Suthaus II text - Preiser Records

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Suthaus II text - Preiser Records
Lebendige Vergangenheit
Ludwig Suthaus II
Wäre es nach Alban Berg gegangen, dann hätte die Berliner Staatsoper den jungen
Suthaus schon 1929 engagiert: Im September 1929 schrieb der Komponist von der
Aachener Erstaufführung seines umgearbeiteten „Wozzeck“ an Erich Kleiber, so herrliche H’s und C’s höre man heute selten, und ob man einen solchen Tenor nicht nach
Berlin holen könnte. Er stand mit seiner Meinung nicht allein: Dr. Kemp von der
„Aachener Post“ sprach gar von einer „stimmlichen Glanzleistung“ - ein recht seltenes
Lob für eine Nebenpartie wie Andres.
Suthaus war damals keine 23 Jahre alt. Ursprünglich Steinmetz, hatte er mit sechzehn
Jahren am Konservatorium Köln bei Julius Lenz die ersten Gesangstunden genommen.
An einen Tenor war damals noch nicht zu denken. Als erste Partien studierte Suthaus
Wotan, Telramund und Dapertutto, ehe er eines Tages seinem verblüfften Lehrer die
Arie des Rudolf aus „La Bohème“ und das Postillonlied vorsang. Erst nach
Entdeckung seiner Tenorstimme zog er ernsthaft eine Sängerkarriere in Erwägung.
Seine ersten Erfahrungen sammelte er seit 1926 im Kölner Rundfunkchor und begann
seine Bühnenlaufbahn am 15. September 1928 als Walter von Stolzing in Aachen.
Tiana Lemnitz, Martha Fuchs, Hanns Heinz Wunderlich, Paul Piro und Richard
Bitterauf waren seine Partner in einer damals typischen Stadttheater-Aufführung, die
uns heute wehmütig an die Ensemble-Kultur der „heilen Opernwelt“ von einst zurückdenken läßt.
Für sein erstes Bühnenjahr 1928/29 zählte Suthaus in seiner persönlichen Statistik 45
Auftritte als Stolzing, Florestan, Julien („Louise“), Radames, Boris („Katja
Kabanowa“), Sänger („Rosenkavalier“), Leopold („Jüdin“) und Faust („Margarete“).
Im zweiten Jahr kamen Lohengrin, Don Carlos, Samson, Alfred („Fledermaus“),
Andres („Wozzeck“), Dick Johnson, Erik, Canio, Kalaf, Manrico und Lyonel hinzu.
Sein Arbeitspensum pendelte sich bei 135 Aufführungen je Spielzeit ein. Nach drei
Lehrjahren in Aachen trat er 1931 sein nächstes Engagement in Essen an. Sein
Repertoire von nun immerhin 65 Partien reichte vom Adam in Zellers „Vogelhändler“
über Fenton, Linkerton und Don José bis zu Assad in der „Königin von Saba“,
Hermann in „Pique Dame“ und Othello.
Seine eigentliche Karriere begann 1932 in Stuttgart, wo er Nachfolger des renommierten Wagnertenors Rudolf Ritter wurde. Hier entwickelte er sich zu einem der
führenden Heldentenöre seiner Zeit, und von hier aus wurde er international bekannt.
1935 gastierte er als Othello zum ersten Mal an der Berliner Staatsoper, trat 1936 als
Alvaro bei den Freilichtfestspielen am Roten Tor in Augsburg auf und erschien 1938
zum ersten Mal als Tannhäuser an der Wiener Staatsoper. 1942 begann er als Florestan
seine Berliner Tätigkeit, zunächst an der dortigen Staatsoper. Eine Verpflichtung durch
Heinz Tietjen bedeutete damals den Ritterschlag für jeden deutschen Sänger, weil
damit meist auch eine Berufung nach Bayreuth verbunden war. Mit seinem BayreuthDebüt als Stolzing hatte Suthaus 1943 das Traumziel damaliger Wagnersänger
erreicht.
Im Juli 1944 beendete der „Totale Krieg“ Deutschlands Opernleben. Wer vom
Ensemble der Staatsoper nicht an die Front kam, hatte seinen Dienst nun in Konzerten
abzuleisten. Am 15. April 1945 war Suthaus mit seiner ersten Aachener Partnerin
Tiana Lemnitz in Szenen aus „Othello“ noch im Schauspielhaus zu hören. Ein letztes
für den 21. April vorgesehenes Konzert fand nicht mehr statt: Die Innenstadt Berlins
lag bereits unter russischem Artilleriebeschuß.
Fast auf den Tag genau zwei Monate nach dem letzten Konzert im „Tausendjährigen
Reich“, am 16. Juni 1945, gab das Staatsopernensemble sein erstes Nachkriegskonzert
im Haus des Rundfunks. Erna Berger, Margarete Klose, Peter Anders und Ludwig
Suthaus sangen Ausschnitte aus „Freischütz“, „Zauberflöte“, „Carmen“, „Samson und
Dalila“, „La Bohème“ und „Aida“.
Der Neuanfang 1945 bedeutete für Suthaus zunächst einen Karriereknick. Die
Staatsoper brachte in der ersten Nachkriegsspielzeit zwar zehn Neuinszenierungen
heraus, hatte ihm aber nur eine einzige Fachpartie zu bieten: Am 6. Dezember 1945
stand er in „Tiefland“ zum ersten Mal nach anderthalb Jahren wieder auf der
Opernbühne. Hätte er nicht an der Städtischen Oper einige Male als Othello, Florestan
und Bajazzo einspringen können, so wäre der Pedro sechzehn Monate lang seine einzige Partie geblieben: Erst am 10. April 1947 gab es mit „Sadko“ die nächste Aufgabe
für ihn. Im Oktober 1947 gab es mit dem Tristan zum ersten Mal wieder eine
Wagnerpartie, der im Oktober 1948 Samson und im Dezember 1948 Stolzing folgten.
Fatal wirkte sich jedoch aus, daß Suthaus auf ein zu gleichförmiges Repertoire
beschränkt war. Es zeigte sich, daß er seine Stimme mehr intuitiv als bewußt
beherrschte. Die angeborene Mühelosigkeit seines Singens, um die ihn Kollegen wie
Willi Domgraf-Faßbaender oder Max Lorenz früher beneidet hatten, erwies sich nun
als Nachteil. Da sein Repertoire mehr mittlere Lagen als exponierte Höhen erforderte,
entwickelte sich seine Stimme zur Tiefe hin. Sein ohnehin schon baritonales
Stimmtimbre wurde noch dunkler, während sich in der Höhe mehr und mehr
Schwierigkeiten einstellten. Das änderte sich erst wieder Ende der vierziger Jahre, als
er bei dem einst berühmten Heldentenor Hans Grahl ein erneutes Studium aufnahm
und zu seiner ursprünglichen, schlanken Tongebung zurückkehrte.
Den entscheidenden Aufschwung bedeutete 1949 der Wechsel an die Städtische Oper
Berlin. Unter der Führung seines einstigen Staatsopernchefs Heinz Tietjen kam
Suthaus zu seiner zweiten, nun internationalen Karriere, die 1949 in Buenos Aires mit
den „Meistersingern“ und der „Frau ohne Schatten“ begann. Seitdem gehörte er für ein
Jahrzehnt zu der klein gewordenen Gruppe von Heldentenören, die das
Wagnerrepertoire weltweit beherrschten. Er gastierte in San Francisco, Chicago,
Moskau, Leningrad, London sowie an den großen Bühnen in Italien, Spanien und
Frankreich. Seit dem Berliner „Tristan“ von 1947 war er für Wilhelm Furtwängler der
bevorzugte Tenor der Nachkriegszeit: 1952 nahm der große Dirigent mit ihm „Tristan
und Isolde“ für die Schallplatte auf, 1953 „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ sowie
1954 „Die Walküre“. 1956 trat Suthaus auch wieder in Bayreuth auf, verließ die
Festspiele jedoch schon 1957 wieder nach den für Sänger seiner Generation fast
zwangsläufigen Differenzen mit Wieland Wagner. 1957 überwand selbst Herbert von
Karajan seine manische Abneigung gegen renommierte Furtwängler-Stars und verpflichtete Suthaus für die Wiener „Walküre“-Premiere. 1958 eröffnete Suthaus die
Münchner Opernfestspiele als Tristan und hatte damit einen letzten Höhepunkt
erreicht.
Seine Karriere endete völlig unerwartet: Im Oktober 1960 erlitt er bei einem Verkehrsunfall Gesichtsverletzungen und Prellungen. Hinzu kam eine schwere Mandelentzündung. Die erforderlichen Operationen veränderte sein inneres Klangempfinden
so gravierend, daß er sein intuitives Gesangsgefühl verlor. Im April 1961 versuchte er
als Erik und Siegmund einen Neuanfang, aber es war unüberhörbar, daß er seine an
sich völlig unversehrte Stimme nicht mehr uneingeschränkt beherrschte. Daraufhin
gab er zunächst das schwere Heldenfach zugunsten von Charakterpartien wie Aegisth
und Tambourmajor auf und zog sich mit Ende der Spielzeit 1966/67 ganz von der
Bühne zurück. Am 9. September 1971 ist er in Berlin gestorben.
Einer der letzten echten Heldentenöre ging mit ihm dahin. In einigen seiner Partien,
als Tristan und Siegmund in den Aufnahmen unter Furtwänglers Leitung vor allem, hat
er Maßstäbe gesetzt, die bis heute nicht erreicht worden sind.
Einhard Luther
If it had been up to Alban Berg the Berlin State Opera would have taken the young
tenor Ludwig Suthaus under contract as early as 1929. In September of that year, after
the first performance of the revised “Wozzek” in Aix-la-Chapelle, the composer raved
in a letter to Erich Kleiber about Suthaus’s fabulous high Bs and Cs and asked him if
one could not obtain this tenor’s services for Berlin. Dr. Kemp, critic of the Aachener
Post, was of the same opinion; he even went so far as to call Suthaus’s interpretation
of the small role of Andres a “vocal masterpiece”.
Suthaus had not yet turned 23 at the time. Originally a stonemason, he started taking
singing lessons with Julius Lenz at the Cologne Conservatory at the age of 16. The
tenor fach was still out of reach though. Among the first roles he studied were Wotan,
Telramund and Dappertutto in “Les Contes d’Hoffmann” until one day he surprised his
teacher with Rodolfo’s aria from ”La Bohème” and the Postillion’s song from Adam’s
opera. Only after his tenor voice had been discovered did Suthaus seriously consider a
professional singing career. From 1926 on he gained his first experiences in the
Cologne Radio Chorus and began his stage career on September 15th 1928 as Walter
von Stolzing in Aix-la-Chapelle. Tiana Lemnitz, Martha Fuchs, Hanns Heinz
Wunderlich, Paul Piro and Richard Bitterauf were his stage partners in a Stadttheater
performance typical of the time when opera ensembles were still intact.
During his first operatic season 1928/29 Suthaus appeared in 45 performances as
Stolzing, Florestan, Julien (“Louise”), Radames, Boris (“Katia Kabanova”), the Italian
Singer (“Der Rosenkavalier”), Leopold (“La Juive”) and Faust (Gounod). In his
second year he added Lohengrin, Don Carlos, Samson, Alfred (“Die Fledermaus”),
Andres (“Wozzeck”), Dick Johnson, Erik, Canio, Calaf, Manrico and Lionel. His
appearances during each season eventually amounted to 135. After three years in Aix-laChapelle in 1931 he took on his next engagement in Essen. At that point his repertoire
included 65 roles, among them Adam in Zeller’s operetta “Der Vogelhändler”, Fenton,
Pinkerton, Don José and Assad in “The Queen of Sheba”, Hermann in “Pique Dame”
and Otello.
His real career began in 1932 in Stuttgart where he became the successor to the
acclaimed Wagner tenor, Rudolf Ritter. In Stuttgart Suthaus became one of the leading
Wagner tenors of his day and from there he also achieved international fame. In 1935
he appeared for the first time at the Berlin State Opera as Otello, in 1936 he sang
Alvaro at the open air festival in Augsburg and made his debut at the Vienna State
Opera as Tannhäuser in 1938. In 1942 he began his association with Berlin and appeared
for the first time at the State Opera. A contract with Heinz Tietjen was something like
a knighthood for every German singer since in most cases it also included an engagement at Bayreuth. With his Bayreuth debut as Stolzing in 1943 Suthaus achieved the
goal of every Wagner singer.
In July 1944 Total War put an end to Germany’s operatic life. Those members of the
ensemble who escaped call-up to the front had to serve the Reich by appearing in
concerts. On April 15th 1945 Suthaus was still to be heard in a concert of excerpts from
“Otello” together with Tiana Lemnitz on the stage of the Schauspielhaus, but one last
concert scheduled for April 21st did not take place: the centre of Berlin was already
being heavily bombed by Russian artillery.
Almost exactly two months after this last concert of the “Thousand Year Reich”, on
June 16th 1945, the state opera ensemble gave its first post-war concert in the building
of the radio station. Erna Berger, Margarete Klose, Peter Anders and Ludwig Suthaus
were heard in excerpts from “Freischütz”, “Zauberflöte”, “Carmen”, “Samson et
Dalila”, “La Bohème” and “Aida”. This new beginning in 1945 brought an hiccough
for Suthaus, however. The State Opera staged no less than ten new productions during
its first post-war season but only one opera offered a suitable role for Suthaus.
“Tiefland” on December 6th 1945 was his first stage performance after one and a half
years and, had he not been able to step in several times at the Städtische Oper as Otello,
Florestan and Canio, Pedro in “Tiefland” would have remained his only role for sixteen months. “Sadko” on April 10th 1947, however, offered a welcome change. His
first Wagner role after the war was Tristan in October 1947 and two more roles
followed in 1948: Samson in October and Stolzing in December. But Suthaus’s unbalanced repertoire had fatal consequences for his voice. His singing had always been
based rather on personal intuition than on technical understanding. The innate effortlessness of his singing, for which he was envied by his colleagues Willi DomgrafFassbaender and Max Lorenz, now became a disadvantage. His repertoire was
concentrated more on the middle range of his voice than on exposed top notes and as
a result of this the voice developed more in the low register. The already baritonal
timbre of his voice became even darker whereas the top began to wane. Only in the
late Forties, after lessons with the former heroic tenor Hans Grahl did his vocal emission regain some of its former leanness.
Suthaus’s engagement at the Städtische Oper in 1949 represented a definite upturn in
his career. Under the guidance of his former State Opera director, Heinz Tietjen,
Suthaus began his “second” international career in 1949 in Buenos Aires with the
“Meistersinger” and “Die Frau ohne Schatten”. Over following decade he was part of
an already diminished group of heroic tenors who dominated the Wagner repertoire
worldwide. He appeared in San Francisco, Chicago, Moscow, Leningrad, London and
on the major stages of Italy, Spain and France. Since their Berlin “Tristan” in 1947
Suthaus had become Furtwängler’s favourite post-war tenor. Together they recorded
four complete operas: “Tristan und Isolde” in 1952, “Siegfried” and “Götterdämmerung” in 1953 and “Die Walküre” in 1954. Suthaus appeared again in Bayreuth
in 1956 but left the festival in 1957 as the inevitable conflicts and the generation gap
between the singer and Wieland Wagner became irreconcilable. In 1957 even Herbert
von Karajan overcame his almost manic aversion to renowned “Furtwängler singers”
and engaged Suthaus for the Vienna premiere of “Die Walküre”. In 1958 the tenor sang
Tristan in the opening performance of the Munich opera festival, which was one of his
last great successes. His career came to a completely unexpected end after he was
seriously injured in a car accident in October 1960. Apart from heavy bruises and face
injuries he developed a tonsil infection. The necessary operations changed his feeling
for inner resonance so much that he lost the intuitive feeling for his voice. In April
1961 he tried to make a comeback as Erik and Siegmund but one could not help but
notice that, although the voice itself was still intact, the singer was not able to handle
it. He gave up the heavier roles to concentrate on character roles such as Aegisth and
the Tambourmajor but towards the end of the 1966/67 season finally abandoned his
career. On September 9th 1971 Suthaus died in Berlin.
With him the world lost one of the last heroic tenor voices. In some of his roles,
especially as Tristan and Siegmund in the recordings with Furtwängler, he set
standards which until today remain unsurpassed.
MONO 89677