Perfektionismus - L`Abri Fellowship
Transcription
Perfektionismus - L`Abri Fellowship
Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 1 I/2005 Informationsbrief der Deutschen L‘Abri-Kontaktarbeit e. V. In unserer Kultur sind wir von den verführerischen Sirenen des Perfektionismus umgeben. Überall wo wir gehen und stehen, wohin wir uns auch wenden, finden wir Werbung, Zeitschriften, Diät- und Fitnessprogramme, die uns dazu verleiten wollen, den perfekten Körper, perfekte Gesundheit, das perfekte Haus und perfekte Kleidung zu haben. Darüber hinaus sind wir umgeben von einer hochentwickelten Technologie, sodass wir nahezu perfekte Autos, Computer usw. haben können. Letztendlich können wir in jeder Lebenssituation Perfektion erwarten – selbst Fußballfelder mit immergrünem Gras. tiven Aspekte konzentrieren, weil ich der Ansicht bin, dass sie eine sehr destruktive und lähmende Wirkung bei vielen Menschen haben. Das Problem entsteht, wenn wir zwanghaft glauben, dass Perfektion möglich ist und wir so hohe Maßstäbe haben, dass sie in der Realität unmöglich zu erreichen sind. Allerdings stellt sich die Sache nicht so einfach dar, weil ich in mir bestimmte Lebensbereiche sehe, wo ich Perfektionist bin, während dies in anderen Bereichen nicht einmal annähernd der Fall ist. Ich denke beispielsweise an eine wundervolle Lehrerin, ihre Schüler lieben sie und sie erzielt hervorragende Ergebnisse. Aber als sie Nun ist es natürlich nicht falsch, sich ihr erstes Baby bekam, das wie fast an einem hohen Standard zu freuen. alle Babys ziemlich unvorhersehbar Es ist wundervoll, den Klang von einer und unordentlich war, fühlte sie, dass Formen der Psychopathologie – von extremen Angstzuständen, Depressionen, Phobien, zwanghafter Sauberkeit, bis hin zu Kontrollzwängen und Ähnlichem. Zunächst möchte ich die dem Perfektionismus zugrunde liegenden Gedankenmuster und Ängste betrachten. Dann werden wir seine Wurzeln untersuchen und schließlich noch auf einige praktische Änderungsstrategien zu sprechen kommen. Die Gedankenmuster und Ängste des Perfektionismus Grundlegend für die Lebenseinstellung eines Perfektionisten sind bestimmte Gedankenstrukturen, die aus bestimmten Ängsten heraus entstehen. Perfektionismus Der Weg zum Himmel – oder zur Hölle? fast perfekten HiFi-Anlage zu genießen. Es ist nicht falsch, nach höchster Qualität im Leben zu streben. Auch nicht alle Perfektion ist falsch. Ich möchte dies betonen, denn am Ende dieser Vorlesung mag der Eindruck entstehen, dass Perfektionismus ein großes Übel ist. Es gibt aber auch einige sehr gute Aspekte des Perfektionismus. Viele große wissenschaftliche Errungenschaften und bedeutende Werke der Kunst, Musik und Literatur wurden von Perfektionisten hervorgebracht. Hier möchte ich mich jedoch auf die nega- sie die Kontrolle verlor und wurde ziemlich deprimiert. Bestimmte Situationen bringen Perfektionismus auf eine sehr negative Art und Weise zum Vorschein, andere führen zu einem positiven Perfektionismus. Wenn der Selbstwert einer Person davon abhängt, solche hohen Maßstäbe zu erreichen, führt dies unweigerlich zur Selbstverurteilung und in eine persönliche Hölle aus sich wiederholenden Fehlern und ewigem Bedauern. Manchmal führt Perfektionismus auch zu verschiedenen Richard Winter Alles-oder-Nichts, Schwarz-WeißDenken. Ich muss alles genau richtig machen oder es gleich sein lassen. Eine Person, die Dinge in dieser Weise betrachtet, sieht alles in völlig gegensätzlichen Kategorien beispielsweise von absoluter Ordnung oder Chaos, absoluter Sauberkeit oder totalem Schmutz, absolut gut oder absolut böse, ein Heiliger oder ein Sünder sein, ein kompletter Erfolg oder eine absolute Niederlage. Hinter diesem Alles-oder-Nichts bzw. Schwarz-Weiß-Denken steckt eine tiefe Angst zu versagen. (1) Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 2 Editorial Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Inhaltsverzeichnis um ehrlich zu sein, sollte ich schon seit längerem die einleitenden Worte für diese erste Akzente-Ausgabe im Jahr 2005 schreiben. Aber irgendwie fehlten mir immer die hundertprozentig passenden und ausnahmslos jeden Leser vollständig ansprechenden also perfekten Worte … Und so schiebe ich das Editorial vor mir her und schreibe lange Zeit gar nichts. Dabei sollte man doch meinen, dass mich die gemeinsame Übersetzung des PerfektionismusArtikels von Richard Winter eines besseren belehrt hätte. 1 Mein Mann ist der Meinung, so negativ darf man die Akzente nicht anfangen. Und er hat ja auch nicht ganz Unrecht – schließlich haben mir die anderen Artikel, an denen ich mitgearbeitet habe unheimlich viel Spaß gemacht und nicht so viel Kopfzerbrechen bereitet, und das kommt so kaum zur Geltung. Aber kennt das nicht jeder von uns, dass man sich manchmal selbst im Weg steht?!? Dass die eigenen Ansprüche verhindern, dass man überhaupt anfängt, etwas zu tun? 18 Ein Wohnzimmer in Bayern Ben Blachnitzky, Dietrich von Harsdorf, Markus Thiel Ich bin überzeugt davon, dass jeder in einigen Bereichen perfektionistische Tendenzen hat. Sie können uns blockieren, aber auch zu Höchstleistungen verhelfen. Auf das richtige Maß kommt es an. Als ich vor zwei Jahren bei einem Besuch im holländischen L’Abri das erste Mal Wim Rietkerk über den neuen Himmel hier auf der Erde (The New Heaven on Earth) sprechen hörte, war ich überrascht – denn bisher hatte ich nur vom Himmel im Himmel gehört – und begeistert, weil all die Dinge, die wir hier auf der Erde tun, dadurch einen neuen Wert bekommen – positiv wie negativ. Mir gab das eine biblische Hoffnung für diese Welt. Perfektionismus Richard Winter 10 Gibt es eine biblische Hoffnung für unsere Welt? Wim Rietkerk 13 Deconstructing Hollywood Christian Weißenborn 14 Neulich in L’Abri … Ruth Weißenborn 16 Interview mit Richard Bradford Jutta Schäfer 20 L’Abri International 2 Impressum In eigener Sache Diese Zeitschrift wird kostenlos verschickt. Da die Druckkosten für eine solch kleine Auflage jedoch sehr hoch sind, bitten wir Euch um finanzielle Unterstützung. Es wäre schön, wenn sich diese Zeitschrift auf diese Weise tragen könnte. Wir bitten um Spenden auf das Konto der Deutschen L’Abri-Kontaktarbeit e.V.: Bank für Kirche und Diakonie eG Duisburg, BLZ: 350 601 90, Kto.: 101 210 3014. Für diese Spenden stellen wir Spendenbescheinigungen aus, die steuerabzugsfähig sind. Vielen herzlichen Dank für Eure Mithilfe! Impressum Herausgeber: Deutsche L’Abri-Kontaktarbeit e.V. c/o Petra und Andreas Hartmann Im Häg 9 38474 Tülau-Voitze Tel. (0 58 33) 97 08 82 Fax (0 58 33) 97 08 81 [email protected] www.labri.de Satz &Layout: Druck: Isa Dettweiler, Regine Tholen Dönges-Druck, Dillenburg Viel Spaß beim Lesen der Artikel über und aus L’Abri! Hartelijke groeten uit de nederlandse L’Abri, Ruth Weißenborn PS: L’Abri live erleben kann man diesen Sommer an der Mecklenburgischen Seenplatte. Dort findet das erste deutsche Kurz-L’Abri vom 20. August bis 2. September statt. Bitte bald anmelden! 2 L’ABRI-AKZENTE Bankverbindung: Bank f. Kirche & Diakonie eG Konto 101 210 30 14 BLZ 350 601 90 Bitte Verwendungszweck angeben. Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 3 Thema Manchmal werden Perfektionisten in zwei Typen eingeteilt: getriebene Perfektionisten (driving perfectionists) und besiegte Perfektionisten (defeated perfectionists). Man kann intensiv versuchen, Perfektion in einigen Lebensbereichen zu erreichen, diesen Versuch aber gleichzeitig in anderen Bereichen aufgegeben haben – und so zwischen Getriebensein und Niederlage hin- und herschwanken. (2) Eine Intoleranz der Mehrdeutigkeit. Dieses Problem besteht darin, in Ausgeglichenheit oder Spannung mit den unvermeidlichen Polaritäten des Lebens zu leben. Perfektionisten stellen oftmals ihre Gefühle in den Mittelpunkt – sie schwanken von einem Pol zum anderen, ohne jemals völlig zufrieden zu sein. Wir müssen bestimmte Polaritäten zusammenhalten – die Polaritäten von Freiheit und Form, d.h. einerseits Freiheit und Unabhängigkeit zu wollen und andererseits Sicherheit und Verläßlichkeit. Der Perfektionist wird sich häufig vollständig für etwas verantwortlich fühlen oder aber jegliche Verantwortung von sich weisen. andere denken mögen, oder durch das, was wir glauben, was unsere Eltern über unser Verhalten denken. „Ich sollte dieses Haus so sauber wie meine Mutter halten können, auch wenn drei Kinder herumtoben“. „Ich sollte in der Lage sein, alle diese Gemeindemitglieder zu besuchen“. „Ich sollte nur Einsen bekommen und Mitglied des Tennisteams werden“. gen stellt. Diese Frau war von Schuld getrieben, von Versagensangst, und noch tiefer liegend von der Angst vor Ablehnung. Diese tiefen Ängste treiben uns in eine Vielzahl von Verhaltensmuster hinein, die allesamt nutzlos und falsch sind. Dahinter verbirgt sich oft das starke Verlangen nach Liebe und Anerkennung. Eine praktische Folge davon, alles richtig machen zu wollen, ist übermäßiges Zögern und Unentschlossenheit. Das Motto des Perfektionisten könnte „Nichts gewagt, nichts verloren“ lauten. Paul Tillich formuliert es in seinem Buch „Mut zum Sein“ so: „Es gibt eine Angst, schuldig zu werden, ein Grauen, sich verdammt zu fühlen“. Diese Angst ist so stark, dass sie verantwortliche Entscheidungen und jede Art moralischen Handelns fast unmöglich macht. Paul Tournier sagt, der Perfektionist „möchte alles machen, wählt aber nichts und fängt somit nie an. Leben heißt, das eine zu wählen und das andere dafür nicht, aber diese Menschen werden nichts aufgeben und dadurch alles verlieren.“ (4) Die Erwartung, dass ich ein Heiliger und perfekt sein werde, hat zur Folge, dass jedes Anzeichen von Unvollkommenheit zeigt, was für ein hoffnungsloser Versager ich bin. Und mit jedem Misserfolg geht ein höheres Maß an Schuld und Selbstverurteilung einher „ein Teufelskreis entsteht, indem ich mir sage, dass ich diesen Fehler nicht so häufig wiederholen darf. Die Frage, was ich aus diesen Fehlern lernen kann, wäre in dieser Situation eine gesündere Reaktion. „Ja, ich habe einen Fehler gemacht, aber ich kann es wieder versuchen; es ist kein völliges Versagen. Vielleicht ist dies gar nicht meine Gabe, vielleicht muss ich nicht so hart mit mir sein und mich nicht so niederschmettern lassen, wenn ich patze“. Dennis Gibson gibt ein hervorragen- Die Erwartung, dass ich ein Heiliger und perfekt sein werde, hat zur Folge, dass jedes Anzeichen von Unvollkommenheit Zeigt, was für ein hoffnungsloser Versager ich bin. Eine Tyrannei der „müsste“ und „sollte“ des Lebens. Hier geht es darum, dass sich bestimmte Verpflichtungen innerlich immer mehr verfestigen. Der Perfektionist ist teilweise von Schuld getrieben, nicht Schuld in Bezug auf Gott, sondern einer Schuld und Scham, die durch den vermeintlichen kritischen Blick der Eltern entstanden ist, durch die Sorge, was (3) Ich denke an ein weiteres Beispiel von einer Frau, die so stolz war auf ihr Haus und so eifrig, es absolut perfekt zu halten, dass sie immer den ganzen Teppich mit Zeitungspapier abdeckte, wenn Besucher kamen, damit nichts schmutzig würde. Ihre Kinder konnten fast nie Freunde zum Essen oder gar zum Übernachten mitbringen, weil sie schreckliche Angst davor hatte, dass sie mit ihren schmutzigen Händen die Wände an der Treppe berühren würden. Dies ist ein dysfunktionaler Perfektionismus, weil er Sauberkeit und Ordnung über persönliche Beziehun- des Beispiel eines Perfektionisten, der die Menükarte in einem Restaurant studiert, hin- und hergerissen zwischen dem Seezungenfilet und der Lasagne. Er bestellt das eine, überlegt, wechselt zum anderen, und fordert den Kellner auf, doch wieder das erste zu notieren. Seine genervte Frau löst schließlich das Problem, indem sie sagt: „Ich werde die Lasagne bestellen und du das Seezungenfilet“. L’ABRI-AKZENTE 3 Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 4 Thema Von der offensichtlich ansteigenden Ungeduld des Kellners genötigt, stimmt der Mann zu. Beim Servieren schaut er auf die Lasagne seiner Frau und sagt: „Ich wusste, ich hätte die bestellen sollen.“ Er hat an alles gedacht, damit niemand etwas an seiner Wahl aussetzen kann. Aus Furcht, das Seezungenfilet könnte die falsche Wahl sein, beeilt sich der Mann hinzuzufügen, dass es nicht seine Entscheidung war, weil er dazu gedrängt wurde, und er wirklich lieber das andere gehabt hätte. Man hat Angst sich festzulegen, weil man falsch liegen könnte. Man hat das Verlangen, die Kontrolle in der Hand zu behalten und sein eigenes Schicksal zu steuern. Manchmal vermeiden wir die schwierige Aufgabe eine Entscheidung zu treffen, indem wir zögern, aber als Grund angeben, wir würden „auf den Herrn warten“ oder „Gottes Willen suchen“. Diese Aussagen degenerieren leicht zu Klischees, die Unentschlos- beziehen und mögliche Alternativen fallen lassen. Unser zwanghafter Wunsch immer alles unter Kontrolle zu haben, besteht darauf, alle Möglichkeiten bis zum Schluß offen zu halten falls wir einen Fehler machen. Dabei opfern wir Freude zugunsten der Kontrolle. (5) Beziehungen verschlechtern sich verständlicherweise durch die zugrundeliegende Angst, abgelehnt zu werden. Dies kann zu einer abwehrenden Hypersensibilität gegenüber Kritik führen. Kommunikation über echte Schwierigkeiten, Scheitern oder Kämpfe ist dann sehr schwierig, und es bleibt wenig Raum für echte Intimität. Perfektionisten erwarten viel von sich selbst und anderen und sind unvermeidlicherweise enttäuscht und frustriert, was wiederum zu Irritation und Verärgerung führt. Letztlich gibt es eine echte Angst die Kontrolle zu verlieren, sodass Gefühle, vor allem Ärger stark unterdrückt werden müs- und dadurch eine übersteigerte Kritik an sich selbst und an den eigenen Kindern. Diese Eltern brauchen die Worte des Paulus: „Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn“. (2) Sie haben große Schwierigkeiten, ihre Zuneigung zu zeigen oder jemand zu loben, weil sie selbst nicht viel davon erlebt haben. (3) Anerkennung ist immer an Bedingungen geknüpft, zumindest kommt es so bei dem Kind an. Wenn es nicht vorne dabei ist, wenn es keine Eins bekommt, dann kann es sein, dass es nicht akzeptiert wird. 2. Psychodynamische Theorien Sigmund Freud war der Überzeugung, dass Perfektionismus und zwanghafte Neigungen eine Fixierung während der Analphase darstellen, der Zeit des Toilettentrainings. Er lag richtig, dass in dieser Zeit im Kopf eines Kindes Kämpfe mit seinen Eltern ablaufen, nicht so sehr das Toilettentraining an sich betreffend als viel- Perfektionisten erwarten viel von sich selbst und anderen und sind unvermeidlicherweise enttäuscht und frustriert, was wiederum zu Irritation und Verärgerung führt. senheit rechtfertigen. Es ist einfacher zu sagen, dass wir noch auf den Herrn warten, als eine schwierige Entscheidung zu treffen, die gute oder schlechte Folgen haben kann. Unsere zwanghaften Neigungen schrecken vor Festlegung zurück. Unsere religiöse Sprache bietet uns einen fromm klingenden Deckmantel für Feigheit. Wir ‘legen ein Vlies aus’ anstatt nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und aus möglichen schmerzvollen Fehlern zu lernen. Wir wollen nicht durch Versuch und Irrtum lernen, obwohl dies einer der bevorzugten Wege Gottes ist, um uns Weisheit zu lehren. Um im Leben weiterzukommen, müssen wir Standpunkte 4 L’ABRI-AKZENTE sen. Wenn sie dann doch herauskommen, geschieht dies in einer Art und Weise, die für alle sehr beängstigend ist. Das überragende Verlangen besteht darin, alles unter Kontrolle zu haben. Die Wurzeln des Perfektionismus 1. Überkritische Eltern mehr die Fragen von Macht und Kontrolle. Wenn ein Kind (im Alter von 18 Monaten) z.B. anfängt mit Trennung und Unabhängigkeit zu experimentieren und die Mutter ärgerlich reagiert, dann kann das Kind innerlich Hassgefühle gegenüber der Mutter und gleichzeitig ein enormes Bedürfnis nach ihr empfinden – ein sich verstärkendes Schwanken zwischen Hass und Liebe. Ein Kind benötigt viel Hilfe, um über diese Phase hinwegzukommen, und in einem guten, liebevollen, fürsorglichen Zuhause wird dieses Stadium leicht überwunden. Das Kind lernt mit Unabhängigkeit, Abhängigkeit und starken Emotionen umzugehen. Perfektionistische Eltern bringen ihren Kinder häufig bei, Perfektionisten zu sein, sowohl dadurch, wie sie Beziehungen gestalten, als auch dadurch, wie sie mit dem Leben zurechtkommen „ihre hohen Erwartungen an sich selbst und an ihre Kinder. Solche Eltern neigen zu drei besonders gefährlichen Veranlagungen: (1) Eine Harry Stack Sullivan, ein post- ‘freufehlende Toleranz gegenüber Fehlern Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 5 Thema dianischer Psychotherapeut und Analytiker, glaubte, dass Perfektionismus auf die Unsicherheit in einer Familie, in der es wenig Liebe gibt, zurückzuführen ist. Wo Durcheinander und Chaos in der Familie herrscht, kann es sein, dass das Kind in seinem eigenen persönlichen Bereich alles sehr ordentlich macht, um mit dem es umgebenden Durcheinander zurechtzukommen. Um die Vorhersehbarkeit von Ereignissen zu erhöhen, wird diese Person dafür sorgen, dass ihr Zimmer jeden Tag gleich aussieht, sie ihre Kleidung immer in der gleichen Reihenfolge auszieht und an exakt demselben Platz ablegt. Es mag sein, dass sie jeden Tag den gleichen Weg zur gleichen Uhrzeit nimmt. Sie will das Risiko minimieren, unerwartet durch ein Ereignis getroffen zu werden, das zu Schwierigkeiten, Konflikten und emotionalem Aufruhr führen könnte. Wenn die Welt nicht geordnet ist, wenn geschätzte Dinge sich verändern, kann Chaos in ihrem wir nicht anders als darin eine große Tragödie zu sehen, vielleicht die größte der Menschheit. Indem sich der Mensch nach dem Unendlichen und Absoluten ausstreckt, beginnt er zugleich sich selbst zu zerstören. Wenn er einen Pakt mit dem Teufel schließt, der ihm Ruhm verspricht, muss er in die Hölle, die Hölle in sich selbst“. ner vollkommenen Welt. Wir wissen auch, dass wir eines Tages wieder vollkommen sein werden. Viele unserer Bestrebungen und Sehnsüchte spiegeln somit die Realität dessen wider, wer wir wirklich sind. Doch seit der Rebellion von Adam und Eva ebenso wie unserem eigenen Schuldigwerden, leben wir in einer unvollkommenen, gefallenen Welt, in der wir einige der Frustrationen akzeptie3. Gene, Temperament ren müssen, die aus der Unvollkomund Kultur Selbstverständlich haben Kinder von menheit erwachsen – bis Christus früh an verschiedene Persönlichkeiten wiederkommt. und Temperamente, und einige Kinder sind Perfektionisten im Sinne von David Brenner schreibt: „Die Suche Ordentlichkeit und dem Zwang, Dinge nach Vollkommenheit ist eine geistzu prüfen. Es gibt auch einige kultu- liche Suche. Es ist die Suche nach relle Prädispositionen. Japan und die Ganzheit. Viel mehr als die Suche Schweiz sind perfektionistische Kul- nach der Abwesenheit von Fehlern ist turen. Sie bringen eine Menge guter es die Sehnsucht nach dem Ideal, nach Dinge mit hoher Qualität und exzel- dem, was richtig, schön und rein ist. lenten Standards hervor. Es gibt auch Obwohl es einfach ist, solche Sehnperfektionistische Subkulturen, und süchte als Naivität anzusehen, ist eiich glaube, dass einige Kirchen in ne Person, die jeglichen Idealismus diese Kategorie fallen. Dort ist es und Hang zum Perfektionismus ver- „Es gibt guten Grund zu glauben, dass der zwanghafte Verteidigungsmechanismus die weitverbreitetste Technik ist, die es Menschen möglich macht, eine gewisse Illusion von Sicherheit in einer unberechenbaren Welt zu erlangen.“ ganzen Leben entstehen. Leon Salzmann, Autor von „The Obsessional Personality“, schreibt: „Es gibt guten Grund zu glauben, dass der zwanghafte Verteidigungsmechanismus die weitverbreitetste Technik ist, die es Menschen möglich macht, eine gewisse Illusion von Sicherheit in einer unberechenbaren Welt zu erlangen“. Karen Horney, eine neofreudianische Analytikerin, hob die Art und Weise hervor, wie wir ein idealisiertes Bild unseres Selbst entwickeln, um mit Gefühlen wie Unsicherheit, Unterlegenheit und Selbstverachtung fertig zu werden. Sie spricht von dem idealisierten Bild als ein „verzehrendes Monster“: „Wenn wir Selbstverachtung und ihre verheerende Kraft betrachten, können nicht erlaubt, seine wahren Gefühle, Schwierigkeiten oder Kämpfe im Leben zu zeigen, vielmehr muss man so erscheinen, als ob alles im Leben gut läuft! Probleme zu haben zeigt, dass man keine reife oder geistliche Persönlichkeit ist. 4. Reaktion auf eine gefallene Welt Wir müssen nun die Perspektive von den Details des alltäglichen Lebens auf die großen Fragen nach unserer Herkunft und Bestimmung lenken. Wir müssen fragen, warum wir die Probleme haben, die wir haben. Aus der Bibel wissen wir, dass wir von Gott vollkommen geschaffen wurden in ei- loren hat, sehr bedauernswert. Die Sehnsüchte von Perfektionisten erinnern uns fortwährend an unsere Schwächen und Beschränkungen, aber ohne solche Erinnerungshilfen würden wir um so leichter vergessen, dass das Paradies, obwohl verloren, der Platz ist, nach dem wir uns sehnen.“ In gleicher Weise sind wir ursprünglich von Gott geschaffen worden, um in Beziehungen zu leben – mit Gott und mit anderen – und um über die restliche Schöpfung zu herrschen. Wenn das Vertrauen in Beziehungen schon in frühen Jahren ausgehöhlt wurde, wird ein Kind dazu neigen, sich selbst vor dem Schmerz einer tiefen, aber nicht erfüllten Sehnsucht nach Liebe, Bestätigung und Zuneigung zu schützen, indem es lernt, L’ABRI-AKZENTE 5 Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 6 Thema Gefühle und andere Menschen zu steuern, um wenigstens einige Bedürfnisse zu stillen. Dieser Lebensund Beziehungsstil wird sich oft bis ins Erwachsenenalter durchziehen. Die ursprünglich gottgegebene Aufgabe der Herrschaft ist verfälscht und wird eingespannt in dem Versuch, alles im Leben zu beherrschen. Diese sündhaften Strategien, den Schmerz zu unterbinden und Bedürfnisse zu erfüllen, mögen kurzfristig funktionieren, doch langfristig verschlimmern sie das Problem, da sie letztendlich sehr egoistisch sind. Salzmann’s Arbeiten deuten darauf hin, dass es zwei große Themen in der perfektionistischen, zwanghaften Denkweise gibt. Das erste ist eine negative Einstellung gegenüber der Tatsache, dass man eine begrenzte Person in einer Welt der Ungewißheit ist. Jemand äußerte einmal, er sei wütend, dass er nur einen endlichen Verstand habe. Er war ausgesprochen Realität und den Glauben, dass alles Gottes – um so schließlich die Illusion möglicher Akzeptanz und Sicherschon perfekt ist. heit zu vermitteln. Die Vorliebe des Perfektionisten für die Illusion der Kontrolle und die Das Christentum ist zutiefst und in Möglichkeit, das Leben vorhersehbar wundervoller Weise anders. Francis zu machen, ist der zweite Punkt Schaeffer wurde nicht müde zu bevon Salzmann. Gibson spricht von tonen, dass das Christentum die der „Gier nach Allmächtigkeit“. Der leichteste und schwerste Religion Perfektionist möchte nicht, dass ir- zugleich ist. Es ist die leichteste, gendjemand ihn beherrscht. Er weil wir mit nichts, mit leeren Hänmöchte die vollständige Kontrolle den zum Kreuz kommen. Und gleichoder gar keine. Dies erinnert an die zeitig ist es die schwerste aus genau Versuchung von Adam und Eva: „Ihr dem gleichen Grund. Unser Stolz will werdet sein wie Gott“ (1. Mose 3). uns nicht annehmen lassen, dass wir „Ihr werdet herrschen, ihr werdet mit offenen Händen kommen. Wir nicht eingeschränkt sein, ihr werdet wollen immer etwas tun, zu unserer nicht endlich sein, ihr werdet wie eigenen Erlösung beitragen, ultimativ Gott sein, ihr könnt es selbst schaf- die letzte Karte selbst in der Hand fen“. Genau deshalb ist der Perfek- halten, derjenige sein, der sagt, wir tionismus der Weg zur Hölle, denn haben die Kontrolle anstelle von Gott. im Grunde genommen besagt er, dass Doch der Perfektionismus kann auch du Gott sein kannst und alles, was der Weg in den Himmel sein, weil er geschehen wird, beherrschen kannst. uns dahin treibt zu erkennen, dass Es ist nicht verwunderlich, dass wir wir Gottes Ansprüchen nicht durch ähnlich empfinden, denn im Ver- eigenes Tun genügen können. Wie Der Perfektionist möchte nicht, dass irgendjemand ihn beherrscht. Er möchte die vollständige Kontrolle oder gar keine. frustriert, endlich und gefallen zu sein, denn wenn er perfekt wäre, gäbe es nicht die Gefahr zu versagen oder abgelehnt zu werden. Hierin können wir die Attraktivität einer perfektionistischen Theologie sehen, in der Gesundheit und Wohlstand versprochen werden. Diese Erwartung impliziert, dass wir die Einschränkungen einer gefallenen Welt überschreiten und den Himmel schon jetzt haben können. Zu viel wird zu schnell versprochen. Ein Großteil der Attraktivität der New-Age-Bewegung liegt in dem Versprechen der Vollkommenheit durch unsere eigene Anstrengung oder durch eine veränderte Sicht der 6 L’ABRI-AKZENTE gleich zu unseren Vorfahren vor 500 Jahren haben wir in sehr starkem Maße gelernt, unsere Umwelt und auch unsere Gesundheit zu kontrollieren. Die zentrale Bedeutung der Gnade Alle großen Weltreligionen außer einer haben dieselbe treibende Kraft: Wie kann der Mensch seine Endlichkeit überwinden und wie Gott werden? Und die meisten der großen Religionen haben Rituale, Wege, um sich selbst gut genug zu machen. Alle großen Religionen bis auf eine sind ein ‘Verfahren’, um Furcht und Angst zu schmälern durch menschliche Errungenschaften, durch Werke und Rituale, im Dienste irgendeines das (alttestamentliche) Gesetz, so führt auch der Perfektionismus „auf Christus hin, damit wir durch den Glauben gerecht würden“ (Gal. 3,24). Wir kommen mit nichts und nehmen das Geschenk seiner Liebe, Annahme und seines Opfers am Kreuz für uns an, beugen uns in tiefer Abhängigkeit, unterwerfen unseren Willen dem seinen, wissend, dass wir angenommen, geliebt und wertgeschätzt sind – nicht aufgrund dessen, was wir tun, sondern weil wir erkennen, wie unvollkommen wir sind, wie sündig und wie wenig wir mit Gottes Vollkommenheit mithalten können. In Gottes Augen hängt mein Wert Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 7 Thema nicht von meinen Werken ab. Ich muss nicht unter dem Gesetz leben, sondern unter der Gnade. So viele der perfektionistischen Christen leben immer noch unter dem Gesetz. Irgendwie können sie sich die Gnade Gottes nicht aneignen, weil eine grundlegende Unsicherheit da ist mit einer tiefen Angst vor Ablehnung, Versagen, Nicht-Sein und dem Verlust der Kontrolle. Aber alle diese Ängste werden ‘angegangen’, wenn ein Mensch zurückfindet in die Beziehung zu dem liebenden Gott, der uns mit allen unseren Fehlern und Unzulänglichkeiten annimmt. Er hat Pläne, wie er diese alte zerfallene Hütte meines Lebens in einen glanzvollen Palast umwandeln kann, der es wert ist, dass ein König darin lebt. Und er ist derjenige, der uns vollkommen machen wird, denn aus uns selbst heraus können wir dies nicht. Man mag einwenden, dass es doch eine Bibelstelle mit einer Aussage von Jesus gibt, die den Perfektionisten einem Tritt! Dies ist wirklich eine Konfrontation mit der Realität. Eine perfektionistische Freundin hatte eine solche Konfrontation mit der Realität als sie als Missionarin nach Afrika ging. Umgeben von Dreck, Unvollkommenheit und Chaos, wo niemand wusste, welche Uhrzeit gerade ist und nichts pünktlich lief, musste sie sich ändern! In dieser potentiell sehr beängstigenden Situation erkannte Strategien zur sie, dass sie in einer nicht realen Veränderung Fantasiewelt gelebt hatte mit dem Nun mögen wir zwar wissen, dass Glauben, Perfektion auf Erden sei wir uns selbst nicht perfekt machen (annähernd) möglich! können, und dennoch mit perfektionistischen Tendenzen kämpfen. Un- David Burns zählt einige Wege auf, sere sündige Natur ist immer noch ak- Menschen mit kognitiven Therapien tiv und wir brauchen Hilfe, um die zu helfen: vielen alten, unsicheren, perfektionistischen Gedankengänge, die weiter- (1) Bitte die Person alle Vor- und hin in unseren Köpfen ablaufen, zu Nachteile des Bemühens, Perfektion verändern. Wir mögen wissen, dass wir im Leben zu erreichen, aufzulisten. von Gott angenommen sind, fühlen es Ein Mädchen wurde gebeten, dies zu aber in unserem Herzen häufig genug tun, und konnte zwei Vorteile und nicht. Und deshalb leben wir nicht sechs Nachteile auflisten. „Es macht nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin“ (Phil. 3,12). Paulus spricht auch von der „Verklärung von einer Herrlichkeit zur anderen“ (2. Kor. 3,18). Wir sind gerettet und gerechtfertigt, und wir sind jetzt in einem Prozess der Veränderung, der Erneuerung und der Vervollkommnung. In Gottes Augen hängt mein Wert nicht von meinen Werken ab. Ich muss nicht unter dem Gesetz leben, sondern unter der Gnade. rechtfertigt: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matth. 5, 48). Ist das nicht genug? Ist das nicht die einzige Aufforderung, die wir brauchen? Dieser Text deutet sicherlich die Richtung an, in die wir gehen müssen. Das griechische Wort, das mit „vollkommen“ übersetzt wird, ist ‘teleios’ und bedeutet wörtlich ausgereift, ein vorgegebenes Ziel erreichend. Wir sind aufgefordert, reif und heilig zu sein. Paulus erkennt jedoch, dass noch keine Vollkommenheit herrscht: „Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören“ (1. Kor. 13,10). Eines Tages werden wir vollkommen sein, aber noch nicht heute. „Nicht, dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber so, als ob wir angenommen wären. mich so nervös und angespannt, dass ich manchmal keine gute oder zumindest befriedigende Arbeit tun kann. Zweitens bin ich oft nicht bereit, die Fehler zu riskieren, die nötig sind, um ein kreatives Stück Arbeit zu bewerkstelligen. Drittens hindert mich mein Perfektionismus daran, neue Dinge auszuprobieren und neue Entdeckungen zu machen, weil ich so damit beschäftigt bin, ungefährdet zu sein…“. Wenn man die Vor- und Nachteile aufschreibt, fängt man an zu sehen, dass die Kosten den Nutzen übersteigen. Wie können wir uns und anderen helfen, sich zu verändern, mehr wie Christus zu werden, reifer zu werden? Erkenntnis ist hilfreich, aber oft nicht ausreichend. Tatsächlich sind Perfektionisten sehr gut im Erkennen und Verstehen der Wurzeln ihres Problems, aber sie können nichts ändern und brauchen deshalb praktische Strategien als Hilfestellung. Weil uns die Kämpfe, die ein Perfektionist hat, um mit dem Leben zurechtzukommen, nicht fremd sind, kann es zu einer Balance kommen zwischen Mitgefühl und Herausforde- (2) Um zu versuchen, das gestörte rung, zwischen einer Umarmung und Alles-oder-Nichts-Denken umzuprogrammieren, bittet David Burns Perfektionisten „einen Tag lang zu überprüfen, ob die Welt in sinnvoller L’ABRI-AKZENTE 7 Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 8 Thema Weise gedeutet werden kann, wenn man nur die Kategorien ‘Alles’ oder ‘Nichts’ verwendet“. Sind diese Wände völlig sauber oder gibt es dort etwas Schmutz? Ist diese Person vollkommen hübsch oder total hässlich oder irgendwo dazwischen? Die Aufgabe zeigt normalerweise deutlich die Irrationalität dieses dichotomischen Denkens. (3) Führe eine tägliche Liste aller selbstkritischen Gedanken „der Gedanken, die von selbst entstehen, wenn jemand unter Druck ist. Du verlierst ein Tennisspiel und versinkst sofort in tiefste Verzweiflung, weil du denkst, vollkommen versagt zu haben. Du kochst ein Essen und es geht schief „das ist das Ende der Welt. Natürlich gibt es andere Wege, diese Dinge zu beurteilen, aber du musst zunächst erkennen, dass du gewöhnlicherweise so reagierst, um zu begreifen, dass du etwas ändern musst und dabei auf Hilfe von anderen angewiesen bist. Du brauchst kein Opfer deiner auto- gefordert werden im Blick auf das Bild, das sie von ihrer Gottesbeziehung haben, vor allem Annahme und Vertrauen betreffend. Sie müssen lernen, sich auf Tatsachen und nicht auf Gefühle zu verlassen. Ein gutes Beispiel für das verdrehte Denken des Perfektionisten geben Minirth und Meier: „John P. Workaholic fühlt sich unsicher in Beziehungen, auch in derjenigen zu Gott. Da die Liebe, die er von seinen Eltern erfahren hat, auf Bedingungen basierte, denkt er dasselbe von Gott. Dadurch hat er Probleme mit seinem Glauben und zweifelt an seiner Erlösung. Um diesem Zweifel zu begegnen, nimmt John einen extrem calvinistischen Standpunkt ein. Er hat ein überzogenes Verständnis von der Souveränität Gottes und glaubt, dass das Individuum absolut keine Verantwortung für sein Leben trägt. Natürlich ist die einzige Aufgabe des Menschen in Bezug auf die Errettung, an Jesus Christus zu glauben, doch John neigt dazu, darüber noch akzeptieren könnte, und er meinte, wenn er in Reue zu Gott käme, würde dieser irgendwie erwarten, dass er perfekt sein sollte. Der Therapeut ließ Tom in der Rolle Gottes vier Dinge zu einem imaginären Tom sagen. Erstens, „Tom Du bist nicht gut genug, dass ich dir vergebe“; zweitens, „Es ist dir möglich, gut genug zu werden, dass ich dir vergebe“; drittens, „Deine Errettung, Tom, hängt von deiner Anstrengung ab“; und viertens, „Tom, hiermit erkläre ich das Konzept der Gnade für ungültig.“ Diese halbhumorvolle Technik half Tom, sein falsches Verständnis von Gottes Gnade zu erkennen. Das Umfeld für Veränderung – eine andere Familie Wir stehen nicht allein im Kampf. Wir brauchen uns gegenseitig im Prozess der Heiligung und der Verän- Perfektionisten müssen herausgefordert werden im Blick auf das Bild, das sie von ihrer Gottesbeziehung haben, vor allem Annahme und Vertrauen betreffend. matischen Gedankengänge zu sein. Du kannst selbst agieren, indem du dich für einige Veränderungen entscheidest und gegen bestimmte Verhaltensmuster angehst. (4) Setze realistische Ziele. Die meisten Perfektionisten nehmen an, dass dann, wenn man sich die höchsten persönlichen Ziele setzt, dies auch zu den besten Leistungen führt. Aber sie haben diese Annahme niemals objektiv getestet. Athleten und Geschäftsleute, die nach Höchstleistung streben, bleiben oft darunter, doch wenn man das Durchschnittliche anvisierst, wird man häufiger Erfolg haben. (5) 8 L’ABRI-AKZENTE Perfektionisten müssen heraus- hinauszugehen „es gibt absolut keine menschliche Verantwortung. Dies hilft ihm, seine tiefsitzenden Unsicherheiten und Ängste, abgelehnt zu werden, zu kontrollieren. Tatsächlich bittet John jedoch im Stillen Gott allen Ernstes hundert Mal in sein Leben zu kommen, denn tief innerlich fühlt er nicht, dass Gott ihn ohne Bedingungen annehmen könnte. So denkt er wie ein Hyper-Calvinist, um von seiner Schuld befreit zu werden, aber er fühlt wie ein Armenier „von Gott angenommen nur auf der Basis von Bedingungen.“ Ein anderer Therapeut gibt ein Beispiel davon, wie er einem Patienten half, sich von diesem Bild Gottes zu befreien. Er ließ Tom die Rolle Gottes übernehmen. Tom konnte nicht glauben, dass Gott ihn so, wie er ist, derung. Dabei ist die Struktur der Kirche von besonderer Bedeutung. Individuelle Seelsorge alleine ist unangebracht. Ich glaube, dass es wichtig ist, kleine gemeinschaftliche Gruppe zu haben, in denen man sich angenommen fühlt, so, wie man ist. Es mag einige Monate oder auch Jahre dauern, bis wir so viel Vertrauen entwickelt haben, dass wir anderen Menschen zu sehen erlauben, dass wir gar nicht so perfekt sind, und bereit werden, diese Neigungen und die Schwierigkeiten des Lebens mit ihnen zu teilen. Wir müssen gemeinsam begreifen, wie Paulus, David oder andere ‘Männer Gottes’ mit dem Leben rangen. Wir müssen fähig werden zu Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 9 Thema akzeptieren, dass wir Fehler machen, dass wir nicht auf alles eine Antwort haben und dass wir manchmal in dieser unsicheren, gefallenen Welt handeln müssen ohne alle Konsequenzen unseres Handelns zu kennen. Wir müssen den Mut haben, aus unserem vorhersehbaren Lebensstil auszusteigen. In L’Abri lernen wir die Menschen, die zu uns kommen, recht gut kennen. Sie bleiben manchmal bis zu drei Monate am Stück und studieren mit uns, arbeiten mit uns, essen mit uns und nehmen auch ein Stück weit an unserem Familienleben teil. Diese Alltäglichkeiten helfen oft den Perfektionisten, aus ihren eingefahrenen Denkmustern auszubrechen. Der Staubsauger versagt und wir haben keinen zweiten, der funktioniert. Nachdem man im Garten Unkraut gejätet hat, bleibt dieser nicht lange so. Für ein Mädchen war Volleyball spielen die Befreiung von ihrem Perfektionismus. Es dauerte zwei Monate, sie zum und Vergebung anzunehmen, ist von entscheidender Bedeutung für den Heilungsprozess. Dies sind Themen für andere Vorträge. Gibson fasst den fortwährenden Kampf zusammen, indem er auf Salzmann’s Beschreibung der zwanghaften Persönlichkeit antwortet: „Das Wichtigste im Blick auf die Erneuerung unseres Denkens ist die Tatsache, dass wir beschränkte Säugetiere in einer gefährlichen Welt sind. Der zwanghafte Perfektionist sagt: ‘Ich werde die Beschränkungen nicht tolerieren. Ich will die Kontrolle haben. Ich kann die Kontrolle haben.’ Salzmann behauptet sehr kraftlos, dass wir unsere Beschränkungen akzeptieren müssen, dann werden wir zufrieden sein. Ein falscher Trostspender rät dem Zwanghaften: ‘Die Welt ist gar kein gefährlicher Ort, so wie du es fürchtest. Vertraue nur. Du wirst nicht verletzt werden.’ Aber das Christentum lehrt, dass wir begrenzt unseren eigenen Weg haben zu müssen, befreien. Wahre Freiheit finden wir, indem wir uns seinem Willen unterordnen.“ Gibson kommt zu dem Schluss: „Salzmann lässt uns zurück mit einem zynischen Achselzucken, doch das Evangelium der Gnade Gottes lässt uns zurück mit einem Lied: ‘verloren im Staunen, in Liebe und Lob’.“ Richard Winter Francis Schaeffer Institute Covenant Seminary St. Louis, USA Es gibt einen liebenden Gott, der alles zu einem Ende führt, das auch unser Wohl-ergehen beinhaltet. Er ist der, der zu dir sagt: ‘ICH BIN, deshalb brauchst du dich nicht zu fürchten.’ Mitspielen zu bewegen, aber irgendwann riskierte sie es. Ihre Angst bestand darin, abgelehnt zu werden, wenn sie nicht gut genug spielen konnte. Aber sie erkannte, dass sie akzeptiert wurde, auch wenn sie nur sehr mittelmäßig spielte. Diese Erfahrung half ihr, auch in anderen Lebensbereichen etwas zu wagen. Ein anderes Mädchen schrieb: „Ich wurde angenommen…, ich wurde frei, mein Bestes zu geben „ohne die lähmende Angst zu versagen oder abgelehnt zu werden.“ Zu lernen, ehrlich mit Verletzungen und Enttäuschungen, mit Schuld und Bitterkeit umzugehen, gehört ebenfalls zum Kern von Veränderung. Zu lernen, anderen zu vergeben sind, dass die Welt gefährlich ist „es ist nicht nur möglich, sondern sicher, dass man da draußen verletzt wird. Literatur: Aber das Christentum lehrt auch, dass wir das alles zulassen können, weil es nur ein kleiner Ausschnitt in einem größeren Bild ist. Es gibt einen liebenden Gott, der alles zu einem Ende führt, das auch unser Wohlergehen beinhaltet. Er ist der, der zu dir sagt: ‘ICH BIN, deshalb brauchst du dich nicht zu fürchten.’ Die Antwort liegt darin, sich dem lebendigen Gott unterzuordnen und diese Unterordnung wird uns von der Knechtschaft, Burns, David: ‘The Perfectionist’s Script for Self-Defeat’ in Psychology Today, Nov, 1980. Benner, David: Psychotherapy and the spiritual quest. Hodder and Stoughton, 1989. Gibson, Dennis: ‘The Obsessive Personality and the Evangelical’ in Journal of Psychology and Christianity, Vol.1, No.3. Horney, Karen: Neurosis and Human Growth. New York, Norton, 1950. Minirth, Frank and Meier, Paul: Happiness is a choice. Grand Rapids, Baker, 1978. Salzmann, Leon: Treatment of the Obsessional Personality. Übersetzung der „L’Abri Lectures No. 5“ L’ABRI-AKZENTE 9 Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 10 Biblische Impulse Gibt es eine biblische Hof Biblische Impulse Ein biblischer Impuls Ernst Bloch, der Marxist, schrieb ein Buch über „Das Prinzip Hoffnung“, Jürgen Moltmann eine „Theologie der Hoffnung“ und in vielen Kreisen liest man Bücher wie z. B. von Hal Lindsey und anderen, die eine ganz genaue Zukunftserwartung ausarbeiten. Überall geht es um die Frage, welche Hoffnung wir für die Zukunft unserer Welt haben. Die Hoffnungslosigkeit ist tief in der europäischen und besonders in der deutschen Kultur verwurzelt. Das erklärt, weshalb wir uns so sehr nach Hoffnung sehnen. Vielleicht verbergen es manche hinter Materialismus und Vergnügen, aber dennoch zweifeln sie, ob es eine Hoffnung für unsere Welt gibt – nach allem, was wir aus ihr gemacht haben; nach zwei Weltkriegen und dem Druck der technischen Entwicklung, die unsere Erde bedroht, nach dem Trauma Tschernobyl, der Bedrohung durch Atomwaffen und unserer ständigen Verschmutzung der Erdatmosphäre. Gibt es eine biblische Hoffnung für unsere Welt? Was ist die Zukunftserwartung der Christen? Die meisten Bücher zu diesem Thema handeln von der Zukunft der Menschen und der Zukunft der Christen im Himmel. Aber was ist mit der Erde? Ist nicht unsere ganze Welt gefährdet? Manche Christen meinen, das Feuer der Atombombe könnte das Mittel sein, mit dem Gott unsere Erde vernichtet, um dann die neue Erde, das Reich Gottes zu errichten. Sie glauben an den Weltuntergang und hoffen auf eine nagelneue Welt danach. Das klingt sehr bibeltreu. Aber stimmt das? Es gibt andere Christen, die behaupten, dass alles, was in der Bibel über das Feuer und das Gericht berichtet wird, 10 L’ABRI-AKZENTE altmodische und längst überholte Bilder sind, die aus der jüdischen Apokalyptik stammen. Auch hier stellt sich die Frage: Ist das biblisch? Ich glaube, wir müssen, wenn es um solche wichtigen Fragen geht, ganz vorsichtig sein und wirklich versuchen, die Bibel selbst sprechen zu lassen, anstatt unsere eigenen Standpunkte in sie hineinzulesen. In Römer 8,18–22 findet man meines Erachtens die schönste Beschreibung der Zukunft. Das Seufzen der Kreatur, wie Luther übersetzt, führt nicht zum Tod, sondern zur Geburt einer neuen Welt. Dieses Wort von Paulus ist gegründet auf Matthäus 19,28, wo Jesus selbst über die Wiedergeburt gesprochen hat. Wir denken immer, dass die Bibel Menschen meint, wenn sie über Wieder- Römer 8 18 Denn ich denke, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll. 19 Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden – nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, auf Hoffnung hin, 21 dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit frei gemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. (Elberfelder) geburt spricht, aber hier lesen wir etwas anderes: Jesus spricht von der Wiedergeburt der ganzen Welt. Etwas Ähnliches lesen wir auch im 1. Korintherbrief 15,52–55. Das Bild hier ist nicht das einer Frau in den Geburtswehen, sondern das eines Mannes oder eines Menschen, der ein altes Kleid ablegt und ein neues anzieht. Es handelt sich um ein Zitat aus Psalm 102,27. Dieses Bild hatte Jesus vor Augen, als er z.B. in Matthäus 24,35 über den Weltuntergang spricht. Das sind die biblischen Bilder des Verhältnisses zwischen dieser Welt und der zukünftigen. Es sind keine altmodischen Bilder. Sie sind ebenso wahr und trostvoll wie gestern. Aber diese Verheißungen lehren keinen Weltuntergang. Damit spreche ich diejenigen an, die dies immer geglaubt und nicht bemerkt haben, dass es sich um stoisches Heidentum handelt, das sie in die Bibel hineingelesen haben. Wenn ich über dieses Thema ins Gespräch komme, gibt es immer das gleiche Gegenargument: Ja, aber die Bibel lehrt uns doch ganz klar, dass unsere Welt sich im Feuer auflösen wird! (2. Petrus 3, 10) Wie kann man das verstehen im Licht dieser anderen Verse in Römer 8 und 1. Korinther 15? Sie scheinen einander auszuschließen – hat Petrus die Zukunft anders gesehen als Paulus? Ich bin überzeugt, dass die Schrift als gedankliche Einheit zu verstehen ist, durch Gottes Geist vermittelt, und es deshalb keine Uneinigkeit gibt. Hier kommt es auf die Übersetzung an. Die meisten Übersetzungen sind einer Interpretation von einem „Jüngsten Tag“ als „und die Erde und die Werke auf ihr Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 11 Biblische Impulse offnung für unsere Welt? puls von Wim Rietkerk Die Hitze, der Brand, von dem Petrus in diesem Vers schreibt, ist ein Feuer, das allen Schmutz und Abfall beseitigen wird. Es verbrennt das Schlechte, um alles Wertvolle hervorzubringen. So erscheint der Herr, sagt der Prophet Maleachi (Maleachi 3,2) und Petrus wiederholt es, nicht um die Erde zu verbrennen – denn dann hätte der Feind Gottes doch gewonnen – sondern um seine Schöpfung zu reinigen und zu retten. Er wird verbrennen, was nicht dazugehört. Er wird alles, was eigentlich am Anfang nicht gemeint war, den Flammen übergeben. Es ist wichtig zu verstehen, was Petrus mit den Elementen meint, die „vor Hitze zerschmelzen werden“. Wir denken dabei gleich an unseren Chemieunterricht: Wasser ist H2O, Wasserstoff und Sauerstoff sind chemische Elemente. Als Menschen des 21. Jahrhunderts haben wir sofort eine Vorstellung im Kopf von den Bestandteilen, aus denen unsere Welt aufgebaut ist. Und denken bei Petrus’ Worten an eine Kernexplosion wie beispielsweise Tschernobyl oder Hiroshima. Eine Angst einflößende Vorstellung, die natürlich das Ende der Welt nahe legt. Petrus hat keinen Moment an Elemente im chemischen Sinn gedacht. Das griechische Wort für „Elemente“ ist „stoicheia“. Die Wortstudie im Neuen Testament (Galater 4,3+9; Kolosser 2,8+20) verdeutlicht, dass das Wort negativ belegt ist. Unter diesen Elementen wurden Geistesmächte verstanden, die den Menschen gefangen hielten. Diese Mächte, die den Menschen unfrei machen, werden verbrennen – nicht die von Gott geschaffenen guten Strukturen und Elemente, sondern die störenden, die Gottes gute Schöpfung verdorben haben. Ich könnte hinzufügen: Ideologien, die die Menschen verführen, Krieg und Hass, Krankheiten und Tod. Dann werden endlich die Erde und die Werke, die darauf sind, „…ihr Urteil finden“ (2. Petrus 3,10 Luther). Griechischen identisch mit einem Jubelruf. Die gleichen Worte stehen im Gleichnis vom verlorenen Sohn: „…denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden“ (Lukas 15,32b Elberfelder). Dies hat einen sehr fröhlichen Klang: Die Erde und die Werke darauf gehen nicht verloren. Wir gehen, wenn wir Christen sind, durch das Feuer von Gottes Heiligkeit, und dabei wird alles verbrannt, was ihm nicht würdig ist. Das wird vieles sein, was wir in eigenem Ruhm und Egoismus aufgebaut haben. Aber alles, was in Gottes Augen Ewigkeitswert hat, gehört dazu – vor allem unsere Persönlichkeit wird durch das Feuer hindurch geläutert und gereiDer Ausdruck für „finden“ ist im nigt. Petrus beschreibt eine Zukunftserwartung, die voller Hoffnung ist. Und wenn Jesaja über die zukünftige Welt 1. Korinther 15 spricht, kommt uns die Schöpfung, 52 und das plötzlich, in einem Au- wie sie in den ersten Tagen war in den genblick, zur Zeit der Sinn (Jesaja 11, 6+7). letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. 53 Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. 54 Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht (Jesaja 25,8; Hosea 13,14): „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. 55 Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (Luther) Johannes schreibt in seiner Offenbarung über das neue Jerusalem, den neuen Himmel und die neue Erde. Im Griechischen gibt es zwei Wörter für „neu“, die leicht unterschiedliche Bedeutungen haben. Das erste Wort für „neu“ ist „neos“ und bedeutet nagelneu, z. B. im Sinne eines neugeborenen Babys. „Kainos“ hingegen, das zweite Wort für „neu“, wird benutzt, um eine Erneuerung auszudrücken – eine Erneuerung von etwas, das sich von seinem eigentlichen Zweck entfremdet hat. Immer wenn im Neuen Testament über die neue Schöpfung, die neue Erde oder das neue Jerusalem gesprochen wird, steht „kainos“ im griechischen Urtext. Die Wälder werden bleiben, aber ohne sauren Biblische Impulse werden zerstört“ gefolgt. Es ist verständlich, dass einige Übersetzer zu dieser späteren Übersetzung kamen, denn sie wollten den letzten Satz von Vers 10 mit dem vorangegangenen harmonisieren. Sie dachten, wenn der erste Teil über Zerstörung spricht, kann der zweite Teil ihm nicht widersprechen und sollte ähnlichen Inhalt haben. L’ABRI-AKZENTE 11 Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 12 Biblische Impulse L’Abri live Regen, und die Seen werden frisches Wasser haben – alles wird erneuert! Auch das gesamte Alte Testament betont, dass Gottes Werk, seine erlösende Macht, diese Erde erneuern wird, sie von Sünde reinigen und den Tod überwinden wird. Er ist seiner Schöpfung treu. Das beste Bild, das ich kenne, um diese Verwandlung der Welt zu verdeutlichen, sind die Beschreibungen Jesu nach seiner Auferstehung. Jesus war nicht völlig anders. Die Menschen erkannten ihn (Lukas 24,31, Johannes 21,7). Und doch war er zur gleichen Zeit außerhalb von Zeit und Raum aller Geschöpfe. Er konnte einen Raum betreten, obwohl alle Türen verschlossen waren (Johannes 20,19). Aber es gab auch Momente, wo selbst seine Jünger ihn nicht erkannten (Johannes 21,3) – hervorgerufen durch seine Erhabenheit, Würde und seine „andere Weltlichkeit“, die sie so beeindruckte, dass sie nicht wagten, ihn zu fragen, wer er war, obwohl sie zur gleichen Zeit wussten, dass er es war (Johannes 21,12). Der Hebräerbrief schreibt von der „…Verwandlung der ganzen Schöpfung, die erschüttert wird, damit nur das Ewige bleibt“ (Hebräer 12,27 – Neues Leben). Diese Welt muss durch eine Transformation gehen und das Aussehen wird verwandelt. Wir werden staunen, wie es möglich ist, dass alles, was wir hier zu Gottes Ehre getan haben, dann sichtbar sein wird. Das sah Johannes in Offenbarung 21,24, wo steht, dass die Völker ihre Schätze in das neue Jerusalem tragen. Und dieses Wissen bestärkte den Apostel Paulus darin, die Gemeinde zu effektiver Arbeit und zu einem heiligen Lebenswandel aufzurufen. Es macht einen Unterschied, ob wir glauben, dass es einen kompletten Bruch und eine völlige Diskontinuität geben wird oder dass Gott hier eine neue Stadt bauen wird, mit Steinen, die hier gebrannt wurden, 12 L’ABRI-AKZENTE sodass es auch Kontinuität gibt. Es macht einen Unterschied, ob wir an eine neue Periode glauben, die uns von der Erde weg in ein himmlisches Leben führt, oder an eine Einheit von Gottes Erlösungsplan und dass es in jeder Periode in unterschiedlichen Zeiten von Gottes Bund mit seinen Menschen, ein und derselbe Herzenswunsch von Gott ist, dass seine Schöpfung schließlich wiederhergestellt und verherrlicht werden soll. Es gibt einen Grund, effektiv zu arbeiten; es gibt einen Grund, sich über die Werke unserer Hände zu freuen. Das normale Leben, mit allem, was dazugehört – Arbeit, Kindererziehung, Essen, Trinken, wissenschaftli- Lukas 24 31 Ihre Augen aber wurden aufgetan, und sie erkannten ihn. (Elberfelder) Hebräer 12 27 Das deutet auf eine Verwandlung der ganzen Schöpfung, die erschüttert wird, damit nur das Ewige bleibt. (Neues Leben) Offenbarung 21 24 Und die Völker werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie (die Stadt) bringen. (Luther) 1. Korinther 15 58b Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. (Luther) chem Arbeiten, Garten-arbeit, Schule – alle Dinge, von denen wir uns manchmal fragen, wofür wir das tun, und die uns, wenn wir zurückblicken, manchmal zum Fragen bringen, „Wofür war das alles?“ – nach Gottes Verheißung hat das alles seinen Wert. Was wir hier als Nachfolger Jesu zu Gottes Ehre getan haben, das geht, sagt Petrus, nicht verloren. Deshalb haben wir guten Mut und können verstehen, warum Paulus mit soviel Nachdruck gesagt hat, „…dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn“ (1. Korinther 15,58b, Luther). Was wir in den hier genannten Bibelstellen lesen, ist nicht ein hoffnungsloser Bericht über den Untergang der Welt. Die Bibel spricht von ihrer Verwandlung. Damit ist zwar eine Krise verbunden, aber eine hoffnungsvolle. Es ist nicht wahr, dass diese Welt ewig weiterexistiert und immer besser wird. Oder wie die östlichen Religionen glauben, dass alles sich immer wiederholt. Es ist auch nicht wahr, dass diese Welt hoffnungslos verschwindet, so wie die Perser, die Stoiker und die Griechen es glaubten. Viele Menschen, mit denen wir zusammen leben, sind von diesem Denken beeinflusst. Die biblische Zukunftserwartung ist eine andere. Die ganze Bibel lehrt uns, dass Gott die Welt gut gemacht hat und dass er seitdem der Schöpfung treu geblieben ist. Er hört nicht auf, bis er die ganze Schöpfung verwandelt hat. Unsere Zukunft ist nicht im Himmel, sondern auf dieser Erde. Eine Hoffnung, die so sicher ist, wie Christus vor 2000 Jahren für eine ungläubige Welt ans Kreuz ging. Wir warten auf die Auferstehung als begründete und sichere Hoffnung. Wir erwarten mit Spannung die Wiederkunft von Jesus Christus. Wir sollen und können Zeichen der Hoffnung sein. Akzente I 2005 14.08.2005 21:41 Uhr Seite 13 L’Abri live deconstructing hollywood An den Abenden erschienen zwischen drei und 15 Gästen und sehr schnell wurde deutlich, wie wichtig ein kleines ‘Marketing’ ist, wenn man unregelmäßige Termine hat. Ursprünglich war ein 2-Wochen-Rhythmus geplant, doch es zeigte sich, dass ein Filmabend im Monat weitaus realistischer ist. Für die Vorbereitung eines Filmabends kann ich das Buch „Eyes Wide Open: Looking for God in Popular Culture“ von William Romanowski (Grand Rapids, MI: Brazos Press; 2001) sehr weiterempfehlen. Für die anschließenden Diskussionen waren die Fragen und Reviews von Denis Haack (www.ransomfellowship.org) sehr hilfreich. Ein guter Startpunkt für Recherchen stellt die Internet-Movie-Database www.imbd.com dar, die englische Version ist viel umfangreicher als die deutsche Mit diesem Flyer-Text haben wir seit März 2004 sechs (www.imbd.de). Vor allem die Links unter ‘external Mal zu „Deconstructing Hollywood“, dem Filmabend bei reviews’ führen zu einer Fülle von interessanten Kritiken. den Jesusfreaks Hannover eingeladen. Bisher wurden Um sich wöchentlich informieren zu lassen, sei auf den folgende Filme gezeigt: Newsletter unter www.angelaufen.de hingewiesen. Und noch ein Tipp: www.hollywoodjesus.com. ✘ Nicht auflegen (Joel Schumacher) Filmabende stellen eine großartige Möglichkeit dar, mit Nichtchristen ins Gespräch über den Glauben zu kom✘ Magnolia men. Um Abende dieser Art zu starten, muss man kein (P.T. Anderson) großer Film-Analyst sein. Wer allerdings den Gedanken ✘ Chocolat hat, „hoffentlich merkt keiner, dass ich gar nicht so viel (Lasse Halström) weiß“, der sollte einen Blick in den Artikel über Perfektionismus werfen… ✘ Ein unmögliche Härtefall (Coen-Brüder) Christian Weißenborn „Was wir in Filmen sehen, ist nicht Realität, sondern ein Bild der Realität, ein Modell von ihr oder für sie. Und die Darstellung dieser Realität hängt entscheidend vom Weltbild des Filmemachers ab, in das er uns einen kleinen Einblick gewährt. Egal, ob er Christ ist oder nicht, er lebt in der von Gott geschaffenen Welt und macht Aussagen über sie. Diese Gedanken wollen wir betrachten, indem wir gemeinsam einen Film ansehen und anschließend versuchen, alles aus ihm herauszukitzeln was geht: Welche Sicht der Welt spiegelt der Film wider? Welche Eigenschaften dieses seltsamen Wesens Mensch werden beleuchtet? Wie passt das zu meinem persönlichen Weltbild?“ ✘ Lost in Translation www.jesusfreakshannover.de (Sofia Coppola) ✘ Artificial Intelligence (Steven Spielberg/Stanley Kubrick) L’ABRI-AKZENTE 13 Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 14 Neulich in L’Abri … L’Abri live Seit fast zwei Monaten bin ich mit meinem Mann Christian und meiner Tochter Amelie im holländischen L’Abri. Voraussichtlich werden wir drei Terms, sprich bis Mitte Dezember, hier bleiben. In diesem Term sind wir ganz normale Studenten, die allerdings „nebenbei“ ein Kind zu versorgen haben. Ab April erwarten uns die HelperAufgaben, das heißt, die Wäsche der Studenten zu waschen, Tee und Kaffee für die Pausen zuzubereiten und bei den Mahlzeiten zu helfen. Ich bin mehr als ich schreiben kann dankbar und glücklich darüber, dass wir gemeinsam und für ein ganzes Jahr lang hier sein dürfen. Dazu beigetragen hat auch die Bundesregierung, die vor ein paar Jahren die gemeinsame Elternzeit beschlossen hat ;-) Das bedeutet, dass nicht nur ein Elternteil Elternzeit beantragen kann, sondern beide gleichzeitig – ohne dass sich der Zeitraum von drei Jahren dadurch verringert! Nachdem auch unsere Arbeitgeber zugestimmt haben, dürfen wir nun also Amelies zweites Lebensjahr und L’Abri gemeinsam genießen. Gott hat das klasse arrangiert! Nach mehreren Jahren Büro und dreizehn Monaten Windeln haben wir uns Mitte Januar förmlich ins Studium gestürzt. Da wir uns die Zeit teilen müssen, wird jede Minute umso kostbarer. Aber zum Glück gibt es ja auch noch jeden Mittag während des Essens eine heiße Diskussion (heute beispielsweise über die Frage, ob es Situationen gibt, in denen wir wirklich aus freiem Willen handeln) und mindestens eine Lecture in der Woche. Zurzeit sind wir in der Regel sechs bis acht Studenten, an den Wochenenden kommen weitere aus dem Umland. Darüber hinaus findet in jedem Monat ein Themenwochenende statt. Zwei Dinge, ohne die ich mir L’Abri kaum vorstellen kann, sind gutes Essen und gute Filme. In welcher Reihenfolge auch immer. Deshalb schlage ich vor, Ihr ladet Euch drei oder vier Freunde ein, kocht Ihnen dieses leckere ägyptische Gericht und schaut Euch folgenden Film an. So habt ihr einen waschechten L’Abri-Abend zu Hause. Besser als ich es jemals beschreiben könnte. Und nicht vergessen: Anschließend über den Film diskutieren! Ruth Weißenborn Im holländischen L’Abri leben und arbeiten Henk und Riana Reitsema mit ihren Kindern Babette und Ariella, Beryl Gibbins sowie Robb und Christa Ludwick mit den Zwillingen Emily und Ruben. 14 L’ABRI-AKZENTE Ruth und Christian Weißenborn mit ihrer Tochter Amelie Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 15 L’Abri live Koshari Ein Rezept von Christa Ludwick für 6-8 Personen Reis und Linsen 2 EL Öl 1 1/4 cup Linsen 3 cup kochendes Wasser und 1 TL Salz oder Brühe Pfeffer 1 1/2 cup Reis 1 cup Wasser oder Brühe Gebräunte Zwiebeln 3 Zwiebeln 4 Knoblauchzehen 2 EL Öl abschmecken und weitere 10 Min. ohne Deckel bei mittl. Hitze köcheln lassen. Mit einrühren und 25 Min. mit Deckel bei ger. Hitze zugedeckt weich kochen. (klein geschnitten) (klein geschnitten) Dazu passt hervorragend eine Sauce aus Joghurt, Gurke, Knoblauch und Salz. zusammen erhitzen und bei geringer Hitze 20-30 Minuten kochen. Eet smakkelijk! In Ringe schneiden und mit (zerdrückt) in goldbraun anbraten. In diesem Jahr feiert L’Abri sein 50jähriges Jubiläum. Damals haben Francis und Edith Schaeffer in der Schweiz mit ihrer L’AbriArbeit begonnen. Da die Gastfreundschaft eine zentrale Rolle in der täglichen L’Abri-Arbeit spielt, erscheint Mitte März ein Jubiläums-Kochbuch. Riana Reitsema hat aus Rezepten früherer und aktueller L’Abri-Mitarbeiter ein kleines Kochbuch zusammengestellt, das zwar in Englisch geschrieben, aber sehr einfach und strukturiert aufgebaut ist und sowohl amerikanische als auch europäische Maßangaben enthält. Das Kochbuch kostet 10 Euro. Vergiss mein nicht! Eine Filmkritik von Robb Ludwick Dieser kreative und interessante Film ist der bis jetzt zugänglichste Film von Drehbuchautor Charlie Kaufman, aus dessen Feder auch Being John Malkovich und Adaptation stammen. Während dieser Film Gebrauch macht von derselben ungebräuchlichen Präsentation, die auch seine anderen Filme auszeichnet – nicht nur hin und her springen in der Zeit, sondern auch hinein in die Gedanken und wieder heraus – bleibt die Erzählung in diesem Fall zum Glück einfach und direkt. Es geht um Liebe als eine gute und schöne Möglichkeit für Menschen, die Einsamkeit kennen, aber auch um die Mühe, die Intimität mit sich bringt. Joel und Clementine begegnen sich im Zug. Trotz des romantischen Beginns ihrer Beziehung erlischt diese sehr schnell wieder, wobei Clementine außerdem Gebrauch macht von einer neuen Technologie, um Joel aus ihrem Gedächtnis streichen zu lassen. Joel kann dies nicht ertragen und beschließt, sich derselben Prozedur zu unterziehen. Allerhand ernsthafte und komische Momente verdeutlichen, dass er dadurch nicht nur alle Schmerzen entfernt, sondern auch alle Freude und – soviel kann ich sagen ohne das Ende zu verraten – während dieses Prozesses kommt eine Tatsache ans Licht: das romantische Ideal ist eine Illusion. Denn wenn du dein Herz für jemanden öffnest, machst du dich selbst verwundbar. Das wirft die Frage auf, ob nicht die Liebe unwiderruflich stirbt, wenn wir alle schlechten Dinge von einander wissen. Oder können wir uns dennoch für einander entscheiden? Mehr noch, ist das nicht der einzige Weg, wie echte Liebe (und echte Romantik) überhaupt möglich ist? Aber wie können wir das? Gewohnt positiv denken? Die Bibel gibt hierauf eine gute Antwort: Wir wissen, dass wir einander vergeben können durch das Vorbild und die Kraft von Jesus selbst. Sonst werden unsere Beziehungen dazu verdammt sein, seicht zu bleiben. Glücklicherweise schließt diese Antwort an die Sehnsüchte der Hauptdarsteller an, so dass ein hoffnungsvolles Ende kein Märchen zu sein braucht. Neulich in L’Abri … Für die Tomatensauce _ cup Tomatenmark 3 cups Tomatensaft 1 grüne Paprika Stangensellerie inkl. Grün 1 EL Zucker 1/2 TL Salz 1 TL Kreuzkümmel 1/4 TL Cayennepfeffer Erhitzen hinzufügen fünf Minuten lang unter Rühren bräunen hinzufügen und mit Vergiss mein nicht! Eternal Sunshine of the Spotless Mind. USA 2004. R: Michel Gondry. B: Charlie Kaufman. D: Jim Carrey, Kate Winslet, Kirsten Dunst, Tom Wilkinson u.a. 108 Min. L’ABRI-AKZENTE 15 Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 16 L’Abri live Richard, seit wann arbeitest Du im Schweizer L’Abri? Erzähl uns von Dir und Deiner Familie … Ich kam mit meiner Familie im Januar 2000 hier an und begann im Juli desselben Jahres als „Worker“ zu arbeiten. Wir kommen aus Kanada und haben zwei Kinder: Alexis ist 8 und Simon 5. Wieso arbeitet Ihr in L’Abri? Karen und ich haben uns 1993 als Studenten hier kennen gelernt, und wir haben beide hier sehr wichtige Erfahrungen gemacht. Karen war nur einen Monat lang hier, ich dagegen für 8 Monate. Ich habe hier zu einem Glauben zurückgefunden, den ich 7 oder 8 Jahre lang völlig hinter mir gelassen hatte. Dieser Ort hat auf das Leben von uns beiden eine entscheidende Wirkung gehabt. Ich für meinen Teil wollte wieder hierher kommen, weil ich gemerkt habe, dass es bei uns zu Hause sehr wenig Orte gibt, wo Menschen die Fragen stellen können, wie man sie hier stellen kann. Ich habe den Eindruck, dass L’Abri hier eine Lücke ausfüllt, und ich möchte versuchen, mit Menschen zu arbeiten, die die gleiche Art von Schwierigkeiten haben, die ich gehabt habe. 16 L’ABRI-AKZENTE Welche Arten von Schwierigkeiten waren denn das? weil es mein Eindruck ist, dass sich die Auseinandersetzung in der Postmoderne zu einem großen Teil im Bereich der Ethik abspielt. Die traditionellen Grundlagen der Ethik sind dekonstruiert worden (zu Recht, meine ich), und heute versuchen nun viele, auf einer anderen Grundlage wieder eine Ethik aufzubauen. Ich finde diesen Fachbereich sehr interessant, und ich meine auch, dass es da Berührungspunkte mit einer christlichen Ethik gibt. Ich arbeite über Charles Taylor, einen kanadischen Landsmann und Philosoph, und dessen Einordnung der gegenwärtigen Diskussion. Ich beabsichtige, die Sache von einem ausdrücklich evangelikalen Standpunkt aus anzugehen. Ich als Pfarrerssohn hatte als Teenager eine enorme Desillusionierung erlebt, was das Christentum betrifft, und war zutiefst zynisch geworden. Mit Anfang 20 habe ich überhaupt nicht mehr an Gott geglaubt. Für die nächsten sieben Jahre habe ich mein Leben geführt, als ob es keinen Gott und folglich auch keine moralische Norm gibt. Nach einer langen Serie von selbstzerstörerischen Handlungen kam ich dann an einen Punkt, an dem ich bereit war, mich noch einmal mit dem Christentum auseinanderzusetzen. Ich hatte die Hoffnung, es jetzt ein für allemal abhaken zu können. In L’Abri merkte ich, dass ich dazu nicht in der Lage war, und fand während der acht Monate Was die Studenten aus Europa betrifft: Erlebst Du, dass es da dort zurück zum Glauben. Unterschiede in der Denk- und Ich habe gehört, dass Du Philosophie Lebensweise gibt? Kommen die mit Problemen und Sachen, die studiert hast. Gibt es da einen für Dich fremd sind? bestimmten Bereich, in dem Du arbeitest? Woran arbeitest Du im Meiner Erfahrung nach gibt es da Moment? keinen großen Unterschied in den Ich habe einen Master in Philosophie Fragen, die europäische Studenten und arbeite zur Zeit neben meiner stellen. Die Leute stellen meistens Arbeit für L’Abri an meiner Doktor- Fragen aus der Perspektive ihres arbeit in Philosophie an der London evangelikalen Hintergrunds. Ich habe School of Theology. Mein Forschungs- festgestellt, dass es im Evangelibereich ist die postmoderne Ethik, kalismus in Nordamerika, Europa, Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 17 L’Abri live L’Abri füllt die Lücke … Interview mit Richard Bradford, Mitarbeiter im Schweizer L’Abri Australien und Neuseeland große Ähnlichkeiten gibt. Es mag überall regionale Eigenheiten geben, die aber nicht so anders sind, dass sie für mich fremd wären. Ich würde aber sagen, dass die europäischen Studenten eher ein bisschen älter und ernster bei der Sache sind als die Studenten aus anderen Teilen der Welt. lich unter sich. Wenn wir besser französisch könnten, wäre das einfacher, aber sogar diejenigen Freunde von uns, die französisch können, haben nicht viel mehr Kontakt. Der wenige Kontakt, den wir zu den Dorfbewohnern haben, ist aber im allgemeinen sehr gut. Sie haben sich an uns gewöhnt und wir respektieren sie auch, so sehr es uns möglich ist. haben. Wann immer möglich, fahren wir sonntags zu einer englischsprachigen Gemeinde hinunter ins Tal. Wisst Ihr schon, wie lange Ihr noch in L’Abri bleiben werdet? Gibt es schon Pläne für die Zukunft? Wir haben noch überhaupt keine Ahnung, wie lange wir hier sein werden. Sagen wir es so: wir haben Habt Ihr Kontakt zu den In unserer Gegend gibt es aber durch nicht die Absicht abzureisen. einheimischen Schweizern? die englischsprachigen Internate eine Was haltet Ihr so voneinander? große Gruppe von „Exilierten”, so Das hören wir gerne! Wir haben nicht viel Kontakt zu den dass wir viele Kontakte außerhalb von Vielen Dank für das Gespräch! Einheimischen. Diese bleiben ziem- L’Abri, aber eben eher zu Engländern Jutta Schäfer L’ABRI-AKZENTE 17 Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 18 L’Abri live Ein Wohnzimme oder: Das L'Abri-Wochenende 2004 in F Ein Wohnzimmer in Bayern. Drei Männer sitzen um den Mann 1: Wohnzimmertisch, drei Gläser, eine Flasche Wein vom Mann 2: Lidl, optisch misslungene Kokosmakronen mit Schokoladenüberzug stehen darauf. „Den Film fand ich gut [Adaptation].“ „Was haben wir bis jetzt denn schon geschrieben? Vielleicht ist das ja schon die Seite?“ „So, was schreiben wir jetzt über das L'Abri-Wochenende?“ Mann 2: „Wir schreiben einfach über unsere Fahrt dorthin, und bei welchem McDonald’s wir angehalten haben.“ Mann 1: „Was steht denn in dem anderen Heft [Akzente von März 1999]?“ Mann 3: „‘Freienseen – ein kleiner Ort in leicht hügliger Landschaft in der Nähe von Gießen…’“ Mann 2: „Na ja, das brauchen wir eigentlich nicht schreiben, das weiß ja jeder, der da war.“ Mann 3: „Ich würde gerne drin haben, dass wir einen Baum umgesägt haben. Oder war’s ein Strauch? Wie lange ist das denn eigentlich schon her?“ Mann 2: „Mitte Oktober? Ende September? Vielleicht sollten wir das Datum noch mal rauskriegen.“ Mann 1: „Vom 15.-17.Oktober.“ Mann 1: „Okay, soll ich mal vorlesen, was ich bisher geschrieben habe?“ Der gesamte obige Text wird erneut vorgelesen. Bei manchen Passagen Gelächter. „Also ich finde, wir sollten jetzt mal wirklich schreiben, was die Leute lesen wollen. Inhalt, nicht nur Erlebnis.“ Mann 3: „Ich hatte meines doch vorhin schon mal erwähnt – die freundliche Aufnahme! Das fand ich wirklich! Und wir müssen auch reinbringen, dass es über Pluralität ging. Pluralität feiern oder so was.“ Dem voraus ging am Freitagabend der einleitende Vortrag von Henk Reitsema (L’Abri Holland) zum Thema „Strangers, Politics and Hospitality – A look at plurality in our society“. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie wir mit der Pluralität in der heutigen Gesellschaft im Hinblick auf Fremdenpolitik und Gastfreundschaft umgehen. Henk ging zunächst auf unterschiedliche Bedeutungen ein, die der Begriff Pluralität beinhalten kann, Mann 1: Mann 3: „Oh, das ist brutal. So wie es halt ist.“ Mann 2: „Viel zu ehrlich. Aber wenn wir das ganze so schreiben, dann lesen sie das durch und wir bekommen eine Mail ‚Sie dürfen leider nicht mehr bei L’Abri teilnehmen.’“ Mann 2: „Wenn die Leute das lesen, dann steht ja darüber „Bericht vom Wochenende“. Aber wir machen ja gerade einen Bericht von unserem Treffen!“ Mann 3: „Ja! Adaption!“ Mann 2: „Genau. Der Bericht vom Bericht, der Film vom Film. Das Making Of.“ Mann 3: „Dann kannst du ja gleich zum Film überleiten.“ Die Filmbesprechung zu „Adaption“ nach dem Skript von Donald Kaufman (fiktiver Charakter) und Charlie Kaufman (wirklicher Skriptschreiber) war eines der herausragenden Der gesamte obige Text wird vorgelesen. Bei manchen Ereignisse dieses Treffens. Dieser Film handelt davon, Passagen Gelächter. wie ein Skriptschreiber versucht, die Adaption von einem Buch zu schreiben, das wirklich existiert, und das wieMann 1: „Also entweder kommt das richtig gut an, derum selbst von einem realen Ereignis berichtet. Und oder überhaupt nicht.“ der Zuschauer merkt plötzlich, dass er mit dem Film Mann 2: „Du hättest länger mitschreiben sollen.“ „Adaption“ das Ergebnis dieses Prozesses des Skriptschreibens vor sich sieht. Es folgt ein kurzes Gespräch darüber, ob Mann 2 am nächsten Tag in die Kirche geht oder nicht. Die Laut- Der Film ist somit sehr komplex. Das Ende des Filmes ist stärke des Notebooklüfters wird ebenso diskutiert. genau so, wie es ein Charakter im Film fordert, damit der Des weiteren, ob das dritte Lied oder ein anderes von ir- Zuschauer auch ein Ende sehe, dass ihm gefalle. Und so gendeiner Platte besser ist. ist es dann auch. Mann 1: 18 L’ABRI-AKZENTE Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 19 L’Abri live mer in Bayern n Freienseen. einerseits als religiöse bzw. weltanschauliche Pluralität, andererseits als die Verschiedenheit von Kulturen. Ausgehend von der griechischen Polis folgte ein Streifzug durch die Geschichte der Gesellschaftsformen, um aufzuzeigen, wie sich das Konzept des Staates entwickeln konnte, der durch seine Abgrenzung gewissermaßen automatisch eine Einschränkung der Pluralität mit sich bringt. Es stellt sich die Frage, welche Stellung wir hier als Christen zu politischen Themen wie beispielsweise Einwanderungspolitik und EU-Erweiterung einnehmen sollen. Anhand eines weiteren Streifzuges, diesmal durch die Bibel, zeigte Henk, dass Gott immer wieder dazu ermutigt, Fremde aufzunehmen und sich um sie zu kümmern. Allerdings ohne dabei die eigene Identität aufzugeben – Pluralität feiern eben! Am Sonntag fand das Wochenende seinen Abschluss mit einem Gottesdienst und einer Predigt von Wade Bradshaw zum 14. Kapitel der Apostelgeschichte, in dem Paulus und Barnabas nach Lystra kommen. Nachdem ein Wunder geschieht, versuchen die Menschen, Paulus und Barnabas als Hermes und Zeus anzubeten und ihnen Opfer zu bringen. Beide gehen gegen dies vor und weisen auf Gott hin. Sie erklären, dass Gott niemand ohne sein Zeugnis gelassen hat, denn man kann ihn durch die Freude und Versorgung erkennen, die er allen Menschen dieser Erde gibt. Wade forderte uns heraus, nicht darauf zu warten, bis es Leuten schlecht geht, bevor man ihnen mit dem Evangelium begegnet. Es kommt nicht primär darauf an, wie es jemandem geht, sondern ob das, woran man glaubt wahr ist. Sind wir bereit, die gleichen Konsequenzen zu tragen wie Paulus, wenn wir die Am Samstagmorgen sprach Wade Bradshaw (L’Abri Wahrheit predigen? England) über „The Eclipse of Doctrine – How do you deal in a society when doctrine is lost?“ (Der Niedergang Sehr auffällig an diesem Wochenende, das für uns von Doktrin/Lehre – Wie verhält man sich in einer konkret das erste Wochenende dieser Art, und auch Gesellschaft, in der Doktrin/Lehre nicht mehr existiert?) insgesamt die erste Begegnung mit L’Abri als GemeinHier wurde die Ablösung von Doktrin durch Ethos schaft gewesen ist, war die offene und interessierte Atmoin unserer Gesellschaft thematisiert. Der Schwerpunkt sphäre, die dort herrschte. Zu den sehr abwechslungsliegt heutzutage nicht mehr in der Frage, was man glaubt, reich und philosophisch gestalteten Mahlzeiten hatten sondern wie man glaubt, welche Beziehungen man hat wir im Laufe der drei Tage Gelegenheit, mit fast jedem und was man fühlt. Die christliche Antwort sollte in der Teilnehmer oder Mitarbeiter zu sprechen. Es herrschte Integration von Wissen und Emotionen liegen, was so einfach ein Interesse am Anderen und eine Freude am viel bedeutet wie Weisheit, welche das Ziel einer guten Gespräch. Theologie sein sollte. Müssten wir einen abschließenden Kernsatz dieser Zeit Am Nachmittag war praktisches Arbeiten (Bäume fällen, nennen, würde er lauten „Well that’s a very good question.“ Möbel schleppen, Laub rechen …) angesagt, so wie auch Denn auch in Freienseen wurde deutlich, dass L’Abri ein in L’Abri-Zentren das Denken und die Arbeit miteinander Ort ist, an dem Fragen willkommen sind und geschätzt einhergehen. werden. Anschließend wurden Workshops zu unterschiedlichen Vielen Dank an die Organisatoren und Teilnehmer, dass Themen angeboten: dieses Wochenende so außergewöhnlich wurde, wie es a) ‘Warum hassen wir Predigten?’ mit Wade Bradshaw für uns war. b) Besuch der lokalen Schule, die nach dem Jenaer Prinzip (von Peter Petersen) aufgebaut ist mit Eva Walldorf Ben Blachnitzky c) eine Gesprächsgruppe mit Jochen Walldorf über Dietrich von Harsdorf Markus Thiel „die dreifache Kunst Gott zu erleben“ (nach Christian Schwarz) und zuletzt d) eine Gruppe, die sich unter Anleitung von Henk Reitsema mit verschiedenen Religionen auseinandersetzte. L’ABRI-AKZENTE 19 Akzente I 2005 14.08.2005 21:42 Uhr Seite 20 L’ Abri international Australien Kanada USA/Southborough L’Abri Fellowship Australia, 10 River Rd, Elderlie NSW 2570, Australia Tel.: (0061) 2-46-580227 eMail: [email protected] L’Abri Fellowship Kanada RR#1Q-8 511 Cowan Road Bowen Island, BC Canada VON 1GO Tel.: (001) 604-947-6986 Fax: (001) 604-947-6987 eMail: [email protected] L’Abri Fellowship, 49 Lynbrook Road, Southborough, MA 01772, USA Tel.: (001) 508-481-6490 Fax: (001) 508-460-5021 eMail: [email protected] Mitarbeiter: Dick and Mardi Keyes Joe and Sue Morrell Mark and Terri Ryan Mitarbeiter (Resource Center): Frank and Heather Stootman Doug and Maggie Curry Terms: bitte direkt anfragen Kosten: 25 $/Tag Mitarbeiter: Terms: 18.5.-2.8./2.9.-16.11. Kosten: 20 US Dollar/Tag Korea England L’Abri Fellowship, The Manor House, Greatham, Liss, Hants. GU33 6HF, England Tel.: (0044) 1420-538 436, Fax: (0044) 1420-538 432 eMail: [email protected] L’Abri Fellowship, 169-6 Nonhwari, Seomyon Yangyang Kangwondo, 215-814 Korea Tel.: (0082) 33-673-0037 eMail: [email protected] Terms: 25.7.-14.8./23.9-2.12. Kosten: 15-25 Won/Tag L’Abri Fellowship, 1465 12th Ave. NE, Rochester, MN 55906-4383, USA Tel.: (001) 507-536-0108 Fax: (001) 507-282-0108 eMail: [email protected] Mitarbeiter: Andrew and Helen Fellows Wade and Chryse Bradshaw Dawn Dahl Edith Reitsema Jeff and Heather Bryden Terms: 15.4.-21.7./26.8.-8.12. Kosten: 14 englische Pfund/Tag Mitarbeiter: Holland Schweiz L’Abri Fellowship, Kromme Nieuwe Gracht 90, 3512 HM Utrecht, Holland Tel./Fax: (0031) 30-2 316 933 eMail: [email protected] oder: Huize Kortenhoeve, Burgemeester Verbrughweg 40, 4024 HR Eck-en-Wiel, Holland Tel.: (0031) 34-4 691 914 eMail: [email protected] L’Abri Fellowship, Chalet Bellevue, 1884 Huémoz, Schweiz Tel.: (0041) 24-4952 139 Fax: (0041) 24-4957 647 eMail: [email protected] Mitarbeiter: Wim and Greta Rietkerk Robb and Christa Ludwick Beryl Gibbins Henk and Riana Reitsema Terms: 30.5.-25.7./29.8.-12.12. Kosten: 13 Euro/Tag USA/Rochester Mitarbeiter: Dr. Gregory and Elizabeth Laughery Richard and Karen Bradford James and Gail Ingram Terms: 19.4.-18.7./16.8.-5.12. Kosten: (Unterbrechung: 7.-17.10.) 45 CHF/Tag (bis 6 Wochen) 40 CHF/Tag (über 6 Wochen) weniger als 2 Übernachtungen normalerweise nicht möglich Larry and Nancy Snyder Jock and Alison McGregor Terms: 1.6.-30.7./6.9.-30.9./ 1.11.-22.11. Kosten: 20 US Dollar/Tag Schweden Swedish L’Abri, Bidevindsvägen 4, 260 42 Mölle, Schweden Tel.: (0046) 42-347 632, Fax: (0046) 42-347 832 eMail: [email protected] Mitarbeiter: Per Staffan Johansson Terms: kein Sommerterm Kosten: wegen Renovierung L’Abri-Konferenz 14.-15.10. 250 Kronen für Verdienende 200 Kronen für Studenten und Leute ohne Einkommen