Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums

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Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
© Nina Möllers
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Durchgebrannt:
Die folgenreiche Geschichte des
Energiekonsums
Dr. Nina Möllers, Deutsches Museum
10. Münchner Wissenschaftstage, 23.10.2010, Audimax LMU
http://www.energiekonsum.mwn.de
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Elektrische Pfeffermühle, Zahnbürste oder
Milchaufschäumer – kleine Haushaltsgeräte,
deren Energieverbrauch im Gegensatz zu
dem ‚wahren‘ Energiesündern Industrie und
Verkehrswesen wohl nicht ins Gewicht fällt –
so die gängige Annahme.
Ein Blick auf den Gesamtenergieverbrauch in
Deutschland zeichnet jedoch ein anderes
Bild: mit 26% der Gesamtendenergie
verbrauchen die Privathaushalte nur 3%
weniger als die Industrie.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
16%
26%
Gewerbe, Handel,
Dienstleistungen (GHD)
Verkehr
Industrie
28%
30%
Haushalte
Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, Stand: 26.09.2008, in:
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Klimaschutz und
Energieeffizienz (2008), S. 7.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Wie setzt sich der Energieverbrauch der
Haushalte zusammen und in welche
Richtung entwickelte er sich im
vergangenen Jahrzehnt?
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Energieträger und Anwendungsbereiche
2000
2005
2008
2009
Milliarden Kilowattstunden
2009
zu
2008
2009
zu
2005
Veränderung in %
Mineralöl
231
177
156
134
– 14,6
– 24,7
Gas
295
279
280
270
– 3,6
– 3,6
Strom
132
141
140
138
– 1,4
– 2,0
Fernwärme
39
42
47
42
– 11,7
– 1,3
Kohle
15
9
13
10
– 22,3
12,5
Sonstiges
50
54
68
63
– 8,6
15,8
Insgesamt
762
703
705
656
– 7,0
– 6,7
Raumwärme
587
518
519
468
– 9,7
– 9,5
Warmwasser
82
84
81
82
1,2
– 2,5
Kochen, Trocknen, Bügeln
29
34
35
35
0,5
4,3
Haushaltsgeräte (inkl. Kommunikation)
53
57
60
60
– 0,1
6,0
Beleuchtung
11
11
11
11
– 0,2
– 6,9
Insgesamt
762
703
705
656
– 7,0
– 6,7
Anwendungsbereiche
Kilowattstunden
Energieverbrauch je Haushalt
19 949
17 883
17 591
Veränderung in %
16 320
– 7,2
Quelle: Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung, 18.10.2010,
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/10/PD10__372__85,templateId=renderPrint.psml.
– 8,7
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
• 70% des Energieverbrauchs der privaten Haushalte
entfallen auf die Hauswärme
• Einsparungen der letzten Jahre in diesem Bereich (als
Reaktion auf gestiegene Mineralöl- und Gaspreise) steht
ein Anstieg in anderen Bereichen gegenüber:
Ł Kochen, Trocknen und Bügeln (+4,3%)
Ł andere Haushalts- und Kommunikationsgeräte (+6%)
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Der tägliche Durchfluss von Energie in unseren
Privathaushalten wird uns meistens erst dann
bewusst, wenn wir plötzlich ohne Strom dastehen
oder wenn es an unseren Geldbeutel geht.
Tatsächlich ist die Geschichte der Energie – anders
als man vermuten könnte – eine Geschichte des
Mangels, oder zumindest der Angst vor dem Mangel.
Trotzdem hat sich im 20. Jahrhundert eine
Energievergessenheit breit gemacht, die lange Zeit
nicht nach dem Morgen fragte. Energie war da, also
wurde sie verbraucht – und zwar in rauen Mengen.
Erst gegen Ende des Jahrhunderts dämmerte es uns
langsam, dass die fossilen Energieträger endlich
sind.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die Gegenwart und Zukunft der
Energieversorgung sicherzustellen,
setzt ein Verständnis von ihrer
Geschichte voraus.
Nur wenn wir verstehen, wie wir zur
Hochenergiegesellschaft wurden,
können wir eine energieeffiziente,
umweltfreundliche und nachhaltige
Gegenwart und Zukunft gestalten.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Mensch, Tier, Wind und Wasser
Das erste Energiesystem
Nutzung einer Energiezufuhr von außen ohne Ausrichtung auf
Wachstum
Muskelkraft von Mensch und Tier
Sonnenenergie gespeichert in pflanzlicher und tierischer
Nahrung
Der Übergang zu weiterentwickelten Agrargesellschaften –
das zweite Energiesystem
Effizientere Nutzung der Sonnenenergie durch Düngung, Anlage
von Monokulturen und Unkraut- und Schädlingsbekämpfung
Effizientere Nutzung der tierischen Zugkraft durch
Weiterentwicklung von Zuggeschirren oder dem Einsatz von
Göpeln (Hochmittelalter)
Mechanische Antriebskraft durch Wind- und Wassermühlen
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Einflussfaktoren auf die technische und wirtschaftliche
Entwicklung:
•
•
•
Überschuss an menschlicher Arbeitskraft (z.B. Sklavenwirtschaft)
als Bremse von Innovationen im technischen Bereich
Standortgebundenheit der Wind- und Wassermühlen und deren
Abhängigkeit von der Witterung schränkten die Möglichkeiten
industrieller Produktion ein
„Holznot“: Holz als wichtigster Werk-, Bau- und Brennstoff war
nach weitflächigen Rodungen zur Gewinnung des Stoffes
beschränkt; es kam zu einer Energiekrise und Umdenken in der
Nutzung
Ł Erst die Nutzung von Kohlevorkommen im Zusammenspiel mit
technologischen Innovationen, allen voran der Erfindung und
Weiterentwicklung der Dampfmaschine und die Entstehung
einer kapitalbesitzenden Unternehmerschicht öffneten Tür
und Tor für industriell-kapitalistische Produktionsweisen
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Kohle und Dampfkraft – Motor der Geschichte
Korrelative Entwicklung von Kohleabbau und
Dampfmaschinen
Während Dampfmaschinen zur Befeuerung große
Mengen des fossilen Brennstoffes benötigten,
waren die Maschinen selbst in den immer tiefer
liegenden Minen nötig, um sich ansammelndes
Grundwasser abzupumpen
Ł Der Abbau von Kohle und die technische
Weiterentwicklung von Dampfmaschinen bedingten
sich gegenseitig.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die Dampfmaschine –
Motor der industriellen Revolution mit
breiter Anwendbarkeit:
• Antrieb von Maschinen über Transmissionsriemen in Manufakturen
• Revolution des See- und Landtransports durch die
Dampfschifffahrt und Eisenbahn
• Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft durch mechanisches
Pflügen
Das Zusammenspiel von Kohle und Dampfmaschine ermöglichte
die räumliche Ausdehnung der Industrialisierung in Gebiete ohne
Meerzugang und schiffbare Flüsse und kompensierte so einen der
wesentlichen Mängel des vorherigen Energiesystems.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Kohle – Motor der industriellen
Produktion
• Steigerung des industriellen Produktionsprozesses
um ein Vielfaches durch die hohe Energiedichte der
Kohle
• Entstehung einer für die kapitalistisch-industrielle
Produktionsweise typische Wechselwirkung von
Angebot und Nachfrage
Ł Ziel ist nicht mehr nur Bedarfsdeckung,
sondern Bedarfsweckung!
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Kohle und Privathaushalte
• Im privaten Haushalt setzte sich die Kohle zunächst
nur langsam durch. Holz blieb vorherrschendes
Brennmaterial, da die wenigsten Haushalte über
Schornsteinabzüge und Eisenroste verfügten.
• Von größerer Bedeutung waren zunächst KohleBeiprodukte wie das durch Kohleentgasung
gewonnene Stadt- oder Leuchtgas, das ab Mitte
des 19. Jahrhunderts zur Straßenbeleuchtung diente
und teilweise über Leitungen in private Haushalte
geführt wurde.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die Fee der Elektrizität
Die Elektrifizierung war die wichtigste Entwicklung für
den privaten Energiekonsum.
Als universelle und standortungebundene
Sekundärenergie kann sie in jede beliebige
Nutzenergieart umgewandelt werden.
Ihr Anwendungsspektrum reicht von der Beleuchtung im
Privathaushalt über den Motor im Handwerksbetrieb bis
hin zur Straßenbahn.
Eine Herausforderung beim Aufbau eines
Versorgungsnetzes zur Massennutzung von Elektrizität
war die Notwendigkeit der zeitgleichen Erzeugung und
Nutzung. Der um die Jahrhundertwende ausgetragene
Kampf zwischen „Gleichstrom-„ und „Wechselstrom“Befürwortern ließ Kommunen beim Bau von
Elektrizitätswerken zögern.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Elektrizität – Symbol für Fortschritt und Moderne
Personifiziert als Feen- oder Gottgestalt tauchte
Elektrizität auf Buchdeckeln, Ausstellungsplakaten und in
Gemälden auf. Diese Darstellungsform stellte eine
Brücke für zukünftige VerbraucherInnen dar, für die
Elektrizität eine spannungsgeladene Ambivalenz
besaß: Einerseits erkannte man in der Elektrizität ein
außergewöhnliches Mittel zur Zähmung der Natur;
andererseits waren die Menschen ehrfürchtig
beeindruckt, bisweilen verängstigt, von dieser neuen
Kraft, die anders als Holz und Kohle nicht mit den Sinnen
zu erfahren war.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Ausstellungsplakat von Frank
Kirbach, 1891, © Archiv
Deutsches Museum
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Licht – Wegbereiter der Elektrifizierung
In den 1880ern nahm Thomas Edison mit dem VakuumGlaskolben und dem Bambus-Kohleglühfaden wesentliche
Verbesserungen an bisherigen Modellen vor, die nicht nur einen
technischen Fortschritt bedeuten, sondern auch eine höhere
Marktorientierung besaßen.
Ł Edisons umfassendes System von Kraftwerken, Kabeln,
Leitungen, Steckdosen, Elektrizitätszählern und Vakuumpumpen
für die Glaskolbenherstellung konnte schnell und einfach in andere
Länder übertragen werden.
1882 erwarb der Unternehmer Emil Rathenau die Edison-Patente
für Deutschland und gründete in Abstimmung mit Werner
Siemens die Deutsche Edisongesellschaft für angewandte
Elektrizität, die spätere AEG.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Konkurrenz und Werbung
Stärkste Konkurrenz zum elektrischen Licht war
das Gaslicht, welches bereits in vielen Häusern
vorhanden war.
Die entstehenden Elektrizitätswerke bewarben das
neue Wunderlicht als besonders sauber,
ungefährlich und einfach zu bedienen – eine
Alternative zur alten Beleuchtung durch Kerzen,
Öl-, Petroleum- und zuletzt Gaslampen, die
hygienische und gesundheitliche Probleme mit sich
brachten.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
• Elektrische Geräte wurden im Haushalt zunächst skeptisch
betrachtet. Hausfrauen fürchteten nicht nur die
Unsichtbarkeit der Elektrizität, sondern auch mögliche
Geschmacksverluste und gesundheitliche Gefahren beim
Kochen. Eine derartige Haltung führte zu aggressiven
Werbekampagnen der Energieversorgungsunternehmen
und Gerätehersteller.
• 1911 schlossen sich Energieversorger mit
Geräteherstellern in der Geschäftsstelle für
Elektrizitätsverwertung (Gefelek) zusammen und riefen
Großkampagnen wie „Elektrizität in jedem Gerät“ ins
Leben. Für die Gestaltung von Plakaten, Flugblättern,
Anzeigen und Vorführräumen wurden namhafte Gestalter
engagiert, z.B. Peter Behrens, der für die AEG das
gesamte „Corporate Design“ vom Briefbogen bis zum
Elektrogerät übernahm.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Der Befürworter des elektrischen Kochens, Georg Dettmar,
schrieb 1911 in seinem Buch „Die Elektrizität im Hause“:
„Beim elektrischen Kochen wird die Küche ihres bisherigen
Charakters ganz entkleidet. Sie erhält vielmehr den gleichen
Charakter wie jedes andere Zimmer, da die Entwicklung von
Staub, Rauch, Ruß, Abgasen usw. vollkommen wegfällt. […]
Die elektrisch eingerichteten Küchen sind dann wirklich für
das Bewohnen hygienisch einwandfrei, so daß
gewissermaßen dadurch die Bewohner ein Gebrauchszimmer
mehr erhalten, ohne daß für das Kochen höhere Ausgaben
entstehen wie beim Kochen mit Gas.“
Quelle: Georg Dettmar, Die Elektrizität im Hause (Berlin: Julius Springer, 1911), 76.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Elektrische Bratpfanne der Fa. Elektra,
ca. 1900, © Deutsches Museum
Elektrische Kochplatte der Fa. Elektra, ca. 1895,
© Deutsches Museum
Gänzlich ungefährlich war der Umgang mit den zunächst einzeln elektrifizierten
Kochplatten und Bratpfannen nicht. Als problematisch erwies sich der Kabelsalat
über der Kochstelle, der häufig zu Unfällen und Verbrennungen führte. Zudem
waren die schlechten Isolierungen anfällig für Kurzschlüsse und Kabelbrand.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die Form und Gestalt der
Elektrizitätswerbung dieser Zeit war
vielfältig, die Botschaften jedoch ähnlich:
• Elektrizität brachte den Menschen – allen
voran der Hausfrau – Arbeitserleichterung
und mehr Freizeit für ihre Pflichten als
Ehefrau und Mutter.
• Sie war sauber, einfach zu bedienen und
zudem – wegen neu eingeführter
Tarifsysteme – kostengünstiger als andere
Energieformen.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Vorurteilen gegenüber dem elektrischen Kochen trat die AEG in
Produktkatalogen offensiv entgegen, wo sie nicht nur die
Arbeitserleichterung herausstellte, sondern auch die Einsparpotenziale
beim kostbaren Fett und die Schmackhaftigkeit des Essens betonte.
Firmenprospekt AEG, 1920er, © Archiv Deutsches Museum
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Vermittlungsarbeit
Institutionen wie Hausfrauenverbände
beteiligten sich mit Vorträgen und
Vorführungen an der Vermittlung der Nutzung
von Elektrizität.
Das Deutsche Museum stellte in seiner
Gründungsausstellung der 1920er Jahre auf
besonderem Bestreben Oskar von Millers hin
die verschiedenen Anwendungsbereiche der
Elektrizität im Haushalt dar.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Dauerausstellung des Deutschen Museums, vor 1930
© Archiv Deutsches Museum
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Trotz der Werbebemühungen fanden in vielen Haushalten
zunächst nur vereinzelt elektrische Geräte Einzug, ohne
die alten Geräte und Energieformen komplett zu
verdrängen.
So konnten sich viele nur schwer von ihrem alten Herd
trennen, der trotz lästigem Kohleschleppen und
Russverschmutzung den Vorzug gehabt hatte, gleichzeitig
Kochstelle und Heizung zu sein.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Kombinierter Kohleund Elektroherd, um
1950
© Archiv Deutsches
Museum
Die Industrie reagierte auf diese Verbrauchermentalität und bot
Kombinationsherde an, die sowohl Kohlebefeuerung als auch
Elektroanschluss hatten.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Elektrisches Bügeleisen, um 1928, © Deutsches
Museum
Elektrischer Zigarrenanzünder der Fa.
Elektra, 1893, © Deutsches Museum
Viele der elektrifizierten Kleingeräte stellten in den Anfangsjahren eher ein
Statussymbol dar und blieben den Oberen Zehntausend vergönnt, wie
dieser elegante Zigarrenanzünder.
Die größte Verbreitung bis in die Mittel- und Unterschichten fand dagegen
recht früh schon das elektrische Bügeleisen, dessen Anschaffungs- und
Betriebskosten überschaubar waren.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Neben der Elektrifizierung der Haushalte revolutionierte
die elektrische Energie auch das Verkehrswesen und die
Kommunikationstechnik, beeinflusste die städtische
Architektur durch großformatige Leuchtreklamen und
führte zu einer Wiederbelebung des Handwerks durch
den Elektromotor.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Elektrizität und Verkehr
Auch im Verkehrswesen bewies die Elektrizität größere
Flexibilität als die Dampfmaschine. Die ersten
Straßenbahnen kamen in Berlin ab 1902 zum Einsatz
und Elektroautos hielt man vor allem für zukunftsfähig,
weil sie leiser und sauberer waren als die ebenfalls in
der Entwicklung begriffenen Benzinautos.
Um 1900 wurden in den USA doppelt so viele
Elektrofahrzeuge wie Benzinwagen produziert und
auch die deutschen Siemens-Schuckertwerke nahmen
1905 die Fertigung elektrischer Automobile auf.
Allerdings blieb die Nachfrage begrenzt, was vor allem
an dem großen Gewicht des Akkumulators und den
damit verhältnismäßig hohen Kosten lag.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der
Elektrizität ermöglichten auch eine bisher
undenkbare Lenkung des Konsums.
Hohen Auslastungsraten der Elektrizitätswerke
während der Produktionszeiten in den Fabriken
standen Mittags- und Nachttäler gegenüber, in denen
kaum Elektrizität verbraucht wurde, was die starke
Bewerbung des elektrischen Kochens im Haushalt
verständlich macht.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Regulierung während der NS-Zeit und des Zweiten
Weltkrieges
Die Kampagne „Kampf dem Verderb“ aus dem Jahr
1936 suchte den Anspruch einer deutschen
Konsumgesellschaft einzuhalten und das Land
gleichzeitig von Lebensmittelimporten unabhängig zu
machen. Gerätehersteller, Energieversorger und die
Politik propagierten elektrische Kühlschränke als
modernes Mittel der ressourcenschonenden
Nahrungssicherung.
Nach Kriegsbeginn wurde aus der absatzorientierten
Werbung eine auf Ressourceneinsparung ausgerichtete
Strategie. So fanden etwa 1942 Werbemarken mit dem
Slogan „Strom. Gas. Kohle. – Hier Sparen hilft Siegen“
große Verbreitung.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Energievergessenheit: 1950er bis zur Ölkrise
In den 1950er Jahren brach ein neues energiegeschichtliches
Zeitalter an:
• Die zuvor dominierende Primärenergie Kohle wurde durch
das energiedichtere Erdöl abgelöst.
• Neben der Stromherstellung wurde es vor allem im
Verkehrswesen und in der chemischen Industrie zur
Kunststoffherstellung eingesetzt.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Die 1950er Jahre waren für die Haushalte eine
konsumhistorische Prägezeit:
In den Haushalten wurden Vorstellungen vom modernen Leben
rezipiert und formuliert, es wurden Lebensstile erprobt,
angenommen, verworfen oder modifiziert.
Steigende Reallöhne im „Wirtschaftswunder“ und
Wohnungsbaumaßnahmen trugen zum flächendeckenden
Anschluss von Siedlungen an Elektrizitäts- und Gasnetze bei.
Die Elektrizitätswirtschaft feierte elektrischen Strom als
Quintessenz des neuen fortschrittlichen Deutschlands und suchte
ihre Kundinnen und Kunden mit Werbebotschaften wie „Strom
kommt sowieso ins Haus – nutzt das aus!“ zu gesteigertem
Absatz zu bewegen.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Eine Umfrage von 1955 offenbart den großen Stellenwert, den
technische Konsumgüter bei der Erfüllung des Wohlstandstraums
hatten:
In der Rangliste der wichtigsten Produkte für einen „angemessenen
Lebensstandard“ wählten 49% der Befragten den elektrischen
Kühlschrank auf Platz 1, gefolgt von der elektrischen
Waschmaschine und dem Staubsauger. Fernsehgerät und Auto
gelangten dagegen nur auf die Plätze 6 und 13. Letzteres rangierte
sogar hinter der Stehlampe.*
Im sich verschärfenden Ost-West-Konflikt war der Kühlschrank nicht
nur Ausdruck persönlicher Sehnsüchte nach Tiefkühlkost, Eiswürfeln
und Flaschenbier, sondern dokumentierte Lebensstandard und
Konsumfreiheit der westlichen BürgerInnen.
* Otto Lenz und Institut für Demoskopie Allensbach: Die soziale Wirklichkeit. Aus einer Untersuchung des
Instituts für Demoskopie, Allensbach/Konstanz 1956, S. 44.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Anstieg des Energiekonsums
Der Energiekonsum in den 50ern stieg rapide an.
Gründe dafür waren:
•
•
•
•
eine wachsende Massenproduktion
ein höheres Verkehrs- und Müllaufkommen
ein Anstieg des beheizten Wohnraums pro Familie
stark sinkende Erdölpreise ab dem Ende der 1950er
Jahre als Folge der Erschließung riesiger
Erdölvorkommen im Nahen Osten und in der
Sowjetunion
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Der Haushalt entwickelte sich zu einem wahren
„Maschinenpark“ mit eigenem Automatismus:
Neue Essgewohnheiten wie der Genuss von
bequemer Tiefkühlkost, forderten nicht nur eine
Mikrowelle, sondern auch einen großräumigen
Gefrierschrank.
Die sich in den 1960ern und 70ern verbreitende
vollautomatische Waschmaschine brachte
Arbeitserleichterung, aber auch neue
Hygienestandards.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
1969
1988
5
45
Täglicher Unterhosenwechsel bei
Männern
59
70
Täglicher Unterhosenwechsel bei Frauen
22
38
Wechsel der Bettlaken alle 2 Wochen
72
43
Seltener
5
12
Wechsel der Badehandtücher täglich
16
45
Jeden zweiten Tag
Wäschewechsel in Prozent 1969 und 1988 in Prozent. Quelle: Andersen 1999, S. 105.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Energievergessenheit
Scheinbar grenzenlos verfügbarer Strom führte in der
Nachkriegszeit zu einer folgenreichen
Energievergessenheit bei den Konsumierenden.
Durch die Verlagerung der Energieproduktion in
weit entfernt liegende Kraftwerke und ihre
Entkopplung vom häuslichen Energiekonsum
ließen sich die dahinterstehende Arbeitsleistung und
die Umweltbelastung leicht ausblenden.
Weniger schöne Seiten der scheinbar perfekten
Energiewelt wie Kohleabbaugebiete rückten aus dem
Bewusstsein.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Braunkohlen-Tagebau und Großkraftwerk Turów, Polen
© Archiv Deutsches Museum
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Das Gefühl grenzenlos verfügbarer,
sauberer Energieressourcen wurde
nicht zuletzt durch die
Hoffnungen in die friedliche
Nutzung der Atomkraft geschürt.
Nachdem Mitte der 1950er bei
Moskau das erste kommerzielle
Atomkraftwerk zur Stromerzeugung
ans Netz gegangen war, kursierten
auch in deutschen Medien bald
utopische Vorstellungen von
Atomlokomotiven und
Atomlampen.
Hobby, Nr. 20 (1962), S. 121, © Archiv Deutsches Museum
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Ölkrise und Ökologisierung: 1970er bis heute
Auch wenn die Energiefrage im Zuge der sich formierenden AntiAtomkraft- und Umweltbewegungen ab Mitte der 1960er an
Dynamik gewann, traf auf die Mehrheit der Deutschen noch die
Weisheit zu: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“
So mussten sie im Zuge der Ölpreiskrisen von 1973 und 1979
spüren, was es heißt, unter Energiemangel zu leiden.
Als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und
Ägypten drosselten die arabischen OPEC-Staaten 1973 ihre
Erdölfördermengen um 5%: es kam zu einem signifikanten
Ölpreisanstieg.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Angesichts des weit verbreiteten Glaubens, man habe
Energieversorgungssicherheit erreicht, trafen die Folgen
der Ölpreiskrisen wie temporäre Fahrverbote viele
KonsumentInnen wie ein Schlag.
Kernenergie gewann vorübergehend wieder an
Zuspruch. Neben der Problematik der Endlagerung des
radioaktiven Abfalls und der nicht auszuschließenden
Gefahr von Unfällen, betonten ihre Gegner die Umweltund Gesundheitsbelastungen durch den Uranbergbau.
Das Abwägen zwischen diesen Gefahren und dem
relativ geringen CO2-Ausstoß von Kernkraftwerken
bestimmt auch heute noch die Diskussion.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Im Volk wurde Energiesparen
in den 1980er Jahren zum
allgegenwärtigen Thema, das
viele – ironischerweise – in
Form von Aufklebern auf
ihrem Auto spazieren fuhren.
Energiesparsticker und -poststempel,
1970er/80er
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Der Wille zum Energiesparen war da, allein, die Umsetzung
gestaltete sich noch schwierig.
Tatsächlich haben Forschungen den so genannten ReboundEffekt offenbart:
Er bezeichnet die häufig nur teilweise Verwirklichung von
Energieeinsparpotenzialen durch höhere Effizienz.
So führten die in den 1980er Jahren angelaufenen Kampagnen
für energieeffizientere Kühlschränke zwar zum erwünschten
Verkaufserfolg. Allerdings wurden die alten Geräte häufig gar
nicht ausgemustert, sondern dienen als Zweitgerät zur Kühlung
des Biervorrats. Ähnliches lässt sich bei der
gewissensberuhigenden Energiesparlampe beobachten, die
oftmals zu längerer und häufigerer Benutzung führt und somit
kaum energiebewusstes Verhalten fördert.
Diese Tatsache zeigt eindringlich, dass technische
Innovationen allein das Problem der Energieversorgung und
des hohen Energiekonsums nicht werden lösen können.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Ausblick
Wegen der Allgegenwärtigkeit von Energiespar- und
Umweltdiskursen könnte man meinen, wir würden nicht
mehr in einer Hochenergiegesellschaft leben. Dies ist aber
nicht der Fall. Derzeit arbeiten wir uns noch immer – bei
allem Jammern über steigende Preise – an einer
historischen Energiepreisentwicklung ab, die uns nur allzu
oft weismachen will, Energie sei billig zu haben.
Und oft sind wir bereit, Werbekampagnen unhinterfragt zu
akzeptieren, die uns glauben machen wollen,
Energieproduktion und -konsum hätte in unserer
hochtechnisierten Welt nicht mehr viel mit Dreck,
Verschmutzung, sozialer Ungerechtigkeit und dem
Aussterben von Tieren zu tun.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Tatsächlich müssen wir uns der Tatsache stellen,
dass unsere Energieversorgung Schäden
verursacht und ihren Preis hat: sowohl einen
ökologischen als auch – kausal damit verbunden –
einen finanziellen.
Der hohe Lebensstandard, den wir heute genießen
dürfen, braucht viel Energie: nicht nur im Betrieb,
sondern auch bei den Herstellungs- und
Entsorgungsprozessen.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Ähnlich wie beim Stromausfall wird uns das Ausmaß des
Entsorgungsproblems von Konsumgütern meist nur in
Ausnahmezuständen deutlich. So mussten im Zuge des Wirbelsturms
Katrina im September 2005 in New Orleans Hunderttausende von
Kühlschränken mit toxischem Inhalt und problematischer
Elektrotechnik entsorgt werden.
Quelle: Times-Picayune, Katrina. Ruin and Recovery (2006), S. 119.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
FAZIT:
Die Debatte um Energie muss immer auch diejenigen
ins Blickfeld nehmen, die Energie konsumieren.
Was sich aus dem historischen Blick auf den
Energiekonsum in Deutschland ableiten lässt, ist
die Feststellung, dass politische Regulierungen,
wirtschaftliche Strategien und technische
Innovationen allein weder unseren Energiekonsum
erklären, noch eine nachhaltige Energieversorgung
sicherstellen können.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Strategien zur Energieeinsparung müssen die
Verhaltensweisen der Menschen berücksichtigen und im
Bereich des Privathaushalts kulturell und sozial geformte
Konstruktionen von „Zuhause“, „Gemütlichkeit“ oder
„Praktikabilität“ einbeziehen.
Bei unseren Überlegungen, wie wir die Energiezukunft
gestalten können, müssen wir so langfristig wie möglich
denken. Die Verbraucher und Verbraucherinnen selbst
sind gefordert, sich in die politischen und wirtschaftlichen
Entscheidungsprozesse einzubringen.
Indem Sie diesem virtuellen Vortrag gefolgt sind und sich
informieren, haben Sie den notwendigen ersten Schritt
bereits getan!
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Weitere müssen
allerdings folgen, denn
obwohl es notwendig ist,
über Energie zu reden,
dürfen wir darüber das
Handeln nicht
vergessen – damit uns
die Nachwelt später nicht
porträtiert wie die
Kongressteilnehmer in
dieser Karikatur.
Quelle: m+a+k report 1963, o.S.
Durchgebrannt: Die folgenreiche Geschichte des Energiekonsums
Zum Weiterlesen
Andersen, Arne. Der Traum vom guten Leben. Alltags- und Konsumgeschichte vom
Wirtschaftswunder bis heute (1999).
Berger, Hartwig. Der lange Schatten des Prometheus (2009).
Horstmann, Theo/Weber, Regina (Hg.). „Hier wirkt Elektrizität“ (2010).
Heßler, Martina. "Mrs. Modern Woman“. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der
Haushaltstechnisierung (2001).
Heymann, Matthias. Die Geschichte der Windenergienutzung (1995).
Hughes, Thomas P. Networks of Power (1983).
Lagendijk, Vincent R. Electrifying Europe: The Power of Europe in the Construction of
Electricity Networks (2008).
Melosi, Martin. “Energy Transitions in Historical Perspective.” In Energy and Culture.
Perspectives on the Power to Work (2006), 3-18.
Nye, David E. Consuming Power (1998).
Radkau, Joachim. Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft (1983).
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