Brachvogelweg - die Straße der ausgezeichneten Nachbarn
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Brachvogelweg - die Straße der ausgezeichneten Nachbarn
Brachvogelweg - die Straße der ausgezeichneten Nachbarn So sehen preisgekrönte Nachbarn aus: (v. 1.) Rolf Rosenberg, Carola Frey mit HundeMischlingen Luna und Momo, Frauke Asmus mit Tochter Märe, Kersten Kraake mit Sohn Kiran und Hannah Wallenius sind nur einige der Bewohner der Bau- und Wohngenossenschaft „Brachvogel e. G." in Lurup, die Hamburgs Bausenator Michael Freytag als „beste Nachbarn" Hamburgs ausgezeichnet. Grund: Sie helfen sich im Krankheitsfall, integrieren Menschen mit unter- Hamburger Abendblatt vom 13.11.2006 S. 1 schiedlichen Behinderungen, passen auf die Kinder des anderen auf, sind einfach füreinander da. S. 15 FOTO: HERNANDEZ AUSGEZEICHNET DIE INITIATIVE AM BRACHVOGELWEG Die besten Nachbarn der Stadt leben in Lurup In der Siedlung mit Dorfcharakter wohnen 120 Menschen. Sie helfen sich gegenseitig mit guten Ratschlägen und praktischer Hilfe. für vorbildliche Nachbarschaft, nungen und Reihenhäusern überreicht von Stadtentwick- schätzen den Dorfcharakter des lungssenator Michael Freytag. Brachvogelwegs: Kein Haus hat Das Konzept der Genossen- mehr als drei Geschosse. Die Geschaft ist einfach: „Damit das bäude sind um drei Innenhöfe geMögliche entsteht, muss das Un- baut, in denen im Sommer gemögliche versucht werden", lau- grillt und geklönt wird und die tet ihr Leitspruch auf der Inter- Kinder abgeschirmt vom Verkehr netseite. Frauke Asmus (37), die spielen können. Im Winter wird mit ihrem Mann Rolf (37) und den dort Feuer gemacht und Stockdrei Kindern Mare (1), Leif (4) brot gegessen. Die Erdgeschossund Tonika (6) seit der Gründung wohnungen sind alters- und rollder Siedlung 2002 dort wohnt, stuhlgerecht gebaut. „Ich fühle mich hier gerade sagt: „Hier leben Alte und Junge, Özlem Topcu Handwerker und Lehrer, Deut- deshalb sehr wohl, weil ich mit jesche, Türken, Polen, Inder, Fami- dem reden kann - obwohl ich gehörlos bin", sagt KersCarola Frey hatte ein Problem: lien, Singles, Alleinerten Kraake (37), ihren Bei der Rückkehr aus dem Ski- ziehende und MenSohn Kiran (2) im Arm urlaub sollte es ein leckeres Fest- schen mit unterschied- „Damit das haltend. Nicht nur ihm Behinderung Mögliche entessen zum ersten Weihnachtsfei- licher bringt die Postangeertag geben. Die Rehkeule hatte zusammen. Wer hier stellte die Gebärdensie aus dem Schwarzwald mitge- einzieht, der sucht und steht, muss sprache bei. Auch die will genau diesen Mi- das Unmöglibracht, Beilagen hatte sie nicht. anderen Kinder am Dann tat die 48 Jahre alte Pro- krokosmos." che versucht Dennoch sehe man Brachvogelweg jektmanagerin das, was die Bewohner am Brachvogelweg in sich nicht als Riesen- werden", lautet schnappen „wie im wohngemeinschaft: so Lurup in solchen Situationen oft der Leitspruch. Vorbeigehen", Kraake, bestimmte machen. Sie bat ihre Nachbarn „Wer die Tür zumaSymbole der lautlosen um Hilfe. „Der eine steuerte Kar- chen will, macht sie toffeln bei, der andere Soßenbin- zu. Das Wichtigste für uns ist es, Sprache auf und kommunizieren der und Wein, eine Freundin die Bedürfnisse des anderen zu wie selbstverständlich mit ihr brachte sogar Rosenkohl vom ei- respektieren", sagt Heilpädago- und ihrem Mann Andreas (37). Er genen Acker mit." Am Abend sa- gin Asmus. Aber genauso wichtig ist ebenfalls gehörlos. Die Kinder ßen dann zehn Nachbarn bei ei- sei es, den anderen bei seinen Be- fragen, ob Sohn Kiran raus zum nem spontanen Weihnachtsessen dürfnissen zu unterstützen. „Es Spielen darf - nur mit den Hänan einem Tisch. Das ist nur eines ist toll, jederzeit die anderen, er- den. Ganz ohne Scheu. Einige Ervon vielen Beispielen, die die fahreneren Mütter nach Rat fra- wachsene versuchen sich am Gerund 120 Bewohner der Anlage gen zu können, wenn mein Kind bärden-Abc, haben es aber nicht am Brachvogelweg zu den wohl krank ist. Viele sind dann sofort so einfach: „Ich krieg" das nicht besten Nachbarn in Hamburg zur Stelle", sagt Hannah Walle- mehr so schnell in meinen Kopf. nius (24). Sie ist Mutter einer Aber es macht Spaß, es zu lermachen. Mehr als 230 Nachbarschafts- zweijährigen Tochter und be- nen", sagt Gisela Falk (67), Vorinitiativen waren bundesweit in kommt im Februar ihr zweites standsmitglied in der Genossender Lostrommel beim Wettbe- Kind. Aber bei guten Ratschlägen schaft. „Jeder gibt seine Ressourcen werb „Netzwerk Nachbarschaft". bleibt es nicht: „Als Mutter bin ich Die Hamburger Sieger von der sehr glücklich, wenn ich meine an den anderen weiter. Der eine Bau- und Wohngenossenschaft Kleine mal zum Babysitten zu den sein Wissen über Gebärdensprache, der andere übers Kochen, Brachvogel e. G. bekommen heu- Nachbarn geben kann." Die Bewohner in den 45 Woh- über Computer oder sonst was", te den Preis der BHW-1000 Euro sagt Morad Jafari (49). Der Zusammenhalt erinnert den aus dem Iran stammenden Dolmetscher an seine Heimat: „Bei uns leben auch oft mehrere Generationen unter einem Dach. Man gibt acht aufeinander." Schließlich, fügt Vorstandsmitglied Jörn Tengeler (53) hinzu, sei man bewusst eine „Wohn-" und keine „Wohnungs-Genossenschaft": Wohnen und Leben stehen im Vordergrund, nicht die Wohnungen." Mit diesem Konzept stehen die Chancen nicht schlecht für einen weiteren Preis. Im Februar werden drei Bundessieger des Wettbewerbs gekürt. Was die „Brachvögel" mit dem Preisgeld machen, haben sie noch nicht ent„Brachvögel" unter sich: (v. I.) Carola Frey, die Hundemischlinge Luna und schieden. Vielleicht organisiert Momo, Frauke Asmus mit Tochter Mare, Kersten Kraake mit Sohn Kiran Carola Frey in sechs Wochen ja sowie Hannah Wallenius. FOTO: HERNANDEZ wieder ein Weihnachtsessen ...