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Dylans Doppelgänger 23 Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und zieht ein Zahnschmerzgesicht. Mein grunzender Klingelton treibt ihn endgültig aus dem Zimmer. “Unbekannter Anrufer” erscheint auf dem Display. “Hallo …” Ich höre nur ein Rauschen und Knacken und wiederhole mein “Hallo”, diesmal aber energischer. “Hi Amelie, this is Dylan. It’s good to hear your voice”, sagt jemand und wirkt dabei kurzatmig wie ein Kettenraucher. “Hi Dylan, it’s good to hear your voice, too”, gehe ich auf den Blödsinn ein. Schweigen und Rauschen und Knacken. Ich halte das Gespräch am Laufen. female weiblich “So, Dylan, how are you?” glued geklebt “I’m all right, thanks.” “That’s good to know. Did you find a sponsor for your programme yet? I’m keeping my fingers crossed that you’ll find one soon. But I’m not worried. Now I’ve heard your voice, I’m sure all the listeners, especially the female ones, are sitting with their ears glued to the radio.” Ich plappere und plappere. Der arme MöchtegernDylan kommt gar nicht mehr zu Wort. “I have to go now”, sagt er rasch. “Talk to you later …” Hat da jemand im Hintergrund gekichert? Vielleicht Meura? Natürlich, wer sonst? Von meiner besten Freundin hätte ich das nicht erwartet! Morgen in der Schule werde ich sie ausquetschen wie eine Zitrone, bis sie alles gesteht. Oops, das klingt ja nach einer echten Kommissarin. Lotta maunzt und scheint meine Gedanken lesen zu können. 24 Dylans Doppelgänger “Essen ist fertig!” Papa stößt die Tür auf und wedelt mit einem Geschirrhandtuch. Er hat Spaghetti mit Hackfleischsoße gekocht. Dazu gibt es einen leckeren Frühlingssalat mit Ananas und Erdbeeren. Wir prosten uns mit Apfelsaftschorle zu. “Auf die Zukunft”, sage ich. Papa schnauft geräuschvoll und meint: “Wir lassen uns nicht unterkriegen.” “Willst du nicht schon seit Jahren einen dicken, fürchterlich klugen und wichtigen Roman schreiben?” frage ich. Er schnauft erneut und sagt nach einer Pause: “Wollen ja, aber zwischendurch muss Geld aufs Konto kommen. Verstehst du? Geld für die Miete, für Strom, Telefon und so weiter. Nicht zu vergessen dein Taschengeld.” “Die paar Euro fallen ja kaum ins Gewicht”, sage ich. “Meura bekommt in der Woche so viel Taschengeld wie ich in einem Monat.” Das war gar nicht ernst gemeint, aber Papa hat meine flapsigen Worte offensichtlich in den falschen Hals bekommen. “Du führst dich auf wie eine verwöhnte Prinzessin”, sagt er mit sanfter Stimme. Ich merke ihm an, wie er mit großer Anstrengung seine Wut unterdrückt, und passe auf, dass mir kein falsches Wort mehr herausrutscht. Lieber verzichte ich auf den Nachtisch, Schokoladenpudding mit Schlagsahne, und gehe auf mein Zimmer. “Und damit du es weißt, unser Urlaub ist gestrichen!”, ruft er mir hinterher. Dylans Doppelgänger 25 Mehr aus Versehen knalle ich die Tür zu, kehre um und nuschele eine Entschuldigung. “Entschuldigung angenommen”, sagt Papa und schenkt mir sogar ein Lächeln. Er erklärt, dass im Augenblick bei allen Fernsehsendern gespart wird. “Die Aussichten, auf die Schnelle bei einer anderen Serie einsteigen zu können, sind nicht gerade rosig. Verstehst du?” Natürlich verstehe ich, was er meint. Ich bin schließlich kein Baby mehr. “Ich habe noch zu tun”, sage ich. Auf die Reise nach Ägypten kann ich wirklich verzichten. Vielleicht besuche ich dann doch Mama auf Mallorca. Oder … Dylan – ein aberwitziger Gedanke. Und von Berlin nach Sheffield zu fliegen ist auch nicht gerade billig, wie ich schon im Internet herausgefunden habe. Ich schalte meinen Laptop an, der mich gleich willkommen heißt. Nett von ihm. Wenn es nur nicht immer eine halbe Ewigkeit dauern würde, bis der alte Schlaptop mich ins Internet lässt. Endlich. Post von Dylan! Mit Anhang! Ich fange an zu glühen. Lotta springt auf meinen Schoß. Und legt die Pfoten auf die Tastatur. Will sie sich einen internetten Kater angeln? “Nicht so neugierig, altes Mädchen.” Mit sanfter Gewalt befördere ich sie auf den Boden. Ich klicke rasch auf den Anhang und feuere meinen Laptop an, sich ein wenig zu beeilen. Vergebliche Mühe. Das Foto öffnet sich nur schneckenlahm. Erst sehe ich die Haare, dann die Stirn, die Ohren und die Augen, schließlich den Mund und das Kinn und endlich das komplette Gesicht … Oops! Lotta hüpft wieder auf 26 Dylans Doppelgänger meinen Schoß, starrt auf den Monitor und scheint ebenso beeindruckt zu sein wie ich. From: [email protected] To: [email protected] Subject: Greeting Hi Amelie, I’m still floating on cloud nine. I would so like to share my luck with you. Of course I know that you can’t fly to Sheffield just like that. It’s not exactly cloud nine just around the corner from Berlin. Wolke sieben I have a surprise for you … I really like that so want to know whether you like my exactly gerade around um picture. Unfortunately, it’s only one whether ob from a photo booth. I’ve just scanned unfortunately leider it. It’s obviously not one I can use for photo booth the autograph cards. My sister Gracie Passfoto-Automat is actually an excellent amateur photo scan einscannen obviously tographer. She’s going to take some offensichtlich photos of me sometime soon. amateur Now you know what I look like, I hope photographer Amateurfotograf you’ll send me a picture of yourself. yourself dir I’d be really happy to get one. All the best. I’ll be online from nine o’clock tonight. Alles Gute. Hope to hear from you soon. All the best, Dylan