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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Medienkulturwissenschaft Seminar „Das Wissen der Medien“ Dozent: Dr. Harald Hillgärtner Hausarbeit Begehren durch Begierde – Sexualisierung der Spot-Werbung im deutschen Fernsehen Abgabedatum: 26.09.2015 Liam Kreutschmann Matrikelnummer: 00000000 Studiengang: Bachelor of Arts Hauptfach: Medienkulturwissenschaft Nebenfach: Politikwissenschaft Fachsemester: 2 +++++++++++++ +++++++++++ E-Mail: ++++++++++++++++++ Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................................... 3 1 Fernsehwerbung in Deutschland ............................................................................................. 4 2 Sexualisierung ......................................................................................................................... 6 3 Inszenierungsmuster ................................................................................................................ 7 3.1 Körperpartialisierung ....................................................................................................... 7 3.2 Verführungs- und Eroberungsmotiv................................................................................. 9 3.3 Zweideutigkeit ................................................................................................................ 10 3.4 Inszenierung von Ethnizität ............................................................................................ 11 4 Beabsichtigte Wirkung .......................................................................................................... 13 Zusammenfassung und Fazit .................................................................................................... 16 Bibliographie ............................................................................................................................ 18 Eidesstattliche Erklärung.......................................................................................................... 21 2 Einleitung In Anbetracht der immensen Ausgaben, die alljährliche in Fernsehwerbung investiert werden, scheint es plausibel, dass Fernsehwerbung „wirkt“, sie also „unser Konsumverhalten in eine intendierte Richtung zu beeinflussen vermag.“1 Schon Adorno und Horkheimer kommen zu dem Schluss, dass die Kulturindustrie und vor allem die Werbung maßgeblichen Einfluss darauf hat, wer welche Produkte auf welche Art und mit welchen Gründen konsumiert.2 „Art und Weise des Konsums sind demnach nur eine Folge der Werbung, und die Konsumenten sind ihrem Einfluß mehr oder minder widerstandslos ausgeliefert.“3 Aufmerksamkeit kann allgemein als eine Grundvoraussetzung für die Aufnahme von Informationen angesehen werden. Sie ist als „Zustand konzentrierter Bewusstheit“4 definiert. Vor allem mit der Etablierung des Privatfernsehens hat der Werbeanteil in der deutschen Programmstruktur im Laufe der Jahre stark zugenommen – einzelne Werbespots stehen somit einer großen Konkurrenz gegenüber. Aus diesem Grund haben die Werbetreibenden ein Interesse daran, möglichst aufmerksamkeitserregende Werbespots zu entwickeln. „Werbung ist teuer; sie muß in einem Minimum an Zeit ein Maximum an – in der audiovisuellen Werbung meist verschiedenen – Menschengruppen erreichen.“5 Die im Marketing weit verbreitete Auffassung, dass „Sex sells“ führt dazu, dass sich in der Fernsehwerbung vielfach Formen der Sexualisierung finden lassen. „Die Werbung entwirft […] die Idee (das Ideal, die Utopie) einer erotischen Sphäre, die dem Sozialen enthoben ist und in der die Akteure als Körper interagieren.“6 Die Darstellung des Sexualisierungsbegriffes sowie deren Anwendung in Form verschiedener hier beispielhaft aufgeführter Inszenierungsmuster und deren beabsichtigte Wirkung sind Gegenstand dieser Arbeit. 1 Friedrichsen, Mike (1999): Grundlagen der Wirkung von Werbung im Fernsehen; in: Friedrichsen, Mike; Jenzowsky, Stefan (Hrsg.): Fernsehwerbung. Theoretische Analysen und empirische Befunde. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 89. 2 Vgl. Hellmann, Kai-Uwe (2004): Werbung und Konsum: Was ist die Henne, was ist das Ei?; in: Hellmann, Kai-Uwe; Schrage, Dominik (Hrsg.): Konsum der Werbung. Zur Produktion und Rezeption von Sinn in der kommerziellen Kultur. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 35. 3 Ebd. 4 Spieß, Erika (2013): Konsumentenpsychologie. München: Oldenbourg Verlag, S. 23. 5 Kloepfer, Rolf; Landbeck, Hanne (1991): Ästhetik der Werbung. Der Fernsehspot in Europa als Symptom neuer Macht. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S.22. 6 Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.86. 3 1 Fernsehwerbung in Deutschland Theodor Geiger definiert Reklame als „die mit geschäftlichen Eigeninteressen vor Augen ausgeübte suggestive Beeinflussung von Personen in Massen, um sie als Käufer für Waren oder Dienstleistungen auf dem öffentlichen Markt zu gewinnen.“7 Fernsehwerbung stellt demnach eine spezielle Form der Reklame, vermittelt durch das Medium Fernsehen dar. Reklame kann ferner als kommunikativer Akt verstanden werden, deren kommunizierte Botschaften das Wesen der Werbung ausmachen.8 Zentral ist eine Beeinflussungsintension der Werbung, welche nach Kloss einen Versuch darstellt, „Meinungen, Einstellungen, Erwartungen oder Verhaltensweisen zu beeinflussen.“9 Das Fernsehen ist der national bedeutendste Werbeträger.10 Seine Besonderheit besteht in der Informationsübertragung durch zwei Kanäle – es wird gleichermaßen über Bild und Ton mit dem Rezipienten kommuniziert.11 Das Konzept, das Fernsehen nach amerikanischem Vorbild auch für Werbepräsentationen zu nutzen, wurde in Deutschland vor allem im Hamburg ansässigen Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) angestoßen. Nachdem ein erster Versuch der Kommerzialisierung des Fernsehens 1953 auch aufgrund von Protesten durch Printmedien scheiterte, wurde die Debatte öffentlich ausgetragen.12 Letztendlich einigten sich die Diskursteilnehmer auf zwei Varianten, die für ein deutsches Werbefernsehen in Frage kämen: „1. Werbung in der Obhut der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, oder 2. Ein privatwirtschaftliches Werbefernsehen neben dem Programm der Monopolanstalten nach britischen Vorbild.“13 Das Privatfernsehen nach amerikanischem Vorbild hingegen wurde abgelehnt.14 Der Bayrische Rundfunk wagte mit der Ausstrahlung von Werbespots ab dem 3. November 1956 den ersten Schritt für die Etablierung des Werbefernsehens. Doch erst 1958 wurde Fernsehreklame einem großen Publikum präsentiert, als sich auch weitere Rundfunkanstalten der ARD der Ausstrahlung von Werbein- 7 Geiger, Theodor (2013): Kritische Betrachtungen über Reklame. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 15. Vgl. Kloss, Ingomar (2003): Werbung. Lehr-, Studien- und Nachschlagewerk. 3. Auflage. München/Wien: Oldenbourg, S. 2. 9 Ebd., S. 5f. 10 Vgl. ebd., S. 301. 11 Vgl. Schweiger, Günter; Schrattenecker, Gertraud (2009): Werbung. Eine Einführung. 7. Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 303. 12 Vgl. Fischer, Heinz D.; Westermann, Arne (2001): Knappe Geschichte der Hörfunk- und Fernsehwerbung in Deutschland. Leitfaden durch medienpolitische Stationen eines Kommunikationsphänomens. Hagen: ISLVerlag, S. 32ff. 13 Ebd., S. 37. 14 Vgl. ebd. 8 4 halten anschlossen.15 Werbung im Fernsehen schien sich, vor allem auch nach Gründung des ZDF, etabliert zu haben: 1962 entfielen auf die TV-Werbung ein Zehntel des gesamten Werbeaufkommens in Deutschland.16 Am 1. Januar 1984 ging mit dem „Kabelpilotprojekt Mannheim/Ludwigshafen“ der erste deutsche private Fernsehsender auf Sendung. Doch vom endgültigen Durchbruch des Privatfernsehens kann erst mit Sendebeginn von RTL Plus einen Monat später gesprochen werden, da dieser Sender von Anfang an ein größeres Pubikum bediente. Nur wenig später trat ein weiterer Mitbewerber in den Markt ein: Der unter anderem von Zeitungsverlagen gegründete Sender SAT.1 war jedoch genau wie RTL Plus weit davon entfernt, finanziellen Gewinn einzufahren. Erst als privaten Fernsehanbietern durch den 1987 unterzeichneten Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens besseren Zugang zu terrestrischen Frequenzen ermöglicht wurden17, „konnten die Privatsender nunmehr den Kampf um Zuschauer- und Werbemarktanteile richtig aufnehmen.“18 Diese Etablierung der Privatsender ging dabei einher mit starken Zuschauerverlusten bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.19 Der Anstieg privater Fernsehangebote und die damit wachsende Ausstrahlung von Fernsehwerbung machten eine rechtliche Regelung von Rundfunkwerbung nötig. Im Rundfunkstaatsvertrag werden vier Rechtsgrundsätze formuliert: 1. Gebot der Trennung von Programm und Werbung. 2. Pflicht zur Kennzeichnung der Werbung, 3. Verbot der Irreführung und 4. Verbot der Beeinflussung.20 Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Formen der Fernsehwerbung relevant. Zu unterscheiden ist die klassische und hier im Fokus stehende programmexterne Werbung (in Form von klassischer Spot-Werbung) von programminterner Werbekommunikation, zum Beispiel durch Product Placements. Als dritte Möglichkeit ist Werbekommunikation durch die redaktionelle Gestaltung der Fernsehsendung aufzuführen.21 Vor allem die eindeutig als Werbung gekennzeichnete Spot-Werbung zeugt von einer Übereinkunft zwischen Fernsehsender und Rezipient: „Schaue Dir meine Werbung an und ich zahle für dein Fernsehprogramm.“22 15 Vgl. ebd., S. 38ff. Vgl. ebd., S. 63. 17 Vgl. ebd., S. 83ff. 18 Ebd., S. 93. 19 Vgl. ebd., S. 83ff. 20 Vgl. Kloss, Ingomar (2003): Werbung. Lehr-, Studien- und Nachschlagewerk. 3. Auflage. München/Wien: Oldenbourg, S. 313f. 21 Vgl. ebd., S. 312. 22 Volpers, Helmut; Herkströter, Dirk; Schnier, Detlef (1998): Die Trennung von Werbung und Programm im Fernsehen. Programmliche und werbliche Entwicklungen im digitalen Zeitalter und ihre Rechtsfolgen. Opladen: Leske und Budrich, S. 96. 16 5 2 Sexualisierung Der Begriff der Sexualisierung ist weit gefasst. Er enthält gleichermaßen die Elemente Pornographie und Erotik, welche voneinander abzugrenzen sind. Insbesondere Rechtsurteile und Gesetzestexte erweisen sich für eine Begriffsbestimmung als nützlich: Nach der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist eine Darstellung dann als pornografisch zu bezeichnen, wenn sie unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreisserischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre objektive Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf die Aufreizung des sexuellen Triebs beim Betrachter abzielt sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands eindeutig überschreitet.23 Diese Begriffsdefinition bedeutet dabei, dass Werbespots der etablierten und eine möglichst breite Zielgruppe adressierenden Fernsehsender keinesfalls pornografisch sind. Aus diesem Grund ist nicht eine Pornografisierung, sondern eine Sexualisierung, nach lateinischer Etymologie eine Darstellung der (biologischen) Geschlechtlichkeit,24 zu untersuchen. In soziologischer Hinsicht sind derartige Darstellungen mit Sinn aufgeladen. Das Sexualisierende ergibt sich hierbei „durch eine spezifische sinnhafte Rahmung des Körpers und seine Beziehung zu anderen Körpern.“25 Von Bedeutung ist dabei das Aussparen von Identität des dargestellten Menschen: Er wird als „bloße, materielle Körperlichkeit“26 thematisiert. Dabei ist […] zu sehen, dass die Heruntermodulation des Menschlichen (des sozialen Rahmens) auf das bloße Physische jedoch nur als Kommunikation [sic] erfolgen kann. Die Pornografie ‚ist‘ nicht der bloße, physische Körper, sondern sie ‚spricht‘ von ihm, sie stellt ihn zeichen- und symbolvermittelt dar.27 Zu unterscheiden sind zwei Arten von Sexualität. Im weitesten Sinne Sexualität als Geschlechtlichkeit, die das Handeln eines Menschen bestimmt, im engeren Sinne meint Sexualität ein erotisches Verhalten.28 Die Aneignung dieser erotischen Symbolik durch die Medien ist hier als Sexualisierung zu definieren. 23 Walther, Klaus (2003): Begriff der Pornografie. http://www.bundespruefstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionBPjM/PDFs/BPJMAktuell/bpjm-aktuell-200303begriff-der-pornografie,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf (zuletzt geprüft am 26.09.2015). 24 Vgl. Steffen, Thomas (1991): Sexualität in Illustrierten. Eine quantitativ-qualitative Themenanalyse. Münster Lit Verlag, S. 16. 25 Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.83. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 84. 28 Vgl. Steffen, Thomas (1991): Sexualität in Illustrierten. Eine quantitativ-qualitative Themenanalyse. Münster Lit Verlag, S. 17. 6 3 Inszenierungsmuster Dem Fernsehspot stehen verschiedenste dramaturgische Kompositions- und Strukturierungsmöglichkeiten für Filmaufbau und –ablauf zur Verfügung. Zu nennen sind dabei Darstellungsformen wie „Slice of Life“, ein Realfilmformat, in dem Situationen menschlichen Lebens und Erlebens gezeigt und nachvollziehbar gemacht werden; „Life style“, bei dem mit impressionistischen Bildern die anspruchsvolle Welt eines Produktes impliziert wird; oder das Testimonial, bei der eine Person (häufig Prominente) als Vorbildverbraucher fungiert.29 Stilmittel sind dabei nicht nur narrativer Art wie beispielsweise der Einsatz von Humor, sondern vor allem auch Elemente der Dramaturgie. Die Modi zu einer sexualisierten Dramaturgie sind dabei vielseitig: „Von grundlegender Bedeutung ist, dass über Perspektiven, Bildausschnitte und den Verzicht einer narrativen Kontextierung gezeigte Akteure der Blick des Betrachter auf den Körper als Körper gelenkt wird.“30 3.1 Körperpartialisierung Die offensichtlichste Form der sexualisierten Werbung ist das Zur-Schau-Stellen von Körperlichkeit; wobei von einer Partialisierung gesprochen werden kann, da nicht der Mensch mit seinen Eigenschaften, sondern seinen Äußerlichkeiten für das zu bewerbende Produkt steht. Die Körperpartialisierung kann daher als eine versachlichte Darstellungsform charakterisiert werden, da die werbende Person nicht Subjekt, sondern Objekt der Inszenierung wird. 31 Kautt diagnostiziert in der Werbung ein Ungleichgewicht der Darstellung: Es würden überwiegend Frauen auf ihre Körperteile reduziert und beispielsweise ihre „Beine, Arme oder Dekolleté als schöne und begehrenswerte Körperlichkeiten inszeniert.“32 Und auch Leder beobachtet: Anders als […] Männer müssen Frauen sich sehr häufig ohne sichtbare Bewegungsfunktion quer zu den Kamera-Achsen […] drehen. Durch dieses Wenden präsentieren sie dem Betrachter ihren Körper von sich aus rundum.33 Die Präsentation von Körperteilen kann mal mehr, mal weniger subtil (beispielsweise durch die Cadrage des Bildes) erfolgen und in einen narrativen Sinnzusammenhang gestellt werden. So versucht Sofia Vergara in einer spanischen Pepsi-Werbung einen am Strand aufgebauten 29 Vgl. Seyfarth, Horst (1995): Bild und Sprache in der Fernsehwerbung. Eine empirische Untersuchung der Bereiche Auto und Kaffee. Münster/Hamburg: Lit Verlag, S. 67ff. 30 Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.84f. 31 Vgl. Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.85. 32 Ebd. 33 Leder, Dietrich (2011): Der sexualisierte Blick der technischen Medien; in: Schaaf, Daniela; Nieland, JörgUwe (Hrsg): Die Sexualisierung des Sports in den Medien. Köln: Herbert von Halem Verlag, S.92. 7 Verkaufsstand des Getränkes zu erreichen. Da der Sand jedoch zu heiß ist, um ihn mit nackten Füßen zu betreten, muss sich das Model für jeden Schritt ein Kleidungsstück ausziehen, bis sie, von männlichen Strandbesuchern neugierig beäugt und schlussendlich nur noch mit einem Bikini bekleidet, die Strandbar erreicht.34 Striptease-Szenen sind oft in einen Handlungs- und damit auch in einen Begründungszusammenhang eingebettet, der (relativ) plausibel die Notwendigkeit des Ausziehens der Kleider […] vorführt: Die Kleider sind vom Regen durchnässt; die Kleidung ist verschwitzt; die Kleidung diente zur Tarnung; frau muss (im Aufzug) für ein Vorstellungsgespräch die Kleider wechseln; man braucht seine Kleidung für irgendwas.35 Besonders das Bewerben von Kleidern würde sich bei dieser Art der Inszenierung anbieten: Die neue Kleidung könnte sich sehr eindeutig und positiv von der abgelegten Garderobe unterscheiden, der Vorteil des Textilproduktes wäre demonstriert. Die Pepsi-Werbung demonstriert, dass das Ausziehen nichts mit der Art des beworbenen Produktes zutun haben muss. Vielmehr wird hierbei mit dem Gefühl der Begierde gespielt: Das Testimonial möchte die Strandbar unbedingt erreichen; es begehrt das Getränk so sehr, dass es bereit ist, sich dafür zu entblößen. Dem Verbraucher wird somit das Gefühl injiziert, dass es sich lohnen würde, Hürden (in diesem Fall Schamgrenzen) auf dem Weg zum Produkt zu überwinden. Das Bild der Frau ist in dieser Pepsi-Werbung positiv konnotiert – das Begehren des Produktes und das Begehren der Frau verweisen aufeinander. Die Protagonistin entspricht dabei den in der (westlichen) Gesellschaft gültigen Schönheitsidealen. Diese sind über konkrete physische Merkmale definiert – „Jugendliches Aussehen, eine straffe Haut, die Betonung der eigenen Individualität und ein schlanker, trainierter, gesund aussehender Körper.“36 Der Werbespot beschränkt sich auf diese Ideale und klammert somit das Subjektive des Menschen aus. Neben der Konnotation der Frau als „schönes und begehrenswertes Objekt“ sind auch weitere Interpretationen von Weiblichkeit möglich. Ein anschauliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Fernsehwerbung aus dem Jahre 2012 des Versandhändlers „redcoon.de“, der wegen seiner Reklame vom Werberat gerügt wurde. In den Spots entstehe der Eindruck, „dass Frauen generell ‚billig‘ und leicht verfügbar seien.“37 Beispielhaft soll einer von drei bean34 Der Werbespot ist unter https://www.youtube.com/watch?v=BznOT28yrH4 verfügbar. (Zuletzt geprüft am 26.09.2015). 35 Wyss, Eva Lia (1998): Werbespot als Fernsehtext. Mimikry, Adaption und kulturelle Variation. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, S. 74. 36 Höppner, Grit (2011): Alt und schön. Geschlecht und Körperbilder im Kontext neoliberaler Gesellschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 45. 37 Pressemitteilung des Werberates vom 6. Dezember 2013, online verfügbar unter https://www.werberat.de/content/sexistische-werbemotive-beanstandet-werberat-ruegt-spots-eines-deutschenonline-haendlers (zuletzt geprüft am 26.09.2015). 8 standeten Fernsehspots kurz skizziert werden: In diesem sind die zum Teil aus der Pornoindustrie bekannten Testimonials Micaela Schäfer, Gina-Lisa Lohfink, Jordan Carver und Sandra Lang zu sehen. Großaufnahmen zeigen Hintern, Busen und Füße der Protagonistinnen. Eine sagt zu der Anderen: „Boa, siehst Du heut‘ billig aus.“ Quittiert wird dies mit einem Dank.38 3.2 Verführungs- und Eroberungsmotiv Eine mögliche Darstellung der Akteure zielt auf das Motiv der Verführung ab. Das Begehren manifestiert sich dadurch gleichzeitig als Begehren des Objekts und als Erstehen des Produkts. Diese zwei Ebenen – das erobern wollen und das erstehen wollen – werden im TV-Spot häufig mit Bild und Text übereinandergeschoben, zusammengelegt. 39 Dazu lässt sich exemplarisch die aktuelle „Duplo“-Werbung heranziehen. In der kurzen, nur fünfzehn Sekunden langen Version sitzen zwei junge Frauen in einem Wald an einem Brunnen. In diesem sitzt auf einer Seerose ein Frosch. Einer der Frauen richtet sich an das Tier und sagt: „Ich wünschte, Du wärst ein Mann und einfach aufmerksam.“ Sie tippt den Frosch an, beide Frauen drehen sich um. Aus dem Nichts erscheint ein Mann und bietet den Frauen eine Duplo-Praline an. Eine der Frauen kommentiert dies mit „Wie charmant.“ Daraufhin wird sie von der anderen Frau angetippt und löst sich in Luft auf. Die letzte Einstellung zeigt die übrigbleibende Frau, wie sie in die Kamera schauend vom Schokoriegel abbeißt. Eine OffStimme verweist auf den Produktnamen sowie den Slogan „Die wahrscheinlich längste Praline der Welt“. Der Werbespot ist in satten, kräftigen Farben gehalten. Die bunten Kleider der Frauen stechen dabei heraus. Die Kleidung der Protagonisten sowie die Umgebung erscheinen unnatürlich und märchenhaft. In der Tat stellt diese Werbung eine Anspielung auf das Märchen „Der Froschkönig“ dar, in welchem ein Frosch durch einen Kuss in einen Prinzen verwandelt wird. Der Mann wird im Werbespot zu einer begehrenswerten Figur, die es zu verführen gilt. So „zaubert“ einer der Frauen die andere weg, um den „Konkurrenzkampf“ für sich zu entscheiden. Der Werbespot spielt gleichzeitig mit der nicht eindeutigen Zuordnung der Positionen Verführer bzw. Verführter. Eine Deutungsmöglichkeit diagnostiziert die Frau als Verführerin: Durch ihren Wunsch hat sie den erotischen Moment erst ermöglicht, das „Verschwindenlassen“ ihrer Konkurrentin erschafft einen intimen Rahmen der Zweisamkeit. 38 Der Werbespot ist unter https://www.youtube.com/watch?v=1Q7K3I3gdsk online verfügbar (Stand: 26.09.2015). 39 Wyss, Eva Lia (1998): Werbespot als Fernsehtext. Mimikry, Adaption und kulturelle Variation. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, S. 75. 9 Maßgeblich treibt ihr Wirken die Handlung voran und bestimmt den Fortlauf der Dinge. Eine zweite Deutungsmöglichkeit stellt den Mann in die Position des Verführers. Als Gentleman bietet er den beiden Frauen eine Süßigkeit an und entspricht somit den eingangs formulierten Wunsch, ein aufmerksamer Mann zu sein. Das sexualisierende Element entspringt hierbei der heutigen Sicht, dass sich „‚die Sexualität‘ am ehesten in unterschiedlichen […] Rollen bzw. Rollenerwartungen zeigt.“40 Zudem wird die „Zukunftsfähigkeit herkömmlicher Männlichkeitskonzeptionen“ 41 thematisiert. Dies ge- lingt durch die Abwendung von dem häufig rezipierbaren Motiv dominanter Männlichkeit, im Werbefilm umgesetzt durch die Präsentation des Mannes „stehend, mit angespannten Muskeln und einer Vielzahl phallischer Zeichen ausgestattet.“42 Stattdessen wird Zuvorkommenheit als neuer Wert installiert und gleichzeitig „die aggressivere und destruktivere Konzeption entschuldigt bzw. als unverstanden und soziologisch unzeitgemäß semantisiert.“43 3.3 Zweideutigkeit Zwei mit einem Vorschlaghammer und anderem Werkzeug ausgerüstete Handwerker klingeln an der Tür einer jungen Frau. Als diese den beiden öffnet, entwickelt sich ein Gespräch. Hey! Wir haben gehört, es gibt hier eine feuchte Stelle? Ein feuchtes Loch, was dringend gestopft werden sollte. Wir haben definitiv das richtige Werkzeug dazu. Eventuell müssen wir mit verschiedenen Latten arbeiten. Und natürlich mit dicken Dübeln. Die Dame bittet die Handwerker ins Haus, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ihr Mann verreist sei und sie sich frage, ob es wohl „laut und schmutzig“ werden wird. Die Kamera schwenkt von der Eingangstür zum Dach des Hauses, ein Off-Sprecher sagt: „Welche Art von Handwerker sie in Ihr Haus lassen, liegt ganz bei Ihnen. Allerdings für Ihr Dach empfehlen wir jemanden von uns.“ Erst jetzt erfährt der Zuschauer, dass es sich hier um einen Werbespot der „Dachdeckerinnung Oberschwaben“ handelt.44 Die Werbestrategie besteht bei diesem Werbespot in der Schaffung von (sexueller) Imagination durch die Zweideutigkeit des Dialogs. Assoziationen können beim Rezipienten Affekte hervorrufen und/oder diese intensivie- 40 Braun, Claus; Otscheret, Lilian (2004): Sexualitäten in der Psychoanalyse. Entwicklungstheorie und psychotherapeutische Praxis. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, S. 7. 41 Borstnar, Nils (2002): Männlichkeit und Werbung. Inszenierung. Typologie. Bedeutung. Kiel: Verlag Ludwig, S. 69. 42 Ebd., S. 66. 43 Ebd., S. 69. 44 Der Werbespot ist unter https://www.youtube.com/watch?v=mhehHMgSNfY verfügbar (zuletzt geprüft am 26.09.2015). 10 ren.45 Die assoziative Wirkung dieser Werbung setzt zudem eine bestimmte Lesekompetenz des Rezipienten voraus. Üblicherweise bedient man sich der Konstruktion eines kompetenten Lesers ([…] ein ideal gedachtes Mitglied der Sprachgemeinschaft), der, gestützt auf sein latentes und explizites Wissen […] in der Lage sein sollt, die ‚wahre‘ Textbedeutung zu erkennen.46 In diesem Fall besteht die „wahre“ Bedeutung im Verstehen der Anspielungen. Ein Fünfjähriger wird in diesem Fall nicht zu der Gruppe der „kompetenten Leser“ gehören, da es unwahrscheinlich ist, dass er sich im besagten Alter das nötige Vorwissen aneignen konnte. Für unterschiedliche Rezipienten hat der Werbespot somit unterschiedliche Bedeutungen: Die einen sehen zwei Handwerker und eine junge Frau, die sich über die zu erledigende Arbeit unterhalten; anderen erschließt sich eine Unterhaltung mit eindeutig erotischen Anspielungen. Für die kompetenten Leser ergibt sich daher ein Text, dessen zwei Lesearten (sexualisierend oder nicht) nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Die Mehrdeutigkeit der Lektüre wird auch bei mehrmaligem Konsum nicht aufgehoben:47 „Charakteristisch ist […], dass die verschiedenen Bedeutungen dem selben Leser […] gleichzeitig oder in raschem Wechsel oder beim wiederholten Lesen aufscheinen.“48 3.4 Inszenierung von Ethnizität In der Psychologie ist laut Spieß der Ansatz weit verbreitet, dass jeder Mensch seine soziale Umwelt konstruiert. Die Informationen, die der Mensch aus seinen Erfahrungen schöpft, werden nach Gemeinsamkeit verschiedener Merkmalen kategorisiert. Diese Kategorisierung bringt besondere Eigenschaften hervor: Zum ersten ist die Einteilung in Kategorien immer wertend – der Mensch evaluiert die zu kategorisierenden Objekte gefühlsmäßig. Zum zweiten werden Sachverhalte durch diesen Kategorisierungsprozess noch unterschiedlicher gedeutet und die Einordnung in die jeweilige Kategorie somit subjektiv bestätigt. Und zum dritten gibt es einen Generalisierungseffekt: Die Zuordnung in eine Kategorie erfolgt immer aufgrund von gewählten Merkmalen und impliziert somit eine stark selektive Betrachtung.49 „Insbesondere die Massenmedien […] sind es, die Stereotype von anderen Kulturen vermitteln.“50 45 Vgl. Kottje-Birnbacher, Leonore (2011): Imaginationen in der psychodynamischen Psychotherapie; in: Psychotherapeut, Band 56, Heft 2, S. 142. 46 Charlton, Michael; Sutter, Tilmann (2007): Lese-Kommunikation. Mediensozialisation in Gesprächen über mehrdeutige Texte. Bielefeld: transcript, S. 50. 47 Vgl. ebd. 48 Ebd. 49 Vgl. Spieß, Erika (2013): Konsumentenpsychologie. München: Oldenbourg Verlag, S. 31. 50 Schugk, Michael (2004): Interkulturelle Kommunikation Kulturbedinge Unterschiede in Verkauf und Werbung. München: Verlag Franz Vahlen, S. 64. 11 Stereotypen kann eine Entlastungsfunktion zugeschrieben werden. Die Werbung eignet sich diese an, um die Komplexität der Realität zu reduzieren: „Mit Hilfe von Stereotypen wird die Welt […] leichter handhabbar.“51 Vorurteile können in Form von besonderen Eigenschaften bestehen, die einer bestimmten Gruppe zugeschrieben werden. Im Rahmen einer sexualisierten Werbung wird unter anderem auf ethnische Gruppen Bezug genommen. Der Werbung der westlichen Welt dienen dunkelhäutige Darsteller nach wie vor zur Illustration der Vorstellung, dass ‚südländische‘ Menschen über besonders starke erotische Attribute verfügen und wesenhaft über eine affektgeladene Körperlichkeit bestimmt sind. 52 Ethnische Gruppen können als eine Konstruktion beschrieben werden, deren Entstehung konstruktivistisch oder objektivistisch gesehen werden kann. Objektivisten begreifen ethnische Gruppen als „‘natürliche‘, universelle Gruppen, die schon immer bestanden hätten.“53 Konstruktivisten gehen davon aus, „dass sich Gemeinschaft ‚im Prozeß sozialen Handelns von Akteuren konstituiert‘ […] und dabei fortwährenden Veränderungen ausgesetzt ist.“54 Auf dieses konstruierte Bild wird unter anderem in der Parfum-Werbung von Naomi Campbell von 2011 zurückgegriffen.55 In dieser läuft das Model knapp bekleidet durch eine surreale Welt aus Spiegeln, Licht und Diamanten. Die Beleuchtung, der schwarze Hintergrund und das frontale Zugehen auf die Kamera erinnert an eine Laufstegsituation. Das Video wird durchgängig, jedoch mal mehr, mal weniger stark verzögert – diese Zeitlupen betonen die Bewegungen der Protagonistin, ästhetisieren und dramatisieren das Geschehen. Die von der Zeitlupe bewirkte Veränderung der physikalischen Gesetze lassen „die Figuren und ihre Handlungen sofort elegant und schmiegsam wirken.“56 Der Blick in die Kamera adressiert zudem das Publikum direkt. Naomi Campbell als Beispiel für eine Inszenierung durch Ethnizität steht in der Werbung „für eine aufregende ‚exotic love‘ und verkörper[t] eine natürlich-erotische Triebhaftigkeit.“57 51 Ebd., S. 63. Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.85. 53 Schammann, Hannes (2013): Ethnomarketing und Integration. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien. Bielefeld: transcript, S. 25. 54 Ebd. 55 Bezug genommen wird hier auf folgenden Werbespot: https://www.youtube.com/watch?v=NfjI44gX4wg (zuletzt geprüft am 26.09.2015). 56 Brockmann, Till (2014): Die Zeitlupe. Anatomie eines filmischen Stilmittels. Marburg: Schüren, S. 256. 57 Kautt, York (2012): Pornografie für alle: zum (Un-)Anständigen allgemeiner Medienkulturen am Beispiel der Werbung; in: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S.86. 52 12 4 Beabsichtigte Wirkung Ob Werbung wirkt, ist in der Forschung nicht unumstritten. „Viele […] haben im Laufe der letzten Jahrzehnte versucht, der Formel für wirksame Werbung auf die Schliche zu kommen. Nicht wenige […] gehen davon aus, dass sich die Wirkung der Werbung gar nicht erklären lässt.“58 Somit lässt sich in diesem Rahmen nur eine beabsichtigte Wirkung untersuchen, welche schlicht mit der Generierung von Aufmerksamkeit für ein Produkt oder eine Marke zusammenzufassen ist.59 Die Fernsehwerbung bringt dabei gattungsbedingt einen audiovisuellen Vorteil mit sich. Bildinformationen können bedeutend schneller aufgenommen und verarbeitet werden. Ein Bild mittlerer Komplexität benötigt rund 1,5 bis 2,5 Sekunden, um später wiedererkannt zu werden. In dieser Zeit können rund zehn Wörter aufgenommen werden. Dies impliziert eine grundlegende Dominanz von Bildkommunikation in der Werbung.60 Vor allem bei der Verarbeitung von emotionalen Eindrücken kommt der Bildinformation ein wichtiger Stellenwert zu: „Der erotische Eindruck einer Frau, die sich auf dem Sofa räkelt, lässt sich durch ein Bild in 1,5 Sekunden vermitteln, die sprachliche Wiedergabe – unvollständiger und eindrucksschwächer – würde ein Mehrfaches an Zeit erfordern.“61 Kroeber-Riel und Esch machen zudem einen weiteren Vorteil der Bildlichkeit aus: Die Anstrengung bei der Verarbeitung sei geringer, da Bilder automatisch mit geringerer gedanklicher Beteiligung verarbeitet würden. Vor allem die wenig involvierten und eher passiven Rezipienten würden somit angesprochen.62 Dies wird im Falle der sexualisierten Werbung durch eine besondere Form der indirekten Zuschaueradressierung unterstützt: Verwiesen wird auf die eigenen Erfahrungen und Vorstellungen des Rezipienten. Nach Hartmann handelt es sich dabei um eine „Verbreiterung des Realen“63 , da die im Zuge der sexualisierten Werbung wahrgenommenen Codes Assoziationen zur eigenen (sexuellen) Realität wecken würden. Im Rezipienten wird demnach eine sexuelle Phantasie ausgelöst. Hartmann unterscheidet zwei Phantasieinhalte: Jene mit Bezug zur eige58 Scheier, Christian; Held, Dirk (2012): Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketings. 2. Auflage. Freiburg/München: Haufe, S. 11. 59 Vgl. Friedrichsen, Mike (1999): Grundlagen der Wirkung von Werbung im Fernsehen; in: Friedrichsen, Mike; Jenzowsky, Stefan (Hrsg.): Fernsehwerbung. Theoretische Analysen und empirische Befunde. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 90. 60 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Esch, Franz-Rudolf (2004): Strategie und Technik der Werbung. Verhaltenswissenschaftliche Ansätze. 6. Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 18f. 61 Ebd., S. 19. 62 Vgl. ebd. 63 Hartmann, Uwe (1989): Inhalte und Funktionen sexueller Phantasien. Ergebnisse einer Panel-Studie an Männern und Frauen. Stuttgart: Ferdinand Enge Verlag, S. 29. 13 nen Realität und den eigenen Erfahrungen und den imaginativen Phantasien,64 „Szenen, die noch nie erlebt wurden.“65 Vor allem in der Soziologie ist nach Steffen die Annahme verbreitet, dass „Bedürfnisse nur dann erzeugt werden können, wenn sie – wie auch immer – vorhanden sind.“66 Ausgehend von der These, dass in der sexualisierten Fernsehwerbung das Begehren des Testimonials auf das Produkt übertragen wird, ist auf das Latent-Vorhandene zu verweisen: Sigmund Freud verweist dabei auf die Sexualität als „zentral angeborene Urkraft, die bereits im Säugling wirksam ist und das ganze Leben durchzieht.“67 Der Mensch hätte demnach die Motivation zur sexuellen Triebentladung.68 Im sexualisierten Fernsehspot wird an diesen Trieb appelliert. Es geht […] um Erfahrungen des ‚Animiert-Seins‘, d.h. um seelische Belebung (Anima) oder BeGeisterung (Animus) […]. Anima und Animus sind Anteile des Selbst als zentraler Wirkkraft. […] Sie stellen das emotionale Bedürfnis nach Bezogenheit zum Lebendigen in uns und um uns dar […], wobei die vielschichtige Symbolik in Vorstellungs- und Traumbildern mit männlichem oder weiblichem Vorzeichen erscheint.69 Diese inneren Vorstellungen würden nach Jacoby auf das Testimonial in der Werbung projiziert, Anima und Animus könnten somit ihre Wirksamkeit entfalten, womit ein Moment der Emotionalisierung geschaffen würde.70 Emotionen lösen nach Stefan Frädrich positive Emotionen den letztendlich erwünschten Kaufwunsch aus: „Schließlich sind unsere Gefühle starke innere Antreiber. Wir kaufen, was uns gute Gefühle verschafft.“71 Neben persönlicher Identifikation und Emotionalisierung ist auch die Existenz verschiedener, stereotypischer Vorstellungen von Körperlichkeit und dem Rollenbild von Mann und Frau zu beachten. Eine Gefahr von Stereotypen stellt die sogenannte selbsterfüllende Prophezeiung dar.72 „Diese führen dazu, dass selbst falsche Stereotype im Zuge einer selektiven Wahrnehmung vom jeweiligen Betrachter tatsächlich entdeckt bzw. vorgefunden werden.“73 Der Rezi- 64 Vgl. ebd. Ebd. 66 Steffen, Thomas (1991): Sexualität in Illustrierten. Eine quantitativ-qualitative Themenanalyse. Münster Lit Verlag, S. 23. 67 Jacoby, Mario (2004): Sexualität: Trieb – Symbolik – Bindung; in: Braun, Claus; Otscheret, Lilian (Hrsg.): Sexualitäten in der Psychoanalyse. Entwicklungstheorie und psychotherapeutische Praxis. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, S. 12. 68 Vgl. ebd., S. 17. 69 Ebd., S. 20. 70 Vgl. ebd. 71 Frädrich, Stefan (2006): Was ist sexy?; in: Köhler, Hans-Uwe (Hrsg.): Sex sells. Mythos oder Wahrheit? Offenbach: Gabal Verlag, S. 78. 72 Vgl. Schugk, Michael (2004): Interkulturelle Kommunikation Kulturbedinge Unterschiede in Verkauf und Werbung. München: Verlag Franz Vahlen, S. 64. 73 Ebd. 65 14 pient wird durch Ausstellung dieser Stereotype somit in seinen Vorstellungen bestätigt und kann sich mit der Werbung identifizieren. Diese beabsichtigten Wirkungen lassen sich unter dem Aspekt der aktivierenden Gestaltung zusammenfassen – diese soll eine verbesserte Erinnerbarkeit ermöglichen. Aus den Gesetzmäßigkeiten der Aktivierung folgt, dass eine (physisch) intensive […] Werbung besser behalten wird, als eine […] schwache und langweilige Werbung. Je größer das Aktivierungspotenzial der Werbung ist, umso besser bleibt diese im Gedächtnis haften (Verstärkerungswirkung der Aktivierung).74 Generell bestünde nach Kroeber-Riel und Esch durch eine aktivierende Gestaltung (mittels Sexualisierung) das Risiko einer höheren Ablenkung oder Irritation des Umworbenen.75 74 Kroeber-Riel, Werner; Esch, Franz-Rudolf (2004): Strategie und Technik der Werbung. Verhaltenswissenschaftliche Ansätze. 6. Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 270. 75 Vgl. ebd., S. 272. 15 Zusammenfassung und Fazit Es ist festzustellen, dass vor allem die Etablierung von Privatsendern in der deutschen Fernsehlandschaft zu einem Mehr an Fernsehwerbung geführt hat, gleichwohl jedoch auch der Anteil an Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen angestiegen ist. Diese Zunahme von Werbeinhalten hat einen vermehrten Konkurrenzdruck zur Folge – Werbetreibende sind dadurch motiviert, aufmerksamkeitserregende Inhalte zu produzieren. Eine besondere Wirksamkeit wird dabei Elementen der Sexualisierung unterstellt. Sexualisierung kann als ein Vorgang charakterisiert werden, bei dem Körperlichkeit ausgestellt wird und die biologischen und psychischen Triebe der Rezipienten angesprochen werden. Die Wirksamkeit beruht dabei auf Anima und Animos – eine seelische und Belebung und Begeisterung, die beim Zuschauer Emotionen weckt. Bei der Sexualisierung sind verschiedene Inszenierungsmuster in der Fernsehwerbung auszumachen. Alle haben das Partialisierungselement gemeinsam. Dabei kann diese Objektivierung des gezeigten Testimonials imaginiert oder offensichtlich im Bild geschehen – Körperlichkeit wird offen und eindeutig im Bild präsentiert, die Attribute des Protagonisten oder der Protagonistin werden entweder positiv als schön und begehrenswert oder abwertend als billig konnotiert. Eine Sonderform der positiven Konnotation stellt die Inszenierung von Ethnizität dar, welche sich auf Klischees über ethnische Gruppen stützt. Die Zweideutigkeit bedient sich ebenfalls der Partialisierung. In diesem Fall wird sie vom Rezipienten imaginiert und in einen eigenen subjektiven Kosmos eingebunden. Gleichzeitig vermag sie eine Art Triumphmoment auszulösen: „Ich habe die Anspielung verstanden“. Die Darstellung des Verführungs- und Eroberungsmotiv basiert auf bestimmten gesellschaftlich geprägten stereotypischen Vorstellungen, in diesem besonderen Fall Ideale der geschlechtlichen Rollenverteilung. Es ist festzustellen, dass überwiegend Frauen objektiviert dargestellt werden. Dies lässt gleichzeitig die Frage aufkommen, inwiefern die durch den Sexualisierungsmoment beabsichtigte Wirkung auf diese Frauen anzuwenden ist. Die Objektivierung der Frau kann desweiteren als ein gesellschaftliches Phänomen angesehen werden, was insbesondere (aber nicht ausschließlich) bei der Untersuchung von Schönheitsidealen deutlich wird. Erving Goffman hat dies in seinem Werk „Stigma“ untersucht: 16 Wo Goffman für Männer ‚gutes Aussehen‘ und ‚normales Gewicht‘ als Anforderung notiert, fangen für Frauen die genauen Anforderungen erst an: Das Verhältnis von Brust-, Taillen- und Hüftumfang ist genau festgelegt, es gibt Idealmaße, die ideale Größe, das Idealgewicht […]. Es gibt einen genauen Ort, wo der Busen sein muss. Es gibt bestimmte Methoden, mit denen eine Frau feststellen kann, ob sie irgendwo nicht in Ordnung ist.76 Das von Hegel formulierte Bild der Frau bleibt dabei, insbesondere in der Werbung, unberücksichtigt: „Subjektivität, Empfindung, Gefühl sind die Charakteristika der Frau.“77 Empfindung und Gefühl sollen im Fernsehspot beim Rezipienten entstehen – in der Reklame selbst bleiben sie das Nicht-Sichtbare. Die Partialisierung des Körpers hat gleichzeitig häufig die Orientierung an gültigen Schönheitsidealen zur Folge: In allen in dieser Arbeit untersuchten Werbespots entsprechen die Protagonisten – seien es Frauen oder Männer – bestimmten Idealbildern: Sie sind jung, schlank und athletisch. Es darf bezweifelt werden, dass die gleiche Werbung in ihrem sexualisiertem Modus auch mit Menschen umgesetzt würde, die dieser Konstruktion nicht entsprechen. Die Werbetreibenden formulieren somit auch ein Erwartungsbild ihrer Zielgruppe – es scheint angenommen zu werden, dass die Rezipienten diesen Schönheitsidealen zustimmend gegenüberstehen, demnach Menschen, die dem Bild nicht entsprechen, einen geringeren Sex-Appeal diagnostizieren würden. Die erwartete persönliche Werthaltung der Rezipienten scheint somit tendenziell konservativer zu sein. Das öffentliche Dispositiv von Zeichen der Sexualität soll das Individuum umgekehrt animieren, sich selbst dementsprechend zu verhalten und sich von dem verleiten zu lassen, was mit der Werbung erreicht werden soll – zum Kauf und Konsum eines Produktes. Es ist schlussendlich festzustellen, dass sexualisierte Werbung einen Effekt der Emotionalisierung und Identifikation bewirken soll. Das sexualisierte Moment versucht beim Rezipienten Assoziationen zu generieren und verweist somit auf die persönliche Erfahrung des Zuschauers. Doch dies zeigt: Sexualität ist nicht nur eine Macht der Lüste im Sinne Foucaults, sondern auch eine persönliche Macht, die für (kommerzielle) Interessen benutzt wird. Von der Öffentlichkeit scheint dies jedoch nicht nur akzeptiert, sondern auch zustimmend bewertet zu werden: „Der Körper als intimster Ort und die sexuelle Darstellung bzw. Handlung als intimste Pragmatik sind das, was heute interessiert.“78 76 Haug, Frigga; Thomas, Christine (1983): Projekt Körper; in: Hauf, Frigga (Hrsg.): Frauenformen 2. Sexualisierung der Körper. Berlin: Argument-Verlag, S. 50. 77 Ernst, Ulla (1981): Hegels Idealisierung von Mann und Frau; in: , Autorinnengruppe Wien (Hrsg.): Das ewige Klischee. Zum Rollenbild und Selbstverständnis bei Männern und Frauen. Wien/München: Böhlaus, S. 112. 78 Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (2012): Pornografisierung von Gesellschaft. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S. 14. 17 Bibliographie Borstnar, Nils (2002): Männlichkeit und Werbung. Inszenierung. Typologie. Bedeutung. Kiel: Verlag Ludwig. Braun, Claus; Otscheret, Lilian (2004): Sexualitäten in der Psychoanalyse. Entwicklungstheorie und psychotherapeutische Praxis. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel. Brockmann, Till (2014): Die Zeitlupe. Anatomie eines filmischen Stilmittels. Marburg: Schüren. Charlton, Michael; Sutter, Tilmann (2007): Lese-Kommunikation. Mediensozialisation in Gesprächen über mehrdeutige Texte. Bielefeld: transcript. Ernst, Ulla (1981): Hegels Idealisierung von Mann und Frau; in: , Autorinnengruppe Wien (Hrsg.): Das ewige Klischee. Zum Rollenbild und Selbstverständnis bei Männern und Frauen. Wien/München: Böhlaus. Fischer, Heinz D.; Westermann, Arne (2001): Knappe Geschichte der Hörfunk- und Fernsehwerbung in Deutschland. Leitfaden durch medienpolitische Stationen eines Kommunikationsphänomens. Hagen: ISL-Verlag. 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Tübingen: Max Niemeyer Verlag. 20 Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die Hausarbeit „Begehren durch Begierde – Sexualisierung der Spot-Werbung im deutschen Fernsehen" selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe, alle bildlichen Darstellungen und Ausführungen, die anderen Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, kenntlich gemacht sind und die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht Bestandteil einer Prüfungsleistung war. Liam Kreutschmann Freiburg, den 26.09.2015 21