Weser Kurier - Gemeinnützige Hertie
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Weser Kurier - Gemeinnützige Hertie
TAGESZEITUNG FÜR BREMEN UND NIEDERSACHSEN D I E N S T A G , 14. JUNI 2016 | 7 2 . J AHRGANG | NR. 137 | EINZELPREIS 1,40 Demokratie neu denken Schöne Aussichten Carolin Henkenberens über Lobbyisten-Register DU, CSU und SPD âollen ihre Kontakte zu Lobbèisten âeitgehend geheim halten, und sie haben bisher auch keiner áerpflichtenden Registrierung áon Interessenáertretern, ihren Auftraggebern und finanziellen Mitteln zugestimmt. Das ist anachronistisch. Denn die Willensbildung und das Verständnis áon Mitbestimmung haben sich in den 70 Jahren, die unsere Demokratie nun besteht, grundlegend áerändert. Unsere Demokratie funktioniert nicht mehr âie zur Nachkriegszeit, als Eliten mauschelten und es keiner merkte. Wir leben im Digitalzeitalter, mittlerâeile streamen Verbände und Organisationen ihre Tagungen liáe im Internet um die Welt. An Uniáersitäten âerden Vorlesungen per Kamera in Echtzeit in Hörsäle anderer Städte übertragen. Mit Diskussion. Über das Internet áernetzen sich Menschen, áerschafen sich auch ohne Geld und Macht Gehör. Junge Leute âollen Transparenz, ihre Welt ist interaktiá und global. In diese Lebensâirklichkeit passt es nicht, dass sich Politiker mit Lobbèisten trefen und áon ihnen beraten lassen, ohne darüber transparent zu informieren. Soll heißen: Das ist ein Relikt alter Zeiten, unmodern, einfach unpassend. Bürger âollen mitbestimmen und mitreden, auch âenn die Wege heute andere sind als áor Jahrzehnten. Das zeigen die Proteste gegen TTIP und Initiatiáen âie die Liquid Democracè áon der Piratenpartei. Die Grundidee: Bürger können sich jederzeit áia Internet einmischen in die Politik, statt einen geâählten Repräsentanten sprechen zu lassen. Lobbèismus ist legitim und notâendig. Lobbèisten haben oft praktisches Wissen, das Politikern fehlt. Es ist aber nicht legitim, dass niemand nachprüfen kann, âelche Interessen âie áiel Einfluss nehmen und âie Entscheidungen zustande kommen. Jetzt konnte der Wunsch der Bürger nach Ofenheit abgeâiesen âerden. Langfristig âird das nicht gut gehen. Sonst âerden die Schreie der Rechtspopulisten, die eine Verschâörung áon Wirtschaft und Politik sehen, noch lauter. Diesen Rufen lässt sich nur mit Ofenheit begegnen. Die Parteien âerden sich áon ihrem angestaubten Demokratieáerständnis áerabschieden müssen. C A Deutschland aus zu sehen sind, beâeist dieses in Brandenburg entstandene Bild. Die Entstehung áon Polarlichtern hängt mit dem Sonnenâind und dem Erdmagnetfeld zusammen. Ohne das Magnetfeld gäbe es nicht nur keine Polarlichter, sondern áermutlich auch kein Leben auf der Erde. Es schützt Lebeâesen áor der kosmischen Strahlung. Forscher interessieren sich unter anderem für die Frage, âie das Magnetfeld entsteht. Um sie zu beantâorten, müssen sie Vorgängen tief im Innern des Planeten auf den Grund gehen. JÜW·FOTO: DPA Bericht Seiten 18 und 19 Angst bei der Landesbank um die Jobs Übernahme durch die NordLB betrifft bis zu 1000 Arbeitsplätze / Sieling will bremische Interessen sichern VO N JÜ RG EN H I NR I CH S Bremen. Rund 1000 Arbeitsplätze, Einfluss in der Region und die Beteiligungen an diáersen Unternehmen in Bremen und umzu – das steht auf dem Spiel, âenn áoraussichtlich bis zum Herbst darüber áerhandelt âird, zu âelchen Bedingungen die âegen fauler Schifskredite notleidend geâordene Bremer Landesbank sBLBt bei der NordLB Unterschlupf findet. Am Freitag âar darüber im Grundsatz entschieden âorden, am Montag âurden die Beschäftigten informiert. „Einen direkten Einfluss auf die Entscheidung der Träger haben âir zâar nicht“, sagt Frank Intemann áom Personalrat, „âir âollen aber natürlich das Bestmögliche für die Belegschaft an den beiden Standorten Bremen und Oldenburg herausholen.“ Die Stimmung sei angespannt: „Klar, man macht sich Gedanken, âie es âeitergeht.“ Erstmals äußerte sich auch Bremens Bürgermeister Carsten Sieling zu den Problemen der BLB: „Die Situation um die Bremer Landesbank hatte sich in der áergangenen Woche zugespitzt“, sagte Sieling dem WESER-KURIER. Mit der Erklärung der Träger der Bank áom áergangenen Freitag sei nun Polizei sucht nach Unfallfahrer Bremen. Die Polizei hat fast 100 Hinâeise auf den Autofahrer, der am Freitagmittag mit einem rücksichtslosen Manöáer einen 13-Jährigen lebensgefährlich áerletzt hat. Bislang allerdings konnte der Mann noch nicht identifiziert âerden. Wie berichtet, âar der Mann an der Ecke Julius-Brecht-Allee/Adenauer-Allee bei Rot über die Kreuzung gefahren und hatte dabei einen 13-jährigen Radfahrer frontal erfasst und lebensgefährlich áerletzt. Daraufhin âaren nach Aussage mehrerer Zeugen der Fahrer des Wagens und sein Beifahrer ausgestiegen und hatten kurz nach dem auf der Fahrbahn liegenden Kind geschaut. Dann aber sollen sie âieder in ihren Pkâ gestiegen und geflüchtet sein, ohne sich âeiter um den Schâeráerletzten zu kümmern. Aufmerksame Zeugen hatten sich das Kennzeichen des Wagens gemerkt. Es handelt sich um einen silbernen Opel Astra mit dem Nummernschild HB-BA 351 – ein Mietâagen, âie sich herausstellte, áon dem jedoch âeiterhin jede Spur fehlt. Die Polizei äußerte sich am Montag aus ermittlungstaktischen Gründen nicht zu den Details des Falles. Wie jedoch áerlautete, passt das Alter des Mannes, der den Wagen gemietet hat, nicht zu den Zeugenbeschreibungen des Fahrers. Demnach ist der Mieter des Autos älter als der Fahrer, den die Zeugen auf 35 bis 45 Jahre schätzten. Auf den Wagen sollen mehrere Personen einer Familie Zugrif haben. MIC Kommentar Seite 2Bericht Seite 9 ein Handlungskorridor aufgemacht âorden. Sieling: „Auch unter den aktuellen Umständen geht es mir darum, einen áernünftigen Weg für unseren Wirtschaftsstandort, die Arbeitsplätze und die Sicherung unserer bremischen Interessen zu finden.“ Bremen und Niedersachsen haben sich darauf geeinigt, die BLB entâeder komplett an die NordLB zu geben – mit einem entsprechenden Kaufpreis, den Bremen für seine 41 Prozent der Anteile bekommen âürde – oder die beiden Banken so miteinander zu áerschmelzen, dass den Bremern ein kleiner Teil ihres Einflusses auf die Geschäfte beâahrt bliebe. Haupteigner der BLB ist mit 55 Prozent der Anteile die áon Niedersachsen kontrollierte NordLB. Wesentlicher Teil der Verhandlungen in den nächsten Monaten âird sein, âas mit den Beteiligungen der BLB an anderen Unternehmen passiert. Darunter sind die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft sBLGt, âo BLBChef Stephan-Andreas Kauláers den Aufsichtsrat führt, und die Bremer Wohnungsgesellschaften Geâoba und Brebau. Hinzu kommen jeâeils millionenschâere Engagements bei Firmen in Oldenburg, Hamburg, Vechta und Westerstede. Speziell bei dem Logistik- und Hafenunternehmen BLG, âo die BLB nach eigenen Angaben 12,6 Prozent der Anteile besitzt, âäre ein Verkauf der Anteile nach Niedersachsen delikat. Die BLG soll zum Beispiel den geplanten Ofshore-Terminal in Bremerhaáen sOTBt betreiben – gegen die Konkurrenz im niedersächsischen Cuçhaáen. Bei der Brebau sieht man die Entâicklung noch mit Gelassenheit. „Eine Beteiligung bei uns âäre für jeden Anleger eine gute Sache“, sagte Brebau-Chef Bernd Botzen- Mit „Wir sind da“ wirbt die BLB in der Stadt. Das Motto ist fortan fraglich. FOTO: STEFAN DAMMANN THEMA Im Zeichen des Regenbogens 3 Paris, Neâ York, Sèdneè: An áielen Stellen auf der Welt gedachten Menschen unter der Regenbogen-Fahne den 49 Opfern des Massakers áon Orlando. BREMEN Schüler schreiben über Migranten 9 und 13 Wie sehen Jugendliche die Situation gleichaltriger Flüchtlinge? Drei Schulklassen aus Utbremen, Horn und Vegesack recherchierten. Die Ergebnisse sind áon heute an auf drei Sonderseiten zu lesen. NIEDERSACHSEN Autonomes Fahren auf der Autobahn 2 Wirtschaftsminister Olaf Lies sSPDt âeitet die Erprobungszone aus: Künftig soll auch auf niedersächsischen Autobahnen autonomes Fahren getestet âerden – âie bereits in der Stadt Braunschâeig. 14 VERMISCHTES Papst empfängt „Miss Germany“ Erstmals in der Geschichte des Schönheitsâettbeâerbs trift eine „Miss Germanè“ den Papst: Lena Bröder s26t, Lehrerin für Hausâirtschaft und katholische Religion, âird an diesem Mittâoch áon Papst Franziskus im Vatikan empfangen. „Glaube hat für mich áiel mit Gemeinschaft, mit Teamfähigkeit und gemeinsamen Werten zu tun“, sagte sie. 8 RUBRIKEN Familienanzeigen ................................ 7 Fernsehen ............................................ 28 Lesermeinung ...................................... 21 Rätsel & Roman ................................... 27 Tipps & Termine ................................... 12 Verbraucher ......................................... 20 hardt auf Anfrage. Auch für die Hannoáeraner, meint er. „Das kann passieren.“ Wichtig sei zunächst einmal, dass sein Unternehmen gesund ist und in Bremen Projekte âie die Hafenkante, den Arster Damm und den Stadtâerder áorantreibt. Doch neben dieser rein âirtschaftlichen Betrachtung gebe es natürlich auch noch andere Aspekte: „Wir tragen schließlich Bremen in unserem Namen.“ Mit der BLB und der Bremer Sparkasse seien hiesige Akteure im Boot – „es âürde uns traurig stimmen, âenn es anders käme“. Ein großer Vorteil seien die kurzen Entscheidungsâege und die kurzen Wege überhaupt: „Wir müssen nur über den Marktplatz gehen.“ Ob bei der BLB Arbeitsplätze abgebaut âerden und falls ja in âelchem Umfang, ist noch áöllig ofen. Einfluss auf den Bezug des neuen Bankgebäudes am Domshof hat das erst einmal nicht. „Wir bauen âeiter und richten âeiter ein“, erklärte Jürgen Elbin, Geschäftsführer áon BLB-Immobilien. Am 8. August âerde das Haus âie geplant für die Kunden geöfnet. „Vorher ziehen nach und nach die Angestellten ein“, so Elbin. Es âerden an diesem Standort rund 400 sein. 700 sind es in Bremen insgesamt. Russen loben Randalierer Paris. In der französischen Hauptstadt Paris berät die Disziplinarkommission des europäischen Fußball-Verbandes Uefa an diesem Dienstag über das EM-Schicksal der russischen Mannschaft. Nach den Ausschreitungen im Stade Vélodrome in Marseille anlässlich des Spiels gegen England am Sonnabend âird die Situation in Russland ofenbar als nicht so dramatisch eingeschätzt. Igor Lebedeâ, Parlaments-Vizepräsident und Vorstandsmitglied der russischen FußballUnion, tâitterte am Montag die zènische Nachricht: „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht Jungs. Weiter so!“ Gerechnet âird zumindest mit einer saftigen Geldstrafe für die Russen und einem Punktabzug auf Beâährung. Die Kommission âill nachmittags ihr Urteil fällen. Mit der Androhung eines EM-Ausschlusses durch das Eçekutiákomitee der Uefa hat dieses Verfahren aber nichts zu tun. Es âird áon dem Gremium separat geführt, da die russischen Fans im Gegensatz zu den Engländern nicht nur außerhalb, sondern auch in der Arena randalierten, Feuerâerkskörper abbrannten und mit rassistischen Ausfällen aufällig âurden. „Viele haben die Schnauze áoll áon diesen Dingen“, berichtete ein Teilnehmer der Sondersitzung der Eçekutiáe. Denn die Erinnerungen an die EM 2012 in Polen und der Ukraine sind noch präsent. Auch da sorgten áereinzelte russische Fans für Schlagzeilen. DPA Bericht Seite 24 [email protected] KOPF DES TAGES Jörg Ehntholt Jörg Ehntholt âirkt in der Regel eher im Hintergrund, doch an diesem Dienstag ist das anders. Dann stellt die Glocke-Veranstaltungs-GmbH das Programm áon Bremens guter Stube für Musik, Kabarett und auch Shoâ für die nächsten zâölf Monate áor. Ehntholt sitzt mit auf dem Podium und berichtet über Besucherzahlen, Zuschüsse und die Einnahmesituation der Glocke. Seit Juli 2003 ist der gebürtige Bremer Geschäftsführer des Konzerthauses an der Domsheide und der Musikfest-GmbH. Beáor der 53-Jährige Glockenchef âurde, âar er Controller bei der Hanseatischen VerSHE anstaltungs-GmbH. FOTO: GLOCKE nders als die Bezeichnung Polarlicht áermuten lässt, treten die farbenprächtigen Himmelserscheinungen nicht nur in den Polargebieten auf. Dass Polarlichter hin und âieder auch áon WETTER Tagsüber Nachts Niederschlag 19° 12° 80% Feuchte, mäßig warme Luft Ausführliches Wetter Seite 8 H 7166 • 28189 BREMEN 20024 4 194176 301408 Bremen DIENSTAG 14. JUNI 2016 9 Rund 100 Hin eise auf Unfalllüchtigen Miet agen bringt Polizei auf Spur des Fahrers, der 13-Jährigen lebensgefährlich erletzt hat Ich ill aufhören, an Gott zu glauben, enn ich sehe, dass ein Baum ein Gedicht macht und ein Hund eine Madonna malt. FRIE)RICH HEBBEL 1813 – 1863 TACH AUCH Abi-Tour von vo LKER JUnCK bgekämpft, aber zufrieden. „Ich habe gerade âieder 153 Trainingskilometer gemacht. Einmal BremenNienburg und retour“, erzählt der EndSechziger stolz. Warum er das macht? Sie âaren damals zu zâölft am altsprachlichen Zâeig des Josephinum-Gèmnasiums Hildesheim, die das Abitur machten. Beruf und Familie haben sie über die ganze Republik áerteilt. Zehn âerden âohl zum 50-JahreAbi-Jubiläum anreisen. „Und ich âerde an einem Tag mit dem Rennrad hinfahren und den alten Knackern mal zeigen, âas man noch drauf hat“, freut sich der Bremer Anâalt auf die áerblüften Gesichter seiner einstigen Mitschüler. A An dieser Kreuzung urde der 13-jährige Radfahrer lebensgefährlich erletzt. Die gelbe Markierung zeigt, bis ohin der Junge geschleudert urde. von R A L F M I CH EL Bremen. Die Ermittlungen der Polizei nach dem lüchtigen Verursacher eines Verkehrsunfalls, bei dem am Freitag ein 13-jähriger Junge in der Vahr lebensgefährlich áerletzt âurde, laufen âeiter auf Hochtouren. Zeugenaussagen haben die Ermittler zu einer Familie geführt, doch noch steht nicht fest, âer aus dieser Familie am Freitagmittag hinter dem Steuer saß. Daran könne sich jedoch schnell etâas ändern, heißt es seitens der Polizei. „Wir haben rund 100 Hinâeise auf den Fahrer, die derzeit ausgeâertet âerden.“ In den áergangenen fünf Jahren hat es in Bremen jeâeils zâischen etâa 3500 und 4500 Unfallluchten gegeben, so die Schät- zung. Was sich am áergangenen Freitag in der Julius-Brecht-Allee ereignete, fällt jedoch auch für die Polizei aus dem Rahmen. „Eine solche Rücksichtslosigkeit ist relatiá einmalig“, sagt Sprecherin Franka Haedke. Sie könne sich nicht erinnern, dass es einen derartigen Fall überhaupt schon einmal gegeben habe. Wie berichtet, hatte der unbekannte Fahrer eines silbernen Opel Astra den 13-jährigen Radfahrer frontal erfasst. Das Kind âurde 15 Meter âeit durch die Luft geschleudert. Der Mann âar mit seinem Wagen auf der Julius-Brecht-Allee unterâegs und âollte geradeaus in die Steubenstraße fahren. Vor ihm standen jedoch mehrere Pkâ, die bei Rot âarteten. Der Opelfahrer Verkehrsunfälle mit Fahrerflucht in der Stadt Bremen 4525 4273 3782 3591 2011 2012 3646 2013 2014 2015 © WESER-KURIER • STV vorgezogene Ferien in Tene er mal âenn es sich um einen Wagen handelt, auf den mehrere Personen Zugrif haben. In dieser Hinsicht schâeigt die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen. Wie áerlautete, handelt es sich bei dem Opel um einen Mietâagen, dessen Halter nicht zu der Zeugenbeschreibung des Unfallfahrers passt. Der Mann soll 35 bis 45 Jahre alt sein, der Mann, der den Wagen gemietet hat, ist dem Vernehmen nach älter. Nahezu jeder áierte Verkehrsunfall in der Stadtgemeinde Bremen gehe mit unerlaub- „Eine solche Rücksichtslosigkeit ist relati einmalig.“ Franka Haedke, Polizeisprecherin tem Entfernen áom Unfallort einher, berichtet Franka Haedke. Für das áergangene Jahr standen 4525 Fahrerluchten zu Buche. „Bei 1024 dieser Straftaten konnten die Täter ermittelt âerden“, sagte die Polizeisprecherin. Ein Großteil dieser Unfallluchten habe sich allerdings im ruhenden Verkehr ereignet – sogenannte Parkrempler, die zumeist nur leichte Sachschäden anrichteten. Der Anteil der Unfallluchten, bei denen Personen áerletzt âurden, habe im Jahr 2015 zâischen 200 und 300 gelegen. Schâer áerletzt âurden dabei rund 20 Menschen. Luxushotel in estiert 13 Millionen Abriss on z ei Gebäuden: Atlantic-Group ill an der Martinistraße um 100 Zimmer achsen oberschule nach Brand gesperrt von PAS CA L FA LTE R M A n n von JÜ RG E n TH E I nE R Bremen. Die riesige Zange des Abrissbaggers frisst sich im âahrsten Sinn des Wortes in die Mauern des Gebäudes. Der erste Teil der Hausfront an der Martinistraße in Bremen ist abgerissen. Für Passanten ist der Blick in die áier Etagen des grauen Hauses derzeit freigelegt. Die Baumaschine reißt nach und nach die Decken und Wände soâie das dazugehörige Metallgelecht ein. Das Atlantic Hotel auf dem Bredenplatz âird für rund 13 Millionen Euro erâeitert. Dafür müssen die zâei großen Betonbauten âeichen. Betrofen ist daáon auch der Verkehr: Fußgänger müssen die andere Straßenseite benutzen, Autofahrer müssen sich mit einer Spur Richtung der Kreuzung „Am Brill“ begnügen. Den beiden Bremer Unternehmern Joachim Linnemann sImmobilienunternehmen Justus Grosset und Kurt Zech sZechbaut áon der Atlantic-Hotelgruppe ist das Grand Hotel anscheinend nicht mehr groß genug. Es soll um gut 100 zusätzliche Zimmer und Suiten âachsen. Außerdem ist geplant, den Wellness- und Spa-Bereich zu áergrößern. Das Haupthaus mit 138 Studios, Zimmer und Suiten soll dann mit einer Brücke mit dem Neubau áerbunden âerden, erklärte Joachim Linnemann. Für den Erâeiterungsbau gegenüber der Martinikirche muss also Platz geschafen âerden. Die beiden aneinander anschließenden Gebäude sind bereits gekauft âorden, âodurch die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Reederei Oltmanns umziehen mussten. „Für den Rückbau planen âir derzeit áier Wochen ein“, sagt Bremen. Nach einem Brand an der Oberschule Koblenzer Straße fällt dort der Unterricht für den Rest der Woche aus. Das hat die Bildungsbehörde am Montagnachmittag entschieden. Am Donnerstag áergangener Woche âar im dritten Stock des Gebäudekompleçes ein Feuer ausgebrochen. Dabei kamen zâar keine Menschen zu Schaden, große Teile der dritten und áierten Etagen âurden aber stark áerrußt. Derzeit laufen Untersuchungen zu möglichen Schadstofbelastungen. Die Ergebnisse sollen bis Donnerstag áorliegen, erst dann könne „das âeitere Vorgehen abgestimmt âerden“, sagte eine Behördensprecherin auf Anfrage des WESER-KURIER. Für die gut 450 Schülerinnen und Schüler bedeutet dies áorgezogene Sommerferien. Wie es in der kommenden Woche für die restlichen drei Tage des Schuljahres âeitergeht, steht noch nicht fest. Für die Jahrgangsgruppen fünf bis sieben organisiert die Schule ab diesem Dienstag eine Notbetreuung. Zu den Ursachen des Brandes gab es am Montag noch keine neuen Erkenntnisse. Als gesichert gilt bisher nur, dass das Feuer in der Küchenzeile eines Lehrerzimmers ausbrach. Näheren Aufschluss áerspricht sich die Bildungsbehörde áon einer noch nicht abgeschlossenen kriminaltechnischen Untersuchung. Eine erste Kostenschätzung zur Säuberung und Instandsetzung der áerrußten Bereiche erâartet die Bildungsbehörde für Mittâoch. überholte die stehenden Fahrzeuge auf der Linksabbiegerspur und âollte trotz roter Ampel über die Kreuzung fahren. Dabei erfasste das Auto den Jungen, der mit seinem Rad ordnungsgemäß bei Grün in Richtung Beneckendorfallee unterâegs âar. Was dann geschah, schildern Zeugen âie folgt: Fahrer und Beifahrer des Unfallâagens stiegen aus und sahen nach dem Kind. Doch statt sich um den schâer áerletzten Jungen zu kümmern, liefen beide zum Auto zurück und lüchteten in Richtung Stresemannstraße. Eine zufällig áorbeikommende Ärztin kümmerte sich um den 13-Jährigen und alarmierte den Notarzt. Der Junge âurde in eine Kinderintensiástation gebracht, âo die Ärzte seither um sein Leben kämpfen. Mehrere Zeugen hatten sich die Kfz-Nummer des Opel Astra gemerkt: HB-BA 351. Dies brachte die Polizei zâar auf die Spur der Täter, führte bislang aber noch nicht zur Identiizierung des Fahrers – ein grundsätzliches Problem bei Unfallluchten, âie Lars áan Beek, Leiter der Direktion Verkehr, erläutert. Es gehe zum einen darum, das Fahrzeug auch tatsächlich mit der Unfallstelle in Verbindung zu bringen – möglichst über objektiáe Spuren âie Beschädigungen am Fahrzeug. In diesem Fall fehle áon dem silbernen Opel Astra aber noch jede Spur. Zum anderen – und dies sei das âesentlich größere Problem – „müssen Sie auch den Fahrer auf den Fahrersitz bekommen“. Soll heißen, es muss einâandfrei nachgeâiesen âerden, âer zum Zeitpunkt des Unfalls am Steuer des Wagens saß. Nicht einfach, zu- FOTO: FRANK THOMAS KOCH Holger Römer, Pressesprecher der Zech Group. Von Anfang an seien das Bauressort, die Baudirektorin und die Denkmalplege in die Planung mit eingebunden geâesen. „Der Bauantrag liegt áor, ist aber noch nicht genehmigt. Es läuft derzeit ein áorhabenbezogener Bebauungsplan“, erklärt Stadtplaner Wilhelm Petrè áom städtischen Bauressort. Dieser müsse geändert âerden, âeil die Erâeiterung des Hotels unter anderem um zâei Geschosse höher âerden soll als die bisherige Bebauung. Zudem sollen die Arkaden ein Stück âeiter an die Straße heran gebaut âerden. Die nächsten Schritte seien eine öfentliche Auslegung und der Beschluss in der Baudeputation, im Senat und in der Bürgerschaft. Nach den Sommerferi- en könnte der Plan ausliegen, im Herbst der Bebauungsplan genehmigt âerden. Der Abriss ist genehmigt. Hauptgrund für den Ausbau sind die guten Belegungszahlen des Vier-Sterne-Hotels. „Wir haben eine Auslastung áon mehr als 75 Prozent, der Durchschnitt in Bremen liegt bei etâa 60 Prozent“, so Römer. Das denkmalgeschützte Robinson-Crusoe-Haus am Eingang zur Böttcherstraße und das rote Backsteinhaus am Bredenplatz mit dem Schriftzug „Ost-Preussen Pommern Schlesien“ bleiben áon den Arbeiten unberührt. Die Hotel-Vergrößerung solle sich zudem mit einer hellen Natursteinfassade an das Aussehen des Haupthauses orientieren. Der Haupteingang und die Einfahrt zur Tiefgarage bleiben am Bredenplatz. Begegnung auf Augenhöhe Schüler schreiben über Flüchtlinge vo n CATR I n F R E R I CH S Bremen. Sie kommen aus Sèrien, Afghanistan, nordafrikanischen Staaten und anderen Ländern, in denen zum Teil schon seit áielen Jahren Krieg, Terror oder Hunger herrschen. Wie geht es jungen Flüchtlingen nach ihrer Ankunft in Deutschland? Welche Perspektiáen sehen sie für ihr Leben in Mitteleuropa, und âelche Hofnungen áerbinden sie mit dem Neuanfang? Jugendliche aus drei Bremer Schulen haben sich in den áergangenen Wochen mit dem Thema Flucht auseinandergesetzt und in diesem Rahmen drei Zeitungsseiten gestaltet, die der WESER-KURIER áon diesem Dienstag an bis zu den Sommerferien áeröfentlicht. Das Projekt „Angekommen – und âillkommen!?“ geht auf die Initiatiáe der gemeinnützigen Hertie-Stiftung zurück, die das Projekt auch inanziell unterstützt. Beteiligt sind neben unserer Zeitung neun âeitere deutsche Tageszeitungen und das Izop-Institut, das gemeinsam mit dem WESER-KURIER seit áielen Jahren „Zeitung in der Schule“ sZischt ausrichtet. „Schülerinnen und Schüler sollen sich über das Projekt intensiáer und auch unter journalistischen Gesichtspunkten mit den Themen Flüchtlinge und Integration auseinandersetzen“, sagt der Stiftungsgeschäftsführer John-Philip Hammersen. Ein Ziel sei nicht nur, dass Jugendliche zu Wort kommen, sondern dass sie dabei auch Ängste und Konlikte benennen und das Thema auf ihre Weise kritisch hinterfragen. Einige Wochen lang haben sich Schülerinnen und Schüler zunächst mit dem WESER-KURIER beschäftigt und dann aber auch selbst recherchiert. Aus ihrer Sicht schildern sie die Situation jugendlicher Zuâanderer in ihrem Stadtteil. Sie beschreiben Willkommensinitiatiáen, setzen sich mit der aktuellen Politik auseinander und áergleichen auch die Hintergründe zu Flüchtlingsströmen nach dem Zâeiten Weltkrieg in Deutschland mit der Flüchtlingsâelle áon heute. Beteiligt sind die Klasse 10d des Gèmnasiums Vegesack, eine Klasse der Europaschule Schulzentrum Utbremen des Sekundarbereichs II und der Geschichtsleistungskurs der E-Phase am Gèmnasium Horn. Den Anfang machen in dieser Ausgabe die Berufsschüler aus Utbremen. Sie haben an ihrer Schule mehrere Projekte für mehr Willkommenskultur organisiert. Berichte Seite 13 LOTTO- UND TOTOQUOTEN Die Zange des Baggers frisst sich in das Gebäude an der Martinistraße und zerteilt die Betondecken und - ände, damit das Atlantic Grand Hotel ergrößert erden kann. FOTO: KOCH Lotto am Sonnabend: Klasse 1: unbesetzt, Jackpot 7 484 055,50 Euro; Klasse 2: 427 172,40 Euro; Klasse 3: 8899,40 Euro; Klasse 4: 3087,90 Euro; Klasse 5: 175,30 Euro; Klasse 6: 47,00 Euro; Klasse 7: 18,90 Euro; Klasse 8: 11,00 Euro; Klasse 9: 5,00 Euro ohne Gewähr . „Spiel 77“ am Sonnabend: Klasse 1 „Super 7“: 2 477 777,00 Euro; Klasse 2: 77 777 Euro; Klasse 3: 7777 Euro; Klasse 4: 777 Euro; Klasse 5: 77 Euro; Klasse 6: 17 Euro; Klasse 7: 5 Euro ohne Gewähr . „Super 6“ am Sonnabend: Klasse 1: 100 000 Euro; Klasse 2: 6666 Euro; Klasse 3: 666 Euro; Klasse 4: 66 Euro; Klasse 5: 6 Euro; Klasse 6: 2,50 Euro ohne Gewähr . 13 Bremen DIENSTAG 14. JUNI 2016 ZEITUNGSPROJEK T: SCH ÜL ER S C H R EI BE N Ü B ER JU GE N D L I CHE M I G RA N T E N Mobil durch die Stadt Ein Recht auf Fortbewegung V ON T OR S TE N V ON B Ü LT Z I N GS L Ö W EN , TO BI A S M EI S UN D B J Ö R N MÜ LL E R V O N S U SH A N T H A N V I CT O R , PA S CA L H A S C H K E U N D T O BI A S ME I S al eben schnell zum Supermarkt fahren und etwas einkaufen, Freunde besuchen oder zur Schule fahren? Für fast alle von uns stellt dies kein großes Problem dar, da wir über Geld für die öffentlichen Verkehrsmittel verfügen, ein Fahrrad besitzen oder schon ein Auto haben. Für Flüchtlinge in Bremen sind diese alltäglich erscheinenden Aufgaben jedoch eine Herausforderung. Sie verfügen häufig nicht über ausreichend Geld für öffentliche Verkehrsmittel – und für Autos erst recht nicht. Selbst Fahrräder können oft zu teuer sein. Deshalb laufen viele den Weg von ihrer Unterkunft zur Schule. Nicht selten mehrere Kilometer. Und dies zweimal täglich. Als die Klasse BOT 15 auf diesen Missstand aufmerksam wird, entscheiden sich die Schüler kurzerhand dazu, Fahrradspenden zu sammeln, um wenigstens den Schulweg angenehmer zu gestalten. Zudem verbinden sie diese Spendenaktion mit einem Schulprojekt in dem Fach AnPro, Angewandtes Projektmanagement. Zunächst informieren sie sich, wie viele Fahrräder an der Schule von den Willkommensklassen benötigt werden und natürlich, ob die Schüler, die kein Fahrrad haben, überhaupt mit einem Rad fahren können. Glücklicherweise können alle Schüler, die noch kein Rad haben, tatsächlich Fahrrad fahren. Die Bremer Schüler suchen die „Willkommensklasse“ mit den meisten fahrradlosen Schülern aus, und die Planung kann beginnen. Das Ziel: drei Fahrräder für die Klasse zu bekommen. Um auf die Aktion aufmerksam zu machen, viele Menschen ansprechen zu können und so viele Sachspenden wie möglich zu sammeln, gestalten die Schüler Plakate und Flyer. Diese sind relativ kostengünstig und sprechen viele Menschen schnell und direkt an. Die Flyer werden in fast allen Klassen der Schule verteilt; die Plakate in Fluren aufgehängt. Über die angegebene E-Mail-Adresse kommen daraufhin viele Nachrichten von interessierten Fahrradspendern, die alte oder Zweitfahrräder abgeben wollen. Am Ende gibt es nur zwei Spenden. Die Fahrräder sind dafür in einem Top-Zustand und haben die richtige Größe. Unterm Strich ist die Aktion der Schüler ein Erfolg. eit Beginn des Schuljahres 2015/2016 gibt es inzwischen drei Willkommensklassen an der Europaschule Schulzentrum Utbremen des Sekundarbereichs II, in denen Flüchtlinge Unterricht vor allem in der deutschen Sprache erhalten. Um die Schüler der Willkommensklassen zu unterstützen, haben sich Schüler der Europaschule mit deren Wünschen auseinandergesetzt. Dabei herausgekommen ist, dass einige ein Transportmittel für den Schulweg benötigen. Da Bus und Bahn in Bremen nicht kostenfrei zu nutzen sind und man mit einem Fahrrad einfach eine viel größere Freiheit hat, ist es bei gutem Wetter das perfekte Fortbewegungsmittel. Schnell war der Entschluss gefasst, Fahrräder für die neuen Mitschüler zu sammeln und bei Bedarf auch zu reparieren. Gar nicht so einfach, da niemand auf die geschalteten Anzeigen auf Facebook und auf der Internetplattform bremen.de reagierte. Daraufhin fragten die Schülerinnen und Schüler im Fahrrad-Einzelhandel nach. Auch das war nicht erfolgreich, sodass sie sich schließlich bei Freunden und Bekannten umhörten. Ein erster Teilerfolg: eine Spende von zwei Fahrrädern. Allerdings befanden die sich in Sahlenburg bei Cuxhaven. Es fehlten Zeit und ein passendes Transportmittel Die Räder mussten in Cuxhaven bleiben. M GEDICHT Das Leiden Das Leiden überdeckt alles, warum nicht uns? Mir tut alles weh, aber es ist mir egal. Wofür soll es gut sein, zu sagen, Wann denkst du Ihr? Was ist unsere Erfahrung, nach all dem? Das Leiden überdeckt alles, es ist hart, es ist sanft. Wie der Schmerz, der an dir nagt. Ein weiteres Leiden; auch dieses ist salzig noch, zwei weitere, ein Ozean um dich herum, du schwimmst! In der Angst, in der Kälte... Du verschwindest, aber ich sehe dich In dir versinken Du strengst dich an bis deine Essenz aufatmen kann. C’est fini. In der Weite des Ozeans, am Grund des Ozeans, Bist du befreit Der Schmerz und das Leiden. MAMADOU LABÉ Junge Damen am Brett Barvin kann jetzt mit ihrem neuen Rad auch Freunde besuchen. Lehrer Marco Fahjen freut sich mit ihr. Insgesamt sechs Räder schenkten Utbremer Schüler jungen Migranten an ihrer Schule. Wer sind unsere neuen Mitschüler? ie neuen Mitschüler am Schulzentrum Utbremen haben die Neugier geweckt. Was sind das für Menschen? Wo kommen sie her? Sind die nett? Anhand eines Fragebogens wurden die neuen Mitschüler befragt. Die VK 1533, die Buchstaben stehen für Vorkurs, ist eine Klasse mit 16 Jugendlichen ab 16 Jahren. Die meisten sind unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge. Sie besuchen die Europaschule mindestens ein Jahr, um die deutsche Sprache zu lernen. Viele bleiben ein zweites Jahr zur Berufsorientierung. Die Schule bietet unter anderem Informatik und Naturwissenschaften an. In der VK 1533 sind Jugendliche aus Afghanistan, Syrien, Gambia, Guinea und Somalia. Kaba, ein Schüler der Klasse, spricht D vier Sprachen. Neben Deutsch und Englisch beherrscht er noch Mandinka und Wolof. Wolof ist eine afrikanische Sprache, die in Gambia gesprochen wird. Kaba ist nach Deutschland gekommen, weil sein Land eines der ärmsten Länder der Welt ist und der Präsident dort ein Diktator ist. Dort gibt es wenig Perspektiven für eine gute Zukunft, und nur wenige Menschen können ohne Sorgen wie Hunger, Verfolgung, Gewalt leben. Kaba möchte Anwalt werden. An Deutschland mag er, wie die meisten Schüler dieses Vorkurses, das Wetter nicht. Großes hat Mohamed vor. Er würde gern bei Werder Bremen spielen. Bangaly spricht sogar fünf Sprachen: Französisch, Deutsch, Susu, Mandinka und Fulfulde. Er will Metallbauer werden. Besher aus Syrien ist nach Deutschland gekommen, um dem Krieg zu entfliehen. Er mag an Deutschland den respektvollen Umgang der Menschen untereinander und die Infrastruktur. In Syrien konnte er nicht zur Schule gehen, da dort Krieg herrscht. Abdi aus Somalia geht gerne schwimmen, macht Sport und mag Werder Bremen. Hammane aus Guinea konnte in Guinea nicht zur Schule gehen. Er glaubt, dass Deutschland für sein Leben eine zweite Chance bereithält. Er spricht fünf Sprachen: Fulfulde, Französisch, Englisch, Deutsch und ein wenig Italienisch. Was er weniger an Deutschland mag, ist der Alkohol- und Zigarettenkonsum. Sipan, der aus Syrien stammt, mag an Deutschland die Sprache, die Natur, die Infrastruktur, das Essen und die Kultur. Was er nicht mag, sind das Wetter und betrunkene Menschen auf der Straße. Das sind nur einige Statements aus den Fragebögen, die die neuen Mitschüler beantwortet haben. Packende Zweikämpfe, Herzblut und Schweiß V O N MA R C R U B B E R T , M A U R I C E GU S KE , R E N E D R U S T UND COLIN SCHORMANN as von Schülern organisierte Fußballturnier im Soccer King war heiß umkämpft. Die Klasse BOT 15 der Berufsoberschule für Technik hatte sich nicht nur mit den Schülern der Flüchtlingsklassen zu messen. Eine Lehrermannschaft versuchte ebenfalls, den Pokal für sich zu ergattern. An der Europaschule Schulzentrum Utbremen des Sekundarbereichs II nehmen derzeit drei Flüchtlingsklassen am Unterricht teil. Die Bremer Schüler überlegten, wie sie den neuen Mitschülern die Zeit etwas spaßiger gestalten könnten. „Fußball verbindet die Welt“– mit diesem Spruch entstand die Idee, mit den Flüchtlingen Fußball zu spielen. Zunächst fragten die Berufsschüler vorsichtig an, ob die jungen Migranten Interesse hätten, gemeinsam mit der Klasse etwas Fußball in der Freizeit zu spielen. Schnell war die Nachfrage so groß, dass man sich entschloss, ein Turnier zu veranstalten. An der Schule verkauften sie Kuchen, warme Speisen und Getränke, um das nötige Geld für die Durchführung des Turniers aufzutreiben. Um die vielen Teil- D So sehen Sieger aus: Das Team der Flüchtlingsklasse II der Europaschule Schulzentrum Utbremen der Sekundarstufe II mit dem Pokal. FOTOS: FR chach, ein Spiel für kluge Köpfe, doch jeder kluge Kopf muss irgendwo mal anfangen. Diese Idee steht hinter einem besonderen Projekt. Im Fach Angewandtes Projektmanagement erhielten Schülerinnen und Schüler den Auftrag, eine Arbeit mit Flüchtlingen ins Auge zu fassen. Da sie die üblichen Sportarten wie Fußball und Basketball als zu klischeehaft empfanden, wollten drei Schülerinnen etwas Originelleres machen. Eine von ihnen spielte schon länger Schach. Das sei eine unterschätzte Sportart, fanden die Schülerinnen. Ihr Beschluss stand fest: junge Flüchtlingsmädchen, die den ganzen Tag kaum eine Beschäftigung haben, für Schach zu begeistern. Mit viel Enthusiasmus begann die Arbeit an dem Projekt. Vorbereitung und Umsetzung hatten ihre Höhen und Tiefen, da alle beteiligten Schülerinnen Ideen und Vorschläge einbringen wollten. Aber es war eine Herausforderung, die viel Spaß gemacht hat und an der jedes Mitglied im Einzelnen und in der Gruppe gewachsen ist. Das größte Problem während der Vorbereitung war die Kooperation mit den Flüchtlingsunterkünften, die oft ihre Mitarbeit verweigerten. Diese Verweigerung rührte daher, dass sie die Flüchtlinge schützen wollten, da einige von ihnen noch nicht lange in Deutschland und viele zudem traumatisiert sind. Verständliche Gründe. Nach der Zusage eines Flüchtlingsheimes beschlossen die Schülerinnen, sich auf diese positive Antwort zu fokussieren und mit diesem zusammenzuarbeiten. Der Tag des Schachtrainings für Flüchtlingsmädchen lief unter dem Namen „Damen am Brett“. Er war aus Sicht der Organisatorinnen ein voller Erfolg, da mehr Mädchen erschienen, als es sich die Schülerinnen vorgestellt hatten. Sogar einige Jungen zeigten Interesse und setzten sich dazu. Die Mädchen, die zu diesem Tag erschienen, waren alle begeistert und spielten mit sehr viel Freude und Enthusiasmus. Sie bestätigten, dass sie im Flüchtlingsheim nicht viel zu tun hätten und das Projekt deshalb eine willkommene Abwechslung sei. Aufmerksam ließen sie sich die Regeln erklären und wollten sofort loslegen, obwohl sie das Spiel noch nie gespielt hatten. Weil einige der Mädchen gut Deutsch sprachen, war auch die Kommunikation nicht so schwer wie erwartet. Sie übersetzten das meiste den anderen Kindern. Aber auch ohne Deutschkenntnisse verständigten sich alle mit Händen und Füßen gut – was auch eine tolle Erfahrung war. Beim Spiel zeigten die Mädchen Begeisterung und Motivation, neue Dinge zu lernen und anzuwenden. Ein Schachtrainer von Werder Bremen, der den Tag sponserte, war ebenfalls begeistert und unterstützte so gut es ging. Das Training dauerte drei Stunden. Als es vorbei war, wirkten einige Kinder sogar traurig. So fiel auch die Rückmeldung aus dem Flüchtlingsheim hinterher positiv aus. Der Sponsor der Gruppe war zwar sehr vom Trainingstag angetan, wird das Projekt aber leider aus Ressourcengründen nicht weiterführen können. Bleibt zu hoffen, dass die Arbeit irgendwann doch noch weitergeht – und dies mit so viel Begeisterung und Spaß wie an diesem ersten Tag. S Viele neue Freiheiten VO N R E N E D R U S T , S U S H A NT A N V I CT O R U ND CA R O L I N S CH W A R Z as Projekt „Angekommen – und willkommen!?“ in Kooperation mit dem IZOP-Institut in Aachen geht auf die Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung zurück. Beteiligt sind der WESER-KURIER und neun weitere deutsche Tageszeitungen. Schüler setzten sich anhand des Mediums Tageszeitung mit der Situation jugendlicher Zuwanderer auseinander und recherchierten zu Lebenssituation, Hoffnungen und Perspektiven der jungen Migranten. Die Ergebnisse und Berichte der Schüler erscheinen auf drei Sonderseiten in unserer Zeitung. Beteiligt sind drei Bremer Schulen. Heute lesen Sie die Beiträge von Berufsschülern der Europaschule Schulzentrum Utbremen des Sekundarbereichs II. CFR D S Dank engagierter Mitschüler und Freunden gelang es schließlich, doch noch einige Fahrräder bekommen. Durch kleine Reparaturen wurden diese schnell verkehrssicher gemacht. Die Fahrräder lagerten zunächst in einem Kellerraum der Schule. Es dauerte eine Weile, bis alle Fahrräder wieder verkehrstauglich waren, da die Schülerinnen und Schüler das in der Freizeit erledigten – und sich nebenbei auch noch ums Abitur kümmern mussten. Die Arbeit an den Rädern hat sich bezahlt gemacht. Nach drei Wochen waren sechs fahrtaugliche Fahrräder startklar. Diese konnten den Flüchtlingen feierlich überreicht werden. Und sie wurden dankend angenommen. Eine besondere Freude machten die Schülerinnen und Schüler der Europaschule in Utbremen einem achtjährigen Mädchen aus Syrien. Barvin ist seit Dezember 2014 in Deutschland. Das Mädchen spielt gerne mit seinen Freundinnen, geht spazieren oder treibt Sport. Barvin hat inzwischen viele neue deutsche Freunde gefunden, die sie jetzt mit ihrem neuen Fahrrad optimal erreichen kann. Angekommen – und willkommen!? nehmer und ihre Zuschauer gemeinsam unterzubringen, mieteten sie einen Platz im Soccer King in Habenhausen. Für ausreichend Getränke war gesorgt, der Spielplan hing aus, und noch bevor alle umgezogen waren, begannen bereits die ersten Spieler sich aufzuwärmen. Wenn auch manche ohne Hallenschuhe. Einige waren barfuß. Andere waren mit nicht zugelassenen Stollenschuhen unterwegs, was wegen des Verletzungsrisikos nicht erlaubt war. Das Eröffnungsspiel bestritten das Team der Lehrer und die Organisatoren selbst. Gegen die geballte Kraft von fünf erwachsenen Männer waren die Schüler allerdings machtlos. Trotz perfekten Passspiels und guter Kondition unterlagen die Schüler der BOT15 ihren Konkurrenten am Ende mit 5:1. Auch in den nachfolgenden Spielen schenkte man sich nichts. Am Ende des Turniers stand die Flüchtlingsklasse II ganz oben auf dem Treppchen und ergatterte den begehrten Pokal, trotz oder eben gerade wegen einiger barfuß spielender Teilnehmer. Mit vier Siegen aus vier Spielen holten sie das Metall nach Hause. Lustigerweise landete das Lehrerteam trotz des tadellosen Auftakts nur auf dem vorletzten Platz. Und damit hinter der BOT 15. ANASTASIA EROFEEV, GINA HEUERMANN UND CAROLIN SCHWARZ Ein Nachmittag für kluge Köpfe: gemeinsames Schachspiel in der Flüchtlingsunterkunft. 13 Bremen FREITAG 17. JUNI 2016 ZEITUNGSPROJEK T: SCH ÜL ER S C H R E IB EN Ü BE R J UG EN D LI C HE MI G RA N T E N Neue Chancen für junge Flüchtlinge Angekommen – und willkommen!? as Projekt „Angekommen – und willkommen!?“ in Kooperation mit dem IZOP-Institut in Aachen geht auf die Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung zurück. Beteiligt sind der WESER-KURIER und neun weitere deutsche Tageszeitungen. Schülerinnen und Schüler setzten sich anhand des Mediums Tageszeitung mit der Lebenssituation jugendlicher Zuwanderer auseinander und recherchierten zu Hoffnungen und Perspektiven der jungen Migranten. Die Ergebnisse und Berichte der Oberund Berufsschüler erscheinen auf drei Sonderseiten in unserer Zeitung. Beteiligt sind das Gymnasium Horn, die Europaschule Utbremen – und die Klasse 10 d des Gymnasium Vegesack, deren Beiträge auf dieser Zeitungsseite zu lesen sind. CFR D Ungewollt schwanger ie Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Bremen hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Ein Grund dafür ist die anhaltende Flüchtlingskrise. Auf ihrer Flucht nach Deutschland werden Frauen oftmals Opfer von Gewalt und Unterdrückung. Dabei kommt es zu Gruppenvergewaltigungen durch Banden, die den Frauen an den Grenzübergängen auflauern. Häufig werden die Opfer dabei schwer verletzt; manche sterben. Wegen der Übergriffe werden viele Frauen schwer traumatisiert und erkranken psychisch. Zudem werden viele unter ihnen ungewollt schwanger. In Deutschland können Frauen, die auf der Flucht ungewollt schwanger geworden sind, eine Abtreibung vornehmen. Viele wissen nicht, dass ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland nur innerhalb der ersten zwölf Wochen möglich ist. Da die meisten Flüchtlingsfrauen zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in Deutschland bereits eine lange Reise hinter sich haben, wird für sie die Zeit knapp, um sich für oder gegen die Schwangerschaft zu entscheiden. Viele Frauen dürfen aus religiösen Gründen nicht mit Männern über die ihnen widerfahrene Gewalt reden. Daher sind weibliche Dolmetscherinnen bei den Beratungen unverzichtbar. Inzwischen gibt es viele Beratungsstellen für Flüchtlingsfrauen. D CLARA PARUSEL, MILA FRIES UND CÉCILE GARNIER KOMMENTAR Rechte Gefahr Ibrahim Erdogan, Henrik Nagel und Joshua Pautsch über mögliche Übergriffe in Bremen urch die Flüchtlingskrise ist ein Land wie Deutschland regelrecht gezwungen, Hilfe zu leisten und nach Lösungswegen zu suchen. Flüchtlinge aufnehmen, versorgen und unterbringen: So lässt sich Deutschland im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise am besten beschreiben. Doch es gibt auch dunkle Seiten: die rechte Szene. Das Augenmerk jedes Flüchtlings liegt zunächst nicht in dieser Richtung. Doch auch in Bremen-Nord, sind Anschläge durchaus realistisch. Oft wird die allgemeine Lage durch den Rechtspopulismus negativ geprägt und letztendlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Dabei sollten in dieser besonderen Situation nicht etwa ethnische Wurzeln, Religion oder die Hautfarbe im Vordergrund stehen, sondern die jeweilige Vergangenheit des Geflüchteten und seine besondere, auch persönliche Situation. D WILLKOMMENSINITIATIVE Hilfen zur Integration ie Flüchtlinge, die aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und Albanien nach Bremen kommen, haben zu Beginn kaum eine Chance, sich in die neue Umgebung zu integrieren. Nachdem sie ein paar Stationen, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtling durchlaufen haben, kommen sie in ein Übergangswohnheim, in dem es einige Angebote von Nachbarn und anderen Organisationen gibt wie Deutschunterricht, Sport, Hausaufgabenhilfe oder gemeinsames Kochen. In Bremen gib es eine Willkommensinitiative von Nachbarn und Flüchtlingsunterkunftsleitungen. Die organisieren Ausflüge und Aktivitäten mit den Flüchtlingen oder Fußballturniere, um den ersten Kontakt zu deutschen Einwohnern in der Umgebung zu schaffen. Zudem gibt es Angebote von Schulen und Sportvereinen, sodass die Flüchtlinge Kontakte zu Schülern und zu Personen ihres Alters knüpfen können. D LASSE ELLER UND BEN SCHÖNWÄLDER V O N A NN A P R I GG E U N D I NA - MA R I E F R E I H O R S T m im Mathematikunterricht eine Rechenaufgabe lösen zu können, muss man zunächst die Aufgabenstellung verstehen. Genau dies ist das Problem der 17-jährigen Alisha aus Kenia. Sie besucht die Oberschule an der Lerchenstraße in Bremen-Vegesack und wechselt nächstes Jahr voraussichtlich die Oberstufe. Da sie in ihrem Heimatland bereits die Schule besucht hat, ist sie in einer zehnten Klasse aufgenommen worden. Englisch spricht sie gut, und Mathe wäre vom Rechnerischen kein Problem, wenn sie die deutsche Sprache vollständig verstehen könnte. Alisha hatte, wie jedes andere Flüchtlingskind in Bremen, nur ein Jahr Zeit, Deutsch so gut wie möglich in einer Vorklasse zu lernen. Ein Ding der Unmöglichkeit, da sie Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und ihr dennoch weitere schulische Kompetenzen fehlen. Trotzdem muss sie die gleichen Abschlüsse wie Schüler mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche ablegen. Lehrer tun alles, um ihr Deutsch weitestgehend beizubringen, damit sie die Aufgabenstellungen versteht. Das Erlernen der deutschen Sprache hat für jugendliche Flüchtlinge oberste Priorität. Dies wird hauptsächlich in Schulen gelehrt. Dazu wurde die Vorklasse an der Oberschule an der Lerchenstraße befragt, die zurzeit 20 Schüler stark ist. In einer Vorklasse wird ausschließlich Deutsch unterrichtet. Es gibt eine Einjahresfrist. Nach diesem Jahr in der Vorklasse müssen Flüchtlinge in den Regelunterricht. Die Zuweisung in eine Regelklasse wird nach ihrem Alter festgelegt. Schnell Deutsch lernen, obwohl sie keine anderen schulischen Voraussetzungen mitbringen? Viele Flüchtlinge haben keinen Bildungshintergrund. Flüchtlinge aus Somalia etwa sind wegen des Bürgerkriegs im Land im seltensten Fall zu Schule gegangen. Für die Lehrer ist es auch sehr anstrengend zu unterrichten, da die Schüler unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und unterschiedliche Niveaus haben. Die Behörde gibt vor, dass die Schüler eine 20Stunden-Woche haben müssen, an der Lerchenstraße sind es 25 Stunden. Doch die Integration kann gar nicht funktionieren, da 60 Prozent der Schüler dem Regelunterricht wegen fehlender Kenntnisse nicht folgen können. Sie besuchen dennoch die Schule wie alle anderen. Viele Migranten würden gerne ihren Mittleren Schulabschluss oder das Abitur absolvieren, aber sie haben einen zu geringen Bildungshintergrund und zusätzlich mangelnde Deutschkenntnisse. Nikoletta ist elf Jahre alt. Sie muss Deutsch neu lernen, da sie nicht einmal das Alphabet beherrscht und auch sonst keinen weiteren Bildungshintergrund besitzt. Nach dem Jahr in der Vorklasse kommt sie in eine siebte Klasse, ohne jemals Unterricht in Mathematik, Chemie oder Physik gehabt zu haben. Durch dieses System kann die Integration gar nicht funktionieren. Nikoletta wird wegen der fehlenden Kenntnisse kaum den Anschluss an deutsche Siebtklässler schaffen. Auch Sportvereine leisten Integrationsarbeit: Seit September 2015 gibt es bei der SG Aumund-Vegesack eine Schwimmgruppe für Flüchtlinge. Der Grund für die Eröffnung der Gruppe war, dass ein syrischer Flüchtling in einem See ertrunken ist. Der Trainer der Schwimmgruppe ist von Beruf Rettungstaucher. Er war es auch, der den ertrunkenen Syrer aus dem See geholt hat. Zu Beginn nahmen zwölf Flücht- U Integration durch Sport: Schwimmunterricht ist für junge Flüchtlinge eine Chance, Kontakte zu FOTO: DPA knüpfen und einem neuen Hobby nachzugehen. linge am Schwimmunterricht teil. Keiner von ihnen konnte schwimmen. Mittlerweile haben zwei von ihnen das Abzeichen Bronze und einer das Silberabzeichen geschafft. Ziel ist es, die Flüchtlinge in die Sportgruppen zu integrieren. Sprechen die Flüchtlinge noch kein Deutsch, wird sich auf Englisch verständigt. Die Trainerstunden werden vom Landessportbund bezahlt. Es gibt ein Förderprogramm des Amts für Integration. Ein Mitglied der Gruppe ist der 17-jährige Mohammedhadi aus Afghanistan. In seiner Heimat ist er sieben Jahre zur Schule gegangen, dann wurde er von der Nato als Dolmetscher eingesetzt, denn er spricht Englisch, Türkisch und Deutsch. Als die Nato aus Afghanistan abrückte, musste Mohammedhadi fliehen, da es wegen der Arbeit für die Nato nicht mehr sicher für ihn in Afghanistan war. Seit acht Monaten lebt er in der Akademie Kannenberg. Sein Betreuer hat ihn beim Schwimmen angemeldet, wo er mit viel Freude dabei ist. Er schwimmt zweimal in der Woche und ist mit den anderen Mitgliedern der Gruppe befreundet. Das Schwimmen macht ihm großen Spaß, und er möchte auch weiterhin regelmäßig zum Training gehen. Neben dem Schwimmen spielt Mohammedhadi Volleyball. Und er ist ehrgeizig dabei, seine Deutschkenntnisse auszubauen. Er absolviert momentan ein Praktikum bei Arcelor Mittal. In der Schule bringt er gute Leistungen. Sein Ziel ist es, eine Ausbildung zum Elektroniker zu beginnen. Im Schwimmen hat Mohammedhadi ein neues wichtiges Hobby gefunden. Es freut ihn, manchmal zusammen mit deutschen Schwimmern zu trainieren. Die 13-jährige Tasnim, der elfjährige Mohammed, der siebenjährige Khaled und der fünfjährige Moaiad leben mit ihrer Mutter seit fünf Monaten im „Blauen Dorf“ in Bremen-Grohn. Die Familie kommt aus Syrien, der Vater ist noch in Damaskus. Die Mutter und die Kinder fühlen sich sehr wohl in Deutschland, allerdings vermissen sie auch ihre Heimat. Auf die Frage, was die großen Unterscheide zwischen Syrien und Deutschland sind, antwortet die Mutter nur, dass es in Deutschland sicher sei. Die Kinder sind gerne in Deutschland und bemühen sich, die deutsche Sprache zu lernen. Tasnim besucht die GerhardRohlfs-Schule, dort lernt sie von acht bis zwölf Uhr Deutsch in einer Vorklasse. Von zwölf bis 15 Uhr hat die 13-Jährige gemeinsam mit deutschen Siebtklässlern Unterricht. Die anderen Kinder besuchen die Grundschule Mönchshof und den Kindergarten Tannenhof. Um einen Schulplatz kümmert sich die Heimleitung des „Blauen Dorfs“. Dort gibt es viele Angebote für Flüchtlinge. Dreimal in der Woche gibt es einen Deutschkurs, es gibt einen Kindergarten für Flüchtlinge, und Frauen können einen Nähkurs belegen. Die Flüchtlinge bekommen im Monat rund 280 Euro Taschengeld. Die Familie aus Syrien hat eine persönliche Betreuung, die bei vielen Dingen hilft. Ohne sie würden die Kinder wahrscheinlich nicht ihren Hobbys nachgehen können. Mohammed schwimmt im Verein, doch er würde gerne zu den Pfadfindern gehen. Die persönliche Betreuung versucht dies zu organisieren. Tasnim spielt Basketball, aber sie würde sehr gerne auch Ballett machen. Dafür hat die persönliche Betreuung schon mehrere Telefonate getätigt und versucht, Kontakt mit Vereinen aufzunehmen. Wegen der Sprachprobleme könnten die Flüchtlinge das alles kaum allein organisieren. Jede Familie im „Blauen Dorf“ bräuchte eine persönliche Betreuung, da sie alle auf sich alleine gestellt sind. Das Geld könnte dem gewünschten Ballettunterricht von Tasnim auch im Weg stehen, da sie bereits Basketball spielt und beide Vereinsbeiträge zu hoch für die Familie wären. Mit wenig Geld können die Kinder nicht viel in der Freizeit machen, doch sie spielen auch gerne draußen und haben in der Schule schon deutsche Freunde gefunden. Deutschland ist definitiv die neue Heimat der Familie geworden. Die Kinder wollen auch später noch in Deutschland bleiben, da sie für ein Leben in Syrien keine Zukunft sehen. Tasnims Wunsch ist es, Kinderärztin zu werden. Mohammed möchte später gerne Polizist werden. Khaled findet den Beruf des Architekten toll. Zunächst wollen die Kinder ihr Abitur machen, das man auch in Syrien nach zwölf Jahren ablegen konnte. Deutsch zu lernen ist wichtig. Dies klappt im Vorkurs schon ganz gut – wenn die Kinder in Regelklassen wechseln, wird das Verstehen schwieriger. Eine Übersetzer-App auf dem Smartphone kann das Verständigen erleichtern. Dort spricht man auf Deutsch hinein, dann wird die Übersetzung auf Arabisch angezeigt. Einige Familien im „Blauen Dorf“ sehen nicht die Notwendigkeit, Deutsch zu lernen. Sie leben einfach nach ihrer gewohnten Kultur. Die Mutter von Tasnim und ihren Geschwistern war in Syrien als Rechtsanwältin tätig. In Deutschland arbeitet sie noch nicht. Die muslimische Familie ist in Syrien auch zur Moschee gegangen; in Deutschland allerdings nicht, dort wird im Haus gebetet. Alle Gegenstände im Haus sind übrigens Spenden. Tasnim trägt im Gegensatz zu ihrer Mutter noch kein Kopftuch, aber sie überlegt, dies später zu tun. Für die Familie, die das syrische Klima gewohnt ist, ist es ein wenig kalt in Deutschland. Die Mutter findet den Winter zu lang, doch die Kinder mögen den Winter und den Schnee. Die Familie fühlt sich gut aufgenommen und ist sehr froh, in Deutschland zu sein. „Es war sehr kalt, und wir wärmten uns gegenseitig“ VON SELINA HEIL, L I S A H O H MA N N U N D S A R A H R O B B E N as Jahr 2015 brachte vieles mit sich: für Einzelne den Schulabschluss, für den nächsten Erfolge im Beruf, und wieder andere gründeten eine Familie. Es gab auch weniger schöne Momente. Momente, die Kraft raubten und nachdenklich stimmten, in denen man sich selbst dabei beobachtete, wie man den Sinn und das Leben hinterfragt. Einer dieser Momente war, als es im zehnten Jahrgang des Gymnasium Vegesack hieß, das Profil mit dem Schwerpunkt Deutsch und die Grundkurse Politik und Darstellendes Spiel sollen sich bei einem Projekt mit dem Flüchtlingszustrom befassen. Drei gebürtigen Bremerinnen – Selina Heil, Lisa Hohmann und Sarah Robben – war schnell klar, dass dieses Projekt auch eines sein würde, aus dem sie lernen und sich selbst belehren würden. Der Fokus der Arbeit richtete sich darauf, Menschen zu treffen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen und nun in Deutschland angekommen sind. Wie geht es ihnen nach der Flucht im sicher geglaubten Deutschland? Wie können sie ihren Alltag gestalten? Und welche Optionen bietet ein finanziell starkes Land wie Deutschland dabei? Die Schülerinnen wollten herausfinden, inwieweit eine solche Flucht die Psyche beeinflusst und was ein geflüchte- D ter Mensch braucht, um mit Optimismus diese Welt sehen und fühlen zu können. Finn Gerlach vermittelte den Kontakt. Er ist ehrenamtlich für geflüchtete junge Menschen in der Gemeinde Lemwerder da, spricht regelmäßig mit ihnen und bietet im Jugendtreff und in der Begegnungsstätte Raum, andere Menschen kennenzulernen und sich mit der neuen Sprache vertraut zu machen. Es war ein regnerischer Nachmittag in einem Café in Vegesack, in dem die „Viele wollten einfach nur sterben.“ Abdo, 19 Jahre, über die Flucht aus Syrien Autorinnen Abdo, einen 19-jährigen Geflüchteten aus Aleppo kennenlernten. Finn begleitete das Gespräch, damit Abdo sich sicherer fühlt. Das lag allen am Herzen. Abdo lebt seit einem Jahr in Bremen. Er floh aus Syrien, kurz bevor seine Abiturprüfungen begannen. Die Flucht über die Balkanroute überlebte er zusammen mit einem Freund. Erster Anlaufpunkt war die Türkei, wo die beiden fünf Monate blieben und Abdo immer wieder sehr kräfteraubende Jobs annahm. Er arbeitete teilweise mehr als 22 Stunden, nie weniger als 16 und bekam dafür etwa die Hälfte des Lohns eines Arbeiters mit einem Acht-Stunden-Tag. Abdo schlief auch bei seinen Arbeitsplätzen, sodass er nie Ruhe bekam. Als das Geld für den weiteren Fluchtweg verdient war, galt es, die durch die Mafia organisierte Überfahrt im Schlauchboot nach Griechenland zu überleben. Es befanden sich zu der Zeit 45 Menschen in diesem Boot. Darunter Frauen mit ihren kleinen Kindern. Die Schlepper ernannten einen durch seine Flucht völlig erschöpften und zugleich unerfahrenen Mann zum Bootsführer, geltend für die gesamte, mehrstündige Überfahrt. Als er seine Bedenken kundtat, hielten die Männer ihm eine Waffe an den Kopf, erzählt Abdo. Kinder litten, Mütter weinten um sie. „Viele wollten einfach nur sterben“, sagt Abdo. Doch er blieb stark, behielt die Kontrolle über sich und die Situation und half einer Mutter, deren Kind keine Luft mehr bekam, und seinem Freund, der auch am Ende seiner Kräfte war. Etwa nach der Hälfte des Weges versagte der Motor. Das Boot drohte im starken Wellengang zu kentern. Nach sechs Stunden, mehreren Anrufen bei der türkischen Polizei und langem Ausharren voller Fragen, wie lange man noch zu leben hat, und weinenden, schreienden Kindern, ließ sich die türkische Polizei dazu bewegen, das Boot bis vor eine griechische Insel zu fahren. Von da an waren Abdo und sein Freund wieder auf sich gestellt. Am darauffolgenden Tag flohen sie nach Athen. Viele Tränen flossen, doch Abdo blieb immer stark und half sowohl alten Menschen als auch solchen, die Kinder mit auf die Flucht genommen hatten. Fünf Kilometer ging es für ihn und seinen Freund durch die Berge. Nach dieser Wanderung ging es mit dem Bus weiter nach Mazedonien, von dort aus weiter mit dem Zug nach Serbien und Kroatien und weiter nach Slowenien. In Slowenien harrten sie ohne Nahrung und Getränke aus, da sie zunächst nicht über die österreichische Grenze durften. Die Nächte waren für Abdo und alle anderen ein schlimmes Erlebnis: „Es war sehr kalt, und wir wärmten uns alle gegenseitig.“ Schließlich durfte Abdo die Grenze passieren. So landete er in Hildesheim. Dort teilte man der Gruppe der Geflüchteten mit, dass sie den Rest ihres Weges zu Fuß gehen müssen. So kam Abdo nach Lemwerder. Er hat Freunde wie Finn Gerlach gefunden, die ihm das Leben erleichtern und dabei halfen, seine traumatischen Erlebnisse zu verkraften. Von Tag zu Tag wird es ein bisschen besser. Bemerkenswert ist, dass Abdo trotz allem lächelnd sagt: „Ich kann mich nicht vor meiner Vergangenheit verstecken. Niemand kann das.“ 10 Bremen SONNTAG 19. JUNI 2016 ZEITUNGSPROJEK T: JUGENDLI C H E SCH R EI BE N Ü BE R MI G RAT IO N FRÜ HE R UN D HE UT E Aus dem Leben geworfen Angekommen – und willkommen!? as Projekt „Ankommen – und willkommen!?“ in Kooperation mit dem IZOPInstitut in Aachen geht auf die Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung zurück. Beteiligt sind der WESER-KURIER und neun weitere deutsche Tageszeitungen. Schülerinnen und Schüler setzten sich anhand des Mediums Tageszeitung mit der Lebenssituation jugendlicher Zuwanderer auseinander und recherchierten zu den Hoffnungen und Perspektiven der jungen Migranten. Die Ergebnisse und Berichte der Schüler erscheinen auf drei Sonderseiten in unserer Zeitung. Beteiligt sind zwei Bremer Schulen und eine Schule in Bremen-Vegesack. Diesmal lesen Sie die Beiträge des Geschichtsleistungskurses der E-Phase am Gymnasium Horn. CFR Flucht nach 1945 und Flucht heute D VO N L YN N S T E N Z E L W Gefährlicher Weg in die Sicherheit och immer fliehen Menschen aus Afghanistan, Syrien, nordafrikanischen Staaten und Ländern, wo Krieg und Chaos den Alltag bestimmen. Seit 2015 kamen rund 900 000 Flüchtlinge nach Deutschland. Die meisten Menschen flohen über die mittlerweile geschlossene Balkan-Route und über das Mittelmeer – in völlig überfüllten, oft heruntergekommenen, Booten. Das zwischen der EU mit der Türkei ausgehandelte Abkommen, nach dem Flüchtlinge in die Türkei zurückkehren sollen, um in Kontingenten von den EU-Ländern aufgenommen zu werden, wird die Flüchtlinge nicht daran hindern, den Weg Richtung Europa einzuschlagen. Sogenannte „Schlepper“ nutzen die Not der Menschen aus und lassen sie für viel Geld in Booten über das Mittelmeer reisen. Dafür nehmen sie sogar den Tod ihrer „Kunden“ in Kauf. Meist wissen die Menschen nicht, was sie auf der anderen Seite des Mittelmeeres erwartet. Die EU wendet viel Geld für die Versorgung und Rettung der Flüchtlinge auf. So werden etwa an den Küsten Italiens und Griechenlands Küstenwachen aufgestellt, um meist unterkühlte, dehydrierte oder fast verhungerte Menschen aus den brüchigen Booten zu retten. N WILLIAM BEHNKE, CHRIS ELLERHORST, NOËL EVERS UND LEON LUKASZEWICZ BLICK ZURÜCK unächst war es für uns neu, eine Zeitungsseite zu erstellen. Jedoch haben wir schnell Spaß daran gefunden, Artikel zu schreiben, und dabei viele neue Erkenntnisse gewonnen. Einen besonderen Blickwinkel eröffneten uns die Erzählungen der Flüchtlinge, die uns Informationen aus erster Hand lieferten. Es hat uns erstaunt, welch großer Unterschied zwischen den Flüchtlingszahlen von früher und heute liegt. Es fiel auf, dass sich die Situation der Flucht in vielen Punkten ähnelt. Nun können wir sagen, dass die Beschäftigung mit dem Thema Flucht uns geholfen hat, die Situation der Flüchtlinge besser zu verstehen und wir uns gefreut haben, diese LENNARD INSTENBERG, Seite zu machen. Z HELENA WOLTERS, MARIAM ACHMAD, ANNA OHLENMACHER UND JULIA HEINSCHEL FOTO: DPA In Trümmern: Aufnahmen aus der Umgebung von Damaskus nach Luftangriffen. V O N MA R I A M A C H MA D err A.* hatte in Syrien ein gutes Leben. Als Bäcker und Konditor konnte er seinen Berufstraum 23 Jahre lang im eigenen Süßwarengeschäft leben. Seine Frau stand ihm dabei zur Seite. Er lebte mit seiner Frau und der gemeinsamen 18-jährigen Tochter zusammen. Nachdem der Krieg in Syrien ausbrach, verbreitete sich die Angst in der Familie sehr schnell. Die Tochter war in ihrer Schule eine bekannte Anführerin der Demonstrationen gegen den Präsidenten Assad. Dadurch kam die gesamte Familie ins Visier der Regierung, da man in arabischen Ländern niemals etwas Falsches über den Präsidenten öffentlich sagen darf. Die Familie fühlte sich bedroht und beobachtet. Herr A. kam schließlich einen Monat lang ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung und der Angst, dass seine Tochter als Demonstrantin auch ins Gefängnis kommen könnte oder gar umgebracht würde, flüchtete er mit seiner Frau und seiner Tochter nach Europa. H An die Schlepper musste er für drei Personen 24 000 Euro zahlen. Die drei flüchteten von Syrien zunächst in die nahe Türkei, blieben dort für eine Woche und setzten ihre Reise nach Bulgarien nach vier Tagen fort. Da die Schlepper und sie sich nur nachts fortbewegen konnten, erreichten er und seine Familie drei Tage später Österreich. Nachdem er von den besseren Lebensbedingungen in Deutschland hörte, hat er sich gegen ein Leben in Schweden, wo die Familie ursprünglich hin wollte, entschieden. Nun lebt Herr A. seit 30 Monaten mit einem Asylpass in Deutschland. „Dadurch, dass wir gezwungen waren, unsere Heimat zu verlassen, änderte sich schlagartig unser ganzes Leben. Wir wussten nicht, was uns in Deutschland erwarten würde, doch wir hatten keine andere Wahl, als ruhig zu bleiben und abzuwarten. Gott sei Dank ist Deutschland ein freundliches und tolerantes Land.“ Da er eine Tochter hat, bekam er schnell eine Wohnung. Seine Zukunft versucht er, so gut es geht zu planen. Er würde gerne seinen Traumberuf als Bäcker und Kondi- tor in Deutschland wieder aufnehmen. Bis jetzt hat er noch keine Arbeit gefunden, allerdings spart er gerade, um ein Geschäft eröffnen zu können. Natürlich hätten er und seine Familie Heimweh, sagt Herr A.. Er möchte in seine Heimatstadt zurückkehren, wenn seine Tochter, die jetzt die elfte Klasse besucht, ihre Schule beendet hat, der Krieg ein Ende nimmt und ein neuer Präsident in Syrien an die Macht käme. Herr A. und seine Familie sind für die Unterstützung der freundlichen Menschen hier und die neue Zukunft, die ihm Deutschland bisher hat bieten können, dankbar. Das Leben in Deutschland unterscheidet sich in Vielem von dem in Syrien. „Meine Tochter ist sie sehr froh darüber, dass man in den deutschen Schulen nicht geschlagen wird und dass es keine Schulkleidungspflicht gibt. Dies war nämlich in Syrien der Fall“, erzählt Herr A. Wenn er eine Wahl hätte, würde er noch einmal nach Deutschland kommenn? „Ja, denn kein anderes Land hilft den Flüchtlingen so wie Deutschland.“ *) Der Name von Herrn A. ist der Redaktion bekannt. Mauer teilte Ost und West Neuanfang mit leeren Händen ie Fluchtmomente nach 1945 und sozialistische Länder reisen, wie etwa in heute mit denen zu vergleichen, die die Sowjetunion, nach Polen oder Bulgadie Menschen zur Flucht aus der ehe- rien. Wegen der Massenflucht erließ die maligen DDR gebracht haben, ist schwie- DDR-Regierung am 11. Dezember 1957 ein rig. Dennoch: Drei Millonen Menschen flo- weiteres Gesetz, das sogenannte Pass-Gehen bis zum Fall der Mauer von Ost nach setz, in dem bis zu drei Jahren Haft oder West – auch sie ließen ihr gewohntes Leben eine Geldstrafe für diejenigen festgelegt zurück. Bereits vor der Gründung der DDR wurde, die ohne „erforderliche Genehmiim Jahr 1949 verließen Tausende Men- gung“ das Gebiet der DDR verließen. Das schen das Gebiet der Sowjetischen Besat- Überqueren der Sektorengrenze zwischen zungszone (SBZ) in Richtung Westdeutsch- Ost- und Westdeutschland war noch mögland. Sie flohen vor dem Konflikt zwischen lich, wurde aber immer gefährlicher. der Sowjetunion und den Westmächten. Am 13. August 1961 schloss die RegieSie gingen, ohne sich abzumelden oder rung auch das letzte „Schlupfloch“: Die eine Genehmigung einzuholen. Grenze zwischen Ost und West Daraufhin beschloss die Regiewurde abgeriegelt, und man berung der DDR am 26. Mai 1952, gann, eine Mauer zu errichten. die Grenze zwischen Ost- und Ost-Berlinern und DDR-Bürgern Westdeutschland zu schließen wurde es so gut wie unmöglich und das Überqueren unter gemacht, die DDR ohne GenehStrafe zu stellen. migung zu verlassen. Die BerliEinzelne Straßen zwischen ner Mauer war der letzte Schritt Ost und West wurden gesperrt; der Teilung und zugleich ein marvereinzelt gab es Kontrollen an kantes Symbol des Konfliktes im der Sektorengrenze. Die Kalten Krieg zwischen den von Grenze zu passieren, war zu dieden USA dominierten Westmächsem Zeitpunkt noch relativ unten und dem sogenannten Ostgefährlich. Viele DDR-Bürger Mauerreste mitten in block unter Führung der Sowjetfuhren nach Ost-Berlin, kauften Berlin. FOTO: DPA union. sich dort eine Fahrkarte für die In den ersten Tagen des MauS- oder U-Bahn und gelangten erbaus gelang etlichen Menso in den Westteil der Stadt. In West-Berlin schen die Flucht in den Westsektor. Sie kletangekommen, meldeten sie sich im Notauf- terten über Drahtsperren oder Mauern, nahmelager, in dem sie aufgenommen wur- sprangen aus den Häusern an der Sektorenden. Somit gelangten Tausende ostdeut- grenze oder bauten Tunnel. Mit der Fertigsche Bürger jeden Monat über die Grenze stellung der Mauer und den verstärkten nach Westdeutschland. Grenzkontrollen wurden Fluchtversuche Gründe für die Flucht waren die einge- mit Gewalt verhindert. Etwa 1000 Menschränkten beruflichen Möglichkeiten, die schen bezahlten ihren Fluchtversuch mit MARA KIEFER, MAGNUS MENZEL, ihrem Leben. schlechte Wirtschaftslage, aber vor allem die mangelnde Meinungs- und ReisefreiHENRI MAIERHOF, JAN NORMAN, TIMO BREIDBACH UND KENDRA NIDRICH heit. Die DDR-Bürger durften nur in andere r flüchtete mit seiner Mutter, seinen von sowjetischen Tieffliegern, die ebensechs Geschwistern und seinen zwei falls das Eis zum Einbrechen brachten. Cousins: Die Flucht aus Ostpreußen beAuch damals gab es viele Flüchtlingsgann am 21. Januar 1945, erinnert sich der boote, die jedoch ebenfalls nicht selten von Großvater eines Mitschülers. „Um 5 Uhr sowjetischen Torpedos versenkt wurden, morgens wurden wir vom Hofmann ge- wie etwa das Kreuzfahrtschiff „Wilhelm weckt. Wir mussten das Nötigste packen. Gustloff“, die von sowjetischen Torpedos Um 20 nach neun brachen wir auf.“ getroffen wurde und 9300 Flüchtlinge soIm Oktober 1944 zogen die ersten Flücht- wie verwundete Soldaten in den Tod riss. lingstrecks gen Westen ins Deutsche Reich. Nur 1239 Menschen überlebten. Die Menschen flohen vor der Roten Armee, Zeitgleich begann in den ehemaligen Bedie zu diesem Zeitpunkt erstmals ostpreußi- satzungsgebieten des Deutschen Reiches schen Boden betrat. In jenem Jahr hat es die systematische Vertreibung deutscher einen frühen, heftigen Winter gegeben. Bürger. Dies war eine Folge der SiedlungsViele Menschen flohen zu Fuß politik des NS-Regimes. Die deutund mit kleinen Handwagen schen Bürger, die noch in diesen bei eisigen Temperaturen bis zu Gebieten lebten (Sudetenland, minus 25 Grad Celsius (Januar Polen, Ungarn, Böhmen, Kroa1945). Etliche erfroren. Da es wetien, Serbien, Slowenien, Baltider medizinische Versorgung, kum) mussten für die Verbrenoch Lebensmittel oder Wasser chen des NS-Regimes, durch gab, starben vor allem kleine Hass und Zerstörung, bezahlen. Kinder und ältere Menschen. Die Flüchtenden und VertrieDie von der Flucht gebenen wussten meist keinen Ort, schwächten Menschen schaffan dem sie sich hätten niederlasten am Tag nur wenige Kilomesen können. Die wenigsten hatter, während die Rote Armee ten Verwandte oder Bekannte in das Zehnfache in der gleichen Wartende Flüchtlinge den alliierten Besatzungszonen. Zeit zurücklegte. Wurden die 1945. FOTO: DPA Da weite Teile Deutschlands zerFlüchtenden eingeholt, hatten stört waren, sahen die in Deutschsie mit Tod oder Gefangenland lebenden Bürger kaum Mögschaft zu rechnen. Viele wurden auch als lichkeiten, Flüchtlinge zu versorgen. Es „lebende Reparationszahlungen“ in die So- fehlte an Nahrung, Wohnraum und Arbeit. wjetunion geschickt. Die Folge: Viele Flüchtlinge landeten in Ein Großteil der Flüchtlinge versuchte, Auffanglagern und wurden von Einheimiüber die zugefrorene Ostsee nach Danzig schen kritisch beäugt. Die meisten mussten zu gelangen. Dies erwies sich jedoch als ge- den Neuanfang mit leeren Händen wagen, fährlicher Fehler, da vor allem Handwagen weil sie alle Wertgegenstände zurücklasim Eis einbrachen und die Menschen mit- sen hatten oder diese von Soldaten konfisrissen, die dann im eiskalten Wasser er- ziert wurden. Für viele bedeutete das den HELENA WOLTERS, tranken. Ein weiterer Grund für den Tod sozialen Abstieg. vieler Flüchtlinge waren die Geschosse JULIA HEINSCHEL UND NADINE STEIN D Ein Flüchtlingsboot mit vielen Dutzend Menschen im Mittelmeer. FOTO: DPA elche Unterschiede und Ähnlichkeiten gibt es bei den Fluchtwellen von 1945 der Flucht von heute? Darum ging es bei den Recherchen des Geschichtsleistungskurses der E-Phase des Gymnasiums Horn nach. Das Thema Flucht beginnt mit den Fragen: Wer flüchtet? Wieso? Und wohin? Nach 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, waren es größtenteils ehemalige Heimatvertriebene, welche aus Ostpreußen oder anderen östlichen Gebieten flohen. Ähnlich wie damals fliehen die Menschen heute vor Krieg und Terror aus ihrer Heimat. Aktuell ist es auch die Terrormiliz Daesch, wegen der viele Syrer, Iraker und auch Menschen aus Afghanistan die Flucht ergreifen. Sie versuchen in sichere Staaten zu gelangen und machen sich deshalb häufig auf den Weg nach Europa. Der Unterschied zu den Aufnahmeländern von Flüchtlingen liegt darin, dass die Flucht nach 1945 in bereits vom Krieg zerstörte Länder erfolgte, wohingegen die Flucht heute, so sie nach Europa führt, in wirtschaftlich und politisch starke Staaten, welche nicht zerstört sind, erfolgt. Dies wirkt sich auch auf die Bildungsmöglichkeiten aus. Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades der Länder nach 1945 gab es kaum noch Schulen und viel zu große Schulklassen oder Arbeitsmaterial. Heute besteht zudem das Problem des Spracherwerbs, welches damals kein Problem darstellte, weil die Flüchtlinge deutscher Herkunft nach Deutschland flüchteten. Um Integration und Spracherwerb so gut wie möglich zu fördern, gibt es heute Sprachkurse für Flüchtlinge, Unterricht in Regelklassen und speziell ausgebildete Lehrkräfte. Damals waren Flüchtlinge zu Fuß oder mit Pferdewagen unterwegs und wurden zwangsweise auf Bauernhöfen untergebracht, wo sie oft auch arbeiteten. Heute fliehen die Menschen zu Fuß, mit dem Auto, mit Booten und Schiffen oder Lkws. Nach der Ankunft wohnen sie in Gemeinschaftsunterkünften, Zelten oder Turnhallen. Was die Arbeitsmöglichkeiten betrifft, ist es heute komplizierter: Flüchtlinge dürfen erst arbeiten, wenn sie einen Sprachkurs belegt haben und kein arbeitsloser Deutscher für den Job in Frage kommt. Dennoch bekommen Flüchtlinge heute finanzielle Unterstützung vom Staat, was damals nicht gewährleistet werden konnte. Zudem war damals die Versorgung problematisch, denn in der Nachkriegszeit waren viele Menschen auf die Nahrung angewiesen. Heute ist die Versorgung deutlich besser, es steht genug Nahrung zur Verfügung, um sowohl die Flüchtlinge als auch die restliche Bevölkerung zu ernähren. Abschließend kann man sagen, dass die Anzahl der Flüchtlinge nach 1945 etwa 16 Millionen Menschen umfasste, wohingegen heute gerade einmal eine Million Menschen nach Deutschland gekommen sind. Damals war es in der erschwerten Situation möglich, so viele Menschen aufzunehmen. Wenn dies damals möglich war, sollte das heute erst recht kein Problem sein, auch wenn es heutzutage aufgrund von herkunftsbedingten mangelnden Sprachkenntnissen viel schwieriger ist, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. E