Der Untergang der ANDREA DORIA

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Der Untergang der ANDREA DORIA
2 Historie
Es geschah vor 50 Jahren
Der Untergang der
ANDREA DORIA
Bereits aus einer Distanz von 17 Seemeilen hatten sich die beiden entgegenkommenden Schiffe auf
dem Radarschirm lokalisiert. 47 Minuten nach der ersten Wahrnehmung wurde die ANDREA DORIA von
der STOCKHOLM mittschiffs gerammt. Sieben der zehn Decks der wurden aufgerissen, der Krater in ihrer Seite war etwa 10 mal 15 Meter groß. 11 Stunden später sank sie.
N
icht nur durch Udo Lindenbergs Song „Alles klar auf der
ANDREA DORIA“ wurde das
Schiffsunglück vom 25.Juli 1956 legendär. Die Havarie ist von der Zahl der
Opfer her keineswegs mit der TITANIC- oder der ESTONIA-Katastrophe
vergleichbar, bei der Kollision der
STOCKHOLM mit der ANDREA DORIA
starben „nur“ 46 Menschen, ist jedoch
ein eklatantes Beispiel dafür, wie eine
nachvollziehbare Fehleinschätzung zu
katastrophalen Folgen führen kann.
Am 17. Juli 1956 verließ die ANDREA
DORIA mit 1134 Passagieren und 500
Besatzungsmitgliedern Genua mit Ziel
New York. Der 1951 in Dienst gestellte
Luxusliner war 214 Meter lang und gehörte zu den größten italienischen
Schiffsneubauten nach dem zweiten
Weltkrieg. Bereits 101 Mal hatte das
Schiff den Atlantik überquert. Wie alle
größeren Schiffe dieser Zeit war auch
die ANDREA DORIA mit Radar ausgestattet. „True Motion Radar“, das
auch die Unterscheidung von festen
und bewegten Gegenständen ermöglicht sowie deren Kurs und Geschwindigkeit bestimmt, gab es damals allerdings noch nicht. Die DORIA hatte um
22.45 Uhr Ortszeit das Nantucket-Feuerschiff passiert und sollte am nächsten Morgen um 6 Uhr im Hafen von
New York einlaufen. Ihre spätere „Gegnerin“, der 159 Meter lange Passagierdampfer STOCKHOLM der SwedishAmerican Line, beförderte 500 Passagiere und war auf dem Weg nach Europa. Um 23 Uhr waren die beiden Schiffe noch 3,5 Seemeilen voneinander
entfernt. Die DORIA fuhr etwas nach
Backbord versetzt im Gegenkurs zur
STOCKHOLM. Keine der beiden Brückenbesatzungen kam auf die Idee,
dass die andere Seite die Verkehrssituation gegensätzlich interpretieren
könnte.Tatsächlich plante die STOCKHOLM eine normale Begegnung „rot
zu rot“, die ANDREA DORIA wollte jedoch „grün zu grün“ passieren. Die Ursache für diese konträre Vorhaben war:
Der diensthabende Offizier auf der
Brücke der STOCKHOLM ging davon
aus, das andere Schiff nahezu recht voraus vor sich zu haben. Kapitän Calamai von der DORIA nahm jedoch an,
das andere Schiff käme ihm Steuerbord
voraus entgegen.
Die ANDREA DORIA drehte deshalb
um 23.05 Uhr leicht nach Backbord ab,
um den Passierabstand zu vergrößern.
Die STOCKHOLM wich ihrerseits nach
Steuerbord aus und fuhr damit unwissentlich Kollisionskurs.Wegen des starken Nebels nahm man auf der Brücke
der ANDREA DORIA vermutlich erst
Skipper
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Historie 3
1 Bu fsdfkjj üj
mvdmiejijrij mvkym
viemjgj aw jig
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2 Bu fsdfkjj üj
mvdmiejijrij
mvkym viemjgj
aw jig vvmiegj
3 Bu fsdfkjj üj mvdmiejijrij
mvkym viemjgj aw jig
vvmiegj
aus einer Distanz von weniger als einer
Seemeile recht voraus ein rotes Licht
wahr – klares Zeichen für eine drohende Kollision. Das italienische Schiff
fuhr zu diesem Zeitpunkt mit 22 Knoten, das schwedische Schiff mit 18
Knoten. Die DORIA befand sich zu um
23.05 Uhr bereits in einer Wendung
nach Backbord und konnte nicht mehr
nach Steuerbord ausweichen.Als Piero
Calamai, der 58jährige Kapitän der DORIA den unmittelbar drohende Zusammenstoß erkannt hatte, befahl er „Hart
Backbord“, um noch vor der STOCKHOLM abzudrehen und sie am Heck
vorbeifahren zu lassen. Dies war eine
weitere Fehlentscheidung, denn für
ein solches Manöver vor dem Bug der
STOCKHOLM reichte die Zeit nicht
mehr aus. Der Offizier Carstens der
STOCKHOLM hatte unmittelbar vorher ebenfalls die Gefahr wahrgenom7/2006 Skipper
men, aber auch sein Riss am Maschinentelegrafen auf „volle Kraft zurück“
kam zu spät. Durch ihr Manöver des
letzten Augenblickes „hart Backbord“
fuhr die ANDREA DORIA mit ihrer verwundbaren Breitseite direkt vor dem
Bug der STOCKHOLM. Beim Aufprall
habe ein Funkenregen die Nacht erhellt, berichteten Augenzeugen später.
Elf Meter tief war die STOCKHOLM in
den Rumpf der DORIA eingedrungen –
der Steven des schwedischen Schiffes
war für Fahrten in Eisregionen extra
verstärkt worden. Etwa 40 Passagiere
der DORIA wurden in ihren Kabinen
getötet.
Die Rettungsaktion
Mittels einer einzigen Lautsprecherdurchsage auf italienisch und englisch
wurden die Passagiere der DORIA auf-
gefordert, sich mit ihren Rettungswesten zu den Sammelpunkten zu begeben. Nicht alle hörten diese Durchsage
und mehr erfuhren die Passagiere bis
zuletzt nicht. Eine geordnete Evakuierung des sinkenden Schiffes fand nicht
statt. Schnell stellte sich heraus, dass alle Boote der Backbordseite wegen der
starken Schlagseite nicht mehr zu Wasser gelassen werden konnten. Damit
stand nur noch die Hälfte der Rettungsbootkapazität, etwa 1000 Plätze für
1706 Personen, zur Verfügung. Um eine Panik zu vermeiden, so hieß es später, habe Kapitän Calamai darauf verzichtet, die Passagiere zu den benutz-
4 Historie
baren Rettungsbooten auf der Steuerbordseite zu rufen. So blieben sie uninformiert und warteten vergeblich auf
die Hilfe der Besatzung.Von dieser sei
kaum etwas zu sehen gewesen, berichteten später viele Überlebende übereinstimmend. Nach Aussage der Passagiere hätten viele Crewmitglieder die
Rettungsboote gestürmt und die Passagiere allein gelassen. Kapitän Calamai
4 Bu fsdfkjj üj mvdmiejijrij mvkym viemjgj aw jig vvmiegj
und einige Offiziere blieben auf der
Brücke und waren so für die Passagiere
keine Hilfe. Nach Aussagen der Überlebenden habe es allerdings auch einige wenige Mannschaftsmitglieder gegeben, die unter Einsatz des eigenen
Lebens sich um die Passagiere kümmerten. In Kabine 56 war eine Passagierin unter Wrackteilen eingeklemmt
worden. Ihr Mann versuchte vergeblich, sie mit bloßen Händen zu befreien. Ein Steward arbeitete trotz der Gefahr, das Schiff könne schnell sinken,
gemeinsam mit ihrem Ehemann mittels eines Hebewerkzeuges an der Befreiung der Frau.Vergeblich – die Frau
starb unter den Trümmern.Auch unter
den Passagieren gab es Helden und andere. Einzelne Männer seien vom Promenadendeck wieder in tiefere Decks
gestiegen, in denen bereits Wasser
stand. Dort holten sie weitere
Schwimmwesten und verteilten diese.
Die bekannte Regel „Frauen und Kinder zuerst“ sei jedoch auch von vielen
Passagieren nicht eingehalten worden.
Eines der Schiffe, das über Funk die
Notsignale empfing, war das Passagierschiff ILE DE FRANCE. Da sie über viele Rettungsboote verfügte, wurde sie
zum wichtigsten Schiff der Rettungsaktion. Um 2.30 Uhr, mehr als drei
Stunden nach der Kollision, begann deren Mannschaft mit der Aufnahme der
Schiffsbrüchigen. Ein Frachter und ein
Marinetransporter waren so schnell
wie möglich zur DORIA gefahren.Auch
die „Gegnerin“ STOCKHOLM sandte
ihre Rettungsboote. An Strickleitern
und ausgehängten Netzen kletterten
die Passagiere der DORIA ohne Unterstützung durch die Besatzungsmitgliedern in die Rettungsboote der helfenden Schiffe.Als der Morgen herandämmerte, hatten sich 14 Schiffe um den
sterbenden Ozeanriesen versammelt.
Die ILE DE FRANCE fuhr zuletzt um
dieANDREA DORIA noch einen großen
Kreis. Mit 50 Grad Schlagseite lag sie
bereits tief im Wasser,ihr Schicksal war
besiegelt. Als Abschiedsgruß ließ der
Kapitän der ILE DE FRANCE die Flagge
dreimal dippen, wobei gleichzeitig die
Dampfpfeife dreimal ertönte. Manchem
Seemann seien dabei dieTränen gekommen.Vier Stunden später,um 10.09 Uhr
am 26. Juli 1956, versank die ANDREA
DORIA in den Fluten des Atlantiks.Auf
der Position 40.30 Nord 069.50 West
liegt das Wrack bis heute auf dem Meeresgrund in 70 Metern Tiefe.
Tod und Leben
in der Katastrophe
Fast alle der Todesopfer starben direkt durch das Eindringen der STOCKHOLM in die DORIA.Der Rechtsanwalt
Walter Carlin aus Brooklyn zum Zeitpunkt der Kollision im Badezimmer
seiner Kabine. Als er aus dem Sanitärraum herauskam, sah er, wie sich der
Bug der STOCKHOLM wieder aus der
aufgerissenen Kabinenwand zurückzog und mit dem eingedrungenen Wasser auch das zerbrochene Bett samt seiner blutüberströmten Gattin in seinem
Sog ins Meer riss. Es gab freilich auch
Ereignisse, die man nur als Wunder
deuten kann. Linda Morgan, eine vierzehnjährige Passagierin der ANDREA
DORIA, stand bereits auf der Liste der
Toten. Dann wurde das Mädchen mit
Verletzungen auf dem Bug der STOCKHOLM gefunden. Durch die Wucht des
Aufpralls wurde sie offenbar von der
5 Bu fsdfkjj üj mvdmiejijrij mvkym viemjgj
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DORIA auf die STOCKHOLM geschleudert und überlebte so. Keine Hollywood-Erfindung wie beim Titanicfilm,
sondern real geschehen ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Passagierin
und einem Seemann. Die beiden lernten sich in der Nacht der Katastrophe
kennen.Acht Monate später heirateten
sie. Ihrer erste Tochter heißt DORIA.
Die Kollisionsverhütungsregeln
Die damals geltenden Kollisionsverhütungsregeln (Convention on the International Regulations for Preventing
Collisions at Sea, COLREG) waren im
Jahr 1948 verabschiedet worden.
Schon im 19. Jahrhundert hatte man
einheitliche Bestimmungen für die
Lichterführung und für Ausweichmanöver entwickelt. Bereits Anfang des
20. Jahrhunderts waren diese internationalen Regeln von vielen seefahrenden Nationen in nationales Recht umgesetzt worden. Die heute geltende
KVR ist eine Aktualisierung von 1972.
Im Laufe der Zeit kamen einige Neuerungen wie die Bestimmungen für Verkehrstrennungsgebiete und Küstenverkehrszonen hinzu. Die Ausweichregeln wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts nicht wesentlich verändert.
Die Regel 18 nach der damaligen Zählung (heute Regel 14) besagte, dass
zwei Maschinenfahrzeuge bei entgegengesetztem Kurs grundsätzlich
nach Steuerbord ausweichen sollen.
Diese Regel galt aber nur dann unbedingt, wenn bei Tage die Masten des
entgegenkommenden Schiffs in Linie
oder bei Nacht seine beide SeitenlichSkipper
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ter wahrgenommen werden konnten.
Regel 19 (heute Regel 15) legte fest,
dass bei kreuzenden Kursen zweier
Maschinenfahrzeuge dasjenige ausweichen muss, welches das andere an seiner Steuerbordseite hat. Regel 22 (heute in Regel 15 enthalten) bestimmte
weiterhin, dass man es vermeiden solle, den Kurs eines Schiffes vor sich zu
kreuzen. Nach Aussage von Kapitän Calamai fuhr die STOCKHOLM ursprünglich etwa 4 Grad nach Backbord versetzt der DORIA entgegen. Insofern
war seine Kursänderung nach Backbord verständlich, um nicht den Kurs
der STOCKHOLM zu kreuzen. Der
diensthabende dritte Offizier Carstens
der STOCKHOLM ging allerdings davon aus,dieANDREA DORIA käme ihm
recht voraus entgegen, folglich gälte
Regel 18. Kapitän Calamai von der ANDREA DORIA hingegen versuchte, gemäß Regel 19 und Regel 22 auszuweichen. Obwohl diese unterschiedlichen
Einschätzungen zur jeweils konträren
Reaktion und damit zur Katastrophe
führten, sind beide Sichtweisen in gewisser Weise nachvollziehbar, da keine
der Brückenbesatzungen die hundert-
prozentig exakte Position des anderen
Schiffes vor sich wusste. Wegen des
starken Nebels war die Sicht erheblich
eingeschränkt, und möglicherweise
wurde auf einem oder auf beiden
Schiffen das Radarbild falsch interpretiert. Das Wort vom „blinden“ Vertrauen in die Technik wurde in trauriger
Weise wahr. Unklar blieb bis zuletzt,
Literatur
Ü
ber diese Schiffskatastrophe
wurden mehrere Bücher geschrieben: Gleich nach Untergang
veröffentlichte Alvin Moscow, Reporter der Associated Press, einen
Tatsachenbericht. 1961 wurde davon die deutsche Übersetzung „Der
Untergang der ANDREA DORIA“
publiziert. Ebenfalls aus dem Amerikanischen übersetzt ist das 1981
erschienene Taschenbuch von William Hoffer „ANDREA DORIA.“ Weitere Infos: www.andreaDORIA.org
oder www.nauticalresearch.com
warum die Schiffsführer sich nicht per
Funk über die Art der geplanten Begegnung verständigt hatten. Vermutlich
waren nicht einmal die entsprechenden Schallsignale gegeben worden.Die
Schuldfrage war bei den späteren Verhandlungen nicht einfach zu beantworten. Einerseits war klar, dass die
ANDREA DORIA von der STOCKHOLM gerammt wurde und nicht umgekehrt.Andererseits war klar, dass die
STOCKHOLM nach Steuerbord ausgewichen war und damit jedenfalls anfangs nicht falsch reagiert hatte. Beiden Schiffsführern war gleichermaßen
vorzuwerfen, dass sie trotz des dichten
Nebels ihre Fahrt nicht reduziert hatten. Zu einer abschließenden Klärung
der Schuldfrage kam es nie, denn die
Italian-Line und die Swedish-AmericanLine einigten sich außergerichtlich.
Unabhängig von der außergerichtlichen Einigung der Schifffahrtsgesellschaften untereinander führten einige
Passagiere Gerichtsprozesse gegen die
Italian-Line wegen des Versagens ihrer
Besatzungsmitglieder bei den Rettungsmaßnahmen.
Dietrich Hub
6 Historie
Interview
Klaus Dorneich
Augenzeuge
Klaus Dorneich – damals 26-jähriger
Berufsanfänger – war der einzige deutsche Passagier auf der letzten Fahrt
der ANDREA DORIA. Dietrich Hub
sprach mit ihm über diese Seereise.
Skipper: Herrn Dorneich, wo befanden Sie sich auf der ANDREA DORIA
zum Zeitpunkt der Kollision?
Klaus Dorneich: Ich saß damals mit anderen jungen Leuten in einer Musikbar
mit Tanzfläche in einem der oberen
Decks,um Abschied zu feiern,denn am
nächsten Tag sollte unser Schiff im Hafen von NewYork anlegen.Plötzlich,so
gegen Mitternacht, wurde das Schiff
von einem gewaltigen Schlag erschüttert. In der Bar fielen die vielen Flaschen aus den Regalen hinter dem Tresen zu Boden und zersplitterten dort.
Das gab nochmals einen ohrenbetäubenden Krach. Wir rannten sofort hinaus ins Freie an die Reling, um zu sehen, was sich ereignet hatte. Im Nebel
sah ich die Umrisse eines anderen, hell
erleuchteten Schiffs in unmittelbarer
Nähe der ANDREA DORIA. Daran erkannte ich, dass unser Schiff vermutlich soeben gerammt worden war.
Skipper: Was geschah unmittelbar
nach der Kollision?
Klaus Dorneich: Die DORIA bekam sofort starke Schlagseite nach Steuerbord. Das machte uns noch mehr Sorgen, als die Kollision selbst. Denn jeder
wusste:Wenn das Schiff sich weiter mit
dieser Geschwindigkeit zur Seite neigte, würde es kentern. Schon bald erwies sich die Schlagseite als so heftig,
dass sich kaum noch jemand auf den
Beinen halten und erst recht nicht
mehr über die Decks laufen konnte. So
klammerte sich alles an die Reling und
die Panik stieg von Minute zu Minute.
Auch ich traute mich nicht mehr in die
Kabine zurück, wo unsere Rettungsgürtel verstaut waren. So kam es, dass
ich nach meiner Rettung nichts anderes als fünf Dollar in der Tasche hatte.
Skipper: Wie wurden die Passagiere
über diesen Notfall informiert?
Klaus Dorneich: Eigentlich überhaupt
nicht. Es soll eine einzige Durchsage
auf Italienisch und auf Englisch gegeben haben, die aber so undeutlich war,
dass ich nichts verstanden habe. Von
der Besatzung war kaum einer zu sehen.Wie ich später von anderen Überlebenden erfuhr,hat es allerdings unter
den Crewmitgliedern auch einige verantwortungsvolle Männer gegeben,die
sich mit aller Kraft um die Passagiere in
den durch die Kollision stark zerstörten Kabinen gekümmert haben.
Skipper: Wie kamen Sie in ein Ret-
tungsboot?
Klaus Dorneich: Es dauerte etwa zwei
Stunden, bis Rettungsboote von ande-
Zur Person
D
r. Klaus Dorneich hat 1961 in
Guatemala geheiratet. Seine Frau
Hildegard und er gaben ihrer ersten
Tochter den Namen ANDREA. Später
war Klaus Dorneich in Mexiko Projektleiter für Richtfunksysteme der SEL
AG in Stuttgart. Aufgrund dieser familiären und beruflichen Gegebenheiten überquerte er noch insgesamt 72
Mal den Atlantik mittels Schiff oder
Flugzeug. Heute lebt er im Ruhestand
in Stuttgart, ist jedoch sporadisch
immer wieder mit seiner Frau als Reiselektor an Bord zahlreicher Kreuzfahrtschiffe in vielen Teilen der Welt
tätig.
ren Schiffen in Sicht kamen. Sie näherten sich der Steuerbordseite der DORIA, denn dieser Teil des Schiffes befand sich wegen der heftigen Schlagseite viel näher an der Wasseroberfläche als die Backbordseite – die zeigte
nämlich aufragend in den Nachthimmel. Zusammen mit einem Wiener Studenten schnitt ich von Wetterplanen
an der Reling Stricke ab. Damit bastelten wir eine Art Sitzgurt und ließen zunächst die kleinen Kinder in die Rettungsboote hinunter. Andere Passagiere ließen sich an dicken Schiffsseilen
herab, die von Deck ins Wasser herabhingen. Dabei verletzten sich viele an
den Händen, weil sie keine Erfahrung
darin hatten.Auf diese Weise sind zahlreiche Frauen ins Wasser gefallen und
mussten von den meist französischen
Matrosen der ILE DE FRANCE heraus
gefischt und in die Rettungsboote gezogen werden. Als wir niemand mehr
an Bord sahen, verließen auch wir beide das Schiff und wurden über eines
der Taue von schwedischen Matrosen
in ein Rettungsboot der STOCKHOLM
übernommen. Nach einer abenteuerlichen Irrfahrt im Nebel kamen wir dort
an und wurden über die Lotsenleiter
an Bord genommen.
Skipper: Es war wohl ein eigentümliches Gefühl, vom „Gegner“ aufgenommen zu werden?
Klaus Dorneich: Dies war nicht das Problem, sondern die verheerenden Zerstörungen am Bug der STOCKHOM
selbst machten uns Sorgen. Zu diesem
Zeitpunkt wusste ja noch keiner, ob
die STOCKHOLM nicht auch sinken
würde. Trotz ihrer starken Beschädigung – vom Bug fehlten über 12 Meter!
– konnte das Schiff im Laufe des folgenden Tages jedoch wieder seetüchtig gemacht werden und lief sogar mit eigener Kraft langsam zurück in den Hafen
von New York, begleitet von kleineren
amerikanischen Kriegsschiffen. Für
diese kaum 200 Seemeilen benötigte
die STOCKHOLM allerdings fast drei
Tage. Zusammen mit etwa 600 Passagieren der ANDREA DORIA hatte die
STOCKHOLM auch acht Schwerverletzte an Bord. Die wurden noch am
frühen Morgen von Hubschraubern
der amerikanischen Coast Guard in einer dramatischen Bergeaktion in Körben von Deck an Bord gezogen und ins
Krankenhaus nach Boston geflogen.
Skipper
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