Steinhäuser - University of Puget Sound

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Steinhäuser - University of Puget Sound
An Pauline Steinhäuser in Rom
Berlin, 24. März – 20. Mai 1848
Liebe Pauline1!
Heute am 24. März erhalte ich Ihren Brief! Was in diesen Tagen hier vorgegangen
werden öffentliche Blätter Ihnen berichten! Nach allen Seiten wird es eingreifen und
doch werden nur Die welche mit hineingerissen waren es sich versinnlichen können.
Lügen werden schreien um die Schande zu decken mit welcher die Regierung in ihrer
Intriguentirrannei sich befleckte, aber den Schaden wird sie nicht verwinden er hat sie
vernichtet. Eine große Schlacht ist am 18. März hier gekämpft worden durch Verrath
zwischen unbewehrtem Volk und bewaffneten Soldaten. Das Volk ist Sieger geblieben
moralisch und physisch. Versammelt auf dem Schloßplatz um dem König für endlich
gewährte Preßfreiheit zu danken, wird plözlich eingehauen und mit Stückkugeln2
geschossen. die Bürger flohen und wurden verfolgt. –– in 20 Minuten war die ganze
Stadt mit Barrikaden verschanzt, jedes Haus war eine Festung geworden die Waffenläden
gestürmt, und gegen Kartätschen Gewehr und Säbel angekämpft. –– Unzählige Opfer
sind gefallen; –– Unterdessen hat der König jede Bitte der Geistlichkeit wie anderer
Raathgeber, dies Blutbad aufhören zu lassen hartnäckig abgewiesen; könnte er jetzt alles
ungeschehen machen –– wie gern! – denn es ist ihm nichts geblieben, als der Argwohn
des Volkes; jeden Augenblick glaubt man sich um die schwer errungnen Berechtigungen
betrogen. Der König hat keine sichere Basis mehr, Prinz von Preußen3 verwiesen, ein
Haus vom Volk confisciert. Am Tag nach der Schlacht (dem 19.) (die vom Mittag bis am
andern Morgen 9 Uhr währte) war Volksjustiz. die zerhaunen Bürger- und
Arbeiterleichen wurden auf Bahren ins Schloß getragen das Volk zwang den König und
Die Königin die aufgedeckten Wunden anzusehen; das Volk forderte Bewaffnung,4 sie
wurden sogleich gewährt.
am 30. In diesen Tagen ist alles convulsiv. –– man bekämpft den Landtag, man will
Urwahlen5; die gefangenen Polen aus ihren Kerkern befreit, vom Volk bekränzt, haben in
diesem Triumphirenden Aufzug dem König für die Freilassung gedankt, sie sind nach
Posen den Krieg mit Rußland und Oestreich zu entwickeln. Frankfurt am Main ist durch
die deutsche allgemeine Stimmenversamlung zum großen Revolutionsheerd6 geworden.
1
Pauline Francke, a painter and wife of the sculptor Carl Steinhäuser. They had known Bettine’s family
since the 30’s, when they had met in one of her salons. Bettine was her contact for negotiating the erection
of a statue and monument to Goethe which the Prussian royal family was to pay for.
2
schrapnel, could inflict horrible wounds on a mass of people with one shot.
3
Prince Wilhelm von Preußen was driven into exile in London after ordering the Prussian Garde to attack
the revolutionaries.
4
The issue of who was allowed to bear arms was crucial for the success of the revolution. The arming of
the revolutionaries gave them a fighting chance against the Prussian Guards.
5
A demand for truly representative elections for the Assembly of Berlin. These were held on May 1, 1848,
and more than 60,000 Berliners voted.
6
The Vorparlament had assembled in Frankfurt, which would arrange for the calling of the first German
National Assembly in the Paulskirche, whose task it was to determine the make-up and political system of
the New Germany.
Was wird daraus hervorgehen? Revolution oder der Schutzgenius für zermalmte
Menschheit und ihre Rechte? …
Der Despotismus ohne Maß, der als Machtvollkommenheit sich ausbreitete und statt die
Hungrigen zu speisen die Durstigen zu tränken die Kranken zu pflegen und die
Unschuldigen zu schützen, diese alle vielmehr als Ballast ins Verderben stieß giebt
Zeugniß für ihn; dies Schlesien7 was den Nothschrei des Hungers zu den Ohren des
Königs dringen ließ, dafür gezüchtigt, seine Lebensbedürfniße als Empörung ihm
ausgelegt, die Familienväter der verhungernden Kinder ungehört in die Gefängniße
begraben. –– Die Ellenden haben Baumrinde Kleie Graswurzeln und was zum Viehfutter
zu schlecht ist, essen lernen sie sind erkrankt, der Typus ist ausgebrochen und rafft alles
hin. Der König hat zwar Diesmal seinen Stollberg nach Schlesien geschickt. Denn zu
viel Jammergeschichten drangen bis zu den Ohren der glorreichen Regierung seiner
Majestät, allein die unverantwortlichen Minister wußten sich erhaben vor dem Volke mit
ihren Hilfmitteln hinzustellen8; man hätte denken sollen, daß sie wie der Wasserstrom aus
dem Fels den Mose mit seinem Stecken öffnete dem verschmachtenden Volk in den
Schoos geströmt seien.9 Ach Volk! Bist Du Fleisch von seinem Fleisch und Bein von
seinem Bein? 10–– Stollberg11 wird nach Schlesien geschickt, er überträgt den Ankauf
von Kartoffeln dem Fürst Biron12 stellt Reiß in Aussicht und kehrt aus dem Hungerland
eilig zurück. Der Ankauf von Kartoffeln wird zu Ratification an die Regierung geschickt,
von ihr abgewiesen weil sie nicht erst darum befragt worden war. Biron der seine
Kranken selbst pflegte und ihnen gab was er besaß ist am Typhus gestorben. Stollberg ist
jezt abgesezter Minister und trägt von seiner ganzen Liverei nur noch den Fuchsschwanz
der Freundschaftshuldigung. Die barmherzigen Brüder die in Schlesien der
Krankenpflege sich annahmen sind die Beute ihrer Aufopferungen geworden Jezt ists still
von Schlesien, denn die Ereigniße jedes Augenblickes verschlingen alle Denkfähigkeit
und diese selbst kann nichts als Trugschlüsse machen...
Am 2. April. Der Heutige Tag der den Landtag eröffnete, hat viel Segen gebracht; der
König hat alles gewährt, ein geringes ist versäumt worden, nemlich der Arbeiterstand ist
dem Stand der Bürger nachgesezt. Dennoch war es nur der Arbeiterstand der den Sieg am
18. März errungen hat; eben komme ich aus einer Volksversammlung wo Diese Sache
debatirt und entschieden ward13; morgen soll der König eine Adresse erhalten darüber
daß die Arbeiter bewaffnet sein wollen. Mehrere Dinge die ich schon vor vier Jahren als
Wesentlich dem König vortrug, kommen jezt zur Sprache. Man will ein
7
Silesia was the site of the worst poverty in the Prussian realm, which Bettine attempted to document in
her Armenbuch.
8
This segment should remind you of a lot of the measures that were undertaken in the immediate aftermath
of Hurricane Katrina: A lot of politicians stylin’ and profilin’ and nothing getting done.
9
Exodus 17: 5-7, refers to Moses striking a rock with his staff and bringing forth water to quench the thirst
of his followers. This was the image that Stollberg wanted to convey. This was supposed to be a photo-op,
as Bettine bitterly points out.
10
Genesis 2: 22-24, refers to God creating woman to be a part of man. Here Bettine is applying the same
model to the sovereign and his people.
11
Leading minister of the Prussian Royal House. He was sent to find a solution for the crisis.
12
Karl Biron, Prince of Kurland (where Tellheim was purportedly from!)
13
Hochdeutsch: wurde = was decided
Arbeiterministerium errichten, ich aber will ein Armenministerium was einen viel
entschiedeneren Charackter und auch viel wichtigeres Organ haben und sein wird. ––
Liebe Pauline Diese Dinge haben mich bisher beschäftigt. Ja es hat mich teilweise Krank
gemacht, dass ich die Fäden die mir von allen Seiten zuströmten nirgendwo anzuknüpfen
vermochte. –– Denn!! –– Dem König war ich auf die künstlichste Weise verleumdet und
entleidet worden! Es ging Schritt für Schritt, aber es ging von allen Seiten, und so mußte
es endlich so kommen daß der König mich blos für eine intrigante Natur halten mußte die
aus Überspanntheit und auf Kosten seiner elenden Staatsmänner die ihm schmeichelten,
ihn aber zugleich ihrem Ehrgeiz opferten, eine Rolle bei ihm spielen wollte; –– Zugleich
lagen mir die gefangenen Polen14 am Herzen, die mir von Paris her fort und fort
empfohlen worden waren über Diese die König den man aufs fürchterlichste gegen sie
aufgehetzt hatte zu beschwichtigen und aufzuklären; ihre Dokumente die man ihm
vorenthalten hatte ihm unter die Augen zu legen, ihre Rechtfertigung darauf, (allen
Ministern zum Trotz) zu basiren; gegen das Beil und 20jährige Gefängniß bei ihm
anzukämpfen. –– alles ohne Anleitung, ohne Rath und Vertrauen, ganz allein dastehend
gehaßt verunglimpft von den Ministern nicht allein beim König sondern bei dem ganzen
Publikum, indem man mir einen schmäligen Proceß anhängte, und öffentlich mich
beschimpfte. Durch ein gegen alle Rechtlichkeit zerrüttendes Verfahren in welchem der
höchste Übermuth das öffentliche Verfahren mißbrauchte, und auf Schleichwegen die
niedeträchtigsten Mittel ergriff um mich zu verderben. Daß zum Beispiel einige
Schuldner mit ganz remarkabeln Unterstützungen von Seiten des Gerichts nun schon im
Dritten Jahr gegen mich protegiert werden15… O glauben Sie, daß wenn es irgend
möglich gewesen wäre mich in die Grube zu stürzen, so wäre es geschehen. –– Aber sie
sind selbst in diese Grube gefallen…
Nun ja! Ich erhielt jezt eine Antwort vom König16 worin er statt meinen Mahnungen
Gehör zu schenken mir mit harten Worten entgegnete die mir bewießen daß ich bei ihm
sei angeklagt worden, doch lag etwas versohnendes darin daß er selbst mir schreib eine
lange Epistel worin er mich schlißlich frage warum ich buose gegen ihn sei? … Soviel
ich auch darunter gelitten habe hoffte ich dennoch auf einen günstigeren Zeitpunkt, und
beantwortette in dieser Erwartung des Königs Handschreiben… Da gleitet plözlich der
mächtigste Thron Europas in den Staub! Eine Erschütterung für Deutschlands Throne.
Noch konnte unser König durch ein entsprechendes Verfahren sich das Volksvertrauen
erhalten; aber das eiserne Terroristensystem der Minister ließ dies nicht zu! –– dann kam
das Blutbad vom 18. März! politische Verwirrung, wahnsinniger Hochmuth ohne Maas,
Volksrache beschworen das Verderben herauf. Das volksvertrauen auf die feierlichen
Versprechen des Königs ward hart erprobt. bald lernte es erkenn wie man es mit List in
die Nette der Reaction verstrickte wie die Polizei ihre Fangeisen aufstellte um es ein
14
Friedrich Wilhelm had negotiated a partition of Polish territory, where Prussia and Poland were to rule
the two parts, but he had delayed implementation, which provoked protests and rebellion by his Polish
subjects. The Poles that FW was able to capture were subject to kangaroo courts, executions, and long
prison sentences. Bettine took on their cause as her own.
15
Bettine had been involved in a number of legal actions surrounding debts she had incurred or was
supposed to have incurred. Her financial difficulties were used to discredit her reputation, and her debtors
were more than happy to support the Prussian ministers in these actions.
16
Bettines first letter did not survive, but we have her second letter, and the following correspondence.
canillle wieder dem Absolutismus zu verpfänden von diesem Augenblick hab ich nicht
mehr irgend einer andern Sache gedacht als nur der Sache der verrathnen Menschheit.
(der Polen nemlich) die man sich nicht scheute durch die heiligsten Versprechungen17 zu
entwaffnen und sie dann der russischen Übergewalt ins Netz zu treiben. Ach diesem
Verbrechen wird kein Gott mehr das Mittel zur Sühnung gewähren. Wir müssen durch
diesen Blutigen Nebel dessen erschüterndes Geschrei „Es lebe die Republik“ nächstens
an den Ohren eines früher allgeliebten Königs anschlagen wird! Eben während ich dieses
schreibe taumeln 60.000 Menschen an unserer Wohnung vorüber in die Stadt, um das
neue Ministerium zu stürzen, weil es ohne Zustimmng des Volkes den Prinzen von
Preußen zurückberufen hat… Wie rasch brauscht die Geschichte daher! Während wir
mitten in den Flammen stehen zwischen Racheglühenden Polen preußischem Verrat,
Oestreichscher Mordgier und Russischer Tyrrannenwuth und vielleicht als lezte Rettung
vor der Revolution einer brotlosen Volksmasse die einrückenden Franzosen begrüßen
werden…
Und so unterzeichne ich denn im Vertrauen daß Sie mir Ihre Freundschaft bewahren.
Ihre herzlich Freundin.
Bettine Arnim.
17
Under pressure by the revolutionaries, Friedrich Wilhelm had authorized a commission to consider the
status of the Polish province of Posen in terms of its national destiny. But he or his ministers had informed
Tsar Nicholas I of their intentions, so that Nicholas had sent his army into the Russian-ruled provinces of
Posen in order to put down any revolutionary actions. This resulted in mass arrests, brutality, and
oppression.