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I n ha lt »Après nous le déluge!« – Ein Vorwort Die Ausstrahlung des Versailler Hofs 9 14 Mode und Manieren, Vergnügen und Vorlieben 31 Der Sonnenkönig und seine Mätressen 56 Preußen im Profil: Von Prac ht und Prunk zur Sparsamkeit 74 Im Liebesreigen des Rokoko: Ludwig XV. 95 Feste, Feiern, Tafelfreuden und andere höfische Lustbarkeiten 117 Sächsische Pikanterien 135 Am Hofe Augusts des Starken Von Rheinsberg nach Sanssouci 151 173 Höfische Extravaganz: Alchemisten, Abenteurer, Hochstapler und andere Glücksritter 194 08582_Umbr.indd 7 06.05.10 16:30 »La vie est un grand plaisir!« – Ein Nachwort 213 Quellen- und Literaturverzeichnis Personenregister Bildnachweis 08582_Umbr.indd 8 216 218 224 09.07.10 09.07.10 / 14:47 Am H o f e A u gu st s d e s Star k en Für manche Männer, die eine Frau begehren, spielt ihr Äußeres eine wichtige Rolle, ihre Körperformen, ihr Sexappeal und nicht zuletzt auch die Farbe ihres Haares. Welche Haarfarbe August der Starke bevorzugte, ist nicht bekannt. Da er mit derart vielen Frauen intim verkehrte, werden vermutlich alle Farben dabei gewesen sein. Wahrscheinlich aber gilt seine Vorliebe blonden Frauen. Seine Bayreuther Ehefrau Christiane hat lange blonde Haare, und auch das tugendhafte Fräulein von Kessel, eine Hofdame der Kurfürstenmutter, mit der er seine Gattin schon bald nach der Hochzeit betrügt. Er schenkt seiner ersten Mätresse, wie Baron Pöllnitz zu berichten weiß, Juwelen im Wert von 60.000 Talern und verschiedene Ballen Stoff. Aber seine eifersüchtige Gattin findet im Bunde mit der Kurfürstenmutter schnell einen Weg, die junge Konkubine für immer vom Dresdner Hof zu entfernen. Man verheiratet sie kurzerhand mit Feldmarschall von Haugwitz, der im Dienste Augusts des Starken steht und in Wittenberg Gouverneur ist. Kaum ist sie weg, da liegt bald schon eine neue hübsche Blondine aus dem hohen Norden im Prunkbett des kurfürstlichen Schlossschlafzimmers: Aurora von Königsmarck. Das 17 mal 8,5 Meter große, vom französischen Innenarchitekten Raymond Leplat geschaffene Schlafgemach ist wirklich prachtvoll. Kamin- und Türwände sind aus farbigem Marmor gestaltet und die Zimmerwände mit grünem Samt ausgekleidet. Die Decke über dem voluminösen Bett ziert ein Gemälde, das die Nacht mit den Gestalten des Schlafes und des Traumes bei Mondschein und von Eulen umflattert darstellt. In diesem überbreiten Bett ist so manche Frau dahingeschmolzen, überwältigt von der Potenz des »Kraftprotzes im Bett«, wie August der Starke in einer 1981 erschienenen Biografie abfällig bezeichnet wird. A M HO FE AUGUS T S DE S S TARK E N 08582_Umbr.indd 151 15 1 06.05.10 16:31 Aurora von Königsmarck ergeht es nicht anders. Sie ist nicht nur wunderhübsch, sondern auch geistvoll und gebildet. Einer ihrer zeitgenössischen Bewunderer schreibt, ihr Haar sei »von einem gewissen Blond« gewesen, »das man lange nach ihr ›Schwedisch-Blond‹ nannte«. Ein heute im Schloss Quedlinburg hängendes Gemälde zeigt sie mit hübschen blonden Locken, einem kecken, auf der linken Kopfseite schräg aufgesetzten Federhütchen und einem roten, tief dekolletierten Kleid. Die Wangen sind mit starkem Rouge belegt, und über den großen dunklen Augen schwingen sich in weitem Bogen lang gezogene Augenbrauen. Wirklich ein hübsches Porträt. Aber nun schauen Sie mal im Internet nach. Da finden Sie acht weitere Bilder von Aurora, und auf allen hat sie dunkle Haare, brünett bis tiefschwarz. Auch Baron Pöllnitz schildert sie so und notiert ganz begeistert, sie sei von mittelgroßer, schlanker und ebenmäßiger Gestalt gewesen mit unvergleichlich zartem Teint und regelmäßigen Gesichtszügen. Ich denke, diesmal können wir dem Schreiberling trauen, denn er hat Aurora persönlich gekannt. War sie also gar keine Blondine? Doch, anfänglich schon. Erst später hat sie sich, wie ich vermute, ihr Haar dunkel färben lassen. »Ihre Zähne standen wie zwei Perlenreihen«, schreibt Pöllnitz, »ihre schwarzen Augen glänzten und waren voll Feuer … Ihr Busen, ihre Arme und Hände waren von zartestem Weiß und schöner als alles, was man je gesehen hatte … Mit all ihren körperlichen Vorzügen verband sie Weltgewandtheit, Liebenswürdigkeit, ungezwungenen Scherz, feinen Witz und espritvolle Einfälle«. Er lobt ihren Großmut, ihre Uneigennützigkeit, ihre zurückhaltende Bescheidenheit, ihre vorzügliche Kunst der Menschenbehandlung und ihr wohltätiges Herz. Aurora spricht Französisch, Italienisch, Latein und Deutsch ebenso gut wie Schwedisch. Sie dichtet und zeichnet, ist eine vorzügliche Erzählerin und liebt Musik, Theater und prachtvolle Feste. Kein Wunder, dass August der Starke sofort von der zwei Jahre älteren Gräfin gefesselt ist. Pöllnitz berichtet: »Von allen seinen Mätressen ist sie die einzige, vor der er immer Achtung gehabt hat.« Sicherlich ist sie nicht nur ihm, sondern seinem gesamten Hofstaat überlegen gewesen. Kein Geringerer als Voltaire urteilt über sie, neben Katharina der Großen sei sie die berühmteste, aber auch merkwürdigste Frau zweier Jahrhunderte gewesen. 152 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 152 06.05.10 16:31 Maria Aurora Gräfin von Königsmarck (Schabkunstblatt von Fr. Schlüter nach einem Selbstporträt, o.J.) 08582_Umbr.indd 153 06.05.10 16:31 Als sie als echte Aristokratin und »Dame von Welt« 1694 vom Stockholmer Hof nach Dresden kommt – zuvor hat sie sich an den Höfen von Hannover und Braunschweig aufgehalten –, um vom Kurfürsten Unterstützung bei der Suche nach ihrem spurlos verschwundenen Bruder Philipp von Königsmarck zu erbitten, hat sie bereits Verehrer in ganz Deutschland. Zwei Herzöge schreiben ihr heiße Liebesbriefe. August der Starke nähert sich ihr absolut nicht als Kavalier, sondern eher plump und mit einer Eindeutigkeit, die sofort klar erkennen lässt, was er von ihr will. Er lädt sie und die ganze vergnügungssüchtige Hofgesellschaft zu einer Maskerade auf Schloss Moritzburg ein. Sie fährt in Reitkleidung mit der Kutsche vor und wird von halbnackten Nymphen empfangen. Eine von ihnen, als Diana gekleidet, stellt in der kurzen Ansprache Aurora, die Göttin der Morgenröte, in den Mittelpunkt. Zu Beginn des Festmahls öffnet sich der Fußboden und aus der Tiefe erhebt sich eine mit den erlesensten Speisen gedeckte Tafel, während unter dem Klang von Flöten, Oboen und Schalmeien der als Gott Pan verkleidete Kurfürst mit tanzenden Satyrn im Gefolge den großen Saal betritt. Für diese kaum bekleideten Waldfaune sind die wohlgestaltesten Männer des Hofes ausgesucht worden. Deutlicher als diese Szenerie kann eine Anspielung kaum sein. Nach dem Schmaus wird Aurora in einer Gondel zu einer Insel des Schlossteichs gefahren, wo sie in einem türkischen Haremszelt der Sultan erwartet, »strahlend von Juwelen«, wie Pöllnitz berichtet. Sie ahnen schon, wer der Sultan ist? Natürlich: August der Starke lässt keinen Zweifel daran, dass ihm die hübsche, wohl zwei Jahre ältere Aurora zu Diensten sein soll. Er zieht sie zu sich auf ein Sofa, während aufreizende türkische Bauchtänzerinnen auftreten und zur erotischen Anregung beitragen. Bei der Abendtafel wird es dann endgültig klar. Aurora findet an ihrem Platz ein Diadem aus Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlen von solcher Kostbarkeit, dass ihre Bereitschaft, sich dem Fürsten hinzugeben, beim anschließenden Tanze sichtbar zutage tritt. Ich höre förmlich die Worte, die er Aurora ins Ohr geflüstert haben wird. »Wie liebenswert Sie sind!« Oder »Oh, wie verlange ich nach Ihnen!« Sie turteln heftig miteinander und verlassen noch während des Tanzes den Saal Richtung Schlafgemach. Die Hofgesellschaft tut so, als bemerke sie nichts. Aber 154 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 154 06.05.10 16:31 am nächsten Tag weiß es ganz Dresden: Der Kurfürst hat eine neue Mätresse! Die beiden verbringen 14 lange Tage und Nächte auf Schloss Moritzburg bei allerlei Vergnügungen. Es ist wohl die schönste Zeit in dieser heftigen, aber kurzen Beziehung. Sie endet schnell, wohl auch deshalb, weil es Aurora gelingt, sowohl mit der Gemahlin als auch mit der Mutter des Kurfürsten in gutem Einvernehmen zu leben. Sie wird sogar Christianes Freundin, und die Kurfürstin sagt von ihr: »Ich kann nun nicht mehr unglücklich sein, eine Rivalin zu haben, denn sie ist wirklich eine Dame.« In der einen Nacht schläft der Kurfürst mit der Gemahlin, in der nächsten mit der Geliebten und manchmal sogar mit beiden in einer Nacht. In kurzen Abständen bringen beide einen Sohn zur Welt, Christiane am 17. Oktober 1696 den Erbprinzen Friedrich August und Aurora von Königsmarck elf Tage danach einen Sohn, der sinnigerweise den Namen Moritz erhält und später vom Vater legitimiert und zum Grafen von Sachsen ernannt wird. Er tritt 1721 in französische Dienste, wird sogar Marschall von Frankreich und einer der glänzendsten Feldherren seiner Zeit. Ganz das Ebenbild seines Vaters, bricht auch er unzählige Frauenherzen. Bald nach der Geburt von Moritz ist die Liaison des Kurfürsten mit Aurora von Königsmarck beendet. Er zieht sich von seiner Mätresse zurück und verhilft ihr dazu, Koadjutorin in der Abtei Quedlinburg zu werden, die sie von 1704 bis 1718 als Pröpstin regiert. Eine neue Geliebte liegt bereits in seinen Armen: Maximiliane Hiserle (Esterle), die Gräfin von Chodau. Er hat sie 1696 während eines Besuchs beim Kaiser in Wien auf einem Hofball kennengelernt. Die habgierige und stets auf ihren Vorteil bedachte Frau ist zwar verheiratet, hat aber mehrere Liebhaber. Ein Geschenk von 40.000 Gulden macht sie auch dem sächsischen Kurfürsten gefügig. Er muss nochmals eine Jahresrente von 20.000 Gulden an den Ehegatten zahlen, nachdem dieser die beiden auf ihrem nächtlichen Liebeslager überrascht hatte und von August dem Starken mit dem Degen aus dem Schlafgemach vertrieben worden war. In einem schriftlichen Vertrag verzichtet Graf Esterle vorübergehend auf seine Rechte als Ehemann und willigt auch ein, eventuelle vom Kurfürsten gezeugte Kinder seiner Gemahlin als seine eigenen anA M HO FE AUGUS T S DE S S TARK E N 08582_Umbr.indd 155 15 5 06.05.10 16:31 zuerkennen. Das ist schon recht ausgefallen, und ich kann verstehen, wenn Sie deswegen in Zorn geraten. Juristisch hätte ein solcher Vertrag heutzutage keinen Bestand, weil er, wie es so schön heißt, gegen die guten Sitten verstieße. Im absolutistischen Zeitalter ist dagegen der Wille des Herrschers Gesetz. Das habe ich, wie ich hoffe, bereits zur Genüge deutlich gemacht. Als die Gräfin Esterle als neue Favoritin an den Dresdner Hof kommt, versteht sie es – anders als Aurora von Königsmarck – nicht, die Hochachtung und Zuneigung der Hofgesellschaft zu gewinnen. Ihre Verschwendungssucht kostet August den Starken ein Vermögen. Sie wird die teuerste Mätresse, die er je hatte. Beim Karnevalsumzug am 3. Februar 1697 am Dresdner Hof hebt sich August der Starke in sehr auffälliger Weise von den anderen Masken ab. Er tritt als Alexander der Große auf, eine Rolle, die er nicht zufällig gewählt hat. Er will damit seine Ambitionen verdeutlichen, denn er möchte in der großen Politik um jeden Preis mitmischen. Nach dem Tod des bisherigen polnischen Königs Johann Sobieski am 17. Juni 1696 strebt der sächsische Kurfürst nach der polnischen Königskrone. Deshalb gibt er wenige Wochen nach dem Dresdner Maskenfest seinem überaus geschickten Vertrauten Jakob Heinrich von Flemming den Auftrag, entsprechend in Polen vorzufühlen. Aufgrund der Sonderstellung, die die zumeist einheimischen Mitglieder des Hochadels am Hofe Augusts des Starken einnehmen, sind viele von ihnen in der Lage, sich in Dresden prachtvolle Palais bauen zu lassen, so auch Graf Flemming. In der Pirnaischen Gasse errichtet er einen herrlichen Barockbau, und 1715 erwirbt er auch das Holländische Palais, das später zum berühmten Japanischen Palais umgestaltet wird. Mit Flemmings Hilfe entwickelt August der Starke für seine polnische Königskandidatur ein regelrechtes Wahlprogramm. Er will in Polen reiche sächsische Familien etablieren und an den Grenzen Festungen errichten. Doch er hat in dem französischen Prinzen Franz Ludwig von Conti einen scharfen Konkurrenten. Dessen Vetter Ludwig XIV. hofft, auf diese Weise auch von Osten her gegen das Habsburger Reich vorgehen zu können. Aber es gelingt August dem Starken, die Unterstützung Kaiser Leopolds I. zu gewinnen. Dafür muss er ihm versprechen, zum Katholizismus überzutreten. Als er am 2. Juni 1697 von einem katholischen Bischof tatsächlich die Absolution und die 156 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 156 06.05.10 16:31 Eucharistie empfängt, bleibt der Religionswechsel zunächst noch geheim. Die Königswahl erfolgt am 26. Juni 1697 traditionsgemäß in Warschau. Beide Kandidaten erhalten etwa gleich viele Stimmen. Aber August der Starke ist bereits am 6. Juli in Polen, viel früher als Prinz Conti. Damit ist die Entscheidung gefallen. Am 27. Juli bekennt sich der sächsische Kurfürst öffentlich zum Katholizismus. Das löst nicht nur in der Dresdner Hofgesellschaft, sondern in ganz Sachsen helle Empörung aus, die noch jahrelang anhält. Denn in der Bevölkerung gilt der Kurfürst von Sachsen als Hüter des Protestantismus. Und als Landesherr ist er auch Oberhaupt der evangelischen Kirche. Diese Ämter überträgt er nun einfach dem Geheimen Rat. Am 15. September wird August der Starke im Dom von Krakau als August II. zum polnischen König gekrönt. Er muss einen prächtigen Ornat tragen, der mit dem mächtigen Eisenkürass selbst für ihn zu schwer ist. Seine Ehefrau Christiane nimmt nicht an den Krönungsfeierlichkeiten teil. Sie weigert sich zu konvertieren und betritt niemals polnischen Boden. Er selbst bleibt dagegen vorerst in Polen und setzt in Sachsen den Schwaben Anton Egon Fürst zu Fürstenberg-Heiligenberg als Statthalter ein, der nun zum ersten Mann in Sachsen wird. Diese Einsetzung hätte eigentlich der Zustimmung des Adels und der Stände bedurft. Dass August der Starke das ohne sie tut, wirkt auf sie wie ein Staatsstreich und sorgt für weitere Unruhe im Land. Hinzu kommt noch, dass anlässlich der Königswahl ein Präsent von 100.000 Talern überreicht werden muss. Der Kurfürst opfert viel Geld für den erstrebten Titel, den er letztlich doch nicht behalten kann. Für die nach Polen gehenden Bestechungsgelder, die keinem anderen Zwecke dienen, als dem polnischen Volk einen fremden Monarchen aufzuzwingen, den sie nicht wollen, wendet er 13 Millionen auf. Schon bei seiner Einreise nach Polen hat er 30.000 Gulden Bargeld und 800.000 in Wechseln bei sich. Im August 1697 weist er seinen Kammerpräsidenten von Hoym an, sofort nochmals 200.000 Taler nach Polen zu schicken und drei Wochen später weitere 400.000. Von nun an verlangt der König unaufhörlich immer neue Summen zwischen 500.000 und 600.000 Talern. Im Jahr 1733, am Ende der polnischen Episode, steht die exakt errechnete, wahrhaft stolze Summe von 38.931.714 Reichstalern. Wofür er das alles braucht? Er will auch am A M HO FE AUGUS T S DE S S TARK E N 08582_Umbr.indd 157 15 7 06.05.10 16:31 Warschauer Hof auf die extravaganten Annehmlichkeiten des Hoflebens nicht verzichten und auch hier Hoftheater und Hofkapelle ständig bei sich haben. Der Hofstaat ist inzwischen auf über 700 Personen angewachsen, wovon nur ein geringer Teil einen eigenen Hausstand hat und nicht bei Hofe versorgt werden muss. Über 100 Leute arbeiten allein in der Küche, Kellerei, Konditorei und im Provianthaus und genauso viele bei der Hofkapelle und beim Theater und Ballett. Die höchste Kopfzahl verzeichnet mit 122 Soldaten die Schweizer Garde, die Leibwache am Hof. Wenngleich die meisten Bediensteten einen regelrechten Hungerlohn bekommen und der Dresdner Hofstaat nie den Umfang erreicht wie zum Beispiel der Münchner Hof mit fast 1000 Personen oder gar der Versailler Hof Ludwigs XIV. mit zeitweise 15.000 Menschen, verschlingt auch die Dresdner Hofhaltung viel Geld. Am kostspieligsten ist das Mätressenwesen. August der Starke behält es sowohl in Dresden als auch in Warschau bei, obwohl nach dem Rechtsempfinden und der religiösen Überzeugung des Volkes darin ein strafbares Vergehen zu sehen ist. Nicht nur die Kuppelei, sondern auch der Ehebruch und die sogenannte wilde Ehe stehen unter Strafe. Doch die Fürsten und Könige schaffen sich ihre eigene Moral und fühlen sich an die Gesetzgebung, für die sie selbst verantwortlich sind, nicht gebunden. Die gottähnliche Verehrung der absolutistischen Herrscher stellt sie außerhalb jeder Kritik. Selbst die Kirche, die das Mätressenwesen verabscheut und darin einen Verstoß gegen das heilige Sakrament der Ehe sieht, verhält sich sehr liberal. Und noch etwas dürfen wir nicht übersehen: Die Kehrseite all dieses sächsischen Glanzes ist das Elend der Armen. Während der Regierungszeit Augusts des Starken vergrößert es sich ständig. Auch wenn er zunehmend die Silberminen im Erzgebirge ausbeuten lässt, es sind die Bauern und Bürger, die in erster Linie die Kosten seiner verschwenderischen Herrschaft tragen müssen. Ihnen werden immer neue, immer größere finanzielle und wirtschaftliche Leistungen abverlangt. Die Steuern, die sie zahlen müssen, werden immer höher geschraubt. Währenddessen tauchen an der Seite Augusts des Starken ständig neue Frauen auf, manchmal auch junge Mädchen. Aus den Türkenkriegen, in denen er eine Armee kommandiert, bringt er 1686 die erbeu158 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 158 06.05.10 16:31 tete, ebenso sanfte und anschmiegsame wie devote Sklavin Fatime mit nach Hause. Sie hat im Krieg beide Eltern verloren. Pöllnitz schreibt, Fatime sei kaum mehr als sechs Jahre alt gewesen, als sie nach ihrer Taufe im November 1686 an den Warschauer Hof kam, wo die schönsten Damen darum wetteifern, dem König zu gefallen. Wenn das stimmt, hat sich August der Starke an einem Kind vergangen und damit das getan, was rund 50 Jahre später Ludwig XV. reihenweise tun wird. Ich bin sicher, dass Sie das aus dem Rokokokapitel noch im Gedächtnis haben. Fatime widersteht einige Zeit dem Liebeswerben, dann wird sie die neue Mätresse. Als sie etwa 22 Jahre alt ist, bringt sie 1702 einen hochbegabten Knaben zur Welt, den August der Starke erst 1724 als seinen Sohn anerkennt und unter dem Namen eines Grafen Rutowsky erziehen lässt. 1706 folgt noch eine Tochter nach, die ebenfalls als Gräfin Rutowsky anerkannt wird. Aber dann hat er endgültig genug von Fatime, weil ihn, wie Pöllnitz zu wissen glaubt, feurige und liebeserfahrene Frauen, die bereits verheiratet sind, mehr reizen. Er verheiratet das türkische Mädchen an Johann Georg Spiegel, einen Oberstleutnant in seiner Armee. Fatime wird zur Gräfin Maria Anna von Spiegel. Die Nächste im Liebesreigen der Mätressen ist die schöne polnische Fürstin Lubomirska, die Gemahlin des polnischen Großmarschalls. August der Starke tut alles, um ihr Herz zu gewinnen, anfangs auch aus politischen Gründen, um ihre Beziehungen zum Kardinal-Primas von Polen auszunutzen. Da die Fürstin kostspielige Vergnügungen liebt, wird an nichts gespart. Er beordert aus Dresden französische Musiker und Schauspieler an den Warschauer Hof. Das verschlingt viel Geld. Täglich gibt es hier nun, wie Pöllnitz erzählt, »Theater, Bälle, Reiterspiele, Jagden, Spazierfahrten auf der Weichsel, Lotterien und geräuschvolle Belustigungen. Nie zuvor hatte Warschau solchen Glanz gesehen«. Um der Lubomirska seine Macht und die Herrlichkeit seines Landes zu zeigen, holt er sie auch an den Dresdner Hof und überreicht ihr hier neben kostbaren Juwelen eine beim Kaiser erwirkte Urkunde, die sie zur Reichsfürstin von Teschen erhebt. Pöllnitz bekundet, sie sei »einige Jahre ziemlich unbestritten in seiner Gunst« geblieben. Dann fällt sie in Ungnade, und August der Starke lässt sie in Warschau zurück, allerdings mit einem beträchtlichen Vermögen, das sie inzwischen angesammelt hat. In Dresden A M HO FE AUGUS T S DE S S TARK E N 08582_Umbr.indd 159 15 9 06.05.10 16:31 stürzt er sich zur Freude der Hofgesellschaft von einem Fest in das andere und feiert üppige Orgien, von denen selbst der gewiss nicht prüde Pöllnitz sagt, ihre Zügellosigkeit habe jedes Maß überschritten. In einer der reinen Männerunden, die es 1704 ab und zu ebenfalls am Dresdner Hofe gibt und bei denen nicht nur viel gesoffen wird, sondern im Beisein des Kurfürsten auch derbe Zoten erzählt werden, preist sein Staats- und Kabinettsminister Adolph Magnus Graf von Hoym, dem der viele Wein schon zu Kopf gestiegen ist, seine liebenswerte Frau und ihre körperlichen Reize und Vorzüge in derart hohen Tönen, dass seine intimen Beschreibungen sofort das Interesse Augusts des Starken wecken. Er spannt sie ihm aus und macht sie zu seiner neuen Favoritin. Die am 17. Oktober 1680 unter dem Namen Anna Constantia von Brockdorff in Holstein geborene, gebildete und geistreiche Frau wird als Reichsgräfin von Cosel die bekannteste und bedeutendste all seiner Mätressen. Um sie Ihnen etwas näherzubringen, kann ich nichts Besseres tun, als Baron Pöllnitz das Wort zu erteilen. Er mag zwar ein Abenteurer und Spieler ersten Ranges gewesen sein, ein fahrender Glücksritter, der die Lebewelt Europas kennengelernt hat und dessen freimütige und amüsante Schilderungen der Liebesabenteuer Augusts des Starken mit Vorsicht zu genießen sind, weil sie nicht selten nur auf Klatsch beruhen, den er am Dresdner Hof aufgeschnappt hat. Aber bei der vortrefflichen Schilderung von Anna Constantia können wir ihm vertrauen, weil er ihr selbst begegnet ist: »Sie hatte ein schmales Gesicht, eine zierliche Nase, einen kleinen Mund, prachtvolle Zähne und große, schwarzfunkelnde, aber spöttische Augen. All ihre Gesichtszüge waren weich, ihr Lächeln bezaubernd und zu Herzen gehend. Sie hatte schwarzes Haar, einen wunderbaren Busen, ihr Schoß war einladend. Hände, Arme und Hals waren formvollendet, der Teint blendend weiß. Ihr Körper konnte als Meisterstück angesehen werden. Ihre Erscheinung war majestätisch, auch tanzte sie formvollendet.« Doch dann folgen bereits bemerkenswerte Einschränkungen: »Ihr Charakter war nicht ganz so vollkommen. Sie war mehr lebhaft als unterhaltsam, dazu wenig aufrichtig und launenhaft. Höflich war sie nur gegen die, die ihr huldigten, aber unnahbar gegen jene, die sie nicht verehrten. Sie war eigennützig und dabei doch freigebig, dankbar gegen Wohltaten, in ihrem Hass jedoch unversöhn160 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 160 06.05.10 16:31 lich. Eigenmächtig in ihren Wünschen, war sie nicht immer gerecht. Wie voreingenommen man auch immer gegen sie sein mochte: Wenn sie gefallen wollte, war sie unwiderstehlich. Sie hatte Manieren, die bezauberten, aber auch solche, die abstießen. Für Geld und Ehren tat sie alles … Ihre größte Kunst bestand darin, nie erkennen zu lassen, dass es ihr nur auf ihren eigenen Ruhm ankam.« Puh, möchten Sie mit einer solchen Frau zusammen sein? Trotz der Klugheit und des Scharfblicks Augusts des Starken verfällt er ihr ganz. Ihre erotische Anziehungskraft auf ihn ist enorm. Nicht nur die heißen Liebesspiele in seinem Prunkbett bringen ihn auf Hochtouren, dafür sorgen auch die frivolen, oft zynischen Gespräche, die er davor oder danach mit ihr führen kann. Der Kulturhistoriker Johannes Scherr schildert missbilligend eine besondere, man kann sagen schmutzige Pikanterie aus dem Jahre 1707. August der Starke wettet mit seiner Mätresse, er könne ihre Scham auf einer Münze abbilden lassen. Sie lässt sich darauf ein, und er gewinnt die Wette. Denn kurz darauf wird in einer Münzerei der berühmte »Coselgulden« geprägt. Auch heute noch ist er unter Numismatikern ein begehrtes, seltenes Sammelobjekt. Ja, die Cosel ist zu allem bereit. Und ihr Einfluss am Dresdner Hof wird immer größer. Letztlich ist sie es, die einzig und allein über Verdienst und Nichtverdienst der Höflinge entscheidet. Der Kurfürst überschüttet sie mit Geschenken aller Art. 1705 vermacht er ihr das umgestaltete Taschenbergpalais und dazu noch 1707 Schloss Pillnitz mit Weinbergen und Wäldern. Beides zusammen entspricht einem damaligen Wert von über 130.000 Talern. Seit 1706 darf sie sich zudem Reichsgräfin von Cosel nennen. »La femme du monde la plus parfaite«, wie sie am Hof genannt wird, die »vollkommenste Frau der Welt«, intelligent, witzig, schlagfertig, eine hervorragende Tänzerin und ebenso gewandt im Reiten wie im Fechten und Jagen, lebt in ihrem Palais zwischen vergoldeten und versilberten Möbeln und allerlei Kostbarkeiten aus dem Grünen Gewölbe mit einem eigenen Hofstaat wie eine Märchenprinzessin aus Tausendundeiner Nacht. Vor ihrem zauberhaften Domizil steht fortwährend ein Doppelposten als Ehrenwache, eine Auszeichnung, wie sie sonst niemand am Hof genießt. Prinz Eugen speist bei ihr, der Herzog von Marlborough und auch der dänische König. Und das alles in einer für A M HO FE AUGUS T S DE S S TARK E N 08582_Umbr.indd 161 16 1 06.05.10 16:31 Sachsen schweren Zeit, in der es sich im Krieg mit dem schwedischen König Karl XII. befindet. Im Mai 1702 fällt er zunächst in Polen ein, mit dem Ziel, August den Starken zu entthronen. Der nimmt seinen ganzen Hofstaat mit in den Krieg, einschließlich des gesamten Silbergeschirrs des Hofes und 500 Hofdamen. Er verliert bei dieser Kampagne nicht nur mehrere Tausend Soldaten, 50 Kanonen und die Kriegskasse, sondern auch seinen Ruf als Feldherr. Schmählich ergreift er die Flucht und entkommt durch Wälder und Sümpfe nur mit knapper Not nach Krakau, während seine zurückgelassenen 500 Hofdamen irgendwo im Morast stecken bleiben. Karl XII. holt sie ein, nimmt sie gefangen und schickt sie ihm mit einem höhnischen und verächtlichen Begleitschreiben unversehrt hinterher. Der Krieg findet aber erst sein Ende, als der Schwedenkönig 1706 auch in Sachsen einmarschiert und August den Starken dazu zwingt, auf seine polnische Königskrone zu verzichten. Als er danach Anstrengungen unternimmt, sie zurückzugewinnen, mischt sich die Gräfin von Cosel in die Politik ein und versucht, das zu verhindern. Von nun an hat sie jede Menge Feinde am Hof, wo man auch darüber aufgebracht ist, dass der Kurfürst ihr ein schriftliches Eheversprechen gegeben hat, sie nach dem Ableben seiner Frau als rechtmäßige Gemahlin und ihre drei, 1708, 1709 und 1712 geborenen Kinder als legitim anzuerkennen. Dass er seine offizielle Mätresse ebenfalls betrügt, und zwar mit der zarten, anmutigen Ballerina Angélique Duparc, die er 1708 an der Dresdner Oper – heute würden wir sagen – »aufgerissen« hat, sieht man am Hof eher gelassen. Mit der Ehefrau schläft er nicht mehr, die Cosel ist schwanger, und schnelle Vergnügungen mit irgendwelchen Schankmädchen oder Küchenmaiden befriedigen ihn weniger. Da muss 1708 halt eine »Übergangsmätresse« herhalten. 1709 kommt der dänische König Friedrich IV. zu Besuch an den Dresdner Hof. Höhepunkt der Festlichkeiten ist ein Ringstechen der Damen, das zu seinen Ehren im Amphitheater, dem Vorgängerbau des Zwingers, stattfindet. Jede teilnehmende Dame sitzt in den herrlich geschmückten Pferdewagen, 24 an der Zahl, wie auf einem Thron. Gelenkt werden sie von einem Kavalier, links und rechts laufen weitere Kavaliere. Die Dame muss auf der mittleren Bahn nach dem Ring stechen, ihre Be162 AM H OF E AU G U S TS D E S S TA R K E N 08582_Umbr.indd 162 06.05.10 16:31 Anna Constanze Gräfin von Cosel (Gemälde eines unbekannten Malers am Dresdner Hof, um 1710) 08582_Umbr.indd 163 06.05.10 16:31