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Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle Insights into the molecular machinery that degrades mRNA Sprangers, Remco Max-Planck-Institut für Entw icklungsbiologie, Tübingen Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Jede Zelle enthält Tausende unterschiedlicher Proteine, von denen jedes eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Um sicherzustellen, dass zu jedem Zeitpunkt die richtige Menge eines jeden Proteins produziert w ird, reguliert eine Zelle die Expression ihrer Gene sehr genau. Die genetische Information w ird dabei über Boten-RNA (mRNA) an den Ort der Proteinherstellung übermittelt. Die Arbeitsgruppe untersucht diejenige Maschinerie, die die mRNA-Moleküle w ieder abbaut - denn sie bietet der Zelle Ansatzpunkte, um die Produktion von Proteinen, die sie nicht länger benötigt, zu beenden. Summary Each cell contains thousands of different proteins, and each of these proteins fulfills a specific task. To ensure that the exact amount of individual proteins is produced at the right time, the cell tightly regulates the expression of genes. During this process, messenger RNA (mRNA) molecules transfer the genetic information to the cellular location of protein production. The group studies the molecular machinery that degrades these mRNA molecules - w hich provides the cell w ith an efficient means to terminate the production of proteins that are no longer required. Der Lebenszyklus einer mRNA Die DNA im Zellkern enthält die genetische Information für alle Proteine, die ein Organismus herstellen kann. Um ein bestimmtes Protein zu produzieren, muss der entsprechende DNA-Abschnitt zunächst in Boten-RNA (mRNA) umgeschrieben w erden. Dieses mRNA Molekül w ird anschließend durch das Anhängen einer speziellen Schutzkappe (Cap-Struktur) und eines langen Adenin-Fortsatzes vor dem Abbau geschützt. Die so modifizierte mRNA w ird vom Zellkern in das Zytoplasma transportiert. Dort liest ein Ribosom die in der mRNA gespeicherte Information ab und stellt das entsprechende Protein her. Die mRNA kann so lange zur Herstellung von Proteinen benutzt w erden, w ie sie sich im Zytoplasma befindet. Sobald die Zelle aber das betreffende Protein in ausreichender Menge hergestellt hat, muss die dazugehörige mRNA w ieder abgebaut w erden. Hierzu besitzt die Zelle eine komplexe mRNA-abbauende Maschinerie [1, 2]. © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle Molekulare Maschinen Zelluläre Funktionen w ie der Abbau von mRNA w erden von Enzymen erledigt - speziellen Proteinen also, die chemische Bindungen in sehr spezifischer Weise knüpfen oder auflösen können. Die Aktivität dieser Enzyme muss äußerst genau geregelt w erden. Denn in der Tat w äre es von Nachteil, w enn etw a eine mRNA schon zu einem Zeitpunkt abgebaut w ürde, zu dem sie noch benötigt w ird. Um die katalytische Aktivität der Enzyme zu regulieren, gibt es sogenannte Adaptorproteine, die sich an sie anheften. Manche dieser Proteine verstärken die katalytische Aktivität, andere verringern oder blockieren sie ganz. Die mRNA-abbauende Maschinerie umfasst Enzyme, die die schützende Cap-Struktur entfernen, und andere, die Nukleotide von der eigentlichen mRNA abspalten. Außerdem sind bereits etliche Proteine identifiziert w orden, die die Aktivität dieser Enzyme verändern, sow ie w eitere Proteine, die die Enzyme zum mRNA-Substrat hin dirigieren. Enzyme und AdaptorProteine zusammen bilden die mRNA-abbauende Maschinerie. Wenn man w issen möchte, w ie eine Maschine – beispielsw eise ein Auto – funktioniert, muss man zunächst w issen, aus w elchen Teilen sie besteht. Bei einem Auto sind dies neben vielen anderen Teilen die Räder, die Bremse und der Motor. In einem zw eiten Schritt muss man dann herausfinden, w ie diese Teile aussehen; die Räder etw a sind rund. Außerdem ist es w ichtig zu erfahren, w ie die Teile interagieren; in unserem Beispiel sind die Räder mit dem Motor verbunden. Zuletzt muss man w issen, w ie die einzelnen Teile der Maschine sich bew egen; erst dies erlaubt den Schluss, dass die Bew egung des Motors auf die Räder übertragen w ird. Bei molekularen Maschinen benötigt man prinzipiell dieselben Informationen: W ir müssen herausfinden, w elche Proteine an einem Vorgang beteiligt sind, w ie diese Proteine gefaltet sind, w ie sie interagieren und w ie sie w ährend des katalytischen Prozesses ihre Form verändern. Im Falle der mRNA-abbauenden Maschinerie kennt man zw ar die beteiligten Proteine, ihre dreidimensionale Struktur ist jedoch nicht in allen Fällen bekannt. Noch w eniger w eiß man darüber, w ie die Protein-Komplexe miteinander interagieren, und bedauerlicherw eise gibt es fast gar keine Information darüber, w ie die am Abbau von mRNAs beteiligten Proteine w ährend der Katalyse ihre Form verändern. Um diese letzten drei Aspekte zu erforschen, hat die Arbeitsgruppe viele unterschiedliche Methoden angew andt, unter anderem die Röntgenkristallographie, Interaktionsstudien, biochemische Methoden und – am intensivsten – die Technik der sogenannten NMR-Spektroskopie. NMR-Spektroskopie Die NMR-Spektroskopie ist eine biophysikalische Methode, mit der in Lösung befindliche Proteine unter nahezu natürlichen Bedingungen, w ie sie in lebenden Zellen herrschen, untersucht w erden können. In Tübingen stehen den Forschern zw ei erst kürzlich installierte NMR-Spektrometer zur Verfügung ( Abb. 1). Kurz gesagt w erden bei der NMR-Spektroskopie Proteinproben, die im Labor speziell vorbereitet w urden, in ein sehr starkes magnetisches Feld gebracht. Dadurch kann bestimmt w erden, w ie sich individuelle Atome in dem Proteinkomplex verhalten. Aus diesen Daten lässt sich ableiten, w elche Struktur die Proteine haben, w ie sie interagieren und w ie sie sich bew egen – also genau die Informationen, die man benötigt, um molekulare Maschinen zu untersuchen. © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle A bb. 1: Die NMR -Ge rä te a uf de m Tübinge r Ma x -P la nck C a m pus. Die Ma schine n a rbe ite n m it Ma gne tfe lde rn, die 600 bzw. 800 MHz e ntspre che n. © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie /Spra nge rs NMR-Untersuchungen sind jedoch umso komplizierter, je größer die Proteinkomplexe w erden. Da die meisten molekularen Maschinen aus vielen verschiedenen Proteinen mit tausenden von Atomen bestehen, können sie nur mithilfe spezieller Techniken im NMR-Spektrometer untersucht w erden. Diese Methoden, die als methylTROSY-Spektroskopie [3] bezeichnet w erden, sind in den letzten Jahren entw ickelt w orden und w erden in Tübingen regelmäßig eingesetzt. Sie ermöglichen es, nicht nur kleine Teile von Enzymen, sondern auch sehr große molekulare Maschinen zu untersuchen (Abb. 2) [4]. A bb. 2: Be ispie l für e in NMR -Spe k trum , da s von e ine m Be sta ndte il de r m R NA-a bba ue nde n Ma schine rie sta m m t. Je de r P unk t de s Spe k trum s k orre spondie rt m it e ine r be stim m te n che m ische n Gruppe inne rha lb de s Kom ple x e s und lä sst R ück schlüsse zu, we lche Struk tur da s P rote in be sitzt, wie e s m it Bindungspa rtne rn inte ra gie rt und wie e s se ine Form ve rä nde rt. © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie /Spra nge rs Proteinbewegungen Die NMR-Spektroskopie ist die einzige Methode, mit deren Hilfe die Formveränderungen von Proteinen in Lösung mit atomarer Auflösung untersucht w erden können. Bis heute ist daher erst an sehr w enigen Beispielen erforscht w orden, w elche Rolle die Bew egung von Proteinen für deren Funktion spielt [5]. Um im obigen Bild zu bleiben: Die meisten von uns haben eine genaue Vorstellung davon, w ie ein Auto aussieht – aber w ir haben keine Vorstellung, w ie es das Auto schafft, zu fahren. Bezogen auf die Situation bei den Proteinkomplexen ist unser W issensstand sogar noch geringer: W ir w issen noch nicht einmal, dass das Auto eine Maschine ist, die fahren kann, also analog: Bei vielen Proteinkomplexen w issen w ir nicht, w elche Teile überhaupt bew eglich sind. Ein Hauptinteresse der Arbeitsgruppe „NMR-Spektroskopie großer Komplexe“ in © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle Tübingen ist es daher, herauszufinden, ob Proteine bew eglich sind und w enn ja, w elche Teile der Proteine ihre Form mit der Zeit verändern [6]. In vielen Fällen ist der Ausgangspunkt für solche Studien die Ermittlung der hochauflösenden Struktur Röntgenkristallographie des statischen bestimmt, einer Proteins. Technik, die Diese zw ar sehr w ird üblicherw eise mithilfe der genau beschreiben kann, w ie ein Proteinkomplex aussieht, jedoch keine direkten Aussagen über Proteinbew egungen erlaubt. In einigen Fällen konnten neue NMR-Methoden tatsächlich zeigen, dass dieses statische Bild nicht die ganze Wahrheit über die Proteinkomplexe w iderspiegelt. Allmählich tritt zutage, w ie sehr die Arbeit von Proteinen von ihrer Bew eglichkeit abhängt. Das Puzzle zusammensetzen A bb. 3: Sta tische , hocha uflöse nde Struk tur e ine s Te ils de r m R NA-a bba ue nde n Ma schine rie (Kom ple x LSm 657). © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie /Spra nge rs Nachdem nun einiges über die Struktur und die Bew egung vieler Einzelteile der mRNA-abbauenden Maschinerie bekannt ist, ist es an der Zeit, die Teile dieses Puzzles zusammenzusetzen. Hierfür haben die Forscher zunächst zw ei Proteine zusammengefügt. Das gibt Aufschluss darüber, w ie ein Protein die Struktur und die Bew egungen des anderen beeinflusst und w ie sich Proteinkomplexe in der Zelle zusammenlagern (Abb. 3) [7]. Diese Untersuchungen sind besonders dann interessant, w enn eines der beiden Proteine ein Enzym ist, das seine Konformation in dem Moment ändert, w enn eine chemische Bindung in der mRNA gelöst w ird. Falls die Bew egungen direkt mit der Funktion gekoppelt sind, lässt sich untersuchen, ob und w ie Veränderungen der Bew eglichkeit die Aktivität eines Enzyms beeinflussen [8]. In unserem Auto-Vergleich w ürden derartige Experimente zeigen, dass Bremsen die Bew egung der Autoräder verlangsamen und dadurch das Auto stoppen können. Derartige Beziehungen zw ischen Proteinbew egungen und der Aktivität der mRNAabbauenden Maschinerie konnten tatsächlich nachgew iesen w erden [8]. Neueste Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass Enzymkomplexe, die aufgrund röntgenkristallographischer Untersuchungen für mehr oder w eniger statisch gehalten w urden, in Lösung durchaus mobil sind (Abb. 4). Diese Daten zeigen, dass viele Facetten der Proteinbew egung noch immer ihrer Entdeckung harren. Künftige Untersuchungen w erden unserem Bild von der mRNA-abbauenden Maschinerie immer neue Details hinzufügen. Letztlich w ird man verstehen, w ie die Zusammenarbeit verschiedener Proteine es der Zelle ermöglicht, die Menge ihrer mRNA genau zu regulieren und so die richtige Proteinmenge zur richtigen Zeit herzustellen. © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle A bb. 4: Be ispie l für e ine n Enzym k om ple x (de s Ex osom s; [9]) m it unvorhe rge se he ne r Fle x ibilitä t (im Bild bla u he rvorge hobe n). © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie /Spra nge rs Anwendungsmöglichkeiten der Forschung Für alle Zellen in allen Organismen ist es entscheidend, den Abbau von mRNAs genau regulieren zu können. Eine dysfunktionale mRNA-abbauende Maschinerie ist für jeden Organismus letal. Zusätzlich zum normalen mRNA-Abbau besitzen eukaryotische Zellen einen speziellen Mechanismus, der dysfunktionale mRNA-Moleküle erkennt, denn solche mRNA-Moleküle können gefährlich sein, da sie fehlerhafte Proteine kodieren. Es ist daher entscheidend, derartige mRNAs schnell und effizient zu beseitigen. Bei manchen genetischen Erkrankungen kann es jedoch w iederum besser sein, leicht verkürzte mRNAs zu stabilisieren, auch w enn diese zu w eniger aktiven Proteinen führen, denn beim kompletten Abbau dieser mRNAs gäbe es überhaupt kein Protein. In solchen Fällen könnte die pharmakologische Manipulation der mRNA-abbauenden Maschinerie möglicherw eise eine therapeutische Anw endung finden. Um ein solches Ziel aber erreichen zu können, ist ein detailliertes Verständnis der mRNA-abbauenden Maschinerie unerlässlich. Literaturhinweise [1] Schoenberg, D. R.; Maquat, L. E. Regulation of cytoplasmic mRNA decay Nature Review Genetics 13, 246-259 (2012) [2] Parker, R.; Song, H. The enzymes and control of eukaryotic mRNA turnover Nature Structural and Molecular Biology 11, 121-127 (2004) [3] Tugarinov, V.; Hwang, P. M.; Ollerenshaw, J. E.; Kay, L. E. 1H-13C NMR spectroscopy of methyl groups in very high molecular weight proteins and protein complexes Journal of the American Chemical Society 125, 10420-10428 (2003) © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2012/2013 | Sprangers, Remco | Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle [4] Sprangers, R.; Kay, L. E. Quantitative dynamics and binding studies of the 20S proteasome by NMR Nature 445, 618-622 (2007) [5] Sprangers, R.; Gribun, A.; Hwang, P. M.; Houry, W. A.; Kay, L. E. Quantitative NMR spectroscopy of supramolecular complexes: dynamic side pores in ClpP are important for product release Proceedings of the National Academy of Sciences USA 102, 16678-16683 (2005) [6] Sprangers, R.; Velyvis, A.; Kay, L. E. Solution NMR of supramolecular complexes: providing new insights into function Nature Methods 4, 697-703 (2007) [7] Mund, M.; Neu, A.; Ullmann, J.; Neu, U.; Sprangers, R. Structure of the LSm657 complex: an assembly intermediate of the LSm1-7 and LSm2-8 rings Journal of Molcular Biology 414, 165-176 (2011) [8] Fromm, S. A.; Truffault, V.; Kamenz, J.; Braun, J. E.; Hoffmann, N. A.; Izaurralde, E.; Sprangers, R. The structural basis of Edc3- and Scd6-mediated activation of the Dcp1:Dcp2 mRNA decapping complex EMBO Journal 31, 279-90 (2011) [9] Lorentzen, E.; Walter, P.; Fribourg, S.; Evguenieva-Hackenberg, E.; Klug, G.; Conti, E. The archaeal exosome core is a hexameric ring structure with three catalytic subunits Nature Structural and Molecular Biology 12, 575-815 (2005) © 2013 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6