Kampf und Segen - Katholisches Bibelwerk

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Kampf und Segen - Katholisches Bibelwerk
Ökumenische Bibelwoche
Didaktisches Begleitheft 45
Kampf und Segen
Die Jakob-Esau-Geschichten
aus Genesis/1. Mose
09/10
Inhalt
Kampf und Segen
Vorüberlegungen zur Bibelwoche
Ö
Inhaltliche Überlegungen, Gottesdienst zur Bibelwoche
Jürgen Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4
Ökumenische
Bibelwoche
»Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel«
Exegetische Einführung in die Jakobserzählungen
Alexander A. Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Segensrituale
für alle Einheiten der Bibelwoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib«
Esau und Jakob, Verkauf des Erstgeburtsrechts
Gen/1 Mose 25,19-34
Ernst-Michael Dörrfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2 | Gottes Segen kommt anders
Jakob erlistet den Erstgeburtssegen Isaaks
Gen/1 Mose 27,1-45
Kathrin Gies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3 | Gesegnetes Erwachen
Jakobs Traum
Gen/1 Mose 28,10-22
Dieter Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4 | Zwischenräume entdecken
Jakobs Frauen und Kinder
Gen/1 Mose 29,1-35
Lucie Panzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
5 | Handeln auf Gottes Zusage hin
Jakob kommt zu Reichtum
Gen/1 Mose 30,25-43
Barbara Schlenke und Sabine Sprinkmeier . . . . . . . . . . . 35
6 | Wer ist Gott?
Jakobs Furcht vor Esau. Der Kampf am Jabbok
Gen/1 Mose 32,2-33
Henrike Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
7 | Ins Angesicht schauen
Jakobs Begegnung mit Esau
Gen/1 Mose 33, 1-20
Eva-Martina Kindl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Literatur und Materialien zur Bibelwoche . . . . . . . . . . . 51
2
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Didaktisches
Begleitheft_45
ISBN 978-3-438-04595-9
ISSN 0934-5477
© 2009 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Herausgeber: Deutsche Bibelgesellschaft und
Katholisches Bibelwerk e.V., beide Stuttgart in
Zusammenarbeit mit den Bibelgesellschaften
und Bibelwerken in Österreich und der Schweiz
Redaktion: Jürgen Simon
Vertreter der Herausgeber:
Klaus Sturm, Wolfgang Baur
Gestaltung: Andrea Burk/solutioncube GmbH
Satz: Birgit Neumann, Typograffiti, Neckartenzlingen
Alle Rechte vorbehalten.
Printed in Germany
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe:
Dr. Ernst-Michael Dörrfuß, Direktor des Pastoralkollegs der Evang. Landeskirche in
Württemberg, Denkendorf; Dr. Alexander A.
Fischer, Theologischer Referent der Württ.
Bibelgesellschaft, Stuttgart; Dipl.-Theol. Kathrin Gies, Würzburg; Dipl.-Theol. Eva-Martina
Kindl, Religionslehrerin, Lehrbeauftragte für
Hebräisch an der Evang.-Theol. Fakultät der
Universität Bonn und freiberufliche Erwachsenenbildnerin; Dr. Dieter Koch, Pfarrer
in Stuttgart-Riedenberg; Lucie Panzer, Rundfunkpfarrerin der Evang. Landeskirche in
Württemberg beim SWR, Stuttgart; Henrike
Schmidt, Pfarrerin in Schwäbisch Gmünd;
Dipl.-Theologinnen Barbara Schlenke und
Sabine Sprinkmeier, Wiss. Mitarbeiterinnen an
der Kath.-theol. Fakultät der Universität Bonn;
Dipl.-Theol. Jürgen Simon, Redakteur, Textwerkstätte Simon, Reutlingen
Abkürzungen
DBH
Didaktisches Begleitheft
TN
Teilnehmer/in, Teilnehmende
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser!
Romanfigur bei Thomas Mann wurde erst Jakobs
Sohn Josef, aber auch die Geschichten um die
anderen Väter (und Mütter) des Volkes Israel lesen
sich wie ein spannender Roman. Das Motto der
Bibelwoche – »Kampf und Segen« – soll Assoziationen an einen Romantitel hervorrufen, trifft aber
durchaus auch den inhaltlichen Kern der Jakob-EsauErzählungen. Die Rivalität der beiden Brüder, die
Auseinandersetzungen Jakobs mit seinem Onkel
Laban, der Kampf der beiden Frauen Lea und Rahel
um Liebe und Anerkennung, das Ringen Jakobs am
Jabbok mit dem Unbekannten – im Grunde geht es
bei diesen Kämpfen immer um den Segen und seine
Auswirkungen (Fruchtbarkeit, Existenzsicherung).
Die Erzählungen bleiben aber nicht beim Kampf
stehen, sondern beschreiben Gottes Verheißungen
und ihr Wahrwerden, beschreiben seinen Segen.
Sosehr man die politische Dimension, die die
Texte in der Zeit ihrer Endredaktion hatten, nicht vernachlässigen sollte (Verhältnis Israels zu seinen
Nachbarvölkern, den Nachkommen Esaus), so sehr
liegt der Grund für ihre Popularität über die Zeiten
hinweg sicher darin, dass die Texte ur-menschliche
Erfahrungen und Sehnsüchte ansprechen. Diese
emotionale Seite hat neben der sachlich-thematischen Auseinandersetzung ihren festen Platz in der
Bibelwoche. Menschen sollen mit ihren Erfahrungen
und Hoffnungen, mit ihren Enttäuschungen und
Ermutigungen Zugang zu den Texten finden. Sie
sollen aber auch etwas erfahren von theologischer Arbeit und Denkweise. Die sieben Einheiten, die von
unterschiedlichen Autorinnen und Autoren konzipiert sind, setzen innerhalb dieses Rahmens jeweils
verschiedene Akzente; die exegetische Einführung
versucht in der vorgegebenen Kürze, einen Einstieg
auf dem gegenwärtigen Stand der bibelwissenschaftlichen Forschung zu bieten.
Das Konzept unserer Bibelwochenhefte beinhaltet
diese Vielfalt methodischer und persönlicher Zugänge. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass Bibelwochen häufig konfessionsverbindend begangen
werden und dabei auch verschiedene Personen die
jeweiligen Einheiten vorbereiten und leiten. Mögen
Sie als Vorbereitende in den verschiedenen Einheiten
Ihren Zugang zum Bibeltext finden.
Bibeltextgrundlage im Heft für die Teilnehmenden ist erstmals die neue Zürcher Bibel, die
2007 veröffentlicht wurde. Sie verbindet in den ausgewählten Texten gute Lesbarkeit mit Nähe zum
hebräischen Text. Wir danken der »Genossenschaft
Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag
Zürich« für die Abdruckgenehmigung.
Wie immer bei Texten aus dem hebräischen Teil
unserer Bibel soll die Verbundenheit mit dem
Judentum eine Rolle spielen, auch wenn nicht explizit auf jüdische Auslegungstraditionen verwiesen
wird. Wohl aber wird die Bedeutung verschiedener
Begriffe in erster Linie aus ihrem hebräisch-jüdischen Kontext erklärt.
Wir wünschen, dass der Bibelwoche gelingt, die
gemeinsame Erzähltradition von Juden und Christen
mit den Geschichten von Jakob und seiner Familie
für heutige Menschen lebendig und fruchtbar
werden zu lassen.
Ihr Bibelwochenteam
Didaktisches Begleitheft 45
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Vorüberlegungen zur Bibelwoche
Vorbereitende inhaltliche Überlegungen
Der Titel des Heftes für die Bibelwoche (siehe dazu
auch das Vorwort auf S. 3) verspricht Romanqualität.
In der Tat: Die Jakob-Esau-Erzählungen lassen sich
als spannende Geschichte am besten »am Stück«
lesen. Sie zu zerstückeln nimmt ihnen etwas von
ihrer Erzählqualität. Daher wäre es nicht schlecht,
einen Einstieg über einen biblischen Erzähl- oder
Leseabend zu wagen, an dem zunächst alle Texte
(auch die fehlenden Verse aus Kapitel 30) vorgelesen
oder nacherzählt werden. Damit werden Erzählstränge und Spannungsbögen deutlich. Die einzelnen Einheiten dienen dann – dafür macht die Zerstücklung durchaus Sinn – der Vertiefung und der
Anwendung unterschiedlicher Methoden.
Die erste Erzähleinheit – Esau gibt sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht her – ist wahrscheinlich den meisten Teilnehmenden (TN) seit
Kindheitstagen wohlvertraut. Das verkürzt die
Phase des Lesens und Verstehens. Die Einheit
bietet dadurch Raum für grundlegende Hinweise
(Einleitungsfragen) zu den Geschichten. Die exegetische Einführung von Alexander A. Fischer stellt
dazu komprimierte Informationen bereit. Der
Autor legt seinen Akzent auf die politische
Dimension, die diese Erzählungen in der späten
Königszeit hatten: Sie wurden als Volksgeschichte,
nicht als Individualgeschichte einer Sippe verstanden. Doch wären diese Texte nicht beliebter Erzählstoff über Zeit- und Kulturgrenzen geworden,
hätten sie nicht auch einen psychologisch sensibel
entworfenen lebensgeschichtlichen Aspekt. Und da
die Bibelwoche Erfahrungen der TN einbeziehen
und ermöglichen will, stehen in den meisten Einheiten diese lebensgeschichtlichen Themen im
Vordergrund.
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Der Titel »Kampf und Segen« lässt sich auf die
lebensgeschichtlichen Erfahrungen der TN ebenso
anwenden wie auf die handelnden Figuren der Erzählung. Der Segen und die Anstrengungen, die
nötig sind, ihn zu erhalten, beschäftigen auch viele
Menschen heute. Noch immer gibt es ein fast magisches Verständnis von Segen, regional und konfessionell unterschiedlich ausgestaltet, aber fernab aller
theologischen Theorie in der »Volksreligiosität« vorhanden. Und die Erwartung, dass Segen sich materiell zeigen soll und nicht nur geistlich, bestimmt
keineswegs nur die Erzählungen des Alten Testaments. Ein weiterer Aspekt ist das Bedürfnis nach
Ritus, das in einer Welt der raschen Veränderungen
wieder zunimmt.
Dem allen soll das Angebot eines Segensrituals
Rechnung tragen, das nach aller Arbeit am Text und
an sich selbst die einzelnen Einheiten auf andere
Weise beschließen kann. Verschiedene Möglichkeiten werden auf den Seiten 15–17 vorgestellt. Im
Zusammenhang des übergreifenden Themas der
Jakob-Esau-Erzählungen können sie zu einer Verknüpfung von Theologie und Praxis beitragen,
bringen sie doch zum Ausdruck, dass Segen kein
magisches Geschehen ist, sondern Zusage der von
Gott schon längst geschenkten Zuwendung. Segen
ist auch keine Belohnung für Rechtschaffenheit, sondern Verheißung auch in dunkle Situationen hinein.
In dieser Perspektive kann der Kampf Jakobs um
den Erstgeburtssegen (Einheit 2) nicht nur als Blick
in eine ferne Vergangenheit bearbeitet werden,
sondern die die Zeiten überschreitenden emotionalen Berührungspunkte der Geschichte müssen
angesprochen werden. Neben dem Segensverständnis sind das vor allem die gebrochenen Beziehungen
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Inhaltliche Überlegungen
in der Familie. Isaaks Familie ist keine »heilige«
Familie, es gibt zahlreiche Brüche, wie dies auch in
vielen Familien heute der Fall ist. Das Wahrnehmen
der Brüche in Isaaks Familie kann dazu beitragen,
die Brüche in der eigenen Familie, im eigenen
Lebensumfeld wahrzunehmen. Segen kann diese
Brüche nicht übertünchen. Segen dient auch nicht
dazu, die eigenen Pläne wahr werden zu lassen; oft
genug kommt es anders als geplant. Mit solchen
Erkenntnissen kann diese Einheit enden.
Jakob erfährt eine überraschende Zuwendung –
so lässt sich Einheit 3 zusammenfassen. Endet Kapitel 27 noch mit der Ungewissheit der Flucht, so
bietet Kapitel 28 ein erstes Hoffnungszeichen, die
Verheißung an Jakob in Bet-El in der Nacht. Jakobs
Traum – Leitgeschichte für Gotteserfahrung inmitten
verfinsterter Lebenszusammenhänge, inmitten der
Wüste – bietet Anknüpfungen für eigene spirituelle
Erfahrungen, für spirituelle Orte, an denen man
Orientierung und geistige Stärke erlangen kann. Es
lässt sich aber auch fragen, wie und wo jemand in
unseren Kirchen und Gemeinden Gottesverheißungen erfahren kann.
Einheit 4, die sich mit Kapitel 29 befasst, ein Abschnitt, in dem außer Jakob auch Laban, Lea und
Rachel ein Rolle spielen, bietet eine hierzulande noch
nicht so bekannte Methode an, den Bibliolog. Er ist
wesentlich einfacher als das Bibliodrama, das eine
psychologisch ausgebildete Leitung benötigt. Beim
Bibliolog werden einfach Fragen an die handelnden
Personen gestellt und von den TN aus Sicht jener
Personen beantwortet. Die TN werden so aktiv in den
Text und seine Handlung einbezogen. Indem nicht
Einzelne, sondern alle aus der Gruppe jeweils aus der
Sicht einer Person antworten, ergeben sich neue
Sichtweisen auf den Text. Die thematische Ausrichtung der Einheit bleibt dadurch offen, sie hängt
von den Reaktionen der TN ab.
Die Auseinandersetzung mit Laban, bevor Jakob
mit seiner Familie sich auf den Weg machen kann,
wird in Einheit 5 unter dem Aspekt des Aufbrechens
betrachtet. Es gibt Barrieren, auch im Leben der TN,
die daran hindern, einen Aufbruch zu wagen. Gleich-
zeitig gibt es Einsichten oder Verheißungen, die den
Aufbruch notwendig erscheinen lassen. An die
voranstehenden Verheißungen an Jakob knüpft Gen/
1 Mose 30,25-43 an, vergleichende Textarbeit kann
hier zum Zuge kommen. Es kann aber auch der
lebensgeschichtliche Aspekt angesprochen werden:
In der Spannung zwischen notwendigem eigenem
Handeln und der Unterstützung durch Gott stehen
evtl. die TN; Jakob jedenfalls steht in dieser
Spannung. Es geht darum für das eigene Leben eine
Balance zu finden zwischen notwendigem eigenem
Handeln und dem, was in Gottes Hand liegt.
Für den Textzusammenhang sind längere Abschnitte sinnvoll, daher ist Kapitel 32 komplett als
Einheit 6 ausgewählt worden. Weil die folgende Einheit 7 aber die Gegenüberstellung der von Jakob
erwarteten und der tatsächlichen Begegnung mit
Esau zum Thema macht, kann sich Einheit 6 auf den
bekannteren Teil des Kapitels, Jakobs Kampf am
Jabbok, konzentrieren. Die Fragen, die diese Szene
aufwirft, müssen gestellt, können aber nicht alle
(richtig) beantwortet werden. Auch die Frage nach
Gott (»Nenne mir deinen Namen!«) wird gestellt.
Und natürlich spitzt der Ringkampf um den Segen
das Gesamtthema nochmals zu: Kampf und Segen.
So könnte von den theologischen Themen her diese
Einheit als Abschluss der Bibelwoche eine summa
bilden. Der Textabschnitt zum Kampf am Jabbok ist
auch Thema des Bibelsonntags (s. u.).
Von der Dramaturgie der Jakobserzählungen her
ist jedoch das Wiedersehen mit Esau der Schluss, an
dem die Erzählstränge und Spannungsbögen zusammenlaufen (Einheit 7). Diese feine Komposition
zu erkennen setzt jedoch voraus, dass zumindest Einheit 1, 2 und 6 präsent sind. Die Exegese erlaubt sehr
viele Wortbezüge herzustellen und Symmetrien im
Text zu erkennen. Das Schauen des Angesichts, bereits beim nächtlichen Kampf ein Thema, wird in der
Begegnung mit dem Bruder das zentrale Thema. Die
TN haben somit nicht nur Gelegenheit zu beobachtender Textarbeit, sondern auch dazu, sich zu
beobachten, sich ins Angesicht zu schauen. Dieses
Reflektieren kann auf das eigene Leben ausgeweitet
Didaktisches Begleitheft 45
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Vorüberlegungen zur Bibelwoche
werden, Rückschau auf segensreiche Begegnungen
und erhellendes Schauen Gottes.
Es geht darum, durch eigene Erfahrungen und Fragen oder durch Gedanken, die der Bibeltext bei jeder
Person in unterschiedlicher Weise anspricht, zum
Thema der jeweiligen Einheit zu finden.
Methodik
Didaktisches Begleitheft und
Teilnehmerheft
Die beiden Hefte zur ökumenischen Bibelwoche gehören zusammen: Im vorliegenden Didaktischen Begleitheft werden zu jedem Text der Bibelwoche Erklärungen, Gedanken zur Aktualisierung und
Vorschläge zur Gestaltung angeboten. Diese beziehen sich direkt auf die Texte und Materialien im
Teilnehmerheft (TN-Heft). Dort ist für jede Einheit
der Bibeltext – in diesem Jahr der bis 2007 revidierte
Text der Zürcher Bibel – abgedruckt. Auch ergänzende Bibeltexte, die die TN zur Kenntnis
nehmen sollen, sind dort zu finden. Es gibt von Einheit zu Einheit wechselnde Methoden, mal für eine
stärker textorientierte, mal für eine mehr teilnehmerorientierte Arbeit.
Das Drei-Phasen-Modell
Die Einteilung der Bibelarbeit nach dem so genannten Drei-Phasen-Modell hat sich bewährt. Die
Phasen Öffnen, Begreifen, Mitnehmen zielen jeweils
darauf, dass Menschen in einen lebendigen Dialog
mit dem Text treten können. Das Leben der Teilnehmenden und ihre persönlichen Fragen werden in
Beziehung gebracht mit aktuellen Themen und den
Intentionen der ausgewählten Textabschnitte.
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Öffnen
Begreifen
Es geht darum, den Bibeltext mit seinen Themen,
seine Adressaten und die Intention des Autors wahrzunehmen, um von dieser schriftgemäßen Grundlage aus weiterzudenken.
Mitnehmen
Es geht darum, die Impulse, Antworten und Anregungen des Bibeltextes für das eigene Leben, für das
Handeln im Alltag und die Gemeinde fruchtbar
werden zu lassen.
Liturgie
Zu jeder Einheit werden Vorschläge für einen
knappen liturgischen Beginn und Abschluss geboten. Die Lieder orientieren sich an den Gesangbüchern der röm.-kath. Kirche (Gotteslob = GL), der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EG) sowie der
Evang.-methodistischen Kirche (EmK). Auf den Abdruck dieser Lieder wird daher verzichtet.
Erstmals wird für einen bei allen Einheiten
wiederkehrenden Schluss angeboten, ein Segensritual zu verwenden. Vorschläge dazu stehen in dem
eigenen Kapitel Segensrituale (S. 15).
Bewährt sind die Anregungen für die Raumgestaltung für jede Veranstaltung. Auch dies ist eine
Art liturgischer Rahmen zur Einbettung der Themen
in eine sinnlich erlebbare Form. Die Bibelarbeiten
sollen als geistliche Angebote auch durch eine besondere Atmosphäre herausgehoben werden.
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gottesdienst
Gottesdienst zur Bibelwoche
»Zu Gott verrenkt« lautet das Motto des Bibelsonntags. Das klingt sperrig, fasst aber in drei Worten
(aus einem Gedicht von Nelly Sachs) das Ergebnis
der Kampf-und-Segen-Erzählungen zusammen:
Jakob hat einen langen Weg hinter sich, der nicht
immer gerade verlief. Er war sich seines Segens
nicht gewiss, durchlebte viele Ängste. In tiefer
Lebensnacht, einsam am Jabbok, muss er kämpfen.
Am Ende dieses Kampfes wird er gesegnet, erhält
einen neuen Namen, eine neue Zukunft – und
zieht hinkend von dannen. Kein grandioser Abgang, doch: Er hat Gottes Angesicht gesehen! »Zu
Gott verrenkt« drückt aus, dass dies eine schmerzhafte Angelegenheit war, dass Jakobs Leben eine
neue Ausrichtung – zu Gott hin – erhalten hat und
dass er von dieser Begegnung bleibend gekennzeichnet bleibt. Im Gottesdienst kann dieses
schwierige Thema auf verschiedene Weise aufgegriffen werden.
Das Bibelsonntagsheft »Zu Gott verrenkt« bietet
eine Predigtvorlage und eine Exegese, die beide unter
diesem Motto stehen und die Frage nach Gott in der
Dunkelheit, in den Kämpfen des Lebens behandeln.
Der oft beklagten »Wohlfühl«-Kirche, die ausschließlich Freude und Schönheit betont, kann hier theologisch fundiert etwas entgegengesetzt werden. Die
Predigtidee für den Erwachsenengottesdienst geht
davon aus, dass für die meisten Menschen lebenswendende Erfahrungen nicht in fröhlichen Situationen gemacht werden, sondern in schmerzhaften
Lebenslagen. Es geht dabei nicht um Schwarzmalerei, wohl aber um das Ernstnehmen dunkler Erfahrungen und der damit verbundenen Frage: Wo ist
Gott? Interessant die Folgerung einer Jüdin und
Judaistin in ihrem Essay für das Bibelsonntagsheft:
»Ohne (Jakobs) Kampf kein jüdisches Leben.«
Heftige Auseinandersetzungen auch mit Gott gehören zum Leben.
Für den Familiengottesdienst und die kindliche
Auseinandersetzung mit der Jakobsgeschichte gibt es
als Themenvorschlag »Gottes Hand hält«. Mit ver-
teilten Rollen wird auch die Vorgeschichte in Kurzfassung erzählt, nicht nur der Kampf am Jabbok. Angespielt wird auf die Situation der Angst wie auch der
Scham vor der Begegnung mit dem betrogenen
Bruder Esau.
Es ist gut möglich, auch zwei Gottesdienste zur
Bibelwoche zu feiern: zur Eröffnung einen, der die
Jakob-Esau-Erzählungen im Überblick bietet (wie
z. B. der Familiengottesdienst) und zum Abschluss
einen, der die Ergebnisse der Bibelwoche in konzentrierter Form zusammenfasst.
ZU GOTT VERRENKT.
DER KAMPF JAKOBS AM JABBOK. Materialheft zum
Ökumenischen Bibelsonntag 2010, Herausgeber:
Deutsche Bibelgesellschaft und Katholisches Bibelwerk e.V. in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland e.V., Verlag: Deutsche Bibelgesellschaft
Stuttgart
ISBN 978-3-438-06083-7
ISSN 0934-5485
€ (D) 1,50 / € (A) 1,60 / sFr 3,00;
bei größeren Mengen Staffelpreise.
Zu beziehen bei:
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Österreichische Bibelgesellschaft
Bibelzentrum
Breite Gasse 4-8/I, 1070 Wien
Telefon: 01 52 382 40
Fax: 01 52 382 20
E-Mail: [email protected]
www.bibelgesellschaft.at
Didaktisches Begleitheft 45
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»Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern
Israel.« (Gen/1 Mose 32,29a)
Exegetische Einführung in die Jakobserzählungen
Die Vätergeschichten der Genesis, wie das erste Buch
der Bibel gemäß seiner griechischen Übersetzung
genannt wird, gehören zu den bekanntesten biblischen Erzählungen und entwerfen im Horizont von
Familiengeschichten ein eindrucksvolles Bild von
den Anfängen Israels. Die Abstammungslinie der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob verdankt sich
freilich der Literaturgeschichte des Alten Testaments.
Und auch die Erzählungen selbst führen nicht bis zu
den »historischen« Patriarchen in die Vorzeit Israels
zurück. Darum bleiben alle Versuche, die vergangene
Lebenswelt der nomadischen Väter und Mütter aufzudecken oder mit einem Bibelatlas ihren Wanderbewegungen nachzugehen, im Grunde genommen
dem biblisch-literarisch entworfenen Bild verhaftet.
Doch das ist durchaus kein Mangel, sondern berührt
sich mit einem Interesse der Vätergeschichten selbst.
Denn diese wollen die Vorzeit Israels gerade nicht als
ein vergangenes Geschehen entwerfen, sondern als
eine für die Gegenwart bedeutsame Geschichte erzählen und dadurch eine kollektive Erfahrung in
Gang setzen. Entsprechend sollen sich die Israeliten
in ihrem Stammvater Jakob als ein gesegnetes Volk
erfahren, das mit seinen Nachbarn in einem zwar
nicht konfliktfreien, aber doch verwandtschaftlichen
Verhältnis steht. Man darf deshalb das in die Geburtsgeschichte Esaus und Jakobs eingeschobene
und ihr vorangestellte Völkerorakel Gen/1 Mose 25,
22-23 als Leseanweisung nehmen, die Jakobserzählungen nicht als eine reine Familien-, sondern auch
als eine Völkergeschichte zu lesen. Unter diesem
Blickwinkel schildern die Erzählungen paradigmatisch den verschlungen-aufwühlenden Weg, wie
Jakob zu Israel wird. Damit rücken sie in den Brennpunkt der Literaturgeschichte und lassen fragen:
8
Sind das nun Geschichten, die dem Volk Israel abgelauscht wurden? Oder Erzählungen, die in den
Schreibstuben bei Hof oder am Tempel entstanden
sind? Darüber diskutiert die Forschung.
1. Volksliteratur oder
Bildungsliteratur?
Die ältere Wissenschaft orientierte sich ganz selbstverständlich am Modell der Volksliteratur. Danach
entsteht Volksliteratur zunächst in schriftlosen Kulturen (»Jakob in Kanaan«), wird mündlich von Generation zu Generation weitergegeben und schließlich
zu Erzählkränzen zusammengebunden, bis ethnographisch interessierte Sammler die erzählten Geschichten aufzeichnen. Solche Sammler sollen der
Jahwist und der Elohist gewesen sein, die – gleichsam wie die Gebrüder Grimm – die im Volk umlaufenden Geschichten sammelten und konservierten. Dieses Modell beruht auf den beiden
Annahmen, dass Literatur mitten im Volk entsteht
und durch mündliche Überlieferung in ihrem Gehalt
unangetastet viele Jahrhunderte überdauern kann.
Doch haben sich diese Annahmen nicht bestätigt.
Vielmehr bewegen sich mündlich überlieferte Erzählungen – das zeigen die aktuellen Untersuchungen –
in einem beschränkten Zeit-Horizont. In aller Regel
reichen die in ihnen transportierten Erinnerungen
nicht weiter zurück als 80–100 Jahre, also im biblischen Sinne drei bis vier Generationen. Der Hinweis auf die Gedächtnisleistung von Talmud- oder
Koranschülern und damit auf die memotechnischen
Fertigkeiten früherer Generationen ist kein beweis-
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Exegetische Einführung
kräftiges Gegenargument. Denn Talmud- und Koranschüler bedienten sich zur Erinnerungsstütze und
Kontrolle des auswendig gelernten Stoffes schriftlich
niedergelegter kanonischer Texte, an denen sich
Schüler über Jahrzehnte orientieren und korrigieren
konnten. Ein solches normatives Gegenüber fehlt
den mündlichen Erzählungen. Kurzum: Jede geschichtliche Erinnerung geht, wenn sie nicht ständig
durch schriftliche Quellen korrigiert werden kann,
spätestens mit der dritten Generation verloren (vgl.
H.-M. Wahl, Die Jakobserzählungen, S. 113–144).
Die neuere Wissenschaft arbeitet deshalb mit
einem grundsätzlich anderen Verständnis von Volksliteratur. Literatur wird erst dadurch zur Volksliteratur, dass sie vom Volk aufgenommen, d.h. rezipiert
wird. Ein Volk produziert nicht, sondern rezipiert
Literatur! Demgegenüber handelt es sich bei den biblischen Schriften – wie im Übrigen bei den literarischen und religiösen Texten des gesamten alten
Orients! – im Wesentlichen um Bildungsliteratur. Sie
dient weniger der Unterhaltung des Volkes als vielmehr und wichtiger der Gründung und Bildung von
Religion, Staat und Volk. Darum bieten auch die
Jakobserzählungen vornehmlich Geschichten, die für
die Gegenwart damals und heute Ursprung und
Herkunft Israels in einer Vorzeit begründen. Vor
diesem Hintergrund treten unmittelbar auch die aktuellen Bezüge hervor; denn die Jakobsgeschichten
führen uns ein inklusives Volksmodell vor Augen,
das Jakob/Israel in verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinen Nachbarvölkern in Kanaan –
schiedlich und friedlich – wohnen lässt.
2. Basisinformationen
... zu den Namen
Der Name Jakob bedeutet in seiner korrekten
philologischen Erklärung: »Er hat geschützt«. Es
handelt sich um einen Danknamen, der ohne
Nennung des Gottesnamens (theophores Element)
gebildet und von der semitischen Wurzel ‘qb II
»schützen« abzuleiten ist. Da es die hebräischen Erzähler jedoch lieben, zwischen den Namen ihrer Protagonisten und ihren Geschichten Verknüpfungen
herzustellen, bietet die Jakobsgeschichte noch zwei
weitere Namensdeutungen: 25,26 nennt Jakob den
»Fersenhalter« (hebr. ‘aqeb = Ferse), weil er als der
Zweitgeborene die Ferse seines Zwillingsbruders gehalten habe. Dagegen entwickelt 27,36 (vgl. Hos 12,4)
eine Beziehung zu der hebräischen Wurzel ‘qb I
(= hintergehen, betrügen), wodurch Jakob auf seine
Rolle als Betrüger festgelegt wird.
Interessant ist auch der Umgang mit dem Namen
Esau, der im Alten Testament nicht näher erklärt
wird. Stattdessen werden Verbindungen zu zwei
anderen Namen gezogen. Zum einen wird Esau mit
Edom identifiziert: Der Wortanklang steckt in
Gen/1 Mose 25,25 in der Bezeichnung Esaus als der
»Rötliche« (hebr. ’admoni), wodurch er als Stammvater der Edomiter ausgewiesen werden soll; denn
Edom gilt als das »rötliche Land« aufgrund des östlich vom Wadi Araba aufragenden Nubischen Sandsteins. (Ein weiterer, sekundärer Eintrag in 25,30
bezieht den Namen Edom dagegen auf das ‚rotbraune’ Linsengericht, um das Esau sein Erstgeburtsrecht verkauft.) Zum anderen verweist die
Bemerkung, dass Esau schon bei Geburt behaart
gewesen sei (hebr. śe‘ar = Haar, Behaarung), auf den
Namen der Landschaft Seir, die als das traditionelle
Wohngebiet der Edomiter gilt.
Beim Namen Israel handelt es sich wiederum um
einen Satznamen, der sich aus einem theophoren
und einem verbalen Element zusammensetzt. Das
göttliche Subjekt heißt allerdings nicht Jahwe,
sondern El und bezeichnet damit die Gottheit, die in
der kanaanäischen Götterversammlung die höchste
Stelle einnimmt. Danach bedeutet Israel entweder
»El herrscht/ möge sich als Herrscher erweisen«
(abgeleitet von der Wurzel śrh II = herrschen) oder
»El streitet« (abgeleitet von der Wurzel śrh I = streiten). Letztere Bedeutung hat offenbar Gen/1 Mose
32,29 im Blick. Sie wird aber insofern abgeändert, als
Didaktisches Begleitheft 45
9
Vorüberlegungen zur Bibelwoche
nunmehr Jakob an die Subjektstelle rückt und damit
kontextgemäß in seinem Ringkampf am Jabbok als
»Gottesstreiter« erscheint. Für das nächtliche Handgemenge wird übrigens das Verb ’abaq (= umarmen)
verwendet und damit ein lautlicher Anklang an den
Flussnamen Jabbok hergestellt.
... zu den Orten
Bet-El liegt an der wichtigsten von der Hauptstadt
Samaria nach Süden führenden Verbindungsstraße
circa 17 Kilometer vor Jerusalem. Als bedeutsame
Grenzstadt des Nordreichs beherbergt Bet-El einen
königlichen Staatstempel (Am 7,13). Das JahweHeiligtum, dessen Gründung biblisch auf Jerobeam
I. zurückgeführt wird (1 Kön 12,29), ist bislang
archäologisch nicht nachgewiesen. Die Polemik
gegen das von Jerobeam I. aufgestellte Stierbild beginnt wahrscheinlich im 8. Jh. v. Chr. und zeigt die
zwischen den nahe beieinander gelegenen Kultzentren Bet-El (Israel) und Jerusalem (Juda) bestehende
Konkurrenzsituation. Nach der Eroberung Israels
durch die Assyrer wurde der Jahwe-Tempel geplündert, blieb aber als Kultstätte noch bis ins 7. Jh.
v. Chr. in Betrieb.
Haran gilt als Wohnsitz der Verwandten Abrahams. Die Stadt gehört zu den herkömmlichen
Siedlungsgebieten der Aramäer östlich des Eufrat am
Fluss Hubur (nahe der türkischen Stadt Urfa), also
über 600 Kilometer von Israel entfernt. Für Haran
verwendet die Priesterschrift mit Paddan-Aram eine
Bezeichnung ihrer Zeit (Gen/1 Mose 25,20; 28,7;
31,18).
Gilead bezeichnet vornehmlich das nördlich des
Jabbok gelegene ostjordanische Gebiet. Dass der
Aramäer Laban und Jakob/Israel in Gilead einen
Grenzvertrag aushandeln (31,52), hat einen möglichen historischen Hintergrund in den Aramäerkriegen. Denn in der zweiten Hälfte des 9. Jh. v. Chr.
ist Gilead ein zwischen Aram-Damaskus und Nordisrael umstrittenes Gebiet. Zeitweilig gehört es sogar
zum Aramäerreich, bevor es die Israeliten um 800
10
v. Chr. zurückgewinnen. 734 v. Chr. wird Gilead von
den Assyrern erobert und zu einer Provinz umgewandelt.
Mahanajim, Penuël und Sukkot liegen alle im Ostjordanland am Unterlauf des Jabbok und bilden die
biblischen Stationen der Rückwanderung Jakobs
(32,2-3.31-32; 33,17). Besonders eindrucksvoll ist die
naturfeste Lage von Mahanajim. Der Ort wird s-förmig vom Jabbok umflossen und besteht aus einem
Doppel-Hügel. Dem entspricht der mit dem hebräischen Dual gebildete Ortsname sowie die Erzählung
von den zwei Lagern (32,7-13). Wenige Kilometer
flussabwärts liegt Penuël, das mit dem Tell el-Hamme
zu identifizieren ist, während Sukkot mit dem unweit
der Mündung ins Jordantal gelegenen Ruinenhügel
Deir ‘Alla gleichgesetzt wird. Dass sich Jakob dort ein
Haus und Hütten für sein Vieh gebaut habe (33,17),
ist eine sekundäre Ableitung aus dem Ortsnamen
(hebr. sukkot = Hütten).
Sichem ist ein bereits für das 2. Jahrtausend v. Chr.
archäologisch bezeugtes Handelszentrum, wo sich
die auf der Wasserscheide des Gebirges Efraim verlaufende Nord-Süd-Verbindung mit der vom Jordan
kommenden Ost-West-Verbindung kreuzt. Seine
politische und kultische Bedeutung in der mittleren
Königszeit spiegelt sich wider in den Vätergeschichten. In Sichem errichtet Abraham einen Altar (Gen/
1 Mose 12,6-7). Jakob gelangt ebenfalls nach Sichem,
erwirbt sich Land und nimmt dort seinen Wohnsitz
(Gen/1 Mose 33,18-20). Etwa 500 Meter südöstlich
von Sichem liegt der nur im Neuen Testament erwähnte Jakobsbrunnen (Joh 4,2).
... zur Redaktionsgeschichte
Den Grundbestand der Jakobserzählungen bilden
zwei ehedem selbstständige Erzählkreise, nämlich
der ältere Jakob-Laban-Kreis (Gen/1 Mose 29-31) und
der jüngere Jakob-Esau-Kreis (Gen/1 Mose 27 und
32–33). Dabei wurde die ältere in die jüngere Erzählung eingeschoben. Den Übergang markiert zunächst nur 28,10, wo die Reise von Beerscheba nach
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Exegetische Einführung
Haran vermerkt ist. Das Gegenstück, das wieder in
die Jakob-Esau-Erzählung zurückführt, findet sich in
32,2b-3 und lässt Jakob aus Gilead nach Mahanajim
wandern, um von dort Boten an seinen Bruder Esau
zu senden. Beide Stücke sind freilich nicht nur literarische Schnittstellen, sondern auch dramatische
Scharniere der Gesamterzählung, die eine weitere
Ausgestaltung geradezu an sich ziehen. Eben deshalb
wurden an diesen beiden Schnittstellen die Gotteserscheinungen 28,11-22 und 32,23-33 eingefügt, die
einerseits Flucht und Rückkehr Jakobs voraussetzen
und andererseits diese theologisch ausdeuten. Wie
auch immer die literarische Vorgeschichte beider Erzählungen zu deuten ist: Sie werden erst bei ihrer
Einfügung mit dem Stammvater Jakob verbunden.
Beide Scharniertexte verdichten schließlich die
Kohärenz der Jakobserzählungen, sodass man ab
diesem Zeitpunkt von einer ersten übergreifenden
und vorjahwistischen Komposition sprechen kann.
Ihr Schlusspunkt liegt in 33,4 oder in 33,16-17, womit
dann der Bruderkonflikt in auffallend ähnlicher
Weise wie bei der Trennung von Laban und Jakob in
32,1-2a schiedlich-friedlich beigelegt würde. Diese
erste Komposition dürfte im Nordreich entstanden
sein und datiert ins 8. Jh. v. Chr. Nach dem Untergang Israels 722 v. Chr. gelangten die Texte nach Juda,
wurden mit der Isaak-Tradition verbunden (Beerscheba!) und schließlich zu den Vätergeschichten
ausgebaut.
... Jahwist und Priesterschrift
Warum von der herkömmlichen Quellenscheidung
noch nicht die Rede war, hat seinen Grund in der
jüngsten wissenschaftlichen Diskussion zu den
Mosebüchern (= Pentateuch), in der Existenz, Datierung und Eigenart der Quellenschriften neu bestimmt worden. Danach konnte sich nur die Priesterschrift als durchlaufende Pentateuchquelle im
klassischen Sinn behaupten. Dagegen hat sich das
Konstrukt Elohist als eigenständige Quelle aufs
Ganze gesehen nicht bewährt. Mit ihrer Widerlegung
verändert sich auch die Beurteilung der Quelle
Jahwist: In der gegenwärtigen Forschung bekommt
sie einen völlig neuen Zuschnitt. Statt eines Sammlers aus salomonischer Zeit wird diese Quelle jetzt als
Redaktion angesehen, die im frühen 6. Jh. v. Chr. den
ersten zusammenhängenden Erzählfaden der Vätergeschichten geschaffen hat. An drei prominenten
Stellen lassen sich Interesse und Arbeitsweise der
jahwistischen Redaktion (J) beispielhaft beobachten:
In die Bet-El-Episode hat sie die Verheißungsrede
Gen/1 Mose 28,13-16 eingeschoben. Dabei hat der beobachtete Wechsel der Gottesnamen von Elohim und
Jahwe nichts mit der traditionellen Quellenscheidung zu tun, sondern erklärt sich durch die Unterscheidung zwischen der vorliegenden Kultlegende
und ihrer jahwistischen Interpretation. Mit der Landund Nachkommensverheißung in 28,13-14 bezieht J
sich auf die Abrahamsverheißung in 12,1-3 und interpretiert ihre Wirkung als eine Schutzzusage Jahwes.
Dadurch erkennt Jakob, dass der Gott Abrahams und
Isaaks auch auf seiner Flucht und in der Fremde (im
Exil) mit ihm ist; vgl. 28,15-16 mit 26,3. Eine weitere
Bearbeitung findet sich in der Erzählung über Jakobs
Reichtum, der sich auch auf Laban segensreich ausgewirkt hat (30,27.29-30.43). Wiederum knüpft J an
die Abrahamsverheißung an, nämlich dass durch ihn
alle Völker Segen erlangen werden. Ihre Erfüllung
findet J beispielhaft bei dem Aramäer Laban verwirklicht, der durch Jakob an den Segenswirkungen
Jahwes Anteil bekommt. Schließlich hat J mit 32,5-6
dem Jakob eine Botschaft in den Mund gelegt, mit
der er um die Gunst Esaus werben soll. In ihr erklärt
Jakob rückblickend, dass er als Fremder bei Laban
weilte und in der Fremde (im Exil) reich geworden
sei, also auch dort Jahwes Beistand und Segen
erfahren habe. Die Güter, die Jakob anschließend
seinem Bruder Esau sendet, erscheinen deshalb
nicht nur als materielle, sondern auch als ideelle Versöhnungsgeschenke, weil Jakob von den Wirkungen
seines (erschlichenen) Segens an Esau austeilt (33,11).
An allen drei Stellen bevorzugt die jahwistische
Redaktion direkte Reden, um ihre Deutungen in die
Jakobserzählungen einzubringen.
Didaktisches Begleitheft 45
11
Vorüberlegungen zur Bibelwoche
Die Kernstücke der priesterschriftlichen Darstellung sind in der Auswahl der Bibelwochen-Texte
nicht berücksichtigt, sollen aber in zwei Fällen zur
Sprache kommen, weil sie die Eigenart der vorpriesterschriftlichen Jakobserzählungen (auch und
zumal in ihrer jahwistischen Interpretation) nachhaltig beleuchten. Zum einen lässt sich beobachten,
dass in der Priesterschrift der Bruderkonflikt zwischen Jakob und Esau zusehends in den Hintergrund
tritt. Man kann dies besonders dem priesterschriftlichen Text Gen/1 Mose 27,46–28,9 entnehmen, der die unausweichliche Flucht Jakobs nach Erschleichen des Segens in eine achtbare Reise nach
Mesopotamien zur Brautwerbung umdeutet. Aus
dem Betrüger wird priesterschriftlich ein Vorbild für
das exilisch-nachexilische Judentum; denn Jakob hält
sich anders als sein Bruder an das Mischehenverbot
(vgl. Dtn/5 Mose 7,3). Zum andern findet sich in
Gen/1 Mose 35,9-13 die priesterschriftlich verdichtete
(und wohl auch korrektive) Fassung der Gotteserscheinung von Bet-El, die sich zu einem reizvollen
Vergleich mit der Bet-El-Episode in 28,11-22 anbietet.
Zwei Hinweise mögen genügen: In 35,11 wird die
Abraham gegebene Nachkommensverheißung als
eine dem Jakob direkt zugesprochene Zusage wiederholt und mit einer feinen, nur am hebräischen Text
erkennbaren Nuance versehen. Während Abraham
nämlich zu einer »Menge« von Völkern werden soll,
wird aus Jakob eine »Versammlung« (hebr. qahal)
von Völkern hervorgehen (vgl. mit 28,3). Durch
diesen spezifisch priesterschriftlichen Sprachgebrauch werden die von Jakob/Israel abstammenden
Völker im engeren Sinne zur Kultgemeinschaft zusammengeschlossen.
Was die Kultstätte in Bet-El betrifft, erklärt 35,13,
dass Gott nach seiner Rede von dem Ort daselbst in
den Himmel aufgefahren sei. Damit wird Bet-El
(resp. das Haus Gottes!) nicht mehr als ein Ort permanenter göttlicher Anwesenheit vorgestellt, sondern nur noch temporär-vergangener. Für die Priesterschrift ist damit die Gotteserscheinung in Bet-El
nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Berg
Sinai, mit dem Zion gleichbedeutend ist.
12
3. Hauptthemen
Segen
Der Segen ist zweifelsohne ein Leitthema in den
Jakobserzählungen. Herkömmlich werden die Segenstexte dem Jahwisten zugewiesen. Das Thema begegnet aber auch in der Priesterschrift (Gen/1 Mose
28,1.3.4.6; 35,9). Nicht alle Segenstexte liegen literarisch auf einer Ebene, zumal der Jahwist in seinen
Quellen selbstständige Segenserzählungen wie im
Fall Gen/1 Mose 27,1-45 vorfand. Es bietet sich daher
an, zunächst nach dem religionsgeschichtlichen
Befund im alten Israel zu fragen: Unter dem Segen
wird allgemein eine Gabe Gottes verstanden, die dem
Menschen Vitalität und Wohlergehen verleiht und
ihm dadurch Zukunft eröffnet. Im Bereich der Familie kann sich Segen im Sinne von Erfolg im wirtschaftlichen wie im Fortpflanzungsbereich auswirken, z. B. Ernteertrag, Viehbesitz, Vermögen (vgl.
Gen/1 Mose 26,12-14). Wohlstand gilt darum auch als
Manifestation des Segens, sodass sein Träger wie in
der Grabinschrift von Kirbet el-Qom (westlich von
Hebron) aus dem späten 8. Jh. v. Chr. im biographischen Rückblick als »Gesegneter Jahwes« bezeichnet
werden kann.
Typische Situationen, in denen Segen zugesprochen wird, sind Abschiede oder Begegnungen,
aber auch krisenhafte Lebensumstände, wobei der
Segen in diesen Fällen besonderen Schutz und
Kräftigung bewirkt. Segen wird durch Rede und Gestus eines Menschen vermittelt, als Segensspender gilt
dagegen Gott. So heißt es auf einer Gefäßinschrift
aus Kuntillet Aǧrud aus dem späten 9. Jh. v. Chr.:
»... Ich segne euch durch Jahwe von Samaria und
seine Aschera.« Überraschenderweise wird in
diesem Beispiel neben Jahwe auch die kanaanäische
Fruchtbarkeitsgöttin Aschera als Segensspenderin
genannt, obwohl sie in den götzenpolemischen
Texten des Alten Testaments durchgängig verworfen
wird. In der Inschrift erscheint sie freilich nicht als
eine unabhängige Göttin, sondern ist dem Gott
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Exegetische Einführung
Israels als seine Partnerin zugeordnet. Besondere
Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Silberamulette von Ketef Hinnom (in Jerusalem) aus dem
6. Jh. v. Chr., deren Beschreibung mit einer Form des
priesterlichen Segens von Num/4 Mose 6,24-26 den
Zusammenhang zwischen Segen und schützender
Wirkung nochmals unterstreicht. – Schon diese
wenigen Beispiele zeigen, dass Segen und Segenshandlungen als religiöse Dimension des Alltags im
alten Israel verwurzelt sind.
Heftig umstritten ist das Segensverständnis in der
Erzählung Gen/1 Mose 27,1-45. Die einen vermuten,
dass in ihrer ältesten Schicht eine archaische Auffassung des Segens als magisch-selbstwirksame und
unwiderrufliche Kraftübertragung zum Ausdruck
komme. Danach habe Isaak als Segensspender durch
körperliche Berührung seine elementare und transpersonale Lebenskraft an Jakob übertragen, wie dies
nur kurz vor dem Tod möglich sei. Deshalb müsse
man die Segenshandlung Isaaks als exklusiv-einmalig, unteilbar und irreversibel verstehen (27,33).
Diese Auffassung kann die andere Gruppe von
Forschern nicht überzeugen. Die Geschichte an sich
würde nicht funktionieren, wenn dem Älteren nach
Aufdeckung des Betrugs ein ähnlicher Segen wie
dem Jüngeren zugesprochen würde. Aus diesem erzählerisch-dramaturgischen Grund werde das
Gegenüber von Segensfülle (Jakob) und Segensmangel (Esau) markiert, jedoch ausdrücklich keine
Segen-Fluch-Alternative entworfen. Außerdem
könnte man vermuten, dass mit dem Sterbesegen
auch Besitzrechte übertragen wurden, die sich nicht
ohne weiteres widerrufen lassen. – Mithin ist bei der
Auslegung dieser Segenserzählung besondere Vorsicht geboten, und es ist sehr die Frage, ob vor ihrem
Hintergrund eine systematisch-theologische Rehabilitierung magisch-selbstwirksamer Segensvorstellungen zu empfehlen ist (vgl. M. Leuenberger, Segen
und Segenstheologien im alten Israel, S. 484).
Möchte man eine theologische Linie finden, wird
man sich mindestens dem Problem stellen müssen,
ob der Segen deshalb bei Jakob blieb, weil er einen magisch-selbstwirksamen Segen erschleichen
konnte, oder ob Jahwe den Segen bei Jakob beließ, obwohl er sich ins Unrecht setzte. (25,29-34 entlastet
Jakob nur ungenügend durch den »Kauf« des Erstgeburtsrechts.)
Nimmt man den Gesamttext in den Blick, sorgt
immerhin der Jahwist für eine weitere Klärung,
indem er den Vatersegen Isaaks noch deutlicher als
einen Jahwesegen herausstellt, so in der Formulierung Gen/1 Mose 27,7 »... dann werde ich dich vor
Jahwe segnen, bevor ich sterbe«. Damit wird die
theologisch belangvolle Unterscheidung zwischen
Segens-Sprecher und Segens-Spender nochmals ausdrücklich unterstrichen: Isaak kann den Segen nicht
aus eigener Kraft bewirken (nicht magisch), so wie
die Segens-Wirkung nicht ohne Zutun Jahwes zum
Ziel kommt (nicht selbstwirksam). Was schließlich
den Segensinhalt anlangt, hat auch hier die jahwistische Redaktion nachgearbeitet, den Fruchtbarkeitssegen (27,28) um den Herrschaftssegen erweitert
und dadurch den familiären Segen in einen Völkerhorizont gestellt (27,29; vgl. 27,39-40a).
Edom/Israel
Der dem Jakob zugesprochene Herrschaftssegen erweist sich nur als eine Zuspitzung des Bruderkonflikts, der im Grunde genommen die gesamte Erzählung bestimmt und bereits im Mutterleib mit
dem Gerangel der Zwillinge beginnt. Dabei reicht der
Spannungsbogen vom Linsengericht und der Segens-Erschleichung über die Flucht Jakobs und
seinen segensreichen, wenn auch nicht konfliktfreien, Aufenthalt in der Fremde bis hin zu seiner
Rückkehr und Aussöhnung mit Esau. Dass sich
Jakob auf seinem weiten Weg plötzlich selbst als der
Betrogene erfahren muss und sich statt als Herrscher
über seinen Bruder Esau als Diener seines Verwandten Laban (29,12.15) wiederfindet, macht den
besonderen Reiz der Erzählkomposition aus und
lässt über eine mögliche »innere Wandlung« Jakobs
nachdenken.
Die Begegnungsszene zwischen Jakob und Esau
Didaktisches Begleitheft 45
13
Vorüberlegungen zur Bibelwoche
hält aber dann doch einige Merkwürdigkeiten vor.
Zunächst überrascht, dass es Esau ist, der den entscheidenden Schritt zur Versöhnung tut und vorbehaltlos Jakob die Hand reicht, ihn umarmt und
küsst – was in diesem Fall mehr bedeutet als die übliche orientalische Begrüßungsmodalität (33,4).
Darüber hinaus ist es Esau, der Jakob als seinen
Bruder anspricht (33,9) und freimütig auf die Geschenke verzichtet, zu deren Annahme er dennoch
von Jakob gedrängt wird. Schließlich bietet Esau
seinem Bruder an, mit ihm gemeinsam weiterzuziehen bzw. einen Begleitschutz für seine Familie
abzustellen (33,12.15). Und wie verhält sich Jakob
dazu? Schon bei der Vorbereitung der Begegnung
mit Esau zeigt sich, dass er strategisch-berechnend
vorgeht und seine Frau Rahel mit seinem Sohn Josef
an die geschützteste Stelle im Tross stellt (33,2).
Sodann ist er zwar fortgesetzt mit Unterwerfungsgesten beschäftigt (33,3.6.7), doch mit keinem Wort
bekennt er Esau gegenüber seine Schuld, noch bittet
er den Bruder um Vergebung. Stattdessen spürt man
mehr und mehr einen versteckten Argwohn, den
Jakob gegenüber Esau hegt. Dass er seinem Bruder
nicht offen, sondern mit ausweichenden Antworten
begegnet, scheint schon wieder einer täuschenden
Absicht nahezukommen (33,13-14). Verschiedentlich
hat man deshalb von einem Missklang gesprochen,
mit dem die Jakob-Esau-Erzählungen schließen, und
Zweifel an der Echtheit der Versöhnung geäußert.
Wie sind diese Merkwürdigkeiten zu erklären?
Man kann natürlich psychologisieren, doch lassen
sich manche Eigenheiten durch den historischen
Hintergrund besser erklären. Denn die Ausgestaltung der Szene scheint das geschichtlich angespannte Verhältnis zwischen Juda (!) und Edom in
der späten Königszeit zu reflektieren, in der sich das
Kräfteverhältnis zugunsten Edoms verschoben hat.
Obwohl es verschiedentlich zu edomitischen Kriegszügen im südlichen Grenzgebiet Judas gekommen
ist, halten die Jakob-Esau-Erzählungen am Modell
einer friedlichen Aussöhnung fest, bevorzugen aber
ein Verhältnis der »Verwandtschaft auf Distanz«. Im
Verhalten Jakobs kommt damit nicht nur ein Miss-
14
trauen gegenüber Edom zum Ausdruck, sondern
auch das Ansinnen Israels resp. Judas, sich gegen
Edom abzugrenzen und künftig von seinem Nachbarn unbehelligt zu bleiben. Vor diesem Hintergrund
erklärt sich ferner der Eindruck, dass der Herrschaftssegen in 27,29 in gewisser Weise revidiert
werde. Denn statt der Völker, die sich vor Jakob
niederwerfen sollen, sind es nun die Söhne Jakobs,
die sich vor seinem Bruder Esau niederwerfen (33,67). Mithin lässt sich der Bruderkonflikt auch in
diesem Text nicht auf eine familiäre Angelegenheit
reduzieren und als eine paradigmatische Versöhnungsgeschichte interpretieren, zumal sie narrativ
nicht reibungslos funktioniert.
4. Schlussbemerkung
Jakob und nicht Esau ist der Gesegnete Jahwes und
muss es sein. Das steht für die Tradenten fest. Gleichwohl erzählen sie dazu keine problem- und fraglose,
sondern eine konflikt- und segensreiche Geschichte,
die uns heute eine gewisse Verlegenheit bereitet.
Lassen sich Jakobs erpresserisches Verhalten, seine
schamlose Täuschung des blinden Vaters und sein
hinterlistiger Betrug am älteren Bruder ohne Weiteres mit Gottes Führung in Einklang bringen? Es ist
darum nicht so sehr Jakob, der mit Gott um seinen
Segen ringt, sondern vielmehr Gott, der mit Jakob
um seine Geschichte ringt. Theologisch wird sich
deshalb die Auslegung der Jakobserzählungen an
Esau bewähren müssen, damit sie nicht auf eine
»Suspendierung des Ethischen« hinausläuft (Sören
Kirkegaard).
Dr. ALEXANDER A. FISCHER, PD an der FriedrichSchiller-Universität Jena, theologischer Referent der
Württembergischen Bibelgesellschaft Stuttgart.
Forschungsschwerpunkte: Davidserzählungen, Exodus
und Mythos, Tod und Jenseits, Textgeschichte des
Alten Testaments
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Segensrituale
für alle Einheiten der Bibelwoche
Im Folgenden werden mehrere Möglichkeiten vorgeschlagen, die am Schluss jeder Einheit praktiziert
werden können. Es kann sinnvoll sein, sich für eine
Möglichkeit zu entscheiden und diese immer zum
Schluss einer jeden Einheit/eines jeden Abends
gleichbleibend zu verwenden. Dies unterstreicht die
rituelle Dimension. Die Abwechslung zwischen den
verschiedenen Möglichkeiten setzt hingegen den
Akzent auf die Vielgestaltigkeit, in der uns Gottes
Segen begegnet.
1 | Segenstanz
zu dem Lied »Bewahre uns, Gott« (EG 171,1+4; EmK
488,1+4)
I) Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns
auf unsern Wegen.
Wir fassen uns an den Händen, bilden einen Kreis und
tanzen nach rechts mit einfachem Schreitschritt vorwärts: rechts-links, rechts-links.
II) Sei Quelle und Brot
Die Hände lösen, zur Mitte drehen, zwei Schritte rechtslinks zur Mitte gehen und dabei die Arme heben.
in Wüstennot
Rückwärtsschritt zurück rechts-links, dabei die Arme
wieder senken.
sei um uns mit deinem Segen.
Jeder dreht für sich einen kleinen Kreis um sich selbst mit
vier Schritten (rechts-links, rechts-links).
Teil II wird – wie im Lied vorgesehen – wiederholt. Der
ganze Tanz kann mehrfach wiederholt werden, je nachdem
wie gut der Text bekannt ist auch mit Vers 4.
2 | Meditation mit Psalm, Salbung und
Segenszuspruch
Vorbereitung: Gefäß mit einem wohlriechenden
Salböl bereitstellen
Ltg.: Allen menschlichen Beziehungen voraus
steht unsere Beziehung zu Gott, der uns, jede
einzelne Person, geschaffen und eine ganz besondere Würde verliehen hat – so die Überzeugung der
biblischen Texte. Doch dieses Voraus ist eher ursächlich als zeitlich zu bestimmen, denn unser ganzes
Leben hindurch in ganz verschiedenen menschlichen Beziehungen begegnet uns Gott. Daran erinnern uns die Jakobserzählungen vom Kampf um
den Segen, vom Ringen mit Menschen und mit Gott.
– Doch was ist der Mensch? Angesichts der Größe
der Schöpfung stellt sich uns immer wieder diese
Frage. Psalm 8 rühmt den Schöpfergott, der Himmel
und Erde geschaffen hat – und den Himmel und
Erde rühmen. Die Überzeugung des Beters ist, dass
der Mensch nur wenig geringer ist als Gott, dass er
mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist, dass ihm die
Verantwortung für Mensch und Welt übertragen ist
und dass in dieser Schöpfung Gottes Segen wohnt.
Dem können wir uns im Beten von Psalm 8 anschließen:
Alle: GL 710 in der Einheitsübersetzung oder EG mit
dem Luthertext (Abweichungen zwischen den EG-Regionalausgaben in der Nummerierung der Psalmgebete)
Ltg.: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?
Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott,
hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. – Jedem
Menschen kommt eine königliche Würde zu, jeder
Mensch ist gekrönt von Gott.
Zum König bin ich berufen in meinen vielfältigen
Beziehungen. Werde ich diesem Auftrag gerecht? Oft
scheitere ich gerade in meinen Beziehungen mit
Didaktisches Begleitheft 45
15
Segensrituale
diesem Auftrag. Was dann? Die königliche Würde
wird mir immer wieder neu zugesprochen – so wie
der Seher Johannes das zu Beginn des letzten Buches
unserer Bibel, der Offenbarung, formuliert. Er
spricht den sieben Gemeinden der Provinz Asien zu:
»Gnade sei mit euch und Friede von dem, der ist
und der war und der kommt, von den sieben Geistwesen, die vor seinem Thron sind, und von Jesus
Christus, dem treuen Zeugen, dem Erstgeborenen
aus den Toten, dem Herrscher über die Könige der
Erde. Ihm, der uns liebt und uns durch sein Blut von
unseren Sünden erlöst hat, der aus uns ein Königreich gemacht hat, eine Priesterschaft für Gott,
seinen Vater, ihm sei die Herrlichkeit und die Herrschaft in alle Ewigkeit. Amen.« (Offb 1,4-6)
Jesus Christus liebt uns und hat uns erlöst; er hat
uns zu Königen gemacht und zu Priestern. Im Alten
Testament werden Geschichten von Königen erzählt,
deren besonderer Auftrag und Segnung sich symbolisch in ihrer Salbung ausdrückt.
Wir wollen uns nun gegenseitig diese königliche
Würde zusprechen, auch wenn wir mitunter in
unseren Beziehungen scheitern. Wir stellen uns im
Kreis auf, geben das Salbgefäß herum und segnen
die/den jeweils Nächsten mit dem Salböl. Wir
sprechen uns dabei mit Namen an und sagen:
»N., der Herr segne dich, Gnade sei mit dir.«
3 | Segenspsalm und Speisung
Die leibliche Dimension des Segens wird in den Jakobserzählungen deutlich entfaltet. Dies kann auch im
Segensritual zum Ausdruck kommen, indem dieses verknüpft wird mit einem gemeinsamen Mahl zum Schluss.
Die Teilnehmenden sitzen an einem großen Tisch.
Ltg.: Brot, Wein und das Leibgericht brachte Jakob
seinem Vater Isaak, damit dieser ihn segnete. Da das
Leibgericht bei verschiedenen Menschen etwas sehr
Unterschiedliches sein kann, beschränken wir uns
hier auf Weißbrot und Wein, Grundbestandteile
jedes jüdischen Sabbatmahls. Dort wird über den
Becher Wein und über das Brot das Segensgebet ge-
16
sprochen. Für uns Christen sind diese Symbole mit
dem Abendmahl Jesu, mit der Feier der Danksagung,
der Eucharistie, verbunden. Für beide Religionen
sind sie Symbole des bleibenden Bundes mit Gott.
Deshalb sind sie verbunden mit dem Lob Gottes und
der Heiligung unseres Lebens. Wir dürfen deshalb
mit Worten von Paul Gerhardt singen:
Lied: Du meine Seele, singe (EG 302,1-4.8; EmK
76,1-4.7) oder Singet, danket unserm Gott (GL 277;
EG Regionalteil Rheinland-Westfalen-Lippe 597)
Gemeinsam wird Psalm 67 im Wechsel zweier
Gruppen gebetet (GL 732 = Einheitsübersetzung; EG =
Luthertext; Abweichungen zwischen den EG-Regionalausgaben in der Nummerierung der Psalmgebete)
Einladung, Brot und Wein (oder Traubensaft) zu sich
zu nehmen und miteinander im Gespräch zu bleiben.
Abschluss mit Dankgebet:
Gütiger Gott,
wir loben dich und danken dir für deine
Zuwendung.
Du segnest uns und gibst uns Nahrung für Seele
und Leib.
Du schenkst uns Menschen, die mit uns auf dem
Weg sind.
Du begegnest uns, wo wir es nicht erwarten.
Gesegnet dürfen wir gehen in unseren Alltag
und deinen Segen weitergeben den Menschen,
denen wir begegnen.
Auf dich vertrauen wir, du bist unser Frieden.
Amen.
4 | Erinnerung an die Taufe
Katholische Christen sind es gewohnt, sich mit Weihwasser
zu bekreuzigen. Das geweihte Wasser soll an das Wasser der
Taufe erinnern, an das erste Sakrament, das ein Christ empfängt, Zeichen der Zuwendung Gottes. Der protestantische
Teil der Christenheit kennt den Umgang mit Weihwasser
nicht. Bei der ökumenischen Bibelwoche könnten beide
Seiten Neues entdecken: Katholiken, dass der (schon fast
beiläufige) Umgang mit Weihwasser bei der Bekreuzigung
eigentlich an etwas Besonderes, nämlich die Taufe, erinnern
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Für alle Einheiten der Bibelwoche
soll; Evangelische, dass Zeichen etwas vergegenwärtigen
können, das sonst zu verblassen droht.
Zum Abschluss der Bibelarbeit können daher eine
Kanne Taufwasser (Weihwasser) und eine Schale bereitstehen.
Wir sind getauft auf den Namen des dreieinigen
Gottes, auf den Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes. Dieses Wasser erinnert
uns an die Taufe, die wir empfangen haben. Jeder
und jedem Getauften ist die Heilszusage Gottes, die
Befreiung von der Macht der Sünde und das in
Christus wirksame Heil, in diesem Sakrament bleibend geschenkt. Weder ein Segen noch eine Bekreuzigung mit Weihwasser kann dieses Sakrament übertreffen oder steigern. Aber wenn wir uns diese
Heilszusage Gottes vergegenwärtigen, kann uns dies
in unserer Vergesslichkeit und Nachlässigkeit helfen,
wieder das zu entdecken, was uns schon lange zuteil
geworden ist: Gottes befreiende, Leben schaffende
Gnade. Und weil wir uns die Taufe nicht selbst gespendet haben, so wollen wir uns auch jetzt die
Tauferinnerung durch einen Mitchristen/eine Mitchristin zu-sagen lassen.
Gehen Sie jeweils zu zweit zu der Schale mit
Weihwasser/Taufwasser und sprechen sie:
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes: Du bist Gottes Kind und bleibst es.«
Tauchen Sie Ihre rechte Hand in das Wasser und
machen Ihrem Gegenüber mit dem Wasser ein
Kreuzzeichen auf die Stirn.
Dieser Ritus kann vor oder nach dem gemeinsamen
Schlusslied vollzogen werden.
5 | Segenslied
Neben den Segensliedern aus den offiziellen kirchlichen
Gesangbüchern kann auch ein anderes Segenslied als sich
wiederholende »Erkennungsmelodie« die einezlnen Einheiten abschließen. Dafür eignen sich aus dem Liederbuch für die Jugend, hg. v. Markus Hartenstein und Gottfried Mohr, Gütersloh 222006, die Lieder:
362 Der Herr segne dich (auch in EG-Regionalausgabe Württemberg 563)
382 Gott, dein guter Segen
Didaktisches Begleitheft 45
17
1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib«
Esau und Jakob, Verkauf des Erstgeburtsrechts
Gen/1 Mose 25,19-34
Zum Text
Brüder – Völker
Gliederung
Am Anfang steht mit 25,19-20 eine genealogische
Notiz. Auftakt der Jakob-Esau-Geschichten ist dann
die Erzählung von der Geburt der Zwillinge Esau und
Jakob (25,21-26); sie stellt die Hauptakteure vor. Zusammen mit den folgenden überleitenden Versen
(25,27-28) bietet sie wichtige Informationen für die
weitere Handlung. Die anschließende, in sich geschlossene Szene vom »Verkauf der Erstgeburt«
(25,29-34) gibt eine – nach 25,23 – zweite Antwort auf
die Frage, warum Jakob den Vorrang gegenüber Esau
erhält. Sie weist damit zugleich über eine Interpretation des Bruderkonflikts im Horizont einer
Familiengeschichte hinaus auf den politisch-historischen Kontext der Jakob-Esau-Überlieferung.
Abstammung
Die genealogische Notiz 25,19-20 (vgl. auch 25,26b)
greift auf die im voranstehenden Text (25,7-10) überlieferte Nachricht vom Tod und Begräbnis Abrahams
zurück und räumt der Bestimmung der Herkunft
Rebekkas breiten Raum ein. Die Ortsbezeichnung
Paddan-Aram (Zürcher Bibel und Einheitsübersetzung; Luther: Mesopotamien) verweist auf das Gebiet
um Karkemis am oberen Euphrat.
25,21-28 ist eine Erzählung, die Lesende und Hörende mit grundlegenden Informationen für das Verständnis der weiteren Handlung versorgt. Die
Befragung des Gottes Israels durch Isaak (21) bzw.
Rebekka (22) wird erzählerisch nicht ausgestaltet,
insbesondere werden keine Hinweise auf den Ort des
Bittens/Befragens oder dessen Ablauf gegeben. Das
im Zusammenhang der Intervention Isaaks für Frage
und Antwort gebrauchte Verb (hebräisch atar =
bitten/beten bzw. sich erbitten lassen) ist auch an
andern Stellen mit der Idee der Fürbitte verbunden
(z. B. Ex/2 Mose 8,26 in der Plagen-Erzählung).
Rebekka dagegen befragt (hebr. darasch) Gott, um eine
Gefährdung abzuwenden und Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen, ob und wie das vorauszusehende Dilemma zu beheben ist. – Dass sonst beim
Gebrauch dieses Verbs entweder Könige oder die
Ältesten die Fragesteller sind, ist bemerkenswert und
kann als Hinweis auf die auch sonst in diesen Versen
greifbar werdende Wertschätzung und Würdigung
der Eigenständigkeit Rebekkas verstanden werden.
Rebekkas Reaktion auf die sich im Mutterleib
stoßenden Zwillinge (22; vgl. später die Notiz in 24)
ist mehrdeutig formuliert: Sie »kann Angst vor dem
Sterben, vor einer Fehlgeburt oder dem Schicksal der
noch Ungeborenen ausdrücken« (Claus Westermann, S. 505*) oder aber als Frage »nach ihrer zukünftigen Aufgabe« (Horst Seebass, S. 270*) verstanden werden. In 27,46 wird Rebekka übrigens ein
ähnlicher Ausruf in den Mund gelegt.
Das in poetischer Sprache gehaltene Gottesorakel
an Rebekka (23) lässt zunächst offen, wer wem
dienen wird. Im Zusammenhang der Jakob-Esau-Ge-
* Genauere Angaben zu den zitierten Werken am Ende des Kapitels
18
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 25,19-34
schichten werden aber durch diesen Orakelspruch
»in nuce die Thematik des folgenden Geschehens
(Konflikt zwischen den Brüdern), dessen Lösung (der
Jüngere ist überlegen) und seine Bedeutung für die
Hörer vorweggenommen« (Erhard Blum, S. 69*).
Bei der Schilderung der Geburt der Zwillingsbrüder (24-26) steht zunächst die Frage im Zentrum,
wer von beiden als Erstgeborener zu gelten habe (vgl.
auch Gen/1 Mose 38,27-30). Das überrascht nicht
angesichts des besonderen Ranges, den die biblische
Überlieferung dem Erstgeborenen zumisst. – Nach
Dtn/5 Mose 21,15-17 steht dem Erstgeborenen der
Großteil des väterlichen Erbes und nach dem Tod des
Vaters die Rolle des Familien- bzw. Sippenoberhaupts
zu (zum Gebot der Auslösung der menschlichen
Erstgeburt siehe Ex/2 Mose 13,1-2.11-16 und die
[späteren] Bestimmungen Num/4 Mose 3,12-13.40-51;
8,17-18).
Kunstvoll erzählt gibt 25,25 »mit der Beschreibung Esaus zu verstehen, dass es in der folgenden Geschichte dieses Mannes zugleich auch um Edom geht,
ohne dass Edom als eigentliche Erzählgestalt auftreten müsste. Gleichzeitig bietet sie damit eine implizite Ätiologie [Herkunftslehre; d. Red.] der Namen
›Edom‹ und ›Seir‹« (Erhard Blum, S. 73). Die Wortwahl rötlich spielt auf Edom an, die Formulierung wie
mit einem Fell auf Seïr (bewaldetes Land) und damit
auf das östlich des Jordangrabens zwischen Totem
und Rotem Meer gelegene Gebirgsland, das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Edomiter.
In 26 wird der »zweite Zwilling« aufgrund eines
Vorgangs bei der Geburt benannt. Der hier belegten
sogenannten »volksetymologischen« Erklärung seines Namens Jakob (Fersenhalter von hebräisch aqeb =
Ferse) stehen die korrekte philologische Erklärung »er
hat geschützt« (vgl. die exegetische Einführung von
A. Fischer in diesem Heft, S. 9) und die in Gen/
1 Mose 27,36 bzw. Hos 12,4 belegte Ableitung vom
Verb qab (= betrügen) gegenüber.
25,27-28 sind parallel aufgebaute Verse und leiten
über zum Folgenden. Sie berichten vom Neben- und
Gegeneinander der Brüder, das in deren andeutungsweise skizzierten Charakter gründet: Esau, dem
»Mann des freien Feldes«, steht der »Stubenhocker«
Jakob gegenüber. So wird die dann folgende Szene
vom Linsengericht vorbereitet. Eher unwahrscheinlich ist, dass 27 das Gegenüber von Hirtenund Jägerkultur herausstellen will. Bemerkenswert
die Charakterisierung Jakobs als »gesitteter Mann« –
die Zürcher Bibel macht mit ihrer Übersetzung des
Adjektivs tam (= untadelig) deutlich, dass dieses auch
zur Charakterisierung des »untadeligen und rechtschaffenen« Hiob (vgl. Ijob 1,1) gebraucht wird. Die
positiv wertende Charakterisierung Jakobs als rechtschaffen steht in deutlichem Kontrast zur Aussage
Esaus in 27,36. Der folgende Vers 28 lässt sich als
Auftakt zum Geschehen in Kapitel 27 lesen.
Rote Linsen und die Vorrangstellung
Israels
25,29-34 erzählt, wie Jakob sich in die von Geburt her
Esau zustehende Stellung des Erstgeborenen bringt.
Was genau Jakob kocht, bleibt bis zum Schluss offen;
der Heißhunger Esaus wird beschrieben durch das
in der Bibel nur hier verwendete Verb laat (einziger
weiterer Beleg im babylonischen Talmud, Schabbat
155b: »man gibt dem Kamel zu schlingen«) und durch
die Wendung »von dem Roten, dem Roten da«, wobei
sowohl 29 als auch 30 Esau als erschöpft, nicht aber
hungrig beschreiben. – Zur hier erneut gebotenen
Worterklärung des Namens Edom vgl. oben bei 25.
Dass Jakob Esau »schwören« lässt (33a), garantiert
die Gültigkeit und Unwiderruflichkeit des Verkaufs,
wie 33b nochmals unterstreicht. Jetzt endlich bekommt Esau zu essen – und erhält neben Linsen
auch Brot. Wie Getreideprodukte gelten die Hülsenfrüchte im alten Israel als wichtiges Grundnahrungsmittel. Esaus Essen und Trinken verleiht ihm neue
Kraft – sein Aufstehen und Davongehen nach der
Mahlzeit ist zunächst nicht negativ gewertet. Kritik
formuliert erst der die Episode abschließende Satz.
Vielfach als »von derbem Realismus« (G. von Rad,
S. 213*) oder durch »karikierende Züge« (Claus Wes-
Didaktisches Begleitheft 45
19
1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib«
termann, S. 509) geprägt bezeichnet, zielt der Abschnitt, in dem nicht Gott handelt, sondern »zwei
durch Verheißung Geadelte« (Horst Seebass, S. 274),
kaum darauf, den kulturellen oder auch ökonomischen Konflikt zwischen Hirten(kultur) und
Jäger(kultur) zu schildern. Vielmehr antwortet die
Szene »mit ihrem Skopus auf die ätiologische Frage,
wie es zum Vorrang Israels vor Edom kam« (Erhard
Blum, S. 86) – und fordert so zu einer dem Text (und
den folgenden Texten) angemessenen Schwerpunktsetzung der Bibelwoche heraus.
Gestaltung der Bibelarbeit
Thematischer Schwerpunkt
Mit seinen unterschiedlichen Themen eröffnet der
erste Textabschnitt die Chance, nicht nur in die Bibelwoche einzuführen und deren Grundthema vorzustellen, sondern auf dem Hintergrund gemeinsamer Lektüre auch grundsätzlichen Fragen der TN
Raum zu geben. Dabei wird eine Herausforderung
darin bestehen, über das den TN vielleicht aus Kindheitstagen geläufige Verständnis des Textabschnitts
als Familiengeschichte aus den Anfängen Israels
hinaus zu kommen. Denn es geht nicht vor allem um
die Geschichte zweier Brüder (auch wenn im Gespräch der TN einschlägige Erfahrungen und Erlebnisse durchaus ihren Platz haben mögen), sondern
um eine Völkergeschichte (vgl. dazu die in der
exegetischen Einführung gegebenen Hinweise und
das dort formulierte Verständnis von 25,22-23 als
»Leseanweisung«), die als Ätiologie (Lehre vom Ursprung) die zur Zeit ihrer Verfasser vorfindlichen
Gegebenheiten begründen will.
Erfahrungen zeigen, dass einzelne TN, wenn das
Gespräch auf die historisch-politische Dimension
von Gen/1 Mose 25 kommt, schnell das Thema »die
Lage im Nahen Osten« und das Verhältnis Israel –
Palästina ansprechen. Dies ist dann problematisch,
20
wenn die Jakob-Esau-Erzählung im Maßstab 1:1 auf
aktuelle politische Gegebenheiten übertragen werden
soll. Hier ist nachdrücklich in Erinnerung zu rufen,
dass biblische Erzählungen einen bestimmten Kontext und bestimmte Gegebenheiten zu interpretieren
suchen. Die mit der Chiffre »Edom« verbundene (jüdische) Tradition, die Edom mit den Weltmächten
Babel und Rom (und später den judenfeindlichen
christlichen Kräften) identifiziert, mag hier als Korrektiv dienen. Israel Yuvals Studie zu den wechselnden biblischen und nachbiblischen Esau-EdomTypologien zeigt zudem eindrücklich, dass die Frage,
wer denn jeweils als der »ältere« und wer als der
»jüngere« Bruder zu gelten hat, keineswegs eindeutig zu beantworten war und ist.
Für die konkrete Gestaltung der ersten Bibelwocheneinheit schlage ich vor, diese als Einleitung
für die ganze Reihe zu konzipieren und zunächst
Raum zu lassen für mitgebrachte Fragen. In einem
zweiten Schritt kann zur Lektüre dessen angeleitet
werden, was da steht. Und schließlich wird zur Vorbereitung der kommenden Abende die Segensthematik eingeführt, indem z. B. die ambivalente Rolle
des späteren Segensträgers Jakobs offen angesprochen wird, den die Auslegung durch die Zeiten
hindurch als gleichermaßen listig, zielstrebig, eine
Notlage ausnutzend, der Berufung folgend, um jeden
Preis ans Ziel kommen wollend ... charakterisiert.
Vorbereitung/Raumgestaltung
Ein großes Tuch, darauf verschiedene Schilder mit
den Namen der Personen der Handlung (der ganzen
Bibelwoche!; jeder Name mehrfach vertreten) und
viele Schilder mit der Aufschrift Segen.
Öffnen
Die TN wählen sich ein Schild und formulieren, was
sie mit diesem Namen verknüpfen: wem sie sich verbunden wissen, wer ihnen Schwierigkeiten macht,
was sie zu diesem Namen wissen wollen, ...
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 25,19-34
Die TN nehmen sich ein Schild mit Aufschrift
Segen und halten darauf fest, was Segen für sie
bedeutet, wo sie Segen erfahren (haben) und in
welchen (Lebens-)Stationen ihnen Segen besonders
wichtig ist.
Begreifen
Sinnvoll könnte ein Lektüre-Einstieg sein, bei dem
der Text zunächst (von den TN reihum) laut gelesen
und beim Hören (oder bei der anschließenden
Einzellektüre) im TN-Heft markiert wird, was Zustimmung findet (»!«), wo sachlicher Klärungsbedarf
(»?«) und wo inhaltlicher Gesprächsbedarf (»unterkringeln«) besteht. Mit einem »Blitz« werden Stellen
markiert, die bei den TN Ärger auslösen.
Die Klärung der aufgeworfenen Fragen kann sich
zunächst abschnittsweise vollziehen, ehe dann in
einem offenen Gespräch – ausgehend von den »emotionalen« Eindrücken, z. B. der Wirkungsgeschichte
dieser Erzählung (Stichwort: Typologie der Personen)
– grundsätzliche Themen aufzugreifen wären. Die
Gesprächsleitung sollte dabei im Blick haben, welche
Fragen besser im Zusammenhang einer der folgenden Einheiten der Bibelwoche vertieft werden können und diese Fragestellungen festhalten (auf Flipchart oder Wandzeitung).
Mitnehmen
Das Gedicht von Peter Horst Neumann (siehe TNHeft S. 5) wird vorgelesen. Die TN können in einer
kurzen Runde ohne Diskussion einen Gedanken, der
ihnen durch das Gedicht oder den Abend gekommen
ist, äußern.
Liturgischer Abschluss
Lied: Segne uns, o Herr (EG-Regionalteile BadenElsass-Lothingen 581, Bayern-Thüringen 573, Pfalz
581, Württemberg 564 – alle EG-Regionalteile sind
enthalten auf dem EG elektronisch; s. Literaturverzeichnis S. 51)
Segensritual (siehe S. 15–17, dort auch Liedvorschlag)
Zitierte Literatur
Erhard Blum, Die Komposition der Vätergeschichte,
WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984
Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose, ATD 2/4,
Göttingen 111981
Horst Seebass, Genesis, Band 11/2, NeukirchenVluyn 1999
Claus Westermann, Genesis, BK 1/2, NeukirchenVluyn 22000
Didaktisches Begleitheft 45
21
2 | Gottes Segen kommt anders
Jakob erlistet den Erstgeburtssegen Isaaks
Gen/1 Mose 27,1-45
Zum Text
Isaak und Esau (27,1-4)
Zusammenhang mit den anderen JakobEsau-Erzählungen
Im Laufe der Forschungsgeschichte wurde diskutiert,
ob es sich bei Gen/1 Mose 27,1-45 ursprünglich um
zwei verschiedene Erzählungen handelte oder ob der
Text eine Einheit darstellt. Die Auffälligkeiten des
Textes lassen sich am besten damit erklären, dass
eine ursprünglich selbstständige Segenserzählung
(27,1-40) mehrfach überarbeitet wurde, um sie so in
den Erzählungszusammenhang einzufügen. Um
den Text im Zusammenhang der Jakob-Esau-Erzählungen verstehen zu können, sind diese Bezüge zu
beachten.
Dass der Jüngere dem Älteren entgegen der bestehenden Ordnung des Erstgeborenenrechts vorgezogen wird, entspricht dem Orakel Jahwes über die
zwei Nationen (25,23). Auch die Gegenüberstellung von
Esau als Mann der Jagd, den sein Vater Isaak liebt, und
Jakob als »gesitteten Mann der Zelte«, den seine Mutter
Rebekka liebt, ohne dass näher ausgeführt wird warum,
aus Gen/1 Mose 25,27-28 wird in 27,1-40 entfaltet. Ein
Wortspiel mit den Konsonanten (die hebräische Schrift
bestand zunächst nur aus Konsonanten) bkrh (= Erstgeborenenrecht) und brkh (= [Segens-]Geschenk, vgl. in
diesem Heft S. 48) verbindet den Text sowohl mit
Gen/1 Mose 25,29-34 als auch mit Gen/1 Mose 33: Der
Gesegnete verneigt sich vor seinem Bruder und bittet
ihn, sein Segensgeschenk anzunehmen. Das FluchtMotiv des späteren Schlusses 27,41-45 verbindet die Erzählung mit dem Jakob-Laban-Zyklus.
Die Gliederung von Kapitel 27 ergibt sich dadurch, dass die Akteure je in der Beziehung zu einem
Gegenüber paarweise auftreten.
22
Gen/1 Mose 27 führt eine neue Betrugsgeschichte
ein, die aber unmittelbar an 25,34 anschließt. Dass
Isaak alt und blind ist, bildet die Voraussetzung für
diese Erzählung von Segen und Betrug. Als Grund
für Isaaks Segen über Esau werden dessen Alter und
die Konvention des Erstgeborenen-Segens angeführt.
Zugleich äußert Isaak den Wunsch nach seinem
Lieblingsgericht als Voraussetzung für den Segen.
Esau wird gezeigt mit Pfeil und Bogen, mit Attributen der Männlichkeit.
Entscheidend ist hier: Die Todesstunde wird erlebt
als Krise, die rituell mit einer Segenshandlung begangen wird. Der Segnende ist hier nicht Gott, sondern Isaak. Er will, dass seine Lebenskraft den Sohn
segnet. Der Segen ist hier die Weitergabe der eigenen
Existenz an den Sohn, sodass dieser zum Nachfolger
wird.
Rebekka und Jakob (27,5-17)
Bestimmend für den Fortgang der Handlung ist: Die
Mutter hört mit und greift in das Geschehen ein. Ein
Motiv für ihre Initiative wird nicht genannt: Empört
sie sich darüber, dass nur dem zufällig Erstgeborenen
der Vorrang eingeräumt wird? Kann sich nur durch
ihr Eingreifen das göttliche Orakel (25,23) erfüllen?
Ist sie eine Betrügerin oder entspricht ihr Handeln
dem Willen Gottes? Die Erzählung lässt das (zunächst) offen. Auf alle Fälle ändert sie den durch die
Tradition vorgegebenen Lauf der Dinge. Sie ist sogar
bereit, anstelle ihres Sohnes bei Misslingen des Plans
den Fluch auf sich zu nehmen. Offen bleibt auch hier
die Deutung: Nimmt sie in Kauf, sich für ihren
Lieblingssohn zu opfern? Oder ist ihr Angebot gar
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 27,1-45
Zeichen mangelnder Gottesfurcht? Oder wird durch
sie das Überwinden eines magischen Segensverständnisses gezeigt?
Jakob und Isaak (27,18-29)
Isaak ist erstaunt, dass der Sohn so schnell wieder bei
ihm ist und hegt Zweifel, lässt sich jedoch täuschen.
Jakob instrumentalisiert den Gott seines Vaters für
seinen Betrug und distanziert sich gleichzeitig von
ihm: »dein Gott hat es günstig für mich gefügt«.
Paradoxerweise betrügt Jakob den Vater gerade dadurch, dass er genau macht, was er sagt. Trotz körperlicher Nähe sind beide weit entfernt voneinander.
Religionsgeschichtlich wird in der Bezeichnung
»dein Gott« die ältere Vorstellung vom persönlichen
Schutzgott greifbar. Auch deutet sich die Form eines
alten Segensrituals an: Zu Beginn steht entweder die
Aufforderung des Vaters (2-4) oder die Bitte des
Sohnes (19). Es folgt die zweifelsfreie Feststellung
des Segen-Empfängers (24), woran sich eine Mahlzeit zur Stärkung anschließt (25). Der Segen wird
übertragen durch körperliche Berührung (26-27a)
und ein Segenswort (27c-29). Dabei wird ein ursprünglicher Fruchtbarkeitssegen (27c-28), für den
sich z. B. in Gen/1 Mose 49,25-26 und in einem Text
aus Ugarit Paralleltexte finden, um einen Herrschaftssegen (29) ergänzt, der an das Orakel in 25,23
anschließt.
Isaak und Esau (27,30-40)
Das Gespräch beginnt wie der Ritus. Die dramatische
Wendung setzt ein, als die rituelle Frage eine Antwort
des Erschreckens nach sich zieht: Das Schreien und
Klagen Esaus führt Hörenden und Lesenden die
Bedeutung und Wirklichkeit schaffende Macht des
Segens eindringlich vor Augen. Isaak ist zwar Spender des Segens, der folgt jedoch einer eigenen Gesetzmäßigkeit. Als unverfügbare Größe steht er außerhalb menschlicher Verfügungsgewalt. Aber auch in
diesem Fall mutet der hebräische Text seinen Lesern
Doppeldeutigkeiten zu: Soll Esau vom Fett oder fern
vom Fett leben? Handelt es sich um einen Fluch –
das Wort fällt nicht – oder doch um einen Segen für
die nomadische Existenz des Jägers Esau? Der Fortgang der Erzählung zeigt: Esau ist nicht verflucht. Er
hat, was er braucht, und kann noch seinem Bruder
geben (33,9).
Rebekka und ihre Söhne (27,41-45)
Der spätere Schluss der Erzählung unterstreicht
deren Tragik: Rebekkas Betrug führt nicht zum Ziel.
Sie wird als gebrochener Charakter gezeigt: Sie
nimmt nicht, wie versprochen, den Fluch auf sich,
sondern weist die Schuld Jakob zu. Der Sohn, für
dessen Wohl sie sich eingesetzt hat, muss fliehen.
Die Einheit der Familie ist zerbrochen.
Aber das ist nicht das letzte Wort: Die Geschichte
Gottes mit der Familie des Isaak geht weiter. Vermeintlich nicht Gesegnete erfahren sich ebenso als
Gesegnete wie die, deren moralische Bewertung nach
menschlichen Maßstäben zweifelhaft ist. Die folgenden Kapitel zeigen: Gottes Segen kommt anders als
erwartet, kommt als ein nicht verfügbarer.
Gestaltung der Bibelarbeit
Biblische Texte bleiben uns nicht zuletzt deshalb oft
fremd, weil wir allzu schnell unsere eigenen Vorstellungen in sie hineinlesen, ohne ihre Andersartigkeit
zu respektieren. Daher sollen die TN dafür sensibilisiert werden, dass sowohl unser Verständnis von
Segen als auch unser Bedürfnis nach Segenshandlungen von dem der handelnden biblischen Figuren
abweichen kann. Auch sollten nicht zu schnell
»moralische Maßstäbe« an eine Erzählung und ihre
Figuren angelegt werden, weil dies das Verstehen der
Erzählung blockieren kann. Es kann aber Situationen, Bedürftigkeiten und Erfahrungen geben, die
Didaktisches Begleitheft 45
23
2 | Gottes Segen kommt anders
Menschen durch die Zeiten hindurch teilen, die
rituell gestaltet werden wollen. Dies kann ein Anknüpfungspunkt für die TN sein.
Raumgestaltung
In der Mitte liegen Tücher. Auf ihnen steht eine
Kerze. Neben ihr liegen zwei Plakate (in zwei Farben)
mit der Aufschrift Segen und Glück.
Thematischer Schwerpunkt
Liturgischer Beginn
Der Text verweist auf ein rituelles Tun des Menschen.
Im Moment des Abschieds, vor dem Tod, bündelt
sich die Kraft des ganzen Lebens. Dem eigenen
Sterben entspricht der Wunsch, die Bedeutsamkeit
des eigenen Lebens an Andere weiterzugeben.
Dieses Vermächtnis ermöglicht, dem Verstorbenen
über den Tod hinaus verbunden zu bleiben. In ihm
lebt der Verstorbene weiter. Dabei ist der Segen ein
Tun des Menschen, ein Handeln in Wort und Tat. In
der Schwellensituation kommt dem Wort eine besondere Kraft zu: Es schafft unwiderrufbar Wirklichkeit, kann daher nicht mehr zurückgenommen
werden.
Der Inhalt des Segens ist nicht identisch mit den
Worten selbst, worauf gerade deren Geprägtheit verweist. Es geht nicht um Regen und fruchtbare Erde,
Herrschaft und Macht, es geht um das Leben selbst.
Und der Segen ist als Segen Gottes unverfügbar, er
tritt nicht automatisch ein. Er kommt anders, als wir
denken. Der Segen Gottes besteht nicht darin, dass
eintritt, was Rebekka von ihm erwartet. Vielmehr erweist sich erst im Lauf der Geschichte mit allem
Kämpfen und Ringen Jakobs, was Segen für ihn
heißt.
Der Segen richtet sich auch nicht nach der moralischen Integrität des Gesegneten, nicht nach Rollenvorgaben. Es gilt, ihn in unserem Leben, in unseren
Gebrochenheiten und zerbrechlichen Beziehungen,
in unserem Ringen und Kämpfen zu entdecken.
Vorbereitung/Materialien
Moderationskarten in zwei Farben in der Anzahl der
TN, die eine Farbe mit der Aufschrift Segen, die
andere mit Glück; Egli- oder andere Bibelfiguren
24
Lied: Herr, wir bitten: Komm und segne uns (EGRegionalteile Baden-Elsass-Lothingen 610, BayernThüringen 572, Hessen 590, Niedersachen-BremenOldenburg 561, Österreich 571, Pfalz 610, Reformiert/Rheinland-Westfalen-Lippe 607, Württemberg
565 – alle EG-Regionalteile sind enthalten auf dem
EG elektronisch; vgl. Literaturverzeichnis S. 51; EmK
493 – Achtung: Abweichungen zwischen den Regionalteilen und zum EmK-Gesangbuch in der Anzahl der Liedstrophen!)
Öffnen
Die verschiedenfarbigen, unterschiedlich beschrifteten Moderationskarten werden an die TN verteilt.
Diese machen – jede/r für sich – sich Gedanken
darüber, was sie unter »Glück« bzw. »Segen« verstehen, und halten dies in Stichworten auf den
Karten fest.
Anhand der Beiträge auf den Karten, die vorgelesen und in der Mitte auf den Plakaten abgelegt
werden, wird im Plenum erörtert, ob und wie die TN
zwischen »Glück« und »Segen« unterscheiden. Es
geht um die Frage, ob im eigenen Leben eine transzendente Dimension zu entdecken ist, darum, ob die
persönlichen Erfahrungen bloß als Schicksal, als
Glücken des eigenen Lebensplans gedeutet werden
oder ob darüber hinaus Gott/Gottes Handeln zu
finden ist.
Begreifen
1. Die Leitung (L) weist darauf hin, dass Segen ein
großes Thema der Jakobserzählungen ist, das mit
Gen/1 Mose 27,1-45 einen ersten Akzent setzt, in dem
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 27,1-45
es um die Frage geht, wie sich Segen im Leben zeigt
und woran man den Gesegneten erkennt.
2. Der Text wird mit verteilten Rollen gelesen (Erzähler/in, Sprecher/innen für Isaak, Rebekka, Jakob
und Esau). Dabei sollen die Personen-Konstellationen jedes Abschnitts der fünf Szenen (1-4 / 5-17 /
18-30 / 31-40 / 41-45) nachgestellt werden. Dies können je nach Gruppengröße die TN selbst tun, oder es
können Egli- oder andere Bibelfiguren verwendet
werden. Dadurch werden Anfangs- und Schluss-Konstellationen sowie Bewegungen und Beziehungen innerhalb der Familie deutlich.
3. Im Plenum erfolgt eine erste Auswertung der
szenischen Lesung: Was ist den TN aufgefallen, was
bleibt unklar?
4. L weist auf die Bezüge von 27,1-45 zu den vorhergehenden Textstellen hin und gibt einen Ausblick
auf Kapitel 33. In Kleingruppen (2–3 Personen)
werden die Fragen zu den handelnden Personen (Tabelle siehe TN-Heft S. 9) erarbeitet.
5. Im Plenum wird die Frage erörtert, wo in den
Familienkonstellationen, in denen scheinbar jeder
zum eigenen Nutzen handelt und sich die Ziele der
Einzelnen zu widersprechen scheinen, Gott vorkommt.
Abschließende Fragen können sein: Welche Rolle
spielt Gott in dem Text? Worin zeigt sich der Segen
Gottes, wenn man die Segensworte in 27,28-29 von
ihrem Sinn her betrachtet?
Mitnehmen
Die Leitung gibt einen Einstieg: Menschen leben
auch in verworrenen Beziehungen. Dies entspricht
der Lebenserfahrung der meisten Menschen heute.
Dankbar dürfen wir sein, wenn wir auch in diesen
Beziehungen segensreiche Augenblicke entdecken
können. Die TN werden aufgefordert, sich das Familienbild der Erzählung anzuschauen. Es ist keine idyllische Darstellung einer »heil(ig)en« Familie. Die
Beziehungen in dieser Familie sind zerbrechlich wie
unsere eigenen.
In einer Bildmeditation (Abb. im TN-Heft S. 10
oder farbig von der DVD »Die Bibel in der Kunst«*)
können die TN der Frage nachgehen: Erfahre ich
mein Leben trotz aller Widersprüchlichkeiten oder
gerade in diesen als von Gott gesegnet? Diese Phase
endet ohne Austausch oder Aussprache.
Liturgischer Abschluss
Lied: Komm, Herr, segne uns (EG 170; EmK 503)
oder: Bewahre uns, Gott (EG 171; EmK 488)
Segensritual (siehe S. 15–17)
* Genauere Angaben zu der DVD siehe Literaturverzeichnis S. 51
Didaktisches Begleitheft 45
25
3 | Gesegnetes Erwachen
Jakobs Traum
Gen/1 Mose 28,10-22
Zum Text
Gen/1 Mose 28,10-22 ist ein tief im Glaubensbewusstsein verankerter Text, eine eindrückliche Geschichte. Sie erzählt von Flucht und überraschender
Gotteserfahrung. Dieser Abschnitt ragt in mehrfacher Hinsicht hervor. Er eröffnet den Jakob-LabanZyklus, er gibt Kunde von der Entdeckung des heiligen Ortes zu Bet-El, er ist getragen vom ersten
Traumbericht, genauer vielleicht Traumbild der Bibel
und er ist ganz und gar bestimmt von der zentralen
Verheißung, die Jakob tief in der Nacht widerfährt.
Zur Einordnung des Textes
Jakob in Bet-El – dem jahwistischen Erzähler ist hier
ein Juwel gelungen. Die jüngste Forschung setzt den
Jahwisten auf jene geschichtliche Zeit, da das Nordreich schon untergegangen ist und in Juda sich eine
geistige Sammlung vollzieht (siehe exegetische
Einführung S. 11–13), die nun die verschiedenen
Stammestraditionen Israels miteinander zu jenem
großen Erzählwerk zusammenbindet, das den Glanz
und den bleibenden Zauber der biblischen Großerzählung ausmacht. Dennoch bleibt dieser Text eine
in die Tiefe der Vergangenheit hinein reichende
kollektive Erinnerung, die sich nicht in Fakten
dokumentieren lässt, doch von einem Geist durchtönt ist, der durch die Zeiten spricht und bleibend anspricht.
Charakter des Textes
Traum und Wort, Erschauen und Erzittern, Flucht
und Ruheort, Schlaf und Erwachen – alles hängt hier
ineinander. Der Text hat einen komplex komponierten Aufbau und ist doch leicht zu lesen. Nur der
kritischen Scheidekunst zerfallen die Bausteine in
Artefakte einer Archäologie des Glaubens Israels.
Den Auftakt bildet mit 28,10 eine Wegbeschreibung: Jakob auf dem Weg von Beerscheba nach
Haran. Weite Räume werden umrissen, lange Wege.
Viele hundert Meilen liegen zwischen dem Ort tief
im Süden Judas und dem alten Haran, mit dem die
Abrahamsgeschichte wieder anklingt, dem Ort hoch
im Norden, wo einst der Weg Abrahams sich nach
den neuen Welten im Süden öffnete. Nun kehrt sich
der Weg um. Jakob geht den Weg zurück. Ein Weg
ohne Verheißung, ohne Perspektive – ein Fluchtweg.
Denn Jakob muss fliehen. Der Betrüger kann nicht
bleiben. Der Mutter Rat folgend geht er fort, weg von
Esau und dessen Zorn. Jakob, dieser heimatverlorene
unbehauste Mensch, kommt an die Stätte (Zürcher
Bibel undeutlich: einen Ort), wie der hebräische Text
mit einer ganz unscheinbaren, aber doch deutlich
markierten Artikelsetzung zu verstehen gibt. Erwartung bricht auf. Was wird hier geschehen?
Was geschehen wird, ist tiefe Umkehr der Erwartung, das Widerfahrnis unverdienter göttlicher
Zuwendung. Mitten in der Nacht wendet sich Jakobs
Geschick. Ein Flüchtender, seine Angst mit sich
Tragender legt sich zur Nachtruhe, die doch keine
Ruhe je sein kann, und erwacht gesegnet, erzittert im
Glück, auferstanden in den Raum der Verheißung –
ein Traum, aus dem Traum geboren. Traumstunde
des Lebens, Schicksalstraum, geistige Erweckung,
religiöse Erfahrung schlechthin.
Jakob in Bet-El – das ist ein religiöser Basistext, wie
man sich kaum einen treffenderen vorstellen kann.
26
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 28,10-22
Aufbau des Textes 28,11-22
Die Art, wie erzählt wird, so kristallklar sie tönt,
folgt einem straffen Gang.
11 ist Traumvorbereitung,
12 erzählt den Traum,
13-15 erhebt das Traumgeschehen in die Verheißung,
ist Zentrum des Textes,
16 schildert die erste Reaktion: Erzittern, Erschrecken vor dem Heiligen,
17 nimmt das Traumbild auf und
18 ist Aufarbeitung des Durchlebten in gewagter Tat,
das Denkmal errichtend, aus dem das Heiligtum
zu Bet-El hervorgehen wird;
19-22 ist das zentrale Geschehen wiederholendes Gelübde in der Taghelle des angebrochenen neuen
Lebens.
Durchgang durch den Text
Folgen wir Jakob, dem Betrüger, auf seiner doppelten
Nachtfahrt. Der Fluchtweg ist schon bezeichnet. An
unbekannter Stätte kommt er an. Die Sonne ist
schlafen gegangen, Jakob tut desgleichen. Er nimmt
von den Steinen am Platz und legt sich einen zurecht, kaum als Kopfkissen, eher als Waffe und
Schutz. Einer wie Jakob geht in eine unruhige Nacht.
Diese Nacht ist wie ein Symbol seiner Situation. Und
die allzu dürftige Hoffnung, die sich mit Laban, mit
dem Namen des fernen Verwandten dort in der Ferne
irgendwo, verbindet, ist das Wort nicht wert, das
einen ruhig schlummern lässt. Doch in der Tiefe, im
Absturz der Nacht, öffnet sich die Seele: der erste
Traum der Bibel, der wegweisende Traum.
Der Traum ist eine nicht gering zu schätzende
Form der geistigen Weitung, ein Anklopfen der
Transzendenz. Man sollte diese ureigene Sprache der
Seele niemals schmähen. Denn Gott schafft sich innere Orte, da er wohnen will. Er will in Jakob Einzug
halten und sein Zelt mitten in der geistigen Wüste
dieses Flüchtenden aufschlagen. Der biblische Erzähler macht es kunstfertig. Dreimal (28,12.13.15)
erklingt das »und sieh(e)« (in der Einheitsübersetzung [EÜ] leider nicht wiedergegeben) und jedes Mal
wird es dichter. Zuerst die »Leiter«, vielfältig Maler
inspirierend, vielgestaltig die religiösen Landschaften
(die äußerlichen und die innerlichen) bestimmend,
Symbol der Verbindung von Himmel und Erde. Es ist
eindeutig, dass die Leiter (EÜ und Zürcher Bibel:
»Treppe«), die hier aufgerichtet wird, weit mehr als
eine Leiter im heutigen Sprachgebrauch meint. Das
hebräische Wort sulam an dieser Stelle passt vorzüglich auf die babylonischen Stufentürme, die zentralen Heiligtümer Mesopotamiens, Zikkurat genannt. Diese Türme bilden riesige Treppenanlagen
mit Rampen, auf denen Priester auf- und absteigend
die himmlische Liturgie vollziehen. Jakob sieht auf
seiner Rampe Engel auf- und absteigen, Gottesboten,
die »aus ihm über ihn gehen, von IHM über ihn
gehen«. Ein wunderbares Sprachbild für die aufsteigenden Gedanken und die herabsteigenden Segnungen. Ein Mensch im Heiligen, aber noch weiß er
es nicht.
Die großartige Erzählkunst lässt im dritten »sieh«
den Erhabenen selbst erscheinen, Spitze der
geistigen Erhebung. Es erscheint unwillkürlich, als
stünde Gott oben am Ende der Treppe, dort wo das
Tor zum Himmel aufgeht – und doch ist das Entscheidende, dass sich nun die Bewegung umkehrt.
Nicht Jakob steigt im Traum den Engeln gleich auf
und klopft an das Himmelstor, nein, die Bewegung
hat sich umgekehrt: Der im Traum Schauende wird
zum Erschauten. Gott macht ihn zu seinem Gegenüber. So wundert es nicht, dass der hebräische Text
dahin gedeutet wird, als stünde Gott selbst nun am
Fuße der Leiter, nicht oben, nein, Jakob unmittelbar
gegenüber im Hier und Jetzt, Gott inmitten des
Schutzraumes, den Jakob sich am Abend aus
armseligen Steinen gebaut hatte: Gott – da.
Die zentrale Verheißung
Das Wort ergeht, Verheißungswort schlechthin; die
Verheißung an Abraham wird nun auf Jakob gewen-
Didaktisches Begleitheft 45
27
3 | Gesegnetes Erwachen
det. Scharnier, Schaltstelle im großen Bogen der
Vätererzählung und theologisches Schwergewicht,
das das allein Zukunftsfähige laut werden lässt: Ich –
mit dir. Land-Verheißung und Nachkommen-Verheißung aus dem Mund Jahwes, des »Ich werde sein,
der ich sein werde«, des »Ich bin, der ich bin«. Man
mag hier den Wechsel der Gottesnamen zum Anlass
nehmen für wohlfeile Versuche der literarischen
Quellenscheidung, viel wichtiger aber ist die theologische Legierung zuzulassen, diese absolute Identifikation der El-Gottheit mit Jahwe, die zentrale Ineins-Setzung des Allschöpfers mit dem Schutzgott
der Väter im Namen göttlichen Zukunftserweises.
Es ist biblischer Glaube auf der Stufe des Jahwisten, die religiöse Urgewalt, von der auch die Heiden
wissen, aufzuheben in das Gerechtigkeit schaffende,
Leben gewährende Richten des Gütigen. Jakob
erfährt diese richtende Macht Jahwes, indem ihm,
dem Flüchtenden, die Schau aufgeht eines weiten
unbegrenzten Landes, in dem Kinder und Kindeskinder weilen werden, in dem Glück, Wohlstand,
Fülle und Glanz Einkehr halten. Segenswelten
brechen hier auf. All dies ist religiöse Urerfahrung,
biblisch durchbuchstabiert und steter Erinnerung
wert. Gott handelt, richtet und rettet auf inneren
Wegen. Das große ICH das kleine Ich tragend, das
große ICH, das ICH mit dir – das ist Schutzzusage,
mehr als eine zweckmäßigere Verteidigungswaffe
wie die paar Steine ist dieser Schutz ein geistiger
Schutzmantel. Gott geht nicht auf in seinen Worten,
aber er geht in sein Wort ein um unseretwillen, die
wir Jakob gleich einen Weg gehen inmitten der Nacht
und Schuld einer unbehausten Welt und dabei
hoffen dürfen, inmitten menschlicher Ruhelosigkeit
berührt, getragen und erweckt zu werden vom
großen Frieden.
Bewusstseinswelt: Fürwahr Gott ist, Gott wirkt – hier
an diesem Ort, Nacht wurde Tag, ganz und gar.
Dieser Morgen ist anders als all die anderen Morgen,
die zwischen Beerscheba und Bet-El lagen, dieser
Morgen wird all die kommenden Morgen überstrahlen, die da werden mögen auf dem Weg zu
Laban und darüber hinaus. 28,17 nennt das Erzittern.
Keine Gotteserfahrung ohne echtes Erzittern, ohne
bewusstes Erleben, wie sich Ordnung über Chaos
legt, Frieden über Streit, Schalom über dürre Lebensau. Wir zeichnen Jakobs Gotteserfahrung nach – aber
wir können es nur, indem darin unsere bisherigen
wegweisenden Erfahrungen im Leben mit laut
werden. Religiöse Texte leben von ihrer eröffnenden
Kraft, ihrer inneren Transparenz, da Gottesglanz auf
unser eigenes Leben fällt, das wir mit Jakob buchstabieren.
Mit Vers 18 wieder der Handlungsvollzüge mächtig, weiht Jakob diesen Ort. Er richtet den Stein, der
ihm am Abend noch als Waffe und allzu vordergründiger Schutz diente, auf zum Steinmal (die Zürcher
Bibel verwendet in Anklang an den hebräischen Begriff Mazzebe), zum Denk-Mal dieser seiner Gottesstunde, Geburtsstunde des Heiligtums Bet-El.
Keine Frage, eine Funktion dieses Textes ist, eine
Herkunftslegende der Kultstätte in Bet-El zu bieten,
legitimiert aus der Jakobsgeschichte und damit in die
kollektive Identität Israels eingebunden. Keine Frage
auch, dass darin vorisraelitische religiöse Praxis durchscheint und ein Wissen um heilige Orte. Aber alles
dinghaft Kultische ist hier verwandelt in geschichtsdichte Gottespräsenz, nichts zu Ergreifendes, aber
Mahnmal eines Ergriffenen. Der Stein wird zum
Grundstein der religiösen Erinnerungskultur Israels.
Das Gelübde
Die Reaktion Jakobs
All dies geschah in der Nacht. Wie der Morgen anbricht (28,16), kommt die Gottesstunde bei Jakob an,
bricht das Traumgesicht und sein Wort ein in Jakobs
28
Was bleibt, ist das Gelübde, 28,19-22. Vielleicht ein
Zusatz, der Sesshaftigkeit voraussetzt und der religiöse Gehorsamstaten im Urbild Jakobs begründet,
der die Zehntpraxis auf Jakob zurückführt? Möglich.
Nichtsdestotrotz liest sich das Gelübde als durchaus
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 28,10-22
stimmige Antwort im Alltag des Lebens auf die göttliche Verheißung. Es nimmt die Verheißung auf,
präzisiert sie im Blick auf die ausstehende Einlösung
der Verheißung. Ich mag darin keinen üblen Handel
sehen, als käme schon wieder der listige Betrüger
durch. Vielmehr ist es durchaus eine angemessene
Reaktion, ein Wort elementarer Lebenshoffnungen,
die zu ihrer Erfüllung der Hoffnung auf Gott bedürfen.
Gestaltung der Bibelarbeit
Thematischer Schwerpunkt
Jakob in Bet-El – das ist die Leitgeschichte für Gotteserfahrung inmitten der Nacht. Traum und Wort rufen
einander. Die Nacht ist Grundsymbol für verfinsterte
Lebenszusammenhänge. Gotteserfahrung ist die tragende Mitte aller Nacht-wendenden Momente. Die
Größe des Verheißungsworts und die kleinen Gnadenerfahrungen finden zusammen in konkreten Verortungen mitten im Leben Einzelner wie des Volkes
Gottes im Ganzen. Gnade erfahren, Segnungen empfangen und dabei über alles Erfahrene, Beglückende,
Erlittene hinaus sich der immer noch einmal größeren Gnade verbunden wissen, heißt im Glauben in
die Zukunft zu gehen in der Weisheit des »ICH – mit
dir«.
Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen;
ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann. …
Wird denn der Herr auf ewig verstoßen
und keine Gnade mehr erweisen?«
Im Laufe des Abends wendet sich die Landschaft.
Nach Durchgang durch die Jakobsgeschichte wird
zeichenhaft die Leiter auf den Kopf gestellt, ein
zweites Band wird entrollt über die Leiter weit in den
Raum, darauf die Verheißung aus Gen/1 Mose
28,13b-15 – oder auch nur, dann mehrfach wiederkehrend, Vers 15.
Karten mit Segenssprüchen/-wünschen vorbereiten, die am Schluss verteilt werden.
Liturgischer Beginn
Lied: Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes
Haus mich ein (EG 166; EmK 434)
Öffnen
Betrachtung mit Stille:
Gottes Orte in meinem Leben:
Wo ist mir Gott am wichtigsten geworden – in
welchen Situationen, in welchen Erfahrungen?
Denke ich an glückliche Zeiten dabei, erinnere ich
mich eher der Not?
Wie erlebe ich Anfechtung, wo bestimmt mich Zuversicht?
Begreifen
Vorbereitung/Raumgestaltung
Möglichst eine Sandlandschaft gestalten mit einzelnen Steinen, etwas Blattwerk dazu; eine Leiter, nach
oben gerichtet (man verwende eine, die gut aufliegt!),
darin ein Spruchband mit den Worten aus Psalm
77,4-5.8:
»Ich denke an Gott – und bin betrübt;
ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten.
Die Leitung gibt einen kurzen Rückblick auf den
Erzählzusammenhang, dann lautes Lesen von Gen/
1 Mose 28,10-22.
Verständnisfragen der TN beantworten und
Information geben über historische Hintergründe.
Danach Textbeobachtungen in Zweiergruppen oder
einzeln.
Öffnen für die Bedeutung von Traum und Zusagewort, für tiefe Erfahrungen, für Orte und
Momente, die Hoffnung geben.
Didaktisches Begleitheft 45
29
3 | Gesegnetes Erwachen
Folgende Fragen im TN-Heft sollen dabei helfen:
Die Situation: Betrachten Sie das Bild von Rembrandt. Was entdecken Sie? Was spricht Sie an?
Vergegenwärtigen Sie sich: ein Mensch auf der
Flucht, ruhelos und mit dunklen Nacht-Erfahrungen. Mit welchen Erfahrungen und Erlebnissen verbinden Sie diese Momente?
Der Schicksalstraum: Was bedeuten Ihnen
Träume? In welchen Schicksalsstunden Ihres
Lebens haben Sie eine geistige Neuorientierung
erfahren? Wer oder was half Ihnen dabei? Gibt es
Erfahrungen in Ihrem Leben oder Orte, an die Sie
sich gern erinnern, weil Sie dort einen tiefen Einklang mit sich selber fanden?
Die Verheißung: Gibt es Worte, Zusagen oder
Fügungen, die Ihnen im Leben besonders wichtig
wurden? Was bedeuten Ihnen die Bibelworte zu
Ihrer Taufe, Firmung/Konfirmation oder Trauung? Welche Verse aus Psalmen, Gedichten oder
aus dem Schatz der Sprichwörter sind Ihnen besonders wichtig geworden?
Das Denk-Mal: Jakob richtet den Stein zu einer
Mazzeba/Massebe, einem Kultstein auf. Aus ihr
wird das Heiligtum zu Bet-El/Bethel hervorgehen.
Was bedeuten Ihnen heilige/spirituelle Orte oder
Räume? – Wie handhaben Sie Ihre ganz persönlichen Erinnerungen? Gibt es Orte, an die sie
30
immer wieder zurückkehren, um innezuhalten,
Orientierung, geistige Stärke oder Gewissheit zu
schöpfen?
Gesegnetes Erwachen: Gibt es für Sie Momente
der Neuschöpfung oder der Rekreation, einmalige
oder wiederkehrende? Und gibt es für Sie Wege
zur Einübung in das Vertrauen, im Lichte der Verheißung immer wieder neu gesegnet in einen
neuen Morgen zu gehen, den Gott in Ihrem Leben
bereitet?
Die TN können auch die Frage mit bedenken: Wie
kann eine/unsere Kirche zum Ort der Gottesverheißung werden? Wie wünsche ich mir meine Kirche
als Gottes Haus?
Mitnehmen
Die TN bitten, die Steine aus der Sandlandschaft aufzunehmen und das Lied zu singen: Gott ist gegenwärtig (EG 165; EmK 337)
Den Segen guter Worte durch das Austeilen von
Segenskarten mit Zusageworten in die Hand geben.
Liturgischer Abschluss
Segensritual
Gang in die Stille
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Zwischenräume entdecken | 4
Jakobs Frauen und Kinder
Gen/1 Mose 29,1-35
Zum Text
Anscheinend haben die Frauen in der Frühzeit
Israels mehr Rechte gehabt als in der Königszeit
oder später. Die noch unverheiratete Rahel kann
ohne Schleier und gleichberechtigt unter den männlichen Hirten ihre Arbeit tun. Ob sich darin eine historische Erinnerung erhalten hat, oder ob die Autoren der Jakobsgeschichten hier ihre Vorstellung
eingetragen haben, ist gar nicht so wichtig. Die Leser
der Geschichte jedenfalls erfahren: Eine Frau kann
selbstständig neben Männern arbeiten.
Die Geschichte von Rahel und Lea zeigt auch, wie
das Leben von Frauen durch gesellschaftliche und
familiäre Normen, Sitten und Gebräuche beeinflusst
wurde. Ihr Schicksal wurde oft weitgehend durch das
bestimmt und geformt, was sie nicht selbst in der
Hand hatten. Dies zeigt sich schon ganz am Anfang
im Gespräch Jakobs mit den Hirten am Brunnen: In
Haran gelten spezielle Bräuche für die gemeinsame
Viehtränke. Jakob setzt sich übermütig über sie
hinweg. Er konnte sich schon in seiner Heimat nicht
mit dem Erstgeburtsrecht seines Bruders abfinden
und hat versucht, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Genauso verfährt er hier am Brunnen. Er
wird später noch mit weiteren Traditionen der Viehhaltung brechen (Gen/1 Mose 30,25-43). In diesen
Fällen hat er Erfolg mit seinem Versuch, es anders
und neu zu probieren. Er stößt jedoch an Grenzen,
als er versucht, auch die Heiratspraxis in Haran
außer Kraft zu setzen.
Sein künftiger Schwiegervater Laban hält sich dagegen an das, was üblich und erfolgversprechend ist,
jedenfalls was die Verheiratung seiner Töchter angeht. Und zwar aus ganz handfesten Gründen:
Frauen waren an der landwirtschaftlichen Arbeit beteiligt und leisteten damit einen Beitrag zur Existenz-
sicherung ihrer Herkunftsfamilie. Sie gehörten zum
Besitz ihres Vaters. Andererseits waren sie als Mütter
zur Sicherung der biologischen Existenz einer Familie unentbehrlich. Die Familie des Mannes, der Nachkommen haben wollte, musste daher ein Kompensationsgeld an die Herkunftsfamilie zum Ausgleich
für entgangene Arbeitsleistung zahlen. Mit diesem
Brautpreis ging die Frau in den Besitz ihres Ehemanns über.
In unserer Geschichte will Jakob die hübsche
Rahel zur Frau. Als Flüchtling kann er den üblichen
Brautpreis aber nicht aufbringen. Als Alternative verabredet er mit Laban seine Arbeitsleistung. Laban
nimmt – ganz auf seinen Erfolg bedacht – den Brautpreis an, den Jakob für die weniger attraktive Lea
vielleicht nicht bereit gewesen wäre aufzubringen
und schiebt sie ihm dann doch listenreich ins Ehebett. Wahrscheinlich wäre es sonst schwierig geworden, Lea zu verheiraten. Andererseits war es undenkbar, eine Frau unverheiratet zu lassen. Die Ehe war
die einzige Möglichkeit, eine Frau wirtschaftlich abzusichern.
Jakob ist entsetzt, als er den Betrug bemerkt, kann
sich aber nicht wehren. Er muss diesmal die Sitten
seines Gastlandes anerkennen und sich ihnen beugen. Lea ist und bleibt seine Frau. Allerdings gibt ihm
Laban die schöne Rahel nach Ablauf der Hochzeitswoche doch noch zur Ehe.
In der Kinderkirche wird manchmal der falsche
Eindruck erweckt, Jakob habe zunächst noch einmal
sieben Jahre für Rahel arbeiten müssen. Das ist ein
romantisches Märchen, das die große Liebe Jakobs
zu Rahel illustrieren soll. Die biblische Geschichte erzählt es anders: Nahezu gleichzeitig, im Abstand von
einer Woche bekommt er beide Schwestern zur Frau.
Nun müssen diese drei Menschen sehen, wie sie mit
dem fertig werden, was Herkommen, gesellschaft-
Didaktisches Begleitheft 45
31
4 | Zwischenräume entdecken
liche Normen und das wirtschaftliche Interesse
Labans ihnen auferlegt haben. Andere haben über
ihr weiteres Schicksal entschieden. In diesem Punkt
werden sich viele Hörerinnen und Leser der Geschichte wiedererkennen.
Die Einstellung zur Ehe in biblischer Zeit ist nicht
zu vergleichen mit dem romantischen Ideal, das bis
in unsere Tage gepflegt wird. Dass Liebe und Zuneigung der Partner eine Voraussetzung der Ehe sein
könnten, gilt auch in Europa erst seit knapp 200
Jahren als Ideal. Die Ehe war bis dahin eine sozialrechtliche Angelegenheit. In biblischer Zeit wurde
ein Vertrag zwischen den Familien geschlossen, der
beiden Partnern ihre Stellung gab und die materiellen Dinge regelte. Es wurde ein neuer (Besitz)stand
geschaffen. Diese gesellschaftliche Stellung wurde
gestärkt durch Kinder. Vor allem Söhne hoben das
Ansehen sowohl des Mannes als auch der Frau. Die
Ehe mit mehreren Frauen war normal, wenn ein
Mann sich dies leisten konnte. Eine Vorrangstellung
in der Familie hatte jene Frau, die den ersten Sohn
gebar. Mit ihm wurde die Hauptlinie des Stammbaums weitergeführt. Er machte seine Mutter zur
Hauptfrau, die für die wirtschaftlichen und sozialen
Fragen in der Familie tonangebend war. Die Hauptfrau war also keineswegs immer die am meisten
geliebte Frau des Mannes.
Obwohl romantische Vorstellungen von Liebe bei
der Eheschließung in der Regel keine Rolle spielten,
hatte die Ehe selbstverständlich auch damals emotionale Seiten. Die Geschichte von Rahel und Lea,
aber zum Beispiel auch die Auseinandersetzung
zwischen Sara und Hagar (Gen/1 Mose 16) zeigen
dies. Zwischen den Frauen in einer Familie kam es
zu Konkurrenz. Deshalb war in Israel später die Ehe
mit zwei Schwestern verboten (Num/4 Mose 18,18).
Die Beziehung zwischen Geschwistern sollte nicht
dadurch gefährdet werden, dass man Schwestern zu
Rivalinnen machte. In Haran galten aber anscheinend noch andere Sitten.
Die Geschichte von Lea und Rahel zeigt: Die
Schwestern waren Rivalinnen, wohl schon von Geburt an. Die eine war schön und liebenswert, die
32
andere unattraktiv, vielleicht schwermütig, vielleicht
sehbehindert (»mit matten Augen«, 29,17). Mit
dieser ungleichen Ausstattung mussten sie leben.
Kein Wunder, dass die eine auf das schaute, was die
andere hatte und sie nicht – erst recht, als sie mit
demselben Mann verheiratet wurden. Da kann Rahel
sich kaum an der Liebe ihres Mannes freuen, sie beneidet ihre Schwester um die Kinder, die sie nicht
haben kann (30,1). Lea wiederum kann sich nicht an
ihren Kindern freuen, sieht immer nur die Liebe des
Mannes, die nicht ihr, sondern der Schwester gilt.
Die Kinder werden ihr zum Mittel, vielleicht doch
noch seine Liebe, wenigstens aber seine Hochachtung zu erringen. Das zeigen die Namen, die sie
ihren ersten drei Söhnen gibt (29,32-34).
Auch das Vergleichen und miteinander in Konkurrenz Stehen werden die Hörer und Leserinnen
dieser Geschichte kennen und wissen, wie man
darunter leiden kann. Sie begreifen vielleicht auch,
wie Gott zugunsten der zurückgesetzten Lea eingreift
und ihr Kinder schenkt und damit einen wichtigen
Platz in ihrer Familie. Ihren vierten Sohn nennt sie
Juda, »nun will ich den Herrn preisen« (29,34).
Vielleicht kann sie da allmählich den Blick abwenden
von dem, was die andere hat, und hinwenden zu
dem, was ihr geschenkt ist. Und schließlich verhilft
Gott auch Rahel zu Söhnen, sodass anscheinend
auch sie sich mit ihrem Leben aussöhnen kann. Am
Ende, als es um die Existenz ihrer eigenen Familie
geht, stehen die beiden Frauen zusammen und bestärken Jakob darin, sich und die Familie auf eigene
Füße zu stellen (31,4-17). Mit ihrem Mut helfen die
beiden mit, dass aus Jakob, dem angestellten Hirten
in Haran, Israel wird – und Lea und Rahel die Mütter
der verschiedenen Volksstämme.
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1Mose 29,1-35
Gestaltung der Bibelarbeit
Thematischer Schwerpunkt und
methodische Fragen
In den beiden Frauen Lea und Rahel sind Erfahrungen festgehalten, die besonders Frauen in ihrem
Leben oft machen. Sie müssen hinnehmen, was das
Leben mit ihnen macht. Längst nicht alles hat man
selbst in der Hand. Vieles muss man ertragen,
erdulden, manches sogar bitter erleiden. Beide
Schwestern erleben, dass sie sich den Sitten und Gebräuchen ihres Landes beugen und die Konsequenzen der Entscheidungen tragen müssen, die
andere treffen. Lea und Rahel, die beiden Schwestern, müssen zudem mit ihrer unterschiedlichen
»Begabung« fertig werden und miteinander leben.
Die Geschichte von Lea und Rahel zeigt, wie es
Menschen gehen kann, die den Zeitläuften, den
moralischen oder gesellschaftlichen Zwängen ihrer
Zeit, ausgeliefert sind. Ihre Geschichte zeigt aber
auch: Am Ende eines solchen Lebens wird zwar nicht
alles gut. Aber mit Gottes Hilfe kann das Bestmögliche daraus werden. Und vor allem: Gottes Geschichte geht weiter, gerade durch und in solchen
Menschen, die vom Leben geschoben und manchmal
sogar aus der Bahn geworfen werden. Das hat
Frauen, das hat Menschen durch die Jahrhunderte
Mut gemacht. Wahrscheinlich deshalb wird ihre
sonst so fremde Geschichte bis heute weiter erzählt.
Fremd? Ja, Texte, die zweieinhalbtausend Jahre alt
sind und von Lebensverhältnissen erzählen, die noch
viel länger vergangen sind, sind zunächst fremd für
Menschen, die für ihr gegenwärtiges Leben Orientierung, Trost, Hilfe erwarten. Wie soll man die finden?
Der Jenaer Professor für Praktische Theologie Klaus
Peter Hertzsch zitiert Goethe: »den Gehalt findet nur
der, der etwas dazuzutun hat«. Erst wenn Hörende
oder Lesende ihre eigene Wirklichkeit im biblischen
Text erkennen, finden sie, was sie brauchen und suchen. Wo sie das können, wird das Gehörte ihnen
wichtig, interessant im eigentlichen Wortsinn (lateinisch inter esse heißt: dazwischen sein!). Wirkliches
Hören ist schöpferisch: Die/der Angeredete gibt
etwas von den eigenen Erfahrungen, Gedanken und
Gefühlen hinzu, bringt etwas ein. Die Bibelarbeit
sollte die Möglichkeit dazu eröffnen.
Als Hilfe, sich selbst und die eigenen Erfahrungen
in biblische Geschichten einzubringen, hat Uta PohlPatalong die Methode des Bibliologs bekannt gemacht (siehe Literaturverzeichnis S. 51). Sie geht zurück auf die jüdische Schriftauslegung. In jedem
Text, in jeder Geschichte gibt es Zwischenräume,
Gedanken, die nicht erzählt werden, Fragen, die sich
stellen, die aber nicht beantwortet werden. Den
Rabbinen ging es darum, auch dieses »weiße Feuer«
sichtbar zu machen, das zwischen dem schwarzen
Feuer der Buchstaben leuchtet. Im Gegensatz zum
Bibliodrama bleibt beim Bibliolog das Denken
immer in dem Rahmen, den der geschriebene Text
setzt. Ein Abweichen von dem in der Bibel dargestellten Verlauf der Geschichte ist nicht vorgesehen.
In die Zwischenräume, die der Text lässt, tragen
die TN sich selbst mit ihren Erfahrungen und Fragen
ein und können auf diese Weise den Glaubenserfahrungen der Menschen von damals begegnen,
ihnen nachspüren, sie verstehen und vielleicht dadurch bewegt werden.
Vorbereitung/Materialien
Stifte und Papier oder mehrere Karteikarten für
jede/n TN.
Liturgischer Beginn
Lied: Manchmal kennen wir Gottes Willen (GL 299;
EG-Regionalteile Baden-Elsass-Lothringen-Pfalz 642,
Niedersachsen-Bremen-Oldenburg 594, Österreich
633, Württemberg 626 – alle EG-Regionalteile sind
enthalten auf der CD-ROM: EG elektronisch; nähere
Angaben im Literaturverzeichnis S. 51)
Didaktisches Begleitheft 45
33
4 | Zwischenräume entdecken
Öffnen
Fragen an die TN (in einer Phase der Ruhe – ca. fünf
Minuten, evtl. mit Musik – notieren die TN ihre Erinnerungen in Stichworten auf Zettel):
Vieles in meinem Leben habe ich nicht selbst in
der Hand, vieles konnte oder kann ich nicht selber
beeinflussen. Wo ist mein Leben durch andere
Menschen, durch vorbestimmte Lebensverhältnisse oder ungeplante Ereignisse geprägt worden?
Wie bewerte ich diese Einflüsse auf mein Leben?
Sind das Einschränkungen oder hat mich das weitergebracht?
Wie hat sich Ihrer Meinung nach Gott an solchen
Punkten, in solchen Lebensabschnitten bemerkbar gemacht?
Begreifen
1. Die TN lesen den ganzen Text zunächst für sich
und notieren sich reine Verständnisfragen. Diese
werden in einer ersten Runde von der Leitung beantwortet oder – wenn zu weit gehend – zurückgestellt.
2. Die Leitung erklärt die Methode des Bibliologs:
Alle TN sollen sich bei jedem Abschnitt in eine bestimmte Figur dieses Textes hineinversetzen (alle in
die gleiche Figur). Sie werden dann in dieser Rolle
etwas gefragt und können als diese Gestalt antworten. Die Leitung wiederholt die einzelnen Äußerungen sprachlich, sodass die TN durch dieses
»Spiegeln« sich noch ein wenig besser selbst verstehen können, fragt vielleicht auch nach. Dann
werden andere Äußerungen zu derselben Frage laut,
die nebeneinander stehen bleiben. Es gibt dabei
keine »falschen« Aussagen, sondern nur wertvolle
Entdeckungen. Jede/r TN darf, aber niemand muss
sich laut äußern. Es ist nicht das Ziel, zu einer eindeutigen Aussage oder zu einer repräsentativen
Befragung aller TN zu gelangen. Wie die jüdische
Schriftauslegung des Midrasch lässt der Bibliolog
unterschiedliche Antworten nebeneinander zu, die
nicht harmonisiert oder hierarchisiert werden
34
müssen in dem Wissen, dass Gott immer größer ist
als jede Deutung, die Menschen vornehmen.
3. Jetzt wird der Text abschnittsweise (Gliederung
siehe TN-Heft) von der Leitung vorgelesen. Danach
stellt sie Fragen an die Personen, die im Text vorkommen, die TN versuchen ihre jeweilige Antwort
zu geben. (Fragen sind im TN-Heft formuliert;
natürlich kann die Leitung des Bibliologs auch eigene
Fragen stellen.) Wichtig ist, dass Fragen und Antworten nicht bewertet werden. Die TN sollen keine
»richtige« Antwort suchen, sondern herausfinden,
wie sie in der im Text beschriebenen Situation
denken, reden, handeln würden. Der Vergleich verschiedener Möglichkeiten bringt neue Ideen und
Erkenntnisse für alle.
Mitnehmen
Jede/r TN kann einen Wunsch, evtl. ein Gebet
schriftlich formulieren für
Menschen, die wie Rahel …
Menschen, die wie Laban …
Menschen, die wie Lea …
Menschen, die wie Jakob …
Die Wünsche/Gebete, werden eingesammelt, eine
Kerze wird angezündet. Nach einer kurzen Stille werden sie vorgelesen bzw. gebetet.
Liturgischer Abschluss
Lied: Abend ward, bald kommt die Nacht (EG 487,1-4;
EmK 631,1-3.5)
Segensritual
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Handeln auf Gottes Zusage hin | 5
Jakob kommt zu Reichtum
Gen/1 Mose 30,25-43
Zum Text
Aufbau und Einzelauslegung
Kontext und Abgrenzung
30,25-34: Die Lohn-Verhandlungen
Nach der Geburt Josefs formuliert Jakob seinen
Wunsch zur Rückkehr, der als logische Konsequenz
der in Bet-El empfangenen Verheißung erscheint.
Seine Bitte um ein Ausscheiden aus Labans Dienst
wird durch das Verb »loslassen/freilassen« ausgedrückt, das auch im Zusammenhang mit der Freilassung von Sklaven bzw. Abhängigen auftaucht. Die
förmliche Bitte an den Schwiegervater, ihm seine
Frauen und seine Kinder herauszugeben, zeigt, dass
sein Anspruch darauf umstritten ist (vgl. Gen/1 Mose
31,29.31.42.43). Obwohl er dies weiß, betont Jakob
gegenüber Laban mehrfach die Rechtmäßigkeit
seines Anspruchs, indem er auf seinen ihm geleisteten Dienst verweist (arbeiten/dienen bzw. Arbeit/Dienst erscheint dreimal in 30,26, einmal in
30,29).
Mit Laban steht Jakob ein Verhandlungspartner in
stärkerer Position gegenüber, der, wie er selbst, auf
seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Er will Jakob aufgrund der Vorteile, die ihm dessen Dienst eingebracht hat, halten, auch wenn er diesen Wunsch an
keiner Stelle direkt formuliert. Die Doppelungen in
30,26-29 lassen sich als Ausdruck dieser Verhandlungssituation interpretieren. Das Angebot, Jakob
könne sich selbst einen Lohn wählen, verweist auf die
erste Lohnverhandlung in 29,15-19. Damit klingt zugleich der frühere Betrug Labans als Hintergrund
dieser Verhandlung an.
In seiner schwächeren Position greift Jakob zu
einer List: Seine erste Entgegnung, Laban solle ihm
nichts geben (30,31), scheint diesem Vorteile einzubringen. Auch Jakobs detailliert formulierte Bedingung, alle mehrfarbigen bzw. schwarzen Tiere für
Gen/1 Mose 30,25-43 beschreibt Jakobs Kampf um
seine familiäre wie wirtschaftliche Unabhängigkeit von
Laban. Die Erzählung erscheint als Fortführung des
vorangehenden Konflikts um Jakobs Frauen, insofern
Jakob und Laban hier erstmals nach 29,14b-30 wieder
gemeinsam auftreten und die Verhandlung um Jakobs
Lohn (29,15.18b) erneut aufgegriffen wird.
Auch mit dem Folgenden ist der Text eng verwoben: Zwar lässt sich die Notiz in 30,43 als Abschluss des mit Jakobs Sorge um sein eigenes Haus
(30,25) eröffneten Spannungsbogens verstehen. Die
Auseinandersetzung mit Laban aber setzt sich bis zur
endgültigen Trennung zwischen Jakob und Laban in
32,1 fort.
Neben Bezügen zu den benachbarten Texten
finden sich Verknüpfungen zum weiteren Kontext
der Jakobserzählung: Sowohl die Anspielung auf
Jakobs Nachkommenschaft (25) als auch sein Besitzgewinn (43) verweisen auf die in Bet-El gegebene
Verheißung (28,10-22). So erscheint der Gewinn eigener Herden parallel zum Gewinn einer zahlreichen
Nachkommenschaft (29,31–30,24) als Resultat des
Gottessegens.
Einzelheiten der Textentstehung sind in der
Forschung umstritten. Für die Interpretation von
30,25-43 ist wichtig, dass jene Textelemente, die
einen Verweis auf den Segen Gottes tragen, nicht ursprünglich sind (vgl. Einleitung, S. 11–13). Daher
kann die »Segensschicht« als erste Interpretation
einer älteren Erzählung durch den Bibeltext selbst
verstanden werden.
Didaktisches Begleitheft 45
35
5 | Handeln auf Gottes Zusage hin
sich behalten zu wollen, scheint Laban zum Vorteil
zu gereichen: Er erklärt seine Zustimmung.
Aus der Formulierung von 30,32-33 selbst ist nur
schwer ersichtlich, ob Jakob den sofortigen Besitz der
mehrfarbigen Tiere beansprucht oder erst alle nachgeborenen. Ebenso kann der hebräische Text sowohl
dahingehend interpretiert werden, dass Laban die
Tiere aussondern soll, wie auch dahingehend, dass
Jakob selbst diese Aussonderung vornehmen will.
Daher muss die Wegführung der Tiere durch Laban
noch am selben Tag (35) keinen Bruch der Vereinbarung darstellen. Die sich für Jakob ergebenden
Schwierigkeiten jedoch sind offensichtlich: Mit dem
Aussortieren der Herden und ihrer Wegführung
entzieht Laban Jakob die Züchtungsgrundlage für die
ihm zugesagten Tiere. Dass Laban in 35 sogar noch
weitere als die in 32-33 genannten Tiere aussondert,
nämlich alle weißen Tiere, deutet darauf hin, dass er
dies deshalb tut, um Jakob die Züchtung gescheckter
Tiere zusätzlich zu erschweren. Der »Sicherheitsabstand« von drei Tagesreisen zwischen den Herden
unterstreicht dies.
30,35-42: Die sogenannte »Hirtenlist«
Aufgrund der Maßnahmen Labans scheint die Zeugung mehrfarbiger und dunkler Tiere für Jakob unmöglich zu sein. Der fällt jedoch nicht entmutigt in
die alte Abhängigkeit zurück. Jakob wird vielmehr
unmittelbar aktiv. Sein in 30,37-42 beschriebenes
Vorgehen ist allerdings nur schwer erklär- und
durchschaubar; es verwundert daher nicht, dass in
der Forschung unterschiedliche Deutungen kursieren: Während einige Exegeten magisches Denken
im Hintergrund vermuten, erklären andere, der Text
selbst konstruiere keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Jakobs Handeln und dem Züchtungserfolg. Gottes Wirken stehe im Vordergrund, die
Handlung selbst begleite dieses lediglich.
Die Erzählung jedenfalls zeigt, dass Jakob Erfolg
hat: Es kommt zur Zeugung mehrfarbiger Tiere, aus
denen Jakob eigene Herden bilden kann. Bemerkenswert ist, dass Jakobs Vorgehen bei Verhandlung
36
und Züchtung hier als wirksame Eigeninitiative erscheint, mit der er sich aus seiner unterlegenen Position befreit. Eine göttliche Intervention wird hier an
keiner Stelle erwähnt – im Gegensatz zu 31,10-13, wo
Jakob sich ausdrücklich auf ein Versprechen Gottes
beruft und die Geburt der Tiere als Ergebnis des
Befreiungshandelns Gottes deutet. Die Eigenständigkeit des Handelns Jakobs wird auch in der Wortwahl des hebräischen Textes deutlich: »dienen« –
jenes Wort, das am Anfang (26) die sklavische Abhängigkeit Jakobs von Laban kennzeichnet – tritt nun
nicht mehr auf. Schon jetzt, lange vor der endgültigen Trennung von Laban, hat Jakob durch sein
eigenverantwortliches Handeln Freiheit gewonnen.
Und doch ist die Erzählung nicht glatt und einfach:
Wenn Jakob die Nachkommenschaft der Tiere so manipuliert, dass Laban die schlechteren und schwächeren
Tiere zukommen (41-42), bleibt ein Stachel bestehen:
Er erzielt seinen Gewinn auf Kosten Labans.
30,43: Abschlussnotiz
Der Vers markiert den erfolgreichen Abschluss von
Jakobs Bemühungen um eigenen Besitz. Das Verb
»durchbrechen« (in der neuen Zürcher Bibel: »breitete sich aus«, bei Luther und in der EÜ nicht mehr
erkennbar in dem Passiven »wurde reich«) stellt
einen Bezug zur Mehrungsverheißung in 28,14 her
(»du wirst durchbrechen nach Westen und nach
Osten …«). Die Versprechen Jahwes gegenüber Jakob
haben – bis auf die sichere Rückkehr, um die es in
den Kapiteln 31–32 gehen wird – ihre Erfüllung
gefunden.
Gestaltung der Bibelarbeit
Thematischer Schwerpunkt
Der Text stellt das Handeln Jakobs in den Kontext der
Segensverheißung. Unter dem Vorzeichen von
Gottes Zusage in Bet-El wird das gelingende Handeln
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 30,25-43
Jakobs einerseits von dem Verdacht, bloßer Zufall
oder Glück zu sein, befreit. Andererseits wird die
Vorstellung negiert, glückendes und Freiheit schenkendes Handeln könne unabhängig von Gott gewonnen werden. Jakobs Aktivsein wird vielmehr verstanden als menschlicher Beitrag zur Erfüllung der
Verheißung Gottes. Er vertraut auf Gottes Zusage;
aber dieses Vertrauen befreit Jakob nicht von seiner
eigenen Verantwortung. Er entfernt sich nicht sorglos von Laban in blinder Hoffnung, Jahwe werde –
aufgrund der an ihn ergangenen Verheißung – schon
für ihn sorgen. Im Gegenteil: Jakob bietet selbst alle
Anstrengung auf; das Gelingen seiner Anstrengung
aber liegt in der Hand Gottes.
Vorbereitung/Materialien
Material für eine Barriere (Ziegelsteine, Stacheldraht
oder große Kartons), alte Tücher, Sterne aus Papier
oder Goldfolie; drei Karten mit den Schlagworten
»ausweglos?«, »Auftrag«, »Verheißung«; Blätter und
Stifte für alle TN; Kerzen/Teelichte und Streichhölzer
Raumgestaltung
Aus Ziegelsteinen, einer Rolle Stacheldraht oder
Kartons wird eine Barriere errichtet. (Da am Schluss
Kerzen an der Barriere entzündet werden sollen, ist
es ratsam, darunter einige alte Tücher zu legen.) Auf
einer Seite der Barriere werden Sterne ausgelegt, die
die Verheißung repräsentieren.
Liturgischer Beginn
Lied: Herr gib uns Mut zum Hören (GL 521; EGRegionalteile Bayern-Thüringen 588, Reformiert/
Rheinland-Westfalen-Lippe 605; EmK 321)
Öffnen
Der Text wird zunächst laut vorgelesen. Anschließend haben die TN max. fünf Minuten Zeit,
um sich persönlich mit dem Text auseinanderzusetzen. Sie können im TN-Heft markieren, welche
Stellen sie ansprechen (+), welche ihnen fremd oder
unklar sind (?) oder sie sogar abstoßen/ärgern ( ).
Nach einer zweiten Lektüre des Textes bis einschließlich 31a (»Was soll ich dir geben?«) wird im
Plenum eine kurze Rückblende durch das Vortragen
von drei Zitaten aus den Kapiteln 28 und 29 eingeschoben (Texte im TN-Heft bei den Einheiten 4, 5
und 3). Für jeden Text wird eine Karte in der gestalteten Mitte platziert, die den eingespielten Aspekt
repräsentiert:
Gen/1 Mose 29,18-28 lesen, dann die Karte »ausweglos?« hinlegen
Gen/1 Mose 28,1-4 lesen, dann die Karte »Auftrag«
hinlegen
Gen/1 Mose 28,13-16 lesen, dann die Karte »Verheißung« hinlegen
Begreifen
Die TN erhalten Blätter und Stifte, um ihre Gedanken
zur Selbstreflexion (TN-Heft S. 20–21) zu notieren.
Sie werden gebeten, sich einzeln oder in kleinen
Gruppen mit einem oder mehreren Impulsen auseinanderzusetzen.
Einstiegsfragen für die anschließende Zusammenführung der Impulse und den Austausch im Plenum
können sein:
Haben die Impulse mir Jakob näher gebracht?
Finde ich mich in bestimmten Aspekten der Erzählung wieder?
Wo bleibt mir Jakobs Verhalten völlig fremd?
Didaktisches Begleitheft 45
37
5 | Handeln auf Gottes Zusage hin
Mitnehmen/Liturgischer Abschluss
Segen
Gott schenke dir die Freiheit,
dein Leben in die Hand zu nehmen.
Gott schenke dir den Mut,
dich für deine Freiheit und für die Freiheit deines
Nächsten einzusetzen.
Gott sei dir lebendiger Atem in der Bedrängnis,
er weite dein Herz und mache deinen Kopf frei.
Gott behüte dich und sei dir nahe,
damit du als freies Gotteskind leben kannst.
Es segne dich der barmherzige Gott,
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
38
Ritus
Die TN sollen abschließend – je für sich – die
folgende Frage beantworten:
Was ist das Ziel, auf das ich zugehen will?/Für
welches Ziel möchte ich kämpfen?
Nach einer kurzen Bedenkzeit (eine Minute) kann
jede/r für sein Anliegen/Ziel in der Mitte ein Teelicht
entzünden. In dieser Zeit bleibt es still.
Lied: Meine engen Grenzen (EG-Regionalteile
Hessen 584, Österreich 574, Reformiert-RheinlandWestfalen-Lippe 600, Württemberg 589; EmK 328 –
enthält nur Verse 1.2.4 aus EG)
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Wer ist Gott? | 6
Jakobs Furcht vor Esau. Der Kampf am Jabbok
Gen/1 Mose 32,2-33
Zum Text
Der Zusammenhang des Textes
Gen/1 Mose 32,2-33 kann inhaltlich in zwei Teile aufgeteilt werden:
1.) 32,2-22: Vorbereitungen Jakobs auf das Wiedersehen mit Esau
2.) 32,23-33: Kampf am Jabbok.
In der Exegese wurde lange Zeit eine klare Quellenscheidung im ersten Teil des Kapitels angenommen.
So wurden 32,4-14a dem Jahwist zugeordnet und
32,14b-22 dem Elohist. Von dieser klaren Aufteilung
wendet sich die neuere Forschung ab und verweist
stattdessen auf eine Grundschicht und Ergänzungen.
(Dazu, dass die Quelle Elohist obsolet geworden ist,
vgl. die exegetische Einführung von Alexander Fischer S. 11–12.)
Bei 32,23-32 ging man davon aus, dass eine ursprünglich eigenständige Erzählung zugrunde liegt,
die erst später in die Jakobserzählungen eingefügt
wurde. Im Folgenden soll von der überlieferten Endfassung des Kapitels ausgegangen werden; literarkritische Überlegungen werden nur am Rand auftreten. Im Mittelpunkt stehen die Dramaturgie des
Kapitels 32, die in verschiedenen Stufen auf die Begegnung zwischen Esau und Jakob hinführt, und die
Verbindungslinien in die gesamte Jakobsgeschichte.
Gen/1 Mose 32,1-33 ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern enthält ebenso den Aspekt der
Volksgeschichte. In Gen/1 Mose 25 wurde Esau mit
Edom gleichgesetzt, in 32,29 Jakob mit Israel. Es geht
nicht nur um zwei Brüder, sondern zugleich auch
um zwei Völker. Beide Völker hatten laut biblischem
Befund ein ambivalentes Verhältnis. Es gibt Hin-
weise auf Feindschaft zwischen ihnen und auf ein
friedliches Nebeneinander. Diese ambivalenten Beziehungen spiegeln sich in der Jakobsgeschichte, so
auch in 32,1-33. Da die Bibelarbeit einen anderen
Schwerpunkt legt, wird der volksgeschichtliche Aspekt im Folgenden aber nicht mehr thematisiert.
Abgrenzung des Textes
Gen/1 Mose 32,1 schließt nahtlos an 31,54 an und
bildet so den Abschluss des Jakob-Laban-Erzählkreises. Der Vers wird in der Einheitsübersetzung
noch dem vorangehenden Kapitel zugeordnet, die
Lutherübersetzung weist darauf hin, dass er auch als
Vers 31,55 gezählt wurde.
Mit 32,2 beginnt ein neuer Abschnitt, in dem eine
offene Begegnung Jakobs mit Boten Gottes geschildert wird. Im Anschluss daran bereitet sich Jakob (ab
32,4) auf die erneute Begegnung mit seinem Bruder
Esau vor. Die Kapitel 32–33 umfassen Vorbereitung
und Begegnung mit Esau, sodass erst mit 34,1 thematisch ein neuer Abschnitt beginnt.
Einzelexegese
32,2-3: Die Begegnung mit den Boten
Gottes
Jakob hat nach seinem Aufbruch eine merkwürdige
und zugleich offene Begegnung. Jakob sieht Boten
Gottes, ein Heerlager Gottes, wie er es nennt. Die
Boten sprechen aber nicht mit Jakob; sie haben keine
Botschaft für ihn, noch segnen sie ihn oder begleiten
ihn auf seinem Weg. Aufgrund dieser Begegnung
nennt Jakob den Ort, an dem dies geschehen ist,
Didaktisches Begleitheft 45
39
6 | Wer ist Gott?
Mahanajim (Doppellager; vgl. exegetische Einführung S. 10). Außer dieser Ätiologie (Herkunftslegende) gibt es inhaltliche Verbindungen: In der
Nacht, als er das Land auf der Flucht vor seinem Bruder Esau verlassen muss, begegnen Jakob im Traum
Engel (28,11-15). Nun, vor der verheißenen Rückkehr
und dem Wiedersehen mit Esau, begegnen ihm erneut göttliche Boten. Diese Begegnungen bilden also
den Rahmen um die Zeit Jakobs in der Fremde. Zeichenhaft stehen sie für die göttliche Präsenz und den
Schutz Gottes für Jakob.
32,4-22: Die Vorbereitung auf die
Begegnung mit Esau
Ohne konkreten Zusammenhang zur vorhergehenden Szene schickt Jakob seinem Bruder Esau Boten
entgegen. Sprachlich sind die beiden Textstücke
allein durch das Wort Boten verbunden. Thematisch
sind die beiden Szenen durch je eine Begegnung verbunden. Wie die Begegnung mit den Boten Gottes
für sich steht und ihr Ergebnis offen bleibt, ist auch
die Begegnung Jakobs mit seinem Bruder Esau vom
Ergebnis her völlig offen.
Im Wortlaut der Botschaft, die Jakob seinen
Knechten aufträgt, kommt eine diplomatische und
eher unterwürfige Sprache zum Ausdruck. Entgegen
der Geburtsverheißung aus Gen/1 Mose 25,23, als
Jakob verheißen wurde, dass sein älterer Bruder ihm
dienen werde und entgegen des väterlichen Segens
aus 27,29, in dem es hieß, dass Jakob Herr über seine
Brüder wird, bezeichnet Jakob sich selbst hier als
Diener Esaus (32,5). Jakob kehrt die Verheißungen
bewusst um und versucht so, Esaus Gnade zu erlangen.
Die Erzählung ist an dieser Stelle recht kurz; diese
Kürze intensiviert die Spannung der Erzählung. Mit
der Sendung der Boten war die Hoffnung Jakobs verbunden, sich friedlich mit dem Bruder einigen zu
können. Umso erschreckender die Nachricht, dass
ihm Esau mit 400 Mann entgegenzieht. In der Angst
Jakobs kommt die Vergangenheit der beiden Brüder
zum Ausdruck, sie setzt den Betrug aus 27,41 voraus.
Doch die Angst lähmt Jakob nicht in seiner Hand-
40
lungsfähigkeit. Er beschließt, sein Lager in zwei Teile
zu teilen. Diesen Gedanken schöpft er aus seinem
Blick auf das Doppellager der Boten Gottes, Mahanajim (s.o. bzw. S. 10). Durch die Bildung von zwei
Lagern soll im Fall eines Angriffs ein Lager gerettet
werden.
Das anschließende Gebet Jakobs in 32,10-13 wird
von einigen Forschern als redaktionelle Einfügung
angesehen, weil es die Handlung unterbreche und
für deren Fortgang nicht von Bedeutung sei. Aber
genau weil es unterbricht, entschleunigt es die Handlung und lässt sich so als ein dramaturgisches Stilmittel verstehen. In dem Gebet wird die große Gefährdung Jakobs deutlich. In seiner Angst und Not
wendet er sich an Gott. Das Gebet beginnt mit der
Anrede Gottes als Gott der Väter, der Jakob die Rückkehr verheißen hat. Die Nennung der Väter verweist
zugleich darauf, dass es nicht um die Bitte nach Erhalt des Vermögens geht, sondern um die Zukunft
des Hauses Abrahams und Isaaks – und damit um
die Söhne Jakobs. Das Zentrum des Gebetes ist die
Bitte nach Rettung aus der Hand des Bruders in 12,
nach Rettung der »Mutter samt den Kindern«. Einen
klaren Rahmen bilden 10c und 13a mit der Zusage
Gottes: »Ich werde dir Gutes tun.«
Zum ersten Mal in der hebräischen Bibel bezeichnet in 11a ein Mensch, Jakob, sich selbst als Knecht/
Diener Gottes. In 11b nennt Jakob den Jordan als den
Fluss, den er einst bei seiner Flucht überquerte und
nun wieder überqueren muss. Dem stehen die topografischen Angaben Mahanajim und Penuël entgegen, sie verweisen auf den Jabbok als Grenzfluss.
Auch das Wortspiel der beiden Namen ja‘aqob und
jabboq und der Wurzel jqb (ringen, spalten), die den
Kampf am Jabbok bestimmen wird, deuten darauf
hin, dass die Szene am Jabbok spielt. Der Jordan ist
dann nicht als Ortsangabe zu verstehen, sondern als
ein Symbol für die Überschreitung einer Grenze. Bei
seiner Flucht musste Jakob eine Grenze überschreiten und nun, vor seiner Rückkehr, muss er dies erneut wagen.
Nach dem Gebet tritt mit 14a eine kurze Ruhephase im Text ein, die aber nur einen Halbsatz anhält
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 32,2-33
(»und jene Nacht blieb er dort«). Die innere Getriebenheit Jakobs treibt die Handlung erneut voran.
Mit reichen Geschenken (hebr. mincha) will Jakob
Esau entgegenkommen (14b.19a). Das Wort mincha
bedeutet nicht nur Geschenk, sondern bezeichnet
auch eine Art des Opfers. Dies legt nahe, dass der
Zorn Esaus mit einem Opfer beschwichtigt werden
soll. Zugleich zeigt sich spätestens in 19a die Haltung, die Jakob seinem Bruder gegenüber hat. Er
stellt sich als der Untergebene dar, der die Gnade
seines Herrn nur durch ein Opfer, durch Geschenke
erlangen kann. Wieder wird eine Umkehrung der Geburtsverheißung und des väterlichen Segens deutlich.
In 21 nimmt der hebräische Text mit dem Wort
panim (= Angesicht) ein Wortspiel auf, das leider in
der Zürcher Übersetzung nicht zum Ausdruck
kommt. Die Übersetzung von Buber/Rosenzweig
spiegelt dieses Wortspiel schön wider: »Denn er
[Jakob] sprach zu sich: Bedecken will ich sein Antlitz
mit der Spende, die vor meinem Antlitz geht, danach
will ich sein Antlitz sehn, vielleicht hebt er mein
Antlitz empor. Die Spende schritt seinem Antlitz
voraus, er aber nächtigte in jener Nacht im Lager.« –
Hier wird mit dem Wort »Angesicht« gespielt und
die Vorstellungskraft des Hörers herausgefordert.
Das Bedecken des Angesichts Esaus durch Geschenke, die vor dem Angesicht Jakobs herziehen,
sollen Esau zur Versöhnung führen, ja ihm vielleicht
den Blick auf die Vergangenheit verstellen und den
Betrug vergessen machen. Esau soll Jakobs Angesicht erheben (= ihm gnädig sein), also ihm verzeihen. In 33,10, dem Kernvers des dritten Dialogs
mit Esau (siehe S. 46–47), wird panim erneut verwendet, sodass das Wort eine direkte Verbindung zur
Versöhnungsgeschichte mit Esau schlägt.
Die erneute Wiederholung, dass Jakob die Nacht
im Lager verbringt (22), wird von manchen Exegeten
als ein Indiz für die angenommene Dublette von
32,4-14a und 32,14b-22 gesehen. Die Doppelung
kann aber auch als stilistisches Mittel angesehen
werden, das nach dem Gebet und 32,14a eine erneute
Ruhephase in die Erzählung bringen soll.
32,23-33: Kampf am Jabbok
Die Erzählung über die Vorbereitung der Begegnung
und des tatsächlichen Aufeinandertreffens der beiden Brüder wird durch den Kampf am Jabbok unterbrochen. Die Unterbrechung ist offensichtlich. Der
Text wirft viele Fragen auf, er bleibt geheimnisvoll,
wie auch der Mann, der Jakob überfällt.
Aus der archaischen Gestalt der Erzählung und
der klaren Unterbrechung der Begegnungsgeschichte wurde häufig geschlossen, dass dieser Szene
eine ursprünglich eigenständige Erzählung zugrunde liegt, die erst später in den Jakob-Esau-Zyklus
eingefügt wurde. Auf der anderen Seite fügt sich die
Erzählung durch viele Bezugspunkte und mehrere
Wortverbindungen gut in den Kontext von Gen/
1 Mose 32 ein. Dies belegen folgende Beobachtungen:
1. Das zeitliche Gerüst ist ein Gestaltungsmotiv: Die
Szene beginnt in der Nacht (23), geht über die
Morgenröte (25.27) hinweg und dauert bis zum
Sonnenaufgang (32) an. Entsprechend dazu begann die Geschichte der Flucht vor Esau bei
Untergang der Sonne (28,11) und nun beginnt der
letzte Akt, der Akt der Versöhnung, beim Aufgang
der Sonne.
2. Durch das hebräische Wort panim (= Angesicht),
das am Ende die Deutung des Kampfes liefert
(»ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen«, 32,31), ist die Erzählung mit dem Kontext
(vor allem 33,1-17) verbunden.
3. Ein weiteres Wort, das die Episode mit dem Kontext verbindet, ist avar (= vorüberziehen), das in
32,17.22.23.24.32 und 33,2.14 vorkommt (Näheres
dazu in Einheit 7, S. 45).
4. Durch das Thema Segen wird 32,23-33 in den gesamten Jakob-Esau-Erzählkreis eingebunden. In
27,1-45 bedeutete das Erschleichen des Segens den
Abbruch der Beziehung zwischen den Brüdern
Esau und Jakob. In 32,23-33 ist das Erringen des
Segens die Voraussetzung für den Neuanfang der
beiden Brüder.
All diese Beziehungslinien lassen den Schluss zu,
dass dieser Text für den Zusammenhang des JakobEsau-Erzählkreises komponiert wurde. Dass dieser
Didaktisches Begleitheft 45
41
6 | Wer ist Gott?
Komposition eine ältere Sage zugrunde liegt, ist
trotzdem nicht ausgeschlossen.
Nach der kurzen Ruhephase in 32,22 beginnt
Jakob, getrieben von seiner Angst, mitten in der
Nacht seine Familie in Sicherheit zu bringen. Danach
bleibt Jakob allein am Jabbok zurück (25a). Aus der
Tiefe der Nacht kommt ein Mann, der mit ihm ringt
(hebr. jqb; 25b). In 26 treten gehäuft Personalpronomen der 3. Person Singular auf, sodass nicht klar
wird, wer von den beiden dem anderen nicht beikommt. Diese Uneindeutigkeit passt zu der Szene.
Der Leser wird sprachlich in die Nacht am Jabbok
geführt. Im Dunkeln bleibt unklar, wer der Angreifer
ist. Die Erzählung lässt diese Frage offen.
Auch die Bitte Jakobs (»nenne mir deinen Namen«) bleibt unbeantwortet. Den Fremden umgibt
etwas Geheimnisvolles. Er kommt mitten aus der
Nacht und verschwindet ebenso. Er überfällt Jakob,
kann ihm aber nicht beikommen. Bei der Morgendämmerung will er fliehen, doch Jakob lässt ihn
nicht. Er will von dem Fremden gesegnet werden,
erst dann will er ihn loslassen. Nur mit einem gewaltsamen Schlag auf die Hüfte Jakobs kann sich der
Fremde wehren. Schließlich gibt er Jakob einen
neuen Namen, nicht mehr Jakob (= Fersenhalter,
Hinterlistiger) soll er heißen. Jetzt soll er Israel (jsr el
= streiten mit Gott) heißen, dieser Name »Gottesstreiter« eröffnet Zukunft. Mit dieser Umbenennung
und der Deutung »denn du hast mit Gott und mit
Menschen gestritten und hast gesiegt« (29) gibt sich
der Fremde ein erstes Mal zu erkennen.
Doch auf das »nenne mir deinen Namen« antwortet er nicht. Stattdessen segnet er Jakob und verschwindet. Wer ist der Fremde, der Jakob an der Furt
des Jabboks überfiel? Ganz unterschiedliche Antworten wurden schon auf diese Frage gegeben:
Zunächst legt der Text die Deutung nahe, dass
Gott der Angreifer sei – doch überfällt Gott einen
Menschen hinterrücks bei Nacht? Und kann ein
Mensch mit Gott ringen und bestehen?
Das Aufsteigen aus der Nacht und der Wunsch,
bei Sonnenaufgang zu entfliehen, hat dazu geführt,
einen Fluss-Dämon in dem Fremden zu vermuten,
42
welcher der ursprünglichen Sage zugrunde lag. Aber
warum sollte sich Jakob vor der Begegnung mit seinem Bruder von einem Fluss-Dämon segnen lassen?
Als einen Engel hat die Bibel selbst den Unbekannten gedeutet. »Er kämpfte mit dem Engel und
siegte, er weinte und bat ihn«, wird die Erzählung in
Hosea 12,5 (Lutherübersetzung) gedeutet. Diese Deutung kann man auch in der antiken jüdischen Auslegung finden. Auch in der Kunst, bei Rembrandt
oder Chagall etwa, kämpft Jakob mit einem Engel.
Die psychologische Auslegung der Erzählung
geht davon aus, dass Jakob gar nicht mit einem realen
Wesen kämpfte, sondern mit seiner inneren Schattenseite, um sich so für die Begegnung zu rüsten. Erst
durch das Ringen mit der eigenen Schuld, durch die
Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit,
sei die Versöhnung mit dem Bruder möglich.
Am Ende der Erzählung deutet Jakob, im Licht des
neuen Tages, die Geschehnisse der Nacht. Er nennt
den Ort des Kampfes Peniël/Penuël (= Gottessicht),
denn er hat »Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen«. Während Jakob mit den Geschenken das
Angesicht seines Bruders bedecken und sein eigenes
Angesicht verbergen wollte, ist nun sein eigenes
Angesicht von Gott unverschleiert erkannt und auch
Jakob konnte Gott von Angesicht zu Angesicht
sehen, ohne daran zu sterben. Damit wird Jakob zum
Vorgänger des Mose, denn auch dieser hat Gott
gesehen und blieb lebendig (Ex/2 Mose 3,18) – Ausnahmen zu der Regel, dass, wer Gott schaue, sterben
muss (vgl. Ex/2 Mose 19,21; 24,10-11).
Jakob selbst deutet im Nachhinein, mit wem er
gekämpft hat: Gott rang mit ihm. Und Jakob rang
Gott den Segen ab. Mit dem Thema Segen fügt sich
die Episode in die Jakob-Esau-Erzählungen ein. Als
Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau kämpft
Jakob um den Segen, denn, so scheint es, erst als
rechtmäßig Gesegneter kann er dem Bruder begegnen. Den väterlichen Segen konnte sich Jakob erschleichen. Um den göttlichen Segen muss Jakob
ringen. Der göttliche Segen hat Folgen, Jakob macht
sich am nächsten Morgen hinkend – also kampfunfähig – auf, seinem Bruder entgegen.
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 32,2-33
Gestaltung der Bibelarbeit
Raumgestaltung
Thematischer Schwerpunkt
In der Mitte des Raumes liegt ein großes Tuch, auf
dem eine brennende Kerze steht. Auf drei große
Blätter werden die Wörter »WER – IST – GOTT« geschrieben und in die Mitte gelegt/gehängt.
In der Bibelarbeit soll es vor allem um den Kampf
Jakobs (32,23-32) gehen. Die Vorgeschichte, die Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Bruder soll
lediglich gelesen werden, damit die Teilnehmenden
(TN) die Vorgeschichte kennen und ein Gefühl dafür
bekommen, welche Angst Jakob vor dieser Begegnung hatte. 32,2-22 kann noch einmal bei der folgenden Einheit 7 aufgegriffen werden, um die von
Jakob erwartete und die tatsächliche Begegnung miteinander zu vergleichen.
Der Kampf am Jabbok wirft viele Fragen auf und
regt zum Mitdenken an: Wer ist der Mann, der Jakob
überfällt? Kann ein Mensch mit Gott ringen? Kann
Gott einen Menschen überfallen? An was hält Jakob
fest? Welche Bedeutung hat der göttliche Segen für
Jakob? Wie im Text soll auch in der Bibelarbeit ausgehalten werden, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Wie Jakob sollen die TN selbst deuten,
wer der Fremde ist.
Eine Bitte stellt Jakob dem Fremden: »Nenne mir
deinen Namen«. Es geht hier darum, wer Gott ist – in
der Geschichte von Jakob und im Leben der TN.
Diese Frage soll im Zentrum der Bibelarbeit stehen,
allerdings mit einer klaren Zuspitzung. Jakob ließ
Gott nicht los: »Ich lasse dich nicht, es sei denn, du
segnest mich.« Den Kampf um Segen, den Kampf
um Leben, den Jakob führte, kennen sicherlich auch
viele TN aus ihrem Leben.
Mit Dorothee Sölle gesprochen geht es darum,
»mit Gott für Gott zu kämpfen, dass Gott sichtbar
werde, dass Gottes Sonne auch uns aufgehe und wir
einen neuen Namen bekommen.«
Liturgischer Beginn
Lied: Der Abend kommt (EG-Regionalteil Württemberg 673; auf der CD-ROM EG elektronisch; s. Literaturverzeichnis S. 51)
oder: Hinunter ist der Sonne Schein (GL 705; EG 467;
EmK 628).
Öffnen
Bildbetrachtung
Gemeinsame Betrachtung des Bildes von Walter
Habdank im TN-Heft (S. 24). Das Plenumsgespräch
dazu soll durch fünf Leitfragen strukturiert werden:
1. Was sehe ich? Spontane Wahrnehmungen können geäußert werden, die nicht bewertet werden.
2. Wie ist das Bild aufgebaut? Die Struktur des Bildes, Linien und Aufbau sollen beschrieben werden.
3. Welche Gefühle löst das Bild in mir aus? Das eher
düstere Bild soll in die Ereignisse der Nacht einführen.
4. Welche Fragen löst das Bild in mir aus? Es soll
darum gehen, welche Fragen die TN zu dem Bild,
aber auch schon zur biblischen Geschichte haben:
Wer ist der Angreifer? Wer ringt mit wem?
5. In welcher Gestalt kann ich mich wiederfinden?
Es geht darum, dass sich die TN in eine der beiden
Rollen einfühlen: Welche Kämpfe habe ich in
meinem Leben? Halte ich fest, oder werde ich festgehalten? Fühle ich mich unterlegen oder bin ich
beharrlich?
Vorbereitung und Material
Moderationskarten und Stifte für die TN.
Didaktisches Begleitheft 45
43
6 | Wer ist Gott?
Begreifen
Da im Zentrum der Bibelarbeit der Kampf Jakobs am
Jabbok stehen soll, wird die Vorgeschichte Gen/
1 Mose 32,2-22 nur vorgelesen.
Im Anschluss an das Hören wird der biblische
Text Gen/1 Mose 32,23-30 (zunächst nur die Kampfesszene, ohne den Schluss 31-32!) von den TN zweimal
gelesen. In Kleingruppen (2–3 TN) sollen die Fragen
im TN-Heft erörtert und schriftlich festgehalten
werden. Bei Frage 1 und 2 geht es darum, den Text
nochmals genau zu studieren und zu analysieren. Bei
Frage 3 ist die Phantasie der TN gefragt, denn diese
Frage beantwortet der Text nicht.
Im Plenum werden die Antworten zusammengefasst und gewürdigt.
Im nächsten Schritt soll gemeinsam weitergelesen werden, wie Jakob nach dem Kampf das Geschehene deutet (32,31-32).
Die Fragen im TN-Heft (S. 25) sollen in Einzelarbeit von den TN auf Moderationskarten beantwortet
und als Antwort zu der Ausgangsfrage in die Mitte
gelegt werden. Es wird den TN freigestellt, ob sie
etwas zu ihren Karten sagen oder nicht. Es ist auch
möglich, dass Einzelne ihre Karte verdeckt hinlegen,
sodass die anderen TN diese nicht lesen können.
Während der Einzelarbeit kann von Johann Sebastian Bach die Motette: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« eingespielt werden.
Am Ende des Abends (nach dem liturgischen
Schluss) können die TN ihre Antwortkarten mit nach
Hause nehmen.
Mitnehmen
Jede von uns hat einen engel
laß uns ihn erkennen
auch wenn er als blutgieriger dämon kommt
jeder von uns hat einen engel
der auf uns wartet
laß uns nicht vorbeirasen am jabbok
und die furt versäumen
Auf uns wartet ein engel
Jeder von uns kämpft mit gott
laß uns dazu stehen
auch wenn wir geschlagen werden
und verrenkt
jede von uns kämpft um gott
der darauf wartet
gebraucht zu werden
Auf uns wartet ein kampf
Jeder von uns wird gesegnet
laß uns daran glauben
auch wenn wir aufgeben wollen
gib uns die dreistigkeit mehr zu verlangen
mach uns hungrig nach dir
lehr uns beten: ich laß dich nicht
das kann doch nicht alles sein
Auf uns wartet ein segen
Jeder von uns hat einen geheimen namen
er ist in gottes hände geschrieben
die uns lieben lesen ihn
eines tages wird man uns nennen
land der versöhnung
bank die ihren schuldnern vergibt
brunnenbauerin in der wüste
Auf uns wartet gottes name
Das folgende
Gebet zu ersten mose 32 vers 23 bis 33, von Dorothee Sölle
wird den TN vorgelesen:
(aus: DOROTHEE SÖLLE, zivil und ungehorsam,
© Wolfgang Fietkau Verlag, Kleinmachnow, 2001)
Liturgischer Schluss
Segensritual (siehe S. 15–17)
44
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Ins Angesicht schauen | 7
Jakobs Begegnung mit Esau
Gen/1 Mose 33,1-20
Zum Text
Der Abschnitt Gen/1 Mose 33,1-20 bildet zusammen
mit den beiden vorangehenden Szenen aus Gen/
1 Mose 32 ein Triptychon. Um das Mittelstück des
nächtlichen Kampfes Jakobs mit dem Unbekannten,
aus dem Jakob als (erneut) Gesegneter hervorgeht,
spiegeln sich die von Jakob phantasierte und die
tatsächliche Wiederbegegnung Jakobs mit seinem
Bruder Esau. Zugleich findet der Erzählbogen, der in
Gen/1 Mose 25,19-34 mit dem Geburtsorakel über
Jakob und Esau beginnt und der sich über die sechs
vorangegangenen Texte spannt, in der hier erzählten
Wiederbegegnung seinen Abschluss. Als Abschlusseinheit der Bibelwoche kann dieser Text nicht isoliert
betrachtet werden: Wenn die Tiefendimension der
Begegnung zwischen Jakob und Esau erfasst werden
soll, muss der Text der vorliegenden Einheit mindestens im Rahmen des eingangs genannten Triptychons gelesen werden.
33,1-20 lässt zunächst grob eine dreigliedrige
Struktur erkennen:
1. erzählende Einleitung (1-5a),
2. fünf Dialoge zwischen Esau und Jakob (5b-15), die
den Hauptteil bilden,
3. erzählender Abschluss (16-20).
33,1-5a: Erzählende Einleitung
Der erzählende Teil zu Beginn wird von zwei Blicken
gerahmt: dem Blick Jakobs auf den herannahenden
Esau mit seinen vierhundert Mann (33,1) und dem
Blick Esaus auf die Frauen und Kinder hinter Jakob
(33,5a). Zwei Blicke – Blick und Gegenblick, gleichwertig – doch das Erblickte scheint in einem Missverhältnis zueinander zu stehen: vierhundert Mann
gegen Frauen und Kinder. Die Erwähnung der Vierhundert nimmt den Bericht der Boten aus 32,7 wört-
lich auf. Dort löst der Bericht, Esau ziehe Jakob mit
vierhundert Mann entgegen, in Jakob Angst und
Panik aus: vierhundert Mann – das muss ein Kriegsheer sein. Und Jakob trifft Vorbereitungen nach
Kriegslogik. Er teilt seine Leute in zwei Lager, sodass
ein Lager die Chance hat zu entkommen, wenn das
andere Lager überfallen wird (32,8-9). Das hebräische Wort machanae (= Lager), das bei den Vorbereitungen Jakobs in 32,8-9 auftaucht, bezeichnet sowohl das Nomaden-Lager wie das Kriegs-Lager.
Dieses Wort wird aber nicht für die Bezeichnung der
vierhundert Mann Esaus verwendet – der Erzähler
deutet diese Gruppe durch keinerlei Bezeichnung,
was die Deutung Jakobs, die hinter seinen Vorbereitungen steht und diese bestimmt, umso deutlicher
hervorhebt. Jetzt, in 33,1, kommt das von Jakob Phantasierte tatsächlich in seinen Blick und er stimmt sein
Handeln auf das ab, was er mit eigenen Augen
sieht. – Im Vergleich zu seinen Vorbereitungen stellt
die tatsächliche Reaktion Jakobs eine Modifikation
dar: Das Wort verteilen (chatsa) in 33,1 stellt die Verbindung zu 32,8 her, jetzt aber verteilt Jakob seine
Leute nicht auf zwei Lager, sondern verteilt die Kinder
auf ihre Mütter und stellt diese der Reihe nach in
einer dreifach gestaffelten Gruppe auf. Die Aufstellung ist bestimmt von Jakobs Zuneigung, die am
meisten Geliebten kommen zuletzt (33,2).
Das Bewegungsverb vorüberziehen/voranziehen
(Hebräisch avar) in 33,3 – im Zentrum dieser Erzähleinheit – setzt die Linie aus den vorangehenden
Versen 32,17.21.23.(24.)32 fort und markiert zugleich
die radikale Wendung Jakobs. Sollte zunächst das von
Jakob vorbereitete Geschenk vor ihm voranziehen
(32,17.21) und zwischen ihm und Esau eine Pufferzone, einen Schutz bilden, der ihn als letzten der
direkten Konfrontation mit Esau aussetzt, so zieht er
jetzt als Erster voran – schutzlos, ohne Geschenk und
Didaktisches Begleitheft 45
45
7 | Ins Angesicht schauen
ohne seine Knechte als Schutzschild zu missbrauchen. Jakob scheut die direkte Konfrontation
nicht mehr, er kann Esau jetzt ohne Sicherheitsabstand in die Augen blicken. Dazwischen steht das
Weiterziehen Jakobs an die Furt des Jabbok (32,23).
Dort ereignet sich der nächtliche Kampf mit dem
Unbekannten, aus dem Jakob als Gesegneter hervorgeht und der diese Wandlung möglich gemacht hat.
Danach zieht Jakob vorbei am Ort der Wandlung/des
Segens (32,32) Esau entgegen. Insgesamt entsteht
durch die sich ändernde Verwendung des Verbs im
Blick auf Jakob eine fließende Bewegung: hinterherziehen (das Geschenk zieht vorweg) – vorbeiziehen –
vorwegziehen.
Jetzt, in 33,3, ist die einzig angemessene Weise,
Esau, seinem Bruder, in der Realität zu begegnen,
diese: sich schutzlos, bedingungslos auszuliefern.
Jakob wirft sich nieder zur Erde hin – nicht einmal,
sondern siebenmal. Dies ist im Alten Orient die
Geste eines Vasallen, der sich seinem Lehnsherrn
vollständig unterwirft. Im Geburtsorakel war die
Rede davon, dass der Ältere dem Jüngeren dienen
soll (25,23), und sein Vater Isaak hatte Jakob in
seinem Segensspruch verheißen, dass sich ganze
Völker und seine Brüder vor ihm niederwerfen
würden (27,29). Mit seiner Geste dreht Jakob nun
diese Verhältnisse um: Jetzt wirft sich der Gesegnete
vor seinem Bruder nieder. In 33,6-7 wird die Geste
Jakobs nachdrücklich bestätigt: Auch die Familienangehörigen Jakobs werfen sich vor Esau nieder, was
entsprechend der dreifach gestaffelten Gruppe
dreifach gestaffelt erzählt wird.
Jakobs Geste ist ein bedingungsloses Angebot.
Esaus Reaktion ist nicht berechenbar. Alles könnte
passieren. Im schlimmsten Fall könnte Esau mit
seinen Männern den sich zur Erde beugenden wehrlosen Jakob und die Seinen völlig niedermachen. Es
kommt aber ganz anders. Das Unerwartete, das nicht
Machbare, das Gnadenhafte tritt ein: Esau umarmt
seinen Bruder, fällt ihm um den Hals, küsst ihn und
beide weinen (33,4). Danach erhebt Esau seine Augen
und nimmt die Gesellschaft Jakobs in den Blick (5).
War Jakob mit seinem Blick zu Beginn des Ab-
46
schnitts in die Begegnung gegangen, so geht jetzt
Esau mit seinem Blick in den Dialog. Dieser Blick hat
innerhalb der Erzählung eine Scharnierfunktion: Er
schließt einerseits die erzählende Einleitung ab und
eröffnet andererseits die Dialoge des Hauptteils.
33,5b-15: Fünf Dialoge – der Hauptteil
Jeder der fünf nun folgenden Dialoge besteht aus
einer eröffnenden Rede Esaus, mit der dieser die Initiative ergreift, und einer darauf reagierenden Rede
Jakobs. Der erste und der fünfte Dialog (5-7 und 15)
sowie der zweite und vierte Dialog (8 und 12-14) legen
sich als zwei Ringe um den dritten Dialog (9-11), der
das Zentrum bildet und in sich ebenfalls konzentrisch aufgebaut ist (vgl. J. P. Fokkelman, S. 191).
Die ersten beiden Dialoge beginnen mit einer
Frage Esaus nach Jakobs Begleitung, beide Antworten Jakobs enthalten das zentrale Stichwort Gnade.
»Wer sind diese da bei dir?«, lautet die erste Frage (5)
nach den Frauen und Kindern und Jakob antwortet:
»Es sind die Kinder, die Gott deinem Diener aus
Gnade beschert hat.« Im Gegensatz zur hier zitierten
neuen Zürcher Bibel sind Luther- und Gute Nachricht Bibel in der Übersetzung der Antwort Jakobs
nicht präzise, da sie den Zusatz aus Gnade nicht enthalten. Der hebräische Text verwendet das Verb
chanan, das wurzelverwandt ist mit dem Substantiv
chen (Gnade) und eine Art des Schenkens bezeichnet,
die als gnädiges Schenken zu verstehen ist. Ein
Äquivalent, das wie das hebräische Verb nur aus
einem Wort besteht und alle Aspekte enthält, steht
im Deutschen nicht zur Verfügung. Demzufolge ist
es im Deutschen am besten wiederzugeben mit: aus
Gnade bescheren/schenken. Die Einheitsübersetzung
(EÜ) übersetzt das Substantiv chen mit »Wohlwollen«
und das Verb chanan mit aus Wohlwollen schenken.
Die zweite Frage Esaus: »Was willst Du denn mit
diesem ganzen Heer, dem ich begegnet bin?« (8a)
enthält das Stichwort machanae, das die Zürcher
Bibel an dieser Stelle mit Heer wiedergibt (vgl. oben:
Lager). Durch die Stichwortverbindung zu 32,8-9
konfrontiert der Erzähler Jakob auf ironische Weise
mit seinen aus Angst und Panik gefassten Plänen.
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 33,1-20
Jakobs Antwort konzentriert sich ausschließlich auf
seine Motivation, die in der sich augenblicklich ereignenden echten Begegnung gründet: »Dass ich
Gnade finde in den Augen meines Herrn.« (8b)
Im dritten Dialog (9-11) steht einem kurzen Kommentar Esaus (9) eine längere Antwort Jakobs gegenüber (10-11); beide Reden zusammen sind konzentrisch
angeordnet. Das folgende Schema ist der Studie von
J. P. Fokkelman, S. 191, entnommen und bietet eine
Übersetzung des hebräischen Textes durch die Verfasserin.
A Ich habe genug, mein Bruder, es sei für dich, was
dir ist / was du hast.
B Nicht doch, wenn ich wirklich Gnade gefunden habe in deinen Augen,
C so nimm dann mein Geschenk an aus meiner Hand.
D In der Tat: Darum habe ich dein Angesicht gesehen,
D’ vergleichbar mit dem Sehen des Angesichts Gottes, und du zeigtest dich
mir wohlgesonnen.
C’ Nimm doch mein(en) Segen(sgeschenk),
das dir überbracht worden ist,
B’ in der Tat: Gott ist mir gnädig gewesen
A’ und tatsächlich: Ich habe alles.
Das Zentrum D/D’ wird von drei Klammern (A-A’, BB’, C-C’) gerahmt. Jede Klammer wie auch das zweigliedrige Zentrum enthält ein sich entsprechendes
Element (kursiv gekennzeichnet), das in der Wiederaufnahme variiert bzw. überboten wird.
In der äußersten Klammer (A-A’) wird Esaus
Bemerkung »Ich habe genug, mein Bruder, es sei für
dich, was dir ist« (A) durch Jakobs zusammenfassendes »Mir fehlt es an nichts« (wörtl. Ich habe
alles) (A’) überboten.
Die B-Klammer setzt wie schon die beiden Antworten Jakobs zuvor die Gnade Esaus und das gnädige Wirken Gottes (chanan ist dasselbe Verb wie in
33,5) in Beziehung und bindet sie aneinander. In der
Deutung Fokkelmans (S. 191) ist der Überfluss
Jakobs (A’) Ausdruck von Gottes Gnade (B’), die aber
erst ihre Erfüllung findet in Esaus Gnade (B).
In der C-Klammer fordert Jakob Esau auf, doch
sein Geschenk anzunehmen (C), das sein Segen (C’)
für ihn ist. Neue Zürcher und Gute Nachricht Bibel
sind hier in der Übersetzung zu flach, da sie die
unterschiedlichen hebräischen Wörter Micha (in C)
und beracha (in C’) durch das gleiche Wort Geschenk
wiedergeben. Das verfehlt die Pointe dieses Wortpaars: Indem Jakob sein Geschenk beracha (= Segen[sgeschenk]) nennt, wird der Motivbogen des Segens
geschlossen, der den ganzen Erzählzyklus vorangetrieben hat. Hatte Jakob sich einst den Erstgeborenen-Segen erschlichen (Kap. 27) und damit die Erfüllung des Geburtsorakels in die eigene Hand
genommen, so gibt er ihn hier symbolisch zurück
und teilt ihn mit Esau. Auch die EÜ verfehlt die Bedeutung im Zusammenhang des Erzählzyklus, wenn
sie beracha mit »Begrüßungsgeschenk« wiedergibt.
Luther 1984 übersetzt treffend mit »Segensgabe«.
In der zentralen Klammer D-D’ steht das Sehen
des Angesichts Esaus in Parallele zum Sehen des
Angesichts Gottes. Hier liegt der Beweggrund für
Jakobs innere Wandlung, die die Begegnung mit dem
Bruder ohne Angst möglich gemacht hat. Die im
Hebräischen abstrakte Formulierung »vergleichbar
mit dem Sehen des Angesichts Gottes« (D’) wird
durch Zürcher und Gute Nachricht sowie die EÜ
unpersönlich mit »man« wiedergegeben: »wie man
das Angesicht Gottes sieht« (ZB/EÜ), »wie man vor
Gott tritt, um Gnade zu finden« (GNB). Im Kontext
des Erzählzyklus erscheint das verfehlt, denn es geht
hier nicht um eine allgemeine Erfahrung, auf die
man in einer bestimmten Situation zurückgreift,
sondern »das Sehen des Angesichts Gottes« verweist
hier auf die Erfahrung Jakobs im vorangehenden Text
32,23-33. Jakob deutet seine Begegnung mit dem
nächtlichen Kämpfer mit den Worten: »Ich habe
Gottes Angesicht gesehen und mein Leben ist gerettet worden.« (32,31) Fokkelman verweist auf die
Parallele dieser Deutung zu D (33,10d):
Das ist der Punkt, um den es geht: Das Schauen
Gottes vollendet sich im Anschauen des Mitmenschen; das Angesicht des Bruders und das Angesicht
Gottes sind gewissermaßen eines.
Didaktisches Begleitheft 45
47
7 | Ins Angesicht schauen
32,31bc
33,10d
denn
denn
ich habe Gottes Angesicht gesehen
ich habe dein Angesicht gesehen
vergleichbar mit dem Sehen Gottes
und mein Leben ist gerettet worden
Esau nimmt an (33,11e) und bestätigt damit, dass
er Jakob Gnade gewährt. Fokkelman weist darauf hin,
dass sich im Vergleich zu dem von Jakob phantasierten Kontakt mit Esau hier wiederum eine bedeutsame Umkehr vollzieht. In 32,21 plant Jakob noch:
Das Geschenk, das ihm vorausgeht, soll sein Angesicht bedecken, erst nachdem Esau das Geschenk
akzeptiert hat, will er Esaus Angesicht sehen und darauf hoffen, dass Esau »sein Angesicht erhebt«, d. h.
ihm gnädig ist. In der echten Begegnung ist das Geschenk dann zweitrangig; die Basis des Kontaktes
zwischen Jakob und Esau ist nicht das Geschenk,
sondern das Schauen des Angesichts.
Nach Fokkelmans Deutung (S. 194–197) ist die
Reise Jakobs von Kanaan über Haran zurück nach
Kanaan ein Weg der Selbstfindung, der sich in dem
Triptychon Gen/1 Mose 32–33 verdichtet und an
sein Ziel kommt. Das Triptychon repräsentiert
einen Dreischritt, der für jede menschliche Entwicklung bedeutsam ist: Zuerst ist Esau Projektionsfläche der eigenen Ängste. In der Begegnung
mit dem nächtlichen Kämpfer wird das Angesicht
Gottes und danach in der Begegnung mit Esau das
Angesicht Esaus zum Spiegel, der Jakob zu sich
selbst führt. Und schließlich ist Esau einfach Esau.
Erst die Begegnung mit sich selbst im Schauen des
Angesichts Gottes macht die Begegnung mit dem
Anderen, die den Anderen den Anderen sein lässt,
möglich.
Das wirft auch ein anderes Licht auf den vierten
und fünften Dialog (12-15). Den zwei Fragen Esaus,
die den ersten und zweiten Dialog eröffnen, stehen
nun zwei Vorschläge, mit denen Esau Jakob Begleitung anbietet, gegenüber. Zunächst bietet er Jakob
an, dass sie gemeinsam weiterziehen. Jakob lehnt mit
48
und du zeigtest dich mir wohlgesonnen.
ausführlicher Begründung ab (zu schnelles Tempo
schade den Kindern und dem säugenden Vieh). In
der anschließenden Bitte Jakobs, Esau möge doch an
ihm vorüber- und ihm voranziehen (14a), taucht zum
letzten Mal das Stichwort vorüber-/voranziehen (hebr.
avar) auf. Die Bewegung Jakobs in 33,3a wird exakt
gespiegelt; wieder werden die Verhältnisse, auf die
der Segensspruch des Vaters zielte, umgedreht oder:
zurechtgerückt. Als Zweites bietet Esau Begleitung
durch einige seiner Leute an (15a). Auch das lehnt
Jakob ab und betont abschließend, was allein für ihn
zählt: die erfahrene und bleibende Gnade seines
Bruders (15b). Dies ist die Summe seiner Erfahrungen und das Ziel seiner Reise.
Deutete Gerhard von Rad dieses ablehnende Verhalten Jakobs 1956 noch als Ausdruck seines bleibenden Misstrauens, als »das Misstrauen dessen, der
selber viel betrogen hat« (G. v. Rad, Das erste Buch
Mose/Genesis, S. 286), so lässt es sich als Konsequenz des zuvor Ausgeführten so verstehen, dass
Jakob sich selbst, Jakob, ist und Esau sich selbst,
Esau, sein lassen kann. Die Wiederbegegnung der
beiden ist die Begegnung zweier erwachsener Menschen, die keiner Symbiose bedarf.
33,16–20 Erzählender Abschluss
Nachdem Esau Jakobs Bitte um ein Weiterziehen im
eigenen Tempo ohne Begleitung entsprochen hat,
trennen sich ihre Wege. Esau zieht nach Seïr, einem
Bergland im Gebiet von Edom. Edom ist das Nachbarvolk Israels und Esau gilt als Stammvater der Edomiter. Esau verlässt damit die Erzählbühne. Im Fokus
der letzten vier Verse steht der weitere Weg Jakobs.
Damit ist das Abschließen von Erzählbögen verbunden.
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 33,1-20
Jakob zieht zunächst weiter nach Sukkot, wo er für
sich ein Haus und für das Vieh Hütten baut, was die
Namensgebung (hebr. Sukkot = Hütten) motiviert
(17). Schließlich kommt Jakob wohlbehalten (hebr.
schalem) in Sichem (Zürcher Bibel: Salem) an. Dort
kauft er das Grundstück, auf dem er sein Zelt aufgeschlagen hat, und errichtet einen Altar. Jakob etabliert sich damit existentiell und kultisch in seinem
Heimatland Kanaan. Sein Herkunftsort ist gleichzeitig Ziel seiner Reise; der Erzählbogen wird äußerlich geschlossen.
Das Wort wohlbehalten ist ein Rückgriff auf Jakobs
Gelübde in 28,20-21: »Wenn Gott bei mir ist und
mich auf diesem Weg, den ich jetzt gehe, behütet,
wenn er mir Brot zu essen und Kleider anzuziehen
gibt und wenn ich wohlbehalten in das Haus meines
Vaters zurückkehre, so soll der HERR mein Gott
sein.« Mit dem Altarbau und der Namensgebung
(33,20) – »El, Gott Israels« (Zürcher) – »Gott, der
Gott Israels« (EÜ) – »Gott ist der Gott Israels« (Luther/GNB) – erfüllt Jakob sein Gelübde, der Erzählbogen wird geschlossen. Jakobs Reise zu sich selbst
endet mit der Anerkennung des Gottes, dem er begegnet ist.
Zur Bibelarbeit
fahrung der Gnade bzw. durch das AnnehmenKönnen von Gnade.
Besondere Beziehungen bestehen außerdem zu den
Kapiteln 27 und 28. Daher kann unser Text in seiner
Tiefendimension nur erschlossen werden, wenn
auch die genannten Texte bearbeitet oder zumindest
bekannt sind. Unter diesen Voraussetzungen eignet
er sich gut als Abschluss der Bibelwoche, denn die
verschiedenen Erzählbögen werden abgeschlossen.
Daher bietet sich das Motiv der Spiegelung nicht nur
inhaltlich innerhalb des Textes und im Blick auf die
Begegnung am Jabbok an, sondern auch im Blick auf
die gesamte Zwillingserzählung.
Raumgestaltung
Spiegel auf einem Tuch
Vorbereitung/Materialien
Zahlreiche Taschen- oder Handspiegel, Blätter, Stifte,
Moderationskarten
Liturgischer Beginn
Lied: Ach bleib mit deinem Glanze (EG 347,3-6;
EmK 504,3-6)
Thematischer Schwerpunkt
Öffnen
Der vorliegende Text »funktioniert« nur im Zusammenspiel mit dem vorangehenden Kapitel 32, denn:
die von Jakob phantasierte und die wirkliche Begegnung mit Esau werden gespiegelt;
der Kampf am Jabbok ist Begegnung mit sich
selbst im Spiegel des Angesichts Gottes und
Voraussetzung, sich auf die wirkliche Begegnung
mit Esau einlassen zu können;
der Erzählbogen der Gesamteinheit wird geschlossen: Segen gelangt zur Erfüllung durch die Er-
In den Blick nehmen
Wahrnehmungsübung I:
Bildbetrachtung zu Herbert Falken »Umarmung
himmelwärts« (Abb. im TN-Heft S. 27; eine Minute
stille Betrachtungszeit)
Was sehe ich?
Welche Empfindungen löst das Bild in mir aus?
Didaktisches Begleitheft 45
49
7 | Ins Angesicht schauen
Was erleichtert oder erschwert mir den Zugang zu
dem Bild?
Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder
Austausch im Plenum
Wahrnehmungsübung II: Sich selbst
eine Minute im Spiegel anschauen
Was habe ich gesehen?
Was habe ich gefühlt?
Was fiel mir schwer?
Was fiel mir leicht?
Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder
Austausch im Plenum
Wahrnehmungsübung III: Mein
Gegenüber eine Minute lang anschauen
Was habe ich gesehen?
Was habe ich gefühlt?
Was fiel mir schwer?
Was fiel mir leicht?
Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder
Austausch im Plenum
Die drei Schritte stellen einerseits eine Verbindung zu Gen/1 Mose 32 her und damit zum vorangegangenen Abend, und sie stimmen zum anderen
auf den entscheidenden Vers des Textabschnitts
33,1-20 ein: »Ich habe dein Angesicht gesehen, vergleichbar mit dem Sehen des Angesichts Gottes.«
(33,10b). Wahrnehmungsübung III setzt voraus, dass
die Gruppe miteinander vertraut ist.
Nach der Wahrnehmungsübung wird der Bibeltext vorgelesen. Anschließend können die TN den
Satz/das Wort laut aussprechen, der/das sie am
stärksten betroffen hat.
Begreifen
Textvergleich in Kleingruppen anhand der Aufgaben
im TN-Heft (S. 29–30):
Vergleichen Sie die von Jakob erwartete/sich vorgestellte (32,4-22) und die dann beschriebene Begegnung (33, 1-15) Jakobs mit Esau.
Benennen Sie das jeweils beherrschende Gefühl.
Überlegen Sie Gründe für Jakobs Wandlung.
Arbeit am Zentrum der Dialoge (33,10-11): Suchen
Sie Elemente, die einander entsprechen. Stellen
Sie Zusammenhänge zu Einheit 6 her und bedenken Sie, was es heißen kann: Gottes Angesicht
im Angesicht des Mitmenschen sehen.
Die Gesprächsleitung kann versuchen, hier eine Verbindung zum Verständnis von Segen und Weitergabe
des Segens herzustellen.
Mitnehmen
Die TN können einen Text schreiben oder ein Bild
malen zum Thema: Eine gnadenhafte Begegnung,
eine segensreiche Begegnung, die mich das Angesicht Gottes hat schauen lassen.
Alternativ können die TN die für sie zentrale Erkenntnis der Einheit im Plenum formulieren.
Liturgischer Abschluss
Segensritual (siehe S. 15–17)
Zitierte Literatur
Fokkelman, J.P., Oog in oog met Jakob. Tweede herziene en uitgebreide druk. Zoetermeer 1999.
G. von Rad, Das erste Buch Mose (ATD 2/4), Berlin,
Evangelische Verlagsanstalt 1956.
50
Ökumenische Bibelwoche 2009/2010
Gen/1 Mose 33,1-20
Literatur zu den
Jakobserzählungen
Kommentare
Horst Seebass, Genesis, Teilband II: Vätergeschichte II,
Neukirchen-Vluyn 1999
Monographien
Erhard Blum, Die Komposition der Vätergeschichte,
WMANT Bd. 57, Neukirchen-Vluyn 1984
Martin Leuenberger, Segen und Segenstheologien im
alten Israel, ThANT Bd. 90, Zürich 2008
Israel Yuval, Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in
der Spätantike und im Mittelalter, Göttingen 2007
Weitere Materialien zur
Bibelwoche
ZU GOTT VERRENKT. DER KAMPF JAKOBS AM JABBOK.
Materialheft zum Ökumenischen Bibelsonntag
2010, nähere Angaben auf S. 7
Rüdiger Lux / Rosemarie Micheel, Und dann ist alles
anders. Sieben Abschnitte aus den Jakoberzählungen, Texte zur Bibel 25, Hg.: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste in der EKD; Neukirchen-Vluyn: Aussaat-Verlag 2009; ca. 112
Seiten, ca. € 12,90 (D) / € 13,30 (A) / sFr 23,40;
ISBN 978-3-7615-5737-2
Klaus Teschner, »Ich lasse dich nicht, du segnest mich
denn«. Auslegungen zu den Jakob- und Esaugeschichten. Neukirchen-Vluyn: Aussaat-Verlag
Die Materialien zur Bibelwoche sind zu beziehen bei:
Deutsche Bibelgesellschaft/Vertrieb
Postfach 81 03 40, 70520 Stuttgart
Bestell-Hotline: 0800/242-3546
Fax: 0711-7181-126
E-Mail: [email protected]
www.bibelonline.de (Online-Shop)
www.dbg.de
2009; geheftet, ca. 48 Seiten; s/w-Illustrationen;
ca. € 2,90 (D) / € 3,00 (A) / sFr 5,80; ISBN 978-37615-5736-5
Jörg Meuth, Gegenüber. Bilder und Meditationen zu
den Jakob- und Esaugeschichten; NeukirchenVluyn: Aussaat-Verlag 2009; 8 Seiten; farbige Abbildungen; ca. € 3,50 (D) / € 3,60 (A) / sFr 7,10,
ISBN 978-3-7615-5735-8
BILDER ZUR BIBELWOCHE. Bilder und Meditationen
zu den Jakob- und Esaugeschichten, mit Bildmeditationen; CD-ROM im Jewelcase; ca. € 14,90 (D) /
€ 15,40 (A) / sFr 27,30; ISBN 978-3-7615-5738-9
EVANGELISCHES GESANGBUCH ELEKTRONISCH,
Version 3.0. Die Evangelischen Gesangbücher
Deutschlands und Österreichs mit allen Regionalteilen; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2008;
ISBN 978-3-438- 02084-0
Die Bibel in der Kunst. Gemälde, Zeichnungen,
Grafiken; DVD-ROM, Berlin: The Vorck Projekt
2004; erhältlich bei DBG; ISDN 978-3-43806293-2
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Zum kostenlosen Download unter:
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(Rubrik Download/Poster) Gestaltung wie TN-Heft,
mit der Möglichkeit, eigene Angaben einzutragen;
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€ 4,10 (A) / sFr 7,70; ISBN 978-3-7615-5740-2
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Breite Gasse 4-8/I, 1070 Wien
Telefon: 01 52 382 40
Fax: 01 52 382 20
E-Mail: [email protected]
www.bibelgesellschaft.at
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51
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