Kampf und Segen - Katholisches Bibelwerk
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Kampf und Segen - Katholisches Bibelwerk
Ökumenische Bibelwoche Didaktisches Begleitheft 45 Kampf und Segen Die Jakob-Esau-Geschichten aus Genesis/1. Mose 09/10 Inhalt Kampf und Segen Vorüberlegungen zur Bibelwoche Ö Inhaltliche Überlegungen, Gottesdienst zur Bibelwoche Jürgen Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 Ökumenische Bibelwoche »Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel« Exegetische Einführung in die Jakobserzählungen Alexander A. Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Segensrituale für alle Einheiten der Bibelwoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib« Esau und Jakob, Verkauf des Erstgeburtsrechts Gen/1 Mose 25,19-34 Ernst-Michael Dörrfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 | Gottes Segen kommt anders Jakob erlistet den Erstgeburtssegen Isaaks Gen/1 Mose 27,1-45 Kathrin Gies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3 | Gesegnetes Erwachen Jakobs Traum Gen/1 Mose 28,10-22 Dieter Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4 | Zwischenräume entdecken Jakobs Frauen und Kinder Gen/1 Mose 29,1-35 Lucie Panzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5 | Handeln auf Gottes Zusage hin Jakob kommt zu Reichtum Gen/1 Mose 30,25-43 Barbara Schlenke und Sabine Sprinkmeier . . . . . . . . . . . 35 6 | Wer ist Gott? Jakobs Furcht vor Esau. Der Kampf am Jabbok Gen/1 Mose 32,2-33 Henrike Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 7 | Ins Angesicht schauen Jakobs Begegnung mit Esau Gen/1 Mose 33, 1-20 Eva-Martina Kindl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Literatur und Materialien zur Bibelwoche . . . . . . . . . . . 51 2 Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Didaktisches Begleitheft_45 ISBN 978-3-438-04595-9 ISSN 0934-5477 © 2009 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Herausgeber: Deutsche Bibelgesellschaft und Katholisches Bibelwerk e.V., beide Stuttgart in Zusammenarbeit mit den Bibelgesellschaften und Bibelwerken in Österreich und der Schweiz Redaktion: Jürgen Simon Vertreter der Herausgeber: Klaus Sturm, Wolfgang Baur Gestaltung: Andrea Burk/solutioncube GmbH Satz: Birgit Neumann, Typograffiti, Neckartenzlingen Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe: Dr. Ernst-Michael Dörrfuß, Direktor des Pastoralkollegs der Evang. Landeskirche in Württemberg, Denkendorf; Dr. Alexander A. Fischer, Theologischer Referent der Württ. Bibelgesellschaft, Stuttgart; Dipl.-Theol. Kathrin Gies, Würzburg; Dipl.-Theol. Eva-Martina Kindl, Religionslehrerin, Lehrbeauftragte für Hebräisch an der Evang.-Theol. Fakultät der Universität Bonn und freiberufliche Erwachsenenbildnerin; Dr. Dieter Koch, Pfarrer in Stuttgart-Riedenberg; Lucie Panzer, Rundfunkpfarrerin der Evang. Landeskirche in Württemberg beim SWR, Stuttgart; Henrike Schmidt, Pfarrerin in Schwäbisch Gmünd; Dipl.-Theologinnen Barbara Schlenke und Sabine Sprinkmeier, Wiss. Mitarbeiterinnen an der Kath.-theol. Fakultät der Universität Bonn; Dipl.-Theol. Jürgen Simon, Redakteur, Textwerkstätte Simon, Reutlingen Abkürzungen DBH Didaktisches Begleitheft TN Teilnehmer/in, Teilnehmende Vorwort Liebe Leserinnen und Leser! Romanfigur bei Thomas Mann wurde erst Jakobs Sohn Josef, aber auch die Geschichten um die anderen Väter (und Mütter) des Volkes Israel lesen sich wie ein spannender Roman. Das Motto der Bibelwoche – »Kampf und Segen« – soll Assoziationen an einen Romantitel hervorrufen, trifft aber durchaus auch den inhaltlichen Kern der Jakob-EsauErzählungen. Die Rivalität der beiden Brüder, die Auseinandersetzungen Jakobs mit seinem Onkel Laban, der Kampf der beiden Frauen Lea und Rahel um Liebe und Anerkennung, das Ringen Jakobs am Jabbok mit dem Unbekannten – im Grunde geht es bei diesen Kämpfen immer um den Segen und seine Auswirkungen (Fruchtbarkeit, Existenzsicherung). Die Erzählungen bleiben aber nicht beim Kampf stehen, sondern beschreiben Gottes Verheißungen und ihr Wahrwerden, beschreiben seinen Segen. Sosehr man die politische Dimension, die die Texte in der Zeit ihrer Endredaktion hatten, nicht vernachlässigen sollte (Verhältnis Israels zu seinen Nachbarvölkern, den Nachkommen Esaus), so sehr liegt der Grund für ihre Popularität über die Zeiten hinweg sicher darin, dass die Texte ur-menschliche Erfahrungen und Sehnsüchte ansprechen. Diese emotionale Seite hat neben der sachlich-thematischen Auseinandersetzung ihren festen Platz in der Bibelwoche. Menschen sollen mit ihren Erfahrungen und Hoffnungen, mit ihren Enttäuschungen und Ermutigungen Zugang zu den Texten finden. Sie sollen aber auch etwas erfahren von theologischer Arbeit und Denkweise. Die sieben Einheiten, die von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren konzipiert sind, setzen innerhalb dieses Rahmens jeweils verschiedene Akzente; die exegetische Einführung versucht in der vorgegebenen Kürze, einen Einstieg auf dem gegenwärtigen Stand der bibelwissenschaftlichen Forschung zu bieten. Das Konzept unserer Bibelwochenhefte beinhaltet diese Vielfalt methodischer und persönlicher Zugänge. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass Bibelwochen häufig konfessionsverbindend begangen werden und dabei auch verschiedene Personen die jeweiligen Einheiten vorbereiten und leiten. Mögen Sie als Vorbereitende in den verschiedenen Einheiten Ihren Zugang zum Bibeltext finden. Bibeltextgrundlage im Heft für die Teilnehmenden ist erstmals die neue Zürcher Bibel, die 2007 veröffentlicht wurde. Sie verbindet in den ausgewählten Texten gute Lesbarkeit mit Nähe zum hebräischen Text. Wir danken der »Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zürich« für die Abdruckgenehmigung. Wie immer bei Texten aus dem hebräischen Teil unserer Bibel soll die Verbundenheit mit dem Judentum eine Rolle spielen, auch wenn nicht explizit auf jüdische Auslegungstraditionen verwiesen wird. Wohl aber wird die Bedeutung verschiedener Begriffe in erster Linie aus ihrem hebräisch-jüdischen Kontext erklärt. Wir wünschen, dass der Bibelwoche gelingt, die gemeinsame Erzähltradition von Juden und Christen mit den Geschichten von Jakob und seiner Familie für heutige Menschen lebendig und fruchtbar werden zu lassen. Ihr Bibelwochenteam Didaktisches Begleitheft 45 3 Vorüberlegungen zur Bibelwoche Vorbereitende inhaltliche Überlegungen Der Titel des Heftes für die Bibelwoche (siehe dazu auch das Vorwort auf S. 3) verspricht Romanqualität. In der Tat: Die Jakob-Esau-Erzählungen lassen sich als spannende Geschichte am besten »am Stück« lesen. Sie zu zerstückeln nimmt ihnen etwas von ihrer Erzählqualität. Daher wäre es nicht schlecht, einen Einstieg über einen biblischen Erzähl- oder Leseabend zu wagen, an dem zunächst alle Texte (auch die fehlenden Verse aus Kapitel 30) vorgelesen oder nacherzählt werden. Damit werden Erzählstränge und Spannungsbögen deutlich. Die einzelnen Einheiten dienen dann – dafür macht die Zerstücklung durchaus Sinn – der Vertiefung und der Anwendung unterschiedlicher Methoden. Die erste Erzähleinheit – Esau gibt sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht her – ist wahrscheinlich den meisten Teilnehmenden (TN) seit Kindheitstagen wohlvertraut. Das verkürzt die Phase des Lesens und Verstehens. Die Einheit bietet dadurch Raum für grundlegende Hinweise (Einleitungsfragen) zu den Geschichten. Die exegetische Einführung von Alexander A. Fischer stellt dazu komprimierte Informationen bereit. Der Autor legt seinen Akzent auf die politische Dimension, die diese Erzählungen in der späten Königszeit hatten: Sie wurden als Volksgeschichte, nicht als Individualgeschichte einer Sippe verstanden. Doch wären diese Texte nicht beliebter Erzählstoff über Zeit- und Kulturgrenzen geworden, hätten sie nicht auch einen psychologisch sensibel entworfenen lebensgeschichtlichen Aspekt. Und da die Bibelwoche Erfahrungen der TN einbeziehen und ermöglichen will, stehen in den meisten Einheiten diese lebensgeschichtlichen Themen im Vordergrund. 4 Der Titel »Kampf und Segen« lässt sich auf die lebensgeschichtlichen Erfahrungen der TN ebenso anwenden wie auf die handelnden Figuren der Erzählung. Der Segen und die Anstrengungen, die nötig sind, ihn zu erhalten, beschäftigen auch viele Menschen heute. Noch immer gibt es ein fast magisches Verständnis von Segen, regional und konfessionell unterschiedlich ausgestaltet, aber fernab aller theologischen Theorie in der »Volksreligiosität« vorhanden. Und die Erwartung, dass Segen sich materiell zeigen soll und nicht nur geistlich, bestimmt keineswegs nur die Erzählungen des Alten Testaments. Ein weiterer Aspekt ist das Bedürfnis nach Ritus, das in einer Welt der raschen Veränderungen wieder zunimmt. Dem allen soll das Angebot eines Segensrituals Rechnung tragen, das nach aller Arbeit am Text und an sich selbst die einzelnen Einheiten auf andere Weise beschließen kann. Verschiedene Möglichkeiten werden auf den Seiten 15–17 vorgestellt. Im Zusammenhang des übergreifenden Themas der Jakob-Esau-Erzählungen können sie zu einer Verknüpfung von Theologie und Praxis beitragen, bringen sie doch zum Ausdruck, dass Segen kein magisches Geschehen ist, sondern Zusage der von Gott schon längst geschenkten Zuwendung. Segen ist auch keine Belohnung für Rechtschaffenheit, sondern Verheißung auch in dunkle Situationen hinein. In dieser Perspektive kann der Kampf Jakobs um den Erstgeburtssegen (Einheit 2) nicht nur als Blick in eine ferne Vergangenheit bearbeitet werden, sondern die die Zeiten überschreitenden emotionalen Berührungspunkte der Geschichte müssen angesprochen werden. Neben dem Segensverständnis sind das vor allem die gebrochenen Beziehungen Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Inhaltliche Überlegungen in der Familie. Isaaks Familie ist keine »heilige« Familie, es gibt zahlreiche Brüche, wie dies auch in vielen Familien heute der Fall ist. Das Wahrnehmen der Brüche in Isaaks Familie kann dazu beitragen, die Brüche in der eigenen Familie, im eigenen Lebensumfeld wahrzunehmen. Segen kann diese Brüche nicht übertünchen. Segen dient auch nicht dazu, die eigenen Pläne wahr werden zu lassen; oft genug kommt es anders als geplant. Mit solchen Erkenntnissen kann diese Einheit enden. Jakob erfährt eine überraschende Zuwendung – so lässt sich Einheit 3 zusammenfassen. Endet Kapitel 27 noch mit der Ungewissheit der Flucht, so bietet Kapitel 28 ein erstes Hoffnungszeichen, die Verheißung an Jakob in Bet-El in der Nacht. Jakobs Traum – Leitgeschichte für Gotteserfahrung inmitten verfinsterter Lebenszusammenhänge, inmitten der Wüste – bietet Anknüpfungen für eigene spirituelle Erfahrungen, für spirituelle Orte, an denen man Orientierung und geistige Stärke erlangen kann. Es lässt sich aber auch fragen, wie und wo jemand in unseren Kirchen und Gemeinden Gottesverheißungen erfahren kann. Einheit 4, die sich mit Kapitel 29 befasst, ein Abschnitt, in dem außer Jakob auch Laban, Lea und Rachel ein Rolle spielen, bietet eine hierzulande noch nicht so bekannte Methode an, den Bibliolog. Er ist wesentlich einfacher als das Bibliodrama, das eine psychologisch ausgebildete Leitung benötigt. Beim Bibliolog werden einfach Fragen an die handelnden Personen gestellt und von den TN aus Sicht jener Personen beantwortet. Die TN werden so aktiv in den Text und seine Handlung einbezogen. Indem nicht Einzelne, sondern alle aus der Gruppe jeweils aus der Sicht einer Person antworten, ergeben sich neue Sichtweisen auf den Text. Die thematische Ausrichtung der Einheit bleibt dadurch offen, sie hängt von den Reaktionen der TN ab. Die Auseinandersetzung mit Laban, bevor Jakob mit seiner Familie sich auf den Weg machen kann, wird in Einheit 5 unter dem Aspekt des Aufbrechens betrachtet. Es gibt Barrieren, auch im Leben der TN, die daran hindern, einen Aufbruch zu wagen. Gleich- zeitig gibt es Einsichten oder Verheißungen, die den Aufbruch notwendig erscheinen lassen. An die voranstehenden Verheißungen an Jakob knüpft Gen/ 1 Mose 30,25-43 an, vergleichende Textarbeit kann hier zum Zuge kommen. Es kann aber auch der lebensgeschichtliche Aspekt angesprochen werden: In der Spannung zwischen notwendigem eigenem Handeln und der Unterstützung durch Gott stehen evtl. die TN; Jakob jedenfalls steht in dieser Spannung. Es geht darum für das eigene Leben eine Balance zu finden zwischen notwendigem eigenem Handeln und dem, was in Gottes Hand liegt. Für den Textzusammenhang sind längere Abschnitte sinnvoll, daher ist Kapitel 32 komplett als Einheit 6 ausgewählt worden. Weil die folgende Einheit 7 aber die Gegenüberstellung der von Jakob erwarteten und der tatsächlichen Begegnung mit Esau zum Thema macht, kann sich Einheit 6 auf den bekannteren Teil des Kapitels, Jakobs Kampf am Jabbok, konzentrieren. Die Fragen, die diese Szene aufwirft, müssen gestellt, können aber nicht alle (richtig) beantwortet werden. Auch die Frage nach Gott (»Nenne mir deinen Namen!«) wird gestellt. Und natürlich spitzt der Ringkampf um den Segen das Gesamtthema nochmals zu: Kampf und Segen. So könnte von den theologischen Themen her diese Einheit als Abschluss der Bibelwoche eine summa bilden. Der Textabschnitt zum Kampf am Jabbok ist auch Thema des Bibelsonntags (s. u.). Von der Dramaturgie der Jakobserzählungen her ist jedoch das Wiedersehen mit Esau der Schluss, an dem die Erzählstränge und Spannungsbögen zusammenlaufen (Einheit 7). Diese feine Komposition zu erkennen setzt jedoch voraus, dass zumindest Einheit 1, 2 und 6 präsent sind. Die Exegese erlaubt sehr viele Wortbezüge herzustellen und Symmetrien im Text zu erkennen. Das Schauen des Angesichts, bereits beim nächtlichen Kampf ein Thema, wird in der Begegnung mit dem Bruder das zentrale Thema. Die TN haben somit nicht nur Gelegenheit zu beobachtender Textarbeit, sondern auch dazu, sich zu beobachten, sich ins Angesicht zu schauen. Dieses Reflektieren kann auf das eigene Leben ausgeweitet Didaktisches Begleitheft 45 5 Vorüberlegungen zur Bibelwoche werden, Rückschau auf segensreiche Begegnungen und erhellendes Schauen Gottes. Es geht darum, durch eigene Erfahrungen und Fragen oder durch Gedanken, die der Bibeltext bei jeder Person in unterschiedlicher Weise anspricht, zum Thema der jeweiligen Einheit zu finden. Methodik Didaktisches Begleitheft und Teilnehmerheft Die beiden Hefte zur ökumenischen Bibelwoche gehören zusammen: Im vorliegenden Didaktischen Begleitheft werden zu jedem Text der Bibelwoche Erklärungen, Gedanken zur Aktualisierung und Vorschläge zur Gestaltung angeboten. Diese beziehen sich direkt auf die Texte und Materialien im Teilnehmerheft (TN-Heft). Dort ist für jede Einheit der Bibeltext – in diesem Jahr der bis 2007 revidierte Text der Zürcher Bibel – abgedruckt. Auch ergänzende Bibeltexte, die die TN zur Kenntnis nehmen sollen, sind dort zu finden. Es gibt von Einheit zu Einheit wechselnde Methoden, mal für eine stärker textorientierte, mal für eine mehr teilnehmerorientierte Arbeit. Das Drei-Phasen-Modell Die Einteilung der Bibelarbeit nach dem so genannten Drei-Phasen-Modell hat sich bewährt. Die Phasen Öffnen, Begreifen, Mitnehmen zielen jeweils darauf, dass Menschen in einen lebendigen Dialog mit dem Text treten können. Das Leben der Teilnehmenden und ihre persönlichen Fragen werden in Beziehung gebracht mit aktuellen Themen und den Intentionen der ausgewählten Textabschnitte. 6 Öffnen Begreifen Es geht darum, den Bibeltext mit seinen Themen, seine Adressaten und die Intention des Autors wahrzunehmen, um von dieser schriftgemäßen Grundlage aus weiterzudenken. Mitnehmen Es geht darum, die Impulse, Antworten und Anregungen des Bibeltextes für das eigene Leben, für das Handeln im Alltag und die Gemeinde fruchtbar werden zu lassen. Liturgie Zu jeder Einheit werden Vorschläge für einen knappen liturgischen Beginn und Abschluss geboten. Die Lieder orientieren sich an den Gesangbüchern der röm.-kath. Kirche (Gotteslob = GL), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EG) sowie der Evang.-methodistischen Kirche (EmK). Auf den Abdruck dieser Lieder wird daher verzichtet. Erstmals wird für einen bei allen Einheiten wiederkehrenden Schluss angeboten, ein Segensritual zu verwenden. Vorschläge dazu stehen in dem eigenen Kapitel Segensrituale (S. 15). Bewährt sind die Anregungen für die Raumgestaltung für jede Veranstaltung. Auch dies ist eine Art liturgischer Rahmen zur Einbettung der Themen in eine sinnlich erlebbare Form. Die Bibelarbeiten sollen als geistliche Angebote auch durch eine besondere Atmosphäre herausgehoben werden. Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gottesdienst Gottesdienst zur Bibelwoche »Zu Gott verrenkt« lautet das Motto des Bibelsonntags. Das klingt sperrig, fasst aber in drei Worten (aus einem Gedicht von Nelly Sachs) das Ergebnis der Kampf-und-Segen-Erzählungen zusammen: Jakob hat einen langen Weg hinter sich, der nicht immer gerade verlief. Er war sich seines Segens nicht gewiss, durchlebte viele Ängste. In tiefer Lebensnacht, einsam am Jabbok, muss er kämpfen. Am Ende dieses Kampfes wird er gesegnet, erhält einen neuen Namen, eine neue Zukunft – und zieht hinkend von dannen. Kein grandioser Abgang, doch: Er hat Gottes Angesicht gesehen! »Zu Gott verrenkt« drückt aus, dass dies eine schmerzhafte Angelegenheit war, dass Jakobs Leben eine neue Ausrichtung – zu Gott hin – erhalten hat und dass er von dieser Begegnung bleibend gekennzeichnet bleibt. Im Gottesdienst kann dieses schwierige Thema auf verschiedene Weise aufgegriffen werden. Das Bibelsonntagsheft »Zu Gott verrenkt« bietet eine Predigtvorlage und eine Exegese, die beide unter diesem Motto stehen und die Frage nach Gott in der Dunkelheit, in den Kämpfen des Lebens behandeln. Der oft beklagten »Wohlfühl«-Kirche, die ausschließlich Freude und Schönheit betont, kann hier theologisch fundiert etwas entgegengesetzt werden. Die Predigtidee für den Erwachsenengottesdienst geht davon aus, dass für die meisten Menschen lebenswendende Erfahrungen nicht in fröhlichen Situationen gemacht werden, sondern in schmerzhaften Lebenslagen. Es geht dabei nicht um Schwarzmalerei, wohl aber um das Ernstnehmen dunkler Erfahrungen und der damit verbundenen Frage: Wo ist Gott? Interessant die Folgerung einer Jüdin und Judaistin in ihrem Essay für das Bibelsonntagsheft: »Ohne (Jakobs) Kampf kein jüdisches Leben.« Heftige Auseinandersetzungen auch mit Gott gehören zum Leben. Für den Familiengottesdienst und die kindliche Auseinandersetzung mit der Jakobsgeschichte gibt es als Themenvorschlag »Gottes Hand hält«. Mit ver- teilten Rollen wird auch die Vorgeschichte in Kurzfassung erzählt, nicht nur der Kampf am Jabbok. Angespielt wird auf die Situation der Angst wie auch der Scham vor der Begegnung mit dem betrogenen Bruder Esau. Es ist gut möglich, auch zwei Gottesdienste zur Bibelwoche zu feiern: zur Eröffnung einen, der die Jakob-Esau-Erzählungen im Überblick bietet (wie z. B. der Familiengottesdienst) und zum Abschluss einen, der die Ergebnisse der Bibelwoche in konzentrierter Form zusammenfasst. ZU GOTT VERRENKT. DER KAMPF JAKOBS AM JABBOK. Materialheft zum Ökumenischen Bibelsonntag 2010, Herausgeber: Deutsche Bibelgesellschaft und Katholisches Bibelwerk e.V. in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland e.V., Verlag: Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart ISBN 978-3-438-06083-7 ISSN 0934-5485 € (D) 1,50 / € (A) 1,60 / sFr 3,00; bei größeren Mengen Staffelpreise. Zu beziehen bei: Deutsche Bibelgesellschaft/Vertrieb Postfach 810340, 70520 Stuttgart Bestell-Hotline: 0800/242-3546 Fax: 0711-7181-126 E-Mail: [email protected] www.bibelonline.de (Online-Shop) www.dbg.de Österreichische Bibelgesellschaft Bibelzentrum Breite Gasse 4-8/I, 1070 Wien Telefon: 01 52 382 40 Fax: 01 52 382 20 E-Mail: [email protected] www.bibelgesellschaft.at Didaktisches Begleitheft 45 7 »Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel.« (Gen/1 Mose 32,29a) Exegetische Einführung in die Jakobserzählungen Die Vätergeschichten der Genesis, wie das erste Buch der Bibel gemäß seiner griechischen Übersetzung genannt wird, gehören zu den bekanntesten biblischen Erzählungen und entwerfen im Horizont von Familiengeschichten ein eindrucksvolles Bild von den Anfängen Israels. Die Abstammungslinie der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob verdankt sich freilich der Literaturgeschichte des Alten Testaments. Und auch die Erzählungen selbst führen nicht bis zu den »historischen« Patriarchen in die Vorzeit Israels zurück. Darum bleiben alle Versuche, die vergangene Lebenswelt der nomadischen Väter und Mütter aufzudecken oder mit einem Bibelatlas ihren Wanderbewegungen nachzugehen, im Grunde genommen dem biblisch-literarisch entworfenen Bild verhaftet. Doch das ist durchaus kein Mangel, sondern berührt sich mit einem Interesse der Vätergeschichten selbst. Denn diese wollen die Vorzeit Israels gerade nicht als ein vergangenes Geschehen entwerfen, sondern als eine für die Gegenwart bedeutsame Geschichte erzählen und dadurch eine kollektive Erfahrung in Gang setzen. Entsprechend sollen sich die Israeliten in ihrem Stammvater Jakob als ein gesegnetes Volk erfahren, das mit seinen Nachbarn in einem zwar nicht konfliktfreien, aber doch verwandtschaftlichen Verhältnis steht. Man darf deshalb das in die Geburtsgeschichte Esaus und Jakobs eingeschobene und ihr vorangestellte Völkerorakel Gen/1 Mose 25, 22-23 als Leseanweisung nehmen, die Jakobserzählungen nicht als eine reine Familien-, sondern auch als eine Völkergeschichte zu lesen. Unter diesem Blickwinkel schildern die Erzählungen paradigmatisch den verschlungen-aufwühlenden Weg, wie Jakob zu Israel wird. Damit rücken sie in den Brennpunkt der Literaturgeschichte und lassen fragen: 8 Sind das nun Geschichten, die dem Volk Israel abgelauscht wurden? Oder Erzählungen, die in den Schreibstuben bei Hof oder am Tempel entstanden sind? Darüber diskutiert die Forschung. 1. Volksliteratur oder Bildungsliteratur? Die ältere Wissenschaft orientierte sich ganz selbstverständlich am Modell der Volksliteratur. Danach entsteht Volksliteratur zunächst in schriftlosen Kulturen (»Jakob in Kanaan«), wird mündlich von Generation zu Generation weitergegeben und schließlich zu Erzählkränzen zusammengebunden, bis ethnographisch interessierte Sammler die erzählten Geschichten aufzeichnen. Solche Sammler sollen der Jahwist und der Elohist gewesen sein, die – gleichsam wie die Gebrüder Grimm – die im Volk umlaufenden Geschichten sammelten und konservierten. Dieses Modell beruht auf den beiden Annahmen, dass Literatur mitten im Volk entsteht und durch mündliche Überlieferung in ihrem Gehalt unangetastet viele Jahrhunderte überdauern kann. Doch haben sich diese Annahmen nicht bestätigt. Vielmehr bewegen sich mündlich überlieferte Erzählungen – das zeigen die aktuellen Untersuchungen – in einem beschränkten Zeit-Horizont. In aller Regel reichen die in ihnen transportierten Erinnerungen nicht weiter zurück als 80–100 Jahre, also im biblischen Sinne drei bis vier Generationen. Der Hinweis auf die Gedächtnisleistung von Talmud- oder Koranschülern und damit auf die memotechnischen Fertigkeiten früherer Generationen ist kein beweis- Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Exegetische Einführung kräftiges Gegenargument. Denn Talmud- und Koranschüler bedienten sich zur Erinnerungsstütze und Kontrolle des auswendig gelernten Stoffes schriftlich niedergelegter kanonischer Texte, an denen sich Schüler über Jahrzehnte orientieren und korrigieren konnten. Ein solches normatives Gegenüber fehlt den mündlichen Erzählungen. Kurzum: Jede geschichtliche Erinnerung geht, wenn sie nicht ständig durch schriftliche Quellen korrigiert werden kann, spätestens mit der dritten Generation verloren (vgl. H.-M. Wahl, Die Jakobserzählungen, S. 113–144). Die neuere Wissenschaft arbeitet deshalb mit einem grundsätzlich anderen Verständnis von Volksliteratur. Literatur wird erst dadurch zur Volksliteratur, dass sie vom Volk aufgenommen, d.h. rezipiert wird. Ein Volk produziert nicht, sondern rezipiert Literatur! Demgegenüber handelt es sich bei den biblischen Schriften – wie im Übrigen bei den literarischen und religiösen Texten des gesamten alten Orients! – im Wesentlichen um Bildungsliteratur. Sie dient weniger der Unterhaltung des Volkes als vielmehr und wichtiger der Gründung und Bildung von Religion, Staat und Volk. Darum bieten auch die Jakobserzählungen vornehmlich Geschichten, die für die Gegenwart damals und heute Ursprung und Herkunft Israels in einer Vorzeit begründen. Vor diesem Hintergrund treten unmittelbar auch die aktuellen Bezüge hervor; denn die Jakobsgeschichten führen uns ein inklusives Volksmodell vor Augen, das Jakob/Israel in verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinen Nachbarvölkern in Kanaan – schiedlich und friedlich – wohnen lässt. 2. Basisinformationen ... zu den Namen Der Name Jakob bedeutet in seiner korrekten philologischen Erklärung: »Er hat geschützt«. Es handelt sich um einen Danknamen, der ohne Nennung des Gottesnamens (theophores Element) gebildet und von der semitischen Wurzel ‘qb II »schützen« abzuleiten ist. Da es die hebräischen Erzähler jedoch lieben, zwischen den Namen ihrer Protagonisten und ihren Geschichten Verknüpfungen herzustellen, bietet die Jakobsgeschichte noch zwei weitere Namensdeutungen: 25,26 nennt Jakob den »Fersenhalter« (hebr. ‘aqeb = Ferse), weil er als der Zweitgeborene die Ferse seines Zwillingsbruders gehalten habe. Dagegen entwickelt 27,36 (vgl. Hos 12,4) eine Beziehung zu der hebräischen Wurzel ‘qb I (= hintergehen, betrügen), wodurch Jakob auf seine Rolle als Betrüger festgelegt wird. Interessant ist auch der Umgang mit dem Namen Esau, der im Alten Testament nicht näher erklärt wird. Stattdessen werden Verbindungen zu zwei anderen Namen gezogen. Zum einen wird Esau mit Edom identifiziert: Der Wortanklang steckt in Gen/1 Mose 25,25 in der Bezeichnung Esaus als der »Rötliche« (hebr. ’admoni), wodurch er als Stammvater der Edomiter ausgewiesen werden soll; denn Edom gilt als das »rötliche Land« aufgrund des östlich vom Wadi Araba aufragenden Nubischen Sandsteins. (Ein weiterer, sekundärer Eintrag in 25,30 bezieht den Namen Edom dagegen auf das ‚rotbraune’ Linsengericht, um das Esau sein Erstgeburtsrecht verkauft.) Zum anderen verweist die Bemerkung, dass Esau schon bei Geburt behaart gewesen sei (hebr. śe‘ar = Haar, Behaarung), auf den Namen der Landschaft Seir, die als das traditionelle Wohngebiet der Edomiter gilt. Beim Namen Israel handelt es sich wiederum um einen Satznamen, der sich aus einem theophoren und einem verbalen Element zusammensetzt. Das göttliche Subjekt heißt allerdings nicht Jahwe, sondern El und bezeichnet damit die Gottheit, die in der kanaanäischen Götterversammlung die höchste Stelle einnimmt. Danach bedeutet Israel entweder »El herrscht/ möge sich als Herrscher erweisen« (abgeleitet von der Wurzel śrh II = herrschen) oder »El streitet« (abgeleitet von der Wurzel śrh I = streiten). Letztere Bedeutung hat offenbar Gen/1 Mose 32,29 im Blick. Sie wird aber insofern abgeändert, als Didaktisches Begleitheft 45 9 Vorüberlegungen zur Bibelwoche nunmehr Jakob an die Subjektstelle rückt und damit kontextgemäß in seinem Ringkampf am Jabbok als »Gottesstreiter« erscheint. Für das nächtliche Handgemenge wird übrigens das Verb ’abaq (= umarmen) verwendet und damit ein lautlicher Anklang an den Flussnamen Jabbok hergestellt. ... zu den Orten Bet-El liegt an der wichtigsten von der Hauptstadt Samaria nach Süden führenden Verbindungsstraße circa 17 Kilometer vor Jerusalem. Als bedeutsame Grenzstadt des Nordreichs beherbergt Bet-El einen königlichen Staatstempel (Am 7,13). Das JahweHeiligtum, dessen Gründung biblisch auf Jerobeam I. zurückgeführt wird (1 Kön 12,29), ist bislang archäologisch nicht nachgewiesen. Die Polemik gegen das von Jerobeam I. aufgestellte Stierbild beginnt wahrscheinlich im 8. Jh. v. Chr. und zeigt die zwischen den nahe beieinander gelegenen Kultzentren Bet-El (Israel) und Jerusalem (Juda) bestehende Konkurrenzsituation. Nach der Eroberung Israels durch die Assyrer wurde der Jahwe-Tempel geplündert, blieb aber als Kultstätte noch bis ins 7. Jh. v. Chr. in Betrieb. Haran gilt als Wohnsitz der Verwandten Abrahams. Die Stadt gehört zu den herkömmlichen Siedlungsgebieten der Aramäer östlich des Eufrat am Fluss Hubur (nahe der türkischen Stadt Urfa), also über 600 Kilometer von Israel entfernt. Für Haran verwendet die Priesterschrift mit Paddan-Aram eine Bezeichnung ihrer Zeit (Gen/1 Mose 25,20; 28,7; 31,18). Gilead bezeichnet vornehmlich das nördlich des Jabbok gelegene ostjordanische Gebiet. Dass der Aramäer Laban und Jakob/Israel in Gilead einen Grenzvertrag aushandeln (31,52), hat einen möglichen historischen Hintergrund in den Aramäerkriegen. Denn in der zweiten Hälfte des 9. Jh. v. Chr. ist Gilead ein zwischen Aram-Damaskus und Nordisrael umstrittenes Gebiet. Zeitweilig gehört es sogar zum Aramäerreich, bevor es die Israeliten um 800 10 v. Chr. zurückgewinnen. 734 v. Chr. wird Gilead von den Assyrern erobert und zu einer Provinz umgewandelt. Mahanajim, Penuël und Sukkot liegen alle im Ostjordanland am Unterlauf des Jabbok und bilden die biblischen Stationen der Rückwanderung Jakobs (32,2-3.31-32; 33,17). Besonders eindrucksvoll ist die naturfeste Lage von Mahanajim. Der Ort wird s-förmig vom Jabbok umflossen und besteht aus einem Doppel-Hügel. Dem entspricht der mit dem hebräischen Dual gebildete Ortsname sowie die Erzählung von den zwei Lagern (32,7-13). Wenige Kilometer flussabwärts liegt Penuël, das mit dem Tell el-Hamme zu identifizieren ist, während Sukkot mit dem unweit der Mündung ins Jordantal gelegenen Ruinenhügel Deir ‘Alla gleichgesetzt wird. Dass sich Jakob dort ein Haus und Hütten für sein Vieh gebaut habe (33,17), ist eine sekundäre Ableitung aus dem Ortsnamen (hebr. sukkot = Hütten). Sichem ist ein bereits für das 2. Jahrtausend v. Chr. archäologisch bezeugtes Handelszentrum, wo sich die auf der Wasserscheide des Gebirges Efraim verlaufende Nord-Süd-Verbindung mit der vom Jordan kommenden Ost-West-Verbindung kreuzt. Seine politische und kultische Bedeutung in der mittleren Königszeit spiegelt sich wider in den Vätergeschichten. In Sichem errichtet Abraham einen Altar (Gen/ 1 Mose 12,6-7). Jakob gelangt ebenfalls nach Sichem, erwirbt sich Land und nimmt dort seinen Wohnsitz (Gen/1 Mose 33,18-20). Etwa 500 Meter südöstlich von Sichem liegt der nur im Neuen Testament erwähnte Jakobsbrunnen (Joh 4,2). ... zur Redaktionsgeschichte Den Grundbestand der Jakobserzählungen bilden zwei ehedem selbstständige Erzählkreise, nämlich der ältere Jakob-Laban-Kreis (Gen/1 Mose 29-31) und der jüngere Jakob-Esau-Kreis (Gen/1 Mose 27 und 32–33). Dabei wurde die ältere in die jüngere Erzählung eingeschoben. Den Übergang markiert zunächst nur 28,10, wo die Reise von Beerscheba nach Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Exegetische Einführung Haran vermerkt ist. Das Gegenstück, das wieder in die Jakob-Esau-Erzählung zurückführt, findet sich in 32,2b-3 und lässt Jakob aus Gilead nach Mahanajim wandern, um von dort Boten an seinen Bruder Esau zu senden. Beide Stücke sind freilich nicht nur literarische Schnittstellen, sondern auch dramatische Scharniere der Gesamterzählung, die eine weitere Ausgestaltung geradezu an sich ziehen. Eben deshalb wurden an diesen beiden Schnittstellen die Gotteserscheinungen 28,11-22 und 32,23-33 eingefügt, die einerseits Flucht und Rückkehr Jakobs voraussetzen und andererseits diese theologisch ausdeuten. Wie auch immer die literarische Vorgeschichte beider Erzählungen zu deuten ist: Sie werden erst bei ihrer Einfügung mit dem Stammvater Jakob verbunden. Beide Scharniertexte verdichten schließlich die Kohärenz der Jakobserzählungen, sodass man ab diesem Zeitpunkt von einer ersten übergreifenden und vorjahwistischen Komposition sprechen kann. Ihr Schlusspunkt liegt in 33,4 oder in 33,16-17, womit dann der Bruderkonflikt in auffallend ähnlicher Weise wie bei der Trennung von Laban und Jakob in 32,1-2a schiedlich-friedlich beigelegt würde. Diese erste Komposition dürfte im Nordreich entstanden sein und datiert ins 8. Jh. v. Chr. Nach dem Untergang Israels 722 v. Chr. gelangten die Texte nach Juda, wurden mit der Isaak-Tradition verbunden (Beerscheba!) und schließlich zu den Vätergeschichten ausgebaut. ... Jahwist und Priesterschrift Warum von der herkömmlichen Quellenscheidung noch nicht die Rede war, hat seinen Grund in der jüngsten wissenschaftlichen Diskussion zu den Mosebüchern (= Pentateuch), in der Existenz, Datierung und Eigenart der Quellenschriften neu bestimmt worden. Danach konnte sich nur die Priesterschrift als durchlaufende Pentateuchquelle im klassischen Sinn behaupten. Dagegen hat sich das Konstrukt Elohist als eigenständige Quelle aufs Ganze gesehen nicht bewährt. Mit ihrer Widerlegung verändert sich auch die Beurteilung der Quelle Jahwist: In der gegenwärtigen Forschung bekommt sie einen völlig neuen Zuschnitt. Statt eines Sammlers aus salomonischer Zeit wird diese Quelle jetzt als Redaktion angesehen, die im frühen 6. Jh. v. Chr. den ersten zusammenhängenden Erzählfaden der Vätergeschichten geschaffen hat. An drei prominenten Stellen lassen sich Interesse und Arbeitsweise der jahwistischen Redaktion (J) beispielhaft beobachten: In die Bet-El-Episode hat sie die Verheißungsrede Gen/1 Mose 28,13-16 eingeschoben. Dabei hat der beobachtete Wechsel der Gottesnamen von Elohim und Jahwe nichts mit der traditionellen Quellenscheidung zu tun, sondern erklärt sich durch die Unterscheidung zwischen der vorliegenden Kultlegende und ihrer jahwistischen Interpretation. Mit der Landund Nachkommensverheißung in 28,13-14 bezieht J sich auf die Abrahamsverheißung in 12,1-3 und interpretiert ihre Wirkung als eine Schutzzusage Jahwes. Dadurch erkennt Jakob, dass der Gott Abrahams und Isaaks auch auf seiner Flucht und in der Fremde (im Exil) mit ihm ist; vgl. 28,15-16 mit 26,3. Eine weitere Bearbeitung findet sich in der Erzählung über Jakobs Reichtum, der sich auch auf Laban segensreich ausgewirkt hat (30,27.29-30.43). Wiederum knüpft J an die Abrahamsverheißung an, nämlich dass durch ihn alle Völker Segen erlangen werden. Ihre Erfüllung findet J beispielhaft bei dem Aramäer Laban verwirklicht, der durch Jakob an den Segenswirkungen Jahwes Anteil bekommt. Schließlich hat J mit 32,5-6 dem Jakob eine Botschaft in den Mund gelegt, mit der er um die Gunst Esaus werben soll. In ihr erklärt Jakob rückblickend, dass er als Fremder bei Laban weilte und in der Fremde (im Exil) reich geworden sei, also auch dort Jahwes Beistand und Segen erfahren habe. Die Güter, die Jakob anschließend seinem Bruder Esau sendet, erscheinen deshalb nicht nur als materielle, sondern auch als ideelle Versöhnungsgeschenke, weil Jakob von den Wirkungen seines (erschlichenen) Segens an Esau austeilt (33,11). An allen drei Stellen bevorzugt die jahwistische Redaktion direkte Reden, um ihre Deutungen in die Jakobserzählungen einzubringen. Didaktisches Begleitheft 45 11 Vorüberlegungen zur Bibelwoche Die Kernstücke der priesterschriftlichen Darstellung sind in der Auswahl der Bibelwochen-Texte nicht berücksichtigt, sollen aber in zwei Fällen zur Sprache kommen, weil sie die Eigenart der vorpriesterschriftlichen Jakobserzählungen (auch und zumal in ihrer jahwistischen Interpretation) nachhaltig beleuchten. Zum einen lässt sich beobachten, dass in der Priesterschrift der Bruderkonflikt zwischen Jakob und Esau zusehends in den Hintergrund tritt. Man kann dies besonders dem priesterschriftlichen Text Gen/1 Mose 27,46–28,9 entnehmen, der die unausweichliche Flucht Jakobs nach Erschleichen des Segens in eine achtbare Reise nach Mesopotamien zur Brautwerbung umdeutet. Aus dem Betrüger wird priesterschriftlich ein Vorbild für das exilisch-nachexilische Judentum; denn Jakob hält sich anders als sein Bruder an das Mischehenverbot (vgl. Dtn/5 Mose 7,3). Zum andern findet sich in Gen/1 Mose 35,9-13 die priesterschriftlich verdichtete (und wohl auch korrektive) Fassung der Gotteserscheinung von Bet-El, die sich zu einem reizvollen Vergleich mit der Bet-El-Episode in 28,11-22 anbietet. Zwei Hinweise mögen genügen: In 35,11 wird die Abraham gegebene Nachkommensverheißung als eine dem Jakob direkt zugesprochene Zusage wiederholt und mit einer feinen, nur am hebräischen Text erkennbaren Nuance versehen. Während Abraham nämlich zu einer »Menge« von Völkern werden soll, wird aus Jakob eine »Versammlung« (hebr. qahal) von Völkern hervorgehen (vgl. mit 28,3). Durch diesen spezifisch priesterschriftlichen Sprachgebrauch werden die von Jakob/Israel abstammenden Völker im engeren Sinne zur Kultgemeinschaft zusammengeschlossen. Was die Kultstätte in Bet-El betrifft, erklärt 35,13, dass Gott nach seiner Rede von dem Ort daselbst in den Himmel aufgefahren sei. Damit wird Bet-El (resp. das Haus Gottes!) nicht mehr als ein Ort permanenter göttlicher Anwesenheit vorgestellt, sondern nur noch temporär-vergangener. Für die Priesterschrift ist damit die Gotteserscheinung in Bet-El nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Berg Sinai, mit dem Zion gleichbedeutend ist. 12 3. Hauptthemen Segen Der Segen ist zweifelsohne ein Leitthema in den Jakobserzählungen. Herkömmlich werden die Segenstexte dem Jahwisten zugewiesen. Das Thema begegnet aber auch in der Priesterschrift (Gen/1 Mose 28,1.3.4.6; 35,9). Nicht alle Segenstexte liegen literarisch auf einer Ebene, zumal der Jahwist in seinen Quellen selbstständige Segenserzählungen wie im Fall Gen/1 Mose 27,1-45 vorfand. Es bietet sich daher an, zunächst nach dem religionsgeschichtlichen Befund im alten Israel zu fragen: Unter dem Segen wird allgemein eine Gabe Gottes verstanden, die dem Menschen Vitalität und Wohlergehen verleiht und ihm dadurch Zukunft eröffnet. Im Bereich der Familie kann sich Segen im Sinne von Erfolg im wirtschaftlichen wie im Fortpflanzungsbereich auswirken, z. B. Ernteertrag, Viehbesitz, Vermögen (vgl. Gen/1 Mose 26,12-14). Wohlstand gilt darum auch als Manifestation des Segens, sodass sein Träger wie in der Grabinschrift von Kirbet el-Qom (westlich von Hebron) aus dem späten 8. Jh. v. Chr. im biographischen Rückblick als »Gesegneter Jahwes« bezeichnet werden kann. Typische Situationen, in denen Segen zugesprochen wird, sind Abschiede oder Begegnungen, aber auch krisenhafte Lebensumstände, wobei der Segen in diesen Fällen besonderen Schutz und Kräftigung bewirkt. Segen wird durch Rede und Gestus eines Menschen vermittelt, als Segensspender gilt dagegen Gott. So heißt es auf einer Gefäßinschrift aus Kuntillet Aǧrud aus dem späten 9. Jh. v. Chr.: »... Ich segne euch durch Jahwe von Samaria und seine Aschera.« Überraschenderweise wird in diesem Beispiel neben Jahwe auch die kanaanäische Fruchtbarkeitsgöttin Aschera als Segensspenderin genannt, obwohl sie in den götzenpolemischen Texten des Alten Testaments durchgängig verworfen wird. In der Inschrift erscheint sie freilich nicht als eine unabhängige Göttin, sondern ist dem Gott Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Exegetische Einführung Israels als seine Partnerin zugeordnet. Besondere Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Silberamulette von Ketef Hinnom (in Jerusalem) aus dem 6. Jh. v. Chr., deren Beschreibung mit einer Form des priesterlichen Segens von Num/4 Mose 6,24-26 den Zusammenhang zwischen Segen und schützender Wirkung nochmals unterstreicht. – Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass Segen und Segenshandlungen als religiöse Dimension des Alltags im alten Israel verwurzelt sind. Heftig umstritten ist das Segensverständnis in der Erzählung Gen/1 Mose 27,1-45. Die einen vermuten, dass in ihrer ältesten Schicht eine archaische Auffassung des Segens als magisch-selbstwirksame und unwiderrufliche Kraftübertragung zum Ausdruck komme. Danach habe Isaak als Segensspender durch körperliche Berührung seine elementare und transpersonale Lebenskraft an Jakob übertragen, wie dies nur kurz vor dem Tod möglich sei. Deshalb müsse man die Segenshandlung Isaaks als exklusiv-einmalig, unteilbar und irreversibel verstehen (27,33). Diese Auffassung kann die andere Gruppe von Forschern nicht überzeugen. Die Geschichte an sich würde nicht funktionieren, wenn dem Älteren nach Aufdeckung des Betrugs ein ähnlicher Segen wie dem Jüngeren zugesprochen würde. Aus diesem erzählerisch-dramaturgischen Grund werde das Gegenüber von Segensfülle (Jakob) und Segensmangel (Esau) markiert, jedoch ausdrücklich keine Segen-Fluch-Alternative entworfen. Außerdem könnte man vermuten, dass mit dem Sterbesegen auch Besitzrechte übertragen wurden, die sich nicht ohne weiteres widerrufen lassen. – Mithin ist bei der Auslegung dieser Segenserzählung besondere Vorsicht geboten, und es ist sehr die Frage, ob vor ihrem Hintergrund eine systematisch-theologische Rehabilitierung magisch-selbstwirksamer Segensvorstellungen zu empfehlen ist (vgl. M. Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, S. 484). Möchte man eine theologische Linie finden, wird man sich mindestens dem Problem stellen müssen, ob der Segen deshalb bei Jakob blieb, weil er einen magisch-selbstwirksamen Segen erschleichen konnte, oder ob Jahwe den Segen bei Jakob beließ, obwohl er sich ins Unrecht setzte. (25,29-34 entlastet Jakob nur ungenügend durch den »Kauf« des Erstgeburtsrechts.) Nimmt man den Gesamttext in den Blick, sorgt immerhin der Jahwist für eine weitere Klärung, indem er den Vatersegen Isaaks noch deutlicher als einen Jahwesegen herausstellt, so in der Formulierung Gen/1 Mose 27,7 »... dann werde ich dich vor Jahwe segnen, bevor ich sterbe«. Damit wird die theologisch belangvolle Unterscheidung zwischen Segens-Sprecher und Segens-Spender nochmals ausdrücklich unterstrichen: Isaak kann den Segen nicht aus eigener Kraft bewirken (nicht magisch), so wie die Segens-Wirkung nicht ohne Zutun Jahwes zum Ziel kommt (nicht selbstwirksam). Was schließlich den Segensinhalt anlangt, hat auch hier die jahwistische Redaktion nachgearbeitet, den Fruchtbarkeitssegen (27,28) um den Herrschaftssegen erweitert und dadurch den familiären Segen in einen Völkerhorizont gestellt (27,29; vgl. 27,39-40a). Edom/Israel Der dem Jakob zugesprochene Herrschaftssegen erweist sich nur als eine Zuspitzung des Bruderkonflikts, der im Grunde genommen die gesamte Erzählung bestimmt und bereits im Mutterleib mit dem Gerangel der Zwillinge beginnt. Dabei reicht der Spannungsbogen vom Linsengericht und der Segens-Erschleichung über die Flucht Jakobs und seinen segensreichen, wenn auch nicht konfliktfreien, Aufenthalt in der Fremde bis hin zu seiner Rückkehr und Aussöhnung mit Esau. Dass sich Jakob auf seinem weiten Weg plötzlich selbst als der Betrogene erfahren muss und sich statt als Herrscher über seinen Bruder Esau als Diener seines Verwandten Laban (29,12.15) wiederfindet, macht den besonderen Reiz der Erzählkomposition aus und lässt über eine mögliche »innere Wandlung« Jakobs nachdenken. Die Begegnungsszene zwischen Jakob und Esau Didaktisches Begleitheft 45 13 Vorüberlegungen zur Bibelwoche hält aber dann doch einige Merkwürdigkeiten vor. Zunächst überrascht, dass es Esau ist, der den entscheidenden Schritt zur Versöhnung tut und vorbehaltlos Jakob die Hand reicht, ihn umarmt und küsst – was in diesem Fall mehr bedeutet als die übliche orientalische Begrüßungsmodalität (33,4). Darüber hinaus ist es Esau, der Jakob als seinen Bruder anspricht (33,9) und freimütig auf die Geschenke verzichtet, zu deren Annahme er dennoch von Jakob gedrängt wird. Schließlich bietet Esau seinem Bruder an, mit ihm gemeinsam weiterzuziehen bzw. einen Begleitschutz für seine Familie abzustellen (33,12.15). Und wie verhält sich Jakob dazu? Schon bei der Vorbereitung der Begegnung mit Esau zeigt sich, dass er strategisch-berechnend vorgeht und seine Frau Rahel mit seinem Sohn Josef an die geschützteste Stelle im Tross stellt (33,2). Sodann ist er zwar fortgesetzt mit Unterwerfungsgesten beschäftigt (33,3.6.7), doch mit keinem Wort bekennt er Esau gegenüber seine Schuld, noch bittet er den Bruder um Vergebung. Stattdessen spürt man mehr und mehr einen versteckten Argwohn, den Jakob gegenüber Esau hegt. Dass er seinem Bruder nicht offen, sondern mit ausweichenden Antworten begegnet, scheint schon wieder einer täuschenden Absicht nahezukommen (33,13-14). Verschiedentlich hat man deshalb von einem Missklang gesprochen, mit dem die Jakob-Esau-Erzählungen schließen, und Zweifel an der Echtheit der Versöhnung geäußert. Wie sind diese Merkwürdigkeiten zu erklären? Man kann natürlich psychologisieren, doch lassen sich manche Eigenheiten durch den historischen Hintergrund besser erklären. Denn die Ausgestaltung der Szene scheint das geschichtlich angespannte Verhältnis zwischen Juda (!) und Edom in der späten Königszeit zu reflektieren, in der sich das Kräfteverhältnis zugunsten Edoms verschoben hat. Obwohl es verschiedentlich zu edomitischen Kriegszügen im südlichen Grenzgebiet Judas gekommen ist, halten die Jakob-Esau-Erzählungen am Modell einer friedlichen Aussöhnung fest, bevorzugen aber ein Verhältnis der »Verwandtschaft auf Distanz«. Im Verhalten Jakobs kommt damit nicht nur ein Miss- 14 trauen gegenüber Edom zum Ausdruck, sondern auch das Ansinnen Israels resp. Judas, sich gegen Edom abzugrenzen und künftig von seinem Nachbarn unbehelligt zu bleiben. Vor diesem Hintergrund erklärt sich ferner der Eindruck, dass der Herrschaftssegen in 27,29 in gewisser Weise revidiert werde. Denn statt der Völker, die sich vor Jakob niederwerfen sollen, sind es nun die Söhne Jakobs, die sich vor seinem Bruder Esau niederwerfen (33,67). Mithin lässt sich der Bruderkonflikt auch in diesem Text nicht auf eine familiäre Angelegenheit reduzieren und als eine paradigmatische Versöhnungsgeschichte interpretieren, zumal sie narrativ nicht reibungslos funktioniert. 4. Schlussbemerkung Jakob und nicht Esau ist der Gesegnete Jahwes und muss es sein. Das steht für die Tradenten fest. Gleichwohl erzählen sie dazu keine problem- und fraglose, sondern eine konflikt- und segensreiche Geschichte, die uns heute eine gewisse Verlegenheit bereitet. Lassen sich Jakobs erpresserisches Verhalten, seine schamlose Täuschung des blinden Vaters und sein hinterlistiger Betrug am älteren Bruder ohne Weiteres mit Gottes Führung in Einklang bringen? Es ist darum nicht so sehr Jakob, der mit Gott um seinen Segen ringt, sondern vielmehr Gott, der mit Jakob um seine Geschichte ringt. Theologisch wird sich deshalb die Auslegung der Jakobserzählungen an Esau bewähren müssen, damit sie nicht auf eine »Suspendierung des Ethischen« hinausläuft (Sören Kirkegaard). Dr. ALEXANDER A. FISCHER, PD an der FriedrichSchiller-Universität Jena, theologischer Referent der Württembergischen Bibelgesellschaft Stuttgart. Forschungsschwerpunkte: Davidserzählungen, Exodus und Mythos, Tod und Jenseits, Textgeschichte des Alten Testaments Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Segensrituale für alle Einheiten der Bibelwoche Im Folgenden werden mehrere Möglichkeiten vorgeschlagen, die am Schluss jeder Einheit praktiziert werden können. Es kann sinnvoll sein, sich für eine Möglichkeit zu entscheiden und diese immer zum Schluss einer jeden Einheit/eines jeden Abends gleichbleibend zu verwenden. Dies unterstreicht die rituelle Dimension. Die Abwechslung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten setzt hingegen den Akzent auf die Vielgestaltigkeit, in der uns Gottes Segen begegnet. 1 | Segenstanz zu dem Lied »Bewahre uns, Gott« (EG 171,1+4; EmK 488,1+4) I) Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns auf unsern Wegen. Wir fassen uns an den Händen, bilden einen Kreis und tanzen nach rechts mit einfachem Schreitschritt vorwärts: rechts-links, rechts-links. II) Sei Quelle und Brot Die Hände lösen, zur Mitte drehen, zwei Schritte rechtslinks zur Mitte gehen und dabei die Arme heben. in Wüstennot Rückwärtsschritt zurück rechts-links, dabei die Arme wieder senken. sei um uns mit deinem Segen. Jeder dreht für sich einen kleinen Kreis um sich selbst mit vier Schritten (rechts-links, rechts-links). Teil II wird – wie im Lied vorgesehen – wiederholt. Der ganze Tanz kann mehrfach wiederholt werden, je nachdem wie gut der Text bekannt ist auch mit Vers 4. 2 | Meditation mit Psalm, Salbung und Segenszuspruch Vorbereitung: Gefäß mit einem wohlriechenden Salböl bereitstellen Ltg.: Allen menschlichen Beziehungen voraus steht unsere Beziehung zu Gott, der uns, jede einzelne Person, geschaffen und eine ganz besondere Würde verliehen hat – so die Überzeugung der biblischen Texte. Doch dieses Voraus ist eher ursächlich als zeitlich zu bestimmen, denn unser ganzes Leben hindurch in ganz verschiedenen menschlichen Beziehungen begegnet uns Gott. Daran erinnern uns die Jakobserzählungen vom Kampf um den Segen, vom Ringen mit Menschen und mit Gott. – Doch was ist der Mensch? Angesichts der Größe der Schöpfung stellt sich uns immer wieder diese Frage. Psalm 8 rühmt den Schöpfergott, der Himmel und Erde geschaffen hat – und den Himmel und Erde rühmen. Die Überzeugung des Beters ist, dass der Mensch nur wenig geringer ist als Gott, dass er mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist, dass ihm die Verantwortung für Mensch und Welt übertragen ist und dass in dieser Schöpfung Gottes Segen wohnt. Dem können wir uns im Beten von Psalm 8 anschließen: Alle: GL 710 in der Einheitsübersetzung oder EG mit dem Luthertext (Abweichungen zwischen den EG-Regionalausgaben in der Nummerierung der Psalmgebete) Ltg.: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. – Jedem Menschen kommt eine königliche Würde zu, jeder Mensch ist gekrönt von Gott. Zum König bin ich berufen in meinen vielfältigen Beziehungen. Werde ich diesem Auftrag gerecht? Oft scheitere ich gerade in meinen Beziehungen mit Didaktisches Begleitheft 45 15 Segensrituale diesem Auftrag. Was dann? Die königliche Würde wird mir immer wieder neu zugesprochen – so wie der Seher Johannes das zu Beginn des letzten Buches unserer Bibel, der Offenbarung, formuliert. Er spricht den sieben Gemeinden der Provinz Asien zu: »Gnade sei mit euch und Friede von dem, der ist und der war und der kommt, von den sieben Geistwesen, die vor seinem Thron sind, und von Jesus Christus, dem treuen Zeugen, dem Erstgeborenen aus den Toten, dem Herrscher über die Könige der Erde. Ihm, der uns liebt und uns durch sein Blut von unseren Sünden erlöst hat, der aus uns ein Königreich gemacht hat, eine Priesterschaft für Gott, seinen Vater, ihm sei die Herrlichkeit und die Herrschaft in alle Ewigkeit. Amen.« (Offb 1,4-6) Jesus Christus liebt uns und hat uns erlöst; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern. Im Alten Testament werden Geschichten von Königen erzählt, deren besonderer Auftrag und Segnung sich symbolisch in ihrer Salbung ausdrückt. Wir wollen uns nun gegenseitig diese königliche Würde zusprechen, auch wenn wir mitunter in unseren Beziehungen scheitern. Wir stellen uns im Kreis auf, geben das Salbgefäß herum und segnen die/den jeweils Nächsten mit dem Salböl. Wir sprechen uns dabei mit Namen an und sagen: »N., der Herr segne dich, Gnade sei mit dir.« 3 | Segenspsalm und Speisung Die leibliche Dimension des Segens wird in den Jakobserzählungen deutlich entfaltet. Dies kann auch im Segensritual zum Ausdruck kommen, indem dieses verknüpft wird mit einem gemeinsamen Mahl zum Schluss. Die Teilnehmenden sitzen an einem großen Tisch. Ltg.: Brot, Wein und das Leibgericht brachte Jakob seinem Vater Isaak, damit dieser ihn segnete. Da das Leibgericht bei verschiedenen Menschen etwas sehr Unterschiedliches sein kann, beschränken wir uns hier auf Weißbrot und Wein, Grundbestandteile jedes jüdischen Sabbatmahls. Dort wird über den Becher Wein und über das Brot das Segensgebet ge- 16 sprochen. Für uns Christen sind diese Symbole mit dem Abendmahl Jesu, mit der Feier der Danksagung, der Eucharistie, verbunden. Für beide Religionen sind sie Symbole des bleibenden Bundes mit Gott. Deshalb sind sie verbunden mit dem Lob Gottes und der Heiligung unseres Lebens. Wir dürfen deshalb mit Worten von Paul Gerhardt singen: Lied: Du meine Seele, singe (EG 302,1-4.8; EmK 76,1-4.7) oder Singet, danket unserm Gott (GL 277; EG Regionalteil Rheinland-Westfalen-Lippe 597) Gemeinsam wird Psalm 67 im Wechsel zweier Gruppen gebetet (GL 732 = Einheitsübersetzung; EG = Luthertext; Abweichungen zwischen den EG-Regionalausgaben in der Nummerierung der Psalmgebete) Einladung, Brot und Wein (oder Traubensaft) zu sich zu nehmen und miteinander im Gespräch zu bleiben. Abschluss mit Dankgebet: Gütiger Gott, wir loben dich und danken dir für deine Zuwendung. Du segnest uns und gibst uns Nahrung für Seele und Leib. Du schenkst uns Menschen, die mit uns auf dem Weg sind. Du begegnest uns, wo wir es nicht erwarten. Gesegnet dürfen wir gehen in unseren Alltag und deinen Segen weitergeben den Menschen, denen wir begegnen. Auf dich vertrauen wir, du bist unser Frieden. Amen. 4 | Erinnerung an die Taufe Katholische Christen sind es gewohnt, sich mit Weihwasser zu bekreuzigen. Das geweihte Wasser soll an das Wasser der Taufe erinnern, an das erste Sakrament, das ein Christ empfängt, Zeichen der Zuwendung Gottes. Der protestantische Teil der Christenheit kennt den Umgang mit Weihwasser nicht. Bei der ökumenischen Bibelwoche könnten beide Seiten Neues entdecken: Katholiken, dass der (schon fast beiläufige) Umgang mit Weihwasser bei der Bekreuzigung eigentlich an etwas Besonderes, nämlich die Taufe, erinnern Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Für alle Einheiten der Bibelwoche soll; Evangelische, dass Zeichen etwas vergegenwärtigen können, das sonst zu verblassen droht. Zum Abschluss der Bibelarbeit können daher eine Kanne Taufwasser (Weihwasser) und eine Schale bereitstehen. Wir sind getauft auf den Namen des dreieinigen Gottes, auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dieses Wasser erinnert uns an die Taufe, die wir empfangen haben. Jeder und jedem Getauften ist die Heilszusage Gottes, die Befreiung von der Macht der Sünde und das in Christus wirksame Heil, in diesem Sakrament bleibend geschenkt. Weder ein Segen noch eine Bekreuzigung mit Weihwasser kann dieses Sakrament übertreffen oder steigern. Aber wenn wir uns diese Heilszusage Gottes vergegenwärtigen, kann uns dies in unserer Vergesslichkeit und Nachlässigkeit helfen, wieder das zu entdecken, was uns schon lange zuteil geworden ist: Gottes befreiende, Leben schaffende Gnade. Und weil wir uns die Taufe nicht selbst gespendet haben, so wollen wir uns auch jetzt die Tauferinnerung durch einen Mitchristen/eine Mitchristin zu-sagen lassen. Gehen Sie jeweils zu zweit zu der Schale mit Weihwasser/Taufwasser und sprechen sie: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes: Du bist Gottes Kind und bleibst es.« Tauchen Sie Ihre rechte Hand in das Wasser und machen Ihrem Gegenüber mit dem Wasser ein Kreuzzeichen auf die Stirn. Dieser Ritus kann vor oder nach dem gemeinsamen Schlusslied vollzogen werden. 5 | Segenslied Neben den Segensliedern aus den offiziellen kirchlichen Gesangbüchern kann auch ein anderes Segenslied als sich wiederholende »Erkennungsmelodie« die einezlnen Einheiten abschließen. Dafür eignen sich aus dem Liederbuch für die Jugend, hg. v. Markus Hartenstein und Gottfried Mohr, Gütersloh 222006, die Lieder: 362 Der Herr segne dich (auch in EG-Regionalausgabe Württemberg 563) 382 Gott, dein guter Segen Didaktisches Begleitheft 45 17 1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib« Esau und Jakob, Verkauf des Erstgeburtsrechts Gen/1 Mose 25,19-34 Zum Text Brüder – Völker Gliederung Am Anfang steht mit 25,19-20 eine genealogische Notiz. Auftakt der Jakob-Esau-Geschichten ist dann die Erzählung von der Geburt der Zwillinge Esau und Jakob (25,21-26); sie stellt die Hauptakteure vor. Zusammen mit den folgenden überleitenden Versen (25,27-28) bietet sie wichtige Informationen für die weitere Handlung. Die anschließende, in sich geschlossene Szene vom »Verkauf der Erstgeburt« (25,29-34) gibt eine – nach 25,23 – zweite Antwort auf die Frage, warum Jakob den Vorrang gegenüber Esau erhält. Sie weist damit zugleich über eine Interpretation des Bruderkonflikts im Horizont einer Familiengeschichte hinaus auf den politisch-historischen Kontext der Jakob-Esau-Überlieferung. Abstammung Die genealogische Notiz 25,19-20 (vgl. auch 25,26b) greift auf die im voranstehenden Text (25,7-10) überlieferte Nachricht vom Tod und Begräbnis Abrahams zurück und räumt der Bestimmung der Herkunft Rebekkas breiten Raum ein. Die Ortsbezeichnung Paddan-Aram (Zürcher Bibel und Einheitsübersetzung; Luther: Mesopotamien) verweist auf das Gebiet um Karkemis am oberen Euphrat. 25,21-28 ist eine Erzählung, die Lesende und Hörende mit grundlegenden Informationen für das Verständnis der weiteren Handlung versorgt. Die Befragung des Gottes Israels durch Isaak (21) bzw. Rebekka (22) wird erzählerisch nicht ausgestaltet, insbesondere werden keine Hinweise auf den Ort des Bittens/Befragens oder dessen Ablauf gegeben. Das im Zusammenhang der Intervention Isaaks für Frage und Antwort gebrauchte Verb (hebräisch atar = bitten/beten bzw. sich erbitten lassen) ist auch an andern Stellen mit der Idee der Fürbitte verbunden (z. B. Ex/2 Mose 8,26 in der Plagen-Erzählung). Rebekka dagegen befragt (hebr. darasch) Gott, um eine Gefährdung abzuwenden und Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen, ob und wie das vorauszusehende Dilemma zu beheben ist. – Dass sonst beim Gebrauch dieses Verbs entweder Könige oder die Ältesten die Fragesteller sind, ist bemerkenswert und kann als Hinweis auf die auch sonst in diesen Versen greifbar werdende Wertschätzung und Würdigung der Eigenständigkeit Rebekkas verstanden werden. Rebekkas Reaktion auf die sich im Mutterleib stoßenden Zwillinge (22; vgl. später die Notiz in 24) ist mehrdeutig formuliert: Sie »kann Angst vor dem Sterben, vor einer Fehlgeburt oder dem Schicksal der noch Ungeborenen ausdrücken« (Claus Westermann, S. 505*) oder aber als Frage »nach ihrer zukünftigen Aufgabe« (Horst Seebass, S. 270*) verstanden werden. In 27,46 wird Rebekka übrigens ein ähnlicher Ausruf in den Mund gelegt. Das in poetischer Sprache gehaltene Gottesorakel an Rebekka (23) lässt zunächst offen, wer wem dienen wird. Im Zusammenhang der Jakob-Esau-Ge- * Genauere Angaben zu den zitierten Werken am Ende des Kapitels 18 Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 25,19-34 schichten werden aber durch diesen Orakelspruch »in nuce die Thematik des folgenden Geschehens (Konflikt zwischen den Brüdern), dessen Lösung (der Jüngere ist überlegen) und seine Bedeutung für die Hörer vorweggenommen« (Erhard Blum, S. 69*). Bei der Schilderung der Geburt der Zwillingsbrüder (24-26) steht zunächst die Frage im Zentrum, wer von beiden als Erstgeborener zu gelten habe (vgl. auch Gen/1 Mose 38,27-30). Das überrascht nicht angesichts des besonderen Ranges, den die biblische Überlieferung dem Erstgeborenen zumisst. – Nach Dtn/5 Mose 21,15-17 steht dem Erstgeborenen der Großteil des väterlichen Erbes und nach dem Tod des Vaters die Rolle des Familien- bzw. Sippenoberhaupts zu (zum Gebot der Auslösung der menschlichen Erstgeburt siehe Ex/2 Mose 13,1-2.11-16 und die [späteren] Bestimmungen Num/4 Mose 3,12-13.40-51; 8,17-18). Kunstvoll erzählt gibt 25,25 »mit der Beschreibung Esaus zu verstehen, dass es in der folgenden Geschichte dieses Mannes zugleich auch um Edom geht, ohne dass Edom als eigentliche Erzählgestalt auftreten müsste. Gleichzeitig bietet sie damit eine implizite Ätiologie [Herkunftslehre; d. Red.] der Namen ›Edom‹ und ›Seir‹« (Erhard Blum, S. 73). Die Wortwahl rötlich spielt auf Edom an, die Formulierung wie mit einem Fell auf Seïr (bewaldetes Land) und damit auf das östlich des Jordangrabens zwischen Totem und Rotem Meer gelegene Gebirgsland, das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Edomiter. In 26 wird der »zweite Zwilling« aufgrund eines Vorgangs bei der Geburt benannt. Der hier belegten sogenannten »volksetymologischen« Erklärung seines Namens Jakob (Fersenhalter von hebräisch aqeb = Ferse) stehen die korrekte philologische Erklärung »er hat geschützt« (vgl. die exegetische Einführung von A. Fischer in diesem Heft, S. 9) und die in Gen/ 1 Mose 27,36 bzw. Hos 12,4 belegte Ableitung vom Verb qab (= betrügen) gegenüber. 25,27-28 sind parallel aufgebaute Verse und leiten über zum Folgenden. Sie berichten vom Neben- und Gegeneinander der Brüder, das in deren andeutungsweise skizzierten Charakter gründet: Esau, dem »Mann des freien Feldes«, steht der »Stubenhocker« Jakob gegenüber. So wird die dann folgende Szene vom Linsengericht vorbereitet. Eher unwahrscheinlich ist, dass 27 das Gegenüber von Hirtenund Jägerkultur herausstellen will. Bemerkenswert die Charakterisierung Jakobs als »gesitteter Mann« – die Zürcher Bibel macht mit ihrer Übersetzung des Adjektivs tam (= untadelig) deutlich, dass dieses auch zur Charakterisierung des »untadeligen und rechtschaffenen« Hiob (vgl. Ijob 1,1) gebraucht wird. Die positiv wertende Charakterisierung Jakobs als rechtschaffen steht in deutlichem Kontrast zur Aussage Esaus in 27,36. Der folgende Vers 28 lässt sich als Auftakt zum Geschehen in Kapitel 27 lesen. Rote Linsen und die Vorrangstellung Israels 25,29-34 erzählt, wie Jakob sich in die von Geburt her Esau zustehende Stellung des Erstgeborenen bringt. Was genau Jakob kocht, bleibt bis zum Schluss offen; der Heißhunger Esaus wird beschrieben durch das in der Bibel nur hier verwendete Verb laat (einziger weiterer Beleg im babylonischen Talmud, Schabbat 155b: »man gibt dem Kamel zu schlingen«) und durch die Wendung »von dem Roten, dem Roten da«, wobei sowohl 29 als auch 30 Esau als erschöpft, nicht aber hungrig beschreiben. – Zur hier erneut gebotenen Worterklärung des Namens Edom vgl. oben bei 25. Dass Jakob Esau »schwören« lässt (33a), garantiert die Gültigkeit und Unwiderruflichkeit des Verkaufs, wie 33b nochmals unterstreicht. Jetzt endlich bekommt Esau zu essen – und erhält neben Linsen auch Brot. Wie Getreideprodukte gelten die Hülsenfrüchte im alten Israel als wichtiges Grundnahrungsmittel. Esaus Essen und Trinken verleiht ihm neue Kraft – sein Aufstehen und Davongehen nach der Mahlzeit ist zunächst nicht negativ gewertet. Kritik formuliert erst der die Episode abschließende Satz. Vielfach als »von derbem Realismus« (G. von Rad, S. 213*) oder durch »karikierende Züge« (Claus Wes- Didaktisches Begleitheft 45 19 1 | »Zwei Völker sind in deinem Leib« termann, S. 509) geprägt bezeichnet, zielt der Abschnitt, in dem nicht Gott handelt, sondern »zwei durch Verheißung Geadelte« (Horst Seebass, S. 274), kaum darauf, den kulturellen oder auch ökonomischen Konflikt zwischen Hirten(kultur) und Jäger(kultur) zu schildern. Vielmehr antwortet die Szene »mit ihrem Skopus auf die ätiologische Frage, wie es zum Vorrang Israels vor Edom kam« (Erhard Blum, S. 86) – und fordert so zu einer dem Text (und den folgenden Texten) angemessenen Schwerpunktsetzung der Bibelwoche heraus. Gestaltung der Bibelarbeit Thematischer Schwerpunkt Mit seinen unterschiedlichen Themen eröffnet der erste Textabschnitt die Chance, nicht nur in die Bibelwoche einzuführen und deren Grundthema vorzustellen, sondern auf dem Hintergrund gemeinsamer Lektüre auch grundsätzlichen Fragen der TN Raum zu geben. Dabei wird eine Herausforderung darin bestehen, über das den TN vielleicht aus Kindheitstagen geläufige Verständnis des Textabschnitts als Familiengeschichte aus den Anfängen Israels hinaus zu kommen. Denn es geht nicht vor allem um die Geschichte zweier Brüder (auch wenn im Gespräch der TN einschlägige Erfahrungen und Erlebnisse durchaus ihren Platz haben mögen), sondern um eine Völkergeschichte (vgl. dazu die in der exegetischen Einführung gegebenen Hinweise und das dort formulierte Verständnis von 25,22-23 als »Leseanweisung«), die als Ätiologie (Lehre vom Ursprung) die zur Zeit ihrer Verfasser vorfindlichen Gegebenheiten begründen will. Erfahrungen zeigen, dass einzelne TN, wenn das Gespräch auf die historisch-politische Dimension von Gen/1 Mose 25 kommt, schnell das Thema »die Lage im Nahen Osten« und das Verhältnis Israel – Palästina ansprechen. Dies ist dann problematisch, 20 wenn die Jakob-Esau-Erzählung im Maßstab 1:1 auf aktuelle politische Gegebenheiten übertragen werden soll. Hier ist nachdrücklich in Erinnerung zu rufen, dass biblische Erzählungen einen bestimmten Kontext und bestimmte Gegebenheiten zu interpretieren suchen. Die mit der Chiffre »Edom« verbundene (jüdische) Tradition, die Edom mit den Weltmächten Babel und Rom (und später den judenfeindlichen christlichen Kräften) identifiziert, mag hier als Korrektiv dienen. Israel Yuvals Studie zu den wechselnden biblischen und nachbiblischen Esau-EdomTypologien zeigt zudem eindrücklich, dass die Frage, wer denn jeweils als der »ältere« und wer als der »jüngere« Bruder zu gelten hat, keineswegs eindeutig zu beantworten war und ist. Für die konkrete Gestaltung der ersten Bibelwocheneinheit schlage ich vor, diese als Einleitung für die ganze Reihe zu konzipieren und zunächst Raum zu lassen für mitgebrachte Fragen. In einem zweiten Schritt kann zur Lektüre dessen angeleitet werden, was da steht. Und schließlich wird zur Vorbereitung der kommenden Abende die Segensthematik eingeführt, indem z. B. die ambivalente Rolle des späteren Segensträgers Jakobs offen angesprochen wird, den die Auslegung durch die Zeiten hindurch als gleichermaßen listig, zielstrebig, eine Notlage ausnutzend, der Berufung folgend, um jeden Preis ans Ziel kommen wollend ... charakterisiert. Vorbereitung/Raumgestaltung Ein großes Tuch, darauf verschiedene Schilder mit den Namen der Personen der Handlung (der ganzen Bibelwoche!; jeder Name mehrfach vertreten) und viele Schilder mit der Aufschrift Segen. Öffnen Die TN wählen sich ein Schild und formulieren, was sie mit diesem Namen verknüpfen: wem sie sich verbunden wissen, wer ihnen Schwierigkeiten macht, was sie zu diesem Namen wissen wollen, ... Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 25,19-34 Die TN nehmen sich ein Schild mit Aufschrift Segen und halten darauf fest, was Segen für sie bedeutet, wo sie Segen erfahren (haben) und in welchen (Lebens-)Stationen ihnen Segen besonders wichtig ist. Begreifen Sinnvoll könnte ein Lektüre-Einstieg sein, bei dem der Text zunächst (von den TN reihum) laut gelesen und beim Hören (oder bei der anschließenden Einzellektüre) im TN-Heft markiert wird, was Zustimmung findet (»!«), wo sachlicher Klärungsbedarf (»?«) und wo inhaltlicher Gesprächsbedarf (»unterkringeln«) besteht. Mit einem »Blitz« werden Stellen markiert, die bei den TN Ärger auslösen. Die Klärung der aufgeworfenen Fragen kann sich zunächst abschnittsweise vollziehen, ehe dann in einem offenen Gespräch – ausgehend von den »emotionalen« Eindrücken, z. B. der Wirkungsgeschichte dieser Erzählung (Stichwort: Typologie der Personen) – grundsätzliche Themen aufzugreifen wären. Die Gesprächsleitung sollte dabei im Blick haben, welche Fragen besser im Zusammenhang einer der folgenden Einheiten der Bibelwoche vertieft werden können und diese Fragestellungen festhalten (auf Flipchart oder Wandzeitung). Mitnehmen Das Gedicht von Peter Horst Neumann (siehe TNHeft S. 5) wird vorgelesen. Die TN können in einer kurzen Runde ohne Diskussion einen Gedanken, der ihnen durch das Gedicht oder den Abend gekommen ist, äußern. Liturgischer Abschluss Lied: Segne uns, o Herr (EG-Regionalteile BadenElsass-Lothingen 581, Bayern-Thüringen 573, Pfalz 581, Württemberg 564 – alle EG-Regionalteile sind enthalten auf dem EG elektronisch; s. Literaturverzeichnis S. 51) Segensritual (siehe S. 15–17, dort auch Liedvorschlag) Zitierte Literatur Erhard Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984 Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose, ATD 2/4, Göttingen 111981 Horst Seebass, Genesis, Band 11/2, NeukirchenVluyn 1999 Claus Westermann, Genesis, BK 1/2, NeukirchenVluyn 22000 Didaktisches Begleitheft 45 21 2 | Gottes Segen kommt anders Jakob erlistet den Erstgeburtssegen Isaaks Gen/1 Mose 27,1-45 Zum Text Isaak und Esau (27,1-4) Zusammenhang mit den anderen JakobEsau-Erzählungen Im Laufe der Forschungsgeschichte wurde diskutiert, ob es sich bei Gen/1 Mose 27,1-45 ursprünglich um zwei verschiedene Erzählungen handelte oder ob der Text eine Einheit darstellt. Die Auffälligkeiten des Textes lassen sich am besten damit erklären, dass eine ursprünglich selbstständige Segenserzählung (27,1-40) mehrfach überarbeitet wurde, um sie so in den Erzählungszusammenhang einzufügen. Um den Text im Zusammenhang der Jakob-Esau-Erzählungen verstehen zu können, sind diese Bezüge zu beachten. Dass der Jüngere dem Älteren entgegen der bestehenden Ordnung des Erstgeborenenrechts vorgezogen wird, entspricht dem Orakel Jahwes über die zwei Nationen (25,23). Auch die Gegenüberstellung von Esau als Mann der Jagd, den sein Vater Isaak liebt, und Jakob als »gesitteten Mann der Zelte«, den seine Mutter Rebekka liebt, ohne dass näher ausgeführt wird warum, aus Gen/1 Mose 25,27-28 wird in 27,1-40 entfaltet. Ein Wortspiel mit den Konsonanten (die hebräische Schrift bestand zunächst nur aus Konsonanten) bkrh (= Erstgeborenenrecht) und brkh (= [Segens-]Geschenk, vgl. in diesem Heft S. 48) verbindet den Text sowohl mit Gen/1 Mose 25,29-34 als auch mit Gen/1 Mose 33: Der Gesegnete verneigt sich vor seinem Bruder und bittet ihn, sein Segensgeschenk anzunehmen. Das FluchtMotiv des späteren Schlusses 27,41-45 verbindet die Erzählung mit dem Jakob-Laban-Zyklus. Die Gliederung von Kapitel 27 ergibt sich dadurch, dass die Akteure je in der Beziehung zu einem Gegenüber paarweise auftreten. 22 Gen/1 Mose 27 führt eine neue Betrugsgeschichte ein, die aber unmittelbar an 25,34 anschließt. Dass Isaak alt und blind ist, bildet die Voraussetzung für diese Erzählung von Segen und Betrug. Als Grund für Isaaks Segen über Esau werden dessen Alter und die Konvention des Erstgeborenen-Segens angeführt. Zugleich äußert Isaak den Wunsch nach seinem Lieblingsgericht als Voraussetzung für den Segen. Esau wird gezeigt mit Pfeil und Bogen, mit Attributen der Männlichkeit. Entscheidend ist hier: Die Todesstunde wird erlebt als Krise, die rituell mit einer Segenshandlung begangen wird. Der Segnende ist hier nicht Gott, sondern Isaak. Er will, dass seine Lebenskraft den Sohn segnet. Der Segen ist hier die Weitergabe der eigenen Existenz an den Sohn, sodass dieser zum Nachfolger wird. Rebekka und Jakob (27,5-17) Bestimmend für den Fortgang der Handlung ist: Die Mutter hört mit und greift in das Geschehen ein. Ein Motiv für ihre Initiative wird nicht genannt: Empört sie sich darüber, dass nur dem zufällig Erstgeborenen der Vorrang eingeräumt wird? Kann sich nur durch ihr Eingreifen das göttliche Orakel (25,23) erfüllen? Ist sie eine Betrügerin oder entspricht ihr Handeln dem Willen Gottes? Die Erzählung lässt das (zunächst) offen. Auf alle Fälle ändert sie den durch die Tradition vorgegebenen Lauf der Dinge. Sie ist sogar bereit, anstelle ihres Sohnes bei Misslingen des Plans den Fluch auf sich zu nehmen. Offen bleibt auch hier die Deutung: Nimmt sie in Kauf, sich für ihren Lieblingssohn zu opfern? Oder ist ihr Angebot gar Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 27,1-45 Zeichen mangelnder Gottesfurcht? Oder wird durch sie das Überwinden eines magischen Segensverständnisses gezeigt? Jakob und Isaak (27,18-29) Isaak ist erstaunt, dass der Sohn so schnell wieder bei ihm ist und hegt Zweifel, lässt sich jedoch täuschen. Jakob instrumentalisiert den Gott seines Vaters für seinen Betrug und distanziert sich gleichzeitig von ihm: »dein Gott hat es günstig für mich gefügt«. Paradoxerweise betrügt Jakob den Vater gerade dadurch, dass er genau macht, was er sagt. Trotz körperlicher Nähe sind beide weit entfernt voneinander. Religionsgeschichtlich wird in der Bezeichnung »dein Gott« die ältere Vorstellung vom persönlichen Schutzgott greifbar. Auch deutet sich die Form eines alten Segensrituals an: Zu Beginn steht entweder die Aufforderung des Vaters (2-4) oder die Bitte des Sohnes (19). Es folgt die zweifelsfreie Feststellung des Segen-Empfängers (24), woran sich eine Mahlzeit zur Stärkung anschließt (25). Der Segen wird übertragen durch körperliche Berührung (26-27a) und ein Segenswort (27c-29). Dabei wird ein ursprünglicher Fruchtbarkeitssegen (27c-28), für den sich z. B. in Gen/1 Mose 49,25-26 und in einem Text aus Ugarit Paralleltexte finden, um einen Herrschaftssegen (29) ergänzt, der an das Orakel in 25,23 anschließt. Isaak und Esau (27,30-40) Das Gespräch beginnt wie der Ritus. Die dramatische Wendung setzt ein, als die rituelle Frage eine Antwort des Erschreckens nach sich zieht: Das Schreien und Klagen Esaus führt Hörenden und Lesenden die Bedeutung und Wirklichkeit schaffende Macht des Segens eindringlich vor Augen. Isaak ist zwar Spender des Segens, der folgt jedoch einer eigenen Gesetzmäßigkeit. Als unverfügbare Größe steht er außerhalb menschlicher Verfügungsgewalt. Aber auch in diesem Fall mutet der hebräische Text seinen Lesern Doppeldeutigkeiten zu: Soll Esau vom Fett oder fern vom Fett leben? Handelt es sich um einen Fluch – das Wort fällt nicht – oder doch um einen Segen für die nomadische Existenz des Jägers Esau? Der Fortgang der Erzählung zeigt: Esau ist nicht verflucht. Er hat, was er braucht, und kann noch seinem Bruder geben (33,9). Rebekka und ihre Söhne (27,41-45) Der spätere Schluss der Erzählung unterstreicht deren Tragik: Rebekkas Betrug führt nicht zum Ziel. Sie wird als gebrochener Charakter gezeigt: Sie nimmt nicht, wie versprochen, den Fluch auf sich, sondern weist die Schuld Jakob zu. Der Sohn, für dessen Wohl sie sich eingesetzt hat, muss fliehen. Die Einheit der Familie ist zerbrochen. Aber das ist nicht das letzte Wort: Die Geschichte Gottes mit der Familie des Isaak geht weiter. Vermeintlich nicht Gesegnete erfahren sich ebenso als Gesegnete wie die, deren moralische Bewertung nach menschlichen Maßstäben zweifelhaft ist. Die folgenden Kapitel zeigen: Gottes Segen kommt anders als erwartet, kommt als ein nicht verfügbarer. Gestaltung der Bibelarbeit Biblische Texte bleiben uns nicht zuletzt deshalb oft fremd, weil wir allzu schnell unsere eigenen Vorstellungen in sie hineinlesen, ohne ihre Andersartigkeit zu respektieren. Daher sollen die TN dafür sensibilisiert werden, dass sowohl unser Verständnis von Segen als auch unser Bedürfnis nach Segenshandlungen von dem der handelnden biblischen Figuren abweichen kann. Auch sollten nicht zu schnell »moralische Maßstäbe« an eine Erzählung und ihre Figuren angelegt werden, weil dies das Verstehen der Erzählung blockieren kann. Es kann aber Situationen, Bedürftigkeiten und Erfahrungen geben, die Didaktisches Begleitheft 45 23 2 | Gottes Segen kommt anders Menschen durch die Zeiten hindurch teilen, die rituell gestaltet werden wollen. Dies kann ein Anknüpfungspunkt für die TN sein. Raumgestaltung In der Mitte liegen Tücher. Auf ihnen steht eine Kerze. Neben ihr liegen zwei Plakate (in zwei Farben) mit der Aufschrift Segen und Glück. Thematischer Schwerpunkt Liturgischer Beginn Der Text verweist auf ein rituelles Tun des Menschen. Im Moment des Abschieds, vor dem Tod, bündelt sich die Kraft des ganzen Lebens. Dem eigenen Sterben entspricht der Wunsch, die Bedeutsamkeit des eigenen Lebens an Andere weiterzugeben. Dieses Vermächtnis ermöglicht, dem Verstorbenen über den Tod hinaus verbunden zu bleiben. In ihm lebt der Verstorbene weiter. Dabei ist der Segen ein Tun des Menschen, ein Handeln in Wort und Tat. In der Schwellensituation kommt dem Wort eine besondere Kraft zu: Es schafft unwiderrufbar Wirklichkeit, kann daher nicht mehr zurückgenommen werden. Der Inhalt des Segens ist nicht identisch mit den Worten selbst, worauf gerade deren Geprägtheit verweist. Es geht nicht um Regen und fruchtbare Erde, Herrschaft und Macht, es geht um das Leben selbst. Und der Segen ist als Segen Gottes unverfügbar, er tritt nicht automatisch ein. Er kommt anders, als wir denken. Der Segen Gottes besteht nicht darin, dass eintritt, was Rebekka von ihm erwartet. Vielmehr erweist sich erst im Lauf der Geschichte mit allem Kämpfen und Ringen Jakobs, was Segen für ihn heißt. Der Segen richtet sich auch nicht nach der moralischen Integrität des Gesegneten, nicht nach Rollenvorgaben. Es gilt, ihn in unserem Leben, in unseren Gebrochenheiten und zerbrechlichen Beziehungen, in unserem Ringen und Kämpfen zu entdecken. Vorbereitung/Materialien Moderationskarten in zwei Farben in der Anzahl der TN, die eine Farbe mit der Aufschrift Segen, die andere mit Glück; Egli- oder andere Bibelfiguren 24 Lied: Herr, wir bitten: Komm und segne uns (EGRegionalteile Baden-Elsass-Lothingen 610, BayernThüringen 572, Hessen 590, Niedersachen-BremenOldenburg 561, Österreich 571, Pfalz 610, Reformiert/Rheinland-Westfalen-Lippe 607, Württemberg 565 – alle EG-Regionalteile sind enthalten auf dem EG elektronisch; vgl. Literaturverzeichnis S. 51; EmK 493 – Achtung: Abweichungen zwischen den Regionalteilen und zum EmK-Gesangbuch in der Anzahl der Liedstrophen!) Öffnen Die verschiedenfarbigen, unterschiedlich beschrifteten Moderationskarten werden an die TN verteilt. Diese machen – jede/r für sich – sich Gedanken darüber, was sie unter »Glück« bzw. »Segen« verstehen, und halten dies in Stichworten auf den Karten fest. Anhand der Beiträge auf den Karten, die vorgelesen und in der Mitte auf den Plakaten abgelegt werden, wird im Plenum erörtert, ob und wie die TN zwischen »Glück« und »Segen« unterscheiden. Es geht um die Frage, ob im eigenen Leben eine transzendente Dimension zu entdecken ist, darum, ob die persönlichen Erfahrungen bloß als Schicksal, als Glücken des eigenen Lebensplans gedeutet werden oder ob darüber hinaus Gott/Gottes Handeln zu finden ist. Begreifen 1. Die Leitung (L) weist darauf hin, dass Segen ein großes Thema der Jakobserzählungen ist, das mit Gen/1 Mose 27,1-45 einen ersten Akzent setzt, in dem Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 27,1-45 es um die Frage geht, wie sich Segen im Leben zeigt und woran man den Gesegneten erkennt. 2. Der Text wird mit verteilten Rollen gelesen (Erzähler/in, Sprecher/innen für Isaak, Rebekka, Jakob und Esau). Dabei sollen die Personen-Konstellationen jedes Abschnitts der fünf Szenen (1-4 / 5-17 / 18-30 / 31-40 / 41-45) nachgestellt werden. Dies können je nach Gruppengröße die TN selbst tun, oder es können Egli- oder andere Bibelfiguren verwendet werden. Dadurch werden Anfangs- und Schluss-Konstellationen sowie Bewegungen und Beziehungen innerhalb der Familie deutlich. 3. Im Plenum erfolgt eine erste Auswertung der szenischen Lesung: Was ist den TN aufgefallen, was bleibt unklar? 4. L weist auf die Bezüge von 27,1-45 zu den vorhergehenden Textstellen hin und gibt einen Ausblick auf Kapitel 33. In Kleingruppen (2–3 Personen) werden die Fragen zu den handelnden Personen (Tabelle siehe TN-Heft S. 9) erarbeitet. 5. Im Plenum wird die Frage erörtert, wo in den Familienkonstellationen, in denen scheinbar jeder zum eigenen Nutzen handelt und sich die Ziele der Einzelnen zu widersprechen scheinen, Gott vorkommt. Abschließende Fragen können sein: Welche Rolle spielt Gott in dem Text? Worin zeigt sich der Segen Gottes, wenn man die Segensworte in 27,28-29 von ihrem Sinn her betrachtet? Mitnehmen Die Leitung gibt einen Einstieg: Menschen leben auch in verworrenen Beziehungen. Dies entspricht der Lebenserfahrung der meisten Menschen heute. Dankbar dürfen wir sein, wenn wir auch in diesen Beziehungen segensreiche Augenblicke entdecken können. Die TN werden aufgefordert, sich das Familienbild der Erzählung anzuschauen. Es ist keine idyllische Darstellung einer »heil(ig)en« Familie. Die Beziehungen in dieser Familie sind zerbrechlich wie unsere eigenen. In einer Bildmeditation (Abb. im TN-Heft S. 10 oder farbig von der DVD »Die Bibel in der Kunst«*) können die TN der Frage nachgehen: Erfahre ich mein Leben trotz aller Widersprüchlichkeiten oder gerade in diesen als von Gott gesegnet? Diese Phase endet ohne Austausch oder Aussprache. Liturgischer Abschluss Lied: Komm, Herr, segne uns (EG 170; EmK 503) oder: Bewahre uns, Gott (EG 171; EmK 488) Segensritual (siehe S. 15–17) * Genauere Angaben zu der DVD siehe Literaturverzeichnis S. 51 Didaktisches Begleitheft 45 25 3 | Gesegnetes Erwachen Jakobs Traum Gen/1 Mose 28,10-22 Zum Text Gen/1 Mose 28,10-22 ist ein tief im Glaubensbewusstsein verankerter Text, eine eindrückliche Geschichte. Sie erzählt von Flucht und überraschender Gotteserfahrung. Dieser Abschnitt ragt in mehrfacher Hinsicht hervor. Er eröffnet den Jakob-LabanZyklus, er gibt Kunde von der Entdeckung des heiligen Ortes zu Bet-El, er ist getragen vom ersten Traumbericht, genauer vielleicht Traumbild der Bibel und er ist ganz und gar bestimmt von der zentralen Verheißung, die Jakob tief in der Nacht widerfährt. Zur Einordnung des Textes Jakob in Bet-El – dem jahwistischen Erzähler ist hier ein Juwel gelungen. Die jüngste Forschung setzt den Jahwisten auf jene geschichtliche Zeit, da das Nordreich schon untergegangen ist und in Juda sich eine geistige Sammlung vollzieht (siehe exegetische Einführung S. 11–13), die nun die verschiedenen Stammestraditionen Israels miteinander zu jenem großen Erzählwerk zusammenbindet, das den Glanz und den bleibenden Zauber der biblischen Großerzählung ausmacht. Dennoch bleibt dieser Text eine in die Tiefe der Vergangenheit hinein reichende kollektive Erinnerung, die sich nicht in Fakten dokumentieren lässt, doch von einem Geist durchtönt ist, der durch die Zeiten spricht und bleibend anspricht. Charakter des Textes Traum und Wort, Erschauen und Erzittern, Flucht und Ruheort, Schlaf und Erwachen – alles hängt hier ineinander. Der Text hat einen komplex komponierten Aufbau und ist doch leicht zu lesen. Nur der kritischen Scheidekunst zerfallen die Bausteine in Artefakte einer Archäologie des Glaubens Israels. Den Auftakt bildet mit 28,10 eine Wegbeschreibung: Jakob auf dem Weg von Beerscheba nach Haran. Weite Räume werden umrissen, lange Wege. Viele hundert Meilen liegen zwischen dem Ort tief im Süden Judas und dem alten Haran, mit dem die Abrahamsgeschichte wieder anklingt, dem Ort hoch im Norden, wo einst der Weg Abrahams sich nach den neuen Welten im Süden öffnete. Nun kehrt sich der Weg um. Jakob geht den Weg zurück. Ein Weg ohne Verheißung, ohne Perspektive – ein Fluchtweg. Denn Jakob muss fliehen. Der Betrüger kann nicht bleiben. Der Mutter Rat folgend geht er fort, weg von Esau und dessen Zorn. Jakob, dieser heimatverlorene unbehauste Mensch, kommt an die Stätte (Zürcher Bibel undeutlich: einen Ort), wie der hebräische Text mit einer ganz unscheinbaren, aber doch deutlich markierten Artikelsetzung zu verstehen gibt. Erwartung bricht auf. Was wird hier geschehen? Was geschehen wird, ist tiefe Umkehr der Erwartung, das Widerfahrnis unverdienter göttlicher Zuwendung. Mitten in der Nacht wendet sich Jakobs Geschick. Ein Flüchtender, seine Angst mit sich Tragender legt sich zur Nachtruhe, die doch keine Ruhe je sein kann, und erwacht gesegnet, erzittert im Glück, auferstanden in den Raum der Verheißung – ein Traum, aus dem Traum geboren. Traumstunde des Lebens, Schicksalstraum, geistige Erweckung, religiöse Erfahrung schlechthin. Jakob in Bet-El – das ist ein religiöser Basistext, wie man sich kaum einen treffenderen vorstellen kann. 26 Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 28,10-22 Aufbau des Textes 28,11-22 Die Art, wie erzählt wird, so kristallklar sie tönt, folgt einem straffen Gang. 11 ist Traumvorbereitung, 12 erzählt den Traum, 13-15 erhebt das Traumgeschehen in die Verheißung, ist Zentrum des Textes, 16 schildert die erste Reaktion: Erzittern, Erschrecken vor dem Heiligen, 17 nimmt das Traumbild auf und 18 ist Aufarbeitung des Durchlebten in gewagter Tat, das Denkmal errichtend, aus dem das Heiligtum zu Bet-El hervorgehen wird; 19-22 ist das zentrale Geschehen wiederholendes Gelübde in der Taghelle des angebrochenen neuen Lebens. Durchgang durch den Text Folgen wir Jakob, dem Betrüger, auf seiner doppelten Nachtfahrt. Der Fluchtweg ist schon bezeichnet. An unbekannter Stätte kommt er an. Die Sonne ist schlafen gegangen, Jakob tut desgleichen. Er nimmt von den Steinen am Platz und legt sich einen zurecht, kaum als Kopfkissen, eher als Waffe und Schutz. Einer wie Jakob geht in eine unruhige Nacht. Diese Nacht ist wie ein Symbol seiner Situation. Und die allzu dürftige Hoffnung, die sich mit Laban, mit dem Namen des fernen Verwandten dort in der Ferne irgendwo, verbindet, ist das Wort nicht wert, das einen ruhig schlummern lässt. Doch in der Tiefe, im Absturz der Nacht, öffnet sich die Seele: der erste Traum der Bibel, der wegweisende Traum. Der Traum ist eine nicht gering zu schätzende Form der geistigen Weitung, ein Anklopfen der Transzendenz. Man sollte diese ureigene Sprache der Seele niemals schmähen. Denn Gott schafft sich innere Orte, da er wohnen will. Er will in Jakob Einzug halten und sein Zelt mitten in der geistigen Wüste dieses Flüchtenden aufschlagen. Der biblische Erzähler macht es kunstfertig. Dreimal (28,12.13.15) erklingt das »und sieh(e)« (in der Einheitsübersetzung [EÜ] leider nicht wiedergegeben) und jedes Mal wird es dichter. Zuerst die »Leiter«, vielfältig Maler inspirierend, vielgestaltig die religiösen Landschaften (die äußerlichen und die innerlichen) bestimmend, Symbol der Verbindung von Himmel und Erde. Es ist eindeutig, dass die Leiter (EÜ und Zürcher Bibel: »Treppe«), die hier aufgerichtet wird, weit mehr als eine Leiter im heutigen Sprachgebrauch meint. Das hebräische Wort sulam an dieser Stelle passt vorzüglich auf die babylonischen Stufentürme, die zentralen Heiligtümer Mesopotamiens, Zikkurat genannt. Diese Türme bilden riesige Treppenanlagen mit Rampen, auf denen Priester auf- und absteigend die himmlische Liturgie vollziehen. Jakob sieht auf seiner Rampe Engel auf- und absteigen, Gottesboten, die »aus ihm über ihn gehen, von IHM über ihn gehen«. Ein wunderbares Sprachbild für die aufsteigenden Gedanken und die herabsteigenden Segnungen. Ein Mensch im Heiligen, aber noch weiß er es nicht. Die großartige Erzählkunst lässt im dritten »sieh« den Erhabenen selbst erscheinen, Spitze der geistigen Erhebung. Es erscheint unwillkürlich, als stünde Gott oben am Ende der Treppe, dort wo das Tor zum Himmel aufgeht – und doch ist das Entscheidende, dass sich nun die Bewegung umkehrt. Nicht Jakob steigt im Traum den Engeln gleich auf und klopft an das Himmelstor, nein, die Bewegung hat sich umgekehrt: Der im Traum Schauende wird zum Erschauten. Gott macht ihn zu seinem Gegenüber. So wundert es nicht, dass der hebräische Text dahin gedeutet wird, als stünde Gott selbst nun am Fuße der Leiter, nicht oben, nein, Jakob unmittelbar gegenüber im Hier und Jetzt, Gott inmitten des Schutzraumes, den Jakob sich am Abend aus armseligen Steinen gebaut hatte: Gott – da. Die zentrale Verheißung Das Wort ergeht, Verheißungswort schlechthin; die Verheißung an Abraham wird nun auf Jakob gewen- Didaktisches Begleitheft 45 27 3 | Gesegnetes Erwachen det. Scharnier, Schaltstelle im großen Bogen der Vätererzählung und theologisches Schwergewicht, das das allein Zukunftsfähige laut werden lässt: Ich – mit dir. Land-Verheißung und Nachkommen-Verheißung aus dem Mund Jahwes, des »Ich werde sein, der ich sein werde«, des »Ich bin, der ich bin«. Man mag hier den Wechsel der Gottesnamen zum Anlass nehmen für wohlfeile Versuche der literarischen Quellenscheidung, viel wichtiger aber ist die theologische Legierung zuzulassen, diese absolute Identifikation der El-Gottheit mit Jahwe, die zentrale Ineins-Setzung des Allschöpfers mit dem Schutzgott der Väter im Namen göttlichen Zukunftserweises. Es ist biblischer Glaube auf der Stufe des Jahwisten, die religiöse Urgewalt, von der auch die Heiden wissen, aufzuheben in das Gerechtigkeit schaffende, Leben gewährende Richten des Gütigen. Jakob erfährt diese richtende Macht Jahwes, indem ihm, dem Flüchtenden, die Schau aufgeht eines weiten unbegrenzten Landes, in dem Kinder und Kindeskinder weilen werden, in dem Glück, Wohlstand, Fülle und Glanz Einkehr halten. Segenswelten brechen hier auf. All dies ist religiöse Urerfahrung, biblisch durchbuchstabiert und steter Erinnerung wert. Gott handelt, richtet und rettet auf inneren Wegen. Das große ICH das kleine Ich tragend, das große ICH, das ICH mit dir – das ist Schutzzusage, mehr als eine zweckmäßigere Verteidigungswaffe wie die paar Steine ist dieser Schutz ein geistiger Schutzmantel. Gott geht nicht auf in seinen Worten, aber er geht in sein Wort ein um unseretwillen, die wir Jakob gleich einen Weg gehen inmitten der Nacht und Schuld einer unbehausten Welt und dabei hoffen dürfen, inmitten menschlicher Ruhelosigkeit berührt, getragen und erweckt zu werden vom großen Frieden. Bewusstseinswelt: Fürwahr Gott ist, Gott wirkt – hier an diesem Ort, Nacht wurde Tag, ganz und gar. Dieser Morgen ist anders als all die anderen Morgen, die zwischen Beerscheba und Bet-El lagen, dieser Morgen wird all die kommenden Morgen überstrahlen, die da werden mögen auf dem Weg zu Laban und darüber hinaus. 28,17 nennt das Erzittern. Keine Gotteserfahrung ohne echtes Erzittern, ohne bewusstes Erleben, wie sich Ordnung über Chaos legt, Frieden über Streit, Schalom über dürre Lebensau. Wir zeichnen Jakobs Gotteserfahrung nach – aber wir können es nur, indem darin unsere bisherigen wegweisenden Erfahrungen im Leben mit laut werden. Religiöse Texte leben von ihrer eröffnenden Kraft, ihrer inneren Transparenz, da Gottesglanz auf unser eigenes Leben fällt, das wir mit Jakob buchstabieren. Mit Vers 18 wieder der Handlungsvollzüge mächtig, weiht Jakob diesen Ort. Er richtet den Stein, der ihm am Abend noch als Waffe und allzu vordergründiger Schutz diente, auf zum Steinmal (die Zürcher Bibel verwendet in Anklang an den hebräischen Begriff Mazzebe), zum Denk-Mal dieser seiner Gottesstunde, Geburtsstunde des Heiligtums Bet-El. Keine Frage, eine Funktion dieses Textes ist, eine Herkunftslegende der Kultstätte in Bet-El zu bieten, legitimiert aus der Jakobsgeschichte und damit in die kollektive Identität Israels eingebunden. Keine Frage auch, dass darin vorisraelitische religiöse Praxis durchscheint und ein Wissen um heilige Orte. Aber alles dinghaft Kultische ist hier verwandelt in geschichtsdichte Gottespräsenz, nichts zu Ergreifendes, aber Mahnmal eines Ergriffenen. Der Stein wird zum Grundstein der religiösen Erinnerungskultur Israels. Das Gelübde Die Reaktion Jakobs All dies geschah in der Nacht. Wie der Morgen anbricht (28,16), kommt die Gottesstunde bei Jakob an, bricht das Traumgesicht und sein Wort ein in Jakobs 28 Was bleibt, ist das Gelübde, 28,19-22. Vielleicht ein Zusatz, der Sesshaftigkeit voraussetzt und der religiöse Gehorsamstaten im Urbild Jakobs begründet, der die Zehntpraxis auf Jakob zurückführt? Möglich. Nichtsdestotrotz liest sich das Gelübde als durchaus Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 28,10-22 stimmige Antwort im Alltag des Lebens auf die göttliche Verheißung. Es nimmt die Verheißung auf, präzisiert sie im Blick auf die ausstehende Einlösung der Verheißung. Ich mag darin keinen üblen Handel sehen, als käme schon wieder der listige Betrüger durch. Vielmehr ist es durchaus eine angemessene Reaktion, ein Wort elementarer Lebenshoffnungen, die zu ihrer Erfüllung der Hoffnung auf Gott bedürfen. Gestaltung der Bibelarbeit Thematischer Schwerpunkt Jakob in Bet-El – das ist die Leitgeschichte für Gotteserfahrung inmitten der Nacht. Traum und Wort rufen einander. Die Nacht ist Grundsymbol für verfinsterte Lebenszusammenhänge. Gotteserfahrung ist die tragende Mitte aller Nacht-wendenden Momente. Die Größe des Verheißungsworts und die kleinen Gnadenerfahrungen finden zusammen in konkreten Verortungen mitten im Leben Einzelner wie des Volkes Gottes im Ganzen. Gnade erfahren, Segnungen empfangen und dabei über alles Erfahrene, Beglückende, Erlittene hinaus sich der immer noch einmal größeren Gnade verbunden wissen, heißt im Glauben in die Zukunft zu gehen in der Weisheit des »ICH – mit dir«. Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann. … Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?« Im Laufe des Abends wendet sich die Landschaft. Nach Durchgang durch die Jakobsgeschichte wird zeichenhaft die Leiter auf den Kopf gestellt, ein zweites Band wird entrollt über die Leiter weit in den Raum, darauf die Verheißung aus Gen/1 Mose 28,13b-15 – oder auch nur, dann mehrfach wiederkehrend, Vers 15. Karten mit Segenssprüchen/-wünschen vorbereiten, die am Schluss verteilt werden. Liturgischer Beginn Lied: Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein (EG 166; EmK 434) Öffnen Betrachtung mit Stille: Gottes Orte in meinem Leben: Wo ist mir Gott am wichtigsten geworden – in welchen Situationen, in welchen Erfahrungen? Denke ich an glückliche Zeiten dabei, erinnere ich mich eher der Not? Wie erlebe ich Anfechtung, wo bestimmt mich Zuversicht? Begreifen Vorbereitung/Raumgestaltung Möglichst eine Sandlandschaft gestalten mit einzelnen Steinen, etwas Blattwerk dazu; eine Leiter, nach oben gerichtet (man verwende eine, die gut aufliegt!), darin ein Spruchband mit den Worten aus Psalm 77,4-5.8: »Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten. Die Leitung gibt einen kurzen Rückblick auf den Erzählzusammenhang, dann lautes Lesen von Gen/ 1 Mose 28,10-22. Verständnisfragen der TN beantworten und Information geben über historische Hintergründe. Danach Textbeobachtungen in Zweiergruppen oder einzeln. Öffnen für die Bedeutung von Traum und Zusagewort, für tiefe Erfahrungen, für Orte und Momente, die Hoffnung geben. Didaktisches Begleitheft 45 29 3 | Gesegnetes Erwachen Folgende Fragen im TN-Heft sollen dabei helfen: Die Situation: Betrachten Sie das Bild von Rembrandt. Was entdecken Sie? Was spricht Sie an? Vergegenwärtigen Sie sich: ein Mensch auf der Flucht, ruhelos und mit dunklen Nacht-Erfahrungen. Mit welchen Erfahrungen und Erlebnissen verbinden Sie diese Momente? Der Schicksalstraum: Was bedeuten Ihnen Träume? In welchen Schicksalsstunden Ihres Lebens haben Sie eine geistige Neuorientierung erfahren? Wer oder was half Ihnen dabei? Gibt es Erfahrungen in Ihrem Leben oder Orte, an die Sie sich gern erinnern, weil Sie dort einen tiefen Einklang mit sich selber fanden? Die Verheißung: Gibt es Worte, Zusagen oder Fügungen, die Ihnen im Leben besonders wichtig wurden? Was bedeuten Ihnen die Bibelworte zu Ihrer Taufe, Firmung/Konfirmation oder Trauung? Welche Verse aus Psalmen, Gedichten oder aus dem Schatz der Sprichwörter sind Ihnen besonders wichtig geworden? Das Denk-Mal: Jakob richtet den Stein zu einer Mazzeba/Massebe, einem Kultstein auf. Aus ihr wird das Heiligtum zu Bet-El/Bethel hervorgehen. Was bedeuten Ihnen heilige/spirituelle Orte oder Räume? – Wie handhaben Sie Ihre ganz persönlichen Erinnerungen? Gibt es Orte, an die sie 30 immer wieder zurückkehren, um innezuhalten, Orientierung, geistige Stärke oder Gewissheit zu schöpfen? Gesegnetes Erwachen: Gibt es für Sie Momente der Neuschöpfung oder der Rekreation, einmalige oder wiederkehrende? Und gibt es für Sie Wege zur Einübung in das Vertrauen, im Lichte der Verheißung immer wieder neu gesegnet in einen neuen Morgen zu gehen, den Gott in Ihrem Leben bereitet? Die TN können auch die Frage mit bedenken: Wie kann eine/unsere Kirche zum Ort der Gottesverheißung werden? Wie wünsche ich mir meine Kirche als Gottes Haus? Mitnehmen Die TN bitten, die Steine aus der Sandlandschaft aufzunehmen und das Lied zu singen: Gott ist gegenwärtig (EG 165; EmK 337) Den Segen guter Worte durch das Austeilen von Segenskarten mit Zusageworten in die Hand geben. Liturgischer Abschluss Segensritual Gang in die Stille Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Zwischenräume entdecken | 4 Jakobs Frauen und Kinder Gen/1 Mose 29,1-35 Zum Text Anscheinend haben die Frauen in der Frühzeit Israels mehr Rechte gehabt als in der Königszeit oder später. Die noch unverheiratete Rahel kann ohne Schleier und gleichberechtigt unter den männlichen Hirten ihre Arbeit tun. Ob sich darin eine historische Erinnerung erhalten hat, oder ob die Autoren der Jakobsgeschichten hier ihre Vorstellung eingetragen haben, ist gar nicht so wichtig. Die Leser der Geschichte jedenfalls erfahren: Eine Frau kann selbstständig neben Männern arbeiten. Die Geschichte von Rahel und Lea zeigt auch, wie das Leben von Frauen durch gesellschaftliche und familiäre Normen, Sitten und Gebräuche beeinflusst wurde. Ihr Schicksal wurde oft weitgehend durch das bestimmt und geformt, was sie nicht selbst in der Hand hatten. Dies zeigt sich schon ganz am Anfang im Gespräch Jakobs mit den Hirten am Brunnen: In Haran gelten spezielle Bräuche für die gemeinsame Viehtränke. Jakob setzt sich übermütig über sie hinweg. Er konnte sich schon in seiner Heimat nicht mit dem Erstgeburtsrecht seines Bruders abfinden und hat versucht, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Genauso verfährt er hier am Brunnen. Er wird später noch mit weiteren Traditionen der Viehhaltung brechen (Gen/1 Mose 30,25-43). In diesen Fällen hat er Erfolg mit seinem Versuch, es anders und neu zu probieren. Er stößt jedoch an Grenzen, als er versucht, auch die Heiratspraxis in Haran außer Kraft zu setzen. Sein künftiger Schwiegervater Laban hält sich dagegen an das, was üblich und erfolgversprechend ist, jedenfalls was die Verheiratung seiner Töchter angeht. Und zwar aus ganz handfesten Gründen: Frauen waren an der landwirtschaftlichen Arbeit beteiligt und leisteten damit einen Beitrag zur Existenz- sicherung ihrer Herkunftsfamilie. Sie gehörten zum Besitz ihres Vaters. Andererseits waren sie als Mütter zur Sicherung der biologischen Existenz einer Familie unentbehrlich. Die Familie des Mannes, der Nachkommen haben wollte, musste daher ein Kompensationsgeld an die Herkunftsfamilie zum Ausgleich für entgangene Arbeitsleistung zahlen. Mit diesem Brautpreis ging die Frau in den Besitz ihres Ehemanns über. In unserer Geschichte will Jakob die hübsche Rahel zur Frau. Als Flüchtling kann er den üblichen Brautpreis aber nicht aufbringen. Als Alternative verabredet er mit Laban seine Arbeitsleistung. Laban nimmt – ganz auf seinen Erfolg bedacht – den Brautpreis an, den Jakob für die weniger attraktive Lea vielleicht nicht bereit gewesen wäre aufzubringen und schiebt sie ihm dann doch listenreich ins Ehebett. Wahrscheinlich wäre es sonst schwierig geworden, Lea zu verheiraten. Andererseits war es undenkbar, eine Frau unverheiratet zu lassen. Die Ehe war die einzige Möglichkeit, eine Frau wirtschaftlich abzusichern. Jakob ist entsetzt, als er den Betrug bemerkt, kann sich aber nicht wehren. Er muss diesmal die Sitten seines Gastlandes anerkennen und sich ihnen beugen. Lea ist und bleibt seine Frau. Allerdings gibt ihm Laban die schöne Rahel nach Ablauf der Hochzeitswoche doch noch zur Ehe. In der Kinderkirche wird manchmal der falsche Eindruck erweckt, Jakob habe zunächst noch einmal sieben Jahre für Rahel arbeiten müssen. Das ist ein romantisches Märchen, das die große Liebe Jakobs zu Rahel illustrieren soll. Die biblische Geschichte erzählt es anders: Nahezu gleichzeitig, im Abstand von einer Woche bekommt er beide Schwestern zur Frau. Nun müssen diese drei Menschen sehen, wie sie mit dem fertig werden, was Herkommen, gesellschaft- Didaktisches Begleitheft 45 31 4 | Zwischenräume entdecken liche Normen und das wirtschaftliche Interesse Labans ihnen auferlegt haben. Andere haben über ihr weiteres Schicksal entschieden. In diesem Punkt werden sich viele Hörerinnen und Leser der Geschichte wiedererkennen. Die Einstellung zur Ehe in biblischer Zeit ist nicht zu vergleichen mit dem romantischen Ideal, das bis in unsere Tage gepflegt wird. Dass Liebe und Zuneigung der Partner eine Voraussetzung der Ehe sein könnten, gilt auch in Europa erst seit knapp 200 Jahren als Ideal. Die Ehe war bis dahin eine sozialrechtliche Angelegenheit. In biblischer Zeit wurde ein Vertrag zwischen den Familien geschlossen, der beiden Partnern ihre Stellung gab und die materiellen Dinge regelte. Es wurde ein neuer (Besitz)stand geschaffen. Diese gesellschaftliche Stellung wurde gestärkt durch Kinder. Vor allem Söhne hoben das Ansehen sowohl des Mannes als auch der Frau. Die Ehe mit mehreren Frauen war normal, wenn ein Mann sich dies leisten konnte. Eine Vorrangstellung in der Familie hatte jene Frau, die den ersten Sohn gebar. Mit ihm wurde die Hauptlinie des Stammbaums weitergeführt. Er machte seine Mutter zur Hauptfrau, die für die wirtschaftlichen und sozialen Fragen in der Familie tonangebend war. Die Hauptfrau war also keineswegs immer die am meisten geliebte Frau des Mannes. Obwohl romantische Vorstellungen von Liebe bei der Eheschließung in der Regel keine Rolle spielten, hatte die Ehe selbstverständlich auch damals emotionale Seiten. Die Geschichte von Rahel und Lea, aber zum Beispiel auch die Auseinandersetzung zwischen Sara und Hagar (Gen/1 Mose 16) zeigen dies. Zwischen den Frauen in einer Familie kam es zu Konkurrenz. Deshalb war in Israel später die Ehe mit zwei Schwestern verboten (Num/4 Mose 18,18). Die Beziehung zwischen Geschwistern sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass man Schwestern zu Rivalinnen machte. In Haran galten aber anscheinend noch andere Sitten. Die Geschichte von Lea und Rahel zeigt: Die Schwestern waren Rivalinnen, wohl schon von Geburt an. Die eine war schön und liebenswert, die 32 andere unattraktiv, vielleicht schwermütig, vielleicht sehbehindert (»mit matten Augen«, 29,17). Mit dieser ungleichen Ausstattung mussten sie leben. Kein Wunder, dass die eine auf das schaute, was die andere hatte und sie nicht – erst recht, als sie mit demselben Mann verheiratet wurden. Da kann Rahel sich kaum an der Liebe ihres Mannes freuen, sie beneidet ihre Schwester um die Kinder, die sie nicht haben kann (30,1). Lea wiederum kann sich nicht an ihren Kindern freuen, sieht immer nur die Liebe des Mannes, die nicht ihr, sondern der Schwester gilt. Die Kinder werden ihr zum Mittel, vielleicht doch noch seine Liebe, wenigstens aber seine Hochachtung zu erringen. Das zeigen die Namen, die sie ihren ersten drei Söhnen gibt (29,32-34). Auch das Vergleichen und miteinander in Konkurrenz Stehen werden die Hörer und Leserinnen dieser Geschichte kennen und wissen, wie man darunter leiden kann. Sie begreifen vielleicht auch, wie Gott zugunsten der zurückgesetzten Lea eingreift und ihr Kinder schenkt und damit einen wichtigen Platz in ihrer Familie. Ihren vierten Sohn nennt sie Juda, »nun will ich den Herrn preisen« (29,34). Vielleicht kann sie da allmählich den Blick abwenden von dem, was die andere hat, und hinwenden zu dem, was ihr geschenkt ist. Und schließlich verhilft Gott auch Rahel zu Söhnen, sodass anscheinend auch sie sich mit ihrem Leben aussöhnen kann. Am Ende, als es um die Existenz ihrer eigenen Familie geht, stehen die beiden Frauen zusammen und bestärken Jakob darin, sich und die Familie auf eigene Füße zu stellen (31,4-17). Mit ihrem Mut helfen die beiden mit, dass aus Jakob, dem angestellten Hirten in Haran, Israel wird – und Lea und Rahel die Mütter der verschiedenen Volksstämme. Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1Mose 29,1-35 Gestaltung der Bibelarbeit Thematischer Schwerpunkt und methodische Fragen In den beiden Frauen Lea und Rahel sind Erfahrungen festgehalten, die besonders Frauen in ihrem Leben oft machen. Sie müssen hinnehmen, was das Leben mit ihnen macht. Längst nicht alles hat man selbst in der Hand. Vieles muss man ertragen, erdulden, manches sogar bitter erleiden. Beide Schwestern erleben, dass sie sich den Sitten und Gebräuchen ihres Landes beugen und die Konsequenzen der Entscheidungen tragen müssen, die andere treffen. Lea und Rahel, die beiden Schwestern, müssen zudem mit ihrer unterschiedlichen »Begabung« fertig werden und miteinander leben. Die Geschichte von Lea und Rahel zeigt, wie es Menschen gehen kann, die den Zeitläuften, den moralischen oder gesellschaftlichen Zwängen ihrer Zeit, ausgeliefert sind. Ihre Geschichte zeigt aber auch: Am Ende eines solchen Lebens wird zwar nicht alles gut. Aber mit Gottes Hilfe kann das Bestmögliche daraus werden. Und vor allem: Gottes Geschichte geht weiter, gerade durch und in solchen Menschen, die vom Leben geschoben und manchmal sogar aus der Bahn geworfen werden. Das hat Frauen, das hat Menschen durch die Jahrhunderte Mut gemacht. Wahrscheinlich deshalb wird ihre sonst so fremde Geschichte bis heute weiter erzählt. Fremd? Ja, Texte, die zweieinhalbtausend Jahre alt sind und von Lebensverhältnissen erzählen, die noch viel länger vergangen sind, sind zunächst fremd für Menschen, die für ihr gegenwärtiges Leben Orientierung, Trost, Hilfe erwarten. Wie soll man die finden? Der Jenaer Professor für Praktische Theologie Klaus Peter Hertzsch zitiert Goethe: »den Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat«. Erst wenn Hörende oder Lesende ihre eigene Wirklichkeit im biblischen Text erkennen, finden sie, was sie brauchen und suchen. Wo sie das können, wird das Gehörte ihnen wichtig, interessant im eigentlichen Wortsinn (lateinisch inter esse heißt: dazwischen sein!). Wirkliches Hören ist schöpferisch: Die/der Angeredete gibt etwas von den eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen hinzu, bringt etwas ein. Die Bibelarbeit sollte die Möglichkeit dazu eröffnen. Als Hilfe, sich selbst und die eigenen Erfahrungen in biblische Geschichten einzubringen, hat Uta PohlPatalong die Methode des Bibliologs bekannt gemacht (siehe Literaturverzeichnis S. 51). Sie geht zurück auf die jüdische Schriftauslegung. In jedem Text, in jeder Geschichte gibt es Zwischenräume, Gedanken, die nicht erzählt werden, Fragen, die sich stellen, die aber nicht beantwortet werden. Den Rabbinen ging es darum, auch dieses »weiße Feuer« sichtbar zu machen, das zwischen dem schwarzen Feuer der Buchstaben leuchtet. Im Gegensatz zum Bibliodrama bleibt beim Bibliolog das Denken immer in dem Rahmen, den der geschriebene Text setzt. Ein Abweichen von dem in der Bibel dargestellten Verlauf der Geschichte ist nicht vorgesehen. In die Zwischenräume, die der Text lässt, tragen die TN sich selbst mit ihren Erfahrungen und Fragen ein und können auf diese Weise den Glaubenserfahrungen der Menschen von damals begegnen, ihnen nachspüren, sie verstehen und vielleicht dadurch bewegt werden. Vorbereitung/Materialien Stifte und Papier oder mehrere Karteikarten für jede/n TN. Liturgischer Beginn Lied: Manchmal kennen wir Gottes Willen (GL 299; EG-Regionalteile Baden-Elsass-Lothringen-Pfalz 642, Niedersachsen-Bremen-Oldenburg 594, Österreich 633, Württemberg 626 – alle EG-Regionalteile sind enthalten auf der CD-ROM: EG elektronisch; nähere Angaben im Literaturverzeichnis S. 51) Didaktisches Begleitheft 45 33 4 | Zwischenräume entdecken Öffnen Fragen an die TN (in einer Phase der Ruhe – ca. fünf Minuten, evtl. mit Musik – notieren die TN ihre Erinnerungen in Stichworten auf Zettel): Vieles in meinem Leben habe ich nicht selbst in der Hand, vieles konnte oder kann ich nicht selber beeinflussen. Wo ist mein Leben durch andere Menschen, durch vorbestimmte Lebensverhältnisse oder ungeplante Ereignisse geprägt worden? Wie bewerte ich diese Einflüsse auf mein Leben? Sind das Einschränkungen oder hat mich das weitergebracht? Wie hat sich Ihrer Meinung nach Gott an solchen Punkten, in solchen Lebensabschnitten bemerkbar gemacht? Begreifen 1. Die TN lesen den ganzen Text zunächst für sich und notieren sich reine Verständnisfragen. Diese werden in einer ersten Runde von der Leitung beantwortet oder – wenn zu weit gehend – zurückgestellt. 2. Die Leitung erklärt die Methode des Bibliologs: Alle TN sollen sich bei jedem Abschnitt in eine bestimmte Figur dieses Textes hineinversetzen (alle in die gleiche Figur). Sie werden dann in dieser Rolle etwas gefragt und können als diese Gestalt antworten. Die Leitung wiederholt die einzelnen Äußerungen sprachlich, sodass die TN durch dieses »Spiegeln« sich noch ein wenig besser selbst verstehen können, fragt vielleicht auch nach. Dann werden andere Äußerungen zu derselben Frage laut, die nebeneinander stehen bleiben. Es gibt dabei keine »falschen« Aussagen, sondern nur wertvolle Entdeckungen. Jede/r TN darf, aber niemand muss sich laut äußern. Es ist nicht das Ziel, zu einer eindeutigen Aussage oder zu einer repräsentativen Befragung aller TN zu gelangen. Wie die jüdische Schriftauslegung des Midrasch lässt der Bibliolog unterschiedliche Antworten nebeneinander zu, die nicht harmonisiert oder hierarchisiert werden 34 müssen in dem Wissen, dass Gott immer größer ist als jede Deutung, die Menschen vornehmen. 3. Jetzt wird der Text abschnittsweise (Gliederung siehe TN-Heft) von der Leitung vorgelesen. Danach stellt sie Fragen an die Personen, die im Text vorkommen, die TN versuchen ihre jeweilige Antwort zu geben. (Fragen sind im TN-Heft formuliert; natürlich kann die Leitung des Bibliologs auch eigene Fragen stellen.) Wichtig ist, dass Fragen und Antworten nicht bewertet werden. Die TN sollen keine »richtige« Antwort suchen, sondern herausfinden, wie sie in der im Text beschriebenen Situation denken, reden, handeln würden. Der Vergleich verschiedener Möglichkeiten bringt neue Ideen und Erkenntnisse für alle. Mitnehmen Jede/r TN kann einen Wunsch, evtl. ein Gebet schriftlich formulieren für Menschen, die wie Rahel … Menschen, die wie Laban … Menschen, die wie Lea … Menschen, die wie Jakob … Die Wünsche/Gebete, werden eingesammelt, eine Kerze wird angezündet. Nach einer kurzen Stille werden sie vorgelesen bzw. gebetet. Liturgischer Abschluss Lied: Abend ward, bald kommt die Nacht (EG 487,1-4; EmK 631,1-3.5) Segensritual Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Handeln auf Gottes Zusage hin | 5 Jakob kommt zu Reichtum Gen/1 Mose 30,25-43 Zum Text Aufbau und Einzelauslegung Kontext und Abgrenzung 30,25-34: Die Lohn-Verhandlungen Nach der Geburt Josefs formuliert Jakob seinen Wunsch zur Rückkehr, der als logische Konsequenz der in Bet-El empfangenen Verheißung erscheint. Seine Bitte um ein Ausscheiden aus Labans Dienst wird durch das Verb »loslassen/freilassen« ausgedrückt, das auch im Zusammenhang mit der Freilassung von Sklaven bzw. Abhängigen auftaucht. Die förmliche Bitte an den Schwiegervater, ihm seine Frauen und seine Kinder herauszugeben, zeigt, dass sein Anspruch darauf umstritten ist (vgl. Gen/1 Mose 31,29.31.42.43). Obwohl er dies weiß, betont Jakob gegenüber Laban mehrfach die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs, indem er auf seinen ihm geleisteten Dienst verweist (arbeiten/dienen bzw. Arbeit/Dienst erscheint dreimal in 30,26, einmal in 30,29). Mit Laban steht Jakob ein Verhandlungspartner in stärkerer Position gegenüber, der, wie er selbst, auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Er will Jakob aufgrund der Vorteile, die ihm dessen Dienst eingebracht hat, halten, auch wenn er diesen Wunsch an keiner Stelle direkt formuliert. Die Doppelungen in 30,26-29 lassen sich als Ausdruck dieser Verhandlungssituation interpretieren. Das Angebot, Jakob könne sich selbst einen Lohn wählen, verweist auf die erste Lohnverhandlung in 29,15-19. Damit klingt zugleich der frühere Betrug Labans als Hintergrund dieser Verhandlung an. In seiner schwächeren Position greift Jakob zu einer List: Seine erste Entgegnung, Laban solle ihm nichts geben (30,31), scheint diesem Vorteile einzubringen. Auch Jakobs detailliert formulierte Bedingung, alle mehrfarbigen bzw. schwarzen Tiere für Gen/1 Mose 30,25-43 beschreibt Jakobs Kampf um seine familiäre wie wirtschaftliche Unabhängigkeit von Laban. Die Erzählung erscheint als Fortführung des vorangehenden Konflikts um Jakobs Frauen, insofern Jakob und Laban hier erstmals nach 29,14b-30 wieder gemeinsam auftreten und die Verhandlung um Jakobs Lohn (29,15.18b) erneut aufgegriffen wird. Auch mit dem Folgenden ist der Text eng verwoben: Zwar lässt sich die Notiz in 30,43 als Abschluss des mit Jakobs Sorge um sein eigenes Haus (30,25) eröffneten Spannungsbogens verstehen. Die Auseinandersetzung mit Laban aber setzt sich bis zur endgültigen Trennung zwischen Jakob und Laban in 32,1 fort. Neben Bezügen zu den benachbarten Texten finden sich Verknüpfungen zum weiteren Kontext der Jakobserzählung: Sowohl die Anspielung auf Jakobs Nachkommenschaft (25) als auch sein Besitzgewinn (43) verweisen auf die in Bet-El gegebene Verheißung (28,10-22). So erscheint der Gewinn eigener Herden parallel zum Gewinn einer zahlreichen Nachkommenschaft (29,31–30,24) als Resultat des Gottessegens. Einzelheiten der Textentstehung sind in der Forschung umstritten. Für die Interpretation von 30,25-43 ist wichtig, dass jene Textelemente, die einen Verweis auf den Segen Gottes tragen, nicht ursprünglich sind (vgl. Einleitung, S. 11–13). Daher kann die »Segensschicht« als erste Interpretation einer älteren Erzählung durch den Bibeltext selbst verstanden werden. Didaktisches Begleitheft 45 35 5 | Handeln auf Gottes Zusage hin sich behalten zu wollen, scheint Laban zum Vorteil zu gereichen: Er erklärt seine Zustimmung. Aus der Formulierung von 30,32-33 selbst ist nur schwer ersichtlich, ob Jakob den sofortigen Besitz der mehrfarbigen Tiere beansprucht oder erst alle nachgeborenen. Ebenso kann der hebräische Text sowohl dahingehend interpretiert werden, dass Laban die Tiere aussondern soll, wie auch dahingehend, dass Jakob selbst diese Aussonderung vornehmen will. Daher muss die Wegführung der Tiere durch Laban noch am selben Tag (35) keinen Bruch der Vereinbarung darstellen. Die sich für Jakob ergebenden Schwierigkeiten jedoch sind offensichtlich: Mit dem Aussortieren der Herden und ihrer Wegführung entzieht Laban Jakob die Züchtungsgrundlage für die ihm zugesagten Tiere. Dass Laban in 35 sogar noch weitere als die in 32-33 genannten Tiere aussondert, nämlich alle weißen Tiere, deutet darauf hin, dass er dies deshalb tut, um Jakob die Züchtung gescheckter Tiere zusätzlich zu erschweren. Der »Sicherheitsabstand« von drei Tagesreisen zwischen den Herden unterstreicht dies. 30,35-42: Die sogenannte »Hirtenlist« Aufgrund der Maßnahmen Labans scheint die Zeugung mehrfarbiger und dunkler Tiere für Jakob unmöglich zu sein. Der fällt jedoch nicht entmutigt in die alte Abhängigkeit zurück. Jakob wird vielmehr unmittelbar aktiv. Sein in 30,37-42 beschriebenes Vorgehen ist allerdings nur schwer erklär- und durchschaubar; es verwundert daher nicht, dass in der Forschung unterschiedliche Deutungen kursieren: Während einige Exegeten magisches Denken im Hintergrund vermuten, erklären andere, der Text selbst konstruiere keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Jakobs Handeln und dem Züchtungserfolg. Gottes Wirken stehe im Vordergrund, die Handlung selbst begleite dieses lediglich. Die Erzählung jedenfalls zeigt, dass Jakob Erfolg hat: Es kommt zur Zeugung mehrfarbiger Tiere, aus denen Jakob eigene Herden bilden kann. Bemerkenswert ist, dass Jakobs Vorgehen bei Verhandlung 36 und Züchtung hier als wirksame Eigeninitiative erscheint, mit der er sich aus seiner unterlegenen Position befreit. Eine göttliche Intervention wird hier an keiner Stelle erwähnt – im Gegensatz zu 31,10-13, wo Jakob sich ausdrücklich auf ein Versprechen Gottes beruft und die Geburt der Tiere als Ergebnis des Befreiungshandelns Gottes deutet. Die Eigenständigkeit des Handelns Jakobs wird auch in der Wortwahl des hebräischen Textes deutlich: »dienen« – jenes Wort, das am Anfang (26) die sklavische Abhängigkeit Jakobs von Laban kennzeichnet – tritt nun nicht mehr auf. Schon jetzt, lange vor der endgültigen Trennung von Laban, hat Jakob durch sein eigenverantwortliches Handeln Freiheit gewonnen. Und doch ist die Erzählung nicht glatt und einfach: Wenn Jakob die Nachkommenschaft der Tiere so manipuliert, dass Laban die schlechteren und schwächeren Tiere zukommen (41-42), bleibt ein Stachel bestehen: Er erzielt seinen Gewinn auf Kosten Labans. 30,43: Abschlussnotiz Der Vers markiert den erfolgreichen Abschluss von Jakobs Bemühungen um eigenen Besitz. Das Verb »durchbrechen« (in der neuen Zürcher Bibel: »breitete sich aus«, bei Luther und in der EÜ nicht mehr erkennbar in dem Passiven »wurde reich«) stellt einen Bezug zur Mehrungsverheißung in 28,14 her (»du wirst durchbrechen nach Westen und nach Osten …«). Die Versprechen Jahwes gegenüber Jakob haben – bis auf die sichere Rückkehr, um die es in den Kapiteln 31–32 gehen wird – ihre Erfüllung gefunden. Gestaltung der Bibelarbeit Thematischer Schwerpunkt Der Text stellt das Handeln Jakobs in den Kontext der Segensverheißung. Unter dem Vorzeichen von Gottes Zusage in Bet-El wird das gelingende Handeln Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 30,25-43 Jakobs einerseits von dem Verdacht, bloßer Zufall oder Glück zu sein, befreit. Andererseits wird die Vorstellung negiert, glückendes und Freiheit schenkendes Handeln könne unabhängig von Gott gewonnen werden. Jakobs Aktivsein wird vielmehr verstanden als menschlicher Beitrag zur Erfüllung der Verheißung Gottes. Er vertraut auf Gottes Zusage; aber dieses Vertrauen befreit Jakob nicht von seiner eigenen Verantwortung. Er entfernt sich nicht sorglos von Laban in blinder Hoffnung, Jahwe werde – aufgrund der an ihn ergangenen Verheißung – schon für ihn sorgen. Im Gegenteil: Jakob bietet selbst alle Anstrengung auf; das Gelingen seiner Anstrengung aber liegt in der Hand Gottes. Vorbereitung/Materialien Material für eine Barriere (Ziegelsteine, Stacheldraht oder große Kartons), alte Tücher, Sterne aus Papier oder Goldfolie; drei Karten mit den Schlagworten »ausweglos?«, »Auftrag«, »Verheißung«; Blätter und Stifte für alle TN; Kerzen/Teelichte und Streichhölzer Raumgestaltung Aus Ziegelsteinen, einer Rolle Stacheldraht oder Kartons wird eine Barriere errichtet. (Da am Schluss Kerzen an der Barriere entzündet werden sollen, ist es ratsam, darunter einige alte Tücher zu legen.) Auf einer Seite der Barriere werden Sterne ausgelegt, die die Verheißung repräsentieren. Liturgischer Beginn Lied: Herr gib uns Mut zum Hören (GL 521; EGRegionalteile Bayern-Thüringen 588, Reformiert/ Rheinland-Westfalen-Lippe 605; EmK 321) Öffnen Der Text wird zunächst laut vorgelesen. Anschließend haben die TN max. fünf Minuten Zeit, um sich persönlich mit dem Text auseinanderzusetzen. Sie können im TN-Heft markieren, welche Stellen sie ansprechen (+), welche ihnen fremd oder unklar sind (?) oder sie sogar abstoßen/ärgern ( ). Nach einer zweiten Lektüre des Textes bis einschließlich 31a (»Was soll ich dir geben?«) wird im Plenum eine kurze Rückblende durch das Vortragen von drei Zitaten aus den Kapiteln 28 und 29 eingeschoben (Texte im TN-Heft bei den Einheiten 4, 5 und 3). Für jeden Text wird eine Karte in der gestalteten Mitte platziert, die den eingespielten Aspekt repräsentiert: Gen/1 Mose 29,18-28 lesen, dann die Karte »ausweglos?« hinlegen Gen/1 Mose 28,1-4 lesen, dann die Karte »Auftrag« hinlegen Gen/1 Mose 28,13-16 lesen, dann die Karte »Verheißung« hinlegen Begreifen Die TN erhalten Blätter und Stifte, um ihre Gedanken zur Selbstreflexion (TN-Heft S. 20–21) zu notieren. Sie werden gebeten, sich einzeln oder in kleinen Gruppen mit einem oder mehreren Impulsen auseinanderzusetzen. Einstiegsfragen für die anschließende Zusammenführung der Impulse und den Austausch im Plenum können sein: Haben die Impulse mir Jakob näher gebracht? Finde ich mich in bestimmten Aspekten der Erzählung wieder? Wo bleibt mir Jakobs Verhalten völlig fremd? Didaktisches Begleitheft 45 37 5 | Handeln auf Gottes Zusage hin Mitnehmen/Liturgischer Abschluss Segen Gott schenke dir die Freiheit, dein Leben in die Hand zu nehmen. Gott schenke dir den Mut, dich für deine Freiheit und für die Freiheit deines Nächsten einzusetzen. Gott sei dir lebendiger Atem in der Bedrängnis, er weite dein Herz und mache deinen Kopf frei. Gott behüte dich und sei dir nahe, damit du als freies Gotteskind leben kannst. Es segne dich der barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. 38 Ritus Die TN sollen abschließend – je für sich – die folgende Frage beantworten: Was ist das Ziel, auf das ich zugehen will?/Für welches Ziel möchte ich kämpfen? Nach einer kurzen Bedenkzeit (eine Minute) kann jede/r für sein Anliegen/Ziel in der Mitte ein Teelicht entzünden. In dieser Zeit bleibt es still. Lied: Meine engen Grenzen (EG-Regionalteile Hessen 584, Österreich 574, Reformiert-RheinlandWestfalen-Lippe 600, Württemberg 589; EmK 328 – enthält nur Verse 1.2.4 aus EG) Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Wer ist Gott? | 6 Jakobs Furcht vor Esau. Der Kampf am Jabbok Gen/1 Mose 32,2-33 Zum Text Der Zusammenhang des Textes Gen/1 Mose 32,2-33 kann inhaltlich in zwei Teile aufgeteilt werden: 1.) 32,2-22: Vorbereitungen Jakobs auf das Wiedersehen mit Esau 2.) 32,23-33: Kampf am Jabbok. In der Exegese wurde lange Zeit eine klare Quellenscheidung im ersten Teil des Kapitels angenommen. So wurden 32,4-14a dem Jahwist zugeordnet und 32,14b-22 dem Elohist. Von dieser klaren Aufteilung wendet sich die neuere Forschung ab und verweist stattdessen auf eine Grundschicht und Ergänzungen. (Dazu, dass die Quelle Elohist obsolet geworden ist, vgl. die exegetische Einführung von Alexander Fischer S. 11–12.) Bei 32,23-32 ging man davon aus, dass eine ursprünglich eigenständige Erzählung zugrunde liegt, die erst später in die Jakobserzählungen eingefügt wurde. Im Folgenden soll von der überlieferten Endfassung des Kapitels ausgegangen werden; literarkritische Überlegungen werden nur am Rand auftreten. Im Mittelpunkt stehen die Dramaturgie des Kapitels 32, die in verschiedenen Stufen auf die Begegnung zwischen Esau und Jakob hinführt, und die Verbindungslinien in die gesamte Jakobsgeschichte. Gen/1 Mose 32,1-33 ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern enthält ebenso den Aspekt der Volksgeschichte. In Gen/1 Mose 25 wurde Esau mit Edom gleichgesetzt, in 32,29 Jakob mit Israel. Es geht nicht nur um zwei Brüder, sondern zugleich auch um zwei Völker. Beide Völker hatten laut biblischem Befund ein ambivalentes Verhältnis. Es gibt Hin- weise auf Feindschaft zwischen ihnen und auf ein friedliches Nebeneinander. Diese ambivalenten Beziehungen spiegeln sich in der Jakobsgeschichte, so auch in 32,1-33. Da die Bibelarbeit einen anderen Schwerpunkt legt, wird der volksgeschichtliche Aspekt im Folgenden aber nicht mehr thematisiert. Abgrenzung des Textes Gen/1 Mose 32,1 schließt nahtlos an 31,54 an und bildet so den Abschluss des Jakob-Laban-Erzählkreises. Der Vers wird in der Einheitsübersetzung noch dem vorangehenden Kapitel zugeordnet, die Lutherübersetzung weist darauf hin, dass er auch als Vers 31,55 gezählt wurde. Mit 32,2 beginnt ein neuer Abschnitt, in dem eine offene Begegnung Jakobs mit Boten Gottes geschildert wird. Im Anschluss daran bereitet sich Jakob (ab 32,4) auf die erneute Begegnung mit seinem Bruder Esau vor. Die Kapitel 32–33 umfassen Vorbereitung und Begegnung mit Esau, sodass erst mit 34,1 thematisch ein neuer Abschnitt beginnt. Einzelexegese 32,2-3: Die Begegnung mit den Boten Gottes Jakob hat nach seinem Aufbruch eine merkwürdige und zugleich offene Begegnung. Jakob sieht Boten Gottes, ein Heerlager Gottes, wie er es nennt. Die Boten sprechen aber nicht mit Jakob; sie haben keine Botschaft für ihn, noch segnen sie ihn oder begleiten ihn auf seinem Weg. Aufgrund dieser Begegnung nennt Jakob den Ort, an dem dies geschehen ist, Didaktisches Begleitheft 45 39 6 | Wer ist Gott? Mahanajim (Doppellager; vgl. exegetische Einführung S. 10). Außer dieser Ätiologie (Herkunftslegende) gibt es inhaltliche Verbindungen: In der Nacht, als er das Land auf der Flucht vor seinem Bruder Esau verlassen muss, begegnen Jakob im Traum Engel (28,11-15). Nun, vor der verheißenen Rückkehr und dem Wiedersehen mit Esau, begegnen ihm erneut göttliche Boten. Diese Begegnungen bilden also den Rahmen um die Zeit Jakobs in der Fremde. Zeichenhaft stehen sie für die göttliche Präsenz und den Schutz Gottes für Jakob. 32,4-22: Die Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau Ohne konkreten Zusammenhang zur vorhergehenden Szene schickt Jakob seinem Bruder Esau Boten entgegen. Sprachlich sind die beiden Textstücke allein durch das Wort Boten verbunden. Thematisch sind die beiden Szenen durch je eine Begegnung verbunden. Wie die Begegnung mit den Boten Gottes für sich steht und ihr Ergebnis offen bleibt, ist auch die Begegnung Jakobs mit seinem Bruder Esau vom Ergebnis her völlig offen. Im Wortlaut der Botschaft, die Jakob seinen Knechten aufträgt, kommt eine diplomatische und eher unterwürfige Sprache zum Ausdruck. Entgegen der Geburtsverheißung aus Gen/1 Mose 25,23, als Jakob verheißen wurde, dass sein älterer Bruder ihm dienen werde und entgegen des väterlichen Segens aus 27,29, in dem es hieß, dass Jakob Herr über seine Brüder wird, bezeichnet Jakob sich selbst hier als Diener Esaus (32,5). Jakob kehrt die Verheißungen bewusst um und versucht so, Esaus Gnade zu erlangen. Die Erzählung ist an dieser Stelle recht kurz; diese Kürze intensiviert die Spannung der Erzählung. Mit der Sendung der Boten war die Hoffnung Jakobs verbunden, sich friedlich mit dem Bruder einigen zu können. Umso erschreckender die Nachricht, dass ihm Esau mit 400 Mann entgegenzieht. In der Angst Jakobs kommt die Vergangenheit der beiden Brüder zum Ausdruck, sie setzt den Betrug aus 27,41 voraus. Doch die Angst lähmt Jakob nicht in seiner Hand- 40 lungsfähigkeit. Er beschließt, sein Lager in zwei Teile zu teilen. Diesen Gedanken schöpft er aus seinem Blick auf das Doppellager der Boten Gottes, Mahanajim (s.o. bzw. S. 10). Durch die Bildung von zwei Lagern soll im Fall eines Angriffs ein Lager gerettet werden. Das anschließende Gebet Jakobs in 32,10-13 wird von einigen Forschern als redaktionelle Einfügung angesehen, weil es die Handlung unterbreche und für deren Fortgang nicht von Bedeutung sei. Aber genau weil es unterbricht, entschleunigt es die Handlung und lässt sich so als ein dramaturgisches Stilmittel verstehen. In dem Gebet wird die große Gefährdung Jakobs deutlich. In seiner Angst und Not wendet er sich an Gott. Das Gebet beginnt mit der Anrede Gottes als Gott der Väter, der Jakob die Rückkehr verheißen hat. Die Nennung der Väter verweist zugleich darauf, dass es nicht um die Bitte nach Erhalt des Vermögens geht, sondern um die Zukunft des Hauses Abrahams und Isaaks – und damit um die Söhne Jakobs. Das Zentrum des Gebetes ist die Bitte nach Rettung aus der Hand des Bruders in 12, nach Rettung der »Mutter samt den Kindern«. Einen klaren Rahmen bilden 10c und 13a mit der Zusage Gottes: »Ich werde dir Gutes tun.« Zum ersten Mal in der hebräischen Bibel bezeichnet in 11a ein Mensch, Jakob, sich selbst als Knecht/ Diener Gottes. In 11b nennt Jakob den Jordan als den Fluss, den er einst bei seiner Flucht überquerte und nun wieder überqueren muss. Dem stehen die topografischen Angaben Mahanajim und Penuël entgegen, sie verweisen auf den Jabbok als Grenzfluss. Auch das Wortspiel der beiden Namen ja‘aqob und jabboq und der Wurzel jqb (ringen, spalten), die den Kampf am Jabbok bestimmen wird, deuten darauf hin, dass die Szene am Jabbok spielt. Der Jordan ist dann nicht als Ortsangabe zu verstehen, sondern als ein Symbol für die Überschreitung einer Grenze. Bei seiner Flucht musste Jakob eine Grenze überschreiten und nun, vor seiner Rückkehr, muss er dies erneut wagen. Nach dem Gebet tritt mit 14a eine kurze Ruhephase im Text ein, die aber nur einen Halbsatz anhält Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 32,2-33 (»und jene Nacht blieb er dort«). Die innere Getriebenheit Jakobs treibt die Handlung erneut voran. Mit reichen Geschenken (hebr. mincha) will Jakob Esau entgegenkommen (14b.19a). Das Wort mincha bedeutet nicht nur Geschenk, sondern bezeichnet auch eine Art des Opfers. Dies legt nahe, dass der Zorn Esaus mit einem Opfer beschwichtigt werden soll. Zugleich zeigt sich spätestens in 19a die Haltung, die Jakob seinem Bruder gegenüber hat. Er stellt sich als der Untergebene dar, der die Gnade seines Herrn nur durch ein Opfer, durch Geschenke erlangen kann. Wieder wird eine Umkehrung der Geburtsverheißung und des väterlichen Segens deutlich. In 21 nimmt der hebräische Text mit dem Wort panim (= Angesicht) ein Wortspiel auf, das leider in der Zürcher Übersetzung nicht zum Ausdruck kommt. Die Übersetzung von Buber/Rosenzweig spiegelt dieses Wortspiel schön wider: »Denn er [Jakob] sprach zu sich: Bedecken will ich sein Antlitz mit der Spende, die vor meinem Antlitz geht, danach will ich sein Antlitz sehn, vielleicht hebt er mein Antlitz empor. Die Spende schritt seinem Antlitz voraus, er aber nächtigte in jener Nacht im Lager.« – Hier wird mit dem Wort »Angesicht« gespielt und die Vorstellungskraft des Hörers herausgefordert. Das Bedecken des Angesichts Esaus durch Geschenke, die vor dem Angesicht Jakobs herziehen, sollen Esau zur Versöhnung führen, ja ihm vielleicht den Blick auf die Vergangenheit verstellen und den Betrug vergessen machen. Esau soll Jakobs Angesicht erheben (= ihm gnädig sein), also ihm verzeihen. In 33,10, dem Kernvers des dritten Dialogs mit Esau (siehe S. 46–47), wird panim erneut verwendet, sodass das Wort eine direkte Verbindung zur Versöhnungsgeschichte mit Esau schlägt. Die erneute Wiederholung, dass Jakob die Nacht im Lager verbringt (22), wird von manchen Exegeten als ein Indiz für die angenommene Dublette von 32,4-14a und 32,14b-22 gesehen. Die Doppelung kann aber auch als stilistisches Mittel angesehen werden, das nach dem Gebet und 32,14a eine erneute Ruhephase in die Erzählung bringen soll. 32,23-33: Kampf am Jabbok Die Erzählung über die Vorbereitung der Begegnung und des tatsächlichen Aufeinandertreffens der beiden Brüder wird durch den Kampf am Jabbok unterbrochen. Die Unterbrechung ist offensichtlich. Der Text wirft viele Fragen auf, er bleibt geheimnisvoll, wie auch der Mann, der Jakob überfällt. Aus der archaischen Gestalt der Erzählung und der klaren Unterbrechung der Begegnungsgeschichte wurde häufig geschlossen, dass dieser Szene eine ursprünglich eigenständige Erzählung zugrunde liegt, die erst später in den Jakob-Esau-Zyklus eingefügt wurde. Auf der anderen Seite fügt sich die Erzählung durch viele Bezugspunkte und mehrere Wortverbindungen gut in den Kontext von Gen/ 1 Mose 32 ein. Dies belegen folgende Beobachtungen: 1. Das zeitliche Gerüst ist ein Gestaltungsmotiv: Die Szene beginnt in der Nacht (23), geht über die Morgenröte (25.27) hinweg und dauert bis zum Sonnenaufgang (32) an. Entsprechend dazu begann die Geschichte der Flucht vor Esau bei Untergang der Sonne (28,11) und nun beginnt der letzte Akt, der Akt der Versöhnung, beim Aufgang der Sonne. 2. Durch das hebräische Wort panim (= Angesicht), das am Ende die Deutung des Kampfes liefert (»ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen«, 32,31), ist die Erzählung mit dem Kontext (vor allem 33,1-17) verbunden. 3. Ein weiteres Wort, das die Episode mit dem Kontext verbindet, ist avar (= vorüberziehen), das in 32,17.22.23.24.32 und 33,2.14 vorkommt (Näheres dazu in Einheit 7, S. 45). 4. Durch das Thema Segen wird 32,23-33 in den gesamten Jakob-Esau-Erzählkreis eingebunden. In 27,1-45 bedeutete das Erschleichen des Segens den Abbruch der Beziehung zwischen den Brüdern Esau und Jakob. In 32,23-33 ist das Erringen des Segens die Voraussetzung für den Neuanfang der beiden Brüder. All diese Beziehungslinien lassen den Schluss zu, dass dieser Text für den Zusammenhang des JakobEsau-Erzählkreises komponiert wurde. Dass dieser Didaktisches Begleitheft 45 41 6 | Wer ist Gott? Komposition eine ältere Sage zugrunde liegt, ist trotzdem nicht ausgeschlossen. Nach der kurzen Ruhephase in 32,22 beginnt Jakob, getrieben von seiner Angst, mitten in der Nacht seine Familie in Sicherheit zu bringen. Danach bleibt Jakob allein am Jabbok zurück (25a). Aus der Tiefe der Nacht kommt ein Mann, der mit ihm ringt (hebr. jqb; 25b). In 26 treten gehäuft Personalpronomen der 3. Person Singular auf, sodass nicht klar wird, wer von den beiden dem anderen nicht beikommt. Diese Uneindeutigkeit passt zu der Szene. Der Leser wird sprachlich in die Nacht am Jabbok geführt. Im Dunkeln bleibt unklar, wer der Angreifer ist. Die Erzählung lässt diese Frage offen. Auch die Bitte Jakobs (»nenne mir deinen Namen«) bleibt unbeantwortet. Den Fremden umgibt etwas Geheimnisvolles. Er kommt mitten aus der Nacht und verschwindet ebenso. Er überfällt Jakob, kann ihm aber nicht beikommen. Bei der Morgendämmerung will er fliehen, doch Jakob lässt ihn nicht. Er will von dem Fremden gesegnet werden, erst dann will er ihn loslassen. Nur mit einem gewaltsamen Schlag auf die Hüfte Jakobs kann sich der Fremde wehren. Schließlich gibt er Jakob einen neuen Namen, nicht mehr Jakob (= Fersenhalter, Hinterlistiger) soll er heißen. Jetzt soll er Israel (jsr el = streiten mit Gott) heißen, dieser Name »Gottesstreiter« eröffnet Zukunft. Mit dieser Umbenennung und der Deutung »denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast gesiegt« (29) gibt sich der Fremde ein erstes Mal zu erkennen. Doch auf das »nenne mir deinen Namen« antwortet er nicht. Stattdessen segnet er Jakob und verschwindet. Wer ist der Fremde, der Jakob an der Furt des Jabboks überfiel? Ganz unterschiedliche Antworten wurden schon auf diese Frage gegeben: Zunächst legt der Text die Deutung nahe, dass Gott der Angreifer sei – doch überfällt Gott einen Menschen hinterrücks bei Nacht? Und kann ein Mensch mit Gott ringen und bestehen? Das Aufsteigen aus der Nacht und der Wunsch, bei Sonnenaufgang zu entfliehen, hat dazu geführt, einen Fluss-Dämon in dem Fremden zu vermuten, 42 welcher der ursprünglichen Sage zugrunde lag. Aber warum sollte sich Jakob vor der Begegnung mit seinem Bruder von einem Fluss-Dämon segnen lassen? Als einen Engel hat die Bibel selbst den Unbekannten gedeutet. »Er kämpfte mit dem Engel und siegte, er weinte und bat ihn«, wird die Erzählung in Hosea 12,5 (Lutherübersetzung) gedeutet. Diese Deutung kann man auch in der antiken jüdischen Auslegung finden. Auch in der Kunst, bei Rembrandt oder Chagall etwa, kämpft Jakob mit einem Engel. Die psychologische Auslegung der Erzählung geht davon aus, dass Jakob gar nicht mit einem realen Wesen kämpfte, sondern mit seiner inneren Schattenseite, um sich so für die Begegnung zu rüsten. Erst durch das Ringen mit der eigenen Schuld, durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, sei die Versöhnung mit dem Bruder möglich. Am Ende der Erzählung deutet Jakob, im Licht des neuen Tages, die Geschehnisse der Nacht. Er nennt den Ort des Kampfes Peniël/Penuël (= Gottessicht), denn er hat »Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen«. Während Jakob mit den Geschenken das Angesicht seines Bruders bedecken und sein eigenes Angesicht verbergen wollte, ist nun sein eigenes Angesicht von Gott unverschleiert erkannt und auch Jakob konnte Gott von Angesicht zu Angesicht sehen, ohne daran zu sterben. Damit wird Jakob zum Vorgänger des Mose, denn auch dieser hat Gott gesehen und blieb lebendig (Ex/2 Mose 3,18) – Ausnahmen zu der Regel, dass, wer Gott schaue, sterben muss (vgl. Ex/2 Mose 19,21; 24,10-11). Jakob selbst deutet im Nachhinein, mit wem er gekämpft hat: Gott rang mit ihm. Und Jakob rang Gott den Segen ab. Mit dem Thema Segen fügt sich die Episode in die Jakob-Esau-Erzählungen ein. Als Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau kämpft Jakob um den Segen, denn, so scheint es, erst als rechtmäßig Gesegneter kann er dem Bruder begegnen. Den väterlichen Segen konnte sich Jakob erschleichen. Um den göttlichen Segen muss Jakob ringen. Der göttliche Segen hat Folgen, Jakob macht sich am nächsten Morgen hinkend – also kampfunfähig – auf, seinem Bruder entgegen. Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 32,2-33 Gestaltung der Bibelarbeit Raumgestaltung Thematischer Schwerpunkt In der Mitte des Raumes liegt ein großes Tuch, auf dem eine brennende Kerze steht. Auf drei große Blätter werden die Wörter »WER – IST – GOTT« geschrieben und in die Mitte gelegt/gehängt. In der Bibelarbeit soll es vor allem um den Kampf Jakobs (32,23-32) gehen. Die Vorgeschichte, die Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Bruder soll lediglich gelesen werden, damit die Teilnehmenden (TN) die Vorgeschichte kennen und ein Gefühl dafür bekommen, welche Angst Jakob vor dieser Begegnung hatte. 32,2-22 kann noch einmal bei der folgenden Einheit 7 aufgegriffen werden, um die von Jakob erwartete und die tatsächliche Begegnung miteinander zu vergleichen. Der Kampf am Jabbok wirft viele Fragen auf und regt zum Mitdenken an: Wer ist der Mann, der Jakob überfällt? Kann ein Mensch mit Gott ringen? Kann Gott einen Menschen überfallen? An was hält Jakob fest? Welche Bedeutung hat der göttliche Segen für Jakob? Wie im Text soll auch in der Bibelarbeit ausgehalten werden, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Wie Jakob sollen die TN selbst deuten, wer der Fremde ist. Eine Bitte stellt Jakob dem Fremden: »Nenne mir deinen Namen«. Es geht hier darum, wer Gott ist – in der Geschichte von Jakob und im Leben der TN. Diese Frage soll im Zentrum der Bibelarbeit stehen, allerdings mit einer klaren Zuspitzung. Jakob ließ Gott nicht los: »Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich.« Den Kampf um Segen, den Kampf um Leben, den Jakob führte, kennen sicherlich auch viele TN aus ihrem Leben. Mit Dorothee Sölle gesprochen geht es darum, »mit Gott für Gott zu kämpfen, dass Gott sichtbar werde, dass Gottes Sonne auch uns aufgehe und wir einen neuen Namen bekommen.« Liturgischer Beginn Lied: Der Abend kommt (EG-Regionalteil Württemberg 673; auf der CD-ROM EG elektronisch; s. Literaturverzeichnis S. 51) oder: Hinunter ist der Sonne Schein (GL 705; EG 467; EmK 628). Öffnen Bildbetrachtung Gemeinsame Betrachtung des Bildes von Walter Habdank im TN-Heft (S. 24). Das Plenumsgespräch dazu soll durch fünf Leitfragen strukturiert werden: 1. Was sehe ich? Spontane Wahrnehmungen können geäußert werden, die nicht bewertet werden. 2. Wie ist das Bild aufgebaut? Die Struktur des Bildes, Linien und Aufbau sollen beschrieben werden. 3. Welche Gefühle löst das Bild in mir aus? Das eher düstere Bild soll in die Ereignisse der Nacht einführen. 4. Welche Fragen löst das Bild in mir aus? Es soll darum gehen, welche Fragen die TN zu dem Bild, aber auch schon zur biblischen Geschichte haben: Wer ist der Angreifer? Wer ringt mit wem? 5. In welcher Gestalt kann ich mich wiederfinden? Es geht darum, dass sich die TN in eine der beiden Rollen einfühlen: Welche Kämpfe habe ich in meinem Leben? Halte ich fest, oder werde ich festgehalten? Fühle ich mich unterlegen oder bin ich beharrlich? Vorbereitung und Material Moderationskarten und Stifte für die TN. Didaktisches Begleitheft 45 43 6 | Wer ist Gott? Begreifen Da im Zentrum der Bibelarbeit der Kampf Jakobs am Jabbok stehen soll, wird die Vorgeschichte Gen/ 1 Mose 32,2-22 nur vorgelesen. Im Anschluss an das Hören wird der biblische Text Gen/1 Mose 32,23-30 (zunächst nur die Kampfesszene, ohne den Schluss 31-32!) von den TN zweimal gelesen. In Kleingruppen (2–3 TN) sollen die Fragen im TN-Heft erörtert und schriftlich festgehalten werden. Bei Frage 1 und 2 geht es darum, den Text nochmals genau zu studieren und zu analysieren. Bei Frage 3 ist die Phantasie der TN gefragt, denn diese Frage beantwortet der Text nicht. Im Plenum werden die Antworten zusammengefasst und gewürdigt. Im nächsten Schritt soll gemeinsam weitergelesen werden, wie Jakob nach dem Kampf das Geschehene deutet (32,31-32). Die Fragen im TN-Heft (S. 25) sollen in Einzelarbeit von den TN auf Moderationskarten beantwortet und als Antwort zu der Ausgangsfrage in die Mitte gelegt werden. Es wird den TN freigestellt, ob sie etwas zu ihren Karten sagen oder nicht. Es ist auch möglich, dass Einzelne ihre Karte verdeckt hinlegen, sodass die anderen TN diese nicht lesen können. Während der Einzelarbeit kann von Johann Sebastian Bach die Motette: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« eingespielt werden. Am Ende des Abends (nach dem liturgischen Schluss) können die TN ihre Antwortkarten mit nach Hause nehmen. Mitnehmen Jede von uns hat einen engel laß uns ihn erkennen auch wenn er als blutgieriger dämon kommt jeder von uns hat einen engel der auf uns wartet laß uns nicht vorbeirasen am jabbok und die furt versäumen Auf uns wartet ein engel Jeder von uns kämpft mit gott laß uns dazu stehen auch wenn wir geschlagen werden und verrenkt jede von uns kämpft um gott der darauf wartet gebraucht zu werden Auf uns wartet ein kampf Jeder von uns wird gesegnet laß uns daran glauben auch wenn wir aufgeben wollen gib uns die dreistigkeit mehr zu verlangen mach uns hungrig nach dir lehr uns beten: ich laß dich nicht das kann doch nicht alles sein Auf uns wartet ein segen Jeder von uns hat einen geheimen namen er ist in gottes hände geschrieben die uns lieben lesen ihn eines tages wird man uns nennen land der versöhnung bank die ihren schuldnern vergibt brunnenbauerin in der wüste Auf uns wartet gottes name Das folgende Gebet zu ersten mose 32 vers 23 bis 33, von Dorothee Sölle wird den TN vorgelesen: (aus: DOROTHEE SÖLLE, zivil und ungehorsam, © Wolfgang Fietkau Verlag, Kleinmachnow, 2001) Liturgischer Schluss Segensritual (siehe S. 15–17) 44 Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Ins Angesicht schauen | 7 Jakobs Begegnung mit Esau Gen/1 Mose 33,1-20 Zum Text Der Abschnitt Gen/1 Mose 33,1-20 bildet zusammen mit den beiden vorangehenden Szenen aus Gen/ 1 Mose 32 ein Triptychon. Um das Mittelstück des nächtlichen Kampfes Jakobs mit dem Unbekannten, aus dem Jakob als (erneut) Gesegneter hervorgeht, spiegeln sich die von Jakob phantasierte und die tatsächliche Wiederbegegnung Jakobs mit seinem Bruder Esau. Zugleich findet der Erzählbogen, der in Gen/1 Mose 25,19-34 mit dem Geburtsorakel über Jakob und Esau beginnt und der sich über die sechs vorangegangenen Texte spannt, in der hier erzählten Wiederbegegnung seinen Abschluss. Als Abschlusseinheit der Bibelwoche kann dieser Text nicht isoliert betrachtet werden: Wenn die Tiefendimension der Begegnung zwischen Jakob und Esau erfasst werden soll, muss der Text der vorliegenden Einheit mindestens im Rahmen des eingangs genannten Triptychons gelesen werden. 33,1-20 lässt zunächst grob eine dreigliedrige Struktur erkennen: 1. erzählende Einleitung (1-5a), 2. fünf Dialoge zwischen Esau und Jakob (5b-15), die den Hauptteil bilden, 3. erzählender Abschluss (16-20). 33,1-5a: Erzählende Einleitung Der erzählende Teil zu Beginn wird von zwei Blicken gerahmt: dem Blick Jakobs auf den herannahenden Esau mit seinen vierhundert Mann (33,1) und dem Blick Esaus auf die Frauen und Kinder hinter Jakob (33,5a). Zwei Blicke – Blick und Gegenblick, gleichwertig – doch das Erblickte scheint in einem Missverhältnis zueinander zu stehen: vierhundert Mann gegen Frauen und Kinder. Die Erwähnung der Vierhundert nimmt den Bericht der Boten aus 32,7 wört- lich auf. Dort löst der Bericht, Esau ziehe Jakob mit vierhundert Mann entgegen, in Jakob Angst und Panik aus: vierhundert Mann – das muss ein Kriegsheer sein. Und Jakob trifft Vorbereitungen nach Kriegslogik. Er teilt seine Leute in zwei Lager, sodass ein Lager die Chance hat zu entkommen, wenn das andere Lager überfallen wird (32,8-9). Das hebräische Wort machanae (= Lager), das bei den Vorbereitungen Jakobs in 32,8-9 auftaucht, bezeichnet sowohl das Nomaden-Lager wie das Kriegs-Lager. Dieses Wort wird aber nicht für die Bezeichnung der vierhundert Mann Esaus verwendet – der Erzähler deutet diese Gruppe durch keinerlei Bezeichnung, was die Deutung Jakobs, die hinter seinen Vorbereitungen steht und diese bestimmt, umso deutlicher hervorhebt. Jetzt, in 33,1, kommt das von Jakob Phantasierte tatsächlich in seinen Blick und er stimmt sein Handeln auf das ab, was er mit eigenen Augen sieht. – Im Vergleich zu seinen Vorbereitungen stellt die tatsächliche Reaktion Jakobs eine Modifikation dar: Das Wort verteilen (chatsa) in 33,1 stellt die Verbindung zu 32,8 her, jetzt aber verteilt Jakob seine Leute nicht auf zwei Lager, sondern verteilt die Kinder auf ihre Mütter und stellt diese der Reihe nach in einer dreifach gestaffelten Gruppe auf. Die Aufstellung ist bestimmt von Jakobs Zuneigung, die am meisten Geliebten kommen zuletzt (33,2). Das Bewegungsverb vorüberziehen/voranziehen (Hebräisch avar) in 33,3 – im Zentrum dieser Erzähleinheit – setzt die Linie aus den vorangehenden Versen 32,17.21.23.(24.)32 fort und markiert zugleich die radikale Wendung Jakobs. Sollte zunächst das von Jakob vorbereitete Geschenk vor ihm voranziehen (32,17.21) und zwischen ihm und Esau eine Pufferzone, einen Schutz bilden, der ihn als letzten der direkten Konfrontation mit Esau aussetzt, so zieht er jetzt als Erster voran – schutzlos, ohne Geschenk und Didaktisches Begleitheft 45 45 7 | Ins Angesicht schauen ohne seine Knechte als Schutzschild zu missbrauchen. Jakob scheut die direkte Konfrontation nicht mehr, er kann Esau jetzt ohne Sicherheitsabstand in die Augen blicken. Dazwischen steht das Weiterziehen Jakobs an die Furt des Jabbok (32,23). Dort ereignet sich der nächtliche Kampf mit dem Unbekannten, aus dem Jakob als Gesegneter hervorgeht und der diese Wandlung möglich gemacht hat. Danach zieht Jakob vorbei am Ort der Wandlung/des Segens (32,32) Esau entgegen. Insgesamt entsteht durch die sich ändernde Verwendung des Verbs im Blick auf Jakob eine fließende Bewegung: hinterherziehen (das Geschenk zieht vorweg) – vorbeiziehen – vorwegziehen. Jetzt, in 33,3, ist die einzig angemessene Weise, Esau, seinem Bruder, in der Realität zu begegnen, diese: sich schutzlos, bedingungslos auszuliefern. Jakob wirft sich nieder zur Erde hin – nicht einmal, sondern siebenmal. Dies ist im Alten Orient die Geste eines Vasallen, der sich seinem Lehnsherrn vollständig unterwirft. Im Geburtsorakel war die Rede davon, dass der Ältere dem Jüngeren dienen soll (25,23), und sein Vater Isaak hatte Jakob in seinem Segensspruch verheißen, dass sich ganze Völker und seine Brüder vor ihm niederwerfen würden (27,29). Mit seiner Geste dreht Jakob nun diese Verhältnisse um: Jetzt wirft sich der Gesegnete vor seinem Bruder nieder. In 33,6-7 wird die Geste Jakobs nachdrücklich bestätigt: Auch die Familienangehörigen Jakobs werfen sich vor Esau nieder, was entsprechend der dreifach gestaffelten Gruppe dreifach gestaffelt erzählt wird. Jakobs Geste ist ein bedingungsloses Angebot. Esaus Reaktion ist nicht berechenbar. Alles könnte passieren. Im schlimmsten Fall könnte Esau mit seinen Männern den sich zur Erde beugenden wehrlosen Jakob und die Seinen völlig niedermachen. Es kommt aber ganz anders. Das Unerwartete, das nicht Machbare, das Gnadenhafte tritt ein: Esau umarmt seinen Bruder, fällt ihm um den Hals, küsst ihn und beide weinen (33,4). Danach erhebt Esau seine Augen und nimmt die Gesellschaft Jakobs in den Blick (5). War Jakob mit seinem Blick zu Beginn des Ab- 46 schnitts in die Begegnung gegangen, so geht jetzt Esau mit seinem Blick in den Dialog. Dieser Blick hat innerhalb der Erzählung eine Scharnierfunktion: Er schließt einerseits die erzählende Einleitung ab und eröffnet andererseits die Dialoge des Hauptteils. 33,5b-15: Fünf Dialoge – der Hauptteil Jeder der fünf nun folgenden Dialoge besteht aus einer eröffnenden Rede Esaus, mit der dieser die Initiative ergreift, und einer darauf reagierenden Rede Jakobs. Der erste und der fünfte Dialog (5-7 und 15) sowie der zweite und vierte Dialog (8 und 12-14) legen sich als zwei Ringe um den dritten Dialog (9-11), der das Zentrum bildet und in sich ebenfalls konzentrisch aufgebaut ist (vgl. J. P. Fokkelman, S. 191). Die ersten beiden Dialoge beginnen mit einer Frage Esaus nach Jakobs Begleitung, beide Antworten Jakobs enthalten das zentrale Stichwort Gnade. »Wer sind diese da bei dir?«, lautet die erste Frage (5) nach den Frauen und Kindern und Jakob antwortet: »Es sind die Kinder, die Gott deinem Diener aus Gnade beschert hat.« Im Gegensatz zur hier zitierten neuen Zürcher Bibel sind Luther- und Gute Nachricht Bibel in der Übersetzung der Antwort Jakobs nicht präzise, da sie den Zusatz aus Gnade nicht enthalten. Der hebräische Text verwendet das Verb chanan, das wurzelverwandt ist mit dem Substantiv chen (Gnade) und eine Art des Schenkens bezeichnet, die als gnädiges Schenken zu verstehen ist. Ein Äquivalent, das wie das hebräische Verb nur aus einem Wort besteht und alle Aspekte enthält, steht im Deutschen nicht zur Verfügung. Demzufolge ist es im Deutschen am besten wiederzugeben mit: aus Gnade bescheren/schenken. Die Einheitsübersetzung (EÜ) übersetzt das Substantiv chen mit »Wohlwollen« und das Verb chanan mit aus Wohlwollen schenken. Die zweite Frage Esaus: »Was willst Du denn mit diesem ganzen Heer, dem ich begegnet bin?« (8a) enthält das Stichwort machanae, das die Zürcher Bibel an dieser Stelle mit Heer wiedergibt (vgl. oben: Lager). Durch die Stichwortverbindung zu 32,8-9 konfrontiert der Erzähler Jakob auf ironische Weise mit seinen aus Angst und Panik gefassten Plänen. Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 33,1-20 Jakobs Antwort konzentriert sich ausschließlich auf seine Motivation, die in der sich augenblicklich ereignenden echten Begegnung gründet: »Dass ich Gnade finde in den Augen meines Herrn.« (8b) Im dritten Dialog (9-11) steht einem kurzen Kommentar Esaus (9) eine längere Antwort Jakobs gegenüber (10-11); beide Reden zusammen sind konzentrisch angeordnet. Das folgende Schema ist der Studie von J. P. Fokkelman, S. 191, entnommen und bietet eine Übersetzung des hebräischen Textes durch die Verfasserin. A Ich habe genug, mein Bruder, es sei für dich, was dir ist / was du hast. B Nicht doch, wenn ich wirklich Gnade gefunden habe in deinen Augen, C so nimm dann mein Geschenk an aus meiner Hand. D In der Tat: Darum habe ich dein Angesicht gesehen, D’ vergleichbar mit dem Sehen des Angesichts Gottes, und du zeigtest dich mir wohlgesonnen. C’ Nimm doch mein(en) Segen(sgeschenk), das dir überbracht worden ist, B’ in der Tat: Gott ist mir gnädig gewesen A’ und tatsächlich: Ich habe alles. Das Zentrum D/D’ wird von drei Klammern (A-A’, BB’, C-C’) gerahmt. Jede Klammer wie auch das zweigliedrige Zentrum enthält ein sich entsprechendes Element (kursiv gekennzeichnet), das in der Wiederaufnahme variiert bzw. überboten wird. In der äußersten Klammer (A-A’) wird Esaus Bemerkung »Ich habe genug, mein Bruder, es sei für dich, was dir ist« (A) durch Jakobs zusammenfassendes »Mir fehlt es an nichts« (wörtl. Ich habe alles) (A’) überboten. Die B-Klammer setzt wie schon die beiden Antworten Jakobs zuvor die Gnade Esaus und das gnädige Wirken Gottes (chanan ist dasselbe Verb wie in 33,5) in Beziehung und bindet sie aneinander. In der Deutung Fokkelmans (S. 191) ist der Überfluss Jakobs (A’) Ausdruck von Gottes Gnade (B’), die aber erst ihre Erfüllung findet in Esaus Gnade (B). In der C-Klammer fordert Jakob Esau auf, doch sein Geschenk anzunehmen (C), das sein Segen (C’) für ihn ist. Neue Zürcher und Gute Nachricht Bibel sind hier in der Übersetzung zu flach, da sie die unterschiedlichen hebräischen Wörter Micha (in C) und beracha (in C’) durch das gleiche Wort Geschenk wiedergeben. Das verfehlt die Pointe dieses Wortpaars: Indem Jakob sein Geschenk beracha (= Segen[sgeschenk]) nennt, wird der Motivbogen des Segens geschlossen, der den ganzen Erzählzyklus vorangetrieben hat. Hatte Jakob sich einst den Erstgeborenen-Segen erschlichen (Kap. 27) und damit die Erfüllung des Geburtsorakels in die eigene Hand genommen, so gibt er ihn hier symbolisch zurück und teilt ihn mit Esau. Auch die EÜ verfehlt die Bedeutung im Zusammenhang des Erzählzyklus, wenn sie beracha mit »Begrüßungsgeschenk« wiedergibt. Luther 1984 übersetzt treffend mit »Segensgabe«. In der zentralen Klammer D-D’ steht das Sehen des Angesichts Esaus in Parallele zum Sehen des Angesichts Gottes. Hier liegt der Beweggrund für Jakobs innere Wandlung, die die Begegnung mit dem Bruder ohne Angst möglich gemacht hat. Die im Hebräischen abstrakte Formulierung »vergleichbar mit dem Sehen des Angesichts Gottes« (D’) wird durch Zürcher und Gute Nachricht sowie die EÜ unpersönlich mit »man« wiedergegeben: »wie man das Angesicht Gottes sieht« (ZB/EÜ), »wie man vor Gott tritt, um Gnade zu finden« (GNB). Im Kontext des Erzählzyklus erscheint das verfehlt, denn es geht hier nicht um eine allgemeine Erfahrung, auf die man in einer bestimmten Situation zurückgreift, sondern »das Sehen des Angesichts Gottes« verweist hier auf die Erfahrung Jakobs im vorangehenden Text 32,23-33. Jakob deutet seine Begegnung mit dem nächtlichen Kämpfer mit den Worten: »Ich habe Gottes Angesicht gesehen und mein Leben ist gerettet worden.« (32,31) Fokkelman verweist auf die Parallele dieser Deutung zu D (33,10d): Das ist der Punkt, um den es geht: Das Schauen Gottes vollendet sich im Anschauen des Mitmenschen; das Angesicht des Bruders und das Angesicht Gottes sind gewissermaßen eines. Didaktisches Begleitheft 45 47 7 | Ins Angesicht schauen 32,31bc 33,10d denn denn ich habe Gottes Angesicht gesehen ich habe dein Angesicht gesehen vergleichbar mit dem Sehen Gottes und mein Leben ist gerettet worden Esau nimmt an (33,11e) und bestätigt damit, dass er Jakob Gnade gewährt. Fokkelman weist darauf hin, dass sich im Vergleich zu dem von Jakob phantasierten Kontakt mit Esau hier wiederum eine bedeutsame Umkehr vollzieht. In 32,21 plant Jakob noch: Das Geschenk, das ihm vorausgeht, soll sein Angesicht bedecken, erst nachdem Esau das Geschenk akzeptiert hat, will er Esaus Angesicht sehen und darauf hoffen, dass Esau »sein Angesicht erhebt«, d. h. ihm gnädig ist. In der echten Begegnung ist das Geschenk dann zweitrangig; die Basis des Kontaktes zwischen Jakob und Esau ist nicht das Geschenk, sondern das Schauen des Angesichts. Nach Fokkelmans Deutung (S. 194–197) ist die Reise Jakobs von Kanaan über Haran zurück nach Kanaan ein Weg der Selbstfindung, der sich in dem Triptychon Gen/1 Mose 32–33 verdichtet und an sein Ziel kommt. Das Triptychon repräsentiert einen Dreischritt, der für jede menschliche Entwicklung bedeutsam ist: Zuerst ist Esau Projektionsfläche der eigenen Ängste. In der Begegnung mit dem nächtlichen Kämpfer wird das Angesicht Gottes und danach in der Begegnung mit Esau das Angesicht Esaus zum Spiegel, der Jakob zu sich selbst führt. Und schließlich ist Esau einfach Esau. Erst die Begegnung mit sich selbst im Schauen des Angesichts Gottes macht die Begegnung mit dem Anderen, die den Anderen den Anderen sein lässt, möglich. Das wirft auch ein anderes Licht auf den vierten und fünften Dialog (12-15). Den zwei Fragen Esaus, die den ersten und zweiten Dialog eröffnen, stehen nun zwei Vorschläge, mit denen Esau Jakob Begleitung anbietet, gegenüber. Zunächst bietet er Jakob an, dass sie gemeinsam weiterziehen. Jakob lehnt mit 48 und du zeigtest dich mir wohlgesonnen. ausführlicher Begründung ab (zu schnelles Tempo schade den Kindern und dem säugenden Vieh). In der anschließenden Bitte Jakobs, Esau möge doch an ihm vorüber- und ihm voranziehen (14a), taucht zum letzten Mal das Stichwort vorüber-/voranziehen (hebr. avar) auf. Die Bewegung Jakobs in 33,3a wird exakt gespiegelt; wieder werden die Verhältnisse, auf die der Segensspruch des Vaters zielte, umgedreht oder: zurechtgerückt. Als Zweites bietet Esau Begleitung durch einige seiner Leute an (15a). Auch das lehnt Jakob ab und betont abschließend, was allein für ihn zählt: die erfahrene und bleibende Gnade seines Bruders (15b). Dies ist die Summe seiner Erfahrungen und das Ziel seiner Reise. Deutete Gerhard von Rad dieses ablehnende Verhalten Jakobs 1956 noch als Ausdruck seines bleibenden Misstrauens, als »das Misstrauen dessen, der selber viel betrogen hat« (G. v. Rad, Das erste Buch Mose/Genesis, S. 286), so lässt es sich als Konsequenz des zuvor Ausgeführten so verstehen, dass Jakob sich selbst, Jakob, ist und Esau sich selbst, Esau, sein lassen kann. Die Wiederbegegnung der beiden ist die Begegnung zweier erwachsener Menschen, die keiner Symbiose bedarf. 33,16–20 Erzählender Abschluss Nachdem Esau Jakobs Bitte um ein Weiterziehen im eigenen Tempo ohne Begleitung entsprochen hat, trennen sich ihre Wege. Esau zieht nach Seïr, einem Bergland im Gebiet von Edom. Edom ist das Nachbarvolk Israels und Esau gilt als Stammvater der Edomiter. Esau verlässt damit die Erzählbühne. Im Fokus der letzten vier Verse steht der weitere Weg Jakobs. Damit ist das Abschließen von Erzählbögen verbunden. Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 33,1-20 Jakob zieht zunächst weiter nach Sukkot, wo er für sich ein Haus und für das Vieh Hütten baut, was die Namensgebung (hebr. Sukkot = Hütten) motiviert (17). Schließlich kommt Jakob wohlbehalten (hebr. schalem) in Sichem (Zürcher Bibel: Salem) an. Dort kauft er das Grundstück, auf dem er sein Zelt aufgeschlagen hat, und errichtet einen Altar. Jakob etabliert sich damit existentiell und kultisch in seinem Heimatland Kanaan. Sein Herkunftsort ist gleichzeitig Ziel seiner Reise; der Erzählbogen wird äußerlich geschlossen. Das Wort wohlbehalten ist ein Rückgriff auf Jakobs Gelübde in 28,20-21: »Wenn Gott bei mir ist und mich auf diesem Weg, den ich jetzt gehe, behütet, wenn er mir Brot zu essen und Kleider anzuziehen gibt und wenn ich wohlbehalten in das Haus meines Vaters zurückkehre, so soll der HERR mein Gott sein.« Mit dem Altarbau und der Namensgebung (33,20) – »El, Gott Israels« (Zürcher) – »Gott, der Gott Israels« (EÜ) – »Gott ist der Gott Israels« (Luther/GNB) – erfüllt Jakob sein Gelübde, der Erzählbogen wird geschlossen. Jakobs Reise zu sich selbst endet mit der Anerkennung des Gottes, dem er begegnet ist. Zur Bibelarbeit fahrung der Gnade bzw. durch das AnnehmenKönnen von Gnade. Besondere Beziehungen bestehen außerdem zu den Kapiteln 27 und 28. Daher kann unser Text in seiner Tiefendimension nur erschlossen werden, wenn auch die genannten Texte bearbeitet oder zumindest bekannt sind. Unter diesen Voraussetzungen eignet er sich gut als Abschluss der Bibelwoche, denn die verschiedenen Erzählbögen werden abgeschlossen. Daher bietet sich das Motiv der Spiegelung nicht nur inhaltlich innerhalb des Textes und im Blick auf die Begegnung am Jabbok an, sondern auch im Blick auf die gesamte Zwillingserzählung. Raumgestaltung Spiegel auf einem Tuch Vorbereitung/Materialien Zahlreiche Taschen- oder Handspiegel, Blätter, Stifte, Moderationskarten Liturgischer Beginn Lied: Ach bleib mit deinem Glanze (EG 347,3-6; EmK 504,3-6) Thematischer Schwerpunkt Öffnen Der vorliegende Text »funktioniert« nur im Zusammenspiel mit dem vorangehenden Kapitel 32, denn: die von Jakob phantasierte und die wirkliche Begegnung mit Esau werden gespiegelt; der Kampf am Jabbok ist Begegnung mit sich selbst im Spiegel des Angesichts Gottes und Voraussetzung, sich auf die wirkliche Begegnung mit Esau einlassen zu können; der Erzählbogen der Gesamteinheit wird geschlossen: Segen gelangt zur Erfüllung durch die Er- In den Blick nehmen Wahrnehmungsübung I: Bildbetrachtung zu Herbert Falken »Umarmung himmelwärts« (Abb. im TN-Heft S. 27; eine Minute stille Betrachtungszeit) Was sehe ich? Welche Empfindungen löst das Bild in mir aus? Didaktisches Begleitheft 45 49 7 | Ins Angesicht schauen Was erleichtert oder erschwert mir den Zugang zu dem Bild? Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder Austausch im Plenum Wahrnehmungsübung II: Sich selbst eine Minute im Spiegel anschauen Was habe ich gesehen? Was habe ich gefühlt? Was fiel mir schwer? Was fiel mir leicht? Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder Austausch im Plenum Wahrnehmungsübung III: Mein Gegenüber eine Minute lang anschauen Was habe ich gesehen? Was habe ich gefühlt? Was fiel mir schwer? Was fiel mir leicht? Reaktionen der TN auf Moderationskarten und/oder Austausch im Plenum Die drei Schritte stellen einerseits eine Verbindung zu Gen/1 Mose 32 her und damit zum vorangegangenen Abend, und sie stimmen zum anderen auf den entscheidenden Vers des Textabschnitts 33,1-20 ein: »Ich habe dein Angesicht gesehen, vergleichbar mit dem Sehen des Angesichts Gottes.« (33,10b). Wahrnehmungsübung III setzt voraus, dass die Gruppe miteinander vertraut ist. Nach der Wahrnehmungsübung wird der Bibeltext vorgelesen. Anschließend können die TN den Satz/das Wort laut aussprechen, der/das sie am stärksten betroffen hat. Begreifen Textvergleich in Kleingruppen anhand der Aufgaben im TN-Heft (S. 29–30): Vergleichen Sie die von Jakob erwartete/sich vorgestellte (32,4-22) und die dann beschriebene Begegnung (33, 1-15) Jakobs mit Esau. Benennen Sie das jeweils beherrschende Gefühl. Überlegen Sie Gründe für Jakobs Wandlung. Arbeit am Zentrum der Dialoge (33,10-11): Suchen Sie Elemente, die einander entsprechen. Stellen Sie Zusammenhänge zu Einheit 6 her und bedenken Sie, was es heißen kann: Gottes Angesicht im Angesicht des Mitmenschen sehen. Die Gesprächsleitung kann versuchen, hier eine Verbindung zum Verständnis von Segen und Weitergabe des Segens herzustellen. Mitnehmen Die TN können einen Text schreiben oder ein Bild malen zum Thema: Eine gnadenhafte Begegnung, eine segensreiche Begegnung, die mich das Angesicht Gottes hat schauen lassen. Alternativ können die TN die für sie zentrale Erkenntnis der Einheit im Plenum formulieren. Liturgischer Abschluss Segensritual (siehe S. 15–17) Zitierte Literatur Fokkelman, J.P., Oog in oog met Jakob. Tweede herziene en uitgebreide druk. Zoetermeer 1999. G. von Rad, Das erste Buch Mose (ATD 2/4), Berlin, Evangelische Verlagsanstalt 1956. 50 Ökumenische Bibelwoche 2009/2010 Gen/1 Mose 33,1-20 Literatur zu den Jakobserzählungen Kommentare Horst Seebass, Genesis, Teilband II: Vätergeschichte II, Neukirchen-Vluyn 1999 Monographien Erhard Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT Bd. 57, Neukirchen-Vluyn 1984 Martin Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, ThANT Bd. 90, Zürich 2008 Israel Yuval, Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in der Spätantike und im Mittelalter, Göttingen 2007 Weitere Materialien zur Bibelwoche ZU GOTT VERRENKT. DER KAMPF JAKOBS AM JABBOK. Materialheft zum Ökumenischen Bibelsonntag 2010, nähere Angaben auf S. 7 Rüdiger Lux / Rosemarie Micheel, Und dann ist alles anders. Sieben Abschnitte aus den Jakoberzählungen, Texte zur Bibel 25, Hg.: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste in der EKD; Neukirchen-Vluyn: Aussaat-Verlag 2009; ca. 112 Seiten, ca. € 12,90 (D) / € 13,30 (A) / sFr 23,40; ISBN 978-3-7615-5737-2 Klaus Teschner, »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn«. Auslegungen zu den Jakob- und Esaugeschichten. Neukirchen-Vluyn: Aussaat-Verlag Die Materialien zur Bibelwoche sind zu beziehen bei: Deutsche Bibelgesellschaft/Vertrieb Postfach 81 03 40, 70520 Stuttgart Bestell-Hotline: 0800/242-3546 Fax: 0711-7181-126 E-Mail: [email protected] www.bibelonline.de (Online-Shop) www.dbg.de 2009; geheftet, ca. 48 Seiten; s/w-Illustrationen; ca. € 2,90 (D) / € 3,00 (A) / sFr 5,80; ISBN 978-37615-5736-5 Jörg Meuth, Gegenüber. Bilder und Meditationen zu den Jakob- und Esaugeschichten; NeukirchenVluyn: Aussaat-Verlag 2009; 8 Seiten; farbige Abbildungen; ca. € 3,50 (D) / € 3,60 (A) / sFr 7,10, ISBN 978-3-7615-5735-8 BILDER ZUR BIBELWOCHE. Bilder und Meditationen zu den Jakob- und Esaugeschichten, mit Bildmeditationen; CD-ROM im Jewelcase; ca. € 14,90 (D) / € 15,40 (A) / sFr 27,30; ISBN 978-3-7615-5738-9 EVANGELISCHES GESANGBUCH ELEKTRONISCH, Version 3.0. Die Evangelischen Gesangbücher Deutschlands und Österreichs mit allen Regionalteilen; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2008; ISBN 978-3-438- 02084-0 Die Bibel in der Kunst. Gemälde, Zeichnungen, Grafiken; DVD-ROM, Berlin: The Vorck Projekt 2004; erhältlich bei DBG; ISDN 978-3-43806293-2 Plakate zur Bibelwoche Zum kostenlosen Download unter: www.bibelgesellschaft.de/channel.php?channel=72. (Rubrik Download/Poster) Gestaltung wie TN-Heft, mit der Möglichkeit, eigene Angaben einzutragen; DIN-A3 und kleiner. Plakat zur Bibelwoche 2009/2010, NeukirchenVluyn: Aussaat-Verlag 2009; DIN-A3; ca. € 3,90 (D) / € 4,10 (A) / sFr 7,70; ISBN 978-3-7615-5740-2 Österreichische Bibelgesellschaft Bibelzentrum Breite Gasse 4-8/I, 1070 Wien Telefon: 01 52 382 40 Fax: 01 52 382 20 E-Mail: [email protected] www.bibelgesellschaft.at Didaktisches Begleitheft 45 51 Biblische Worte speziell für ältere Menschen Menschen in der Zeit des Älterwerdens geistlich zu begleiten – das ist das Ziel dieser reich bebilderten Auswahlbibel. Vertraute Bibelworte, Bilder und Lieder schenken Trost, Geborgenheit und Lebensmut. Eine wertvolle Unterstützung für Angehörige, Seelsorger und Pflegekräfte! Getröstet und geborgen Geschichten und Gebete der Bibel Herausgegeben von Gottfried Mohr und Reiner Zeyher 17 x 21 cm, 96 Seiten, 22 farbige Abbildungen, Fadenheftung, gebunden ISBN 978-3-438-04822-6 h(D) 12,90 h(A) 13,30 sFr 24,20 Kombipaket zum Sonderpreis Getröstet und geborgen Geschichten und Gebete der Bibel + Handreichung für die Praxis in Altenpflegeheim und Altenseelsorge ISBN 978-3-438-04825-7 h(D) 14,80 h(A) 15,20 sFr 27,80 Getröstet und geborgen Handreichung für die Praxis in Altenpflegeheim und Altenseelsorge Herausgegeben von Gottfried Mohr und Reiner Zeyher 21 x 29,7 cm, 32 Seiten, geheftet ISBN 978-3-438-04823-3 h(D) 5,00 h(A) 5,20 sFr 9,90 Deutsche Bibelgesellschaft Postfach 81 03 40, 70520 Stuttgart, Fax 0711 7181-126, www.bibelonline.de Gebührenfreie Bestell-Hotline 0800-242 3546