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Jan We i ler m e i n le be n als mensch Im Innern des Wals Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco E s wird gelegentlich darauf hingewiesen, dass Männer hier und da eine Darm spiegelung vornehmen lassen soll ten. Frauen auch. Aber Männer sind den Ärzten wichtiger. Keine Ahnung warum, vielleicht bie ten Herren höhere Schauwerte als Damen. Im Rahmen meiner Versuchsreihe „Dinge, die ich noch nie gemacht habe“ entschied ich letzte Woche, meinen Dickdarm mal tüchtig untersuchen zu lassen. In die Neugier auf diesen ungeheuerlichen Vorgang mischte sich Pflichtbewusstsein. Und Sorge. Zahllos sind nämlich die Klagen früh Verstorbener, die für ihr Ableben keineswegs eine Krankheit, sondern deren Entdeckung im Rahmen einer Routineuntersuchung verantwortlich machten. Ich wollte auf gar keinen Fall zum Opfer medizinischer Sorgfalt werden und fragte als Erstes, ob man nicht die ganze Prozedur ohne Bild gebende Verfahren, einfach nur mal so für Spaß machen könnte. Das wurde aber abgelehnt. Eine Darmspiegelung sei keine Ach terbahnfahrt, belehrte mich der Internist am Telefon. Das hatte ich auch nicht angenommen. Gut, so was Ähnliches schon. Er bestellte mich in das Krankenhaus, in dem er täglich spiegelt. Dort nahm man mich stationär auf. Die Dame am Empfang war nett, wir unterhielten uns über die beruflichen Deformati onen, die ein Klinikalltag mit sich bringt. Irgendwann hätten die Menschen dort gar keine Namen mehr, erzählte sie. Dann rief sie auf der Station an und sagte: „Ich schicke Euch gleich noch’n Darm hoch.“ Im Vorgespräch kündigte der Doktor an, er wolle sich in mir ein bisschen umschauen. Das erinnerte mich an die berühmte Lithographie „Das Gerücht“ von A. Paul Weber mit dem spitz nasigen bebrillten Kopf auf dem schlangenartigen Körper, der durch eine Häuserschlucht fliegt. Aber natürlich guckt sich der Arzt nicht persönlich im Darm um, er lässt gucken. Mit einer Kamera. Er erläuterte, dass er zunächst ein wenig tasten werde, um dann mit einem Schlauch dieses Gerät einzuführen und es durch den Dickdarm zu schieben. Es sei phantastisch, ein wissenschaftlicher Trip durch den Körper, fast wie mit einem Mini-U-Boot, fast wie in dem Film „Die phantastische Reise.“ Da spielt Raquel Welsh mit. Man möchte schon lieber Raquel Welsh in seinem Körper wissen als einen bayerischen Oberarzt, aber Raquel Welsh praktiziert nicht mehr und der Oberarzt hat das immerhin studiert. Natürlich fragte ich, ob die Erfahrung einer solchen Unter suchung irgendwelche Parallelen zu einem Aufenthalt in einem russischen Matrosengefängnis aufweisen könne, aber er verneinte deutlich und bot mir als Betäubungsmittel Propofol an, die so genannte Michael-Jackson-Milch. Er sagte, man würde es kontrolliert verabreichen und er könne mich sogar zwischendurch wecken, um die Live-Übertragung aus meinem Darm mit mir gemeinsam anzusehen. Das wollte ich lieber nicht, beim nächsten Mal machen wir das vielleicht. Er ver sprach, auf jeden Fall schöne Fotos auszudrucken. Die Vorbereitung zur Spiegelung des Darmes beinhaltet die Entleerung desselben, damit dem Arzt nichts die Sicht behin dert. Man stellte mir literweise Abführmittel und einen Becher ins Krankenzimmer. Die Einnahme dieser Substanz kann man als Dschungelprüfung für Daheimgebliebene bezeichnen. Pfui Spinne ist das Zeug widerlich. Es hatte in etwa die Konsistenz von Speiseöl, roch aber künstlich nach Vanille. Von der Darmspiegelung habe ich schließlich nichts mit bekommen, also war sie nicht schlimm. Wirklich, das kann man mal machen. Und ich bekam zum Abschied eindrucksvolle Bilder geschenkt, welche die Erstdurchquerung meines künst lich beleuchteten Darmes durch Doktor W. zeigen. Ich musste kurz vorher eine seltsame Unterhose mit rückwärtigem Schlitz anziehen, dann kam das Propofol. Ich weiß nur noch, dass der Mediziner mir stolz seine Gerätschaften zeigte und ich ihn fragte, ob das wirklich funktioniere. Seine Antwort war das Letzte, an das ich mich erinnere. Er sagte: „Entscheidend ist, was hinten reinkommt.“ 18 . April 2011