Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience
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Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience
Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience Eine Auseinandersetzung mit Inhalt und Form der Sitcom von Christian Richter (fertiggestellt im Juni 2013) -- AUSZUG -- für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an: Christian Richter [email protected] | www.christv.net Jegliche weitere, auch teilweise, Veröffentlichung ist mit dem Autor abzusprechen! 1 I hate Sitcoms. I never liked them. […] Sitcoms are the lowest form of entertainment. I mean, it’s just stupid jokes and canned laughter! You don’t know why it’s there, but it’s there.1 1 Jim Carrey als Andy Kaufman im Film «Man On The Moon» (1999) von Milós Foreman 2 1. Cold Open 1.1 Eine erste Annäherung I recently spent a week working in the lightning department on the sitcom «Mike and Molly», which shoots on the Warner Brothers lot. «Mike and Molly» is shot the way traditional three-camera sitcoms have all been shot since time eternal: live audience, proscenium-style sets, and lightning that supports simultaneous camera coverage. […] The lightning style of these sitcoms hasn’t really changed in the past 60 years. «I Love Lucy» is lit basically the same style as «Friends» or «Mike and Molly».2 Mit diesem Blog-Eintrag deutet Kameramann Thomas Burns zwei Eigenheiten von Sitcoms an, die eine nähere Auseinandersetzung mit ihnen lohenswert erscheinen lassen, denn einerseits existieren sie mit ihren Ursprüngen im Radio3 bereits so lange wie das Medium Fernsehen besteht und andererseits, haben sie sich in ihrer Geschichte ästhetisch kaum gewandelt. Aktuell produzierte Sitcoms wie «Two And A Half Men», «The Big Bang Theory», «2 Broke Girls», «Hot In Cleveland» oder «Mike & Molly» unterscheiden sich kaum von «I Love Lucy» oder «The Honeymooners», den ersten Vertretern dieser Art. Sie mögen heute zeitgemäßere Themen behandeln, schneller geschnitten sein und häufigere Szenenwechsel aufweisen, aber im Kern blieben die Optik und die wichtigsten Merkmale unverändert. Diese Beobachtung teilt auch die Autorin Daniela Holzer in ihrem Buch „Die deutsche Sitcom“. Dort formuliert sie: Seit Jahrzehnten funktioniert sie [die Sitcom] nach immer demselben Muster, präsentiert sich durch kleine oberflächliche Variationen in zeitgemäßem Antlitz und dient sich so, nicht selten mit großem Erfolg, einem konsumwilligen Publikum an.4 Diese Aussage lässt sich ebenfalls vom britischen Autor Brett Mills in dessen Abhandlung „The Sitcom“ finden. Er schreibt: Sitcom has often been defined as 'remarkably stable' (Hartley 2001: 65), and the genre has been seen as less experimental - particularly in terms of its aesthetics - than other programming. And it's certainly the case that the traditional sitcom exists and continues to flourish.5 2 Burns 2011 die ersten Fernsehsitcoms waren Adaptionen oder Fortsetzungen von beliebten Radioformaten; z.T. traten darin die selben Darsteller und Figuren auf. 4 Holzer 1999, 34 5 Mills 2009, 127 – er verweist darin auf: Hartley, John (2001): “'Situation Comedy, Part 1', In: Glen Creeber (Hrsg.): The Television Genre Book.” London: British Film Institute, S. 64 - 67. 3 3 1.2 Ein Genre dominiert das Programm Sowohl Daniela Holzer als auch Brett Mills deuten in den zitierten Passagen nicht nur eine hohe Stabilität der Sitcom an, sondern auch ihre anhaltende Popularität beim Publikum. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Genre nicht nur um eines der ältesten des Fernsehens, sondern zugleich auch um eines der beliebtesten. So war bereits in den Jahren 1952 bis 1956 die Serie «I Love Lucy» das meistgesehene Programm im amerikanischen Fernsehen und zog zahlreiche Nachfolger wie «The Jackie Gleason Show» (insbesondere deren Rubrik «The Honeymooners»), «The Andy Griffith Show»6, «The Beverly Hillibillies»7, «The Dick van Dyke Show», «My Favorite Martian», «Bewitched», «Gilligan’s Island», «Family Affair», «All In The Family»8 und «Happy Days»9 nach sich, die ebenfalls zu den beliebtesten Sendungen ihrer Zeit gehörten. Im Jahr 1979 befanden sich in den USA neun Sitcom-Produktionen unter den zehn meistgesehenen Serien des Jahres10 und ab 1985 wurde mit «The Cosby Show» ein weiterer Vertreter des Genres zum meistgesehenste Programm des Jahres11. In den 1990er Jahren nahm diesen Platz zunächst die Serie «Cheers»12 ein, bevor sie von den Sendungen «Seinfeld»13 und «Friends»14 beerbt wurde. Zu den zehn meistgesehenen Final-Episoden von Serien oder Shows im amerikanischen Network-Fernsehen gehören mit «Family Ties» (dt. Titel: «Familienbande»), «All In The Family», «The Cosby Show», «Friends», «Seinfeld», «Cheers» und «M*A*S*H» sieben zum Genre der Sitcoms15. Doch nicht nur in der Vergangenheit erzielte das Genre große Quotenerfolge, denn auch die zeitgenössischen Vertreter «The Big Bang Theory», «Two And A Half 6 meistgesehene Sendung in der Season 1967/1968 meistgesehene Sendung in den Seasons 1962/1963 und 1963/1964 8 meistgesehene Sendung in den Seasons von 1971/1972 bis 1975/1976 9 meistgesehene Sendung in der Season 1976/1977 10 Winzenburg 2004, 11 11 Birungi 2007,122 12 meistgesehene Sendung in der Season 1990/1991 13 meistgesehene Sendung in den Seasons 1994/1995 und 1997/1998 14 meistgesehene Sendung in der Season 2001/2002 15 Sastry 2012 – zählt man die Miniserie «Roots» als Mehrteiler und nicht als echte Serie, rückt mit «Home Improvement» (dt. Titel: «Hör’ mal, wer da hämmert») eine weitere Sitcom nach. 7 4 Men», «2 Broke Girls» und «Mike & Molly» gehören derzeit zu den meistgesehenen Sendungen in den USA16. Die Beliebtheit der Formate spiegelt sich nicht nur in den hohen Zuschauerzahlen bei ihren Erstausstrahlungen wider, sondern auch in ihrer Fähigkeit nahezu unbegrenzt wiederholt werden zu können, ohne dass sich größere Abnutzungserscheinungen abbilden. In Großbritannien erreichen beispielsweise Wiederholungen der Sitcom «Two Pints Of Lager» regelmäßig höhere Zuschauerzahlen als parallel gesendete Erstaufführungen17 anderer Sendungen. Die deutschen Kanäle ProSieben und kabel eins strahlten im Jahr 2012 von der Sitcom «Two And A Half Men» insgesamt 1.513 Episoden aus, unter denen nur 27 Erstausstrahlungen waren. Ähnlich verhielt es sich bei «The Big Bang Theory», wo das Verhältnis 1.360 gezeigte Episoden zu lediglich zwölf Premieren betrug18. Im Schnitt war jede Ausgabe damit etwa zehn Mal pro Jahr zu sehen und dennoch erzielten die Serien sowohl im Abend- als auch im Nachmittagsprogramm gute Marktanteile. «The Big Bang Theory» dominierte im Jahr 2012 nicht nur die Prime-Time des US-Fernsehens, sondern auch das dortige Tagesprogramm19, wodurch es sich für TV-Kanäle lohnt für Zweitausstrahlungsrechte hohe Summen zu zahlen. So soll der US-Kabelsender TBS für diese Rechte von «The Big Bang Theory» pro 16 In der ersten KW des Jahres 2013 erreichte «The Big Bang Theory» eine durchschnittliche Sehbeteiligung von 19,25 Millionen Zuschauern und war damit nach einer Football-Übertragung die zweitmeistgesehene Sendung und das beliebteste fiktive Format der Woche. «Two And A Half Men» lag mit 15,4 Millionen Zuschauern auf Platz vier in der Wochenauswertung und war damit das drittmeistgesehene fiktive Format. In dieser Woche waren keine Ausgaben von «2 Broke Girls» und «Mike & Molly» zu sehen. Bei deren Rückkehr in der 3. KW erreichten sie eine Sehbeteiligung von 12,4 Millionen bzw. 11,5 Millionen Zuschauern und belegten die Plätze 9 und 13 im Wochenranking. Damit war «2 Broke Girls» das fünftbeliebteste fiktive Format, während «Mike & Molly» in dieser Kategorie den achten Platz belegte. Obwohl in jener Woche von «The Big Bang Theory» und «Two And A Half Men» nur Wiederholungen zu sehen waren, erzielten diese Reichweiten von fast 12 Millionen Zuschauern («Big Bang Theory») bzw. neun Millionen Zuschauern («Two And A Half Men»), wobei sie im Wochenranking trotz Wiederholung auf den Plätze zehn und 23 lagen. (Bible 2013a und Bible 2013b) 17 Mills 2009, 134 18 Mantel 2012 19 In den Syndicated Ratings war «The Big Bang Theory» in der letzten Woche des Jahres 2012 und den ersten beiden Wochen des Jahres 2013 das Format mit den höchsten durchschnittlichen Zuschauerzahlen. «Two And A Half Men» bewegte sich in dieser Auflistung zwischen dem fünften und achten Platz und war stets das zweitbeliebteste fiktive Format. (Bible 2013c, Bible 2013d und Bible 2013e) 5 Episode geschätzt zwei Millionen US-Dollar ausgegeben haben20. Durch den Verkauf der Wiederaufführungs-Rechte der «Cosby Show» erzielten die an der Produktion beteiligten Firmen mit einem Preis von einer Million Dollar pro Folge in den 1990er Jahren einen bis dato nicht erreichten Höchstwert21, der im Jahr 1996 durch den Verkauf der «Friends»-Wiederholungen für vier Millionen USDollar pro Episode noch einmal deutlich gesteigert wurde22. Dieser enorme Zuspruch für die Produktionen bei ihren Erstausstrahlungen als auch ihre scheinbare unbegrenzte Wiederholbarkeit machen sie für die beteiligten Firmen trotz ihrer kurzen Laufzeit und damit geringen Anzahl an Werbeunterbrechungen äußerst lukrativ. Allein mit der Serie «Seinfeld» soll der Sender NBC im Jahr 1997 einen Rein-Gewinn von 200 Millionen Dollar erwirtschaftet haben23. Daher ist es auch erklärbar, wieso es regelmäßig Sitcom-Darsteller sind, welche die Liste der bestbezahlten Schaupspieler_innen anführen. Sowohl Bill Cosby («The Cosby Show»)24, Jerry Seinfeld («Seinfeld»)25, Tim Allen («Home Improvement»; dt. Titel «Hör’ mal, wer da hämmert»)26, Kelsey Grammar («Frasier»)27, Charlie Sheen («Two And A Half Men»)28, Ashton Kutcher («Two And A Half Men»)29 als auch die Hauptdarsteller von «Friends»30 führten mit Gagen von bis zu anderthalb Millionen US-Dollar pro Episode zumindest zeitweise diese Liste an. 20 Szalai 2011 Holzer 1999, 73 22 Sandell 1998, 142 23 CNN.com 1997 24 Reufsteck; Niggemeier 2005, 154 25 CNN.com 1997 26 Honitz 1997 27 Reufsteck; Niggemeier 2005, 410f 28 Martinez 2008 29 Pomerantz 2012 30 Zucker 2002, 1 21 6 2. Methodische Anmerkungen 2.1 Zentrale Fragestellung Angesichts ihrer beschriebenen ästhetischen Unveränderbarkeit und ihrer hohen Rentabilität stellt sich die Frage, worin die anhaltende Anziehungskraft von Sitcoms begründet sein könnte. Kann man eine Erklärung dafür finden, wieso diese Form der Fernsehserie in den vergangenen Dekaden trotz zahlreicher aufkommender Trends nahezu unverändert bestehen konnte? Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang ihre markante Form? Kann die Sitcom etwas leisten, das anderen Formaten nicht (in gleichem Ausmaß) gelingt? Kurz, sind Sitcoms trotz oder gerade wegen ihrer Form erfolgreich? Die nachfolgende Argumentation wird über die bloße Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung hinausgehen und sich nicht scheuen, einige Aspekte der möglichen sozialen Funktion von Sitcoms zu erläutern. Daher soll zusätzlich beleuchtet werden, welchen Beitrag sie aufgrund ihrer spezifischen Form zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen leisten können. 2.2 Methodische Einschränkungen Im Folgenden wird für diese Fragen der Versuch einer Erklärung entwickelt und vorgeschlagen. Ob die entsprechenden Schlussfolgerungen tatsächlich die Phänomene erschöpfend erläutern können, ist unwahrscheinlich. Sicherlich lassen sich weitere Mechanismen identifizieren, die parallel oder gegensätzlich verlaufen oder durch den hier dargestellten Ansatz ergänzt werden. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass sich die Arbeit nicht mit Lachtheorien oder Erklärungen des Komischen auseinandersetzen wird. Zweifelsfrei haben diese Aspekte bei einem komödiantischen Format, wie es die Sitcom eines ist, eine zentrale Bedeutung, doch wirken diese auch bei Filmkomödien und anderen Comedyformaten. Weil aber gerade die 7 Besonderheiten der Sitcom untersucht werden sollen, wird diesem Gesichtspunkt keine allzu große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Genauso wenig werden Erklärungsmuster und Interpretationsmöglichkeiten einzelner Serien oder Folgen Gegenstand der Arbeit sein. Vielmehr versucht sie einen gemeinsamen Bogen über die verschiedenen Vertreter zu schlagen und allgemeine Trends aufzuzeigen. Das Formulieren von allgemeingültigen Aussagen, die restlos auf jede Serie zutreffen oder sich nicht durch ein Gegenbeispiel widerlegen lassen, wird sich als umso schwieriger gestalten, als dass die Sitcom in ihrer bisherigen Geschichte unzählige Vertreter hervorgebracht hat, die jeweils ästhetische und inhaltliche Besonderheiten aufwiesen. Da zudem viele Serien ihre typischen Erzählweisen und Ästhetiken in vereinzelten Episoden absichtlich durchbrochen haben, folgt die anschließende Auseinandersetzung den Empfehlungen von Stanley Cavell, der feststellt: Nicht das einzelne Werk ist unvergesslich, kostbar oder wert, untersucht zu werden, sondern die Sendung, das Format; nicht dieser oder jener Tag von I Love Lucy, sondern die Sendung als solche. [...] Wenn man behauptet, dass der eigentliche Bezugspunkt eines ästhetischen Interesses am Fernsehen nicht das individuelle Werk, sondern das Format ist, bedeutet dies, dass das Format seine elementare individuelle Instanz von ästhetischem Interesse ist.31 Diese Beschränkung auf Formate und grundsätzliche Entwicklungsverläufe der Sitcom geschieht im vollen Bewusstsein, dass davon nicht ausnahmslos jeder Einzelfall, jede Produktion oder jede Szene erfasst werden kann. Nur unter Inkaufnahme solcher Verluste lassen sich jedoch Aussagen über die Sitcom als solche überhaupt ermöglichen. Dabei beziehen sich die Untersuchungen ausschließlich auf Produktionen aus den USA, weil diese nicht nur die bekanntesten und weltweit verbreitetsten Beispiele sind, sondern die Fernsehsitcom auch dort ihre unmittelbaren Ursprünge erlebt hat. 31 Cavell 2001, 129 und 131 8 3. Das Genre Sitcom Offenbar besteht Einigkeit darüber, dass das Genre eine gewisse Beständigkeit in der bisherigen Fernsehgeschichte bewiesen hat. Bevor dieser erste Eindruck mit konkreteren Belegen unterfüttert werden kann, stellt sich zunächst die Frage was genau sich hinter dem Begriff Sitcom verbirgt. 3.1 Ein offensichtliches Genre Auch wenn man sich bisher noch nicht mit der Materie intensiv auseinandergesetzt hat, dürfte es nicht schwierig sein, eine Sitcom bereits wenige Sekunden nach dem Einschalten identifizieren zu können, denn sie verfügt über eine spezifische Art der Inszenierung und markante Merkmale, die Brett Mills zufolge dazu führen, dass sich die Produktionen von allen anderen fiktiven Formaten des Fernsehens unterscheiden. Einige ihrer spezifischen Kennzeichen sind derart untypisch für das restliche Programm, dass sie fast ausschließlich nur mit diesem Genre verbunden werden32. Im Vergleich zum restlichen Fernsehprogramm wirkt die Sitcom daher oft wie ein Fremdkörper. Demzufolge bezeichnen laut Brett Mills die Autoren Susan Murray und Laurie Ouelette sowie Su Holmes sie als „one of the most obvious and consistent televisions forms“33, während Barry Curtis sie als „a self-evident category which has a discernible formula“ beschreibt34. Joshua S. Wachman und Rosalind W. Picard schätzen die Formel, auf der Sitcoms basieren, als derart eindeutig ein, dass sie sogar von Computern erkannt werden würde35. 32 Mills 2009, 14f Ebd., 43 – dort verweist er auf: Murray, Susan and Ouellette, Laurie (Hrsg.) (2004): Reality TV: Remaking Television Culture, New York and London: New York University Press; und auf Holmes, Su (2008): A term rather too general to be helpful: struggling with genre in reality TV, In: Lincoln Geraghty and Mark Jancovich (Hrsg.): The Shifting Definitions of Genre: Essays on Labeling Films, Television Shows and Media, Jefferson, NC: McFarland, S. 159-180. 34 Ebd. – dort verweist er auf: Curtis, Barry (1982): Aspects of sitcom. In: Jim Cook (ed.), BFI Dossier 17: Television Sitcom, London: British Film Institute, pp. 4-12. 35 Wachman, Joshua S.; Picard, Rosalind W. (2001): Tools for browsing a TV situation comedy based on content specific attributes, Multimedia Tools and Applications, 13: 3, S. 257 – zitiert nach Mills 2009, 43 33 9 Vor dem Hintergrund dieser Aussagen lassen sich auch die Worte, die der Richter Potter Stewart im Jahr 1964 bei dem Versuch, eine Definition für filmische Obszönitäten vorzunehmen, sprach, auf Sitcoms übertragen: I shall not today attempt further to define the kinds of material I understand to be embraced within that shorthand description; and perhaps I could never succeed in intelligibly doing so. But I know it when I see it.36 Mit Sitcoms, und dies scheint bereits eine wesentliche Erkenntnis zu sein, verhält es sich offenbar wie mit Pornographie. Man erkennt sie, wenn man sie sieht. 3.2 Anmerkungen zum Begriff Genre So offensichtlich erkennbar Sitcoms zunächst sein mögen, wird diese naive Herangehensweise für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik kaum einen nennenswerten Ansatz liefern, weswegen diese Form der Fernsehunterhaltung dennoch eine gründlichere Beschreibung erfahren soll. Dazu wird die Sitcom in der nachfolgenden Ausführung als Genre verstanden und auch als solches betrachtet. Der Begriff des Genres hat in der Vergangenheit unterschiedliche Versuche einer Bestimmung und Zuschreibung erfahren. Auch wenn eine vollständige Auseinandersetzung mit dieser Problematik an dieser Stelle ausbleiben muss, soll festgehalten werden, dass der Begriff im Rahmen der vorliegenden Arbeit in gleicher Weise verstanden wird, wie ihn der britische Autor Brett Mills in seiner Sitcom-Abhandlung verwendet. Dort schlägt er mit Verweis auf Steve Neale vor, ein Genre als eine Zuordnung zu verstehen, die auf Wiederholungen und Differenzen basiert: […] all media texts must be similar enough to existing ones to be understood, while different enough from existing ones in order to be interesting.37 36 37 in der Urteilsbegründung des Falls „Jacobellis gegen den Staat Ohio (378 U.S. 184) Mills 2009, 25, er verweist auf Neale, Steve (1980): Genre, London: British Film Institute, S. 48. 10 Eine ähnliche Erklärung, die sich ebenfalls sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch auf Abgrenzungen stützt, bietet Stanely Cavell an. Er schreibt: Intern wird ein Genre von seinen Angehörigen gebildet, über die gesagt werden kann, dass sie etwas teilen, was man als ihre gemeinsamen Merkmale bezeichnen kann. In der Praxis bedeutet dies, dass ein Genre, wenn ein Angehöriger vom Rest abweicht, diese Abweichung ‚kompensieren’ muss. Das Genre ist einer ständigen Definition und Redefinition ausgesetzt, wenn neue Angehörige neue Elemente der Kompensation ins Spiel bringen. Extern unterscheidet sich ein Genre von anderen und insbesondere von denen, die ich als angrenzende Genres bezeichne, wenn ein konstitutives, gemeinsames Merkmal eines Genres ein von allen Angehörigen eines anderen Genres geteiltes Merkmal ‚negiert’.38 Anders ausgedrückt, ein Genre wird sowohl durch eine Gruppe von Eigenschaften definiert, die eine bestimmte Anzahl an Vertretern gemein haben, als auch durch Eigenschaften, welche diese Vertreter wiederum von anderen Elementen unterscheiden. 3.3 Das Genre und seine Form 3.3.1 Definitionsversuche und Erkennungsmerkmale Auch wenn mit diesen Ausführungen eine Vorstellung geformt werden konnte, was unter einem Genre zu verstehen ist, ist damit noch keine exaktere Charakterisierung Ausarbeitung der zugrunde Sitcom vorgenommen liegenden Literatur worden. lassen In sich der dieser diesbezüglich verschiedene Erklärungsansätze finden. So schlägt der Autor Jürgen Wolff, der an den Drehbüchern zahlreicher Sitcom-Episoden beteiligt war, folgende Beschreibung vor: Der Begriff Sitcom steht für »Situation Comedy«, also Situationskomödie, und bezeichnet damit eine halbstündige Fernsehsendung, deren Protagonisten sich in vergleichsweise witzigen Situationen wiederfinden.39 38 39 Cavell 2001, 136 Wolff 1997, 15 11 Wolffs Definition schließt unmittelbar an die der traditionsreichen Guinness Television Encyclopedia an, denn in dieser heißt es: Situation comedy, a humorous, episodic series of programmes in which a welldefined cast of characters, confined in one location or set of circumstances, respond predictably to new events.40 Beide zitierten Erläuterungen kommen darin überein, dass die Sitcom stets einen humoristischen Schwerpunkt hat, wie es der Begriff bereits vermuten lässt. Immerhin handelt es sich bei einer Sitcom um eine „situation comedy“, wodurch das Vorhandensein von Komik als ein inhärentes Element des Genres angesehen werden muss. Auch wenn über Art und Weise der Umsetzung zuweilen Uneinigkeit bestehen kann und nicht jeder Zuschauer jede Serie als witzig einstufen muss, scheint zumindest die Absicht einer Komik einen notwendigen Faktor darzustellen. Brett Mills schlussfolgert daher: A sitcom with no jokes is not a sitcom and instead becomes something else.41 Eine weitreichendere Erläuterung des Begriffs leistet Lawrence Mintz in seinem Beitrag zum Buch „TV Genres: A Handbook and Reference Guide“. Anstatt eines einzelnen prägnanten Satzes, präsentiert er darin einen Katalog an Erkennungsmerkmalen, der für die nachfolgenden Ausführungen als Grundlage angenommen werden soll: A sitcom is a half-hour series focused on episodes involving recurring characters within the same premise. That is, each week we encounter the same people in essentially the same setting. The episodes are finite; what happens in a given episode is generally closed off, explained, reconciled, solved at the end of the half hour (the exceptions might be significant individually, but they have not altered the formula in any substantial or permanent way). Sitcoms are generally performed before live audiences, whether broadcast live (in the old days) or filmed or taped and they usually have an element that might almost be metadrama in the sense that since the laughter is recorded (sometimes even augmented), the audience is aware of watching a play, a performance, a comedy incorporating comic activity.42 40 Evans, Jeff (1995): The Guiness Television Encyclopedia, Enfield: Guinness, 1995, S. 479 – zitiert nach Holzer 1999, 36 41 Mills 2009, 5 42 Mintz 1985, 108 – die Unterstreichungen stammen nicht aus dem Originaltext, sondern wurden für die vorliegende Arbeit vorgenommen 12 In seiner Beschreibung des Genres nennt Mintz eine wiederkehrende, feste Anzahl an Figuren als ein wichtiges Merkmal von Sitcoms. Darin stimmt er sowohl mit der Definition der Guinness Television Encyclopedia als auch mit der des American Heritage Dictionary43 überein. Auch wenn sich dieses Kennzeichen an nahezu allen Vertretern nachweisen lässt und damit zweifelsfrei eine wesentliche Bedeutung für das Genre hat, stellt das Vorhandensein eines festen Figurenensembles keine spezifische Eigenschaft von Sitcoms dar. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Wesensmerkmal, das alle Fernsehserien eint – unabhängig davon, aus welchem Genre sie stammen. Dementsprechend hat Umberto Eco die feststehende Anzahl an Hauptpersonen als eine Eigenschaft herausgearbeitet, die sowohl in der Literatur der Kriminalromane als auch in der Endlosserie zu finden ist, wobei er darunter ausdrücklich die verschiedenen Genres „von der Seifenoper über die Situationskomödie bis zum Detektivfilm“ zusammenfasst.44 Weil ein fester Cast eben keine Eigenschaft ist, die nur Sitcoms beschreibt, soll dieser Aspekt nachfolgend nur einen untergeordneten Stellenwert einnehmen, wenngleich die Beschaffenheit und Art der Figuren im weiteren Verlauf der Arbeit noch eine nähere Betrachtung finden wird. Ebenso verhält es sich mit der Beobachtung, dass Sitcoms auf einer episodenhaften Struktur basieren, denn auch dies gilt nicht nur für dieses Genre, sondern für alle Serien und kann daher nachfolgend ebenfalls unbeachtet bleiben. 3.3.2 Erkennungsmerkmal: Episodenhafte Struktur Entscheidender ist daher das von Lawrence Mintz genannte Merkmal, dass die einzelnen Episoden meist eine standardmäßige Länge von einer halben Stunde aufweisen. Dies deckt sich mit den Aussagen sowohl von Daniela Holzer45, 43 dort heißt es: “[…] a humorous television series having a regular cast of characters.” – zitiert nach Savorelli 2010, 21 44 Eco 2001, 159 45 Holzer 1999, 14 – die Aussage stützt sich auf eine Definition der New York Times Encyclopedia of Television von Les Brown (New York: Times Books, 1977, S. 398) 13 Jürgen Wolff46 und Brett Mills47 als auch mit der vom amerikanischen Autor Antonio Savorelli48. Die einzelnen Folgen erzählen zudem in der Regel abgeschlossene Handlungen und zeigen sowohl Beginn als auch Auflösung des jeweiligen Konflikts innerhalb einer Ausgabe49. Ausnahmen bilden zuweilen Doppelepisoden oder einzelne Handlungsstränge, die zwar über mehrere Folgen gespannt, aber dennoch meist mit kleineren abgeschlossenen Geschichten kombiniert werden. 3.3.3 Erkennungsmerkmal: Theaterhafte Inszenierung Mintz’ Definition zählt ebenfalls auf, dass es sich sowohl bei früheren als auch bei zeitgenössischen Sitcoms oft um Studioproduktionen handelt, bei denen das Geschehen vor einem Live-Publikum auf einer Bühne abläuft und aufgezeichnet wird. Der Umstand, dass Zuschauer das Geschehen auf der Bühne verfolgen können müssen, verlangt einerseits eine annähernd chronologische Aufzeichnung der Handlung sowie andererseits eine nachvollziehbare Struktur der Episoden ohne umfangreiche Rückblenden, Einschübe oder sprunghafte Orts- und Zeitwechsel innerhalb einer Szene. Die Kulissen besitzen zudem meist mehrere Ausgänge, Treppen oder Türen, die je nach Notwendigkeit einen Auf- und Abgang der Protagonisten innerhalb einer Szene zulassen. Bei manchen Produktionen erhalten die Darsteller dabei einen Auftritts- oder Szenenapplaus50. Um dem vorhandenen Publikum die Sicht auf die Spielhandlung ermöglichen zu können, ist die benutzte Bühne vorwiegend nur von drei Seiten mit Kulissen umgeben und zu der Seite geöffnet, wo sich sowohl das Publikum als auch die Kameras während der Aufzeichnung befinden. Dieses Arrangement führt gemäß Brett Mills zu einer Situation, wie man sie sonst aus dem Theater kennt: 46 Wolff 1997, 15 Mills 2009, 33 – die Aussage stützt sich auf eine Definition der Britischen Rundfunkaufsicht Ofcom 48 Savorelli 2010, 35 49 vgl. dazu auch: Holzer 1999, 17 50 z.B. in «Married… With Children», (dt. Titel: «Eine schrecklich nette Familie») beim jeweils ersten Auftritt von Ed O’Neil und Christina Applegate oder in «Unhappily Ever After» (dt. Titel: «Auf schlimmer und ewig») beim jeweils ersten Auftritt von Nikki Cox 47 14 Many sitcoms are filmed in a manner which mirrors the theatrical experience, in front of a studio audience. This results in a shooting style which differs from that of much television fiction as all the cameras have to be placed on one of side of the action. Because of the studio audience, actors in sitcom are required to offer a performance which is appropriate for theatre, ensuring that their lines and gestures can be seen by everyone present. 51 Aus der spezifischen räumlichen Anordnung resultiert nicht nur eine eingeschränkte Beweglichkeit der Kameras52 und damit ein vergleichsweise statisches Bild, das in der Regel den Blick der Zuschauer vor Ort widerspiegelt, sondern auch eine Notwendigkeit für die Schauspieler ihre Aktionen zum Publikum geöffnet auszuführen, wodurch der Eindruck einer theaterhaften Inszenierung noch verstärkt wird. Daher schreibt der Autor Herbert Schwaab den Sitcoms sogar eine „überdeutliche Theatralität“53 zu. 3.3.4 Erkennungsmerkmal: Verwendung mehrerer Kameras Obwohl das Genre seine unmittelbaren Ursprünge im Radio hat, ist ihm ebenso anzusehen, dass seine Wurzeln bis zum Aufkommen des Theaters zurückreichen54. Letztlich repräsentiert es für Antonio Savorelli daher... […] an established reference model, backed by a history of several decades rooted in a pre-televisual world, in radio and theater.55 Deswegen war es weniger die Nutzung einer Studiobühne oder die Anwesendheit eines Publikums, was die innovative Produktionsweise der ersten Fernsehsitcom bestimmte, als vielmehr die gleichzeitige Verwendung mehrerer Kameras. Entwickelt wurde dieses Verfahren im Jahr 1951 vom Team der Serie «I Love Lucy», die daher als Prototyp des Genres56 gilt: 51 Mills 2009, 14f Savorelli 2010, 25 53 Schwaab 2008, 8 54 Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Sitcom würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen und muss daher entfallen. Ohnehin ist dies bereits zuvor von vielen Autoren, insbesondere von Brett Mills und Daniela Holzer, vorgenommen worden, auf die in diesem Zusammenhang verwiesen wird. 55 Savorelli 2010, 32 56 vgl.: Wolff 1997, 16 52 15 The classic' form of sitcom shooting is generally seen as the 'three-headed monster' (Putterman 1995) developed by the cinematographer Karl Freund for I Love Lucy (CBS, 1951-7). Freund used three cameras to capture a scene involving two characters: the first covered a wide, establishing shot while the other two were each mid-shots of each performer. These shots allowed for fast editing between the two performers in any conversation scene, and also meant that the text offered as much weight to reaction shots as it did to those of speech.57 Mit der Möglichkeit, zwei Darsteller gleichzeitig aufnehmen und deren gegenseitige Reaktionen im Schnitt miteinander kombinieren zu können, brach man nicht nur die Starrheit des Theaters etwas auf, sondern fand darin auch eine effektive Möglichkeit die gespielte Komik besser einfangen zu können. Dabei hat sich diese Anordnung offenbar als derart leistungsfähig erwiesen, dass sie trotz weiterentwickelter Aufnahmetechniken noch immer eines der wesentlichsten Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmale des Genres ist, wie auch Brett Mills bemerkt: In remaining 'a peculiar, theatrical hybrid' (William 2005), much sitcom not only acknowledges its heritage, it also distinguishes itself from the majority of television programming.58 3.3.5 Erkennungsmerkmal: Laugh Track Obwohl die tatsächlich vorhandenen Zuschauer in den fertigen Episoden in der Regel nicht zu sehen sind, ist ihr Lachen, ihr Applaudieren, ihr Kreischen und ihr Pfeifen auf der akustischen Ebene dennoch wahrzunehmen. Die Tonspur, auf dem die Reaktionen der Zuschauer zu hören sind, ist von Beginn an dem Genre zugehörig und gemäß Brett Mills derart stark mit der Sitcom verwachsen, 57 Mills 2009, 39, er verweist darin auf Putterman, Barry (1995): „On Television and Comedy: Essays on Style, Theme, Performer and Writer.“ Jefferson, NC: McFarland; das Prinzip beschreibt auch Daniela Holzer: „Dies galt ebenso für die ersten Sitcoms, bis dieses Verfahren 1951 erstmals mit I Love Lucy maßgeblich variiert und damit langfristig revolutioniert wurde. Zwar fand dort die Darbietung ebenfalls auf einer Studiobühne und vor einem Live-Publikum statt; auf Anregung des Kameramannes wurde jedoch nicht direkt übertragen, sondern mit vier 35-mm-Filmkameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln gedreht und dann im Schneideraum ein sendefähiger Film zusammengeschnitten. Alsdann ließ man die Endfassung der Episoden dem auftraggebenden Sender zukommen.“ (Holzer 1999, 14f) 58 Mills 2009, 14 – dabei bezieht er sich auf ein von ihm durchgeführtes Interview mit dem Controller of Comedy at ITV, William, Sioned im Jahr. 16 dass ein Vorhandensein eines solchen Laugh Tracks eines ihrer zentralsten Merkmale geworden ist: […] the laugh track is quite at odds with the realist tendency of the majority of broadcast fiction; that it is such a central and consistent characteristic of the sitcom is testament to the nation that genre expectations become normalised and help create future expectations for genre series.59 Dabei dient der Laugh Track nicht nur als ästhetisches Stilmittel, sondern laut Mills auch als Beweis dafür, dass echte Menschen die gezeigten Szenen witzig fanden60. Er unterstreicht damit nicht nur den humoristischen Schwerpunkt, den jede Sitcom in sich tragen muss, sondern auch jenen Aspekt eines Metadramas, den Lawrence Mintz in seiner Definition hervorhebt. Wie auch die zuvor genannten Merkmale wird der Laugh Track im Verlauf der nachfolgenden Ausführungen noch näher betrachtet werden. An diesem Punkt der Argumentation soll es jedoch zunächst ausreichen, festzuhalten, dass er mit allen anderen aufgeführten Eigenschaften, das Genre der Sitcoms beschreibt. 3.4 Zwischenbilanz Bis hierher lässt sich festhalten, dass das Genre der Sitcoms mithilfe folgender gemeinsamer Merkmale beschreibbar ist: - Ca. halbstündige Dauer - (meist) in sich abgeschlossene Episoden - inhaltlich komischer Schwerpunkt - theaterhafte Inszenierung (3-Wand-Kulissen, bühnenhaftes Schauspiel, Pausen in der Handlung für Publikumsreaktionen etc.) - gleichzeitige Verwendung mehrerer Kameras bei der Aufzeichnung (mind. drei Stück) 59 60 - Vorhandensein eines Live-Publikums bei der Produktion - Hörbarer Laugh Track in der Endfassung Mills 2009, 102 Ebd. 17 Diese Erkennungsmerkmale dienen hervorragend zur Erfüllung der inneren Definition des Genres, denn sie stellen jene Gemeinsamkeiten dar, die jeder Vertreter erfüllen muss, um dem Genre zugeordnet werden zu können. Allerdings ist darunter keines, welches das Genre eindeutig bestimmt und zu anderen Genres abgrenzt, denn auch Gameshows sind beispielsweise Studioproduktionen, die vor einem Live-Publikum aufgezeichnet werden können, genauso wie auch viele Krimiserien über in sich abgeschlossene Episoden verfügen und eine Vielzahl von anderen Programmtypen existieren, die ebenfalls einen komischen Schwerpunkt aufweisen. Es ist daher die Summe aller Kriterien, die das Genre auch nach außen abgrenzt, denn wird eines dieser Elemente nicht erfüllt, bliebe es nur schwer vorstellbar, dass das Ergebnis weiterhin als Sitcom erkannt würde. 3.5 Two And A Half Forms of Sitcom Nachdem nun eine umfangreiche Aufzählung von Bedingungen erarbeitet wurde, die allesamt von einer Produktion erfüllt werden müssen, um als Sitcom anerkannt zu werden, stellen sich aktuelle Formate wie «The Middle», «The Officer», «Scrubs» oder «Arrested Developement» als problematisch heraus, denn obwohl sie gewöhnlich ebenfalls mit dem Begriff Sitcom bezeichnet werden, unterscheiden sich diese in ihrer Erzählweise und Erscheinungsform stark von Serien wie «Friends», «Seinfeld» oder «Roseanne». Dass zwischen den traditionellen (oder klassischen) und den anderen Sitcoms eine Abweichung besteht, wird darin am deutlichsten, dass bei letzteren kein Laugh Track zu hören ist, wodurch sie aus Mintz’ Katalog herausfallen. Wendet man jedoch die eingangs erwähnten Definitionen von Jürgen Wolff sowie der Guinness Television Encyclopedia an, können auch solche anderen Formate wie «Modern Family», «My Name Is Earl» oder «30 Rock» unter dem Begriff der Sitcom subsumiert werden. Offenbar haben sich im Laufe der Jahre trotz seiner anhaltenden Stabilität Unterarten des Genres gebildet, die derart grundlegend von einander 18 abweichen, dass eine Unterscheidungsmöglichkeit nötig scheint. In der Regel wird diese anhand der Anzahl der verwendeten Kameras vorgenommen. Bei den klassischen Serien, werden gewöhnlich bei der Produktion vor einem LivePublikum drei bis vier Kameras gleichzeitig benutzt, weswegen diese Art meist als Multi-Camera-Sitcom bezeichnet wird. Ihre anderen Gegenstücke heißen aufgrund der Verwendung von nur einer Kamera dementsprechend SingleCamera-Sitcoms. Je nach Sichtweise werden zur Unterscheidung dieser beiden Kategorien zuweilen auch der Einsatz von realen Drehorten, also eben nicht der Einsatz von Studiokulissen, oder das Vorhandensein von tragischen Momenten neben einer grundsätzlich komischen Ausrichtung herangezogen. Auf derartige Feinheiten kann an dieser Stelle jedoch verzichtet werden, da die Einteilung nach Single- Ausführungen und Multi-Camera-Produktionen ausreichen dürfte. Damit ist für die umgekehrt nachfolgenden aber nicht ausgeschlossen, dass einige der herzuleitenden Erkenntnisse nicht auf beide Formen der Sitcom anwendbar sind. Auch wenn diese Unterscheidungsmöglichkeit zunächst einfach wirken mag, drängen sich schnell Hybridformen auf, die sich zwar anhand der Anzahl der verwendeten Kameras eindeutig einer der beiden Gruppen zuordnen lassen, dort dennoch nicht ganz hinein passen zu scheinen. Die Serien «How I Met Your Mother» und «Anger Management» werden beispielsweise zwar mit mehreren Kameras produziert und entstehen nahezu vollständig in Studios, doch ist bei den Aufzeichnungen kein Publikum anwesend. Der dennoch zu hörende Laugh Track wird durch ein Screening der fertiggestellten Episoden vor wirklichen Zuschauern separat aufgenommen und nachträglich zugefügt61. Auf der anderen Seite wurden frühere Sitcoms wie «The Andy Griffith Show», «The Munsters» oder «The Beverly Hillbillies» zwar grundsätzlich mit einer Kamera gedreht, doch größtenteils in Studiosets hergestellt, wodurch ebenfalls ein theaterhafter Look entstand. Zudem wurden diese Produktionen mitunter mit sogenannten Lachkonserven, also vorproduzierten Aufnahmen von Gelächter, versehen. Auch wenn sich zahlreiche andere Beispiele für solche Grenzgänger finden lassen, sollen diese Formate nur am Rande und nur dann berücksichtigt 61 vgl.: http://www.tvtix.com/show.php?eventID=537 [aufgerufen am 16. Januar 2013] 19 werden, wenn sie sich aufgrund eines Merkmals in die eine oder andere Gruppe zuordnen lassen. 3.6 Untersuchungsgegenstand und Materialkorpus Im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung soll ausschließlich die klassische oder traditionelle Sitcom stehen, die auch als Multi-Camera-Sitcom bezeichnet wird und alle Kriterien von Lawrence Mintz’ Katalog erfüllt. Nicht nur ihre beeindruckende Stabilität erscheint besonders faszinierend, sondern es ist jene Form, die im heutigen Programmumfeld wie ein Fremdkörper wirkt. Auch wenn durch diese Engführung viele Aspekte des Genres ausgeschlossen werden müssen, verbleibt dennoch ein äußerst umfangreicher Materialkorpus mit großer Vielfalt. Dabei ist es erstaunlich, dass sich nicht nur zu jeder Zeit der Fernsehgeschichte entsprechende traditionelle Vertreter finden lassen, sondern dass diese in der Regel auch beliebter sind als ihre anderen Single-CameraKonkurrenten.62 Als Beispiele wird daher ausschließlich auf eindeutige Multi-Camera-Vertreter wie «Two And A Half Men», «Roseanne», «Dharma & Greg», «Will & Grace», «King Of Queens», «Home Improvement» (dt. Titel: «Hör’ mal, wer da hämmert»), «The Fresh Prince Of Bel Air» (dt. Titel «Der Prinz von Bel Air»), «Who’s the Boss?» (dt. Titel: «Wer ist hier der Boss?»), «Married... with Children» (dt. Titel: «Eine schrecklich, nette Familie»), «Full House», «Friends», «The Odd Couple» (dt. Titel: «Männerwirtschaft»), «Seinfeld», «Frasier», «Cybill», «Family Matters» (dt. Titel: «Alle unter einem Dach»), «Rules Of Engagement», «The Big Bang Theory», «The Cosby Show», «All In The 62 Die klassischen Multi-Camera-Sitcoms «The Big Bang Theory», «Two And A Half Men», «Rob», «Mike & Molly», «2 Broke Girls», «Rules of Engagement» und «Last Man Standing» belegten in der Liste der beliebtesten Fernsehsendungen der Saison 2011/2012 die Plätze 8, 11, 25, 31, 32, 42 und 50. Die meistgesehene Single-Camera-Sitcom «Modern Family» ordnet sich auf Platz 13 und damit hinter «The Big Bang Theory» und «Two And A Half Men» ein. Andere Vertreter wie «New Girl»,«The Middle», «Happy Endings», «The Office», «Don’t Trust The B… On Appartment 23», «Raising Hope», «Cougar Town» oder «30 Rock» finden sich auf der Liste auf den Plätzen 61, 63, 81, 83, 89, 106 sowie 120 und damit allesamt hinter den genannten Mulit-Camera-Produktionen wieder. (vgl.: Gorman 2012) 20 Family», «Golden Girls», «Mike & Molly» oder eines der schier unzähligen weiteren Exemplare verwiesen. Um das hier angenommene Verständnis von Sitcoms noch stärker verdeutlichen zu können, sei abschließend auf die Comedyserie «Scrubs» verwiesen. Bei dieser handelt es sich allerdings gerade nicht um eine MultiCamera-Sitcom, also gerade nicht um eine Serie, die hier untersucht werden soll, doch in der Episode „My Life In Four Cameras“63 setzt sich die Produktion mit den verschiedenen Arten von Sitcoms auseinander. Dies geschieht in einem der typischen Tagträume der Hauptfigur J.D., in dem er sich vorstellt, wie sein Leben in einer Sitcom - genauer in einer Multi-Camera-Sitcom - aussehen würde. In der Gestaltung dieser Phantasie wird das Genre parodiert und deutlich überzeichnet. Weil dadurch jedoch die typischen Merkmale besonders offensichtlich hervortreten, bildet das Ergebnis einen Archetyp des Genres, wie es hier verstanden wird. --- Ende des Auszugs --für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an: Christian Richter [email protected] | www.christv.net 63 Staffel 4, Folge 17 – dt. Titel: „Meine Sitcom“ 21