die zwei leben des - Sección Nacional del Ecuador del IPGH
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Geschichte DIE ZWEI LEBEN DES ATAHUALPA 1533 töteten spanische Eroberer den letzten großen Herrscher der Inka. Doch damit war seine Macht nicht gebrochen: Als Mumie führte er seine Getreuen weiter an, sagt eine Forscherin 88 P.M. 08/2014 Stolz trotz Ketten: Kupferstich des gefangenen Atahualpa, 17. Jh. A TEXT: ISABEL WINKLBAUER m 26. Juli 1533 führen die Spa nier Atahualpa, den letzten gro ßen Herrscher des Inka-Reiches, zum Schafott. Vor seiner Hin richtung hat der Gefangene nur einen Wunsch: Er will zum Christentum übertreten. Nicht etwa aus Liebe zum Gott der verhassten Konquistadoren – im Gegenteil: Für Atahualpa ist die Taufe die einzige Möglichkeit, seinen Körper vor der angedrohten Verbren nung auf dem Scheiterhaufen zu be wahren. Mit seinen sterblichen Über resten würde auch seine unsterbliche Seele in Rauch aufgehen. Dabei soll sie doch seinen Nachkommen Kraft aus dem Jenseits spenden – so, wie es seine Vorfahren seit jeher tun. Die gespenstischen Mumien toter Herrscher wurden im Inka-Reich als Heiligtümer verehrt. Sie residierten in speziellen Ruhepalästen in der Haupt stadt Cusco (heute in Peru), wo sie in edelsteingeschmückten Kleidern thron ten. Bei Festen saßen sie mit an der Ta fel, Diener reichten ihnen Essen und Trinken. Bei Krönungsfeiern wurden sie zur Schau gestellt, bei wichtigen Entscheidungen um Rat gefragt. Auch der Leichnam von Atahualpas Vater weilte in Cusco – lediglich sein Herz wurde in Quito (heute Hauptstadt von Ecuador) gehütet. Vor seinem Tod durch Erdrosseln bat Atahualpa den Anführer der Spani er, Francisco Pizarro, deshalb: „Sorge für meine Kinder, und lasse meinen Körper nach Quito bringen, wo er ne ben dem Herzen meines Vaters ruhen soll.“ Dann drehte der Henker das Würgeisen, die sogenannte Garrotte, zu. Doch was geschah danach mit Ata hualpas Leiche? Wurde sie christlich beerdigt, oder erfüllten die Eroberer dem Inka-Herrscher seinen letzten Wunsch? Diese Frage gab der For schung lange Rätsel auf. Die ecuadori anische Historikerin und Archäologin Tamara Estupiñán Viteri glaubt nun, es gelöst zu haben: „Ich behaupte, dass 89 Geschichte Die Mumien toter Herrscher mehrten die Macht der lebenden Könige Atahualpas Mumie nach der Hinrichtung in seine Heimatstadt Quito und später in die Region von Los Sigchos gebracht wurde.“ Dort sei sie von einem seiner treuesten Feldherren inthronisiert worden – als Machtsymbol im Widerstand gegen die Spanier. Für ihre These hat Estupiñán Viteri gewichtige Argumente. Sie entdeckte in Los Sigchos eine Inka-Ruine aus Atahualpas Zeit, die als rituelle Stätte diente. Die Mauern liegen auf einem Anwesen namens Machay, was auf Quechua, der Sprache der Inka, „Grabstätte“ bedeutet. Gleich nebenan liegt das Dorf Malqui – zu Deutsch „Mumie“. Auch alte Dokumente und Berichte von Zeitzeugen deuten auf Atahualpas unsterbliche Anwesenheit hin. Das Reich, über das der letzte InkaKönig zu Lebzeiten herrschte, erstreckte sich nahezu 5000 Kilometer weit entlang der Pazifikküste Südamerikas, vom heutigen Ecuador über Peru bis in den unwirtlichen Norden Chiles. Mitte des 15. Jahrhunderts hatten die Inka begonnen, ihren Staat – vorher nicht mehr als eine Regionalmacht – zu einem Imperium zu schmieden. Atahualpas Vorfahren hatten nicht nur blutige Feldzüge geführt, sondern auch das Straßennetz ausgebaut und ein Post wesen geschaffen. Sie hatten Bewässerungskanäle angelegt, Terrassenfelder 90 2 1 3 DER UNTERGANG DES INKA-REICHES Huayna Cápac stirbt. Er vererbt das Reich seinen Söhnen Huáscar und Atahualpa Huayna Cápac erobert Quito im heutigen Ecuador. Das Inka-Reich erreicht seine höchste Blüte um 1500 1526 1527 Francisco Pizarro erreicht von Panama aus erstmals die peruanische Küste. Der spanische Eroberer nimmt Gold mit – und Gefangene als Übersetzer P.M. 08/2014 1: Archäologin Tamara Estu piñán Viteri bei Ausgrabun gen 2: Vom peruanischen Ollantaytambo aus führte Atahualpas Bruder einen Guerillakrieg gegen die Spanier. Diese nahmen 1537 die Stadt ein, er floh in den Bergort Vilcabamba. Die Terrassen im Hang zeugen von der Baukunst der Inka 3: Ihre Toten begruben die Inka in Embryonalstellung – mit Ausnahme der ver ehrten Herrscher. Oft wur den die Mumien später von Grabräubern gefleddert 4: Wie diese goldene Statue wurden die Herrschermumi en in Wolldecken gehüllt 4 fortentwickelt und ein System der Vorratshaltung eingeführt. Bis heute haben Archäologen an Skeletten aus dieser Zeit keinerlei Zeichen von Mangelernährung entdeckt. Einblicke in die faszinierende Kultur, die zwar organisatorische und bauliche Meisterleistungen hervorbrachte, aber keine Schrift kannte, bietet derzeit eine große Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim („Inka – Könige der Anden“, bis 23. November). Doch allen Errungenschaften zum Trotz dauerte die Blütezeit der Inka kaum 100 Jahre. 1532 sicherte sich Atahualpa in einem grausamen Krieg gegen seinen Bruder die Herrschaft im Reich. Er war mit seinem Heer auf dem Weg nach Cusco, um sich im Kreis seiner toten Vorgänger krönen zu lassen, als er in der Andenstadt Cajamarca (heute in Peru) auf Francisco Pizarro und dessen Leute traf. Der Konquistador war besessen davon, das Reich der Inka für die spanische Krone zu erobern – vor allem aber war er besessen von den sagenumwobenen Reichtümern des Volkes. Atahualpa erklärte sich bereit, den bärtigen Fremden zu empfangen. Doch was als Audienz geplant war, geriet zur vernichtenden Nied e rl a g e . D i e 160 Spanier in Pizarros Gefolge erstachen und verstümmelten Tausende von Inka-Kriegern. Atahualpas Heer war völlig überrumpelt – und hatte den Stahlwaffen der berittenen Angreifer nichts entgegenzusetzen. „Man konnte glauben, es hätte in dichten Strömen Blut geregnet“, notierte der Geistliche Celso Gargia nach dem Gemetzel. Mit einem Zimmer voller Gold wollte sich Atahualpa freikaufen Atahualpa selbst kam mit dem Leben davon, wurde jedoch gefangen genommen. Da er schnell merkte, wie sehr Pizarro nach Edelmetall gierte, unterbreitete er ihm einen sagenhaften Handel: Er wolle dem Spanier einen Raum voller Gold und zwei Räume voller Silber schenken, wenn er seine Freiheit wiederbekäme. Pizarro schlug ein. Zwei Monate lang schleppten Atahualpas Untertanen Schätze aus dem ganzen Land nach Cajamarca. Vor den Augen der Spanier stapelten sich gol dene und silberne „Becher, Kannen, Teller, Vasen, Nachahmungen verschie dener Tiere und Pflanzen und Platten zur Bekleidung von Wänden“, schrieb Gargia. Allein der erste Raum fasste 85 Kubikmeter Gold. Kaum war alles zu Barren geschmolzen, ließ Pizarro Atahualpa hinrichten. Was aber geschah mit seiner Leiche? Um das herauszufinden, durchkämmte Tamara Estupiñán Viteri im Auftrag des Institut Français für Andenstudien in Lima zehn Jahre lang Februar: Atahualpa besiegt seinen Bruder Huáscar. Er lässt ein Viertel von Cuscos Bevölkerung töten und Huáscar gefangen nehmen. Danach reist er nach Cajamarca 1529 1532 1532 Frühjahr: Atahualpa lässt seinen Bruder Huás car ermorden 1533 November: Pizarro schlägt sich mit 160 Mann bis nach Cajam arca durch. Er tötet Tausende Krieger aus Atahualpas Heer und nimmt den Inka-König gefangen Pizarro erhält die Erlaubnis von König Karl V., Peru zu erobern P.M. 08/2014 91 Geschichte altspanische Testamente, Behördenberichte, Erzählungen. Und sie wurde fündig: Mehrere Quellen bezeugen, dass der Körper des Inka-Königs nach Quito gebracht wurde. „Am überzeugendsten ist der Bericht von Juan de Betanzos“, erklärt Estupiñán Viteri. Der Gefolgsmann Pizarros heiratete später Atahualpas einstige Hauptfrau. Deren Bruder hatte den Aufzeichnungen des Spaniers zufolge die Lösegeldlieferung organisiert und war bei der Hinrichtung zugegen gewesen. „Er war es Betanzos zufolge auch, der am Tag nach Atahualpas Tod dessen Körper aus der Kirche der Spanier holte und nach Quito brachte“, sagt die Historikerin. „Dort übergab er ihn General Rumiñahui.“ Verhalf Atahualpas Mumie seinem treuesten General zur Macht? Rumiñahui wird heute in Ecuador als Nationalheld verehrt. Er rebellierte gegen die Spanier. Obwohl er nicht von adliger Abstammung war, gelang es ihm, den nördlichen Inka-Adel um sich zu versammeln. Für Estupiñán Viteri ist klar, warum: „Er besaß ein Auto ritätssymbol, das die Stammesführer anzog: Atahualpas Mumie. Er umsorgte sie, wie es die Pflicht der Hinterbliebenen von hohen Inka war. Er ließ Atahualpa einbalsamieren, umgab die Mumie mit seinen überlebenden Frauen und Kindern. Dazu stellte er ihr Camayos zur Verfügung, spezielle Mumiendiener.“ Atahualpas Leichnam könnte bis zum Jahr 1534 in Quito angebetet worden sein. In diesem Jahr verlor Rumiñahui eine entscheidende Schlacht gegen die Spanier und musste fliehen. Der General suchte nach einem neuen Standort für einen Guerillakrieg – und fand ihn offenbar in Los Sigchos in der Provinz Cotopaxi (heute Ecuador). Ein Sohn Atahualpas berichtet in seinem Testament von dortigen Ländereien des Herrschers. Ein Steuerdokument notiert zudem, dass 1597 in dem Dorf Malqui 90 Inka-Diener Wolldecken als Tribut zahlten. In solche Decken wurden die Mumien täglich neu gewickelt, damit sie frisch blieben. Das Dorf Malqui mit Resten der Inka-Mauern entdeckte Estupiñán Viteri 2004 in der Gegend von Los Sigchos. Die Region eignete sich gut als Guerillazentrale. Atahualpas Vater hatte seinerzeit Inka aus dem Süden in diese Gegend umgesiedelt. „Diese Leute waren höchst loyal gegenüber Atahualpas Familie, und Rumiñahui wollte sich während der Rebellion auf seine Umgebung verlassen können“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Ruine von Machay beim Dorf Malqui spürte sie sechs Jahre später auf, gemeinsam mit der US-Archäologin Tamara Bray. Ein trapezförmiger Platz, umrahmt von Wasserleitungen, bildet das Zentrum von Atahualpas möglicher letzter 4 1534 1535 Die Spanier gründen Quito neu. Rumiñahui hatte die Stadt niedergebrannt. Er wird gefangen genommen 92 P.M. 08/2014 3 Rumiñahui weigert sich, die Spanier zu seinem sagenumwobenen Schatz – womöglich Atahualpas Mumie in Malqui – zu führen. Dafür bezahlt er mit dem Leben 26. Juli: Atahualpa wird erdrosselt. Sein Feldherr Rumiñahui führt nun den Kampf gegen die Spanier. Pizarro setzt Manco Cápac, einen Bruder Atahualpas, als Marionettenkönig ein 1533 1 1536 Manco Cápac rebelliert gegen die Spanier, greift Cusco und Lima an. Er unterliegt und zieht sich zum Guerillakrieg nach Vilcabamba zurück. Dort wird er 1544 ermordet bei Nacht und bei Regen in Decken gehüllt aufbewahrt wurde. Nebenan gab es Wohnräume für seine Frauen, Kinder und Diener. Frauen, Kinder und Diener lebten neben der Mumie 1: Inka-Ruinen in Ollantaytambo 2: Archäologen graben in der Nähe von Lima Inka-Skelette aus 3: Das Konvent Santo Domingo in Cusco wurde auf den Ruinen des Coricancha-Tempels erbaut, der heiligsten Stätte der Inka. Hier thronManta ten die Mumien der Herrscher 4: Goldfigur einer Inka-Prinzessin Guayaquil 1572 Die Spanier nehmen Vilcabamba ein. Guerillaführer Túpac Amaru, ein Sohn Manco Cápacs, wird gefangen und enthauptet. Der letzte InkaWiderstand ist gebrochen Könnte hier Atahualpas Mumie gefunden werden? Estupiñán Viteri winkt ab. „Es ist viel zu feucht. Der Regen zerstört alles, was nicht aus Stein ist.“ Eine Chance auf einen Sensationsfund sieht sie in der weiteren Umgebung. „Vielleicht wurde die Mumie später an einen trockeneren Ort in 2 der Nähe überführt.“ Immerhin sollen bei der nahen Lagune Quilotoa InkaMumien aufbewahrt worden sein. Es müsste in der ganzen Region im großen Stil gegraben werden. Doch die Cotacachi Otavalo Provinz Cotopaxi ist arm. Nach einer Yumbos ersten Tranche von 97 000 Dollar für Quito Cumbayá eine Erstgrabung bezahlt die RegieCotopaxi Quijos rung immerhin zwei Archäologen, um Sigchos die Stätte ausführlich zu begutPÍllaro achten. „Am besten wäre es, wenn peruanische Fachleute kämen, die Tiocajas Sigchos Liribamba meh r E r fa h r u ng mit der Inka-KulVulkan tur haben“, sagt Illinizas Cañar Est upiñán Viteri. Malqui- Vulkan Inka-Ruine Tambo Quilotoa Real del Callo „In Ecuador sind Machay Latacunga die Inka leider N Pujilí Cuturivi immer noch etwas unbeliebt.“ Atahualpas Leiche ist nicht die ein RÜCKZUG MIT MUMIE zige Königsmumie, die 1534 floh Feldherr Rumiñahui verschollen ist. Einst wurvon Quito nach Sigchos. Ataden in der Inka-Hauptstadt Cushualpas Leichnam soll er co die Körper von 13 toten Herrschern in das Dorf Malqui (= Mumie) verehrt. Noch 1609 berichtete der Ingebracht haben ka-Nachkomme Garcilaso de la Vega, die Leichname seien vollständig, ihnen Ruhestätte. Daneben ragen die Über- fehle nicht ein Haar. Doch ab 1640 reste von Stufen empor, die zu einem verliert sich ihre Spur. Möglicherweise Thron führten. „Ein Ushnu“, erklärt fielen sie der Feuchtigkeit zum Opfer. Estupiñán Viteri. „Hier saß tagsüber Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Atahualpa, als heiliger Mittelpunkt sei- Spanier die Mumien aufspürten und ner Angehörigen, oft als Teil von Zere- heimlich vergraben ließen. So wollten monien.“ Im hinteren Teil des Areals sie die Macht der Toten brechen und fand ihr Team den Grundriss eines das sagenhafte Reich der Inka end Puchullu, wo Atahualpa womöglich gültig auslöschen. Cotopaxi P.M. 08/2014 93