das zentrale nervenkompressions

Transcription

das zentrale nervenkompressions
DAS ZENTRALE NERVENKOMPRESSIONSSYNDROM DES ARMES
�
�
�
�
�
Thoracic Outlet Syndrom (TOS): als
Nervenkompressionssyndrom häufig verkannt
Vielseitiges und variables klinisches Bild
Ursachen: Anomalien von Rippen, Bändern
und Muskeln, selten Traumafolge
Konservative krankengymnastische
Behandlung als Basistherapie
Chirurgische Intervention in therapieresistenten Fällen
Das Thoracic Outlet Syndrom (TOS) ist
im Laufe der letzten zehn Jahre zunehmend
als Ursache zentraler Kompression der Armnerven erkannt worden. Zuvor hatte man es
vor allem als gefässchirurgisches Problem
wahrgenommen: Die Kompression der
Arteria subclavia führt zu einer distalen aneurysmatischen Aufweitung, in welcher sich
Thromben als Streuquelle für Embolien in
der Hand bilden können. Wegen dieses seltenen, aber eindrücklichen Geschehens und
wegen einer deutlich erkennbaren Ursache
– nämlich einer Halsrippe (Abb. 1) – wurde
dieses vaskuläre Krankheitsbild schon Anfang des 19. Jahrhunderts als nosologische
Entität beschrieben (Cooper 1821).
Abb. 1:
Halsrippen beidseits
Abb. 1
Weit häufiger als die vaskuläre Form
tritt jedoch die nervale Form des TOS auf.
Anlass für Irritationen des Plexus brachialis
geben dabei meistens anatomische Varianten der Muskulatur, der Bänder und der
Knochenformationen in der Umgebung der
ersten Rippe. Seltener geht die Kompression
auf eine Halsrippe zurück (Abb. 2a–c).
Wann muss man an ein TOS denken?
Immer wenn gleichzeitig mehrere periphere Nervenstörungen auftreten (z.B.
Karpaltunnel und Sulcus-ulnaris-Syndrom)
oder wenn Operationen eines Karpaltunnels
oder einer Epikondylitis erfolglos bleiben
oder die Beschwerden schnell wieder auftreten, ist nach einer weiter zentral gelegenen
Ursache der Probleme zu suchen. Leider
geben Patienten generell umso undeutlichere Symptome an, je zentraler die Störungen
lokalisiert sind. So klagen sie häufig über
Schweregefühle des Armes, Schmerz bei
Überkopf-Arbeiten, Nacken-, Schulter-,
Armschmerzen und Dysästhesien vor allem
der ulnaren Handkante (= kaudale Plexusanteile).
Diagnostik
Bei der klinischen Untersuchung weisen
verschiedene Tests auf ein TOS hin: etwa eine Pulsauslöschung beim Zurückführen der
Schulterblätter (Military- oder EDEN-Test)
oder bei bestimmter Kopfhaltung (ADSONManöver); ferner eine schnelle Ermüdbarkeit
bis hin zur Schmerzentstehung beim schnellen Öffnen und Schliessen der Hand bei
angehobenem Arm (ROOS-Test).
Bei der körperlichen Befunderhebung ist
das laterale Halsdreieck klopf- und druckempfindlich (Hoffman-Tinel-Zeichen), aber
auch alle peripheren Prädilektionsstellen
für Nervendruckpunkte sind leicht irritierbar
(Handgelenkbeugeseite = Medianus; Sulcus n. ulnaris; Oberarminnenseite für beide
Nerven; Oberarmaussenseite / Epicondylus
radialis für den N. radialis).
Neben der neurologischen Untersuchung, die periphere und radikuläre Ursachen der Symptome ausschliessen soll,
sind für die Diagnostik eine Röntgenaufnahme der oberen Thoraxapertur und eine
aszendierende Phlebographie nötig. Die
Thoraxaufnahme dient dem Nachweis oder
Ausschluss einer Halsrippe und zeigt gegebenenfalls an der Innenseite der ersten
Rippe Insertionszacken (sog. SkalenusZacken; Abb. 3), die dem Ansatz eines
sehnigen Muskelrandes oder eines Bandes
entsprechen. Beide Gebilde verlaufen wie
a
b
c
Abb. 2
Abb. 2:
Die drei häufigsten Ursachen einer
eine Halsrippe und können wie diese zu
schmerzhaften Plexusirritationen führen.
Diesen Insertionszacken kommt erhebliche
diagnostische Bedeutung zu, wie wir im Laufe der letzten zwei Jahre zeigen konnten.
Die phlebographische Darstellung der V.
subclavia in Normalposition und Provokationsstellung des Armes lässt Konturunregelmässigkeiten, Einschnürungen oder sogar
Verschlüsse durch Band- und Muskelanomalien erkennen (Abb. 4 a, b).
Keine dieser Untersuchungen beweist
allerdings das Vorliegen eines TOS. Die Diagnose ergibt sich mosaikartig, indem erst
anhand verschiedener, für sich allein nicht
genügend aussagekräftiger Informationen
– Anamnese, Untersuchungsbefund, Neurologie und Röntgen – ein mehr oder weniger
deutliches Bild der Erkrankung entsteht.
Abb. 3:
Skalenus-Zacke und zu vermutender
Verlauf eines Bandes
Die Therapie erfolgt zunächst konservativ. Aus der Vielzahl verfügbarer gymnastischer Übungen wird ein dem Einzelfall
angepasstes Programm zusammengestellt,
welches dann allerdings vom Patienten systematisch und diszipliniert eingehalten werden muss; zunächst unter Anleitung, dann
selbstständig.
Operative Therapie
Bei Muskelschwund, dauernden Parästhesien oder Schmerzen sowie bei erfolgloser konservativer Therapie ist eine
Operation angezeigt. Sie besteht in der Revision des lateralen Halsdreiecks über einen
supraklavikulären Zugang. Die Mm. scaleni
werden zusammen mit allenfalls störenden
Bändern von der ersten Rippe abgelöst und
reseziert. Falls vorhanden, wird eine Halsrippe ebenfalls entfernt. Der Plexus brachialis
wird damit vollständig dekomprimiert. Oft
ist eine externe Neurolyse erforderlich, wobei man das narbig verdickte Epineurium
spaltet. Immer wird anschliessend die erste
Rippe im mittleren Anteil reseziert, um sicher
genügend Platz zu schaffen, damit der Plexus durch eine Narbenbildung nicht wieder
eingeengt werden kann.
Oft spüren die Patienten nach der Operation sofort eine deutliche Erleichterung im
betroffenen Arm, und es geht ihnen so gut,
dass sie schon am Folgetag nach Hause
drängen. Um den Heilungsprozess nicht
durch eine zu frühe Bewegungsbelastung
zu gefährden, sollten die Patienten jedoch
während vier bis fünf Tagen stationär nach-
Plexusirritation in der Region der SkalenusAnsätze
a: Halsrippe
b: Anomalie der Muskelansätze
c : Vertebro-pleurokostales Band
a
b
Abb. 4:
Phlebographische Darstellung der
V. subclavia
a: in Normalposition des Armes
b: in Provokationsstellung
betreut werden. Wegen der Narbenverhärtung können die Symptome nach sechs bis
acht Wochen erneut auftreten, um dann mit
dem Weicherwerden der Narbe ganz zu
verschwinden. Dieser Prozess kann mittels
Ultraschall und vorsichtiger Narbenmassage
unterstützt werden. In der Regel ist mit einer
Arbeitsunfähigkeit von sechs, bei anstrengenden handwerklichen Berufen auch acht
bis zehn Wochen zu rechnen.
Eigene Erfahrungen
Der Autor bemüht sich seit 15 Jahren,
dieses Nervenkompressionssyndrom bei
den Handchirurgen bekannt zu machen,
denn als Krankheitsbild ist es weit häufiger anzutreffen als das Gefässkompressionssyndrom. Dennoch wird es vielfach
verkannt. Dabei erzielt eine Operation gute
Ergebnisse und ist vor allem
in der Hand des Geübten nahezu nebenwirkungsfrei.
Die Nachuntersuchung unserer ersten
100 TOS-Operationen in St. Gallen (1988
– 1994) ergab, dass Komplikationen – d.h.
operationsbedingte zusätzliche Probleme
– nicht zu befürchten sind. Dieses Ergebnis
bestätigte sich auch in der Folgezeit: Bei
mittlerweile über 200 solcher Operationen
wurden keine gravierenden Komplikationen
beobachtet. Misserfolge sind bei korrekter
Technik selten. Allenfalls bleiben Symptome
zurück, die nicht auf einer Plexusirritation, sondern auf anderen Ursachen, etwa
seitens der Schulter oder der Wirbelsäule,
beruhen.
Aufgrund von Empfehlungen in der Literatur haben wir anfangs bei eindeutigem
intraoperativem Befund einer Muskel- oder
Bandanomalie nur diese Anomalie beseitigt.
Wir mussten aber anhand der Ergebnisse
unserer Nachuntersuchungen feststellen,
dass bei Patienten ohne Rippenresektion
die Beschwerdelinderung nicht so zuverlässig eintrat. Deshalb resezieren wir seit
1995 bei jedem TOS unabhängig von seiner
anatomischen Ursache die erste Rippe im
mittleren Drittel, um auf diese Weise genügend Platz für die immer zu erwartende
Narbenbildung zu schaffen. Auch beim Vorliegen einer zusätzlichen Halsrippe kommt
bei uns nur noch die Kombinationstherapie
mit Revision, externer Plexusneurolyse und
Resektion der ersten Rippe zur Anwendung.
Etwas schlechtere Erfolgsaussichten (25
Prozent ausbleibende Besserung!) bestehen
bei posttraumatisch ausgelösten TOS-Symptomen. Zwar liegt auch in solchen Fällen
eine anatomische TOS-Ursache vor, doch
erlangt sie erst durch ein Traumageschehen
im Bereich des Schultergürtels klinische
Relevanz. Bei diesen Patienten ist die Indikation zur Operation mit besonderer Sorgfalt
zu stellen: Zunächst sind alle konservativen
Behandlungsmöglichkeiten geduldig auszuschöpfen, ehe man sich bei unveränderten
oder zunehmenden Beschwerden für eine
Operation entscheidet.
Wichtig erscheint vor allem, dass man
bei entsprechender Symptomenkonstellation
an die Möglichkeit dieses Krankheitsbildes
denkt und die korrekte Abklärung veranlasst;
denn auch heute noch müssen viele Patienten einen langen Leidensweg durchlaufen,
bis ein Arzt endlich auf die richtige Ursache
der oft untypischen Beschwerden stösst.
Prof. Dr. med. Reinhold Stober
Handchirurgie-Zentrum
Hirslanden Klinik Aarau