Interview mit Joe Hayden

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Interview mit Joe Hayden
„Medien sind im Wahlkampf wichtiger als Parteien“
Dr. Joseph Hayden von der Universität Memphis erklärt, warum Präsident Obama im
Fernsehen tanzt, was Satiriker besser machen als Journalisten und wie
Unterhaltungssendungen den US-Wahlkampf prägen
US-Präsident Barack Obama tritt zu Halloween in einem Sketch bei Saturday Night Live auf, tanzt in
der Ellen DeGeneres Show http://www.youtube.com/watch?v=RsWpvkLCvu4,
gibt den Stand-up-Comedian vor der versammelten Hauptstadtpresse
http://www.youtube.com/watch?v=6IoVSbjmTZs&feature=youtu.be,
ist als erster amtierender Präsident in der David Letterman Show
http://www.youtube.com/watch?v=MAVauLsJ56Q
und lässt sich vom Satiriker Jon Stewart in The Daily Show zu seiner Politik interviewen
http://www.youtube.com/watch?v=8QQtCV3vR2I .
Warum tut ein Präsident das?
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Weil Unterhaltungssendungen immer wichtiger im Wahlkampf werden. Hier werden die jungen
Wähler erreicht. Immerhin 21 Prozent der 18 bis 29-Jährigen informieren sich in solchen Talkund Comedy-Sendungen über Politik. Die Zeitung belegt hier nur noch den zweiten Platz,
Spitzenreiter mit großem Abstand ist aber das Internet.
Der Schauspieler und Komiker Jon Stewart ist mit seiner Nachrichtensatire The Daily Show auf dem
Sender Comedy Central mittlerweile eine Instanz in der politischen Nachrichtenvermittlung.
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Das ist ein weiteres Beispiel für diesen Trend. Die meisten jungen Amerikaner nennen sogar
als ihren Lieblingsjournalisten Jon Stewart.
Aber ist er das denn tatsächlich auch – ein Journalist?
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Nicht wirklich, obwohl das, was er tut, sich öfters mit Journalismus überschneidet. Er legt es
auch gar nicht darauf an, als ein wirklicher Journalist wahrgenommen zu werden. Aber es ist
nun einmal wahr, dass sich unangenehme Fragen leichter mit Humor stellen lassen – wie
Stewart das tut. Man könnte also durchaus sagen, Stewart erfüllt eine journalistische Aufgabe.
Was kann ein Satiriker Jon Stewart besser als normale Journalisten?
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Er stellt die Wahrheit manchmal besser dar. Stewart kann direkt sein und muss nicht so
unparteiisch sein wie ein Journalist. Er entlarvt die Heucheleien der Politiker und zeigt auf,
wenn sie sich in Widersprüche verstricken. Er stellt dazu aktuelle Aussagen eines Politikers
widersprüchlichen entgegen, die er vor wenigen Monaten gemacht hat – was ja genau das ist,
was ein Journalist tun sollte.
Sie haben traditionelle Polit-Talk-Formate wie Meet the Press, Vorbild für unseren Presseclub, und
weniger konventionelle Formate wie eben Saturday Night Live und The Daily Show miteinander
verglichen. Wo liegen die Unterschiede, wenn dort ein Politiker im Wahlkampf auftritt?
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Traditionelle Sendungen legen größeren Wert auf politische Substanz, auf grundlegende
Fragen. Außerdem behandeln sie ein breiteres Spektrum an Themen.
Und wie sieht es bei den Comedy-Sendungen aus?
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Die Atmosphäre ist entspannter. Die Themen, die besprochen werden, sind nicht ganz so
festgelegt. Der Politiker hat mehr Kontrolle über den Gesprächsverlauf, kann den Gastgeber
auch mal unterbrechen, oder selbst ein Thema ansprechen. Generell legen solche Formate
ihren Fokus eher auf aktuelle Wahlkampfthemen als auf Grundsatzfragen. Die Gastgeber
stellen zwar manchmal harte Fragen, aber oft auch lustige, nicht ernstgemeinte. Ziel solcher
Sendungen bleibt die Unterhaltung des Publikums, nicht seine Versorgung mit harten Fakten.
Aber das Uberraschende meiner Forschung war, dass die Unterschiede zwischen den
konventionellen und den unterhaltenden Sendungen vom Wahlkampf 2004 zu dem vier Jahre
später immer kleiner geworden sind.
Lernt der Zuschauer in The Daily Show denn auch etwas oder setzen solche Formate auf reine
Unterhaltung?
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Eine Untersuchung hat zumindest gezeigt, dass Zuschauer der Daily Show bei einem Test
über aktuelle Themen am besten abgeschnitten haben. Daraus aber den Schluss zu ziehen,
The Daily Show mache schlau, wäre vorschnell. Der Zuschauer muss bereits ein Vorwissen
mitbringen, um die Witze in solchen Sendungen überhaupt zu verstehen. Aber der Zuschauer
kann definitiv viele nützliche Informationen aus solchen Unterhaltungsformaten ziehen.
Weg von Moderator und Zuschauer, hin zum Politiker: Was hat ein Auftritt in einer
Unterhaltungssendung für ihn für Vorteile?
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Für einen Politiker im Wahlkampf ist das sehr gute, kostenlose Werbung. Außerdem muss er
nicht fürchten, ins Kreuzverhör genommen zu werden und bei schwierigen Fragen ins
Schleudern zu geraten. Hier kann sich ein Politiker von seiner lockeren, persönlicheren Seite
zeigen und auch andere Themen, die ihm persönlich wichtig sind und von den traditionellen
Formaten ignoriert werden, lancieren. Für all das interessiert sich der Zuschauer und
identifiziert sich damit, weil er das sonst selten von einem Politiker zu sehen bekommt.
Was hat sich dadurch am Verhältnis zwischen Politiker und Medien geändert?
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Vieles! Die Medien werden immer einflussreicher und sogar wichtiger als politische Parteien.
Was zählt ist das Aussehen, die Stimme, die Persönlichkeit und das Geld. Es geht mehr um
das Image als um das Programm eines Politikers.
Das heißt, in der amerikanischen Politik zählt der Bekanntheitsgrad mehr als alles andere um Karriere
zu machen?
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Nein, nicht zwangsläufig. Berühmtheit hilft und macht einen Unterschied, aber auch nicht mehr
als andere Faktoren. Nehmen Sie Sarah Palin als Beispiel. Sie ist eine berühmte
Persönlichkeit, im In- und Ausland. Wenn es nach Bekanntheit ginge, müsste sie für ein hohes
Amt zumindest kandidieren. Aber trotzdem ist sie keine Präsidentschaftskandidatin. Warum
nicht? Weil es ihr schlicht keiner zutraut, darin sind sich sogar viele Republikaner einig.
Aber können die Wähler überhaupt noch unterscheiden zwischen Image und Politik?
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Nicht immer. Manchmal verwischen die Grenzen tatsächlich – und der Politiker legt es
bisweilen gar nicht darauf an, den Unterschied klar herauszuheben. Obama hat das Image,
der Mann zu sein, der „change“, Veränderung, bringt. Aber keiner weiß genau, was dieser
„change“ im Detail ist – auch weil Obama das nie deutlich gemacht hat.
Hat diese Entwicklung, dass Politiker immer häufiger in Unterhaltungsshows auftreten, schon ihren
Höhepunkt erreicht?
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Die Entwicklung hat in den letzten 20 Jahren stattgefunden, verstärkt während der letzten
zwei Wahlkampfperioden. Aber da der Wahlkampf in diesem Jahr noch nicht beendet ist, gibt
es dazu auch noch keine abschließenden Forschungsergebnisse. Ich denke aber, dass der
Trend so weitergeht, vielleicht nur nicht so stark wie bisher.
Ist diese Entwicklung umkehrbar?
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Nein. Zahnpasta kann man auch nicht wieder in die Tube drücken.
Die Fragen stellten Miriam Hegner und Manon Priebe