von „gegenöffentlichkeit“ und mainstream

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von „gegenöffentlichkeit“ und mainstream
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DRE I FACH E BEGEG NU NG
der seit 1999 im Hause Springer jährlich veranstaltete Europäisch-Israelische Dialog,
ein internationales Spitzentreffen von Politikern, Diplomaten und Journalisten, ist ein
lebendiges Exempel dafür. Mathias Döpfner, der von Musikologie über die Literatur
und Außenpolitik zum Chefredakteur und schließlich Vorstandsvorsitzenden graduierte und wirtschaftliche wie auch intellektuelle Erfolge innerhalb kurzer Zeit erzielen
konnte, führt den Springer Verlag mit einer jungen Mannschaft, einem Elan und einer
Überzeugung, die dem Geiste Axel Springers nahestehen. Unter seiner Leitung fügte
man den vier Maximen – deutsche Einheit, Aussöhnung mit den Juden, Kampf
gegen Totalitarismus und für freie soziale Marktwirtschaft – das Bekenntnis zum
transatlantischen Bündnis und der Freundschaft mit den Vereinigten Staaten als
fünfte Maxime hinzu.
Die Chefredakteure von Bild, Welt und Welt am Sonntag, Kai Diekmann, Roger
Köppel und Christoph Keese, mit denen ich als Mitarbeiter engeren Kontakt pflegen
konnte, und die mir von Anfang an hilfreich zur Seite stehende stellvertretende
Welt-Chefredakteurin Andrea Seibel beeindruckten mich durch ihre erfrischende
Mischung aus gesunder Skepsis und jugendlichem Enthusiasmus.
Von besonderer Bedeutung und dem Geiste Springers entsprechend war 1998 die
Neugründung der von Rachel Salamander herausgegebenen Literarischen Welt. Von
Willy Haas in Weimar-Deutschland gegründet und damals als unumstritten beste
Revue kritischer und origineller Literatur geltend, eroberte sich diese Neugründung
einen besonderen Platz in Deutschlands Kulturlandschaft. Rachel Salamander hat
die Literarischen Welt zur besten Quelle neuesten deutschen und internationalen
literarischen Schaffens erhoben. Tradition und Avantgarde finden hier ihren Ausdruck. Auch ein jährlicher Welt-Literaturpreis bereichert das geistige Angebot.
Heute steht das Haus, das Axel Springer baute, festgemauert in der Berliner Erde.
Was sich jetzt dort entfaltet, erscheint einem Zeitzeugen undVeteranen des 20. Jahrhunderts als eine Epoche von Erneuerung und Verjüngung ganz im Geiste des
unvergessenen Gründers.
L o r d G e o r g e We i d e n f e l d
(* 1919), Verleger, Publizist,
veröffentlichte in seinem Verlag
die Werke herausragender Historiker und
Biographen sowie Politiker-Memoiren,
Autor von Die Welt und Welt am Sonntag
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VON „GEGENÖFFENTLICHKEIT“
UND MAINSTREAM
Vo n M a r i a m L a u
A
xel Springer war der Darth Vader meiner Kindheit. Ein Fürst der Finsternis,
in der nach meiner Vorstellung auch der Schah von Persien, Richard Nixon,
Kurt Georg Kiesinger und unser Hauswart lebten. Bis zu dem Attentat auf
Rudi Dutschke, der bei uns regelmäßig mit seiner Frau Gretchen und der Tragetasche
mit dem Baby ein und aus zu gehen pflegte,hätte ich allerdings kaum zu sagen gewußt,
was man Springer nun eigentlich zur Last legt. Sechsjährigen sagt der Begriff der
„Manipulation“ ja noch nicht so viel, und ich fand insgeheim, daß die BZ irgendwie
ansprechender aussah als die Zeitungen, die meine Eltern so lasen und die ich jetzt hier
nicht namentlich erwähnen möchte. Aber als meine Mutter eines Tages leichenblaß
nach Hause kam und murmelte, „sie haben den Rudi angeschossen“, und man noch
Tage danach auf dem Kudamm die Kreidespuren auf der Straße sah, wo Dutschkes
Turnschuhe und Fahrrad gelegen hatten, und als der verwirrte Attentäter selber freimütig erzählte, er habe seine Informationen über den Studentenführer, sein ganzes
Weltbild, aus der BZ und der Bild, da gewann die Feindschaft doch Konturen.
Hier, so empfand ich es jedenfalls, wollte uns jemand, der meine Eltern und ihre
Freunde als „ungewaschene Gammler“, ihre Wohnungen als „Sex-Kommunen“ und
die Demonstrationen als „von Ulbricht gesteuerten Terror der Jung-Roten“ deklarieren ließ, wirklich ans Leder. Daß die Studenten ihrerseits rhetorisch auch nicht
zaghaft waren – „haut dem Springer auf die Finger“, „Aaaxel, wir kommen“ ist ja nicht
gerade eine Einladung zum höflichen Austausch von Argumenten – war mir natürlich nicht so klar. Teilnehmer am Sturm auf das Verlagsgebäude in der Kochstraße
Ostern 1968 berichten, daß sogar unter den Polizisten damals nach dem Attentat
eine nachsichtigere Stimmung herrschte: „Da waren Polizeioffiziere“, so erinnert
sich beispielsweise der Aktivist Bommi Baumann, „die haben gesagt, Kinder, wir
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können euch doch verstehen, aber macht’s nicht zu doll, die haben in dem Getümmel ja noch richtig mit uns gesprochen.“
Meine Großeltern im Ruhrgebiet, die mit der Studentenbewegung oder Rudi
Dutschke gar nichts zu tun hatten, aber eingefleischte Anhänger Willy Brandts und
seiner Ostpolitik waren, ließen auch kein gutes Haar an Axel Springer, und damit
waren die Kampflinien gezogen. Günter Wallraffs Undercover-Reportage als BildRedakteur Esser und die Schlöndorff-Verfilmung des Böll-Romans „Die verlorene
Ehre der Katharina Blum“ rundeten das Bild dann in den 70er Jahren nur noch ab:
dort stand der Feind.
Schwer zu sagen, wann genau diese geschlossene Phalanx sich zu lockern begann,
auf beiden Seiten. Vieles wußte man auch einfach nicht voneinander. Ganz wie die
Studenten war Springer beispielsweise lange Zeit ein energischer Gegner der AdenauerschenWestbindung gewesen – wenn auch aus anderen Gründen, um die Wiedervereinigung nicht zu gefährden. In den 50er Jahren hat er die nationalistisch gepolte SPD
der Schumacher, Reuter und Ollenhauer gewählt; in Hamburg soll er sogar fast einmal
eingetreten sein. Niemand unter den Studenten war auch klar, daß Axel Springer auf
dem Hamburger Rathausplatz einmal gegen die Atombewaffnung demonstriert hatte.
Peter Boenisch berichtete später, er habe seinen Chef einmal nur knapp davon abhalten
können, mit dem Aschkreuz auf der Stirn an einem Ostermarsch teilzunehmen. Mit
den Polen, die er als die Hauptleidenden der NS-Kriegsführung betrachtete, wollte er
Verhandlungen über die Oder-Neiße-Linie zu einem Zeitpunkt, als das in Deutschland noch keineswegs mehrheitsfähig war. Vor allem sah man auf der Linken nicht –
und wollte wohl auch nicht sehen –, daß Springer als Sprößling eines weltoffenen,
bürgerlichen hanseatischen Milieus instinktiv gegen den Nationalsozialismus und für
die Aussöhnung mit den Juden und dem Staat Israel war – eine Tatsache, die auch im
eigenen Haus von vielen nur mit Zähneknirschen goutiert wurde. Mit dieser Haltung
war er vielen der studentischen Aktivisten weit voraus, deren Beteiligung an einem
knapp gescheiterten Bombenanschlag 1969 auf die Jüdische Gemeinde in der Berliner
Fasanenstraße ausgerechnet zur Gedenkfeier der „Reichskristallnacht“ erst vor kurzem
wieder in Erinnerung gerufen wurde. Nicht viele der Studenten mögen zu einem
solchen Anschlag bereit gewesen sein. Aber daß sich in dem Haß auf den „zionistischen Staat“ oder in Ulrike Meinhofs gnadenlosen Äußerungen zum Anschlag auf die
israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 eine unter den
Linken weit verbreitete Haltung ausdrückte, ist unbestreitbar.
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Mariam Lau
Man kann Horst Mahler, der heute mit rechtsradikalen Parolen von sich reden
macht, durchaus glauben, wenn er sagt, er sei sich im Grunde politisch treu geblieben.
Die Verstrickungen mit der Elterngeneration, der Wunsch nach Entlastung von der
Schuld machte sich Luft, wenn man plötzlich überall, am liebsten in Israel oder
Amerika oder in Hiroshima, einen neuen „Faschismus“ heraufziehen sah. In dem
Film „Der Verleger“, einer Biographie Axel Springers nach dem Buch des Journalisten
Michael Jürgs, gibt es eine Szene aus dem Schadensersatzprozeß gegen Horst Mahler
1970, bei der sich Studenten und Verleger auf den beiden Treppenaufgängen des
Justizgebäudes gegenüberstehen und sich gegenseitig als Nazis beschimpfen. Es
sagt einiges über den gefestigten Stand der Demokratie der Bundesrepublik, an den
keines der verfeindeten Lager glauben mochte, daß man sich in dieser Frage auf so
verrückte Weise einig war: Die Nazis, das dachten sowohl der Konservative wie die
Linken, waren Deutschlands größtes Unglück.
Zu den größten Rätseln in Springers Denken gehört für mich, daß er trotzdem
jemanden wie Hans Zehrer, dem Chefredakteur der völkischen Monatszeitschrift Die
Tat, das Ruder derWelt überlassen hat.„Das verrottete System derWeimarer Republik
muß weg“, hatte Zehrer 1931 geschrieben. „Parteien und Parlament sind verdorbene
Kinder dieses undeutschen Liberalismus. Nur autoritäre Figuren können das Land
retten. Die Ausrichtung nach Westen ist falsch, daher kommt die Dekadenz, wie man
sie vor allem in Berlin erleben kann, im Osten bei den unverdorbenen Bauernvölkern
ist dagegen noch Kraft. Nur ein nationaler Sozialismus kann die Klassenschranken
überwinden. Wir brauchen keine Intellektuellen, die alles in Frage stellen, und keine
Literaten. Nacktkultur ist keine Kunst, nur Kulturbolschewismus und Ausdruck
einer Gottlosigkeit.“ Was wollte ein Sohn des weltoffenen Hamburger Bürgertums,
der selbst künstlerische Ambitionen gehabt hatte und die englische Klassik liebte,
der ein gesundes Verhältnis zu Geld und Geldvermehrung hatte, der die Metropole
Berlin über alles liebte, mit dem Gerede vom „undeutschen Liberalismus“ oder gar
vom „nationalen Sozialismus“?
Des Rätsels Lösung ist offenbar in dem zu suchen, was dann Axel Springers größter Triumph wurde: dem Festhalten an der deutschen Einheit, wozu eben auch der
konsequente Antikommunismus gehörte. In dieser Sache recht behalten zu haben,
noch an die Wiedervereinigung geglaubt zu haben, als auch in Bonn, auch unter
Unionspolitikern, schon lange niemand mehr die deutsch-deutschen Beziehungen
mit diesem Thema belasten wollte: darin war Axel Springer erst den Studenten
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und schließlich der großen Mehrheit des Politikbetriebs weit voraus. Zu dieser
Hartnäckigkeit – deren historische Erfüllung er dann tragischerweise nicht mehr
erlebt hat – hat ihm offenbar auch ein christlich-mythisches Selbstverständnis
verholfen, das er mit Hans Zehrer teilte.
Während die meisten Studentenführer 1968 um eine klare Verurteilung des
sowjetischen Einmarschs in die Tschechoslowakei herumeierten und sich zur Mauer
überhaupt nicht äußerten, sagte Axel Springer in einer Rede: „Man marschiert für
die Freiheit der Chilenen, der Schwarzen in Rhodesien oder Südafrika. Man
demonstriert dafür, daß Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland Richter,
Lehrer, Verwaltungsbeamte und Staatsanwälte werden dürfen. Aber für unsere
Nächsten im politischen Sinne des biblischen Begriffs, die drüben aus politischen
Gründen oder einfach als getarnte Geiseln für bei uns gefaßte kommunistische
Spitzenagenten hinter Schloß und Riegel sitzen, marschiert man nicht.“ So schlicht,
so wahr. Ein Rudi Dutschke aus Luckenwalde in der DDR, der einen höchst
emphatischen Begriff vom Volk an den Tag legen konnte, wenn es um Vietnam
ging, hatte für die Insassen von Bautzen keine Solidarität übrig. Er war ausgerechnet
1956, im Jahr des Ungarn-Aufstandes, in die FDJ eingetreten. Nie war von ihm ein
Wort zu hören über die Millionen Hungertoten, die Maos durchgedrehter Industriepolitik zum Opfer gefallen waren, kein Wort über die Vergessenen in den GULags.
Und nach ihm soll die Berliner Kochstraße benannt werden? Für welches Verdienst?
Auch die Anspielung auf den Radikalenerlaß in Springers Rede war richtig. Warum
soll jemand, der die Bundesrepublik für einen Ausbeuterstaat und ihre Verfassung
für ein kapitalistisches Blendwerk hält, Kinder unterrichten dürfen oder gar
Richter werden?
Früher konnte ich von meinem Arbeitsplatz bei der tageszeitung aus quer über die
Kochstraße zum Springer-Hochhaus sehen. Mein Vater hatte noch zu den Leuten
gehört, die 1968 aus Wut über das Attentat auf Rudi Dutschke das Gebäude stürmen
wollten. Dietaz war, Jahre später, der Versuch, dieser Wut einen weniger hilflosen
Ausdruck zu verschaffen: „Gegenöffentlichkeit“ hieß das damals, im Deutschen
Herbst. Die „Wahrheit“ über Stammheim sollte hier ebenso Platz finden wie die
ersten parlamentarischen Gehversuche der Grünen, die Kämpfe der Hausbesetzerbewegung, engagierte Filmkritik, kommentiertes Flanieren in der Großstadt und
natürlich das immerwährende Ringen mit dem Patriarchat. Es war zwar höllisch
anstrengend, aber auch köstlich und inspirierend, in diesem komplett hierarchiefreien,
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spontaneistischen Fluidum zu arbeiten.Wenn mich damals jemand gebeten hätte, mir
einen Schlafsack zu besorgen und dort einzuziehen, hätte ich keine Sekunde gezögert.
Für Leute, die dort journalistisch großgeworden sind und der sozialen Durchlässigkeit dieses Milieus ihren Aufstieg anderswo verdanken, heute aber in höchsten Tönen
dagegen hetzen, habe ich nur Verachtung übrig.
Heute hat sich jedenfalls das Blatt komplett gewendet. Auch wenn die „SpringerPresse“ nach wie vor weit mehr Leser hat als die Zeitung von der anderen Straßenseite, ist sie es, die heute eine Art „Gegenöffentlichkeit“ darstellt: der Mainstream
denkt links. Auch wer sich nicht direkt als „Antikapitalisten“ bezeichnen würde, ist
der Meinung, daß wir die Dritte Welt ausbeuten, daß Börsenmakler krumme Hunde
sind, daß Privateigentum und Geldzirkulation der Anfang vom Ende sind, daß
amerikanische Konzerne dieWelt längst unter sich aufgeteilt haben und daß, wo sie
nicht weiterkommen, das Militär hilft. Es fehlt nicht viel, und deutsche Frühstücksbrötchen werden auf einem Palästinensertuch serviert. Jeder beliebige „Tatort“, jeder
„Christopher Street Day“, und jeder Besuch in einer Eltern-Kind-Gruppe verrät
einem, daß die Bewegungen von damals ein durchschlagender Erfolg waren:
Männerherrschaft steht unter Verdacht, sexuelle Freiheit wird nicht nur auf der
Straße, sondern auch vom Bürgersteig aus gefeiert, und wer ein Kind schlägt, ist
heute das, was man früher einen „Asozialen“ genannt hätte. Eine unglaubliche
Anzahl von Leuten ist bereit, sich im Theater von Christoph Marthaler oder Frank
Castorf Abend für Abend die Leviten lesen zu lassen. All das ist an den Mitarbeitern
des Springer Verlags natürlich auch nicht spurlos vorbeigegangen: irgendwie glaubt
man immer noch, daß einem das Blut Rudi Dutschkes an den Fingern klebt, daß
man Schuld auf sich geladen hat – und in der Tat hat man ja kräftig gehetzt –, und
so weiß man nicht so recht: Wer sind wir jetzt eigentlich, in dieser durch und durch
sozialdemokratisierten Bundesrepublik (die Frage bleibt, auch wenn demnächst
wieder die Union regieren sollte).
Was mich persönlich betrifft, ist die Entwicklung äußerst seltsam verlaufen.
Als junger Mensch ist mir jeder nur erdenkliche Blödsinn im Kopfe herumgerauscht,
der damals im Angebot war: Panik vor der Pershing II, Atomangst, Angst vor Ronald
Reagan, vor unmittelbar ins Haus stehendem Faschismus, Asbestwahn, Indianerweisheiten, Patchouli-Öl, Alice Miller („Das Drama des begabten Kindes“), der
„Anti-Ödipus“, Klaus Theweleits „Männerphantasien“, Rilke-Gedichte (nur die
weinerlichsten) und natürlich der Film „Die Kinder des Olymp“, bestimmt fünfzehn
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Mal gesehen. Aber es konnte noch so irrsinnig sein, es fand sich bestimmt immer
eine Clique von Kommilitonen, Leuten, die man in Kneipen traf, ganzen Kinosälen,
die absolut meiner „Meinung“ waren.
Heute hingegen, wo ich zu denkbar biederen Auffassungen gelangt bin, middle of
the road, verheiratet, drei Kinder, mit karierten (!) Sitzkissen für Gartenstühle, die
mir als junger Frau die Tränen in die Augen getrieben hätten, finde ich die Zahl der
Leute, mit denen man sich rasch auch nur auf die groben Umrisse eines Weltbilds
verständigen kann, dramatisch geschrumpft. Kurz nach Beginn des Irakkriegs, dessen
Verteidigung mich einige meiner ältesten Freundschaften gekostet hat, traf ich bei
einem kleinen Gelage des Aspen-Instituts am Prenzlauer Berg auf Peter Boenisch, der
bekanntlich jahrelang die Stimme des Hauses und Freund Axel Springers gewesen
war und der in meinen Kreisen als ganz schlimmer Finger gegolten hatte – was er an
jenem Abend auch bereitwillig einräumte. Boenisch war aber eben auch sportlich und
generös genug, in einem unerwarteten Moment in der „Putztruppen“-Affäre Partei
für Joschka Fischer zu ergreifen. Hedonistisch, weltgewandt, politisch geschmeidig bei
konservativen Grundsätzen, gewitzt und leicht verrucht, jedem Hofschranzentum
abgeneigt – für mich, die ich Konservative ja überhaupt erst seit ein paar Jahren in
ihrem natürlichen Habitat aus der Nähe studieren kann, verkörperte Boenisch das
Prinzip „Sylt“, für das es im Verlag Axel Springers glücklicherweise viele Exponenten
gibt – Ernst Cramer zum Beispiel, ein unbeirrbarer Liberaler im angelsächsischen
Sinn, gehört für mich dazu, obwohl er nicht als klassischer Beach Boy daherkommt.
Die dunkle Seite der Macht, die ich hier mal das Prinzip „Wolfgangsee" nennen
möchte, wo Parteibindungen entscheiden, wo Ressentiments und Opportunismus
gepflegt werden, wo man noch immer lieber nach Innen als nach Westen schaut, wo
man der Israel-Loyalität und der Globalisierung ebenso skeptisch gegenübersteht
wie seinerzeit Hans Zehrer – diese Seite gibt es natürlich auch. Aber sie wird leiser,
immer leiser.
Mariam Lau
(* 1962), Journalistin,
u. a. tätig für die tageszeitung, seit 2004
für Die Welt. Autorin von „Die neuen
Sexfronten. Vom Schicksal einer Revolution“
und „Harald Schmidt. Eine Biographie“
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KLARE ZIELE
Vo n P e t e r G l o t z
A
ls er im Frühherbst 1985 starb, waren die Nachrufe von links bis rechts
schon wieder respektvoll. Nur die kommunistische UZ murmelte etwas
von „Springergewalt“. Zwischen 1968 und 1972 aber war Axel Springer die
kontroverseste Figur des Landes.
Seine politischen Grundsätze – das Eintreten für die Einheit Deutschlands, die
Aussöhnung mit den Juden, die Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft und die
Abwehr des innenpolitischen Extremismus – provozierten den Zeitgeist der Kulturrevolution. Am übelsten wurde ihm allerdings seine größte Begabung genommen:
Der Verleger Springer erreichte mit den meisten seiner Blätter die Massen. Er hatte
einen genialischen Spürsinn für Volksstimmungen. In Springer hatten die „Systemveränderer“ den Feind schlechthin gefunden.
Kein Zweifel, daß seinen Redakteuren auch böse Zuspitzungen unterliefen. Im
Prinzip aber kann man Gefühls-Kommunikation genausowenig verurteilen und
vermeiden wie Gefühle. Der patriarchalische Herzblut-Verleger Springer hat (zum
Beispiel mit Hörzu, Bild, seinen Sonntagszeitungen und manchem Regionalblatt)
anderthalb Dutzend von neuen und zündenden Zeitungsformeln entwickelt.
In einer Hinsicht war er ein weißer Elefant. Er war von vornherein und bis zu
seinem letzten Tag ein glühender Verfechter der Wiedervereinigung. Inzwischen
will das fast jeder gewesen sein. Die Wahrheit gebietet es, darauf hinzuweisen, daß
halb Deutschland höhnte, als Axel Springer 1967 sein Verlagshaus provozierend
direkt neben die Berliner Mauer stellte. Schon 1982 erklärte er bei der Einweihung
eines Druckhauses: „Wir müssen darauf vorbereitet sein, eines Tages von hier aus
Zeitungen nach Schwerin, Rostock und Neuruppin liefern zu können.“ Die politische Klasse lächelte.
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