3.3.1 Allgemein In Spanien herrschte die Idee, dass die Juden Kammerknechte des Regenten waren. Sie kümmerten sich vor allem um die Finanzen. Dadurch erhielten sie Privilegien. So waren sie Leibeigene des Kaisers. Im 14. Jahrhundert wurde das Judenregal (Alleiniges Recht Juden zu haben) auf die Städte übertragen. Das christliche Zinsverbot verbot den Christen Zinsen für Darlehen zu nehmen. Darum brauchte die Stadt Juden, welche Geld leihten. Sie betrieben das gesamte Kreditwesen. Die Juden konnten sich das Bürgerrecht für eine beschränkte Zeit erkaufen und standen unter dem Schutz des Stadtherrn. Sie durften jedoch kein Handwerk betreiben. Verlor die Stadt das Interesse an den Juden (Lombarden halten sich immer weniger an das Zinsverbot) wurden sie wieder vertrieben. Es kam zu jahrhundertlangen Judenverfolgungen. 3.3.2 Judenverfolgung 1348/49 Den Juden wurde vorgeworfen: • Dass sie die Göttlichkeit von Jesus leugnen. • Die Juden haben Christus hingerichtet. • Sie vergiften Trinkwasserbrunnen. • Sie ermorden aus rituellen Gründen christliche Kinder. Es bestand eine Art Verschwörung, dass die Juden es auf die gesamte Christliche Bevölkerung abgesehen haben. Bei der Judenverfolgung ging es aber auch darum, dass der Stadtadel über seinen Verhältnissen gelebt hat. Die Leute hatten also Schulden bei den Juden. Durch die Liquidierung der Juden konnte sie also auch ihre Schulden liquidieren. Zudem bereicherte man sich an ihrem Hab und Gut. 4. Hexenprozesse 4.1 Forschungslage Die Hexenverfolgung ist sehr regional. Erste Prozesse fanden im 13. Jahrhundert statt. Einerseits über die Kirche und die Inquisitoren und andererseits über den weltlichen Herrscher. Die Kirche autorisierte die weltlichen Herrscher zur Hexenverfolgung. 4.2 Tatbestände der Hexerei Vorwürfe an die Hexen (Crimien magiae): • Pakt mit dem Teufel. • Sexuelle Vereinigung mit dem Teufel. • Teilnahme am Hexensabbat (Teufel trifft sich mit den Hexen) und Hexenflug. • Schadenszauber (Rückkehr vom Hexensabbat mit dem Auftrag den Christen Schaden zu zufügen). 4.3 Daten und Fakten In der Schweiz fanden 10000 Hexenprozesse statt. Wobei 5000 mit dem Tod endeten. In ganz Europa waren 80% der Verurteilten Frauen. Besonders intensiv waren die Hexenverfolgungen von 1550 – 1650. 1782 fand der letzte Hexenprozess statt (Anna Göldin). 57 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 4.4 Erklärungsversuche • • • • • • • • • • • Sexuelle Fantasie der Verfolger. Frauenfeindlichkeit. Ausrottung archaischer Kulte und medizinischen Geheimwissens (Schulmedizin will ihren Platz sichern). Bereicherungsabsicht der Richter. Versuche der Kirche zur Vernichtung des konfessionellen Gegners. Zerbrechen des mittelalterlichen Kosmos (die mittelalterliche Gesellschaft war überfordert und flüchtete sich in solche Prozesse). Mentalitätswandel im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Durchsetzung des absolutistischen Flächenstaates. Sozialdisziplinierung und Unterdrückung der Volkskultur. Veränderungen der Familienstrukturen (Frau bekommt stärkere Stellung in der Familie). Krisenzeiten: Frustration entlädt sich an Randgruppen und schwächsten Gliedern der Gesellschaft. 58 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §4 Das Zeitalter der Aufklärung 1. Der Einfluss auf die Theorienbildung 1.1 Der Strafzweck Mit den peinlichen Strafen wird die Vergeltung angestrebt. Deshalb haben die Strafen auch spiegelnden Charakter. Im laufe der Zeit findet eine Umkehr statt durch kirchliche Überlegungen. So kommt der Besserungsgedanke auf. Wichtige Namen dabei sind: • Gratian ( Strafe soll dazu dienen einen Täter zu bessern). • Hugo Grotius ( überführt das Talionsprinzip ins weltliche Recht. Die Strafe muss bestimmte Zwecke haben. Nur wenn dies gegeben ist, so ist eine Strafe erlaubt. Zwecke sind die Verhinderung weiterer Straftaten, Sühne des Delikts und der Schutz der Allgemeinheit). • Samuel von Pufendorf ( entwickelt die Theorien von Grotius weiter. Der Strafzweck ist der Schutz der Allgemeinheit (Generalprävention)). Text 57 (Die Metaphysik der Sitten (1785), Immanuel Kant): • Kant ist gegen die Verbindung von Strafe und Zweck. Man muss verurteilen und richten, damit Vergeltung und Gerechtigkeit herrscht (Inselbeispiel). 1.2 Das Legalitätsprinzip Anselm von Feuerbach (1775 – 1833). Formuliert den Satz „nulla poena sine lege“ in seinem Buch 1801.Er begründet das damit, dass die Strafe erst wirkt, wenn der einzelne weiss, auf was er sich einlässt. Zur Durchsetzung seines Prinzips ist folgendes von Nöten. Die Publikation von Gesetzestexten, keine Rückwirkung neuer Normen und das Verbot der analogen Rechtsanwendung. 2. Die Kritik an der zeitgenössischen Strafrechtspflege 2.1 Proportionalität von Delikt und Strafe Es bestand im peinlichen System kein Zusammenhang zwischen der schwere des Delikts und dem Strafmass. Die Aufklärung forderte, dass die Strafe nicht härter sein darf als es der Zweck erfordert. Cesare Beccaria (Begründer der Kriminologie) (1738 – 1794). In seinem Hauptwerk kritisiert er die Talion und fordert, dass der Mensch umgewandelt werde in ein Lasttier. Damit kostet er den Staat nicht, sondern bringt ihm etwas. Dies führte dazu, dass moderne Freiheitsstrafen eingeführt wurden. 2.2 Milderung des Strafensystems Noch in der Aufklärungszeit, wird das Strafensystem gemildert. Es wird die Proportionalität berücksichtigt. Die Aufklärungsjuristen stellen die Todesstrafe jedoch nicht in Frage. Sie darf nur eingesetzt werden, wenn sie angemessen ist. Die Todesdelikte werden also weiter eingeschränkt. Uneins ist man sich über die Frage der Zulässigkeit der Folter zur Wahrheitsfindung. Neu ist jedoch, dass die Straftäter auch ohne Geständnis verurteilt werden konnten, nur anhand von Indizien. Dem Geständnis kommt nicht mehr diese überragende Bedeutung zu. 59 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3. Die Anfänge der modernen Freiheitsstrafe 3.1 Allgemeines Im Mittelalter diente die Freiheitsstrafe nur als Übergangsfrist, bis der Täter bestraft werden konnte (Bsp. Tod). Vielmals verstarben die Gefangenen jedoch vielmals bevor sie verurteilt wurden. Man missbrauchte auch Strafgefangene für Galeerenschiffen (Sinn: Nutzen für den Staat). Grundlage für die moderne Freiheitsstrafe waren aber auch andere Positionen. Viele Leute wurden in der modernen Landwirtschaft überflüssig und gingen in die Städte (sie wurden Bettler und Diebe = Vagabunden genannt). Somit war das Gefängnis auch eine Möglichkeit, das Armutsproblem zu bewältigen, bzw. die Vagabunden loszuwerden. Arbeit wurde in jenen Tagen neu definiert. Hauptzweck der Arbeit war die körperliche Anstrengung (um demütig durchs Leben zu schreiten Lebensaufgabe, Zweck). Nicht der wirtschaftliche Nutzen war der Sinn, sondern die Selbstbeschäftigung. Strafgefangene sollten nicht nur kosten, sondern auch nützen. 3 Positionen: • Armutsproblem (Vagabunden), • Neubewertung der Arbeit • Merkantilismus (Wirtschaftsform, die darauf gerichtet ist, dass im Gesamtvergleich die Aussenhandelsbilanz so ist, dass man mehr Exporte betreibt als Importe, so dass der Staat möglichst viele Güter im Landesinnern zu Verfügung hat Staatsgefangene sollen auch dazu beitragen). 3.2 Das House of Correction in Bridewell 1553: König Edward stellt einen unbenutzten Palast zur Verfügung Zwecks Einrichtung einer Arbeitserziehungsanstalt. Die Idee war, dass Strafgefangene Nahrung und Pflege erhalten, sowie einen Unterricht im Lesen und Schreiben: Nachausbildung. 3.3 Das Raspelhaus in Amsterdam Ein Haus bei dem Strafgefangene Arbeiten verrichten mussten. Gefangene mussten tropische Hölzer raspeln (um damit Tücher zu färben Einnahme für den Staat). Der Staat hatte ein Monopol geschaffen, dass nur der Staat tropische Hölzer raspeln durfte. Die Idee wurde in ganz Europa in ähnlichen Projekten umgesetzt. 3.4 Die Schellenwerke in der CH Wohnsitzlose, Bettler und Strafgefangene wurden von der Strasse geholt und in die Arbeitserziehungsanstalten verfrachtet und dort eingesetzt. Aufgaben: öffentliche Plätze putzen, Holz fällen etc. Die Gefangenen trugen Halsbänder mit Schellen, damit sie von der Gesellschaft erkannt werden konnten. Dies waren erste Vorläufer der modernen Freiheitsstraffe in der Schweiz. 60 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §5 Strafrecht im 19. Jahrhundert 1. Der reformierte Strafprozess 1.1 Kritik am Inquisitionsprozess Der Inquisitionsprozess wurde immer umstrittener. Das Schwergewicht lag dort notgedrungen in der ersten Phase (Voruntersuchung) mit der Idee, dass der Untersuchungsrichter ein Geständnis erzwingen sollte. Der Untersuchungsrichter hatte somit eine unheimliche Macht inne. Man wollte die Macht einschränken. Der zweite Kritikpunkt war das Bestimmen des Untersuchungsrichters. Gehört der Untersuchungsrichter zur Judikative oder zur Exekutive? Historisch betrachtet gehörte der Untersuchungsrichter eigentlich zur Exekutive. Übergriffe konnten nicht ausbleiben und unliebsame Kritiker wurden beseitigt. zu grosser Einfluss der Exekutive. 1.2 Das Grundprinzip des reformierten Strafprozessrechts Das Gewicht wurde gleichsam in Voruntersuchung und Hauptverhandlung verlagert. Zudem forderte man die Unabhängigkeit des Untersuchungsrichters und wollte ihn deshalb der Judikative zuordnen (so wie jetzt im Kt. Bern). Weiter wollte man auch entlastende Massnahmen in die Voruntersuchungen einfliessen lassen. Prozessual wurde die Stellung des Untersuchungsrichters sehr weitgehend losgelöst vom Ziel der Verurteilung. Neu sollten Unschuldige in jedem Fall frei gesprochen werden. Das Geständnis war nicht mehr nur die einzige Beweisform, auch andere Indizien wurden zugelassen. Laienrichter (Geschworenengericht) wurden eingesetzt, um eine breitere Betrachtung anzustreben (Demokratisierung und Verwesentlichung). (Geschorenenprozesse sind auch heute noch üblich Kt. Bern, in schweren Fällen, ab 1 Jahr Gefängnis). 1.3 Die Verwirklichung im franz. Revolutionsrecht: Es gab keinen König mehr, der für den Strafvollzug zuständig war. Das Ministère Public wurde der Exekutive belassen (Einführung eines Staatsanwalts als Mitglied der Exekutive, da die Gerichte mehr Kompetenz erlangen konnten). Der Staatsanwalt wachte darüber, dass die Richtigen der Verurteilung zugeführt werden. 1.4 Die Einführung in Deutschland und der Schweiz Die kantonale Vielfalt birgt Hindernisse für ein gemeinsames Recht. So entstanden auch verschiedene Systeme. Bsp.: Staatsanwalt in Bern (welcher den Untersuchungsrichter überwacht). In den welschen Kantonen fand eher eine Anlehnung an das franz. Staatsanwaltssystem statt. Heute: Keine Einheitlichkeit (jetzt Revision in Gang). 2. Bestrebungen zur Modernisierung des Freiheitsentzuges 2.1 Missstände im Strafvollzug Welche Aufgaben hatten die Gefängnisse in der Schweiz im 18. Jahrhundert? Die Situation war katastrophal, viele Häftlinge starben. Die Idee der Individualisierung der Strafe kam auf. Man wollte unterschiedliche Haftbedingungen, je nach Kriminalität. 61 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 2.2 Das amerikanische. Einzelhaftsystem Eine Idee stammte aus Philadelphia: Ein Hauptgebäude (Verwaltung) mit verschiedenen Nebengebäuden für die diversen Straftaten (1 Haus für Diebstahl, 1 Haus für Mord, etc.). Die Idee wurde übernommen. 1795: erstes Gefängnis in Europa (in Gent) nach dieser Art. 2.3 Das Progressivsystem Man wird wiedereingegliedert in die Gesellschaft (Einzelhaft, Arbeit, bedingte Entlassung). 3. Das eidgenössische Strafrecht Karl Stoos hat das Recht in der Schweiz untersucht 3.1. Stadtrechte und Landrechte Es gab viele verschiedene Gesetze in den verschiedenen Kantonen. Appenzell Innerhoden hatte beispielsweise gar keine Regelung (Ein Landbuch von 1409 kam deshalb dort zur Anwendung; weiter ein Landbuch von 1585; und Mandatenbücher von 1597). Karl Stoos hatte sie gefragt, ob sie wirklich nach diesen Büchern richten wollten. Somit herrschte in AI immer noch Gewohnheitsrecht. Man musste reformieren. 3.2 Das Strafgesetzbuch der Helvetik Nach dem Einmarsch von Napoleon hat sich die Schweiz Frankreich angegliedert (1799: deutsche Abschrift des Code penale Peinliches Gesetzbuch Angliederung an Frankreich). Peinliche Strafen waren somit üblich. 3.3 Kantonale Strafrechtskodifikationen Exkurs: Daten des Strafgesetzbuchs • 1848 Bundesverfassung (keine Bundesregelung für OR, ZGB oder StGB) • Das StGB blieb nach wie vor kant. Materie • jeder Kanton lehnte sein Gesetz an diverse ausl. Vorbilder an • 1874 OR erhält Bundeskompetenz • 1894 Rechtseinheit im Gleichschritt für ZGB sowie für StGB (Carl Stoos macht 1888 eine vergleichende Darstellung des kant. Rechtes Vorbereitung des Gesetzes. 1892 wurde bereits ein Vorentwurf von Stoos vorgelegt.) • 1893-1895 Expertenkommission unter Mitwirkung von Stoos (er ging 1895) • 1912-1916 2. Expertenkommission • 1928-1937 Parlament • 1942 Inkrafttreten des StGBs Daten zu Carl Stoos: Die Zeitschrift für Schweizerisches Strafrecht wurde von Stoos gegründet. Er wurde 1849 geboren (wie Eugen Huber) und hat bis 1934 gelebt. Er hatte den Vorteil, dass er relativ frei in der Entwurfformulierung war (damals: keine Mitwirkung im Rahmen des Entwurfs kein Vernehmlassungsverfahren). Leider hat er das Inkrafttreten seines Gesetzes gar nicht mehr erlebt. Nebenbei war Stoos in Bern als Anwalt tätig und hatte auch eine Professur in Bern. Dann arbeitete er beim Berner Obergericht. Dann sah er die Möglichkeit, ohne Besoldung in Bern als Honorarprofessor zu arbeiten. Um zu verdienen, übernahm er den Vorentwurf des Gesetzes vom Bund. 1894 herrschte Rechtseinheit. (Eugen Huber war damals in Halle, er kam jedoch nicht in die Schweiz, bis Stoos nach Halle fuhr und Huber zurück nach Bern nahm.) Stoos ging nach Wien, war jedoch dort unglücklich und Huber erntete alles Lob. 62 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Ausgangspunkt war, dass Stoos vom Bundesrat angefragt wurde, ob er die Botschaft zur Rechtseinheit verfassen wolle. Er lehnte ab, da er Strafrechtler sei. Huber hat dann zugesagt. Eugen Huber hatte bei seiner ersten Vorlesung keinen Studenten. Persönliche Beziehungen halfen Huber, dass er schlussendlich die Kodifikation vornehmen konnte (dank einem Freundschaftsverhältnis zu Bundesrat Brenner). So rutschte Stoos als zweites Glied hinter Huber. Die Absicht war auch, das Strafrecht vor dem Zivilrecht zu kodifizieren, bzw. zu reformieren. Virgile Rossel hat Huber unterstützt, indem er eine Motion beim Nationalrat einreichte. Die Idee war, das Zivilrecht vorrangig zu behandeln (Absprache Huber – Rossel). Gründe zum Vorrang ZGB: • Praktische Bedeutung des Zivilrechts (Wiege bis Bahre). Jeder braucht Zivilrecht, im Gegensatz zum Strafrecht. • Die föderalistischen Widerstände waren im Strafrecht grösser als im Zivilrecht. • In der Strafrechtswissenschaft war Stoos Anhänger der modernen Schule Stoos’ Arbeit wurde oft kritisiert. Es herrschte ein Streit in der Wissenschaft. • Stoos war ein sehr eigener Mensch (Starrkopf) im Gegensatz zu Huber, welcher die Strategie hatte, die wichtigsten Gegner direkt in der Gesetzfindung mit einzubeziehen. Dies ist auch ein Grund, dass das Gesetz einstimmig angenommen wurde. (Strategie Huber) • Im Strafrecht hatte man viele umstrittene Punkte (Bsp. Todesstrafe). • Ungeschickte Schachzüge von Stoos... ( siehe oben) • Wechsel im Bundesrat (Müller – Brenner) pers. Beziehung zu Huber • Schwache Lobby (im Gegensatz zu Huber – Rossel – Franz Schmid). Motion wurde innerhalb von 24h unterschrieben. • Stoos war keine Führernatur und hat seine Ziele nicht so zielstrebig verfolgt wie Huber 63 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §6 Das schweizerische Strafrecht im 20. Jahrhundert 1. Die Entstehung des StGB 1.1 Der Schulenstreit in der Strafrechtswissenschaft War er Anhänger der klassischen Schule oder Vertreter der neueren Schule? Er hat die verschiedenen Systeme zu kombinieren versucht. Ausgangspunkt war jedoch die klassische Schule. Hauptpunkt der Strafe sei Vergeltung. Die Strafe sei nach dem Verschulden des Täters zu bemessen. Er setzte jedoch besondere Punkte auf Resozialisierung (bes. im Jugendstrafrecht. Er sagte, dass das Sanktionensystem dualistisch sein sollte (auch Massnahmen, Prävention). Ein Täter sollte auch einer Massnahme zugeführt werden, wenn er schuldunfähig ist. Vorher war Gefängnisstrafe ausschliesslich Mittel zur Vergeltung. 1.3 Die Gesetzgebungsgeschichte des StGB 2. Die Revision des StGB 2.1 Die Revision von 1971 zum Strafvollzug Vor allem beim Sanktionensystem wurden Anpassungen vorgenommen. Der bedingte Strafvollzug wurde bis auf 18 Monate erhöht. Zweiter Revisionspunkt war, dass die Zuchthaus- und die Gefängnisstrafe in derselben Anstalt abgesessen werden kann. Zudem wurde die Idee verwirklicht, dass ein Strafgefangener resozialisiert werden soll ( arbeiten am Tag, die Freizeit muss im Gefängnis verbracht werden (Halbgefangenschaft)). 2.2 Die Revision von 1987 zum BT Revision im Bereich des Sexualstrafrechts (Jugendliebe wird straflos). Vermögens- und Urkundendelikte werden präzisiert. Die Falschbeurkundung wurde beibehalten. Computerdelikte stellen eigene Straftatbestände dar. 2.3 Der Entwurf von 1993 zum Sanktionensystem Die kurze Freiheitsstrafe wird durch Geldstrafen oder gemeinnützige Arbeit zurückgedrängt. Zudem sollen Fahrverbote für Verkehrsdelikte eingeführt werden. 64 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp IV Neuere Privatrechtsgeschich te 65 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §1 Einleitung: Zur Terminologie Die Rechte der einzelnen Stämme finden Anwendung auf die einzelnen Personen. Es gibt fast keine Rechtsquellen und schon gar kein einheitliches Recht. 66 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §2 Das Privatrecht vor der Rezeption 1. Allgemeines Die Rezeption beginnt mit der Wiederentdeckung des Corpus Iuris Civilis im 11. Jahrhundert. Vor dieser Epoche ist das Privatrecht komplett zersplittert. Bei jedem Stamm wurden die Dinge anders geregelt. 2. Die Rechtsfähigkeit Man dachte ständisch. Je nach Stand hatte man mehr oder weniger Rechtsfähigkeit. Im germanischen Staat sind die Wurzeln dieses Denkens zu finden. Es gab drei Gruppen von Leuten: • Unfreie (haben keine Rechte, nur Pflichten) • Freie (haben grundsätzlich Rechtsfähigkeit, sind aber immer noch in Pflichten eingebunden). • Adelige (haben volle Rechtsfähigkeit). 3. Das Familienrecht Das damalige Recht ist nicht so sehr geprägt vom Individualismus. Der Personenverband (Sippe) war zentral. Sie bestimmt das Familienrecht. Daneben gibt es die Kleinfamilien. Sie war unter der Munt des Familienoberhauptes. In den Stammesrechten wurde die Frau bei der Heirat von der Munt ihres Vaters in die Munt des Mannes transferiert. Dies ändert sich in der fränkischen Zeit durch den Einfluss der Kirche. Die Ehe wurde als Sakrament verstanden und konnte nur mit dem Willen der Frau geschlossen werden. Nur der Mann konnte zu dieser Zeit eine Scheidung einreichen. 4. Das Erbrecht Ausgangspunkt bildet der Gedanke, dass ein Vermögen einem Familienverband gehört. Es gibt keine Gleichheit der Geschlechter. Die Töchter erben nur die Fahrhabe. Die Söhne erhalten die Liegenschaften. Es gab die Möglichkeit der ungeteilten Zuweisung an die Gemeinde (gibt es noch heute). Hat jemand mit grossem Vermögen keine Nachkommen, so wird die Sippe begünstigt (heute Erbberechtigung des Gemeinwesens). Testamente waren zu dieser Zeit zwar bekannt, jedoch nicht üblich. Das kanonische Recht brachte auch hier eine Änderung. Die Kirche wollte auch einen Teil des Vermögens des Verstorbenen. Sie fördert also das schreiben von Testamenten, sodass die Kirche auch erben konnte. Auf diese Weise hat die Kirche grosse Landanteile gewonnen. Der Teil, welcher an die Kirche ging, wird Sohneskopfteil genannt. Stadtrechte proklamieren die Gleichstellung von Söhnen und Töchtern und ziehen diese auch durch. 5. Das Sachenrecht Man beschäftigte sich vor allem damit, was zum Mobiliar- und was zum Immobiliarvermögen gehört. Alles was die Fackel zerstört ist Fahrhabe (also auch ein Holzhaus). Anders definiert im 13. Jahrhundert der Schwabenspiegel die Fahrhabe (was man tragen kann ist Fahrhabe; auch Vieh und Ross). Sukzessive wird das Eigentum herausgebildet. 67 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 6. Das Schuldrecht Das Schuldrecht war weitestgehend geprägt durch äussere Handlungen (Bsp. Handschlag, aufrecken eines oder drei Finger). Besonders problematisch war die Frage der Nichterfüllung. Durch Nichtleistung verliert der Schuldner den Schutz seiner Sippe und wird in die Schuldknechtschaft geführt. Er wird zum Vermögen seines Gläubigers. Die Geschäfte wurden sogleich abgehandelt. Man ging keine Schuld ein. Die Güter wurden direkt ausgetauscht. Die Kreditierung ist nur sehr schwach ausgebildet. 68 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §3 Der Beitrag von Glossatoren und Konsiliatoren 1. Ausgangspunkt Die Glossatoren sind die ersten, welche gestützt auf einen zentralen Text (Corpus Iuris Civilis) Auslegungen betrieben und darauf Entscheide gemacht haben. 2. Glossatoren und Konsiliatoren Irnerius gründet die erste Schule für Glossatoren. Sie sind schliesslich der Ausgangspunkt für unser heutiges Recht. Bekannte Glossatoren sind: • Irnerius (1112 – 1125) (lucerna iuris die Leuchte des Rechts) war Rechtsgesandter einer Gräfin und war als Hochschullehrer tätig. • 4 Doktoren (die Lilien des Rechts) Martinus, Bulgarus, Jakobus, Hugo (sie waren tätig für Barbarossa im Streit gegen die lombardischen Städte). • Azo (ca. 1220) sein Hauptwerk ist die summa codicen. Darin fasst er die verschiedenen Lehren zusammen. • Accursius er fasst alle diese Lehre in der glossa ordinaria zusammen. Ausgangspunkt für eine Glosse bildet die Feststellung, dass die Glossen anhanden eines Textes (Corpus Iuris Civilis) entsteht. Dieser Text ist eine einzige Wahrheit (ratio scripta). Es gab jedoch Digesten, welche sich widersprachen. Darum wurden den Digesten Randbemerkungen zugefügt (die so genannten Glossen). Auch die Glossatoren schrieben nebenbei Gutachten. Text 63 (Azo zur Schenkung): Es gibt verschiedene Arten. Die Marginalglosse ist die Hauptart. Sie steht am Rand. Eine zweite Art sind die Interlinearglossen. Sie werden zwischen den Text geschrieben. Die Glossatoren nehmen die lokalen und die Statutarrechte nicht unter die Lupe. Dies war den Konsiliatoren vorbehalten. Die Konsiliatoren schrieben Gutachten. Sie werden auch Kommentatore genannt. Sie folgen zeitlich auf die Glossatoren. Sie verschmelzen die lokalen Gebrauchsrechte mit dem römischen Recht. Dies führt schlussendlich zum Ius Commune. Die Statutartheorie bestimmt, dass die Statutarrechte dem Corpus Iuris Civilis vorgehen. Eine Einschränkung erhält diese Theorie dadurch, dass im Zweifelsfalle der Corpus Iuris Civilis zur Anwendung gelangte. Mit der Zeit verschwand das Vorrecht des Statutarrechts und es entstand das Ius Commune. Bei den Konsiliatoren überragen 2 Namen: • Bartolus de Saxoferratis (1314 – 1357) war der dominierende Konsiliator (nemo bonus iurista nisi bartolista). • Baldus de Ubaldis (1327 – 1400) wirkte als Anwalt und verfasste 2700 Gutachten. Zudem war er Parteivertreter verschiedener Städte. Beide waren auch als Lehrer, unter anderem auch in Bologna tätig. Sie wenden sich im Gegensatz zu den anderen Konsiliatoren auch anderen Bereichen des Rechts (IPR) zu. Sie prägen die Rechtsentwicklung sehr stark. 3 Beispiele dogmatischer Leistungen der Glossatoren: 69 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp • • • • • Keine Handlungen für einen Dritten (Art. 32 OR) wurde eingeschränkt und zurückgedrängt ( erste Ansätze der Stellvertretung). Anwendung des Eigentumsbegriffes auf das Lehnwesen (Ober- und Untereigentum). Grundlagenschaffung für die Solidarität (mehrere Personen müssen für eine Verpflichtung einstehen). Erste Ansätze zur Ausbildung der Zession. Sie stellen Rechtsvermutungen auf (vor allem im Bereich des Eigentums). Der Konsiliatoren • Firmen- und Wappenschutz. • Abwehr der Besitzesstörung ( Summarverfahren). • Es werden 5 verschiedene Stufen der Verschuldenslehre (dolus) ausgebildet. Den verschiedenen Arten der Fahrlässigkeit werden verschiedene Rechtsfolgen zugeordnet. • Es werden die Grundlagen gelegt für das negative und das positive Interesse. Text 64 (Vorgehensweise der Glossatoren). 70 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §4 Der Beitrag der Kanonistik 1 Fragestellung Gratian bringt das Kirchenrecht in einen logischen Zusammenhang und Reihenfolge. Im 12. Jahrhundert beginnt sich das Kirchenrecht von der Theologie abzuspalten. Es gab 2 verschiedene Schulen: • Die Dekretisten. Sie interpretieren die Dekrete. Wichtige Namen sind Paucapel, Rolandus, Rufinus, Huguccio • Die Dekretalisten. Sie interpretieren und fassen die päpstlichen Entscheidungen zusammen. Wichtigen Vertreter dieser Schule sind Bernhard von Faria und Tankred Alle Dekretalen (die so genannte liber extra) und die Dekrete wurden 1234 zum Corpus Iuris Canonici zusammengefasst. Zu dieser Zeit war die Kirche eine wichtige Instanz für viele Rechtsfragen (zum Beispiel im Eherecht). 2 Kirchliche Gerichtsbarkeit im Spätmittelalter Der Bischof setzte Leute ein, welche für ihn Rechtsentscheide fällten (so genannte Offiziale). Die Urteile wurden von den Offizialen mit Hilfe von Druckmitteln (Bsp. Exkommunion) durchgesetzt. Für was waren die Offiziale zuständig: • Einerseits für Personen (geistliche, Kreuzfahrer, Fremde, Reisende und Frauen und Kinder). • Andererseits für Angelegenheiten in Ehesachen und Schuldverträgen ( Wucher). Die Rechtsquellen der Offiziale waren einerseits das Kanonische- und das Gewohnheitsrecht, andererseits die Lehre und Überlieferung des römischen Rechts. 3 Schuldrecht In der heutigen Rechtsordnung kennen wir viele Grundsätze (Bsp. Vertragsfreiheit (Art. 19 OR); Formfreiheit (Art. 11 OR); Persönlichkeitsrechte (Art. 27 ZGB)). Wie sah dies jedoch früher aus? Im römischen Recht gab es Typenfixierung und Typenzwang. Die Kanonisten (vor allem Huguccio) machten den Schritt Richtung Freiheit. Diesem Schritt lag eine moraltheologische Überlegung zugrunde: Wer verspricht muss auch halten, da er sonst eine Todsünde begeht. Jedes Versprechen war durchsetzbar. Es sei denn, dass die Werte so unterschiedlich sind, dass derjenige, welcher eine Leistung durchsetzen will eine Sünde begeht (auch hier Moraltheologie). Dies war der Fall, wenn die Ware weniger als ½ Wert des Preises hatte ( Wucher). Man fand zu dieser Zeit auch einen Vorläufer der clausula rebus sic stantibus. Der Rücktritt vom Vertrag konnte geäussert werden, wenn sich die Umstände fundamental geändert haben. Text 66 (Thomas von Aquin zur Sachmängelhaftung beim Kauf): Er unterscheidet die Mängel an Güte, Menge und Wesensart. Von Aquin legte die Grundlagen von Art. 24 OR. Exkurs: 71 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Trivium: Dialektik (These + Antithese = Synthese), Grammatik (Auslegung aus dem Wort heraus), Rhetorik (Wie muss etwas vorgetragen werden, damit es richtig verstanden wird) Grundlage der Wissenschaft im Mittelalter Scholastik Corpus iuris Canonici 4 Ehe- und Familienrecht Frau wurde aus Mund ihres Vaters in Mund ihres Ehemannes übertragen. In der Kanonistik wurde der Wille der Frau plötzlich von Bedeutung (ehelicher Konsens). Die Frage der Dauer der Ehe tauchte auf. Ausgangspunkt: Kirchliche Lehre des Sakraments: Der Gläubige erlebt die Gnade Gottes durch konkrete Akte (7 Sakramente im Mittelalter). Die Ehe ist ein Sakrament, welches nicht wiederholbar ist und nicht zurückgegeben werden kann. Ein weiteres Sakrament ist die Priesterweihe (irreversibler Vorgang). Krankensalbung vor dem Tod ist auch ein Sakrament? Ehe ist eine lebenslängliche Bindung. Grundsätzlich ist auch heute noch (zivilrechtlich) die Ehe ein Dauerschuldverhältnis. Es gab heimliche Eheschliessungen (Problem der Polygamie), weshalb eine zwingende Formvorschrift eingeführt wurde (kirchliche Trauung). Dies wurde auch in unser ZGB übernommen (Eherecht ist kodifiziertes Kirchenrecht: Prinzip der Öffentlichkeit). Die Kirche schrieb weiter vor, dass die Eheschliessung unter Aufsicht eines Priesters stattfinden muss (heute Zivilstandsbeamte). Ehehindernisse: Eheschluss verboten ab einem best. Verwandtschaftsgrad. Bis ins 19. Jahrhundert kanonisches Recht, dann Überführung ins heutige Recht. 5 Weitere Rechtgebiete Verfügung über Erblass: Idee, dass vor dem Pfarrer ein Testament errichtet werden konnte (vor Priester und Zeugen). Das Ziel war die Begünstigung der römisch-katholischen Kirche und die Zurückdrängung der Blutverwandtschaft. Ersitzung: Bedarf es des Guten Glaubens nur während dem Erwerb oder während der gesamten Ersitzungsdauer? Römisches Recht: Im Zeitpunkt der Aneignung muss der Gute Glauben vorhanden sein. Kanonisches Recht: Wenn man später einen bösen Glauben hat, ist dies Sünde, was eine Ersitzung verhindert (der Gute Glaube muss während der ganzen Ersitzungsdauer vorhanden sein) Zivilprozessrecht: Grundsatz der Öffentlichkeit stammt aus der Kanonistik. Mündlichkeit der Prozesshandlungen (Prozessvorträge) ist auch Resultat der Kanonistik. Die freie Beweiswürdigung des Richters ebenfalls (Innozenz) 72 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §5 Französische Privatrechtsgeschichte Frankreich: 2 Rechtskreise (Grenze: Loire): Im Süden: droit écrite / Im Norden: droit coutûmier. Im Süden: Austausch mit Italien. Papst verbot das römische Recht in Paris studieren zu können. Dies führte zu einer Abwanderung in den Süden. Dies führte zu einer engen Verknüpfung zwischen Norditalien und Südfrankreich. Mos gallicus findet viele Anhänger: Die Glossatoren und die Kommentatoren haben. Die Idee war, das Mos gallicus will vordringen zum klassischen römischen Recht. Man wollte das klassische römische Recht freilegen. Dabei hat es reichlich Polemik gegeben. Anti-Tribolian. S. 25 Die Franzosen wollten sich loskoppeln vom römischen Reich im MA Abneigung des Kaisertums. Vertreter: • Cujaz • Donellus (1527-1591) • Hotmann • D. Gottofriedus (Parallelstellen des Corpus iuris zusammengefasst) • J. Gottofriedus (beide machten Neuauflagen des Corpus iuris Grundlage des code civil) 73 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §6 Englische Privatrechtsgeschichte 1. Allgemeines Recht wurde in Oxford und Cambridge ausgebildet. Vacarius hatte verschiedene Rechtsbücher geschrieben (Bspw. Ein Rechtsbuch für arme Leute, nicht zu dick und nicht zu teuer). Wie funktionierte die Juristenausbildung? In England eine eigenartige Ausbildung. Es bestand eine Ausbildung für Kleriker, da diese Lesen und schreiben konnten (ca. jeder 8. Mann und jede 30. Frau konnten lesen). Die Ausbildung führte direkt in die Praxis (in die „Inns of Court“). Sie mussten sich entscheiden, ob sie als Pleader (heute Barrister), Attorney (Solicitor) arbeiten wollten. Die Juristen wurden nicht an materiellem Recht ausgebildet, sondern nur an formellem (Prozess-)Recht. Dies aufgrund des common laws, das gar kein materielles Recht kennt. Common Law: Hatte Vorrang vor dem Civil Law (ist heute der Begriff für unsere Rechtordnung, damals Begriff für Römisches Recht). Im Unterschied hatten sie ein Billigkeitsrecht (Equity) selbständig herausgebildetes Richterrecht. Statute Law (Einzelfallrecht) Die Engländer haben bis heute noch gar kein geschriebenes Recht. Das englische Recht ist ein herumtappen in einzelnen Fällen. Diese Idee ist uns nicht ganz so fremd (Bundesrechtssprechung). 2. Zur Rezeption Das römische Recht wurde in England zurückgedrängt, da der englische Adel die Rezeption des RR ablehnte. In Einzelfällen war jedoch hin und wieder ein römischer Einschlag zu sehen. Das römische Recht wurde fallbezogen zugezogen. 3. Das Common law 3.1 Charakteristisches zum Common law Keine systematischen Gesetzesbücher. Die Engländer hatten einzelne Fälle mit bindender Wirkung und Einzelgesetze zur Lösung von einzelnen fallbezogenen Problemen. (CH Vertrauenshaftung BG 120 II 133;) Denken nach Anspruchsgrundlage 3.2 Wie ist das Common law entstanden? Um Rechtsanspruch durchsetzen zu können brauchen wir eine geeignete Klageformel (Rechtsbegehren) um im Verfahren zum Recht zu kommen. Dabei hatten die Engländer etwas Ähnliches wie die Romanisten (Die actio als kodifizierter Rechtsanspruch im Einzelfall). Die Engländer hatten ein „writ“ (schriftlicher Befehl des Königs an den Sheriff Voraussetzung eines erfolgreichen Gerichtsverfahrens). Beispiel: writ of dept: Zum Bezahlen einer Schuld. Im 13. Jahrhundert gab es 75 writs. Bei den Römern wurden ständig neue actios gebildet. In England durfte der König nur eine neue Writ schaffen, wenn die (ab 1258) Barone (königlicher Rat) zustimmten. Zustimmung des Adels zu neuem Recht. Dieses System wurde sehr starr. So wurde es mühsam sein Recht durchzusetzen, wenn zuerst ein neues Writ gebildet werden musste. 3.3 Gerichtsorganisation Court of Exchequer: Administrative Abteilung im Zusammenhang mit dem Geld des Königs (Steuerfälle) 74 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Court of common pleas: Zivilrechtliche Streitigkeiten (Zivilgerichtsbarkeit). Auch obligationenrechtliche Fälle. zwischen Bürgern Court of Kings Bench: unerlaubte Handlungen (OR 41 ff., Haftungen) 4. Equity Problem im Writ-System: ein arglistig handelnder konnte unter Umständen sein Recht durchsetzen. Man konnte nicht auf Unterlassung klagen. Man musste den König bitten einzugreifen um dem Recht und der Billigkeit zum Durchbruch zu helfen (Entscheidung nach Recht und Billigkeit Heute ZGB 4). Der König hatte immer mehr zu tun und schaffte ein Administrativgericht (Abdelegierung an den Kanzler). Der Kanzler war ein geistlicher, und setzte kanonisches Recht und somit auch zum Teil römisches Recht ein (Begriff des Gewissens spielte eine immer grössere Rolle). 1873: Gerichtsreorganisation (die Engländer übernahmen diese Gewissensmaxime für alle Gerichte). Maximen der Equity: • Jede Rechtsuntat soll sanktioniert werden. • Wer Equity sucht muss dies auch leisten (bsp. Fristen) wer etwas will muss etwas leisten • Wer sich auf Equity beruft muss ein gutes Gewissen haben (Treu und Glauben), sonst wird Rechtsschutz verweigert. 75 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §7 Anfänge des Handelsrechts 1. Fragestellung Ein neues Zeitalter generiert auch eine Neuschaffung von Gesetzen (unabhängig der Tradition). Handel ist entstanden, Recht auch (nicht einfach Rezeption des römischen Rechts). Neuschaffung von Handelsrecht im Mittelalter 2. Handel seit dem Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit Wo ein Markt existiert, entwickelt sich auch eine Stadt (Jahrmärkte, Messe). Die Händler kamen nur, wenn sie sich sicher waren, dass ihnen nichts passiert (freies Geleit). Messeplätze: Paris, Antwerpen, Gent, Worms, Bozen, Zurzach. Die Schweiz wurde im Mittelalter als Durchgangsland benutzt (mit Zwischenlagern). Auch Seerouten bildeten sich und Seerecht entstand (Bildung von AGs). Schwerpunkt der Handelswaren: Getreide, Vieh, Gewürze. Die Frage stellte sich, wer Handelsgeschäfte tätigen darf (Begründung gesamteuropäischen Handelshäusern um Handel anzukurbeln: Fam. Medici in Florenz, Fam. Fugger in Deutschland wie heute Nestlé). Man betrieb auch Handel mit Schiffsanteilen mit der Idee, dass von einer Schiffladung mir ein Teil gehört (Pate einer Reederei Mitfinanzierung von Schiffen). Banken und Börse: Sobald man überregional Handeln will, hat man das Problem, dass man mit Bargeld nicht weit kommt. So wurde die Kreditgewährung von zentraler Bedeutung (Banken zuerst in Italien). In der Schweiz hatte das Bankenwesen zuerst nur eine Nebenrolle (Oberitalien war viel wichtiger). Der 30-jährige Krieg führte dazu, dass Bern zum führenden Bankenplatz wurde (protestantisches Kapital). Seerecht: Gefahren auf dem Meer: Piraterie (Versuch die Schiffsladung zu versichern). Der 1. Versicherungsvertrag datiert von 1329 in Genua. Für die Entwicklung des Notariates war das Versicherungsrecht sehr wichtig. Bereits im 14. Jahrhundert haben Notare eine öffentliche Versicherungsurkunde erstellt. Das kanonische Zinsverbot: Die kirchliche Doktrin verkündete Verstoss gegen Liebesgebot der Bibel (Hilfe nur ohne Gegenleistung). Niemand wollte gratis ein Risiko eingehen. Zinsen wurden später als Risikoentgelt begründet. Es ging fortan darum, wie viel Prozent nicht gegen das Liebesgebot verstosse. Die Frage wurde entschieden: 5%. 3. Spätmittelalterliches Gewohnheitsrecht 3.1 Allgemeines Zu dieser Zeit kein kodifiziertes Recht. Das Handelsrecht bildete sich Schritt für Schritt aus: Gewohnheitsrecht. Wechselrecht (Anweisung an Bank, einem 3. Geld zu bezahlen) wurde als zentrales Kreditinstrument regionenübergreifend eingesetzt (heute: kodifiziert aber selten angewandt). 3.2 Ausbildung des See- und Seehandelsrechts Geprägt von der Internationalität. 8. Jahrhundert: Seegesetz von Rhodos, an welchem man sich im MA orientierte. In Italien schlossen sich Einzelkaufleute zu Innungen (Zünften) zusammen. Konsulate wurden ausgebildet (eigene Gerichtsbarkeit). Parallel dazu gab es Handelsstädte mit Seegerichten. 76 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 3.3 Recht des kaufmännischen Standes (heute: Handelsregisterrecht) Idee der Vereinigung von einzelnen Kaufleuten mit eigenen Statuten und einer Anlaufstelle, sowie eine monoploistische Stellung gegen aussen (heute: Bankiervereinigung). 4. Gesetzgebung in der Neuzeit Stadtbildung (bsp. Hansestädte wie Lübeck oder Hamburg). Dort wurden Rechtsfragen aufgenommen. Zudem hatte das Handelsrecht Druck ausgeübt auf die Bildung einer wirtschaftlichen Freiheitszone (Territorialstaaten). 1681: France: Ordonnance de la Marine, später Code de Commerce (1807). Erst im 19. Jahrhundert entstanden erste logische Gesetzessystem im Handelsrecht (vorher immer Gewohnheitsrecht. 5. Handelsgesellschaften 5.1 Einleitung 5.2 Wurzeln unseres heutigen Handelsrechts 1464: das kaiserliche Privileg, dass stille Teilhaber nicht mehr persönlich Haften. Haftungsbeschränkung als Grundidee. Man konnte anonym investieren, so dass das Privatvermögen nicht gefährdet war. Der Seehandel war sehr kapitalintensiv und sehr risikoreich. Idee der Risikobegrenzung (ein einziges Schiff birgt zu viel Risiko): man konnte sich an mehreren Schiffen beteiligen. Dies ist noch heute die Grundlage unserer AGs und GmbHs. Herausbildung grösseren Seehandels- und Kolonialgesellschaften. Der Staat verlieh solchen Kompanien Handelrouten-Monopole. Der Staat verlieh auch das Recht, mit anderen Staaten Verträge abschliessen zu können. Es gab jedoch auch freie Unternehmungen und nicht nur staatliche Monopole (Bsp. England). Aktie: Das Wort hiess nichts anderes als Kapitaleinlage des Einzelnen. 5.3 weitere Rechtsquellen 1794: allg. Handelsrecht Preussen (ALR). France: Code de Commerce (manche Kantone haben diesen Code mitberücksichtigt) Kt. FR: 1850: einzelnes Handelsrecht Handelsrecht in der Schweiz im 19. Jahrhundert: Es fand eine Kodifikation statt. 1848 nach dem Sonderbundskrieg wurden durch die Staatsgründung die Binnenzölle abgeschafft und der Schweizer Franken entstand. Erste Bestrebungen wurden unternommen, um das Handelsrecht in der Schweiz zu kodifizieren. Die Berner waren die ersten!!!!!!! Die Kantone hatten eigenständige Handelsgesetze geschaffen. Später entstand ein Konkordat (1854: Wechselkonkordat). Es gab auch Entwürfe zu einem Kantonsrechtlichen Handelsrecht. Joseph Munzinger’s Sohn Walter haben eine Schweizerische Regelung ausgearbeitet. Er äusserte sich zum ganzen Obligationenrecht. Diese Regelungen wurden auch ins heutige OR teilweise übernommen. Sein Handelsgesetzesentwurf hatte auch international Bedeutung. In diesen Jahren erlebte die Schweiz eine Demokratisierungswelle. Es bestand jedoch der Vorwurf des Sonderprivileges zu Gunsten der Handelsleute, so dass das Handelsgesetz (1864) nicht international übernommen wurde. Der Entwurf wurde überarbeitet und in einen code unique (Vereinigung des Rechts OR, Handelsrecht etc.) umgewandelt. Viele Kantone fanden die Idee gut und haben im Juli 1868 der Idee zugestimmt und es wurde beschlossen 77 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp ein OR auszuarbeiten. Munzinger bekam den Auftrag ein einheitliches OR zu verfassen (1869 datiert). 1871 wurde dann der erste Entwurf publiziert. 1873 ist Munzinger gestorben. 1874 Revision BV. Code Unique trat im Jahr 1881 in Kraft. Zusammenfassung: Die Schweiz hatte nie ein Handelsrecht, da die Kantone es nicht übernehmen wollten (Privilegierung der Handelsleute). Später wurde ein code unique (incl. Handelsrecht) geschaffen. 78 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §8 Das Ius Commune 1. Allgemeines Das RR war seit dem 12. Jahrhundert. Gegenstand von Betrachtungen. Es wurde mehr und mehr vermischt mit Länderrecht und wurde später jedoch wieder zusammengefügt in ein gemeinschaftliches Recht, das Ius Commune. Von Norditalien aus, dehnte sich das Ius Commune über ganz Europa aus (vor allem im 13. Jahrhundert. Nicht überall hatte das Gemeinschaftsrecht die gleiche Bedeutung. Die Naturrechtler lehnten die Übernahme bisherigen Rechts ab. Die Naturrechtler bezogen jedoch ihre Gedanken beim RR... (gute Quellen) Im Vordergrund des IC standen das OR, Erbrecht und Sachenrecht. Aber auch bsp. wie Grundherrschaft oder eheliches Güterrecht. Usus modernus (Arbeitsmethode, Lernmittel) 2. Umwelt des IC 15. + 16. Jahrhundert: Epochen des intensiven religiösen Lebens: Verschiedene Religionen, aber trotzdem Einheitsrecht (trotz Glaubensspaltung). Viele Entdeckungen wurden zu dieser Zeit gemacht, was zu einem Systematischen Aufbau der Gesetze führte. 3. Wichtige Vertreter des IC 3.1 Benedikt Carpzov (1595 – 1666) er verarbeitete die sächsische Rechtssprechung in sein Lehrbuch 3.2 Georg Adam Struve (1619 – 1692) hat am Schöffenhof gearbeitet. Und war Professor. Römisch-Germanisches Jurisprudenzbuch (dieses Buch wurde der kleine Struve genannt). 3.3 Samuel Stryk (1640 – 1710) Usus modernus pandectarum Stryk war in der Bedeutung begrenzt, da er lateinisch geschrieben hat. 4. Dogmatische Leistungen 4.1 Allgemeine Lehren Es geschieht eine Verfestigung der Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht. Sie wird erstmals auch in die Gesetze übernommen. Das Gewohnheitsrecht wird dogmatisch ausgebildet. Man unterscheidet zwischen geschriebenem und Gewohnheitsrecht. Donellus macht die Zweiteilung von Motiv- und Erklärungsirrtum. 4.2 Sachenrecht Das Ius Commune bildet das deutsche Recht weiter. Es entsteht die Gesamthandschaft. Diese Figur wollte konkrete Probleme lösen. Es gibt nun die Möglichkeit, dass bei versterben eines Gesamteigentümers, das Miteigentum der Anderen anwächst. 79 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Im römischen Recht gibt es nur eine bestimmte, beschränkte Anzahl von Servituten. Im germanisch-fränkischen Recht kennt man eine viel grössere Spanne von Servituten. Der usus modernus folgt eher dem deutschen Prinzip. Die Servitute sollen unbeschränkt sein und jeden möglichen Inhalt haben können. Im Rahmen des Servitutenrechts, wird im usus modernus kommt erstmals die Meinung auf, dass man Rechte an eigenen Sachen begründen und erwerben kann. 4.3 Obligationenrecht Die Errungenschaft, dass jeder Inhalt eines Vertrages klagbar ist, wurde verfestigt. 80 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §9 Der Beitrag des Naturrechts 1. Allgemeines Das Zeitalter des Naturrechts wird vom 17. bis zum 18. Jahrhundert angesetzt. Es geht um überpositives Recht, dass aus der Natur des Menschen geschöpft werden soll. Man will zum ersten Mal eine logische Deduktion vornehmen. Es wird alles von einem Oberbegriff abgeleitet. Der wichtigsten Vertreter der Naturrechtsschule sind Hugo Grotius und Samuel von Pufendorf. 2. Dogmatische Leistungen 2.1 Allgemeines Die Römer entwickelten keine Allgemeine Vertragslehre. Erst im Zeitalter des Naturrechts wurde der Vertragsbegriff gebildet. Vertrag ist eine gegenseitige, ausgetauschte Willenserklärung und Rechtsfolge des Vertragsabschlusses. Der autonome Wille des Einzelnen steht im Vordergrund. Im Naturrecht wird die Theorie der Willensäusserung gebildet. Zudem wird die Grundregel von Antrag und Annahme (Akzept) gebildet (Hugo Grotius). Man beschäftigte sich mit der Frage, was passiert, wenn jemand schweigt. Es folgt die Ansicht, dass auch Schweigen binden kann. Weiter wurde der Grundsatz geschaffen, dass der Widerruf bis zum Zeitpunkt der Annahme des Antrages möglich ist. 2.2 Allgemeine Leistungen Wenn sich jemand irrt, darf dies nicht zum Nachteil des anderen führen. Man wird schadenersatzpflichtig, wenn der Irrtum fahrlässig zustande kam. Wenn der Motivirrtum besonders qualifiziert ist, so muss er Beachtung finden. Man haftet für Schädigungen welche im Rahmen des Vertragsschlussverfahrens entstehen (Grundlagen zur culpa in contrahendo) 2.3 Kaufvertrag Der Handel blüht auf und der Kaufvertrag wird wichtig. Ausgangspunkt der Naturrechtler ist das Streben nach einem Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung (anders als im römischen Recht). Man ist verpflichtet dazu, jemanden zu unterrichten, wenn noch Rechte Dritter an der Kaufsache bestehen. Der Verkäufer trägt zudem Gewährleistungspflichten. Eine weitere Leistung sind die Rücktrittsrechte bei Nichterfüllung. Der Übergang von Nutzen und Gefahr wurde vom römischen Recht differenziert ausgestaltet. Der Käufer trägt die Haftung nicht bei Verzug. 2.4 Weitere Leistungen Neuerdings wird ein System herausentwickelt, welches die unerlaubte Handlung kategorisiert und verschiedenen Schadenersatzansprüchen zugeordnet. Der Schadenersatz wird losgelöst von der Busse. Es wird ausschliesslich auf den Schaden abgestellt. Man war sehr zurückhaltend beim Ersatz von immateriellem Schaden (in der Schweiz noch heute so). Pufendorf ist der erste, welcher eine klare Unterscheidung zwischen AT und BT des Obligationenrechts macht. Er entwickelt ein System von Endigungsgründen der Obligation. 81 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Nettelblatt begründet die Theorie des Pandektensystems (wie soll ein Gesetz aufgebaut sein?) welches später von Savigny übernommen wurde. • Allgemeiner Teil • Recht der Schuldverhältnisse • Sachenrecht • Familienrecht • Erbrecht Das ZGB hält sich nicht an das Pandektensystem. Text 75 (Hugo Grotius zum Irrtum und zum Gefahrübergang). Freiheitlichkeit des Beliebens und des Willens des Grundeigentümers ist wichtig. Man unterscheidet zwischen Eigentum und beschränkten dinglichen Rechten. Eigentum wird das natürliche und unveräusserliche Recht. Die Ehe muss zur Gültigkeit vor staatlichen Organen geschlossen werden. Die Ehe ist nicht mehr eine Institution der Kirche. Sie wird vom Sakrament zu einem Vertrag zwischen den Eheschliessenden. Das Naturrecht bildet den Begriff der Kodifikation aus. Kodifikation ist ein hoheitlicher Erlass, welcher ein Teilgebiet des Rechts, systematisch, logisch und abschliessend regelt. 3. Naturrechtskodifikationen 3.1 der geistesgeschichtliche Rahmen Die gesamte Rechtsordnung soll ein systematisches Gebilde sein. Dieses System soll logisch und abschliessend sein. Man will mit Gesetzen überführen in eine bessere Zeit. Man will gesellschaftliche Verhältnisse ändern. Die Idee der Aufklärung, dass man Leute ausbilden muss. Sie sollen sich durch das Gesetz selber unterrichten können. Es ist die Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Der Herrscher soll den Bevölkerungskreisen zur Wohlfahrt verhelfen. Er ist der erste Diener im Staat. Durch die Gesetzgebung sollen Leitlinien gegeben werden, welche durchgeführt werden müssen (mittels Kodifikation). 3.2 Vorläufer: bayrische Kodifikationen Kurfürst Max III gab den Auftrag für ein Gesetzbuch. Es entstanden der codex iuris Bavarici criminalis (1751), -iudicalis (1753 Gerichtsorganisationsrecht), -civilis (1756). Diese Gesetzbücher hatten teilweise veraltete Vorstellungen (Folter, Zauberei...). Deshalb wurde das Strafgesetzbuch schon bald (unter Feuerbach) revidiert. 3.3 Das Preussische Allgemeine Landrecht Wie alle Naturrechtskodifikationen geht auch die Initiative für das ALR von einer einzelnen Person aus. Das ALR soll für den gemeinen Mann verständlich sein. Die Sprache soll gerade aus diesem Grund Deutsch sein. Dies war eine Neuheit. Das ALR enthält Privatrecht, Polizeirecht (öffentliches Recht), Straf- und Strafprozessrecht. Aus diesem Grund war es auch sehr umfangreich (20 000§). Es ist aufgebaut (vor allem beim Eigentum) nach Ständen. Damit zementiert es die Ständegesellschaft. 82 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp 1785 findet der König einen Entwurf von Suarez zu dick und dieser legt einen neuen Entwurf vor. 1794 tritt das gesamte Gesetz in Kraft. Vorher traten schon Teile in Böhmen und Mären in Kraft. Bis 1900 galt das ALR in Altpreussen integral. Die Unabhängigkeit der Rechtspflege wurde mit dem ALR gestärkt. Der absolute Herrscher hat eine starke Stellung. Nicht das Gericht, sondern eine Interpretationskommission, eingesetzt vom Herrscher. Verglichen mit der Menschenrechtserklärung war das ALR für seine Zeit sehr rückständig („in Form und Inhalt eine Sudelei“ von Savigny). 3.4 Das österreichische ABGB Das Ziel des ABGB ist die Rechtsvereinheitlichung. Die Schaffung war angeregt von Maria Theresia (1753). Nach der Publikation eines ersten Teils (osephinisches Gesetzbuch 1786) und der Revision (Kürzung durch Franz von Zeiller 1801) trat es 1811 in Kraft. Im Gegensatz zum ALR ist das ABGB offen formuliert (man kann es also besser weiterentwickeln) und es enthält nur Privatrecht. Text 77 (ABGB (1811) zum Personenrecht und den Nacherben) Das ABGB ist nicht Standesbezogen. Es setzt die Rechtsgleichheit um. Das ABGB hatte auch Einfluss auf die Schweiz. 4 Kantone nahmen sich das ABGB zum Vorbild (Bern, Aargau, Luzern, Solothurn). 3.5 Der Code Civil Kaum hatte Napoleon die Macht ergriffen, will er eine unteilbare Nation schaffen, mit einem einheitlichen Recht. Napoleon hatte grossen Einfluss auf die Ausarbeitung des Gesetzes. Dies auch aus eigenen Interessen (Bsp. Ehescheidung). Er schöpfte vor allem aus drei Quellen. Zum einen aus dem Naturrecht, das römisch-kanonische Recht und die Coutume (vor allem die Coutume von Paris). Inhaltlich waren die Freiheit des Eigentums und der Person zentral. 1804 wurde der Code Civil verkündet. In der Folge entstanden weitere Codes: • de commerce 1806 • de procédure civil 1807 • pénal 1810 Der Code Civil hatte Einfluss weit über die Landesgrenzen hinaus. Manche Kantone gehörten noch zu Frankreich und der Code Civil hatte für sie automatisch Geltung. Andere Kantone übernahmen ihn als Muster. Deutschland (Rheinland und Pfalz) gehörte zum Geltungsbereich des Code Civil. Belgien, Luxemburg, Italien, Portugal, Rumänien, Ägypten und weite Teile Südamerikas übersetzten und übernahmen den Code Civil. 83 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §10 Rechtsunterricht in der Schweiz 1 Allgemeines Früher gab es keine geregelte Ausbildung. Es herrschte learning by doing. Die Rechtszersplitterung war sehr gross. Es herrschte ein ausgesprochenes Laienrichtertum. 2 Rechtsstudium im Ausland Es gab in der Schweiz keine Rechtsschulen. Universitäre Ausbildung war jedoch in Norditalien, Frankreich oder Deutschland möglich. Diese Möglichkeit nutzten anfangs nur die Kleriker. Vermehrt gingen auch Stadtschreiber etc. nach Italien um sich zu bilden. Es ist jedoch umstritten inwiefern eine Frührezeption des römischen Rechts in der Schweiz stattfand. 1499 trennte sich die Schweiz vom Deutschen Reich. Die Anzahl Studierende in deutschen Schulen sank und das Niveau im Rechtsbereich in der Schweiz sank. Bspw. musste der Buchbinder um Eigentumsrecht als Nebenamt kümmern. Erst im 18. Jahrhundert. gab es wieder eine Zunahme von Studierenden im Ausland. Bsp. Munzinger oder Eugen Huber. 3 Die Uni Basel Sie hatte eine Sonderstellung innerhalb der Unilandschaft Schweiz, da sie die erste war und speziell im Rechtsbereich führend war. Studienangebote waren vorerst ein Nebenangebot der Komizil. 1436 verlieh der Papst der Stadt Basel die Lizenz eine Uni zu gründen. 6 Lehrstühle für Recht entstanden auf Anhieb. So blieb auch der Erfolg nicht aus. Wichtige Personen: Erasmus von Rotterdam, Brand, Amerbach... So erlangte Basel einen ausserordentlichen Zuwachs. Erst im 18. Jahrhundert. hat die Popularität abgenommen. Ab 1501 gehörte Basel zur Eisgenossenschaft und Basel konnte nie zu einer Landesuniversität aufsteigen. Das Einzugsgebiet blieb immer lokal beschränkt. 4 Rechtsschulen der frühen Neuzeit Die Kirche war interessiert an kirchlichen Lehrgängen. Die Theologen erhielten eine theologische Lehranstalt, wollte dieses jedoch mit dem Nebenfach Rechtskenntnisse ergänzen. Die Ausbildung wurde Sache der Obrigkeit. Bern gründete 1528 als erste Stadt eine Lehranstalt (Reformation spielte eine Rolle). Ausbildung in Theologie, Sprachen, Dialektik und Rhetorik. Es wurden erste Lehrstühle für Rechtswissenschaft gegründet (ab 17. Jahrhundert). 1565 gründete Genf eine Uni. In Lausanne wurde weltweit als erstes Völkerrecht gelehrt (seit 1708). Das ius commune schwappte auch in die Schweiz über. Genf hatte eine spezielle Stelle in der Kirchengeschichte, da die Stadt immer wieder auch Protestanten aufnahm. In Genf dauerte dieses Studium damals 3 Jahre, so dass das Studium schon damals dem heutigen Studium sehr nahe war. Fribourg: Recht seit 1763 als Nebenprodukt der theologischen Wissenschaften, jedoch musste die Uni bereits zu beginn mit Finanzproblemen kämpfen. 5 Universitätsgründunggründungen im 19. Jahrhundert Mit Ausnahme der HSG St. Gallen und der Uni Luzern hatten alle Unis Rechtsabteilungen. Uni Bern 1834, Zürich 1833: Idee junge Bürger heranzubilden, die dem Staat etwas bringen. Es wurden erstmals eigentliche Fakultäten mit der Idee der Selbstverwaltung gegründet (weitestgehend unabhängige Stellung der Fakultäten). Das Doktorat wurde eingeführt mit der Idee des Abschlusses mit einer wissenschaftlichen Arbeit. In Genf dauerte es mit der 84 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Ausbildung der Fakultäten etwas länger. Die Uni Neuenburg wurde vom Preussischen König gegründet. Phyton: hatte einen Lehrstuhl in der Rechwissenschaftlichen Fakultät Fribourg und war zudem in der Politik tätig (Zusammenhang Staat – Uni). Fazit: Die Schweiz hat trotz seiner kleinen Fläche eine grosse Anzahl (kleiner) Universitäten. Die Bedeutung der Universitäten ist jedoch immer entsprechend klein geblieben. So wurde in Deutschland nur wenig Schweizer Literatur zur Kenntnis genommen. 85 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §11 Privatrecht der alten Eidgenossenschaft 1. Überblick über die Rechtsentwicklung Es gab nie ein einheitliches System. Es herrschte eine grosse Rechtszersplitterung. Selbst einzelne Dörfer hatten eigene Privatrechtsordnungen (meist Gewohnheitsrecht). Im Spätmittelalter begann sich das Herrschaftsgebiet der Städte auszuweiten, dies sorgte für Rechtsvereinheitlichung auch in ländlichen Regionen. Es entstand eine Vereinfachung der Rechtswirklichkeit. Es gab immer mehr Bestrebungen, das Recht aufzuschreiben (aus praktischen Gründen, es wurde einfach einmal aufgeschrieben vom Stadtschreiber). In diese Schriften drangen auch immer mehr wissenschaftliche Begriffe, da die Stadtschreiber meist gebildet waren. Das römische Recht fand automatisch auch Einfluss, da es immer schon subsidiär angewandt wurde. Auch der neue Bundesstaat von 1848 setzte sich zum Ziel, die Kantonsgrenzen aufzulösen (was das Recht anbelangt). 2. Das Beispiel Bern – Die Verfassungsrechtliche Situation Bern war der grösste Stadtstaat in der Eidgenossenschaft. Dazu kamen Muri, Bolligen, Vechigen und Stettlen. Bern weitete sich weiter aus (Thun, Aargau, Thun, Interlaken, Murten). 1536 kam noch ein grossteil der Waadt dazu, so dass das Stadtgebiet von Bern grosse Bedeutung erlangte. Später verlor es den Aargau und die Waadt wieder (1798). Als Entschädigung wurde ihm jedoch der Jura zugesprochen (vom Bistum Basel). Vorher hatte jede Burg, jeder Hof ein eigenes Recht (1229 Privatrechtstitel im Berner Gebiet). 1300 Berner Handfeste (beeinflusst von Freiburg im Breisgau) 1539 Stadtsatzung (Sammlung von Rechtserlassen: Zivilrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht) Das Berner Stadtrecht dehnte sich immer mehr aus, was zur Vereinheitlichung führte. Bestehendes Recht konnte von den Stadtbernern entweder genehmigt, aber auch aufgehoben werden. 1563 Bernisches Stadtrecht wird subsidiäres Recht (wo es auf dem Land keine Regelung gab, kam Stadtrecht zur Anwendung. 1614 Erlass einer erneuerter Gerichtssatzung. Es wurde ein Schub an römischen Grundsätzen übernommen. Ein in Oberitalien ausgebildeter Gelehrter wirkte mit. 1761 keine subsidiären Rechtsquellen mehr, das Stadtrecht wurde Primärrecht. 1831 Das bernische Zivilprozessbuch trat in Kraft. Auch Eherecht wurde vereinheitlicht (nicht nur Sachenrecht und OR), jedoch unter geistlicher Leitung. 1704 Rechtssatzung von Interlaken. 86 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §12 Die kantonalen Jahrhunderts Zivilrechtskodifikationen des 19. 1. der historische Kontext 1.1 Die Verfassungspolitische Situation Idee, einheitliches Recht zu schaffen in den einzelnen Kantonen. Nur 2/3 der Kantone kannten kein einheitlich kodifiziertes Zivilrecht. Keine hatten der Kt. Schwyz, Obwalden, Appenzell. 1.2 Die wirtschaftliche Situation Die naturrechtlichen Kodifikationen waren wirtschaftsrechtlich noch ganz anders aufgebaut. In den 1820er Jahren herrschte die industrielle Revolution (Transportrevolution folgte sofort Eisenbahn). In jener Zeit herrschte eine Verdreifachung des Textilexportes, so dass die Transportwege an Bedeutung erlangten. Weiter die Entfaltung der Uhren- und Lebensmittelindustrie. Dies brachte grundlegende Änderungen. Es stellte sich die Frage, wie diese neuen wirtschaftlichen Errungenschaften gesetzlich geregelt werden können. Ebenfalls fand eine Entwicklung im Banken- und Finanzwesen statt. 1.3. Die rechtliche Situation Rechtsvereinheitlichungstendenz (bsp. Berner Gerichtssatzung). Rechtsgleichheit erlangte auch mehr Bedeutung (Schulung der Richter, Rechtsprechung gestützt auf Gesetze). 1.4. Die wissenschaftliche Situation Seit dem 18. Jahrhundert war ein rudimentärer Rechtsunterricht bekannt, jedoch nicht in einer Weise wie heute. Ein Auslandjahr war üblich. Begriffsjurisprudenz nahm an Bedeutung zu, die Austauschstudenten brachten diese Begriffe in die Schweiz. Dies führte nebst den Vorbildern ausländischer Gesetzesbücher zu einer Gesetzeskodifikation in der Schweiz. Daneben wurde jedoch auch kantonales Recht in nie dagewesenem Ausmass kodifiziert. Im Kt. ZH hatte Bluntschli sich mit der Zürcherischen Rechtsgeschichte beschäftigt. Erst nach der Rechthistorischen Analyse erarbeitete er ein Gesetz. Huber hatte wiederum die Gesetze der verschiedenen Kantone analysiert (Umbildung und Verschmelzung) Text 88 (Die fortschrittliche und die konservative Aufgabe des ZGB). 2. Die romanischen Kantone Anlehnung an den code civil. Orientierung an napoleonischen Rechtssystem. Freiburg hatte auch gewisse Einflüsse aus Bern und somit auch des ABGB’s aus Österreich. • code civil gilt automatisch (da zu France gehörend): GE, Berner Jura • nur code civil als Vorbild: VD, NE, VS • als Vorbild hauptsächlich code civil aber nicht ausschliesslich, auch AGBG: FR (1850), TI 3. Die Berner Gruppe Anlehnung an das ABGB: BE, AG, LU, SO Übernahme in Systematik und Methode von Österreichischem Recht, da aus politischen Gründen Napoleons Recht nicht in Frage kam. Sehr viel von diesem Recht wurde 87 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp übernommen (Personenrecht), anderes wurde vom kantonalen recht übernommen (bsp. eheliches Güterrecht). 4. Die Zürcher Gruppe Ordnung ohne Vorbild aus dem Ausland. Vorbild für SH, GR, ZG, NW, TG und GL Dieses Gesetzbuch wurde aufgrund der historischen Rechtschule erstellt. 1715 lokale Rechtsvereinheitlichung im Raume Zürich. Bluntschli erstellte das Zürcher Recht ziemlich auf eigene Faust. Bluntschli ist zu verdanken, dass wir heute kein einheitliches Handelsrecht haben, er forderte, dass das Handelsrecht ins OR eingegliedert wird. Das Zürcherische PGB wurde stark durch Persönlichkeiten geprägt. Auf deren zwei ist näher einzugehen. • Friedrich Ludwig Keller von Steinbock (1799 – 1860). Studierte in Deutschland bei Savigny. Er bekleidete danach eine Professur in Zürich. Er macht daraus eine Reformbewegung für die Justiz. Zu dieser Zeit waren Laienrichter normal. Keller forderte gelehrte Leute an den Gerichten. Er besetzte in der Folge das Präsidium des Obergerichts in Zürich. In dieser Position prägt er das Recht in Zürich. Er bildete junge Leute aus und trieb die Schulung von Juristen voran. Er vollendete die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis (Vorlesungen halten, schreiben, Gerichtspräsident). Keller bearbeitete als erster das Privatrecht Zürichs. Er war Romanist. Gewichtete jedoch das einheimische Recht sehr stark. Er war auch der führende Mann in der ersten Juristischen Fakultät in Zürich. Unter Kellers schützender Hand wurde auch Bluntschli gross. Er erhielt den Auftrag das PGB auszuarbeiten. Er fertigte auch erste Entwürfe an. Unter anderem zum Eherecht. Keller wendete sich jedoch von der Schweiz ab und verliess das Land um in Halle eine Professur anzunehmen. 1846 verstirbt Savignys Nachfolger Puchta. Die freie Vakanz wurde auf Empfehlung von Savigny mit Keller belegt. Er verstarb 1860 auf dem Weg zur Universität. • Johann Caspar Bluntschli (1808 – 1881). Er war Kellers Schüler. Er studierte jedoch auch in Berlin und Bonn (bei Savigny). In der Schweiz trat er ins Bezirksgericht in Zürich ein. Er wurde in der Folge von Keller gefördert und motiviert, wissenschaftlich weiter zu arbeiten. Bluntschli wandelte sich vom Romanisten zum Völkerrechtler. Er betont sehr stark das einheimische Recht. Berücksichtigt jedoch auch das germanistische Recht. Dies ist ein Grund, warum das deutsche Recht im PGB immer wieder durchblickt. Seine Idee war die Bewahrung des alten Rechts durch Übernahme in eine neue Kodifikation. Dies gelang Bluntschli hervorragend. Keller und Bluntschli waren politische Gegner. Nach Kellers „Flucht“ nach Berlin übernahmen die Konservativen die Regierung (mit Bluntschli). Nach der Auflösung des Sonderbundes und der damit verbundenen Niederlage der Konservativen verliess auch Bluntschli das Land Richtung München und Heidelberg (1850). Nach seinem Wegzug wurde sein Auftrag für das PGB erneuert und er pendelte zwischen Deutschland und Zürich um dieses Gesetzbuch fertig zu stellen. Das PGB wurde von 1851 bis 1853 schrittweise in Kraft gesetzt. Wegen politischen Widerständen wurde die Einführung so lange verzögert (vor allem wegen Alfred Escher). 88 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp Mit dem PGB versuchte man eine Neugestaltung, gestützt auf das alte Zürcher Recht und das römische Recht. Deshalb ist die Zürcher Gruppe auch nicht angelehnt an eine ausländische Kodifikation, sondern steht sehr eigenständig da. Huber übernahm in Abweichung zum Pandektensystem die Einteilung des PGB für das ZGB. Das PGB war die erste Kodifikation, welche den Begriff der juristischen Person in einer Kodifikation aufführte. Im Eherecht wurde erstmals die Ziviltrauung neben die kirchliche Trauung gestellt wurde (Ehe als bürgerlicher Vertrag, abschliessbar vor dem Gerichtspräsidenten). Nach einer Trennung von 25 Jahren konnte die Ehe von Staates wegen aufgelöst werden. Grundstücke konnten nur mit einer kanzleiischen Fertigung übertragen werden (Art öffentliche Beurkundung). Bluntschli war der erste, welcher im OR Handelsrecht regelte. Das Recht der AG wurde schon zu dieser Zeit sehr genau reguliert. Die Schweiz war Schrittmacher in dieser Angelegenheit. Die Mitteilung an den Schuldner bei einer Zession wurde zum Gültigkeitserfordernis. SH übernahm das zürcherische Gesetzbuch und brauchte es als eigenes. Es wurde wortwörtlich abgeschrieben. TG kodifiziert 1860 das Personen- und Familienrecht. Auch hier gliedert man sich sehr stark an Zürich an. NW tat 1859 dasselbe, jedoch mit Vorbild Luzern. ZG Personen- und Familienrecht 1862 wurde vom PGB beeinflusst. Zug war einer der Kantone, welcher das OR nicht mehr vereinheitlichte, da die Entwicklung des gesamtschweizerischen OR schon sehr weit war. 1862 schuf Graubünden ein eigenes, selbstständiges Zivilgesetzbuch. Auch hier wurde nur eine Person damit beauftragt ein Gesetz auszuarbeiten. 5. Kantone ohne Kodifikation Viele Kantone waren mit den Kodifikationen so spät dran, dass es sich nicht mehr lohnte. Dies sind vor allem BS, SG, AR. 89 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §13 Tendenzen des Privatrechts im 19. Jahrhundert 1. Die leitenden politischen Ideen 1.1 Liberalismus Bewegung, welche versucht die Erkenntnisse der Aufklärung und der Französischen Revolution (Einheit, Gleichheit, Eigentum) umzusetzen. Der Markt soll sich möglichst ungehindert entwickeln können (keine Fesseln, welche den Markt hindern). Ziel war die Auflösung der Zünfte. Der Liberalismus setzte sich sehr stark für die Kodifikationsidee ein. Im Familienrecht hält der Liberalismus am patriarchalischen System fest. 1.2 Konservatismus Ist eine Reaktion auf die Französische Revolution welche sich in der Restauration niederschlägt. Er setzt sich ein für staatliche Interventionen (Bsp. Fabrikgesetzgebung). Die historische Rechtsschule ist Ausfluss des konservativen Denkens. 1.3 Nationalismus Ist die treibende Kraft hinter Einigungsbewegungen. Es kommt dabei zur Forderung einer gesetzlichen Einheit. Das Gemeinsamkeitsgefühl wird durch nationale Embleme gestärkt (Bsp. gemeinsame Fahnen). 1.4 Sozialismus Richtung welche sich gegen den Konkurrenzkampf, freie Marktwirtschaft und den privaten Besitz von Produktionsanlagen richtet. Die Idee ist, dass man gemeinsam mit gesamthaftem Eigentum den wirtschaftlichen Fortschritt sucht. Der Staat soll helfen bei Problemen. 2. Die Entwicklung der traditionellen Privatrechtsgebiete 2.1 Eherecht Es herrschen fundamental gegensätzliche Vorstellungen zwischen Konservativen und Liberalen. Die Konservativen richten sich gegen die Ziviltrauung und die Ehescheidung. Die Liberalen fordern ein rein staatliches Eherecht (Abkoppelung von der Kirche). Die Stellung der Frau ist sehr schlecht. 2.2 Erbrecht Bis zur französischen Revolution war das Erbrecht DIE Möglichkeit das Familienvermögen zusammen zu halten. Grundbesitz bedeutete Macht. Nach dem Prinzip des Majorats erhält der Älteste alles. Die anderen erhalten nur eine Art Trostpflaster. Die Töchter erhalten nur eine Mitgift. Der Liberalismus bringt nun die Idee der Gleichheit und der Vermögensteilung. Dies hat zum Ziel, dass die Machtstellung des Adels geschwächt wird (da das Vermögen geteilt wird). 2.3 Sachenrecht Es kommen Bodenreformen. Das ständische Recht mit der Grundherrschaft soll durch das freie Eigentum ersetzt werden. Die wirtschaftlichen Produktionsmittel sollen im Privateigentum sein. Das Grundeigentum erlangt grosse Bedeutung. Es soll zudem frei sein. Die Tendenz ist, zu den Kerninstitutionen des römischen Rechts zurück zu kommen. Es findet 90 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp auch eine Rückkehr zum Begriff des dinglichen Rechts statt. Es wird ein numerus clausus erarbeitet. 2.4 Obligationenrecht Der Handel blüht auf. Es entwickelt sich das Hypothekenwesen (es werden Wertpapiere des öffentlichen Glaubens geschaffen). Das Obligationenrecht soll die Verkehrsfreiheit möglichst wenig einschränken (Bsp. Munzinger war gegen jegliche Vorschrift zu Regelungen über den Wucher). Neu wurden auch Inominatkontrakte zugelassen. Das Gebiet des Vertrauensschutzes wurde verstärkt. Weiter werden viele Register begründet (Entstehung des Registerrechts; Bsp. Grundbuch (Realfolienordnung); Register über das Güterverhältnis zwischen Eheleuten (galt bis 1988); Register über den Handel (Handelsregister)). Dadurch wurde Transparenz und Vertrauen für zvilie Rechtsinstitute geschaffen. 3. Neue Rechtsgebiete des 19. Jahrhunderts 3.1 Das Arbeitsrecht Bis zu diesem Zeitpunkt war das Arbeitsrecht zugeschnitten auf das ständische Kleinhandwerk. Das Arbeitsrecht sollt neu den Arbeitnehmer gegen den übermächtigen Arbeitgeber schützen. Aus dem Arbeitsrecht entstand das Sozialversicherungsrecht. 3.2 Urheberrecht Neu werden nicht nur die Drucker, sondern auch die Autoren (für die Schaffung des geistigen Eigentums) geschützt werden. 3.3 Das Patentrecht Dahinter stand die Idee, dass jemand eine Fabrikationsmethode entwickelt und diese danach geschützt werden soll. Dagegen sprach die Gewerbefreiheit, da dem Erfinder quasi ein Monopol zugestanden wurde. Im ancien régime konnte man eine Erfindung anmelden und erhielt ein Brevet. Man konnte sich nun zur Wehr setzen, wenn sich ein anderer nicht nach diesem Patent verhielt. Das Patent ist ein absolutes Recht. In der Schweiz gibt es seit 1888 ein solches Recht. 3.4 Das Markenrecht Idee zur Kennzeichnung eines Produktes. Im ancien régime erteilte die Behörde einer Marke die Bewilligung, als Zeichen, dass die Produktionsvorschriften eingehalten wurden. Im 19. Jahrhundert entwickeln sich neben diesen Behördenmarken auch private Marken. Bereits das ALR enthielt Regelungen zur Bestrafung bei Verwendung einer Marke. In der Schweiz gibt es solche Regelungen seit 1879. 3.5 das Recht des unlauteren Wettbewerbs und das Kartellrecht Das UWG und das Kartellrecht entwickeln sich in der Schweiz erst richtig im 20. Jahrhundert. 91 Rechtsgeschichte 04/05 – Mitschrift der Vorlesung – Stand: 18.05.05 www.kobi.ch/cp §14 Die nationalen Vereinheitlichungsbestrebungen THE END FOR DA MOMENT 92