Grünbein im Gespräch mit Kafka
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Grünbein im Gespräch mit Kafka
Grünbein im Gespräch mit Kafka Text-Collage Der Dichter aus Dresden umkreist an der Universität die Figur des Indianers VON GUNTER OTT 1912, in seiner ersten Buchpublikation, legte Franz Kafka den Prosaminiaturen-Band „Betrachtung" vor. Darin steht das Stück „Wunsch, Indianer zu werden": „Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft..." Der Begriff des Indianers wandert durch Kafkas Werk, sagt Durs Grünbein - einer, der früh eingetreten ist ins Gespräch mit Kafka. Was also läge näher, als diesen viel geehrten Dichter (Büchner-Preis, Nietzsche-Preis, Hölderlin-Preis) zu einem Gastauftritt zum Thema „Kafkas Indianer" an die Universität einzuladen. Das geschah im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern (Studiengang „Ethik der Textkulturen") auf Initiative von Prof. Mathias Mayer. Er stellte den 1962 in Dresden geborenen Lyriker kurz und geschliffen vor und rückte ihn in die hehre Tradition eines durch Lessing und Kafka geprägten ethischen Literaturverständnisses. Grünbein versagte sich Thesen und Referat. Er trug eine Collage vor allem aus eigenen, aber auch aus Kafka-Texten vor, auf diese dialogische Weise das Thema Indianer assoziativ um- und einkreisend. Warum, so fragte sich der Dichter, der Novalis und Hölderlin als seine „ersten Ahnen" nannte, habe ihn das Wort „Indianer" elektrisiert? Grünbein antwortete im Gedicht („Regression mit Buffalo Bill"), sprach von einstigen Karl-May- und Cooper-Lektüren, von Besuchen im Indianermuseum von Radebeul und - in seinem unveröffentlichten Stück „Kokolores" - von den Indianerspielen der Kindheit in den heimatlichen Wäldern und Maisfeldern und nahe den russischen Kasernen. Kafka kam dem jungen Grünbein sozusagen auf regionaler Ebene entgegen. Schließlich war einst die Prominenz in die erste deutsche Gartenstadt Hellerau (1909 gegründet) bei Dresden gepilgert, so auch an einem Wochenende 1914 (kurz vor Kriegsausbruch) Franz Kafka im dunkelblauen Sommeranzug, da- mals in Hochzeitsvorbereitungen befindlich - er soll bei einem Luftsprung beobachtet worden sein! K. besuchte zudem das Festspielhaus, die Geburtsstätte des deutschen Ausdruckstanzes (Gret Palucca). Die später Zugezogenen, wie die Grünbeins, lebten mithin „auf einer Erinnerungshalde", und „als Spukgestalt", so Durs Grünbein, „kehrte Kafka noch einige Male wieder". Meeresgott Poseidon, erdrückt von Verwaltungsaufgaben In einem von Grünbein gelesenen Nachlass-Text widmet sich K. dem von seinen Verwaltungsaufgaben erdrückten Meeresgott Poseidon, dem justament der Dreizack aus der Hand fällt - Grünbein zufolge ein Beispiel für Kafkas Mythenkorrektur aus dem „Geist von Inventur und Kassensturz". Stichwort Bürokratisierung: Da er, Grünbein, in Kindheit und Jugend kein Bürgertum um sich hatte, dafür „jede Menge Bürokratie", habe sich Kafka für ihn als sehr viel brauchbarer erwiesen als Thomas Mann. Ein Beispiel mehr dafür, wie sehr seine Kafka-Lektüre in lokalen Verbindungen wurzelt. Am Schluss vollzog der Poet die Engführung eigener Erfahrungen („Amerikanisches Hotel", „Broadway"-Zyklus) mit Kafkas frei fantasiertem Roman über „Amerika" einem fremden Kontinent, dessen unendliche Geografie K. immer gefesselt hat; auch einem Land, in dem in Grünbeins Perspektive alles „aufgeschwollen" und hypertrophiert erscheint, von den ungeheuer dicken Brieftaschen bis zu den von der Elefantiasis befallenen Menschen nicht zuletzt einem Land, in dem die Indianer vertrieben, verfolgt, getö' tet wurden. Sind die Indianer - fern aller Romantik - nicht die Juden Amerikas? Und musste Kafka, der in seinem Werk die Vernichtung der Juden vorweggenommen hat, nicht große Empathie für die Indianer zeigen? Solcherart gab Grünbein zum Ende seiner Collage dem Thema „Kafkas Indianer" eine so unvorhergesehene wie nachhaltige Wendung.