Begegnung in New York: Wie Ilsa, 14, Bridget Bogard, 81, traf

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Begegnung in New York: Wie Ilsa, 14, Bridget Bogard, 81, traf
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Bogard Bridget
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Bridget Bogard
Begegnung in New York: Wie Ilsa, 14, Bridget Bogard, 81, traf
Bridget Bogard
gelang die Flucht
nach England – die
Kindertransporte, in
denen Kinder ganz
allein ohne Eltern
ausreisten, waren
zumeist die einzige
Chance, deren Überleben zu sichern.
Die meisten dieser
Kinder haben ihre
Eltern nie wieder
gesehen.
der Nähe von Greenwich Village zu treffen.
Bridget Bogard wurde am 24. 8. 1923 in Wien geboren. Sie konnte mit ihrer Mutter zunächst nach
Paris flüchten. Als die Deutschen Frankreich besetzten, gelang ihr die Ausreise nach England. Ihre
Mutter wurde verhaftet und in Auschwitz umgebracht. Bridget Bogard lebt heute in den USA.
Kindertransport nach England gekommen,
Jetzt bin ich wirklich sehr aufgeregt. Was soll
um der Verfolgung durch die Nationalsozi-
ich sie fragen? Wird sie mir überhaupt etwas
alisten zu entgehen und konnte erst nach dem
über ihre Flucht aus Wien erzählen wollen?
Krieg nach Österreich zurückkehren. Seine
Familie hat er nie wieder gesehen.
Als ich im Internet die lange Liste der
Am Weg überlege ich mir ein paar Fragen.
Als ich mit meinen Eltern beim Treffpunkt
ankomme, ist es etwas zu früh. Während wir
Ende Februar 2004 erzählt eine meiner
möglichen Ansprechpartner durchschaue,
warten, schaue ich alle alten Damen, die die
Mitschülerinnen vom Projekt „A Letter To The
habe ich eine Idee: In den Osterferien planen
Straße entlang kommen, genau an. Wie wird sie
Stars“ und unsere Deutschlehrerin verspricht,
meine Eltern und ich eine Reise nach New York
wohl aussehen? Endlich kommt eine ältere
alle interessierten SchülerInnen, die sich an
und da wäre es doch toll, dort jemanden
Frau auf uns zu und begrüßt uns herzlich
dem Projekt beteiligen wollen, zu unterstützen.
persönlich zu treffen.
(natürlich auf Englisch!).
Zuhause informiere ich mich genauer im In-
Ich suche nach Leuten, die in New York
Sie wirkt viel jünger, als sie ist, und strahlt
ternet darüber. Sofort steht mein Entschluss
City wohnen und sofort bleibe ich bei dem
unheimlich viel Energie aus. Da das Wetter sehr
fest: Ich bin dabei!
Namen „Bridget B.“ hängen. Ich weiß nicht
schön ist, suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen
warum, aber ich habe das Gefühl: „Die ist es!“
im Gastgarten. Es ist Bridgets Lieblingslokal,
In der Schule haben wir viel über die Zeit des
Nationalsozialismus gesprochen und die Idee,
Ein paar Tage später halte ich ihren vollen
Informationen von einem Betroffenen zu be-
Namen – Bridget Bogard – und ihre exakte
Sie lacht herzlich, als ich sage, in den USA
kommen, scheint mir faszinierend. Außerdem
Adresse in Händen und setze mich sofort hin,
möchte ich Hamburger essen und erzählt,
berührt mich dieses Thema sehr persönlich.
um ihr einen Brief zu schreiben.
weil da die Palatschinken so gut sind.
dass ihr Sohn jahrelang nur Hamburger und
Mein jüdischer Großvater, den ich nie kennen
Ich erzähle vom Projekt und stelle mich
Pommes gegessen hat. Wenn es Gemüse gab,
über ihre Lebensgeschichte zu schreiben.
gelernt habe, ist als l2-Jähriger mit einem
vor. Zuletzt schreibe ich von unserem ge-
spuckte er es aus dem Fenster – sie wohnten im
„Denn wer wird dann noch mein Buch lesen
achten Stock!
wollen?“, lacht sie.
planten New York-Urlaub und lege
Adresse und Telefonnummer des Ho-
Nun will Bridget alles über mich wissen: Wo
Ohne dass ich sie danach frage, fängt sie
tels, in dem wir wohnen werden, bei.
ich in die Schule gehe, welche Hobbys ich
dann aber doch plötzlich an, von der Ver-
Jetzt heißt es Daumen halten – ob sie
habe ... Es ist nicht ganz einfach für mich, die
gangenheit zu sprechen, den „dark times“,
sich wohl bei mir melden wird?
Unterhaltung auf Englisch zu führen, aber
wie sie sie nennt.
Bis zu unserer Abreise bekomme
Ilsa Förster, 4a, RG Rahlgasse,traf sich mit frau Bridget
Bogard in New York: ,Es war eine wunderbare begegnung’.
nach einiger Zeit geht es recht gut.
Als Kind wusste sie überhaupt nicht, dass sie
ich keine Antwort, doch in New York
Bridget erzählt von ihrem Leben in New
Jüdin ist. Im Jahre 1938 wurde sie plötzlich mit
klingelt eines Abends das Telefon:
York. Sie ist geschieden und hat einen Sohn
dieser Tatsache konfrontiert und konnte
Bridget Bogard! Sie würde sich sehr
und Enkelkinder. Sie ist Fotografin und hat
eigentlich überhaupt nichts damit anfangen –
über ein Treffen mit mir freuen. Meine
lange Zeit eine Fotogalerie geleitet. Im Moment
Religion war in ihrer Familie nie ein Thema ge-
wesen.
Überraschung ist groß: Obwohl ge-
gibt es in einem Restaurant eine Ausstellung
standen ist, dass sie auf Deutsch
ihrer Fotos, die sie in ihrem Lieblingsland
Dann durfte sie von einem Tag auf den
kommunizieren will, spricht sie nur
Mexiko gemacht hat. Außerdem schreibt sie ein
anderen nicht mehr in die Schule gehen – sie
Englisch. Wir verabreden uns für den
Buch über ihr Leben, das demnächst auch in
verstand die Welt nicht mehr! Gemeinsam mit
nächsten Tag. Sie schlägt vor, uns in
Österreich erscheinen soll. Deshalb, meint
einem anderen jüdischen Mädchen vertrieb sie
einem kleinen polnischen Lokal in
sie, könne sie mir nicht erlauben, ausführlich
sich die Zeit damit, stundenlang Monopoly zu
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Bogard Bridget
spielen. Eine andere liebe Freundin durfte sie
Bridget will wissen, ob es immer noch
plötzlich nicht mehr besuchen, weil deren
Antisemitismus in Österreich gibt und wie die
Schwester mit einem SS-Offizier befreundet
Jugend dazu steht. Mein Vater erzählt, dass
war und solche Besuche für Bridget gefährlich
auch er einen jüdischen Vater hatte, der seine
wurden.
Familie in der Zeit des NS-Regimes verlor.
Mit Hilfe eines Onkels, der in Paris ein
Bridget ist sehr am politischen Weltge-
Reisebüro hatte, kamen Bridget und ihre
schehen interessiert und daher ergibt sich
Mutter (ihre Eltern hatten sich getrennt) nach
noch eine interessante Diskussion über
Frankreich. Als die Deutschen Frankreich be-
amerikanische Politik, den lrak-Krieg und die
setzten, wurde Bridget nach England in ein In-
momentane politische Situation in Österreich.
ternat geschickt, ihre Mutter wurde verhaftet.
Bevor wir uns verabschieden, schreibt sich
Die Zeit im Internat war sehr hart für sie –
Bridget meine Telefonnummer auf: Wenn sie
sie konnte ja anfänglich kein Wort Englisch!
das nächste Mal nach Österreich kommt, wird
Ihrer jüdischen Freundin aus Wien war eben-
sie uns besuchen.
falls die Flucht nach England geglückt.
Ich freue mich riesig, als sie sagt, ich könne
Nach dem Krieg kam Bridget zu ihrem Vater nach Amerika und lebt seitdem in N.Y.
sie jederzeit in New York besuchen und auch
bei ihr wohnen. Irgendwie habe ich das Gefühl,
Mit ihrer Freundin, die immer noch in England lebt, hat sie nach wie vor guten Kontakt –
die beiden fahren ein Mal im Jahr gemeinsam
auf Urlaub.
Bridget schon lange zu kennen und hoffe, dass
wir uns irgendwann wieder sehen.
Bevor wir ins Hotel zurückfahren, gehen
wir noch in das Restaurant, in dem Bridget ihre
Bridget kommt auch immer wieder nach
Österreich, vor allem in ihre Lieblingsgegend
– ins Salzkammergut.
Ausstellung hat und schauen uns die Fotos an:
Sie ist wirklich eine tolle Fotografin!
Ich bin sehr glücklich, Bridget getroffen zu
Sie erzählt aber auch, dass sie selbst in
haben. Gleichzeitig macht mich das Gespräch
Österreich nicht gerne Deutsch spricht, obwohl
sehr betroffen: Ich muss daran denken, was mir
sie es natürlich kann. Lächelnd erzählt sie da-
passieren würde, wenn ich im Jahre 1938 leben
von, als sie das letzte Mal mit ihrer Freundin in
würde.
Wien war und mit einem Taxifahrer sprach,
Auch mich würden die Nationalsozialisten
dass dieser wissen wollte, wieso sie so gut
verfolgen, schließlich stamme ich aus einer
Deutsch könne. „In der Schule gelernt“, hat sie
jüdischen Familie. Müsste ich Österreich auch
gesagt – von ihrer Emigration will sie nicht mit
verlassen?
jedem sprechen.
Ilsa Förster, RG Rahlgasse, Wien
» Ich freue mich riesig, als Bridget sagt, ich könne sie jederzeit in
New York besuchen und auch bei ihr wohnen ...«
Ilsa Förster über ihr Treffen mit Bridget Bogard in New York