Populationsmanagement frei lebender Katzen
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Populationsmanagement frei lebender Katzen
Vetkolleg KLEINTIERE Prakt Tierarzt 96: 573–575; © Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; ISSN 0032-681 X Katharina Dorothea Ilse Lidy Schröder Populationsmanagement frei lebender Katzen Kastration versus Sterilisation – die Sterilisation als Alternative zur Kastration besitzt eine Sonderstellung in der Tiermedizin. Der vorliegende Artikel befasst sich mit dem Populationsmanagement frei lebender Katzen. Es werden die Vor-und Nachteile von Kastration und Sterilisation diskutiert und in Bezug zu Tierwohl und Populationsmanagement gesetzt. . Die Kastration frei lebender* Katzen gehört für viele Tierarztpraxen zum Alltag. Begleitend zur Kastration werden die Tiere in der Regel mit Antiparasitika behandelt und zum Teil geimpft. Außerdem werden äußere Verletzungen versorgt, z. B. Bisswunden aus Revierkämpfen. (* Unter „frei lebenden Katzen“ werden im Folgenden Katzen verstanden, die nicht eindeutig einem Besitzer zugeordnet werden können.) Meist sind die Tiere unterernährt und Reservoir für zahlreiche Katzenseuchen. Damit stellen sie eine permanente Gefahr für frei laufende ungeimpfte Katzen aus Privatbesitz dar. Welpen von frei lebenden Katzen haben eine unerklärbar hohe Sterberate. Bis zu 75 % erreichen nicht den sechsten Lebensmonat, davon sterben 48 %, bevor sie 100 Tage alt sind. Als Hauptgründe werden Traumata, respiratorische und intestinale Erkrankungen angegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass viele private Halter ihre Tiere gar nicht oder nicht rechtzeitig kastrieren lassen. Insbesondere bei Katern hat das fatale Folgen. Da unkastrierte Tiere sich leicht finden, wird so unbeabsichtigt zur Entstehung oder zum Fortbestehen großer frei lebender Katzenkolonien beigetragen. Die Katze als invasive Tierart Mit einem Bestand von 60–100 Millionen stellen frei lebende Katzen den weltweit am weitesten verbreiteten Karnivor dar. Damit gehören sie zu einer von 100 gelisteten invasiven Spezies, deren Vorkommen für viele Ökosysteme, Biotope und Tierarten ein massives Gefährdungspotenzial darstellt. Insbesondere auf Inseln hat dies schwerwiegende Konsequenzen. Das prominenteste Beispiel dafür ist der neuseeländische Stephenschlüpfer (Xenicus lyalli), eine Vogelart, die von verwilderten Hauskatzen ausgerottet wurde. Ebenfalls betroffen von der starken Vermehrung frei lebender Katzen war der Bestand des tasmanischen Langnasenbeutlers (Parameles gunnii) und der Kakapo (Strigops habroptilus), eine flugunfähige neuseeländische Papageienart. Beide Tierarten sind immer noch weltweit auf der Roten Liste als „potenziell gefährdet“ (tasmanischer Langnasenbeutler) und „vom Aussterben bedroht“ (Kakapo) gelistet. 2013 hat die Zeitschrift „Nature Communications“ eine Studie veröffentlicht, die verdeutlicht, wie viele Vögel und andere Kleintiere von Katzen in den USA getötet werden. Laut dieser Studie sind dies jährlich 1,4 bis 4 Billiarden Vögel und 6,3 bis 22,3 Billiarden Kleinsäuger. Die genauen Zahlen für Deutschland sind unklar. Der NABU (Naturschutzbund Deutschlands) schätzt die von wildernden Katzen ausgehende Gefahr für deutsche Vögel und Kleinsäuger als deutlich geringer ein. Dennoch mahnt er, dass das Zufüttern von frei lebenden Katzen zu einem schnellen Wachstum von Katzenpopulationen und damit zu einer starken Reduktion Der Praktische Tierarzt 96, Heft 6 (2015) einheimischer Kleinsäuger- und Vogelarten führen kann. Deswegen empfiehlt der NABU, in der Hauptbrutzeit für Vögel von Mitte Mai bis Mitte Juli Hauskatzen keinen Freigang zu gewähren. Wer das nicht möchte, kann seiner Katze ein Glöckchen umbinden, damit zumindest Altvögel rechtzeitig gewarnt werden. Konsequenzen im Zusammenleben mit Menschen In städtischen Regionen leben frei lebende Katzen oft in sozialen Verbänden, die im Zusammenleben mit dem Menschen zum öffentlichen Ärgernis werden können. Grund dafür ist unter anderem das ausgeprägte Territorialverhalten der Kater. Sie setzen Urin ab, um ihr Territorium zu markieren, was zur Geruchsbelästigung für die Anwohner werden kann. Zusätzlich belästigend wirken die Schreie rolliger Weibchen und die Schreie bei Revierkämpfen. Die daraus resultierenden Verletzungen bei Katzen aus Privatbesitz können beträchtliche Tierarztkosten verursachen. Die Tatsache, dass frei lebende Katzen zahlreiche möglicherweise tödliche Krankheiten (FIV, feLV, Tollwut) auf andere Katzen übertragen können, welche zum Teil auch den Menschen massiv gefährden (Tollwut), erfordert weltweit Schutzimpfungen und nötigt zur Vorsicht im Umgang mit dem Tier. Bei Katzenliebhabern lösen die verwahrlosten Tiere Mitleid aus. Sie füttern die Tiere und tragen so unbeabsichtigt zur weiteren Zunahme der Kolonie bei. Gegner versuchen dagegen oft, sich der Tiere zu entledigen, z. B. durch Vergiften oder Abschießen. Populationskontrollprogramme Um einer solchen Entwicklung vorzugreifen, werden Populationskontrollprogramme durchgeführt, in denen versucht wird, bestehende Populationen auszurotten oder einzudämmen. Es wird in der Regel zwischen letalen und nicht letalen Katzenmanagementprogrammen unterschieden. Letale Populationskontrollprogramme Letale Programme umfassen das Fangen, Schießen, Vergiften und Jagen mit Hunden sowie die Verbreitung von Krankheiten, die für Katzen tödlich sind (feline Panleukopenie). Sie haben die Auslöschung der gesamten Population zum Ziel. Auf Inseln werden sie als effektivste Methode beschrieben. Andernorts gestalten sich solche Eradikationsprogramme oft als ineffektiv, da Anwohner neue unkastrierte Hauskatzen mitbringen, die zum Wiederaufbau der frei lebenden Kolonien führen. Solche letalen Programme widersprechen dem deutschen Tierschutzgesetz. Die Tatsache, dass dabei oft auch Katzen aus Privatbesitz getötet werden, führte 573 >> KLEINTIERE >> Vetkolleg zur Etablierung nicht letaler Populationskontrollprogramme. Sie sind auf Langfristigkeit angelegt und für große Populationen besser geeignet. Ihre Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung ist größer. Nicht letale Populationskontrollprogramme Bei nicht letalen Populationskontrollprogrammen wird zwischen chemischen und chirurgischen Methoden differenziert. Da die chemische Kastration bei der Anwendung im Feld bisher immer noch zu Problemen führt und die Entwicklung einer einheitlichen Vakzine zur Kontrazeption noch nicht ausgereift ist, bleibt die Kastration von Katern und Katzen weiterhin das Mittel der Wahl. Unter Kastration wird in Deutschland die chirurgische Entfernung der Keimdrüsen verstanden (Gonadektomie). Das sind beim Kater die Hoden (Orchiektomie, Abb. 1) und bei der Katze die Eierstöcke (Ovariektomie, Abb. 2). Laut § 6 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes in der Fassung vom 18.5.2006 ist „das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres verboten. Jedoch gilt das Verbot nicht, wenn der Eingriff im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a) bzw. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder … zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird (§ 6 Abs. 1 Nr. 5)“. Vor- und Nachteile der Kastration Sowohl beim Kater als auch bei der Katze führt die Kastration zu einem Abfall der Hormonproduktion, was sich positiv auf das Verhalten der Tiere auswirken kann. Kastrierte Tiere werden ruhiger und zeigen wenige oder keine fortpflanzungstypischen Verhaltensweisen mehr. Weibliche Katzen können nicht mehr rollig werden und das damit verbundene häufige Schreien wird unterbunden. Weitere Vorteile der Kastration bei weiblichen Katzen bestehen darin, dass die Dauerrolligkeit und Scheinträchtigkeit unterbunden sowie die Bildung von hormonell induzierten Krankheiten vermieden wird (Mammatumoren, Ovarialzysten oder der zystischen Hyperplasie des Endometriums beziehungsweise Pyometra). Kastrierte Kater besteigen aufgrund ihres mangelnden Sexualtriebs nur noch in seltenen Fällen rollige Katzen, wodurch die Übertragung von Krankheiten deutlich reduziert wird (FIV und feLV). Auch bei Katern wird vorbeugend kastriert, um die Entstehung bestimmter Krankheiten wie Prostatavergrößerungen und -tumoren zu verhindern. Insgesamt spielen diese Krankheiten allerdings eher eine untergeordnete Rolle. Außerdem wird bei Katern das lästige Spritzen von Urin zur Markierung des Territoriums reduziert. Dies erleichtert die Haltung des Tieres, insbesondere dann, 574 Abbildung 1: Kastration eines Katers (Orchiektomie) im Rahmen einer Kastrationskampagne. Foto: Welttierschutzgesellschaft e. V. Abbildung 2: Kastration einer Katze (Ovariektomie) im Rahmen einer Kastrationskampagne. Foto: Claire Deacon/7-olivesphotography wenn sich die Tiere auch in der Wohnung aufhalten. Eine Kastration hat jedoch auch Nachteile. Bei einigen kastrierten Katzen begünstigt der Eingriff die Gewichtszunahme. Dies liegt unter anderem daran, dass der Energiebedarf durch die Kastration sinkt. Gleichzeitig streunen kastrierte Katzen weniger herum und haben ein kleineres Territorium, wodurch sie weniger Energie verbrauchen. Die Sterilisation als Alternative zur Kastration Als alternative Methode zur Kastration wird die Sterilisation als weitere Form der chirurgischen Kontrazeption diskutiert. Hierunter wird die Ligatur oder Ektomie der Samenleiter (Kater) oder Eileiter (weibliche Katze) verstanden. Da die Gonaden im Körper bleiben, wird der Hormonstatus des Tieres weniger verändert. Damit werden Verhaltensänderungen minimiert. Weibliche Katzen werden also weiterhin rollig und Kater markieren immer noch. Da die Kater auch weiterhin auf die Suche nach rolligen Katzen gehen, bleibt das Territorium das einer unkastrierten Katze, wobei der Deckakt auch vollzogen wird. Mit einer Sterilisation kann man Krankheiten nicht vorbeugen. Man verhindert jedoch die Geburt weiterer Jungtiere. Da Tierärzte Sterilisationen nicht als Routineoperation anbieten, gibt es weltweit nur sehr wenige Studien über den Erfolg von Sterilisationen bei Hauskatzen. Deswegen sind Projekte entwickelt worden, Der Praktische Tierarzt 96, Heft 6 (2015) Vetkolleg in denen computergestützte Modellrechnungen genutzt werden, um den Erfolg von Sterilisationen zur Reduktion frei lebender Katzenkolonien zu testen. Berücksichtigt wurden hierbei dichteabhängige Faktoren wie Veränderungen der Wurfgröße und -häufigkeit, vermehrte Zuwanderung, vermindertes Alter für den ersten Wurf und eine zunehmende Überlebensrate. Im Vergleich zur Kastration schnitt die Sterilisation dabei deutlich erfolgreicher ab. In einer Feldstudie von Nutter (2005) konnte dies bestätigt werden. Bei einer Fangrate von 75–80 % führte die Sterilisation in einem Zeitraum von zwei Jahren zu einer deutlich schnelleren Verkleinerung der Kolonien frei lebender Katzen (53 % der Ausgangspopulation) als die Kastration (73 % der Ausgangspopulation). Eine Kontrollgruppe von intakten (nicht behandelten fertilen) Tieren wuchs in diesem Zeitraum auf 124 % an. Als Ursache für die schnellere Dezimierung von Kolonien aus sterilisierten Tieren wird die deutlich reduzierte Lebenserwartung sterilisierter Katzen gesehen. Dies wurde in mehreren Feldstudien sowohl für den innerstädtischen Raum (Berlin) als auch auf dem Land nachgewiesen. Aufgrund des unveränderten Hormonstatus haben die Kater einen größeren Aktionsradius. Haupttodesursache ist in diesem Zusammenhang das Trauma durch Unfälle, von denen kastrierte Tiere aufgrund ihrer Standorttreue weitaus weniger betroffen sind. Ein weiterer Grund wird in dem weiterhin bestehenden Territorialverhalten der sterilisierten Kater gesehen. Dadurch wird eine Zuwanderung unkastrierter Kater effektiv verhindert, sodass diese nicht zur Repopulation der Kolonie beitragen und auch statistisch nicht mit erfasst werden können. Allerdings bilden dann diese und abwandernde Tiere andernorts neue Kolonien. Eine Studie über das Raumnutzungsverhalten unkastrierter und kastrierter Katzen für den Raum Berlin bestätigt diese Ergebnisse. Hier besaßen unkastrierte Kater ein sehr viel größeres Territorium als kastrierte Kater und hatten nur selten Kontakt zu anderen Katzen. An Futterstellen wurde die Anwesenheit anderer Katzen allerdings toleriert. Da weibliche Katzen nach einer Sterilisation weiterhin rollig werden können, vermuten einige Tierärzte zudem, dass diese Rolligkeit ohne Aussicht auf Erfolg eine Belastung für den Organismus darstellen könnte. Katzen sind induzierte Ovulierer und könnten durch den Deckakt pseudoträchtig werden. Ob dieser Zustand langfristig gesundheitlich beeinträchtigend wirkt, ist ebenso noch ungeklärt. Zusätzlich werden Krankheiten wie Gesäugetumoren, Pyometren und die Übertragung von Katzenseuchen nicht unterbunden. KLEINTIERE TIERÄRZTINNEN UND TIERÄRZTE GESUCHT Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern Mit dem Programm „Tierärzte Weltweit“ will die Welttierschutzgesellschaft durch Ausbildung und Weiterbildung vor Ort für eine verbesserte tiermedizinische Versorgung in Schwellen- und Entwicklungsländern sorgen. Dabei steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund: Tierärzte bilden sogenannte „Paravets“ aus, die vor allem auf dem Lande das Wohl von Haus-, Nutz- und Wildtieren verbessern sollen. Für mehrwöchige Einsätze sucht die Welttierschutzgesellschaft Tierärztinnen und Tierärzte, die praktisches und theoretisches Wissen an Studierende und Tiermediziner in verschiedenen Ländern weitergeben. Mehr Informationen finden Sie unter www.welttierschutz.org/tieraerzte-weltweit/das-programm. In Langzeit-Sterilisationsprogrammen sollten zukünftig die computergestützten Modellrechnungen verifiziert und mögliche Risiken und Komplikationen in der Durchführung inklusive ihrer möglichen Folgen abgeklärt werden. b Korrespondenzadresse: TÄ Katharina Dorothea Ilse Lidy Schröder, Welttierschutzgesellschaft e. V., Reinhardtstr. 10, 10117 Berlin, [email protected] Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die kastrierte Katze aufgrund ihrer Standorttreue eine deutlich höhere Lebenserwartung hat und wegen ihres fehlenden Sexualverhaltens weniger Krankheiten überträgt. Die verlangsamte Stoffwechselleistung durch die fehlende Hormonproduktion und den verringerten Aktionsradius führt zu einer Gewichtszunahme von circa 40 %. In den Kolonien kann so innerhalb von einem Jahr die Untergewichtigkeit von 54 auf 14 % gesenkt werden. Dem gegenüber steht die Sterilisation, die zwar medizinisch gesehen weniger Vorteile bringt, jedoch das Tier im Wesen nicht so stark verändert und so zu einer arttypischeren Lebensweise beiträgt. Da sich die meisten Sterilisationsstudien lediglich auf computergestützte Modellrechnungen stützen, kann ein abschließendes Urteil über den Erfolg von Massensterilisationen bei Katzen bisher nicht gefällt werden. Sie geben jedoch ersten Grund zu der Annahme, dass man so große Populationen effektiver dezimieren könnte. Es bleibt also dem behandelnden Tierarzt überlassen, ob er das individuelle Tierwohl berücksichtigen und damit einer Kastration den Vorzug geben möchte oder versucht, per Sterilisation große Populationen zu dezimieren, um auf diese Weise Tierleid zu vermeiden. Der Praktische Tierarzt 96, Heft 6 (2015) 575