Synthetische Biologie
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Synthetische Biologie
Thesen zur Synthetischen Biologie Natur konstruieren? Trends und Potenziale in der Synthetischen Biologie - Auftaktworkshop 28. und 29. April, Bremen SynBioTA – Innovations- und Technikanalyse zur Synthetischen Biologie Kernfragen und Ziele des Workshops !! Die Kernfragen: –! Was zeichnet Synthetische Biologie aus und wie ist sie strukturiert? –! Was kann Synthetische Biologie derzeit und wohin entwickelt sie sich? –! Welches sind die zukunftsträchtigen Entwicklungs- und Anwendungsfelder? !! Das Ziel: –! Erarbeitung einer Definition und Strukturierung –! Bestimmung des gegenwärtigen Entwicklungsstands –! Abschätzung der mittelfristigen Perspektiven und des Zeitraums ihrer Realisierung o! wissenschaftlich-technisch o! Markttrends 2 Definition !! Warum? –! uneinheitliche Definitionen –! unklare Abgrenzungen (z.B. vs. Gentechnik) –! Bedeutung für Identität der Community !! Mögliche Bausteine: –! beitragende Disziplinen –! verfolgte Ziele –! angewandte Methoden 3 Definition !! Disziplinen Biologie Bioinformatik •!Molekularbiologie •!Genetik/Genomik •!Gentechnik •!Systembiologie •!Zellbiologie Biochemie Synthetische Biologie Mathematik Nanobiotechnologie Organische Chemie Quelle Abbildung: eigene Darstellung 4 Definition !! Ziele –! Schaffung lebendiger, in der Natur nicht existierender (künstlicher) biologischer Systeme und Komponenten –! Realisierung neuer Eigenschaften, Funktionen, Anwendungen und Produkte –! Verbesserung der Stabilität und Prognostizierbarkeit biologischer Systeme –! Aufklärung der fundamentalen Strukturen und Mechanismen lebender Systeme (Grundlagenforschung) 5 Definition !! Methoden und Prinzipien –! Übertragung ingenieurwissenschaftlicher Prinzipien: o! Standardisierung biologischer Grundeinheiten o! Reduktion der Komplexität biologischer Systeme –! Neuerschaffung biologischer Systeme –! Umgestaltung biologischer Systeme 6 Strukturierung !! Charakteristische Herangehensweise –! „top-down“ Ansatz – Reduktion von Komplexität (Minimalgenom, Minimalzelle) –! „bottom-up“ Ansatz – Aufbau aus einfachen Komponenten (Protozelle) –! Entwicklung standardisierter, austauschbarer Komponenten –! Schaffung und Einbindung von nicht-natürlichen Molekülen 7 Quelle Abbildung: eigene Darstellung Strukturierung 8 Umsetzung von Ingenieurprinzipien !! Die Anwendung von Ingenieursprinzipien (Modell ! Design ! Prototyp) gehört zum Kern der Definition und des Selbstverständnisses der Synthetischen Biologie. Gemessen daran definiert sich die Synthetische Biologie derzeit jedoch noch eher durch das, was sie beabsichtigt, als durch das, was sie tut. 9 Umsetzung von Ingenieurprinzipien photographed by Kristian Peters –! ingenieurwissenschaftlicher Ansatz " Überwindung des „Herumprobierens“ –! Komplexitätsreduktion durch Orthogonalität –! Aber: Erfüllen die bisherigen Anwendungsbeispiele der Synthetischen Biologie diesen Anspruch? Einjähriger Beifuß (Artemisia annua) Quelle: Ro et al., 2006 10 Naturfremd vs. naturidentisch !! Allein Ansätze zur Erzeugung von Protozellen ohne natürliches Gegenstück bzw. die Verwendung xenobiologischer molekularer Grundeinheiten entsprechen dem Anspruch des Synthetischen bzw. des Synthetisierten. !! Die Verwendung des Begriffs des „Synthetischen“ ist in der Synthetischen Biologie in ähnlicher Weise zu verstehen wie die Verwendung dieses Begriffs bei der „Synthetischen Chemie“. 11 Naturfremd vs. naturidentisch !! Kern der Frage: Was heißt „synthetisch“? –! naturfremd oder naturidentisch –! neu geschaffen oder neu zusammengesetzt !! keine akademische Spielerei !! weitreichende Konsequenzen 12 Naturfremd vs. naturidentisch Verständnis des „Synthetischen“ Auswirkungen auf die Synthetische Biologie als Wissenschaftsund Technikfeld „naturfremd “ „naturidentisch“ Alleinstellungsmerkmal ja eher nein Innovationshöhe hoch niedrig Innovationspotenzial hoch niedrig Realisierung von Anwendungen langfristig kurz- bis mittelfristig Quelle: eigene Darstellung 13 „Synthetische Biologie“ als „buzzword“ !! „Synthetische Biologie“ ist kein wirklich neues Feld, sondern nur ein neues „buzzword“, also ein neuer Überbegriff zur Vermarktung altbekannter Methoden. –! Parallelen zu „Nanotechnologien“ oder zu „Nachhaltigkeit“ o! diffuser „Umbrella“-Begriff o! „Re-labeling“ traditioneller Forschungszweige –! strategische Verwendung des Begriffs zur Erhöhung der Förderchancen –! „[...] biotechnology is the nanotechnology that works“ (Morange, M., 2009) 14 Proof-of-Principle !! Ein Proof-of-Principle ist bisher noch nicht gelungen. 1) 2) 2) 1)! Hale, V., et al., 2007 2)! Gibson, D.G., et al., 2010 1) 16 Proof-of-Principle !! Maßstab: ingenieurmäßige Konstruktion aus chemischen Grundbausteinen !! bisher eher traditionelle Vorgehensweise (vor allem Gentechnik) –! Genomsynthese, -modifikation und -transplantation zur Realisierung eines quasi-synthetischen Organismus (Gruppe um J. C. Venter)1 –! Artemisinin-(Säure)-Produktion in Mikroorganismen durch Genmanipulation und –transplantation (Gruppe um J. D. Keasling)2 !! quantitative Fortschritte und inkrementelle Erhöhung der beherrschbaren Komplexität !! allerdings kein qualitativer Sprung 1)! Gibson, D.G. et al., 2010 2)! Ro, D.K.et al., 2006 17 Neue Design-Prinzipien The LEGO Group The LEGO Group !! Aufgrund der bisherigen Vorgehensweise stagniert die Entwicklung der Synthetischen Biologie hinsichtlich der Bewältigung der Komplexität der entwickelten Systeme. Daher müssen neue Design-Prinzipien entwickelt werden. 18 Neue Design-Prinzipien !! sog. „Hochsprachen“ lösten zeichnerische Konstruktion von Schaltkreisen bei Chipdesign ab !! verlässliches Design (Einbeziehung des Systemverhaltens) wird für die Synthetische Biologie als eine der Hauptaufgaben für die Zukunft beschrieben agilent-systemvue-2008 –! „Nevertheless, de novo design of circuits able to reproduce a target function is not an easy task and its automation represents a major challenge in Synthetic Biology.“ (Marchisio & Stelling, 2011) 19 Erwartungen und Erfolge !! Die Synthetische Biologie läuft Gefahr, ihren eigenen Ansprüchen und den geweckten Erwartungen nicht gerecht zu werden. Sie muss in den kommenden Jahren sichtbare Erfolge und konkrete Anwendungen vorweisen, um nicht die Unterstützung von Politik und Gesellschaft zu verlieren. 20 Erwartungen und Erfolge !! Eigene Ansprüche –! „We are in the early period of a new revolution [verglichen mit der ‚synthetic chemistry revolution‘] referred to as the ‚synthetic biology‘ revolution.“ (Singh, 2011) –! „These re-engineered organisms will change our lives over the coming years, leading to cheaper drugs, 'green' means to fuel our cars and targeted therapies for attacking 'superbugs' and diseases, such as cancer.“ (Khalil & Collins, 2010) –! „We argue here that, in addition to its applications, synthetic biology is and will become an increasingly powerful discovery tool for understanding the organization and function of cellular networks and other complex biological systems.“ (Bashor et al., 2010) 21 Erwartungen und Erfolge !! Geweckte Erwartungen Tabelle: „major areas, and associated applications, where there is either commercial activity or collaboration between industry and academia in synthetic biology“ (The Royal Academy of Engineering, 2009) 22 Erwartungen und Erfolge !! Erfolge –! gemessen an den Ansprüchen und Erwartungen derzeit noch o! eher klein o! in weiter Ferne 23 Natur – Technik – Kultur !! Die Synthetische Biologie hat das Potential, den Antagonismus von Natur und Technik zu überwinden und eine bessere, umfassendere Natur/Technik/Kultur zu schaffen. Max Ernst 24 Natur – Technik – Kultur !! Quantensprung im Verständnis zellbiologischer und molekular-ökologischer Vorgänge !! Überwindung der Abhängigkeit von zufälliger Evolution (Designprozess, alternative Erbinformations-Moleküle) –! robustere und effizientere biologische Systeme –! verlässliche, kontrollierbare Parallelnatur #! Das Design von Lebewesen als neue Kunstform überwindet die Grenzen zwischen belebter Natur und menschlicher Technik, beschränkt allein von unserer Vorstellungskraft. (Grolle 2010, Khalil & Collins 2010) 25 Konzentration auf marktträchtige Anwendungsfelder !! Die Forschung und Entwicklung der Synthetischen Biologie wird sich vor allem auf marktträchtige Anwendungsfelder wie Energiegewinnung und Medizin konzentrieren, da dort die wirtschaftlichen Potentiale besonders offensichtlich und vielversprechend sind. Daher besteht die Gefahr, dass Chancen in anderen Anwendungsfeldern, die zwar kurzfristig wirtschaftlich unattraktiv, gesellschaftlich aber bedeutsam sind, ungenutzt bleiben. 26 Konzentration auf marktträchtige Anwendungsfelder Die Zeit Nr. 32/2009 !! Biologie wird zur angewandten Ingenieurswissenschaft (Ball et al. 2005, Szostak et al. 2001) !! Anwendungsbezug fordert ... –! Bedarf und –! monetäre, lukrative Nachfrage. !! Bedarf zeigt sich in den gesellschaftlichen Problemfeldern –! –! –! –! –! Energie Nahrung Wasser Gesundheit Umwelt 27 Konzentration auf marktträchtige Anwendungsfelder ExxonMobile Energy BioScience Institute: www.post-carbonliving.com !! Beispielhafte Investitionen in die Synthetische Biologie 28 Konzentration auf marktträchtige Anwendungsfelder !! Möglicherweise Vernachlässigung anderer (gesellschaftlich) relevanter Anwendungsfelder –! Umwelttechnik (Remediation, Sensorik und Dekontamination –! seltene Krankheiten bzw. Tropenkrankheiten http://www.teleboerse.de !! Müsste nicht die Grundlagenforschung zunächst intensiver betrieben werden? Auf welches Pferd sollte gesetzt werden? 29 Leben erschaffen – „bottom-up“ !! Es wird in nächster Zeit nicht möglich sein, Leben aus getrennten molekularen Bestandteilen „bottom-up" zu erzeugen. 30 Leben erschaffen – „bottom-up“ !! Probleme –! Netzwerkkomplexität (Noireaux et al., 2011) –! Rauschen: bereits in frühem Stadium der Synthetischen Biologie thematisiert (Elowitz & Leibler, 2000) Quelle Abbildungen: Agapakis & Silver, 2009 31 Leblose Systeme aus Biomolekülen openwetware.org / Univ. Tsukuba !! Die Synthetische Biologie steuert auf ein Dilemma zu. Sie wird nicht über physikalisch-chemische Systeme aus Biomolekülen hinauskommen – die Resultate werden leblos bleiben und sich in das Feld der Nanotechnologie einordnen. 32 Leblose Systeme aus Biomolekülen !! Komplexität lebender Zellen im prinzipiellen Widerspruch zu Ansätzen von Standardisierung und Prognose –! Verstärkung von Genexpressions-Schwankungen durch analoge Signalweitergabe –! Mutation und evolutive Veränderung in lebenden Zellgemeinschaften !! " Zugunsten von Kontrolle und Zuverlässigkeit wird sich die Synthetische Biologie mit leblosen Nanomaschinen aus Biomolekülen zufrieden geben müssen. 33 Umgang mit Rauschen Quelle Abbildung: Eldar & Elowitz, 2010 !! Die derzeitig betriebenen Ansätze der Synthetischen Biologie zielen eher darauf ab, das Rauschen (Toleranzen, Oszillationen, Gradienten) auszuschließen. Die Natur geht jedoch erfolgreich mit dem Rauschen um und ist in der Evolution sogar darauf angewiesen. (Cagatay et al., 2009), (Eldar & Elowitz, 2010) Die Integration und die Nutzung des Rauschens sind daher zielführender als der Versuch seiner Eliminierung. 34 Umgang mit Rauschen !! zu Umgang mit Komplexität gehört in der Synthetischer Biologie auch die Beschäftigung mit dem Rauschen ! Fehlerbearbeitung statt Fehlervermeidung? !! Rauschen kann auch produktiv sein: –! Differenzierung –! Evolution (Eldar & Elowitz, 2010) !! ! Abgewogenes Verhältnis von Konstruktion und Anpassung nötig? 35 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur Ball, P., 2005, "Synthetic biology for nanotechnology", Nanotechnology, vol. 16, pp. R1. Benner, S.A. & Sismour, A.M., 2005, "Synthetic biology", Nature Reviews Genetics, vol. 6, no. 7, pp. 533-543. Cagatay, T., Turcotte, M., Elowitz, M.B., Garcia-Ojalvo, J. & Suel, G.M., 2009, "Architecture-dependent noise discriminates functionally analogous differentiation circuits", Cell, vol. 139, no. 3, pp. 512-522. de Lorenzo, V. 2009, "Recombinant bacteria for environmental release: what went wrong and what we have learnt from it", Clinical microbiology and infection : the official publication of the European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases, vol. 15 Suppl 1, pp. 63-65. DFG, a., Leopoldina, 2009, Synthetische Biologie - Stellungnahme. Eldar, A. & Elowitz, M.B., 2010, "Functional roles for noise in genetic circuits", Nature, vol. 467, no. 7312, pp. 167-173. European Commission 2007, Synthetic Biology – A Nest Pathfinder Initiative. Gibson, D.G., Glass, J.I., Lartigue, C., Noskov, V.N., Chuang, R.Y., Algire, M.A., Benders, G.A., Montague, M.G., Ma, L., Moodie, M.M., Merryman, C., Vashee, S., Krishnakumar, R., Assad-Garcia, N., Andrews-Pfannkoch, C., Denisova, E.A., Young, L., Qi, Z.Q., Segall-Shapiro, T.H., Calvey, C.H., Parmar, P.P., Hutchison, C.A., Smith, H.O. & Venter, J.C., 2010, Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome, Science, 329(5987), pp. 52-6. Grolle, J., 2010, "Konkurrenz für Gott", DER SPIEGEL, . Hacker, J., 2010, "Synthetische Biologie - Chancen und Risiken eines neuen Fachgebietes", Zur Debatte, , pp. 11-14. Hale, V., Keasling, J.D., Renninger, N. & Diagana, T.T., 2007, Microbially derived artemisnin: A biotechnology solution to the global problem of access to affordable antimalarial drugs, AMERICAN JOURNAL OF TROPICAL MEDICINE AND HYGIENE, 77(6), pp. 198-202. 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