Übersehene Bilder - Fördergesellschaft Museum für verfemte Künste
Transcription
Übersehene Bilder - Fördergesellschaft Museum für verfemte Künste
Besondere Sammelinteressen liegen für Renate Knorr und Klaus Spermann auf der Berliner und der Dresdener Kunstszene. Während zu der Berliner Novembergruppe (von 1918) neben den schon genannten Bruno Krauskopf, Moriz Melzer und Max Burchartz auch die ebenso in der Ausstellung vertretenen Otto Lange (1879 - 1944) und Karl Völker (1889 - 1962) gehörten, stoßen wir in Dresden auf zwei Sezessionen, zum einen jene von 1919, die ihr eigenes Kapitel in der so vielfältigen Aufbruchsituation nach dem Ersten Weltkrieg schrieb, zum anderen die 1932 gegründete, breiter angelegte. Während die erst genannte durch Künstler wie Conrad Felixmüller und Otto Dix repräsentiert wird, gehörten ihr aber auch Künstler wie Otto Lange, Bernhard Kretzschmar (1889 - 1972) und Wilhelm Rudolph (1889 - 1982) an, von denen Werke in Otto Lange (1879-1944), Opfer, um 1919, Radierung Idee und Konzeption der Ausstellung: Dr. Gerhard Schneider Kontaktadressen: Museum Baden und »Fördergesellschaft, Zentrum für Verfemte Künste’ e.V., Solingen« Wuppertaler Straße 160, 42653 Solingen, Telefon: 0212/25814-0, Telefax: 0212/25814-44, Internet: www.verfemte-kunst.de, www.museum-baden.de, E-Mail: [email protected], [email protected] Die Ausstellung wurde finanziell unterstützt durch »Fördergesellschaft, Zentrum für Verfemte Künste’ e.V., Solingen«. © 2006, für Max Burchartz und Pol Cassel VG-Bildkunst, Bonn; für Erich Fraaß, Otto Lange, Moriz Melzer, Oskar Nerlinger, Wilhelm Rudolph und Schmidt-Niechciol bei den Inhabern der Abbildungsrechte, sofern ausfindig zu machen, angefragt . Titelbild: Pol Cassel (1892-1945), Winterlandschaft, um 1928, Öl auf Leinwand Sammlerfreunde zu Gast der Solinger Schau zu sehen sind. Zu der zweiten breiter angelegten Gruppe gehören neben Kretzschmar z.B. Erich Fraaß (1893 1974), Hans Jüchser (1894 -1977) oder Hans Theo Richter (1902 1969). Übersehene Bilder Werke aus der Sammlung Spermann / Knorr, Berlin Die Ausstellung wird belebt durch eine kleine Gruppe von Plastiken. Zu sehen sind die Bronzen „Hiob“ (1919) und „Mädchen mit Kaninchen“ (1936) nebst eiErich Fraaß (1893-1974), Paar, ner gleichnamigen Raum 1920, Tusche dierung des 1897 in Breslau geborenen Berliner Künstlers Joachim Karsch (Freitod am 11.2.1945) und ein sitzender weiblicher Bronzeakt (um 1925) des 1892 in Coburg geborenen Hermann Nonnenmacher (gest. 1988). Der Besucher der Ausstellung bekommt über 120 Kunstwerke von fast 50 Künstlern zu sehen und wird die Erfahrung einer unerwarteten Bereicherung machen. In diesem Zusammenhang kann uns ein Bildtitel Paul Klees Geleit geben: Hauptweg und Nebenwege. Die Hauptwege zur Kunst des 20. Jahrhunderts sind in zahlreichen Ausstellungen immer wieder begangen worden. Die Nebenwege bieten noch manche Überraschung und erfreuen denjenigen, der sie ein- Arnold Schmidt-Niechciol schlägt, mit manchem über- (1893-1960), Sitzende Frau, 1920, Aquarell sehenen Bild von Rang. Gerhard Schneider Karl Völker (1889-1962), Spielplatz, 1921, Aquarell über Blei Wilhelm Rudolph (1889-1982), Katze, um 1925, Holzschnitt Eine Ausstellung der »Fördergesellschaft ›Zentrum für verfemte Künste‹ e.V. Solingen« Unter einer Reihe von Museumskuratoren hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass manche Privatsammlung zur figurativen Kunst des 20. Jahrhunderts Schätze enthält, die von professioneller Seite bislang kaum gewürdigt wurden. Das hängt zum einen teilweise mit dem unseligen Verlauf des vergangenen Jahrhunderts und seinen kunst-historischen Verwerfungen zusammen und hat zum anderen mit der beinahe unüberschaubaren Fülle der in dieser Zeit entstandenen Kunst zu tun. Bis zu einem gewissen Grade ist es natürlich und verständlich, dass sich das Augenmerk der „offiziellen“ Kunstsammler in den Museen zunächst auf spektakuläre Neuerungen richtet. Auch wenn die Innovationen etwa der Künstlervereinigung „Brücke“, des „Blauen Reiter“, der Frühphasen des analytischen und synthetischen Kubismus, des Futurismus oder Gestaltungsprinzipien des Bauhauses von den traditionell Etablierten zunächst kritisch beäugt und abgelehnt wurden, erkannten die Aufgeschlosseneren unter ihnen doch bald das Potential des Aufbruchs. Entsprechend richteten sie ihr Augenmerk auf das Neue, die Umstellung Oskar Nerlinger (1893-1969), auch von SehgeSelbstbildnis, 1918, Lithographie wohnheiten, bis man schließlich für die im Endeffekt akzeptierten veränderten Formen- und Farbsprachen von „Klassischer Moderne“ sprach. Über die engeren, neue Sichtweisen begründenden Zirkel hinaus gab es analog zur Rezeption der Kunstanalytiker eine Reihe von Schaffenden, die sich von den Neuerungen nachhaltig angeregt fühlten, sie aufgriffen und nicht selten mit eigenem Duktus fortschrieben. Gelegentlich gelangen ihnen auch interessante Verbindungen, bei denen sie traditionelle Malqualitäten mit Anregungen der neuen Gestaltungssprachen verbanden. Nur wenige von ihnen sind gleichaltrig mit den Neuerern der ersten Stunden; die meisten gehören zur „jüngeren“ oder „zweiten Generation der Moderne“, um 1900 geboren. Ihnen hat das 20. Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen, der oft verheerend nachwirkenden Zuordnung während der Nazizeit, „entartet“ zu sein, böse mitgespielt. Aber auch die Nachkriegszeit brachte jenen, die sich in der Tradition der Klassischen Moderne sahen, kaum Anerkennung, bedingt durch Deutschland als Frontstaat im Kampf der Ideologien. Da wurde manches nicht wahrgenommen oder übersehen, was als Kunst- Rüdiger Berlit (1883-1939), erbe der jüngst ver- Mutter mit Kind, um 1920, gangenen Zeit einen Aquarell über schwarzer Kreide Platz in unserem kulturellen Gedächtnis verdient. Ihr Augenmerk darauf zu richten, ist erstes Anliegen der „Bürgerstiftung für verfemte Künste mit der Sammlung Gerhard Schneider“. Es entspricht einer inneren Logik, nach Kollektionen Ausschau zu halten, die ähnliche Ziele verfolgen. Mit der Präsentation wichtiger Werke aus der Sammlung des Ehepaars Renate Knorr und Klaus Spermann begründen Bürgerstiftung und Fördergesellschaft eine lose Reihe „Sammlerfreunde zu Gast“. Mit dieser Folge soll u.a. darauf aufmerksam gemacht werden, dass es im Lande weitere, vor allem private Engagements gibt, die die Intentionen eines „Zentrum für verfemte Künste“ auf eine breitere, im allgemeinen Bewusstsein verankertere Basis stellen. Welche besonderen Aspekte weist die Sammlung Spermann / Knorr auf? Während sie in manchem mit der Max Burchartz (1887-1961), Raskolnikoff, 1919, Lithographien, Mappentitel, Blatt 1, rechts: Blatt 9 und 10 Moriz Melzer (1877-1966), Im Boot, um 1911, Farbmonotypie Sammlung Gerhard Schneider parallel geht, was etwa den zeitlichen Bereich der unbekannten Moderne betrifft, richtet sie sich weniger auf eine Gesamtschau figurativer Bildkunst des 20. Jahrhunderts, sondern sie konzentriert sich auf Werkgruppen einzelner Künstler. Dass es sich dabei nicht um die allseits Bekannten handelt, sondern um erstklassige Bilder von „Meistern im Schatten großer Na- men“ versteht sich von selbst. Es geht eben um „übersehene“ Bilder, die mit dieser Präsentation eine ihnen angemessene Würdigung erfahren sollen. Dass dabei den Interessierten mancher Name begegnet, der bereits durch die Bürgerstiftung und die Sammlung Gerhard Schneider im Solinger Kunstmuseum präsent ist, zeigt die Vernetzung und Übereinstimmung mit der Idee, mehr oder weniger Unbekannten im Bewusstsein der Allgemeinheit einen sie würdigenden Platz zu geben. Mit Werkgruppen von Rüdiger Berlit (1883 - 1939), Pol Cassel (1892 - 1945), Moriz Melzer (1877 - 1966) oder Bruno Krauskopf (1892 1960) z.B. erhält der Besucher Einblicke in Bilderwelten, die jeder auch öffentlichen Sammlung zur Ehre gereichen würden. Insbesondere die expressionistischen Monotypien von Melzer, alle zwischen 1910 bis 1920 entstanden, dürften einen unvergleichlichen Fundus dieses Künstlers darstellen. Mit dem Mappenwerk „Raskolnikow“ (1919) von Max Burchartz (1887 - 1961) begegnet der Interessent einem Künstler des Bergischen Landes, den die Nazis u. a. auf der Diffamierungsschau „Entartete Kunst“ 1937 in München schmähten. Ähnliches gilt für Georg Ehrlich (1897 - 1966) mit seiner sehr selten zu findenden Folge „Zehn Steinzeichnungen zur Bibel“ (1921). Ehrlich, gebürtiger österreichischer Jude, ging 1937 im Zuge der ihm widerfahrenen Schmähungen nach England und kehrte auf Dauer nicht auf den Kontinent zurück.