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Zur Darstellung und Funktion von Fußball in
der zeitgenössischen britischen
Populärliteratur
Magisterarbeit
im Studiengang
M AGISTER A RTIUM
der
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
in der Philosophischen Fakultät II
(Sprach- und Literaturwissenschaften)
Betreuerin:
Prof. Dr. Feldmann
Vorgelegt von
Sonja Wild
aus
Nürnberg
Erlangen, im Oktober 2005
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
I
Einleitung
1
II
Forschungsüberblick
5
1
2
5
7
Fußball im kulturwissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . .
Fußball in der Literatur – Grundlagen und Einzelanalysen . . . . . . . .
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer
Sprache
10
1
2
Zur Problematik des Begriffs der Populärliteratur . .
Die literarische Sprache des Fußballs . . . . . . . . .
2.1
Umgangssprache als literarischer Stil . . . .
2.2
Fußball als Krieg: Militaristisches Vokabular
.
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10
12
12
14
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten
Werken
16
1
2
Fever Pitch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1
„It’s in there all the time, looking for a way out“ – Der doppelte
Blick auf eine Obsession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2
Neue Konstruktionen von Männlichkeit . . . . . . . . . . . . .
1.3
Fever Pitch - eine Autobiografie? . . . . . . . . . . . . . . . .
Das komprimierte Spiel: Fußballgedichte . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1
Football Poets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2
Attila the Stockbroker: Goldstone Ghosts . . . . . . . . . . . .
2.3
Gedichtanalyse: Goldstone Ghosts . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1
Elemente der Ballade: Narrative Form und der Umgang mit der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2
Syntaktische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3
Dialogische und monologische Elemente . . . . . . .
2.3.4
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4
Gedichtanalyse: Complete Control . . . . . . . . . . . . . . . .
ii
16
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27
28
30
34
34
35
36
37
38
Inhaltsverzeichnis
2.4.1
2.4.2
3
4
5
6
Aufbau und syntaktische Struktur . . . . . . . . . . .
Stilmittel: Pop-Referenzen, sprachliche Gestaltung und
der Gebrauch von Ironie . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.3
Kritik am modernen Fußballgeschäft . . . . . . . . .
2.4.4
Das eingeschobene Zitat . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.5
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5
Sarah Wardle: Score! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6
Gedichtanalyse: In Memoriam Bill Nicholson . . . . . . . . . .
2.6.1
Fußball-Emotionen in „In Memoriam Bill Nicholson“
2.6.2
Die lyrische Sprache: Militärischer und religiöser Charakter des Fußball . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6.3
Abschied und Neuanfang – die Rolle der Tradition . .
2.6.4
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7
Gedichtanalyse: Audere Est Facere – To Dare is To Do . . . . .
2.7.1
Struktur: Die Nähe zum Sonett . . . . . . . . . . . .
2.7.2
Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der lyrischen Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7.3
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8
Fußball im Gedicht: Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .
Englische Hooligankultur in „The Football Factory“ . . . . . . . . . . .
3.1
Superhooligans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2
Die englische Gesellschaft als Quelle der Gewalt: „Worker’s
Dream“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3
Der Einfluß der Medien auf die Hooliganszene . . . . . . . . .
3.4
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fußball in der Kurzprosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1
Die Protagonisten des Spiels: „The Man in the Mascot“ . . . . .
4.1.1
Handlungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.2
Selbstachtung und Demütigung: Versagen im Kontext des Fußballs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2
Die schottische Perspektive auf den Fußball: „A Minute’s Silence“
4.2.1
Handlungsüberblick und sprachliche Besonderheiten .
4.2.2
Die geteilte Stadt: Fußball als religiöser Identitätsstifter
4.3
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
David Feckham; My Backside: Parodie auf ein populäres Genre und
Hommage an einen Superstar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1
Die Genreparodie auf die „Spielerautobiografie“ . . . . . . . .
5.2
Satirische Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3
Der Fußballstar und sein „Anti-Beckham“ . . . . . . . . . . . .
5.4
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Verbindende im Fußball: Kulturelle Identität und individuelle Emanzipation in „Bend It Like Beckham“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1
Fußball im Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2
Die Modifikation der kulturellen Identität . . . . . . . . . . . .
6.3
Neue Konstruktionen von Weiblichkeit . . . . . . . . . . . . .
6.4
Fußball - Identifikationsmöglichkeiten und Vermarktungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.5
Umsetzung der Fußballszenen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
iii
38
39
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42
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62
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70
70
71
73
77
80
81
81
84
87
90
92
Inhaltsverzeichnis
V Schluss
95
Primärtexte
98
Sekundärliteratur
100
Internetquellen
104
Filme
109
iv
I Einleitung
I Einleitung
Literarische Referenzen auf das Fußballspiel finden sich in der englischen Literatur
schon seit Jahrhunderten, der Begriff „football“ taucht bereits bei Shakespeare auf1 .
Obwohl sich also die Geschichte des Fußball in der Literatur also weit zurückverfolgen
lässt, ist die „Fußballliteratur“ eine Erscheinung des zwanzigsten Jahrhunderts. Gerade
die letzten fünfzehn Jahre haben bemerkenswerte Entwicklungen im Zusammenspiel
von Fußball und Literatur hervorgebracht, speziell in Großbritannien: In der Erinnerung an den einzigen großen internationalen Fußballerfolg, den Sieg bei der Weltmeisterschaft 1966, wurde während der Fußball-Europameisterschaft in England 1996 eine
neue britische bzw. englische Identität heraufbeschworen, für die der Fußball nur ein
Aufhänger war, die ihn aber nachhaltig geprägt hat2 . Gerade durch die stärkere Orientierung am Gewinn neuer Schichten von Zuschauern, speziell aus der Mittelschicht,
entstand auch eine Nachfrage nach Fußballliteratur. Mit Nick Hornbys Fever Pitch war
eine neue Art Fußballliteratur geboren, deren Vertreter die Intellektualisierung eines
Sportes verkörperten, der eine kulturwissenschaftlich noch junge Forschungsgeschichte hatte, damit aber endgültig seinen Eingang in den kulturwissenschaftlichen Diskurs
fand. Die Intellektualisierung des Fußball ist tatsächlich eine sehr junge Entwicklung,
die zumindest vordergründig eine Versöhnung von „profanem“ Spielerlebnis und „hochwertigem“ Kulturgenuß verspricht. Als Bestandteil der Populärkultur hatte Fußball immer seinen festen Platz, aber erst mit den Bekenntnissen von Intellektuellen zu ihrem
eigenen Fußballirrationalismus scheint der früher proletarische Sport in allen Schichten
gesellschaftsfähig geworden zu sein – mit allen bedeutenden Auswirkungen, die dies
auf die traditionellen Fanstrukturen und die Rezeption von Fußball hat und haben wird.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem literarischen Niederschlag dieses Phänomens. Betrachtet wird die literarische Produktion im Zeitraum der letzten 13 Jahre
anhand ausgewählter Texte. Tatsächlich scheint die Literatur über und zu Fußball in
Großbritannien diverse Perspektiven und Wahrnehmungen von Fußball zu erlauben, die
sowohl ästhetisch als auch in ihren Aussagen ein durchaus komplexeres Bild erschaffen
1 Vgl.
H UBER , Werner: „Because it’s two World Wars and one World Cup ...“: Soccer as a Cultural
Metaphor. Aus: K ASTOVSKY, Dieter/K ALTENBÖCK , Gunther/R EICHL , Susanne (Hrsg.): Anglistentag. 2001 Wien. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2002 (= Proceedings of the Conference of the
German Association of University Teachers in English 31), S. 284.
2 Vgl. C ARRINGTON , Ben: ’Football’s Coming Home’ But Whose Home? And Do We Want It? Aus:
B ROWN , Adam (Hrsg.): Fanatics! Power, Identity and Fandom in Football. London, New York:
Routledge, 1998.
1
I Einleitung
als auf den ersten Blick ersichtlich. Das Spektrum reicht, wie sich zeigt, von Hornbys
bürgerlichem Fan-Bekenntnis über den Versuch einer psychologischen Annäherung an
unterschiedliche Charaktere im Fußball in Form von Kurzgeschichten bis hin zu radikaler politischer Poesie oder dem satirischen Umgang mit den modernen Spielarten
des Fußball. Dabei wurden Texte ausgesucht, die aus verschiedenen Gründen der Populärliteratur zugeordnet werden können. Für eine solche Zuordnung ist allerdings eine
Rechtfertigung des verwendeten Terminus Populärliteratur unabdingbar. Die Kriterien,
die in der Arbeit für diesen Begriff angelegt wurden, werden deshalb in einem eigenen
Kapitel erläutert. Kapitel III gibt außerdem einen Überblick über sprachliche Charakteristika der im Hauptteil analysierten Texte.
Den Hauptteil dieser Arbeit bilden die ausführlichen Analysen ausgewählter fiktionaler Texte über Fußball, die mit dem bereits erwähnten „Fever Pitch“ eingeleitet werden.
Dabei steht das Paradoxon im Vordergrund, dass Hornbys Buch zwar als der Beginn
einer neuen britischen Fußballliteratur in den Neunziger Jahren anzusehen ist („New
Football Writing“) und sein Einfluß auf das Schreiben über Fußball entsprechend hoch
angesetzt wird, es aber gleichzeitig allgemeine Aussagen über das Fan-Sein trifft, die es
zumindest diskussionswürdig erscheinen lassen, inwieweit diese Aussagen überhaupt
fußballspezifisch sind. Die zweite Verfilmung des Buches, die den Inhalt für das amerikanische Publikum in die Geschichte eines Baseballfans verwandelt, soll hier als Anstoß
für die Diskussion der Frage dienen, ob die Charakterisierung des Fans mit seiner sowohl ernst gemeinten als auch ironischen Fähigkeit zur Selbstreflexion im Bewusstsein
des eigenen problematischen Fanatismus das Fußball-Setting verlangt – oder losgelöst
davon genauso funktionieren kann. Im Rahmen der Analyse wird auch auf das bei Fever
Pitch entstehende Problem der genauen Grenzziehung zwischen Roman und Autobiografie eingegangen, das sich am schwer zu definierenden Fiktionalitätsgrad festmachen
lässt.
Eine Besonderheit stellen die untersuchten Football Poems der Poets in Residence dar
– nicht nur durch ihre komprimierte Form, sondern auch durch ihre häufig vorhandenen
Gebrauchswert (etwa als Motivationsmittel oder Unterhaltungsprogramm bei Spielen)
und ihre in eine aktive Fußballumgebung eingebettete Entstehungspraxis. In Kapitel 2
werden anhand des Gedichtbandes Goldstone Ghosts des Musikers und Dichters John
Baine, bekannt als „Attila the Stockbroker“, und der Fußballgedichte von Sarah Wardle
lyrische Strukturen von Fußballpoesie analysiert. Das Konzept der Poets in Residence,
die bei Fußballvereinen wie Barnsley, Tottenham Hotspur und Brighton & Hove Albion
zur Institution geworden sind, wird unter dem Aspekt der Wechselwirkungen zwischen
(Populär-)Kultur und Fußball mit einbezogen. Der Einschätzung, wieso die ausgewählten Gedichte als Populärliteratur bezeichnet werden können, wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Bei den in dieser Arbeit berücksichtigten Gedichten handelt es sich
demnach nicht um abstrakte Kunstprojekte, die sich von dem Thema Fußball innova-
2
I Einleitung
tive literarische Impulse erwarten, aber sowohl von ihrer Rezeption als auch von ihrer
institutionell losgelösten Entstehung nicht als „populär“ zu betrachten sind, sondern
um literarische Produktionen, die in ihrer Entstehungsgeschichte Berührungspunkte (in
der persönlichen Lebenswelt des Autors oder in instutionalisierter Form) mit den Protagonisten des Fußball aufweisen, in der anvisierten Zielgruppe ihren Focus auch auf
ein kulturell wenig aufgeschlossenes, aber fußballbegeistertes Klientel richten und/oder
durch ihren kommerziellen Erfolg Popularität erlangen. Die analysierten Gedichte sind
durch ihren Einsatz im Umfeld von Verein, Fanclubs und Spielen, aber auch durch ihre
direkt von diesem Umfeld inspirierte Entstehung auch Gebrauchs- und Alltagsliteratur.
Bei den Gedichten wurde eine Beschränkung auf jeweils zwei exemplarische Analysen für sinnvoll erachtet. Die Auswahl wurde mit dem Ziel einer möglichst hohen
allgemeinen Aussagekraft über die jeweilige Sammlung getroffen. Um die darin enthaltene Bandbreite zumindest ansatzweise aufzuzeigen, wurden möglichst unterschiedliche
Beispiele herangezogen.
Ein Beispiel für eine überwiegend negativ Konnotation des Fußball wird mit dem
Hooliganroman The Football Factory von John King untersucht. Hier stehen reale Bezüge auf das Hooliganproblem in England im Vordergrund, ergänzt durch eine Beurteilung der Gesellschafts- und Medienkritik des Romans.
Mit Ian Plenderleiths „The Man in the Mascot“ wird eine Kurzgeschichte eines Autors untersucht, der sich dem Thema Fußball aus unterschiedlichen Perspektiven fiktional nähert und dabei vor allem dem individuellen Schicksal der Menschen, die in
unterschiedlichster Form – in diesem Fall als Vereinsmaskottchen – mit Fußball befasst sind, nachgeht. Der Analyse wird mit der Erzählung „A Minute’s Silence“ von
Alan Bissett eine Kurzgeschichte gegenübergestellt, die ein Spezifikum des schottischen
Fußball, nämlich den Zusammenhang zwischen religiöser Zugehörigkeit und Anhängerschaft eines Fußballvereins, beleuchtet. Die Kurzgeschichten bestechen vor allem durch
den Versuch, in möglichst vielfältiger Weise das Phänomen Fußball literarisch zu untersuchen und damit auszutesten, ob sich Fußball als Sujet für die Literatur anbietet oder
ob sich das Spiel der völligen Fiktionalisierung entzieht3 .
Mit David Feckham; My Backside von Ivor Baddiel und Jonny Zucker wird eine
Parodie auf die modernen Begleiterscheinungen des Fußball behandelt. Diese Parodie
ist insbesondere deshalb interessant, weil sie eine andere, sehr verbreitete Form von
Fußballliteratur imitiert und parodiert: Die Fußballerautobiografie. Die Genreparodie
wird ebenso untersucht wie der Bezug auf den Fußballstar David Beckham und dessen
Vermarktung als „Produkt“.
Für eine positive Lesart des Fußballs, also seiner integrativen Aspekte, steht der Film
Bend It Like Beckham, der das Thema Fußball aus einem speziellen Blickwinkel be3 Siehe
dazu auch im Folgenden die Erläuterungen zu L IESSMANNS These der „Literaturunfähigkeit“
von Fußball.
3
I Einleitung
trachtet und seine emanzipatorische Funktion betont. Die Popularität des Films, die
Rolle, die Fußball als Instrument zur Überwindung kultureller Hindernisse und zur Modifikation der eigenen (weiblichen) Identität einnimmt, und die Tatsache, dass er Frauen
im Gegensatz zu allen besprochenen Texten in der Rolle von Spielerinnen zeigt, rechtfertigen die Aufnahme in eine ansonsten rein literaturwissenschaftliche Arbeit.
4
II Forschungsüberblick
II Forschungsüberblick
Ziel des Kapitels ist es, einen Überblick über die Entwicklung und den Stand der kulturund literaturwissenschaftlichen Forschung zum Thema Fußball unter besonderer Berücksichtigung der englischen Literatur zu geben.
1 Fußball im kulturwissenschaftlichen Diskurs
Die akademische Debatte um die kulturelle Einordnung von Fußball ist ein Kind der
neunziger Jahre, so dass der folgende Forschungsüberblick naturgemäß einen überschaubaren Zeitraum und Umfang abdeckt. Ein Teil der Forschungsliteratur widmet
sich der Entwicklung dieses Diskurses selbst, so etwa Giulianotti, der in seiner Analyse britischer Fußballmedien einen Überblick über die gravierenden Veränderungen der
britischen Fußballkultur seit den neunziger Jahren gibt, die der Nährboden für den kulturwissenschaftlichen Diskurs gewesen seien1 . Ausgelöst worden sei das hohe Interesse
laut S OLBACH durch eine veränderte Bedeutung des Fußballsports in den Neunzigern,
die mit der verstärkten medialen Präsenz des Fußball, die durch die technisch fortgeschrittene Aufbereitung von Fußballübertragungen erst ermöglicht wurde, zu erklären
sei2 . Der Diskurs über Fußball gewinne hierdurch eine Eigendynamik, die über das
eigentliche Spiel hinausgehe und das Ereignis Fußball, das alle Aspekte der kommerziellen Fußballwelt umfasse, in den Vordergrund rücke. Im Zentrum des Diskurses stehe
der Diskurs selbst, also das Reden über Fußball anstelle des Fußballs, der von seiner
eigenen Symbolkraft in den Hintergrund gedrängt werde. Auch H UBER stellt fest, dass
die kulturelle Repräsentation von Fußball seit Beginn der neunziger Jahre deutlich an
Relevanz gewonnen habe3 . Fußball sei zu einem Teil der Alltagskultur geworden und
damit zu einer kulturellen Metapher, durch die abstrakte Inhalte aus der allgemeinen
Lebenswelt transportiert werden könnten. Einen verwandten Aspekt, die Eignung des
Fußball zum metaphorischen Transfer in Kunst, Literatur und Religion, hebt H ERZOG
1 G IULIANOTTI ,
Richard: Football Media in the UK: A Cultural Studies Perspective. http://www.
efdeportes.com/efd6/rgi1.htm – Aufgerufen am 01.02.2005.
2 S OLBACH , Andreas: Der neue Diskurs über Fußball. Aus: H ÜTIG , Andreas/M ARX , Johannes (Hrsg.):
Abseits denken. Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft. Kassel: Agon Sportverlag, 2004.
3 H UBER , Werner: „Because it’s two World Wars and one World Cup ...“: Soccer as a Cultural Metaphor. Aus: K ASTOVSKY, Dieter/K ALTENBÖCK , Gunther/R EICHL , Susanne (Hrsg.): Anglistentag.
2001 Wien. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2002 (= Proceedings of the Conference of the
German Association of University Teachers in English 31).
5
II Forschungsüberblick
in einer Skizze der Kulturgeschichte des Fußball hervor4 . S OLBACH geht schließlich
auch der Frage nach der avisierten Zielgruppe und den tatsächlichen Rezipienten des
neuen kulturwissenschaftlichen Diskurses zum Thema Fußball und der daraus resultierenden populärwissenschaftlichen Publikationen nach5 . Fußball sei mit seinem Eingang
in die Feuilletons nur einer von vielen Gegenständen, „die sich in den letzten zehn Jahren in einem veritablen Eroberungsfeldzug zu Kult(ur)objekten erklärt haben“6 . Ihre
Käufer finde die Diskursliteratur in der akademischen, vornehmlich sozial- oder geisteswissenschaftlich gebildeten Mittelschicht.
Einen methodenkritischen Blick auf den kulturwissenschaftlichen Diskurs bietet hingegen M ARTÍNEZ, der gängige kulturwissenschaftliche Ansätze der Interpretation von
Fußball anhand einer Darstellung von Fehlschlüssen in Frage stellt7 . Zu diesem Zweck
kategorisiert er den Fußball in die neun Teilaspekte Regeln und Normen, Interaktion,
Individuelles Spiel, Fußball als säkulares Ritual, Ästhetik des Fußballs, Wettbewerbssystem, Typologisierung, Identifikation und Fußball als Medienprodukt. Diese Aspekte
bilden für ihn ein Grundgerüst kulturwissenschaftlich-hermeneutischer Erklärungsansätze, das sich durch seine konkrete Wahrnehmbarkeit durch die Protagonisten im Fußball (Spieler, Zuschauer) auszeichnet. Im Gegensatz dazu stünden diejenigen methodischen Erklärungsansätze, die außerhalb der konkreten Fußballrealität lägen: Fußball
als Symptom der kapitalistischen Gesellschaft, anthropologischer Atavismus, Religion
oder Krieg. Diesen Erklärungsmustern, die „dem Fußball eine geheime, vom Selbstverständnis der Beteiligten abweichende Bedeutung zuweisen“8 , stellt M ARTÍNEZ drei
Fehlschlüsse gegenüber, die die genannten Ansätze fragwürdig erscheinen lassen, den
genetischen Fehlschluß, der aus historischen Vorläufern des Fußball Schlußfolgerungen
auf gegenwärtigen Zustand und Bedeutung des Spiels ableitet, den kausalen Fehlschluß,
der bei der Herstellung von Bezügen unzulässige Ableitungen trifft, sowie den analogischen Fehlschluß, der aus (partiellen) Analogien Gleichsetzungen macht.
C ARRINGTON diskutiert den Zusammenhang zwischen neuem Fußballverständnis
und Nationalismus anhand der These, dass sich in Großbritannien durch den Fußball
ab 1996 ein neues nationales Selbstverständnis herausgebildet habe, das durch Ausgrenzung und rassistische Tendenzen geprägt sei9 . Maßgeblich dafür sei die Euphorisierung der weißen britischen Bevölkerung durch die Europameisterschaft im eigenen
4 H ERZOG ,
Markwart: Von der ’Fußlümmelei’ zur ’Kunst am Ball’. Über die kulturgeschichtliche Karriere des Fußballsports. Aus: H ERZOG , Markwart (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst - Kult
- Kommerz. Stuttgart: Kohlhammer, 2002 (= Irseer Dialoge 7).
5 S OLBACH 2004.
6 S OLBACH 2004, S. 112.
7 M ARTÍNEZ , Matías: Warum Fußball? Zur Einführung. Aus: M ARTÍNEZ , Matías (Hrsg.): Warum Fußball? Kulturwissenschaftliche Beschreibungen eines Sports. Bielefeld: Aisthesis, 2002.
8 M ARTINEZ 2002, S. 33.
9 C ARRINGTON , Ben: ’Football’s Coming Home’ But Whose Home? And Do We Want It? Aus:
B ROWN , Adam (Hrsg.): Fanatics! Power, Identity and Fandom in Football. London, New York:
Routledge, 1998.
6
II Forschungsüberblick
Land 1996 und die daraus resultierende Rekonstruktion des Nationenbegriffs, der weite
Teile der Bevölkerung aus dem neuen Verständnis von Britishness ausgeschlossen habe.
Ein Bestandteil sei dabei auch der Siegeszug des Britpop gewesen, der mit seiner Betonung der britischen Herkunft und seiner Verkörperung des „weißen“ Großbritanniens
reaktionäre Züge trage. Als Mischung der beiden Elemente Fußball und Britpop sei das
populäre Lied „Three Lions (Football’s Coming Home)“ Ausdruck dieser Redefinition
nationaler Identität gewesen.
Eine positivere Einschätzung der veränderten Fußballkultur Großbritanniens findet
sich in G IULIANOTTIS Analyse britischer Fußballmedien10 . Ein Ausdruck dieser Entwicklung sei das Football Fanzine, das von Fans in ihrer Freizeit ohne finanzielles Interesse, aber mit dem Anspruch einer Repräsentation der Fans produziert werde, eine
kritische Haltung gegenüber den Vereinen sowie eine deutlich politische, links-liberale
Ausrichtung einnehme und eine identitätsstiftende Funktion als Forum für die Fangemeinde ausüben könne. G IULIANOTTI formuliert drei Effekte der Fanzines auf die britische Fußballkultur: Die Stärkung der Position der Fans gegenüber dem Verein, die
Herausbildung einer kollektiven Fan-Identität und die Veränderung der (kommerziellen) britischen Fußballmedien. Fanzines bildeten damit die Brücke zwischen der alten Fußballkultur der Nachkriegszeit und der neuen, postmodernen Periode, die sich in
den neuen Fußballmedien wiederfindet. Die Entwicklung der postmodernen Fußballkultur sei unter dem Aspekt der Herausbildung und Zunahme einer New Middle Class
zu betrachten, die eine Verbürgerlichung des Fußball mit sich bringe, zugleich aber
in Abgrenzung zu der traditionellen Mittelschicht eine starke Verbindung zu Fußball
reklamiere, die auf der biografischen Verbindung in die Arbeiterschicht basiere. Dem
Fanzine wohne deshalb ein anti-burgeoiser Charakter inne, der sich gerade in seinem
radikalen Einsatz von Humor zeige. Die authentische Verwurzelung der New Middle
Class mit dem Fußball sei aber zu trennen von den gesellschaftlichen Multiplikatoren
dieser Schicht, also Journalisten und Schriftstellern, die sich oftmals zu Unrecht eine
solche gewachsene Beziehung zu eigen machten.
2 Fußball in der Literatur – Grundlagen und
Einzelanalysen
Einen umfassenderen Überblick über die Fußballliteratur Großbritanniens leistet allein
H UBER, der diese unter dem Konzept der kulturellen Metapher analysiert, um sich der
Bedeutung von Fußball als Teil der Populärkultur, als „modern folklore“, anzunähern11 .
In der übrigen Forschungsliteratur werden vor allem einzelne Aspekte der Fußballlite10 G IULIANOTTI :
11 H UBER
Football Media in the UK..
2002.
7
II Forschungsüberblick
ratur hervorgehoben. So untersucht L EIS die hermeneutischen Schwierigkeiten bei der
Verschmelzung von Fußball und (schöngeistiger) Literatur und diskutiert Beispiele aus
der deutschen Literatur, aber auch Nick Hornbys „Fever Pitch“, als eine gelungene
Überwindung der vermeintlichen Inkombatibilität zwischen der augenblicklichen Dramatik des Spiels und dem Interpretationshorizont der Literatur12 . Maßgeblich dafür sei
die Eigenschaft fiktionaler Literatur, den kreativen Freiraum zu bieten, die Grenzen des
Fußball spielerisch-literarisch auszureizen. Die Fußballliteratur wird hier also verstanden als eine Fortsetzung des Spiels mit anderen Mitteln. Nick Hornbys „Fever Pitch“
steht auch bei anderen im Mittelpunkt der Analyse: M OSELEY setzt den Roman in Beziehung zu allgemeinen Aussagen über den englischen Fußball und seine Fans13 . Der
englische Fan sei geprägt durch ein hohes Maß an Konservatismus und Loyalität sowie durch seine hohe Leidensfähigkeit und seinen Hang zur Schadenfreude, Attribute,
die sich auch in der Selbsteinschätzung des Erzählers in Fever Pitch wiederfänden. Der
entscheidende Aspekt des Romans sei ein „dual point of view“14 , der es dem Erzähler erlaube, seine eigene Obsession zu schildern und gleichzeitig zu analysieren. Diese
Perspektive, wie auch der Einsatz von Übertreibungen, trage wesentlich zur Komik des
Romans bei. Vorwürfe des Sexismus oder der Gewaltverherrlichung seien einem mangelnden Verständnis dieser zwei Ebenen geschuldet und würden dem progressiven Charakter des Buches nicht gerecht. T ICHER hingegen hebt einen andern Aspekt von „Fever
Pitch“ hervor. Er vergleicht den Roman mit „Among The Thugs“ von Bill Buford15 unter dem Gesichtspunkt der Hooligan-Problematik. Die zentrale Kritik an Bufords Buch
liegt in der Tatsache, dass es ihm am Verständnis für das Wesen des Fußball und seiner Anhänger fehle. Im Gegensatz zu Hornby sei ihm Fußball fremd und seine Haltung
gegenüber dem Fußballfan von grundsätzlicher Ablehnung geprägt. Hornby biete hingegen eine authentische Darstellung des Charakters des Fußballfans und der Atmosphäre
des Fußballspiels, die aufgrund gravierender Veränderungen, vor allem der Abschaffung
der Stehplätze, der Vergangenheit angehöre. J OCH diskutiert „Fever Pitch“ als Fußballsatire16 . Humor entstünde durch ironische Kippfiguren, die dadurch subversiv wirken,
dass sie eine instabile Qualität besitzen, die es dem Leser erschwert, im Gesagten das
Gemeinte zu erkennen. „Fever Pitch“ sei eine Attacke auf kulturelle Normen der Mittelschicht und grundlegende Axiome der Kultursoziologie und vertrete ein Konzept, das
die kulturelle Identität des Menschen als eine flexible Kombination von Vorlieben und
12 L EIS ,
Mario: ’Fußball gegen Literatur - Halbzeitstand 0:0 - Tip: X’. Fußball in der schöngeistigen
Literatur. Aus: H ERZOG , Markwart (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst - Kult - Kommerz.
Stuttgart: Kohlhammer, 2002.
13 M OSELEY, Merritt: „Nick Hornby, English Football, and Fever Pitch“. In: Aethlon XI (1994), Nr. 2.
14 M OSELEY 1994, S. 90.
15 T ICHER , Mike: „English soccer fans“. In: Sporting Traditions 10 (1993), Nr. 1.
16 J OCH , Markus: Sehr witzig! Feindbildwechsel in der Fußballsatire. Aus: A DELMANN , Ralf/PARR ,
Rolf/S CHWARZ , Thomas (Hrsg.): Querpässe. Beiträge zur Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte
des Fußballs. Heidelberg: Synchron, 2003.
8
II Forschungsüberblick
Interessen aufzeige, in der Elemente aus unterschiedlichen Identitätskonzepten nach Belieben gemischt werden könnten.
Das autobiographische Element im Fußball, das sich auch in Fever Pitch finden, untersucht VAN O OSTRUM. Er analysiert mit der Spielerautobiografie ein populäres Genre
der Fußballliteratur und geht speziell der Frage nach der Existenz eines autobiografischen Subjekts nach. Die Vielzahl der Autoritäten, die in der Spielerautobiografie zu
finden seien – Verleger, Medien, Ghostwriter und der Spieler selbst – machten das Isolieren einer genuinen Autorenschaft unmöglich.
M ERGENTHAL betont den Aspekt der Identität in der Fußballliteratur und untersucht den Zusammenhang zwischen Krieg und Fußball in der Fußball-Trilogie von John
King17 . Entscheidende Überschneidungen gebe es in der Identifikation mit der eigenen
Nation und der Abgrenzung gegenüber anderen, in der Bedeutung von Maskulinität, die
mit „Härte“ und „Kampfgeist“ assoziiert wird, und in der Installation von „auto- and
hetereo-stereotypes“, dargestellt am Beispiel des Konflikts England – Deutschland, die
sich in Fußball und Krieg kaum voneinander unterschieden.
L IESSMANN schließlich steht allein mit seiner provokanten These von der Literaturunfähigkeit des Fußball18 . Literaturfähig sei er lediglich als Ideologie. Lediglich als
„parodistisches Unternehmen“ sei der Fußball für eine literarische Verarbeitung geeignet, denn der ihm zugrunde liegende Archaismus könne literarisch nicht nachempfunden
und das per se Ästhetische des Fußball nicht literarisch „ästhetisiert“ werden.
17 M ERGENTHAL ,
Silvia: England’s Finest - Battle Fields and Football Grounds in John King’s Football Novels. Aus: KORTE , Barbara/S CHNEIDER , Ralf (Hrsg.): War and the Cultural Construction of
Identities in Britain. Band 59, Amsterdam, New York: Rodopi, 2002.
18 L IESSMANN 1991.
9
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
III Fußball und Literatur:
Grundlegendes zu Terminologie und
literarischer Sprache
Im Zentrum dieser Arbeit stehen Einzelanalysen fiktionaler Texte zum Thema Fußball.
Da diese unter jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erfolgen, scheint es
sinnvoll, im Folgenden zwei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu behandeln. Kapitel 1 begründet die Verwendung des Begriffs der Populärliteratur und stellt die Kriterien dar, anhand derer die ausgewählten Texte diesem Begriff zugeordnet wurden. Kapitel
2 erläutert grundlegende Gemeinsamkeiten der vorgestellten Texte in ihrer sprachlichen
Gestaltung und stellt sie in einen Zusammenhang mit spezifischen Eigenschaften des
Fußballs.
1 Zur Problematik des Begriffs der Populärliteratur
Der Titel der vorliegenden Arbeit verspricht eine Auseinandersetzung mit dem Thema
Fußball in der zeitgenössischen Populärliteratur Großbritanniens. Die bewusst gewählte Zuordnung der dieser Arbeit zugrunde gelegten Texte als Populärliteratur bedarf
allerdings einer eingehenden Erläuterung, zumal eine solche Kategorisierung gerade
aktueller Literatur nicht immer problemlos zu treffen ist. In der „Encyclopedia of contemporary British culture“ wird diese Schwierigkeit der klaren Zuordnung wie folgt
beschrieben:
„In the 1990s, popular fiction is enormously diffuse and the distinction between
serious and popular literature is problematic to say the least(...)“1
Wegen der daraus resultierenden – schwerlich zu vermeidenden – Subjektivität bei der
Entscheidung, ob ein Text als Populärliteratur zu lesen ist oder nicht, soll hier durch
eine kurze Begründung in jedem einzelnen Fall eine überprüfbare Grundlage geschaffen
werden. Vorausschickend muss angemerkt werden, dass bereits dem Thema Fußball
1 C HILDS ,
Peter: Popular Fiction. Aus: C HILDS , Peter/S TORRY, Mike (Hrsg.): Encyclopedia of contemporary British Culture. London: Routledge, 1999, S. 416.
10
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
selbst aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung des Sportes ein hohes Maß an
Popularität innewohnt; dennoch kann nicht pauschal jedes literarische Werk, das mit
dem Thema Fußball eine Verbindung eingeht, als populär verstanden werden2 .
Ein erstes Kriterium, das hier genannt werden muss, ist das des kommerziellen Erfolgs. So erlaubt der Erfolg von Nick Hornbys Fever Pitch, das als das „Bekenntnis“
eines besessenen Fußballfans hohe Verkaufszahlen erreicht hat und bis dato zweimal
verfilmt wurde, seine Einordnung als Populärliteratur, selbstverständlich ohne dass damit eine qualitative Aussage über den Inhalt des Buches verbunden wäre. Ähnliches gilt
für John Kings Hooligan-Roman „The Football Factory“, zu dem ebenfalls bereits eine
Verfilmung vorliegt.
Schwieriger wird eine Beurteilung bei Texten, die abseits der Beststellerlisten zu finden sind. In der vorliegenden Arbeit trifft dies unter anderem auf die Kurzgeschichten
von Alan Bissett und Ian Plenderleith zu, die in Kapitel 4 analysiert werden. In beiden Fällen erscheint eine Zuordnung zur Populärliteratur allerdings aufgrund struktureller Merkmale gerechtfertigt. Plenderleiths Sammlung „For Whom The Ball Rolls“,
der die genannte Geschichte entnommen ist, besteht zu mehr als der Hälfte aus Fußballgeschichten. Dieser Versuch einer umfassenden literarischen Beleuchtung des Themas
Fußball spricht ein sehr spezifisches, nämlich fußballinteressiertes Publikum an, das bereit ist, sich mit der Konzentration auf ein zentrales Thema in einer ganzen Sammlung
von Kurzgeschichten auseinanderzusetzen. Das gleiche kann auch von der Anthologie
„The Hope That Kills Us“ angenommen werden, die Fußballgeschichten schottischer
Autoren versammelt. Die in beiden Fällen explizite Konzentration auf das Thema Fußball, das aus möglichst vielen Perspektiven literarisch verarbeitet wird, wendet sich dadurch an Leser, die ein ausreichendes Maß an Interesse am Fußball aufweisen und ihre
vielfältigen Erfahrungen darin bestätigt, widerlegt oder ergänzt finden. Aufgrund der
hohen Popularität, die Fußball in Großbritannien genießt, und aufgrund der Annahme,
dass diese Popularität ausschlaggebend für die individuelle Entscheidung von Autoren
und Verlegern ist, solche Bücher zu verfassen und zu verlegen, wird auch hier der Begriff Populärliteratur als zutreffend erachtet3 .
Im Falle von Ivor Baddiels und Jonny Zuckers Satire „David Feckham; My Backside“
ergibt sich die Kategorisierung als Populärliteratur aus der Tatsache, das es sich hier um
eine Parodie eines höchst populären und kommerziell bedeutenden Genres, nämlich der
2 Ein
bekanntes Gegenbeispiel aus der deutschen Literatur ist Peter Handkes „Die Angst des Tormanns
beim Elfmeter“, das den Fußball schon im Titel trägt und dennoch schwerlich als Populärliteratur
bezeichnet werden kann.
3 Vergleiche dazu auch die Erläuterungen in S CHNEIDER , Ralf: Of Love, Cats and Football. Popular Anthologies in Britain Today - Between Culture and Commodity? Aus: KORTE , Barbara/S CHNEIDER ,
Ralf/L ETHBRIDGE , Stefanie (Hrsg.): Anthologies of British Poetry. Critical Perspectives from Literary and Cultural Studies. Band 48, Amsterdam, Atlanta: Rodopi, 2000, die sich zwar auf populäre
Gedichtanthologien beziehen, jedoch verallgemeinert auch auf die Erzählliteratur angewendet werden können.
11
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
Fußballerautobiografie und hier speziell der von David Beckham, handelt. Die Parodie
auf ein Genre der Populärliteratur wird dadurch selbst zu Populärliteratur.
Ein weiteres Kriterium, das die Zuordnung der Texte zur Populärliteratur rechtfertigt,
ist deren Verankerung im Umfeld des Fußball und hier speziell in der Fankultur. Dieses
Kriterium wurde an die untersuchten Beispiele für Fußballlyrik angelegt. Wenngleich
die Kategorisierung von Lyrik als „populär“ nicht leichtfertig zu treffen ist, wurden die
Gedichte von John Baine und Sarah Wardle aufgrund ihrer Einbindung in Verein und
Anhängerschaft, die sich bereits in ihrem Status als Poet in Residence andeutet, in die
Analyse einbezogen. In beiden Fällen ist der direkte Einfluß von Verein und Fangemeinde auf die literarische Produktion wie auch die Rezeption der Gedichte im Umfeld des
aktiven Fußballgeschehens belegbar4 . Die Werke der beiden Autoren sind also insofern
als populär anzusehen, als von einer Rezeption zumindest innerhalb des Umfelds ihres
Vereins ausgegangen werden kann, die über das allgemeine Interesse an zeitgenössischer Poesie hinausgeht und zu einem aktiven Teil der Fankultur wird.
Dass Gurinder Chadhas Filmkomödie „Bend It Like Beckham“ als populär zu lesen ist, ergibt sich ebenso aus der konzeptionellen Orientierung auf ein MainstreamPublikum5 wie aus ihrem außerordentlichen internationalen Erfolg.
2 Die literarische Sprache des Fußballs
Zwei grundlegende Besonderheiten der literarischen Sprache in der untersuchten Fußballliteratur fallen bei der Analyse besonders auf: Erstens bedient sie sich einer stark
an der Umgangssprache orientierten Form, die teilweise sehr stark an die gesprochene
Sprache annähert, zum anderen verwendet sie oftmals Vokabular, das auf die Militärsprache zurückzuverfolgen ist und den Aspekt des Kampfes im Fußball selbst betont.
Dieses Vokabular findet sich freilich häufig im Umfeld des Fußballspiels, etwa in der
Beschreibung von Spielszenen in Fußballreportagen6 . Die folgenden Kapitel untersuchen diese beiden Aspekte anhand der im Hauptteil analysierten Literatur.
2.1 Umgangssprache als literarischer Stil
Die folgende Passage aus „A Minute’s Silence“ soll einleitend einen Eindruck der in
diesem Kapitel erörterten umgangssprachlichen Elemente in der Fußballiteratur vermitteln:
4 Genauer
wird auf diesen Aspekt in Kapitel 2 eingegangen.
Konzept des „Mainstreaming“ wird in Kapitel 6 genauer ausgeführt.
6 Vgl. dazu S IEFERT, Annette: Kriegsmetaphorik in der Fußballberichterstattung. Aus: M ARTÍNEZ ,
Matías (Hrsg.): Warum Fußball? Kulturwissenschaftliche Beschreibungen eines Sports. Bielefeld:
Aisthesis, 2002.
5 Das
12
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
„Well dannys style wis different that day. The wey he played the gemme: he barged
past an ah felt the sharp bone ae his elba for the first time eh. So ah went intae the
tackle wi ma studs up. Next thing ah find masel markin him an hes cawin me an
orange bastard an ahm cawin him a fenian cunt an ahm spittin in his face.“7 .
In diesem Absatz finden sich die zentralen Merkmale umgangssprachlichen Stils. Das
offensichtlichste Element ist die Abfassung des Textes in einem Dialekt, in diesem Fall
Scots. Hier wird durch die Verwendung einer durch regionale und ethnische Herkunft
bedingten Sprache der Zusammenhang von Fußball und Identität verdeutlicht. Zugleich
betont der Dialekt als eine vornehmlich in der mündlichen Kommunikation relevante
Sprache den oralen Charakter der Erzählweise. Diesen Effekt erzielt auch die reduzierte, wenig komplexe und oftmals elliptische syntaktische Struktur, die eine ungefilterte, „authentische“ Wiedergabe von Erzählungen oder Gedanken impliziert8 . Die rasche
Abfolge kurzer, schnörkelloser Sätze reflektiert aber auch Dynamik und Temporeichtum
des Fußballspiels.
Eine große Rolle spielt der häufige Gebrauch von Vulgärausdrücken, wie er insbesondere für die Sprache in „The Football Factory“9 charakteristisch ist. Das Thema Gewalt
wird hier nicht nur in der Handlung, sondern auch in der vulgär-aggressiven Sprache des
Romans aufgegriffen. Vulgäre Äußerungen finden sich aber in nahezu allen in dieser Arbeit besprochenen Texten, etwa in den Beschimpfungen, die Jacob als Fußballmaskottchen in „The Man in the Mascot“10 zu erdulden hat oder in der oben zitierten Passage
aus „A Minute’s Silence“. Der ausgiebige Gebrauch einer solchen Vulgärsprache in
der populären Fußballliteratur liegt in zentralen Ritualen des Fußballspiels begründet:
Beleidigung und Demütigung sind elementare Bestandteile der traditionellen Stadionkultur und die Schmähung des Rivalen durch Rufe und Gesänge das wirkungsvollste
Instrument der Fans auf den Tribünen, den Gegner zu demoralisieren und die eigene
Mannschaft dadurch zu unterstützen. Gleichzeitig sind sie Bestandteil eines Wettkampfes der Fans untereinander, der im gegenseitigen „Niederschreien“ während des Spiels
besteht.
Der umgangssprachliche Charakter in der Fußballliteratur, dessen Elemente skizziert
wurden, reflektiert die nach wie vor tiefe Verwurzelung des Fußball in der Kultur der
working class. Er dient dabei entweder der Identifikation mit der individuellen sozialen
Herkunft oder der Flucht aus der eigenen bürgerlichen Abstammung, die gegenüber der
romantisch verklärten working class-Kultur als unauthentisch und uninteressant empfunden wird. Der Fußball als Volkssport wird repräsentiert durch eine Sprache, die sich
nicht moralisch und intellektuell über den Fußball erhebt, sondern die ihm eigene „Bo7 B ISSETT,
Alan: A Minute’s Silence. Aus: S EARLE , Adrian (Hrsg.): The Hope That Kills Us. An Anthology of Scottish Football Fiction. Edinburgh: Polygon, 2003, S. 138.
8 Hier ähneln sich Fußballprosa und -lyrik in auffallender Weise, vgl. Kapitel 2.
9 K ING , John: The Football Factory. London: Vintage, 2004.
10 Vgl. P LENDERLEITH , Ian: The Man in the Mascot. Aus: For Whom the Ball Rolls. Football Stories
And More. London: Orion, 2001b, S. 20.
13
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
denständigkeit“ oder „Volksnähe“ stilistisch auf den literarischen Text anwendet. Die
Fußballliteratur verhält sich damit ähnlich dem Erzähler in „Fever Pitch“11 , der versucht, im Stadion seine Mittelschichtsherkunft zu verschleiern, indem er sich einen weniger bürgerlichen Dialekt zulegt12 .
2.2 Fußball als Krieg: Militaristisches Vokabular
Viele Fachtermini des Fußball, sowohl im Englischen wie auch im Deutschen, sind der
Militärsprache entlehnt, darunter so selbstverständlich gewordene wie die Spielpositionen Abwehr oder Verteidigung und Sturm sowie das Verb schießen und seine Substantivierung Schuß. Es gibt also eine traditionelle Beziehung zwischen der Sprache des
Fußballs und der des Kriegs, die aber in den genannten, „längst lexikalisierten“13 Begriffen kaum mehr wahrgenommen wird. Ihre militaristische Bedeutung ist im Laufe
der Zeit durch die kulturelle Dominanz des Fußballs mehr und mehr verloren gegangen.
Darüber hinaus lässt sich aber in Teilen der Fußballliteratur eine Art „martialische[r]
Metaphorik“14 beobachten, die über Begriffe wie die oben genannten, bei denen die
metaphorische Relation nicht mehr wirksam ist, hinausgeht.
Besonders deutlich wird dies in dem Roman „The Football Factory“, in dem die Gewaltexzesse der Hooligan-firm, die sie an Spieltagen erleben, in regelrechten Schlachtszenen geschildert werden. M ERGENTHAL vergleicht, bezogen auf „England Away“,
den dritten Band in Kings Fußballtrilogie, die Reisen der Hooligans zu den Auswärtsspielen ihres Vereins oder Spielen der Nationalmannschaft mit modernen „adventure
quests“:
„In terms of their structure, football narratives, like some modern narratives of war,
conform to the pattern of the adventure quest, as a metaphor for the human capacity to endeavour, risk and win through. Soldier hero, football player and football
supporter all embark on perilous journeys, for example ’into Europe’, engage their
opponents and emerge victorious(...)“15
Tatsächlich finden sich viele Bezüge, die eine solche Interpretation zulassen. Schließlich geht es um nichts anderes als um Schlachten, personell und lokal begrenzte, aber
blutige Kriege gegen rivalisierende Hooligangruppen, die mit großem Aufwand organisiert werden. Am aufschlussreichsten sind jedoch nicht die Kampfszenen, sondern
diejenigen, in denen Fußball mit Kriegsvokabular beschrieben wird:
„We all admire the goal, the forty-yard precision pass and the forward’s instant
control, then the first-time shot into the roof of the net, but you don’t stand up and
11 H ORNBY,
Nick: Fever Pitch. London: Penguin Books, 2000.
S. 158.
12 Vgl. J OCH 2003,
13 S IEFERT , S. 114.
14 Vgl.
M UNO 2004, S. 162.
2002, S. 265.
15 M ERGENTHAL
14
III Fußball und Literatur: Grundlegendes zu Terminologie und literarischer Sprache
clap the other side. There’s no room for that kind of behaviour. No chinks in the
armour. You have to stand firm and dedicated, always loyal. Present the world with
a united front.“16
Die Situation, dass ein gegnerisches Tor innerlich Bewunderung auslöst, die nach außen aber nicht gezeigt werden darf, wird unterstrichen mit der Beschwörung nationaler
Einheit und patriotischen Ehrgefühls, Formulierungen, die das Länderspiel zu einem
Kriegsschauplatz werden lassen. Fußball wird hier nicht nur zu einem friedlichen Ersatz für den realen Krieg, sondern vor allem zu einer Einstimmung auf die später folgenden Schlachten der Hooligans. Gerade anhand des drastischen Vokabulars wird hier
der innere Konflikt der Hooligans mit dem gesellschaftlichen und politischen System
Großbritanniens aufgezeigt.
Kriegsmetaphorik findet sich aber nicht nur in Texten wie „The Football Factory“, in
denen es um reale Gewalt geht, sondern auch an vielen anderen Stellen, an denen Fußball um eine militaristische Dimension erweitert wird. So enthält etwa Sarah Wardles
Gedicht „In Memoriam Bill Nicholson“ ein explizites Vokabular, das in eine Verbindung gebracht werden kann mit Bill Nicholsons Einsatz im Zweiten Weltkrieg. Die
Ehrerbietung gegenüber einem verstorbenen Fußballidol erhält dadurch den Charakter
der Ehrerweisung gegenüber einem Kriegsveteranen. Auch in Baines Gedichten ist von
battle und fight zu lesen17 , und die aufgeheizte Stimmung zwischen Celtic- und Rangers-Fans in „A Minute’s Silence“ führt dazu, dass die Verpflichtung eines katholischen
Spielers bei den protestantischen Rangers als „an act ae agression“ verstanden wird –
„withoot sayin a word, withoot firin a shot“18 .
Durch die Verwendung militaristischer Metaphorik werden unterschiedliche Effekte
erzielt: Einmal eine Überhöhung des Sportes zu einer Angelegenheit von Leben und
Tod, andererseits eine Hervorhebung des Wettkampfs, bei dem sich wie im Krieg zwei
Gruppen „feindlich“ gegenüberstehen. Fußball verleitet durchaus zu solchen Assoziationen, schließlich zeichnet sowohl eine Fußballmannschaft wie auch ein Heer eine
straffe Organisation mit einer klaren Aufgabenverteilung aus, und letztlich wird beiden der unbedingte Wille zum Sieg abverlangt. Hinter beiden, Fußballmannschaft wie
Armee, stehen große Gruppen von Menschen, für die sie stellvertretend agieren müssen
und deren Schicksal (im Fußball zugegebenermaßen in einem wesentlich geringeren
Ausmaß als im Krieg) von ihrer Leistung abhängt. Dennoch bleibt die Frage, wieso
gerade der Fußball zu solchen Analogien verleitet, schließlich ist er eine der wenigen
Sportarten, in denen ein Unentschieden möglich ist, es also nicht zwingend einen Gewinner und einen Verlierer geben muss, jedenfalls nicht in jedem einzelnen Spiel.
16 K ING
2004, S. 108.
eine detaillierte Analyse der Gedichte vgl. Kapitel 2.
18 B ISSETT 2003, S. 137.
17 Für
15
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
IV Funktionen und literarische
Umsetzung von Fußball in
ausgewählten Werken
1 Fever Pitch
Nick Hornbys Buch Fever Pitch1 erschien 1992 und wurde zu einem Bestseller2 . Unter
den in dieser Arbeit besprochenen Texten besitzt es den wohl höchsten Bekanntheitsgrad, vergleichbar nur mit John Kings Football Factory3 und dem Film Bend It Like
Beckham4 . Das gegenüber diesen deutlich ältere Fever Pitch ist allerdings nicht nur aufgrund hoher Verkaufszahlen von besonderer Bedeutung, sondern auch, weil es in der
englischen Literatur eine Entwicklung auslöste, die dazu führte dass sich zunehmend
auch die eigentlich fußballfernen Schriftsteller und Intellektuellen zu ihrer Leidenschaft
für den Fußball bekennen konnten und wollten. In den folgenden Jahren wurden folglich
viele literarische Werke publiziert, die den Fußball oder die Liebe zum Fußball in den
Mittelpunkt stellen5 . Die Publikationswelle, die Hornbys Buch auslöste, veranschaulicht, wie groß das Bedürfnis von Schriftstellern in den Neunzigern geworden war, sich
an poetischen und akademischen Diskursen über Fußball zu beteiligen.
Diese Entwicklung ist im Kontext fundamentaler Veränderungen des Fußball in Großbritannien zu sehen: Englands Erfolg bei der Weltmeisterschaft 19906 steigerte die Begeisterung für den Fußball spürbar und wurde zur Basis für ein neues, auch durch Fußball konstruiertes nationales Selbstverständnis, das sich bis zur 1996 in England aus1 H ORNBY,
Nick: Fever Pitch. London: Penguin Books, 2000. Die folgenden Seitenangaben in runden
Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
2 So war es unter anderem das bestverkaufte Sportbuch des Jahres 1992. Vgl T ICHER , Mike: „English
soccer fans“. In: Sporting Traditions 10 (1993), Nr. 1, S. 101.
3 Vgl. Kapitel 3
4 Vgl. Kapitel 6
5 Vgl. S TUBBS , David: „Reading Festival“. In: When Saturday Comes Special October (2003), Nr. 200,
S. 19.
6 England schied erst im Halbfinale nach Elfmeterschießen gegen die BRD aus und verzeichnete damit das beste Ergebnis seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1966. Vgl. T HE F OOTBALL A SSO CIATION : England History: The Story So Far. http://www.thefa.com/England/SeniorTeam/History/ –
Aufgerufen am 23.08.2005
16
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
getragenen Europameisterschaft kontinuierlich steigerte7 . Aber auch der Fußball selbst
und vor allem seine Anhängerschaft veränderte sich in dieser Zeit merklich: In den
Neunzigern wurden die Stadien nach der Katastrophe von Hillsborough8 aus Sicherheitsgründen zu all-seat stadiums, die Stehtribünen als traditionelle Domänen der working class-Fans wurden abgeschafft. Entsprechend veränderte sich auch die Zuschauerstruktur: Die soziale Zusammensetzung verschob sich zu Lasten der working class-Fans,
der Anteil des bürgerlichen Mittelschichtspublikums stieg9 . Mitten in dieser Entwicklung erschien mit Fever Pitch ein als football novel10 gekennzeichnetes Buch, das all
denen, die sich bislang aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position nicht zu ihrer Leidenschaft zu bekennen getrauten, endlich die Möglichkeit eröffnete, diese literarisch
zu artikulieren. Fußball war endlich auch für die akademische Mittelschicht „gesellschaftsfähig“ geworden. Hornbys Einfluß auf die Entwicklung der Fußballliteratur kann
dementsprechend gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Im deutschen Sprachraum
etwa wurde und wird bis heute, 13 Jahre nach seiner Veröffentlichung, bemängelt, dass
es kein deutsches Fußballbuch gäbe, das dem Vergleich mit Fever Pitch standhält, dass
der „große Fußballroman“ in Deutschland also bis heute fehle11 und für H IEBER ist Fever Pitch sogar dabei, ein „Klassiker[] im noch recht jungen Genre des poetischen Fußballbuchs“12 zu werden. Eine Arbeit über Fußball in der englischen Literatur kommt
also nicht daran vorbei, auf Fever Pitch einzugehen; unter den hier besprochenen Büchern ist es mit Abstand das populärste und meistverkaufte, und es markiert den Beginn
einer Ära, in der das Schreiben über Fußball neue Wege einschlug. Ohne Fever Pitch
wäre etwa auch ein Buch wie A Season With Verona13 , Tim Parks „Reisebericht“ von
den Auswärtsspielen des italienischen Vereins Hellas Verona, kaum denkbar gewesen.
Fever Pitch wurde zweimal verfilmt: Der Brite David Evans verfilmte den Bestseller
7 Zu
den Ursachen der Re-Definition von Englishness und zum problematischem Charakter dieser Entwicklung vgl.C ARRINGTON 1998.
8 Vgl. TAYLOR , Ian: Hillsborough, 15. April 1989. Einige persönliche Überlegungen. Aus: H ORAK ,
Roman/R EITER , Wolfgang (Hrsg.): Die Kanten des runden Leders. Beiträge zur europäischen Fußballkultur. Wien: Promedia, 1991.
9 Diese Entwicklung beschreibt u.a G IULIANOTTI , der die Weltmeisterschaft von 1990 als den Beginn
einer „Verbürgerlichung“ des englischen Fußball sieht, in dessen Kontext auch die zeitlich nahe Veröffentlichung von Hornbys Fever Pitch als einem Vorreiter auf dem Feld des „New Football Writing“
anzusehen ist. Vgl. G IULIANOTTI , Richard: Football Media in the UK: A Cultural Studies Perspective. http://www.efdeportes.com/efd6/rgi1.htm – Aufgerufen am 01.02.2005. Vgl. außerdem S TUBBS
2003, S. 18.
10 Auf die Problematik dieser Bezeichnung wird in Kapitel 1.3 eingegangen.
11 Vgl. B IERMANN , Christoph: „Der große Roman fehlt“. In: die tageszeitung vom 20.12.1997, Nr. 5413.
Bezeichnenderweise ist es Biermann selbst, der die bislang einzige deutsche Entsprechung zu Fever
Pitch verfasst hat, vgl. B IERMANN , Christoph: Wenn Du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider
nicht kommen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995
12 H IEBER , Jochen: „Es packt uns alle immer wieder. Klassiker der Fußballprosa: Javier Marías, Eduardo
Galeano, Nick Hornby, Joe McGinnis und Tim Parks“. In: Anstoss. Die Zeitschrift des Kunst- und
Kulturprogramms zur FIFA WM 2006. 2 (2005), S. 80.
13 PARKS , Tim: A Season With Verona. Travels Around Italy in Search of Illusion, National Character
and Goals. London: Vintage, 2003.
17
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
199714 , 2005 lief in den USA eine Neuverfilmung an, die speziell auf die Interessen des
amerikanischen Publikums zugeschnitten wurde15 . Dabei wurde der Tatsache Rechnung
getragen, dass Fußball in den USA nicht annähernd so populär ist wie im überwiegenden Teil der Welt16 . An die Stelle von Fußball tritt deshalb Baseball, statt Arsenal London sind die Boston Red Sox der Lebensinhalt des Protagonisten. Gemeinsam ist beiden
Filmen, dass der autobiografische und wenig handlungsbetonte Stoff dadurch umgesetzt
wurde, dass der Beziehungskonflikt mit der Lebensgefährtin im Vordergrund steht. Der
Irrationalismus des Fan-Daseins, der eigentliche Hauptaspekt der Buchvorlage, wird also hauptsächlich als eine Erschwernis dieser Beziehung dargestellt. Die Regisseure der
US-Version von Fever Pitch stehen mit ihrer Adaption durchaus in einer guten Tradition: Ähnliches geschah auch 2001, als mit dem britischen Film Mean Machine17 , ein
Remake von The Longest Yard18 (1971), anlief, in dem es im Gegensatz zum Original
nicht mehr um American Football, sondern um Fußball ging.
Im folgenden Kapitel wird das in Fever Pitch behandelte Thema der Besessenheit des
Fans unter Berücksichtigung des „dual point of view“19 , der narrativen Struktur und der
Wirkungsweise des Humors analysiert. In Kapitel 1.2 wird das Bild von Männlichkeit
untersucht, das in Fever Pitch transportiert wird. Kapitel 1.3 widmet sich der Frage nach
dem Genre des Buches und seinem Fiktionalitätsgrad.
1.1 „It’s in there all the time, looking for a way out“ – Der doppelte
Blick auf eine Obsession
Im Zentrum des Buchs steht die Erkenntnis, dass die Besessenheit des Fans Macht über
sein ganzes Leben gewinnt: „[F]ootball gives shape to the protagonists’s life and lifestory“20 . Bereits im Titel wird dieses Thema in einem Wortspiel vorweggenommen:
Fever Pitch kann als der Höhepunkt oder das Steigen des Fiebers verstanden werden;
Fieber meint hier die Besessenheit des Erzählers, die als eine Krankheit oder zumindest
als Symptom einer Erkrankung dargestellt wird. Mit dem Begriff pitch wird im Englischen aber auch das Fußballfeld bezeichnet. Fever Pitch vereint also das Pathologische
der Obsession mit dem Themengebiet Fußball21 .
Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Erzähler vom „Fußballfieber“ angesteckt wird, wirkt
14 E VANS ,
David: Fever Pitch. GB, 1997.
Bobby/FARRELLY, Peter: Fever Pitch. USA, 2005.
16 Jedenfalls bezogen auf den professionellen Männerfußball – Jugend- und Frauenmannschaften verzeichnen in den USA hingegen große Erfolge, vgl. OVERSCHELP, Malte: „Ein Sport für Spillerige“.
In: taz Magazin vom 30.11.2002, Nr. 6918.
17 S KOLNICK , Barry: Mean Machine. GB, 2001.
18 A LDRICH , Robert: The Longest Yard. USA, 1974.
19 M OSELEY 1994, S. 90.
20 H UBER 2002, S. 287.
21 In der deutschen Übersetzung wurde versucht, mit dem Titel Ballfieber das Wortspiel so gut als möglich
nachzuempfinden.
15 FARRELLY,
18
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
sich dieses auf sein gesamtes weiteres Leben aus – nicht nur auf seine Terminplanung,
die fortan durch den Spielplan determiniert wird: Fußball dominiert weit mehr als nur
den Tagesablauf und das Verhalten des Erzählers – er prägt und strukturiert auch sein
Denken und herrscht über sein Unterbewusstsein, ganz im Sinne des ersten Satzes der
Einleitung: „It’s in there all the time, looking for a way out“(1). Diese Feststellung spiegelt sich wider im Aufbau des Buches: Jedem Kapitel ist unterhalb der thematischen
Überschrift ein bestimmtes Fußballspiel mit dem jeweiligen Datum zugeordnet22 . Für
die chronologische Struktur des Buchs bedeutet das, dass der Erzähler jedes Phase seines Lebens gedanklich mit Ereignissen im Fußball verknüpft, und diese Verknüpfung ist
so eng, dass nicht mehr das eigentliche Erleben anhand von Fußballspielen memoriert
wird, sondern tatsächlich die Spiele selbst ein dominanter Teil des Lebens werden, es
also der Fußball ist, der dem Leben Form und Richtung aufzwingt, „so daß die Gliederung des Buches eine Gedächtnisstruktur abbildet, in der Fußballspiele nicht nur Teil
der Erinnerung sind, sondern sie erst auslösen“23 .
Hornby bedient sich in Fever Pitch eines „dual point of view“24 , der es dem Erzähler
ermöglicht, die Obsession, der er ausgeliefert ist, zugleich analysieren zu können. Er
tritt damit einerseits als hoffnungsloser Fanatiker auf, andererseits als sachlicher Analytiker, der klar diagnostiziert, dass er die Grenze zur Besessenheit längst überschritten
hat, der Diagnose aber dennoch hilflos gegenübersteht25 . Gerade aus dieser doppelten
Perspektive entstehen für M OSELEY Ehrlichkeit und Komik des Buches26 . Und es lässt
sich tatsächlich vermuten, dass ein Teil des großen Erfolges des Buchs aus der Tatsache
resultiert, dass der Fußballfan hier nicht aus einer externen Perspektive analysiert wird,
sondern dass der Fan selbst das Wort ergreift, dass er seine Gemütszustände offenbart
und zugleich schonungslos analysiert und damit seine eigene Besessenheit in den Vordergrund rückt ohne sie zu glorifizieren27 . Hornby gibt dem typischen Fußballfan damit
eine Methode an die Hand, sich mit ihm zu identifizieren, ohne die negativen Seiten der
Obsession dabei leugnen zu müssen. Damit erreicht er zwei verschiedene Lesergruppen
zugleich: Zum einen die Fans, die sich in den Selbstbeschreibungen des Erzählers wiedererkennen28 , und zum anderen die interessierten Außenstehenden, denen ein Einblick
in die Gefühls- und Gedankenwelt des Fans ermöglicht wird.
Die Komik in Fever Pitch entsteht aber nicht nur aus der verzweifelten Selbstreflexion. Sie liegt auch im Hang zur Übertreibung begründet. Fundstellen existieren im Übermaß; J OCH zitiert eine Stelle, in der der Erzähler eine heimliche Vereinbarung mit sich
22 Vgl.
die Ähnlichkeit zu den Gedichten von John Baine in Kapitel 2.
2003, S. 158.
24 M OSELEY 1994, S. 90.
25 Vgl. M OSELEY 1994, S. 90.
26 Vgl. M OSELEY 1994, S. 90.
27 Vgl. M OSELEY 1994, S. 93.
28 Vgl. M OSELEY 1994, S. 87: „The (...) typical fan is characterized, it seems to me, by intense loyalty,
conservatism, and pessimism.“
23 J OCH
19
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
selbst abschließt, dass er einen Wahlsieg der von ihm abgelehnten Conservative Party
unter Thatcher im Tausch gegen einen Pokalsieg von Arsenal akzeptieren würde(105).
Hier und an zahlreichen anderen Stellen gewinnt die Übertreibung gerade dadurch an
Komik, dass sie zu Gunsten der Fußballmannschaft und zu Lasten des Erzählers, seines
persönlichen Umfeldes oder gar der gesamten Gesellschaft ausgelebt wird – denn natürlich wünscht sich der Erzähler keine Tory-Regierung29 . Der extreme Leidensdruck
des Fans, der nahezu alles tun würde, um einen Erfolg seines Vereins zu erleben, wird
durch die komische Übertreibung erst in seinem vollen Außmaß auch für Außenstehende begreifbar. Aber die Ironie, die Hornbys Werk durchzieht, verschafft ihm auch
die Möglichkeit, sich aus einer durch Klassenzugehörigkeit und Bildungsstand konstruierten Identität zu befreien: Er ist einerseits ein klassischer Vertreter der akademischen
Mittelschicht, unterscheidet sich andererseits aber in seiner Fußballleidenschaft nicht
vom typischen working class-fan30 . In Fever Pitch wird also, ähnlich wie in Bend It Like
Beckham, die grundsätzliche Möglichkeit thematisiert, Elemente der eigenen Identität
frei zu wählen und zu kombinieren. Die oftmals als zwingend verstandenen Zusammenhänge zwischen Fußball, Gewalt und Sexismus werden aufgelöst zugunsten einer freien
Kombinierbarkeit von Merkmalen und Vorlieben:
„Theoretically it is possible to like football, soul music and beer, for example, but
to abhor breast-grabbing and bottom-pinching (or, one has to concede, vice versa);
one can admire Muriel Spark and Bryan Robson.“(72)
Damit schafft Hornby die Gratwanderung, sich weder als Schöngeist über den „gewöhnlichen“ Fan zu erheben, noch die negativen Seiten des Fußball zu verherrlichen. Nichtsdestotrotz wurde ihm beides von unterschiedlichen Seiten vorgeworfen31 , ein Vorwurf,
auf den Hornby – im Stil von Fever Pitch – reagierte: „Ich habe sozusagen Hooligans
herangezogen, die Kierkegaard zitieren und Klamotten von Gaultier tragen32 .“
Am Ende des Buchs schildert der Erzähler seine anfänglichen Bedenken, sich mit seiner Fußballbesessenheit analytisch auseinanderzusetzen, indem er sein Leben als Fan zu
Papier bringt. Er fürchtet, dass er mit dem Niederschreiben seiner Gefühle diesen ein
Ende setzen könnte, dass er „(...) eine Katharsis durchleben würde“33 , an deren Ende
die Ernüchterung in Form einer großen Leere stünde (237). Er fürchtet einen – durch
die Reflexion über das eigene Ich hervorgerufenen – Reifeprozess, der im Ergebnis die
Obsession besiegen könnte. Die literarische Auseinandersetzung mit seiner Obsession
wird also mit einem Prozess der therapeutischen Bewältigung gleichgesetzt, an deren
29 Vgl. J OCH
30 Vgl. J OCH
2003, S. 159.
2003, S. 160 f..
31 Vgl. M OSELEY 1994, S. 94
32 BABIAS , Marius: Hitzfeld, der Duchamp des Fußballs. Warum sich Intellektuelle und Künstler für
den Volkssport Fußball interessieren. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_98/07/31a.
htm – Aufgerufen am 28.08.2005.
33 L EIS 2002, S. 154.
20
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Ende die Befreiung von einem Trauma steht34 . Gleichwohl wird diese Option nicht als
Erlösung verstanden, sondern als eine Bedrohung dessen, was die Identität des Erzählers konstituiert. Doch letztlich stellt er fest, dass das Gegenteil der Fall ist und er den
Fußball mehr denn je genießen kann (237).
Selbst hier agiert der Erzähler also höchst irrational: Fever Pitch beschreibt zwar den
Masochismus des Fans, das ständige Erleben von Enttäuschungen und Frustrationen,
die soziale Isolation und die emotionale Abhängigkeit des besessenen Fans – es ist kein
Buch über die Freude am Fußball, sondern über die Pein des zwanghaft loyalen Anhängers, der dem Verein durch alle Hochs und Tiefs folgt. Diesen höchst unbefriedigenden
Zustand zu verändern, sich von der Obsession zu lösen und sich damit selbst zu befreien
ist aber keineswegs das Ziel des Erzählers. Es kann also konstatiert werden, dass es für
den Erzähler aus dem Fan-Dasein keinen Ausweg gibt. Bei allen negativen Begleiterscheinungen, die das Leben des Fans auszeichnen, gewinnt am Ende doch das Positive
die Oberhand, denn gerade im Miterleben und Miterleiden, in der Erfahrung kollektiv
ertragenen Schmerzes, manifestiert sich die eigene Identität.
Damit erscheint auch H IEBERS Kategorisierung als Entwicklungsroman problematisch: Das Buch beschreibt nur zu Beginn eine Entwicklung, nämlich die Entwicklung
eines Kindes zu einem glühenden Anhänger von Arsenal London. Im Prozess des Erwachsenwerdens ist aber keine Weiterentwicklung mehr zu erkennen35 . Der Erzähler
reift nicht, wird nicht erwachsen, er verharrt vielmehr in Bezug auf seine Obsession
auf dem Entwicklungsstand des Elfjährigen, der dem Verein „verfällt“ und diese Passion nicht mehr ablegen kann. Und obwohl diese Liebe hauptsächlich von negativen
Empfindungen wie Enttäuschung und Frustration getragen ist, wird sie zum dominanten Lebensinhalt. Es sei dahingestellt, ob tatsächlich „die Psychologie (...) vor solch
einem komplexen Phänomen wie dem Fußballfieber“36 versagt. So steht im Zentrum
von Fever Pitch auch die Erkenntnis, dass der radikale Fan seine Obsession zwar weder
steuern noch ablegen kann, dass sie sein Leben, also sein Verhalten, sein Denken und
seine Beziehungen, auf extreme Weise prägt, dass dieser Zustand jedoch bei allen negativen Aspekten auch eine emotionale Heimat und Zugehörigkeitsgefühle bietet, die in
hohem Ausmaß sinn- und identitätsstiftend wirken.
34 Vgl.
L EIS 2002, S. 154.
ist die Schilderung der Studienzeit des Erzählers: Er erkennt, dass sein Studium in Cambridge eine Gelegenheit hätte sein können, seine Fußballleidenschaft abzulegen, eine neue Identität
zu finden und die Privilegien der Eliteuniversität für sich zu nutzen. Statt dessen flüchtet er sich, vom
Leben an der Universität eher eingeschüchtert als begeistert, umso mehr in seine Identität als Fußballfan, der er sich sicher sein kann und die ihn nicht mit ungewohnten Anforderungen konfrontiert (92
f.).
36 L EIS 2002, S. 154.
35 Bezeichnend
21
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
1.2 Neue Konstruktionen von Männlichkeit
Die traditionell männliche Welt des Fußballsports macht die kulturelle Nutzung von
Fußball auch unter dem Aspekt von Geschlechteridentitäten zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand. Die Dichterin Sarah Wardle betont in einem Interview, dass
gerade Fever Pitch und der Film Bend It Like Beckham Beispiele dafür sind, dass das
Sujet Fußball dann interessant wird, wenn es Fragen von „Identität und Maskulinität“37
aufwirft. Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit besonders in der Analyse von
Gurinder Chadhas Fußballkomödie Bend It Like Beckham berücksichtigt, die Fußballleidenschaft als Teil einer weiblichen Identität darstellt38 . Eine andere Perspektive findet
sich in Hornbys Roman: Während der Film Fußball verwendet, um neue Konstruktionen von Weiblichkeit zu diskutieren, setzt sich Fever Pitch mit Männlichkeitsidealen
und männlicher Identität auseinander. G YMNICH sieht in den Romanen von Hornby die
Auseinandersetzung mit Männlichkeit in der Unsicherheit des Mannes gegenüber einem
neuen Typ Frau – speziell innerhalb einer Beziehung –, aus der er sich in Fever Pitch
durch die „Flucht in die als männlich aufgefasste Welt des Fußballs und männlicher
Sportfans“39 rettet.
Tatsächlich bewegt sich der Erzähler in Fever Pitch von früher Kindheit an in einer
weiblich dominierten Umgebung, da er nach der Scheidung seiner Eltern bei seiner Mutter und Schwester aufwächst. Der Vater steht ihm nur am Wochenende zur Verfügung,
wenn er die Kinder für gemeinsame Aktivitäten abholt. Diese gemeinsamen Aktivitäten
werden zum Auslöser für die Fußballobsession des Erzählers: Auf der Suche nach einer gemeinsamen Beschäftigung gehen Vater und Sohn 1968 zu einem Heimspiel von
Arsenal London, das die obsessive Liebe des Jungen zum Fußball und zu Arsenal begründet(7). Unter dem Aspekt der Maskulinität betrachtet, fallen dabei zwei Dinge auf:
Zum einen ist der gemeinsame Fußballnachmittag das erste Erlebnis seit der Scheidung
der Eltern, bei dem der Sohn eine echte Beziehung zu seinem Vater aufgrund einer
gemeinsamen Erfahrung aufbauen kann (8 f.), und zum anderen scheint die spezielle
männliche Komponente des Fußball im Rückblick einen Großteil der Faszination auszumachen, die das Spiel auf den Jungen ausübt:
„I remember the overwhelming maleness of it all – cigar and pipe smoke, foul
language (...), and only years later did it occur to me that this was bound to have
an effect on a boy who lived with his mother and sister“(11)
Hornby lässt das Spiel als ein Initiationsritual erscheinen, mit dem der Junge in die Welt
37 W OOLF,
Paul: Perfect Pitch. http://www.ideasfactory.com/writing/features/writ_feature50.htm – Aufgerufen am 01.08.2005, eigene Übersetzung.
38 Vergleiche dazu Kapitel 6.3.
39 G YMNICH , Marion: Gender in der Literatur seit den 1960er Jahren. Aus: N ÜNNING , Vera (Hrsg.):
Kulturgeschichte der englischen Literatur. Von der Renaissance bis zur Gegenwart. Tübingen, Basel:
A.Francke, 2005, S. 281.
22
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
der Männer eingeführt wird. Das Erleben einer als ursprünglich männlich empfundenen
Umgebung hinterlässt bei dem Jungen, der zuhause ein weiblich dominiertes Umfeld
erlebt, einen bleibenden Eindruck. Bereits zu diesem Zeitpunkt wirkt sich die neue Leidenschaft auch auf dieses weibliches Umfeld aus, da die Schwester, die bislang bei
allen gemeinsamen Unternehmungen dabei war, fortan zuhause bei ihrer Mutter bleiben
muss, wenn die männlichen Familienmitglieder ins Stadion gehen – zu dieser Zeit ist
der Besuch eines Fußballspiels für Frauen und Mädchen in der englischen Vorstadt noch
völlig unüblich(10). Die durch die Scheidung zerrissene Familie wird also durch das gemeinsame Interesse von Vater und Sohn ein zweites Mal geteilt, diesmal allerdings in
weibliche und männliche Lebenswelten.
In den Reflexionen des Erzählers über den Irrationalismus und die negativen Auswirkungen seiner Obsession auf seine Umwelt findet sich immer wieder die Erkenntnis, dass diese sich gerade auf sein Verhältnis zu Frauen auswirkt. Die Geschichte der
komplizierten Liebesbeziehung, die im Fokus der Verfilmungen steht, beschreibt die
Schwierigkeiten, die der Mann damit hat, seine absolute Besessenheit für seine Freundin begreifbar zu machen und gleichzeitig sein Leben so einzurichten, dass Fußball und
Beziehung nicht grundsätzlich inkompatibel sind. Er ist sich darüberhinaus der Tatsache
bewusst, dass sein Fan-Sein das Leben aller Menschen und speziell der Frauen in seiner
Umgebung erheblich beeinflusst. An einer Stelle sind einige dieser Folgen beschrieben:
Seine Schwester Gill etwa kann bis heute auf Zuruf nahezu alle Mitglieder der ArsenalMannschaft, die das Double erzielte40 , namentlich benennen, die Katzen seiner Mutter
tragen den Namen bzw. Spitznamen bedeutender Arsenal-Spieler(159). Der Erzähler
bedauert diese Tatsache:
„This is how things have always worked in my family. I feel bad that Arsenal has
intruded into their lives, too.“(159)
Der fanatische Anhänger hat seine – männliche – Fußballwelt also bis in sein persönliches – weibliches – Umfeld ausgedehnt. Interessant an der zitierten Stelle ist das Bedauern darüber, seine Familienmitglieder in etwas involviert zu haben, das in Fever Pitch
fast durchgehend negativ bewertet wird. Die fatalistische Einschätzung, die im Folgenden zitiert wird, fasst das Negative dieser männlichen Lebenswelt zusammen:
„And yes, I am aware of the downside of this wonderful facility that men have: they
become repressed, they fail in their relationships with women, their conversation is
trivial and boorish, they find themselves unable to express their emotional needs,
they cannot relate to their children, and they die lonely and miserable.“(15)
40 In
der Saison 1970/71 gewann Arsenal zum ersten Mal Pokal (FA Cup) und Meisterschaft, vgl. A R L ONDON O FFICIAL H OMEPAGE: Club History. http://www.arsenal.com/article.asp?article=
203703&lid=ClubNews&sub=Club+History&navlid=the+club&sublid=&Title=Club+History
–
Aufgerufen am 23.08.2005
SENAL
23
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Zwar ist diese Passage von ironischer Übertreibung gekennzeichnet, dennoch enthält sie
den Kern der Wahrheit der überwiegend pessimistischen Selbstbetrachtung des Erzählers: Seine Obsession erschwert persönliche Bindung, macht ihn egoistisch und rücksichtslos und droht, ihn in letzter Konsequenz vereinsamen zu lassen. Wenn diese Welt
in die weibliche Umgebung des Erzählers übergreift, leistet er nach seiner Einschätzung also keineswegs einen Beitrag dazu, die männliche Domäne Fußball für Frauen
zugänglich zu machen, im Gegenteil – er mutet ihnen Elemente einer primitiven, irrationalen und destruktiven Lebenswelt zu, die der der Frauen als unterlegen interpretiert
wird. Die Einschätzung von G YMNICH, dass sich aus Hornbys Romanen ein Gefühl der
Unterlegenheit gegenüber Frauen herauslesen lässt, scheint also belegbar zu sein.
Dennoch scheint diese Analyse etwas kurz gegriffen, denn der Begriff der „Flucht“
scheint in Bezug auf Fever Pitch nicht angemessen: Zwar eröffnet sich mit dem Fußball
die erste Chance für den Jungen, eine exklusiv männliche Welt zu erleben, doch seine
Begeisterung verbleibt eben nicht innerhalb des Fußballstadions, sondern sie ergreift
völligen Besitz von seinem Leben und damit auch von seinem Verhalten gegenüber
Frauen und Mädchen in seinem Umfeld. Fußball ist also keineswegs ein „Ort“ an den
er flieht oder ein Gebiet, auf das er sich zurückzieht, um seiner Unsicherheit Frauen
gegenüber zu entgehen. Vielmehr konstruieren Fußball und die schmerzhafte Liebe zu
Arsenal sein gesamtes weiteres Leben und wirken sich damit in fataler Weise auch auf
sein Verhältnis zu Frauen aus. Er zwingt in seiner Obsession sein ganzes Umfeld dazu,
sich mit seiner Leidenschaft zu arrangieren, gleich ob weiblich oder männlich.
Hornbys Buch wurde nach der Veröffentlichung unter anderem eine sexistische Grundhaltung vorgeworfen. Die Vorwürfe gründeten sich hauptsächlich auf die Schilderung
des Kampfes um die Vormachtstellung in der Beziehung zu einer Frau, die ebenfalls
Arsenal-Fan war, in dem Kapitel A Male Fantasy(162 ff.)41 . Wieder ist es der Erzähler
selbst, der den Fußball in die Welt einer anderen Person bringt, in diesem Fall, indem er
seine Freundin zu einem Spiel mitnimmt. Als sie ein zunehmendes Interesse am Fußball entwickelt, ihn regelmäßig zu den Spielen begleitet und sich eine Dauerkarte kauft,
muss er sich der Frage stellen, ob er diesen Zustand wirklich möchte. Er sieht sich zum
ersten Mal mit jemandem konfrontiert, der sich seine über Jahrzehnte kultivierte Obsession selbst anzueignen scheint, und er stellt beschämt fest, dass ihm diese Entwicklung
nicht gefällt. Dieser Konflikt artet in einen Wettstreit aus, den naturgemäß der Erzähler
gewinnt, weil der Egoismus als Teil seiner Obsession keine Konkurrenz erlaubt:
„(...)eventually I beat her, as I knew I would.(...) I behaved badly in order to prove
a point, and inevitably we had an argument (...), and once it had started I knew
that Arsenal was mine once again: she was left with no alternative but to say that it
was only a game(...). (...) What was she left with? She could attempt, or pretend, to
behave even worse than I had done; or she could withdraw, yield ground, leave the
41 Vgl.
M OSELEY 1994, S. 92 f.
24
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
agony and the ecstasy more or less entirely to me and user her own distress merely
to buttress mine.“(165 f.)
Das Bekenntnis, dass der Erzähler keine Konkurrenz in seiner bedingungslosen Hingabe duldet, dass er in seiner Freundin eine Bedrohung seines Vorrechtes als „wirklicher“
Fan sieht, hat Hornbys Buch den Sexismus-Vorwurf eingebracht. Übersehen wird dabei
allerdings, dass gerade diese Passage ein Beispiel für die schamlose Offenbarung der
eigenen Unzulänglichkeit ist, die sich durch das ganze Buch zieht: Das offene Eingeständnis, dass Fußball „Männer zu Idioten machen kann“42 , ist eine der Kernbotschaften
des Buchs. Hornby verklärt nicht, er versucht zu erklären, ohne dabei die negativen Effekte seiner Passion zu beschönigen. M OSELEY sieht in den Vorwürfen deshalb eine –
unbewusste oder bewusste – Fehlinterpretation: Das sexistische Verhalten des Erzählers
wird gesehen, nicht aber die Tatsache, dass der Erzähler selbst dieses erkennt, analysiert und kritisiert und damit in einem hohen Maße selbstreflexiv und -kritisch agiert43 .
Die doppelte Perspektive, die bereits im vorhergehenden Kapitel angesprochen wurde,
findet sich auch in den Passagen, in denen sich der Erzähler mit seinem Verhältnis zu
Frauen auseinandersetzt, und auch wenn in weiten Teilen zur Erzeugung von Komik mit
Übertreibungen gearbeitet wird, findet sich als Basis doch die durchaus ernsthafte und
bewusste Beschäftigung mit der Unzulänglichkeit des eigenen Irrationalismus. Diese
Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Fehler, der persönlichen Unreife dient hier tatsächlich einer Neudefinition von Männlichkeit. Das eigene Geschlecht und das geschlechtstypische Verhalten wird kritisch hinterfragt und letztlich als defizitär eingestuft. Hornby
entwickelt in Fever Pitch also das Bild eines Mannes, der selbstkritisch und aufgeklärt,
andererseits aber auch ein reaktionärer Macho sein kann, der seine eigene Unreife erkennen und benennen kann, sie aber gleichzeitig als unüberwindbar empfindet.
1.3 Fever Pitch - eine Autobiografie?
Eine der interessantesten Fragen zu Fever Pitch ist die seiner Zuordnung. In der Sekundärliteratur existieren mindestens so viele Kategorien wie es Autoren gibt: So war es
etwa – wie bereits oben erwähnt – unter anderem das meistverkaufte Sportbuch44 des
Jahres. Daneben finden sich die Bezeichnungen Memoir/Autobiography45 , Autobiographical Novel46 , Fan-Roman mit Verwandtschaft zur Satire47 , mal wird es kommentarlos
als Roman in eine Reihe mit Hornbys anderen Büchern gestellt48 , bei H IEBER wird es
42 Vgl.
Hornbys Aussage dazu in M OSELEY 1994, S. 93, eigene Übersetzung.
M OSELEY 1994, S. 94.
44 T ICHER 1993, S. 101.
45 M OSELEY 1994, S. 89.
46 H UBER 2002, S. 287.
47 J OCH 2003, S. 158.
48 G YMNICH 2005, S. 281.
43 Vgl.
25
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
gar zu einem Entwicklungs- und Bildungsroman49 erkoren.
Diese Aufzählung verdeutlicht, dass die Zuordnung von Hornbys Buch Schwierigkeiten bereitet. Dies liegt in seiner Form begründet: Die Spannbreite zwischen Roman
einerseits und etwa Autobiografie andererseits zeigt, dass das Problem in der Frage nach
der Fiktionalität begründet liegt. Dass Hornbys Erzähler autobiografische Züge trägt, ist
in der Literatur unstrittig. Zwar scheint es ein wenig unpräzise, wenn Joch feststellt, dass
„das erzählende Ich (...) vom Autor kaum zu unterscheiden“50 sei, doch tatsächlich ist
das Leben von Hornbys Erzähler in den zentralen Daten mit dem seinen identisch.
Zwei Gründe sprechen dennoch dafür, bei Fever Pitch von einem Roman zu sprechen: Erstens der ständige gezielte Einsatz von stilistischen Techniken zur Erzeugung
von Komik. Humor spielt in Fever Pitch eine große Rolle, das beschriebene Verhalten
und Empfinden des besessenen Fans wird sowohl ernsthaft als auch mit viel Ironie dargestellt51 . Die Tendenz zu Übertreibungen und Pauschalisierungen ist Ausdruck eines
Stils, der das Buch über eine reine „Lebensbeschreibung“ im Sinne einer Autobiografie hinausgehen lässt. Gerade in der Mischung aus ernsthafter Reflexion und ironischer
Übertreibung erwächst der spezielle Charakter von Fever Pitch. Joch spricht davon, dass
das Buch sogar „mitunter ins Unwirkliche“52 spielt. Surrealistische Darstellung, Ironie
und Übertreibung sind jeweils deutliche Zeichen einer durchhaus vorhandenen Fiktionalität und widersprechen damit der Kategorisierung als Autobiografie.
Zweitens widerspricht die auffallende Durchschnittlichkeit des Lebens des Erzählers
dem Charakter einer Autobiografie: Das Leben des zu diesem Zeitpunkt unbekannten
Autors ist nicht durch besondere Leistungen oder extreme Erfahrungen geprägt, es verläuft im Grunde völlig unspektakulär53 . Die Memoiren eines Mannes aber, der nicht
am Ende, sondern in der Mitte seines Lebens steht und den kein Alleinstellungsmerkmal auszeichnet, der also letztlich nichts anderes als das völlig durchschnittliche Leben
eines gebildeten englischen Mannes aus der Mittelschicht lebt, wäre an sich kaum interessant für eine große Zahl an Lesern. Doch gerade durch die Tatsache, dass sich eine
Vielzahl englischer Männer mit dem Erzähler identifizieren können, weil seine Fußballleidenschaft ihn nicht einzigartig, sondern gerade austauschbar macht, lässt sich der
Erfolg des Buches erklären. Fever Pitch rückt also - bei allen autobiografischen Elementen - nicht ein identifizierbares Individuum in den Vordergrund, sondern einen bestimmten Typus Mensch, der überall in großer Zahl zu finden ist. Fever Pitch beschreibt das
Leben und Leiden eines Fans, aber eben nicht eines bestimmten Fans, der sich durch
bestimmte Merkmale von allen anderen unterscheidet, sondern einem, der einem be49 H IEBER
2005, S. 80.
2003, S. 158.
51 Vgl. dazu Kapitel 1.1.
52 J OCH 2003, S. 158.
53 Vgl. M OSELEY, Merritt: „Nick Hornby, English Football, and Fever Pitch“. In: Aethlon XI (1994),
Nr. 2, S. 89.
50 J OCH
26
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
stimmten, in großer Zahl auftretenden Schema entspricht und über den sich deshalb in
autobiografischer Form allgemeine Aussagen anstellen lassen. Das Fan-Sein eignet sich
also hervorragend für Reflexionen über Obsession, über das Erwachsenwerden, über die
Konstruktion von Identität und über Geschlechterverhältnisse. Diese Auseinandersetzung mit allgemeinen Fragen des Menschseins in literarischer, fiktionaler Form macht
Fever Pitch also zu einem Roman54 .
2 Das komprimierte Spiel: Fußballgedichte
Für den im Folgenden behandelten Bereich der Lyrik erscheint der Begriff der Populärliteratur zunächst nicht angemessen. Dennoch soll in diesem Kapitel der Nachweis
erbracht werden, dass gerade football poems eine Literaturform darstellen, die in hohem
Maße in die klassische Fankultur integrierbar ist und Identifikations- und Partizipationsmöglichkeiten eröffnet – wenn, wie im Fall der Football Poets, das Verfassen von Gedichten durch Fußballfans im Vordergrund steht. Wie sich an den im Folgenden genauer
untersuchten Gedichten von Attila the Stockbroker und Sarah Wardle zeigt, lassen sich
Fußballgedichte darüber hinaus auch sehr gut in das Spielgeschehen und das Umfeld
von Verein, Fanclubs etc. einbinden, etwa durch ihre Veröffentlichung in Fanzines und
Programmheften55 oder durch das Rezitieren über die Lautsprecher in der Halbzeitpause.
Die zeitgenössische lyrische Dichtung zum Thema Fußball lässt sich für den britischen Raum grob in drei Kategorien einteilen. Der Großteil der „Special-interest“56 Anthologien, aber auch Gedichtbände einzelner Autoren zum Thema Fußball finden
sich im Segment der Kinderliteratur57 . Auf diesen speziellen Bereich wird der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen. Darüber hinaus hat das Prinzip des Poet in Residence
oder Poet Laureate in einigen Fußballvereinen Einzug gehalten58 . Unter ihnen wurden
für die folgenden Analysen Sarah Wardle und John Baine(„Attila the Stockbroker“) ausgewählt. Bei den Gedichten von Attila the Stockbroker ist die spezifische Mischung aus
54 Dennoch
ist das Autobiografische in Fever Pitch in Hinblick auf die nichtfiktionale Fußballliteratur
interessant, in der gerade die Autobiografien von Fußballspielern eine große Rolle spielen. Diesem
Genre widmet sich das Buch David Feckham; My Backside, auf das in Kapitel 5 eingegangen wird.
55 Vgl. BAINE , John (alias Attila the Stockbroker): Goldstone Ghosts. The collected football poems
of Attila the Stockbroker, Poet in Residence at Brighton & Hove Albion FC. Portslade: Roundhead Publications, 2001a, S. 15 und F REEMAN , Alison: Soccer poet having a ball at club. http:
//news.bbc.co.uk/1/hi/england/london/3647215.stm – Aufgerufen am 04.07.2005.
56 S CHNEIDER 2000, S. 297.
57 Vgl. etwa O RME , David (Hrsg.): ’Ere We Go! Football Poems chosen by David Orme. With football
facts by Ian Blackman. London, Basingstoke: Macmillan Children’s Books, 1993; F OSTER , John:
My Mum’s Put Me On The Transfer List. Football Poems collected by John Foster. Oxford: Oxford
University Press, 2002; T OCZEK , Nick: Kick It! London, Basingstoke: Macmillan Children’s Books,
2002
58 Poet in Residence sind etwa Ian McMillan bei Barnsley FC, John Baine alias „Attila the Stockbroker“
bei Brighton & Hove Albion FC oder Sarah Wardle bei Tottenham Hotspur FC.
27
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
der Unterstützung des eigenen Vereins Brighton & Hove Albion FC und der politischen
Aktion inner- und außerhalb des Fußball von besonderem Interesse. Sarah Wardle sticht
als eine der wenigen Autorinnen der britischen Fußballliteratur hervor und verknüpft in
ihren Gedichten, die immer auch einen Bezug zu ihrem Verein Tottenham Hotspur FC
enthalten, Fußball und die Gedanken- und Lebenswelt außerhalb des Spiels durch den
metaphorischen Einsatz von Elementen des Fußball. Die daraus resultierende Lyrik ist
bei beiden Autoren geprägt durch den engen Bezug zum Verein und die impliziten Aufgaben, die damit verbunden sind: Der Dichter unterstützt den Verein, erarbeitet einen
literarischen Zugang zu dessen Geschichte und Identität und erhält im Gegensatz dazu
die Chance, sich in einem thematisch eingegrenzten Bereich lyrisch zu entwickeln59 und
das Interesse an Lyrik bei einer sehr großen Gruppe – den Fußballfans – zu wecken. Beide untersuchten Autoren werten letzteren Aspekt der Fußballlyrik hoch: Sarah Wardle
äußert sich in einem Artikel zu den identitätsbildenden Merkmalen von Lyrik, die, mit
populären Themen besetzt, zu einer Steigerung der Bereitschaft, individuell kreativ tätig zu werden, führen können60 . John Baine („Attila the Stockbroker“) wendet sich im
Vorwort zu „Goldstone Ghosts“ sowohl an „Albion fans who think poetry is rubbish“
als auch an „poetry fans who don’t like football“61 und betont damit den integrativen
Charakter der Fußballlyrik.
Eine weitere Kategorie, die genau an diesem Punkt ansetzt, ist die der Fandichtung,
also der Gedichte von Fußballfans, die als Hobbydichter ihrer Leidenschaft Ausdruck
verleihen; dieses Konzept ist besonders ausgeprägt in dem Internetprojekt der Football
Poets62 , die auf ihrer Website jedem die Möglichkeit bieten, seine Fußballgedichte zu
veröffentlichen. Dieses Projekt belegt wie kein anderes die demokratischen Elemente,
die Fußballdichtung enthält, und soll deshalb einleitend erläutert werden.
2.1 Football Poets
Hervorgegangen sind die Football Poets aus den von Stuart Butler und Dennis Gould
1995 in Stroud gegründeten Stroud Football Poets, die wohl als erste abendfüllende Lesungen veranstalteten, auf denen ausschließlich Fußballgedichte vorgetragen wurden.
Sie stießen dabei auf sehr großes Interesse, das durch die in den Neunzigern begründete
Annäherung von Literatur und Fußball spürbar angeregt wurde63 . Aus dem Erfolg der
Live-Programme gedieh die Idee, mithilfe des Internets Fußballbegeisterten und Lyrik59 So
äußert sich Sarah Wardle etwa zu den Vorteilen, zu einem festen Thema zu dichten: „As with form,
a set subject matter helps you focus and is not constraining(...)“.WARDLE , Sarah: „They think it’s all
Ovid!“. In: The Times Higher Education Supplement 1646 (2004)
60 Vgl. WARDLE 2004.
61 Vgl. BAINE 2001a, S. 5.
62 Football Poets - football poetry, poems written by football fans. http://www.footballpoets.org – Aufgerufen am 23.03.2005.
63 Vgl. S IMPSON , Will: „Sick as a Poet“. In: The Big Issue (2001), Nr. 13.
28
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
liebhabern gleichermaßen eine Möglichkeit zu bieten, Fußballgedichte zu veröffentlichen und zu lesen. Die Football Poets bestehen heute aus einem Kernteam von Dichtern
(darunter auch der im Folgenden besprochene John Baine alias Attila the Stockbroker),
dem First Team Squad, sowie aus einem Youth Team von Kindern, die ebenfalls Fußballgedichte beitragen – ein Resultat aus der Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulen,
an denen die Football Poets regelmäßig Lyrik-Workshops anbieten64 . Die eigentliche
Innovation liegt aber in der Partizipationsmöglichkeit, die die Internetseite gerade auch
Hobbydichtern bietet: Die Besucher der Homepage sind aufgerufen, eigene Gedichte
zum Thema Fußball einzusenden, die im Regelfall – ungeachtet formaler oder qualitativer Aspekte – auf der Seite veröffentlicht werden65 . Damit ist Football Poets nicht nur
ein Projekt, das die poetische Auseinandersetzung mit dem Fußball – und die Auseinandersetzung von Fußballfans mit Lyrik – fördert, sondern gleichzeitig eine stetig wachsende Datenbank mit Fußballgedichten von professionellen Dichtern wie Amateuren.
Die (Fußball- )Lyrik wird so zu einem basisdemokratischen Format, das zu Kreativität
und zu Reflexion über Fußball ermuntert. Zwar gibt es auch auf dem britischen Buchmarkt auch populäre Gedichtanthologien, die Beiträge von Amateurdichtern enthalten,
und unter diesen „people’s voice“66 -Anthologien finden sich auch solche, die das Thema Fußball behandeln67 . Allerdings liegt der Unterschied zu Football Poets darin, dass
hier durch die Veröffentlichung auf einer Internetseite eine Varietät individueller Wahrnehmungen und Eindrücke über Fußball und eine Vielfalt in der literarischen Gestaltung
aufgezeigt wird, die in konventionellen Publikationen, schon durch den begrenzten Umfang, bei weitem nicht erreicht werden kann. Dabei liegt wohl gerade in der lyrischen
Form ein Teil des Erfolgs des Projektes begründet – sowohl unter dem Aspekt der literarischen Produktion als auch unter technischen Aspekten: Zunächst sprechen rein
praktische Gründe für das Gedicht, denn aufgrund seiner komprimierten Form werden
für die Präsentation, aber auch die Archivierung und Verwaltung auf einer Internetseite
erhebliche technische Vorteile erzielt: Die komfortable Lesbarkeit auf dem Bildschirm
sowie die vergleichsweise kurzen Ladezeiten fördern die Lesebereitschaft und steigern
so die Besuchszahlen und damit die Zahl der Leserinnern und Leser, die bereit sind,
sich mit Fußballgedichten zu beschäftigen68 . Die Chance, kostenlos und bequem zu
64 Vgl.
S IMPSON 2001.
W OOLF, Paul: Tackling Poetry. http://www.ideasfactory.com/writing/features/writ_feature28.
htm – Aufgerufen am 16.04.2005.
66 S CHNEIDER 2000, S. 299.
67 So etwa H ORN , Ian (Hrsg.): Verses United. The Poetry of Football. Durham: County Durham Books,
1993 oder auch BAINE , John (Hrsg.): ...And I’ll be Kit Napier - A Centenary Anthology of Supporters’
Writing. Compiled and edited by John Baine. Portslade: Roundhead Publications, 2001b, das Gedichte
von Brighton-Fans enthält und zum 100-jährigen Jubiläum des Vereins herausgegeben wurde.
68 Hier lohnt sich zum Vergleich der Blick auf im Internet verfügbare Volltextarchive, die umfangreichere
Literaturformate wie Erzählungen, Dramen oder ganze Romane auf den Bildschirm bringen. Damit
müssen bislang gravierende, dem Medium Internet inhärente Einschränkungen in Kauf genommen
werden: Lange Ladezeiten, wenn ein umfangreicher Text auf einer einzigen Seite dargestellt wird,
oder kontinuierliches Navigieren bei Texten, die auf mehrere Bildschirmseiten verteilt werden. Auch
65 Vgl.
29
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
veröffentlichen sowie der kostenlose Zugriff auf die Gedichte erhöhen sowohl den Bekanntheitsgrad als auch die Bereitschaft zur eigenen Beteiligung.
In erster Linie sind es aber gattungsspezifische Merkmale, die eine Erklärung für den
Erfolg der Fußballgedichte liefern. Das Gedicht als eine oft kurze, prägnante Literaturform ist gerade für Anfänger, aber auch für Kinder ein geeigneter Einstieg in kreatives
Schreiben, weil es im Gegensatz zur erzählenden Literatur zumeist von überschaubarem
Umfang ist und verhältnismäßig hohe gestalterische Freiheit bietet, die einen spielerischen kreativen Umgang mit Literatur erlaubt. Zudem ist das Gedicht, im Gegensatz zu
anderen Gattungen, in den Stadien und im Umfeld von Fußball traditionell verankert:
Die football chants, die während Spielen von den Tribünen gesungen oder gerufen werden, sind selbst kleine lyrische Einheiten, die zwar kollektiven statt individuellen Charakter tragen und die sehr spezifisch auf das Spiel, die eigene oder gegnerische Mannschaft oder einzelne Spieler gerichtet sind, doch eine gewisse Offfenheit des Fußballfans
gegenüber lyrischen Formen kann vermutet werden. Das Fußballgedicht im Sinne von
Football Poets setzt also da an, wo die Fußballkultur im Stadion aufhört, und hat damit
zugleich affirmativen wie pädagogischen – und nicht zuletzt unterhaltenden – Charakter. Den hohen Stellenwert, den die Internetseite Football Poets in den fünf Jahren ihrer
Existenz dadurch erhalten hat, belegt die Tatsache, dass das Projekt inzwischen als „important part of our documentary heritage“69 in ein Internet-Archivierungsprojekt der
British Library70 aufgenommen wurde.
Das scheinbare Paradoxon, dass gerade eine Literaturgattung, der ein eher elitärer
Charakter nachgesagt wird und die kommerziell im Vergleich zu anderen ein Nischendasein fristet, ihre Adressaten in den Massen der Fußballfans finden oder sich gar zu
einem literarischen Sprachrohr für jedermann entwickeln kann, löst sich also auf, wenn
man ihre spezifische Form und die ihr innewohnenden Beziehungen zur klassischen
Fankultur berücksichtigt.
2.2 Attila the Stockbroker: Goldstone Ghosts
Hinter dem Pseudonym Attila the Stockbroker verbirgt sich der englische Musiker und
Dichter John Baine. Charakteristisch für seine Lieder und Gedichte ist eine explizite
linksradikale politische Haltung, aber auch eine spezielle Verbundenheit mit seiner Heimat Brighton und dem Fußball. Seit der Saison 2000/2001 ist er Poet in Residence bei
Brighton & Hove Albion FC, seinem lokalen Fußballverein, der aktuell in der zweiten
das Lesen längerer Einheiten am Bildschirm bzw. das Ausdrucken ist für den Nutzer eher unpraktisch.
Poets - British Library archiving request. http://www.footballpoets.org/web-archive-project.
htm – Aufgerufen am 30.07.2005.
70 Das UK Web Archiving Consortium, das den Versuch macht, ausgewählte, für wertvoll erachtete Webseiten und deren Inhalte dauerhaft zu archivieren, um der Vergänglichkeit von online verfügbaren
Daten entgegenzuwirken: UK Web Archiving Consortium. http://www.webarchive.org.uk/ – Aufgerufen am 30.07.2005.
69 Football
30
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
englischen Fußballliga, der Football League Championship, spielt. Trotz der sehr radikalen linken Positionierung des Musikers und Dichters und seiner Verortung jenseits
des kommerziellen Musikmarktes71 hat er in den 25 Jahren seiner Tätigkeit eine gewisse
Popularität erlangt. So widmete ihm BBC Radio Four aus Anlaß seines 25-jährigen Bühnenjubiläums am 21. August 2005 eine halbstündige Sendung mit dem Titel Giving It
Lip72 , die von einem Kollegen, dem Dichter und Poet in Residence bei Barnsley FC, Ian
McMillan, zusammengestellt wurde. Zudem ist davon auszugehen, dass er als langjähriger Fan und Aktivist des Fußballvereins vor allem bei den lokalen Anhängern bekannt
ist. So ist etwa sein Engagement im Kampf gegen den Verkauf des Stadiongrundstückes
und anschließend für ein neues Stadion in Falmer exemplarisch für die charakteristische
Verbindung von politischer Aktion und Fußballbegeisterung73 . Ein konkretes Beispiel
dafür ist Seagulls Ska, ein musikalisches Solidaritätsprojekt im Kampf des Vereins für
das neue Stadion, an dem Baine maßgeblich beteiligt war, und das im Januar 2005 mit
dem Song „Tom Hark (We Want Falmer)“ Platz 17 in den britischen Single-Charts erreichte74 , ein Erfolg einer strategisch angelegten Kampagne im Rahmen der „Keep the
Albion Alive & Kicking Campaign“, mithilfe derer die nötigen finanziellen Mittel für
den Stadionbau in Falmer akquiriert werden sollen75 .
Der Gedichtband „Goldstone Ghosts“76 enthält alle Fußballgedichte, die Baine zwischen 1983 und 2001 verfasst hat. Der überwiegende Teil der Gedichte entstammt der
Saison 2000/2001, in der Baine seine Tätigkeit als Poet in Residence aufgenommen hat
(5). Sie wurden zuvor zum Teil im Programmheft des Vereins oder dem Fanzine „Gull’s
Eye“ veröffentlicht oder bei Heimspielen im Stadion über die Lautsprecheranlage rezi71 Seine
CDs und Bücher werden fast ausnahmslos nicht über den Handel, sondern über seine Internetseite vertrieben; einen Teil seiner Aufnahmen stellt er zudem auf seiner Homepage kostenlos
im MP3-Format zur Verfügung, vgl. Homepage of Attila the Stockbroker: Biography. http://www.
attilathestockbroker.com/#bio – Aufgerufen am 19.07.2005.
72 BBC F OUR : Programme Information: Giving It Lip, Sun 21 Aug, 16:30 - 17:00. http://www.bbc.co.uk/
cgi-perl/whatson/prog_parse.cgi?FILENAME=20050821/20050821_1630_49700_43460_30 – Aufgerufen am 18.08.2005.
73 Zu den Aktionen der Fans von Brighton & Hove Albion vgl. D UKE , Vic: „Local Tradition Versus
Globalisation: Resistance to the McDonaldisation and Disneyisation of Professional Football in England“. In: Football Studies 5 (2002), Nr. 1, S. 18. Aufschlussreich ist auch die private Internetseite
eines Brighton-Fans, der unter der Überschrift „How to Save Your Football Club“ aus den Erfahrungen mit Brighton allgemeine Tipps ableitet, unter denen auch die Inanspruchnahme der Talente von
Fans unterschiedlichster Professionen aufgezählt wird. Der dort angesprochene poet ist zweifellos
John Baine. Vgl. C ARDER , Tim: How to Save Your Football Club. Ten tips from the Brighton & Hove
Albion experience. http://www3.mistral.co.uk/timc/saveclub.htm – Aufgerufen am 18.08.2005
74 Vgl. D EMBOWSKI , Gerd/L IESKE , Matti: „Wie in Albaniens achter Liga. Die Fans des englischen
Fußballklubs Brighton & Hove Albion kämpfen für ein neues Stadion. Eine neue Single soll dabei
helfen“. In: die tageszeitung vom 03.01.2005 (2005), Nr. 7554. Die Chartplatzierung wurde mithilfe
der Suche in einer Online-Datenbank verifiziert, vgl. Every Hit: UK Top 40 Hit Database. http:
//www.everyhit.com/ – Aufgerufen am 20.07.2005.
75 Vgl. Homepage of Attila the Stockbroker: Ten and a Half Hour Sponsored Gig - Keep the Albion
Alive and Kicking. http://www.attilathestockbroker.com/albion.html – Aufgerufen am 01.08.2005,
Homepage of Attila the Stockbroker: Tom Hark (We Want Falmer) - The Story of a Hit! http://www.
attilathestockbroker.com/falmer.html – Aufgerufen am 01.08.2005.
76 BAINE 2001a. Die Seitenangaben in runden Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
31
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
tiert, wo Baine als DJ und Stadionsprecher tätig ist (15). Baine stellt seinem Buch eine
Erklärung und eine Widmung voran: An erster Stelle findet sich das Statement, dass es
das Recht jedes Fußballfans sei, seinen eigenen lokalen Fußballverein zu unterstützen.
Diese Anmerkung ist insofern interessant, als sie ein traditionelles Problem der Linken
mit der Akzeptanz und Aneignung determinativer (wie etwa regional, national oder ethnisch bedingter) kollektiver Identitäten anspricht. Das Statement, so selbstverständlich
es erscheinen mag, ist also als eine Verteidigung der Bindung des Fans an den Verein vor
Ort zu verstehen, einer Bindung, die nicht rational, sondern vor allem traditionell und
damit emotional begründet ist. „Goldstone Ghosts“ ist Baines Frau Robina gewidmet,
die seinen Verein zwar unterstützt, aber – entsprechend Baines Verständnis – im Zweifel auf der Seite ihres eigenen Heimatvereins, Northwich Victoria, stünde (3). Erklärung
und Widmung unterstützen so eine traditionelle Sichtweise von Anhängerschaft, die
nicht durch Erfolge oder Moden getragen wird77 , sondern durch die lebenslange Bindung an den Heimatverein.
Das Buch Goldstone Ghosts ist thematisch gegliedert. Die ersten fünf Gedichte sind
nicht unter einer gemeinsamen Kapitelüberschrift zusammengefasst. Sie passen thematisch nicht in die weitere Gliederung oder besitzen grundsätzliche Aussagekraft für die
ganze Gedichtsammlung und sind deshalb den eigentlichen Kapiteln vorangestellt. Das
erste und umfangreichste Kapitel „Our Championship Season, 2000-2001“(15) enthält
Gedichte aus der Saison 2000/2001, während der Brighton in der dritten Liga, damals
die Football Division Three, spielte und an deren Ende der Gewinn der Meisterschaft
stand. Das anschließende Kapitel trägt den Titel „The Bad Old Days“ (38) und enthält
drei Gedichte, die zwischen 1996 und 2000 datiert sind. Sie dokumentieren den Einsatz
von Gedichten in den Abwehrkämpfen, die die Fans des Vereins in diesen Jahren gegen
ihren Präsidenten Bill Archer78 , und dessen Pläne, das Stadiongrundstück zu verkaufen,
führten.
Ausgehend von einem traditionellen Verständnis des Fan-Seins sind die Fußballgedichte von John Baine sehr stark konzentriert auf den eigenen Heimatverein, auch wenn
einzelne Gedichte auf andere Vereine (positiv oder negativ) Bezug nehmen79 . Besonders
das Kapitel „Our Championship Season, 2000-2001“ ist mit den vielfältigen Nebentexten (Erläuterungen und Einführungen, chronologische Datierung, Nennung der jeweils
aktuellen Platzierung des Vereins) mehr als nur eine Sammlung von Gedichten. Zum
einen wird hier die Tätigkeit eines Poet in Residence, der tatsächlich anlassbezogen im
Auftrag des Vereins dichtet, akribisch dokumentiert, zum anderen wird aber auch die
77 Diese
Kritik an der Beliebigkeit mancher Fußballfans, die die Unterstützung eines Vereins ausschließlich von deren Erfolg abhängig machen, findet sich in dem Gedicht „Five Wins in A Row“ (22).
78 Bill Archer ist der Direktor einer Kette von Heimwerkermärkten und hatte sich mit geringem finanziellen Aufwand zu einem günstigen Zeitpunkt eine Mehrheit am hochverschuldeten Verein erworben,
vgl. D EMBOWSKI/L IESKE 2005
79 Manchester United(16), Cheltenham Town FC(18f.), Wimbledon FC(25), York City FC(27), Hull City
AFC(28,50), Chesterfield FC(32), Northwich Victoria FC(34), Crystal Palace FC(36f.)
32
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
eigene Interpretation des Lesers zum Teil vorweggenommen, indem ein Kontext bereits vorgegeben ist. Das ist zumindest weitgehend damit zu erklären, dass Goldstone
Ghosts auch eine Werkschau über einen bestimmten Teilaspekt – die Fußballgedichte – im Spektrum des Dichters ist, die immerhin 18 Jahre seines Schaffens umspannt.
Dadurch eröffnet sich eine zweite Ebene des Werkes: Goldstone Ghosts ist auch eine
knappe Vereinsgeschichte in lyrischer Form, die an markante Ereignisse und Episoden
erinnert und diese individuell bewertet. Den Gedichten wird eine äußere Motivation
zugesprochen, so dass die Fußballdichtung zur Zweck- und Auftragslyrik wird. Offensichtlich wird dieses Verständnis besonders in den Gedichten, die gezielt für den Protest
der Fans gegen den Verkauf ihres Stadiongeländes geschrieben und verwendet wurden (wie beispielsweise „To The Good People Of Mellor, Lancs.“(39)). Ebenso wie
die politischen Lieder, die einen Großteil von Baines Programm ausmachen, wird auch
hier Kunst, im Sinne einer populären, aber nicht kommerziellen Kunst, als ein Mittel
zur Aufklärung und zur gesellschaftlichen Veränderung begriffen. Wechselwirkungen
sind dabei vorprogrammiert, klare Trennungen unmöglich: Die Kapitalismuskritik Baines macht vor dem System und dem Geschäft Fußball nicht halt, sie wird vielmehr
darauf heruntergebrochen und findet in den aktuellen Entwicklungen des Fußballspiels
konkrete Ansätze für eine weit darüber hinausgehende Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen. Auch hier kann also Fußball als ein Mikrokosmos angesehen werden, aus
dem sich allgemeine gesellschaftliche Tendenzen wie die zunehmende Dominanz einer
neoliberalen Denkrichtung oder die Bildung von Medienmonopolen ablesen lassen –
und anhand dessen sie konkret und damit im Alltag nachvollziehbar dargestellt werden
können.
Stilistisch unterscheiden sich die einzelnen Gedichte signifikant, ein häufiges Merkmal ist aber ein liedhafter Charakter. Viele der Gedichte verfügen über traditionelle
Metren und Reimschemata und erwecken dadurch die Assoziation zu den bereits angesprochenen football chants. Gerade für den öffentlichen Vortrag bei Fußballspielen
erscheinen sie durch diese traditionelle Form besonders geeignet, auch bei großen und
heterogenen Massen, wie sie bei Fußballspielen vorhanden sind, Aufmerksamkeit zu
erwirken. Obwohl viele der Gedichte mit dem Mittel der Ironie arbeiten, spielerisch mit
Sprache hantieren80 und vielfältige Bezüge, zum Beispiel auf Politik oder Popmusik,
verarbeitet werden, sind sie in Sprache und Stil von allgemeiner Verständlichkeit und
bieten damit auch denjenigen Rezipienten Zugang, die sonst mit zeitgenössischer Lyrik
nicht in Berührung kommen.
Im Folgenden werden zwei Gedichte analysiert, die das Spektrum der Fußballgedichte von John Baine exemplarisch beleuchten sollen. Mit dem Titelgedicht „Goldsto80 So
etwa „Flashbacks From ’Nam“(18), in dem der Titel, bestimmte Schlüsselwörter und Ausdrücke
sowie der abgehackte Stil an die Erinnerungen eines Vietnam-Veteranen denken lassen, bevor erst
zur Hälfte des Gedichtes aufgelöst wird, dass es sich bei ’Nam um die Stadt (und den Fußballclub)
Cheltenham handelt.
33
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
ne Ghosts“ wird ein balladenhaftes Gedicht mit chronologischem Aufbau untersucht.
„Complete Control“ als ein kurzes, im freien Vers verfasstes Gedicht wird als ein Beispiel für einen das politische Fußballgedicht analysiert.
2.3 Gedichtanalyse: Goldstone Ghosts
„Goldstone Ghosts“ (8f.)81 ist das für die Sammlung titelgebende Gedicht und steht am
Anfang der Sammlung. Der Titel bezieht sich auf das frühere Stadion von Brighton &
Hove Albion, Goldstone Ground, das 1997 gegen den Willen der Fans abgerissen wurde,
nachdem das Grundstück von einem Geschäftsmann, der Mehrheitsanteile am Verein
erworben hatte, verkauft worden war (6). Das Wort Ghosts steht für die Erinnerungen
an eben jenes Stadion, die im Gedicht beschrieben werden. Dem Gedicht vorangestellt
ist der Zeitpunkt und Anlass seines Entstehens, das letzte Spiel des Vereins, das vor dem
Abriss in diesem Stadion am 26.4.1997 stattfand.
Das Gedicht ist ein Beispiel für ein in Struktur, Reimschema und Rhythmus traditionell komponiertes Gedicht: Es besteht aus neun Oktetten mit dem Reimschema abcbdefe. Die Verse bestehen aus Jamben und haben einen durchgehend männlichen Ausgang.
Dabei wechseln sich nahezu durchgehend 7 mit 5 Hebungen ab82 . Bei der formalen
Analyse fällt der balladenhafte Charakter auf.
2.3.1 Elemente der Ballade: Narrative Form und der Umgang mit der Zeit
Ein Merkmal der Ballade ist ihre Orientierung an narrativen Formen83 . „Goldstone
Ghosts“ lebt tatsächlich wenig von Bildhaftigkeit, sondern vor allem von der chronologischen Erzählweise, die sich in knappen Ereignisschilderungen durch die gemeinsame Geschichte von lyrischem Ich und Verein bewegt. Der Balladencharakter ergibt
sich aber auch aus dem Umgang mit der Zeit: Die der Ballade eigene „Abruptheit
und Transitionslosigkeit“84 lässt sich besonders anschaulich an den Aussparungen und
Zeitsprüngen des Gedichtes belegen. Diese können anhand der Altersangaben oder der
aufgezählten Ereignisse nahezu exakt benannt werden – hier sollen einige Eckdaten als
exemplarische Belege dienen85 : Das lyrische Ich ist zu Beginn der 2. Strophe acht Jahre
alt, zwei Jahre später stirbt der Vater, in der 3. Strophe geht das lyrische Ich mit 11 Jahren bereits alleine zu den Spielen. Der Aufstieg von Brighton & Hove Albion FC in die
81 Die
zitierten Strophen werden im Folgenden in eckigen Klammern angegeben.
Strophe 2 enthält die letzte Verszeile statt 5 nur 4 Hebungen, eine metrische Unterbrechung, die
der an dieser Stelle überraschenden und schockierenden Aussage der Verszeile entspricht[2]. In der
letzten Strophe bestehen die 3. und 7. Verszeile aus nur 6 statt 7 Hebungen [9].
83 Vgl. M ÜLLER , Wolfgang G.: Die englisch-schottische Volksballade. Bern, München: Francke, 1983
(= Studienreihe Englisch 48), S. 150ff.
84 M ÜLLER 1983, S. 150.
85 Die Jahreszahlen richten sich nach den Angaben zur Vereinsgeschichte auf der offiziellen Homepage
des Fußballclubs: Brighton & Hove Albion FC Official Site: History. http://www.seagulls.premiumtv.
co.uk/page/PottedHistory/0,,10433,00.html – Aufgerufen am 26.07.2005
82 In
34
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Division One, der zu dieser Zeit höchsten Liga, fand im Jahr 1979 statt [4], das gewonnene Pokal-Viertelfinale gegen Norwich ereignete sich im Jahr 1983 [5]. Der Verkauf des
Stadiongeländes schließlich wurde 1995 vollzogen [7]. Zwischen den in den Strophen
erzählten Ereignissen lagen also jeweils mehrere Jahre. Für M ÜLLER erinnert diese
für die Ballade typische Erzähltechnik (die, oft begleitet von häufigen Schauplatz- und
Handlungswechseln, den „sprunghaften Charakter“ ausmacht) an Elemente des Films.
Er zitiert dafür den Begriff der „Montage“86 . Dem Charakter und Inhalt des Gedichtes entsprechend wird der Ort des Geschehens, das Stadion, allerdings beibehalten. Der
Umgang mit Zeit ist aber auch unabhängig von den Zeitsprüngen aufschlussreich. So
beginnt das Gedicht in einer Gegenwartssituation (der des letzten Spiels), geht dann
aber in einer Art Rückblende, eine Technik, die ebenfalls aus dem Film bekannt ist, eingeleitet durch „memories which echo down the years...“[1] mit der zweiten Strophe in
eine chronologische Erzählung über, die den Hauptteil des Gedichtes ausmacht und die
über Jahrzehnte erworbenen Erinnerungen an Erlebnisse und Erfahrungen des lyrischen
Ichs in diesem Stadion wiedergibt. In Strophe 8 wird sowohl eine Bilanz dieser Vergangenheit gezogen als auch ein positiver Ausblick in die Zukunft entwickelt. Die neunte
und letzte Strophe ist zweigeteilt: Die ersten vier Verse kehren von der zuvor benannten
Vision zurück in die Gegenwart, der es sich zu stellen gelte. Die Auseinandersetzung
mit der Gegenwart wird als Voraussetzung der Realisierbarkeit dieser Vision formuliert.
Damit wird die Hoffnung auf bessere Zeiten in einem neuen Stadion von einer Prophezeiung zu einem Ziel, dessen Umsetzung eine Aufgabe der Gegenwart ist. Dazu ist
sowohl der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft als auch die Trauer um die verlorene
„Heimat“ der Vergangenheit, Goldstone Ground, notwendig [9].
2.3.2 Syntaktische Struktur
Die Verwandtschaft zur Ballade lässt sich aber auch anhand der verwendeten syntaktischen Struktur des Gedichtes nachweisen, die parataktisch, also überwiegend schlicht
und häufig auf Hauptsätze beschränkt ist. Die Struktur der parataktischen Sätze ist dabei zumeist asyndetisch, in einigen Fällen auch polysyndetisch87 . Enjambements werden sparsam eingesetzt – in den Strophen 3 und 4 enden alle Sätze mit den Verszeilen,
die Strophen 5 und 6 haben lediglich in den letzten zwei Verszeilen ein Enjambement
aufzuweisen88 . Teilweise sind die Sätze extrem kurz, vereinzelt auch nur Satzfragmente oder sogar Aufzählungen von Namen, wie in den Strophen 3 und 6. Die Kürze der
86 Vgl.
M ÜLLER 1983, S. 150ff.
M ÜLLER 1983, S. 129f. In allen Strophen außer 3,6 und 9 wird mindestens eine Verszeile, die
zugleich Beginn eines neuen Satzes ist, mit „And“ begonnen, in Strophe 5 sind zwei aufeinanderfolgende Verszeilen/Sätze durch „And“ verbunden, in Strophe 8 sogar drei und ebenso in Strophe 2,
wenn man das kleingeschriebene „and“ mitzählt, das allerdings keinen neuen Satzanfang, sondern die
Weiterführung des vorhergehenden Satzes anzeigt, also ein Enjambement markiert [8f].
88 Eine signifikante Ausnahme stellt die Strophe 1 dar, die in den ersten vier Versen aus nur einem einzigen einleitenden Satz besteht, und auch die zweiten vier Verszeilen enthalten Enjambements.
87 Vgl.
35
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
syntaktischen Strukturen hat emphatische Funktion. So wird die Erinnerung an die Fans
von Chelsea, die mit Münzen auf die Anhänger der Heimmannschaft warfen, durch
die Konkretisierungen „Old ones. Sharpened.“ und schließlich „I was eight“[2] von einer zuerst harmlos anmutenden Provokation zu einer böswilligen Attacke auf ein Kind
gesteigert, die Münze von einem Zahlungsmittel zu einer Waffe modifiziert. Die Kürze der syntaktischen Einheiten dient also einem dramatischen Effekt, durch den auch
die Traumatisierung des Kindes, das zum ersten Mal der Aggression gegnerischer Fans
ausgesetzt war, vermittelt wird. Die Empörung und Aufregung des Kindes wird auch in
der Verwendung des Ausrufezeichens offenbar: „And confirmed my view that Chelsea
fans were mad!“[2]89 Die letzte Verszeile des Gedichtes arbeitet mit einer ähnlichen
Technik, die an dieser Stelle den Nachruf auf das verlorene Stadion um die persönliche
Perspektive des lyrischen Ich erweitert und damit den Inhalt des gesamten Gedichtes
modifiziert:
„This one’s for Bill. A poet. And my dad.“ [9]
Mit den Verszeilen 5 bis 7 wird bereits an diese Widmung herangeführt, aber erst die
knappe syntaktische Struktur hebt das abstrakte Gedenken an den Vater, mit dem das
lyrische Ich über die Liebe zum Fußball verbunden war, auf eine konkrete, emotionale Ebene. Der Name des Vaters wird nacheinander mit zwei Eigenschaften verbunden:
„A poet. And my dad“. Die Satzstruktur dient hier also zur Steigerung der Emotionalität der Personalisierung, die mit der Aufzählung in der sehr persönlichen Bezeichnung
„dad“ mündet. Der Pathos der vorhergehenden Verse, in denen die Anhänger des Vereins in ihrer Trauer um das Stadion adressiert werden und ihnen eine positive Zukunft
versprochen wird, ist dadurch merklich entkräftet und die Welt „im Stadion“ wird in
ihrer Bedeutsamkeit merklich relativiert.
2.3.3 Dialogische und monologische Elemente
Dialogische und monologische Elemente sind ein weiteres Merkmal der Ballade90 . In
Strophe 2 ist eine direkte Rede enthalten: “’Now don’t go in the North stand!’ said
my mum.“ Darüber hinaus finden sich Ausrufe in Strophe 6: „Ee-aw!“[6], zu verstehen
als ein Ausdruck der Geringschätzung, und „Hooray!“[6], Ausdruck der Freude. Die
Tatsache, dass beide Ausrufe in einer Strophe sehr kurz hintereinander auftreten, veranschaulicht das Auf und Ab des Vereins in dieser Saison. Elemente direkter Rede finden
sich aber auch in Form der folgenden knappen Ausrufe, deren emphatische Funktion
durch den Einsatz von Großbuchstaben markiert wird:
89 Auch
an anderen Stellen im Gedicht findet sich eine solche Verwendung des Ausrufezeichens: „The
Bournemouth Boot Boys!“[3], „Division One at last!“[4], „win or bust!“[5], „The Goldstone sold
behind our backs!“[7].
90 Vgl. B ECK , Rudolf/K UESTER , Hildegard/K UESTER , Martin (Hrsg.): Terminologie der Literaturwissenschaft: ein Handbuch für das Anglistikstudium. Ismaning: Max Hueber, 1998, S. 129f.
36
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
„We drew a line, and said: ENOUGH!“[7]
und
„And I salute each one of you who stood up and said NO!“[9]
In beiden Fällen bildet die Emphase eine deutliche Zäsur, gefolgt von einem weiteren
mit „And“ begonnenen Satz, der inhaltlich jeweils eine Periode des Kampfes gegen den
damaligen Präsidenten und für das finanzielle Überleben des Vereins beschreibt:
„And as the nation watched / the final battle for our club began“ [7]
und
„And fought to keep the Albion alive“[9]
Die Ausrufe sind also auch im Sinne einer Kriegsmetaphorik als „Kampfschreie“ zu
interpretieren, mit denen sich die Fans auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen
einschworen. Diese explizite Sprache zieht sich durch das ganze Gedicht, entweder in
eindeutigen Sätzen und Redewendungen: „Those Highbury gods tore us to shreds“[4],
„win or bust!“[5], „Dissent turned to rebellion and then to open war“[6] oder auch nur in
der Verwendung von Substantiven, Verben und Adjektiven, die in der Gesamtsicht ein
ähnliches Bild ergeben: battle-scarred[1], victory[1], target[2], glorious[4], rebellion[6],
war[6], battle[7], fought[7], torn asunder[8], storming back[8].
2.3.4 Zusammenfassung
Das Gedicht enthält bei genauer Betrachtung drei unterschiedliche Ebenen: Einmal die
Wehmut über das für immer verlorene Stadion, die zum Auslöser für das Erinnern an
die dort erlebten Ereignisse wird, die aber gleichzeitig eine positive Perspektive für die
Zukunft eröffnet. Diese wird vor allem durch den Balladencharakter und die chronologische Erzählweise betont. Zweitens den kriegerischen Pathos des Kampfes um und für
den Verein, dargestellt vor allem durch den Einsatz eines „militaristischen“ Vokabulars
und durch direkte Rede in Form von Ausrufen. Drittens die persönliche Tragödie des
frühen Verlustes des Vaters, die durch die gemeinsame Liebe zum Spiel eng mit dem
Fußball, und damit mit dem verlorenen Stadion als dem Geburtsort dieser Liebe und
dem Ort, an dem die Leidenschaft gemeinsam ausgelebt wurde, verbunden ist. Diese
Ebene wird offenbar in der überraschenden Wendung im Schlußvers, die das Gedicht
über eine verlorene „Heimat“ zu einem Gedicht über einen verlorenen Menschen verändert. Entgegen der Erwartung, die beim Lesen entsteht, ist das Gedicht also nicht dem
ehemaligen Stadion oder dem Fußballverein gewidmet, sondern einer nahestehenden
Person, an deren Verlust der Abriß des Stadions schmerzliche Erinnerungen weckt.
Das Bindeglied zwischen Wehmut, Kampf und persönlichem Verlust in „Goldstone
Ghosts“ ist Fußball. Das Gedicht ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Fußball zu
37
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
einer geeigneten Projektionsfläche sowohl für allgemeine wie auch für sehr persönliche
Gedanken, letztlich zu einer Parabel, wird und dabei der konkrete Bezug zum eigentlichen Spiel durchaus gewahrt bleibt. Der Vergleich zu Nick Hornbys „Fever Pitch“
scheint zuerst nicht naheliegend, doch auch im vorliegenden Gedicht wird ein Leben als
Fußballfan literarisch reflektiert, allerdings anlässlich eines zweifachen Abschiednehmens. Aspekte der Geschichte eines Fußballvereins sind in beiden Fällen eng verbunden
mit der Biografie des lyrischen Ich.
2.4 Gedichtanalyse: Complete Control
„Complete Control“(25), das zweite untersuchte Gedicht, ist ebenfalls um eine Ortsund Zeitangabe, „(Cardiff, Feb 10 2001)“, ergänzt, unterscheidet sich aber vom vorhergehenden Beispiel gravierend in Form und Inhalt. Es thematisiert die Risiken, in die sich
ein Fußballverein begibt, wenn er sich von finanzstarken Investoren aufkaufen lässt. In
einer in Klammern gesetzten Erläuterung unterhalb des Gedichtes wird der konkrete
Sachverhalt, der das Gedicht motiviert, erläutert: Es ist zu verstehen im Kontext der
Geschäftspraxis von Sam Hammam, einem Geschäftsmann, der sich durch den Ankauf
von britischen Fußballvereinen profiliert. So war er von 1981 bis 1997 Eigentümer des
ehemaligen Londoner Vereins Wimbledon FC, im Jahr 2000 kaufte er Cardiff City FC
(Wales)91 .
2.4.1 Aufbau und syntaktische Struktur
Im Gegensatz zu „Goldstone Ghosts“ handelt es sich hier um ein im freien Vers geschriebenes, kurzes Gedicht. Es besteht aus dreizehn Verszeilen, auf die sich fünf Sätze
und Satzfragmente verteilen, enthält also fast durchgehend Enjambements, die sich in
ihrem Umfang bis zur vorletzten Verszeile kontinuierlich steigern: Der erste Satz umfasst zwei Verszeilen, der zweite drei, der dritte, der die Kernaussage des Gedichtes
transportiert, ist über sechs Verszeilen verteilt und nimmt damit fast die Hälfte des gesamten Umfangs ein. Lediglich die letzten beiden elliptischen Sätze sind mit der Länge
der Verszeile identisch. Durch diese ansteigende und zum Schluß wieder abfallende
Satzlänge wird der inhaltlich Aufbau formal abgebildet: Von einer formelhaften Einleitung wird von allgemeinen Aussagen über das Zitieren eines konkreten Beispiels zur
Kernaussage, dass die vollständige Übertragung der Kontrolle über einen Fußballverein
auf einen Investor negative Folgen nach sich zieht, geführt. Die letzten beiden Verszeilen betonen diese Aussage.
91 Vgl.
J ONES , Chris: Sam Hammam: Love him or loathe him. http://news.bbc.co.uk/1/hi/in_depth/uk/
2000/newsmakers/1755749.stm – Aufgerufen am 10.08.2005.
38
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
2.4.2 Stilmittel: Pop-Referenzen, sprachliche Gestaltung und der Gebrauch von
Ironie
„Complete Control“, der Titel des Gedichtes, ist gleichzeitig der Titel eines Songs der
englischen Punk-Band The Clash, in dem es um die Einflußnahme der Musikindistrie
auf die Musik und die Texte der bei ihnen unter Vertrag stehenden Musiker geht92 .
Auf diesen Zusammenhang wird in der Verszeile 9 explizit verwiesen. Der Ausdruck
„complete control“ wird also in zweierlei Hinsicht mit einer Warnung verknüpft („Nevertheless, history teaches us“, Vers 6): Einmal wird mit dem Verweis auf den Text
des Liedes auf eine vergleichbare Problematik in einem anderen Bereich, nämlich der
Musikindustrie, aufmerksam gemacht(„is a brilliant Clash song“, Vers 9), zum anderen
wird diese Problematik auf den Fußball übertragen („and a lousy concept / in football.“,
Vers 10 und 11). Die im Titel vorhandene Alliteration ist hier zwar auf das gleichnamige Lied zurückzuführen, allerdings lassen sich im Gedicht Anzeichen dafür finden,
dass diese Alliteration gezielt weiterverfolgt wird: Der Buchstabe c, der hier wiederholt wird, steht nämlich auch am Anfang des Namens des Fußballvereins Cardiff, der
hier angesprochen wird, und er wiederholt sich auffällig in den Versen 4 sowie 7 bis
10 in den Worten can[4], complete control[7], club[8], Clash[9] und concept[10]. Der
Gleichklang im Anlaut führt also zu einer Betonung dieser Wörter, die tatsächlich auch
inhaltlich im Zentrum des Gedichtes stehen. So leitet das Hilfsverb can in Vers 4 die
Relativierung der vorhergehenden Verszeile ein, „complete control“ ist ein Aufgreifen
des Titels und führt auf die Kernaussage in den Versen 10 und 11 hin, club stellt den
Bezug zu Fußball her, der zuvor nur in Vers 5 angeklungen ist, Clash verweist auf den
Inhalt des angesprochenen Liedes und concept ist schließlich in Verbindung mit dem
Adverb lousy die Auflösung des Gedichtes, auf die zuvor syntaktisch wie semantisch
in einer Technik, die eine Steigerung von Dynamik und Spannung durch Kompression, also Verkürzung der Verszeilen bei gleichzeitiger Verlängerung der Sätze, erreicht,
hingeführt wird.
Das Gedicht beginnt mit den Versen „So one man / took his fortune West.“ Sie haben
eine irreführende Qualität: Der formelhafte Charakter des Satzanfangs lässt den Beginn eines Märchens oder einer Erzählung anklingen, inhaltliche Assoziationen werden
durch die Kombination der Schlüsselwörter fortune und West hergestellt. Die Doppeldeutigkeit des Wortes fortune (Glück, Schicksal/Vermögen) in Zusammenhang mit dem
Weg nach Westen provoziert den gedanklichen Bezug sowohl auf die Siedlerströme und
die Goldgräberbewegung im Amerika des 19. Jahrhunderts als auch auf die Sehnsüchte
der Menschen im Ostblock nach den Verheißungen des kapitalistischen Westen während der Zeit des Kalten Krieges. Der Westen steht in beiden Fällen als Klischee stellvertretend für die Hoffnung auf ein besseres Leben und für Pioniergeist und Risikobe92 T HE
C LASH: Complete Control, aus dem Album "The Clash" (US Version) 1979. http://www.plyrics.
com/lyrics/clash/completecontrol.html – Aufgerufen am 11.08.2005.
39
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
reitschaft. Im Verlauf des Gedichtes sowie anhand der anschließenden Erläuterungen93
stellt sich aber mit der Zeit heraus, dass der Begriff West sich hier auf die Himmelsrichtung bezieht, in die sich Hamman nach der Trennung von Wimbledon bewegt hat, vom
zentralen London nach Cardiff, einer walisischen, also an der Westküste Großbritanniens gelegenen Stadt. Diese gezielte Irreführung hat ironische Funktion: Es wird keineswegs das Märchen von einem Mann erzählt, der sein Glück sucht, die Einleitung bereitet
vielmehr den im Verlauf des Gedichts dargestellten Zusammenhang zwischen Geld und
Macht und der immanenten Gefahr des Missbrauchs dieser Macht vor. Bereits das Wort
Money, mit dem der dritte Vers beginnt, präzisiert allerdings die implizierte Bedeutung
des Wortes fortune. Die Aussage „Money may not buy you love“ in Vers 3 erinnert
an den Beatles-Song „Cant’t Buy Me Love“, eine mögliche Anspielung, die durch die
Fortführung des Satzes im 4. Vers „but it can inspire a modicum of affection“ inhaltlich,
aber auch sprachlich relativiert wird: Der eher naiven und zu einer Floskel gewordenen
Aussage von Vers 3 und der entsprechend einfachen Wortwahl wird in einem auffälligen Gegensatz im vierten Vers eine Relativierung nachgestellt (das but wird durch die
Verwendung des Hilfsverbs may bereits vorweggenommen), die durch die Verwendung
einer nüchternen und „kalten“ Sprache den Bezug auf die Geschäftswelt herstellt. Der
Gebrauch von drei Fremdwörtern dient diesem Zweck, wie auch die Transformation
einzelner Begriffe; love wird degradiert zu „a modicum of affection“. Umgekehrt wird
– ein ironischer Zug – das profane buy zu inspire. Das Ersetzen des Wortes buy stellt
eine Verharmlosung des Prozesses dar, der in dem Gedicht im Vordergrund steht, denn
um nichts anderes als um einen banalen Kauf handelt es sich tatsächlich – diese Verharmlosung dient der Ironie. Die Tatsache, dass ein Fußballverein wie eine Ware geund verkauft, also gehandelt werden kann, wird durch den Austausch des Verbes und
die damit einhergehende Verharmlosung zusätzlich betont.
2.4.3 Kritik am modernen Fußballgeschäft
Der Nachsatz, der in Vers 5 auf den Gedankenstrich folgt, stellt den ersten sichtbaren
Bezug zum Fußball her, indem er die besondere Bedeutung von Geld in der Division
Three, der damals vierten Liga im englischen System, betont. Die Käuflichkeit oder die
Abhängigkeit der Vereine von Geldgebern wird also in einen Zusammenhang mit ihrer Erfolglosigkeit, impliziert durch die Zugehörigkeit zur Division Three, gestellt. Hier
lässt sich Kritik an einer – durch moderne Entwicklungen wie extrem hohe Spielergehälter und Transfersummen begünstigten – faktischen Korrelation zwischen finanzieller
Ausstattung und spielerischer Leistung eines Vereins herauslesen: Für einen Verein, der
93 Hier
wie an anderer Stelle gilt allerdings, dass diese Erläuterungen nicht Teil des Gedichtes sind und
damit nicht Grundlage der Analyse sein können, zumal es sich bei Goldstone Ghosts um eine kommentierte Sammlung von Gedichten aus dem Werk des Dichters handelt, die also bereits zuvor – und
möglicherweise ohne Erläuterung – publiziert wurden
40
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
in einer niedrigen Liga spielt und das Ziel hat, dauerhaft aufzusteigen, ist die Erreichung
dieses Ziels mit hohem Geldeinsatz verbunden, der aber aufgrund der in niedrigen Ligen schlechteren Einnahmesituation durch deutlich weniger lukrative Sponsorenverträge und geringere Zuschauereinnahmen kaum möglich ist. Der hier entstehende Teufelskreis – der Aufstieg ist abhängig von höheren Einnahmen, die wiederum nahezu nur
bei einem Aufstieg zu erzielen sind – erhöht den Anreiz, das Angebot eines möglichen
Investors anzunehmen.
2.4.4 Das eingeschobene Zitat
Die 8. Verszeile ist ein in Klammern gesetzter Einschub in einen Satz, der die Verszeilen 6 bis 11 umfasst. Sie enthält ein Zitat, an das die Frage „- remember?“ anschliesst.
Die Aussage „I own this club lock, stock and barrel“ stammt von Bill Archer, dem ehemaligen Eigentümer und Präsidenten von Brighton & Hove Albion FC, der mit dieser
Aussage auf die Proteste der Fans, die ihm vorwarfen den Verein zugrunde zu richten,
reagierte94 . Der Einschub stört aufgrund seiner Länge und seines konkreten Bezugs sowohl optisch als auch semantisch, er unterbricht also die sehr abstrakten Ermahnungen,
die sich nur vage auf die „history“ beziehen, und erinnert an ein negatives Beispiel für
Machtmissbrauch in einem anderen Verein, dem Heimatverein des Dichters.
2.4.5 Zusammenfassung
Das Charakteristische von „Complete Control“ liegt in seiner explizit formulierten Moral, die aus den schlechten Erfahrungen mit der totalen Einflußnahme finanzkräftiger
Geldgeber abgeleitet wird. Diese Erfahrungen werden gleichwohl im Gedicht nicht näher benannt, der Verweis auf die Geschichte, durch ein Zitat bekräftigt, muss dem Rezipienten vor dem Hintergrund seiner Fußball-historischen Kenntnisse genügen. Der mahnende und warnende Ton wird durch die abschließende Anapher in den letzten beiden
Verszeilen und den Einsatz der Ellipsen noch einmal mit einer eindringlichen Emphase
versehen.
94 Die
Herkunft des Zitates konnte anhand der vorliegenden Quellen nicht geklärt werden, so dass der
Dichter selbst befragt wurde. In einer schriftlich vorliegenden Antwort vom 08.08.2005 erläutert John
Baine, von wem das Zitat stammt und in welchem Kontext es benutzt wurde.
41
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
2.5 Sarah Wardle: Score!
Die 15 Fußballgedichte in „Score!“95 bilden einen von drei thematischen Abschnitten der Sammlung96 . Mit Ausnahme des Gedichtes Kabul, das von der Wandlung des
Sportstadions in Kabul handelt, in dem einst eine Frau von den Taliban exekutiert wurden und in dem heute Mädchen Fußball spielen, haben alle Gedichte einen direkten
Bezug zu Tottenham Hotspur. Im Folgenden werden zwei der Gedichte analysiert, „In
Memoriam Bill Nicholson“ und „Audere Est Facere – To Dare is To Do“.
2.6 Gedichtanalyse: In Memoriam Bill Nicholson
„In Memoriam Bill Nicholson“ ist ein Nachruf auf den 2004 verstorbenen ehemaligen
Spieler und Trainer von Tottenham Hotspur97 . Anhand der Empfindungen, die die Erinnerung an die Fußballlegende hervorruft, werden die Emotionalität des Fußball und sein
ritueller, religiöser Charakter reflektiert. Das Gedicht bedient sich dabei einer Bildhaftigkeit, die Elementen aus dem Fußball Aussagekraft für abstrakte Reflexionen über
Abschied, Tradition und den Status des Helden verleiht. Das Gedicht besteht aus 4
Quartetten, die kein stringentes Reimschema aufweisen. Endreime finden sich nur in
den Strophen 1 (abac) und 4 (abab) und auch in der metrischen Struktur nicht einheitlich sind. Enjambements sind an mehrere Stellen zu finden, das Auffälligste darunter
setzt sich strophenübergreifend von Zeile 4 der 1.Strophe in Zeile 1 der 2. Strophe fort.
Die Funktion dieses Enjambements wird in Kapitel 2.6.1 untersucht. Aufbau, metrische
Struktur und das freie Reimschema verleihen den Erinnerungen und Gedanken über
Bill Nicholson einen spontanen, fließenden Charakter, der die Emotionalität und Sentimentalität des Gedichtes vermittelt. In der folgenden ausführlichen Analyse werden die
lyrische Sprache, besonders unter dem Aspekt der Verwendung von Begriffen aus dem
Fußball, und die Wirkungsweise des Gedichtes genauer beleuchtet.
95 WARDLE ,
Sarah: Score!. Highgreen, Tarset: Bloodaxe Books, 2005. Der Gedichtband erschien erst Ende September 2005, kurz vor Abschluß der vorliegenden Arbeit. Der Status der Dichterin als Poet in
Residence und die aus dieser Position hervorgegangenen Fußballgedichte, die in „Score!“ enthalten
sind, rechtfertigten dennoch, dass er im Folgenden Gegenstand der Untersuchung ist. Dankenswerterweise wurden die Fußballgedichte bereits im Vorfeld von Autorin und Verlag zur Verfügung gestellt,
so dass die Gedichte verwendet werden konnten. Die vorliegende Arbeit stützt sich ausschließlich auf
die Fußballgedichte des Bandes, die vorab per E-Mail übermittelt wurden. Sie wurden jedoch mit der
gedruckten Ausgabe abgeglichen.
96 Vgl. Bloodaxe Books Official Homepage: Score! by Sarah Wardle. http://www.bloodaxebooks.com/
titlepage.asp?isbn=1852247061 – Aufgerufen am 11.08.2005.
97 Bill Nicholson war 34 Jahre – zuerst als Spieler, dann als Trainer – mit dem Club verbunden. Vgl. T HE F OOTBALL A SSOCIATION: Tribute to Bill Nicholson. http://www.thefa.com/TheFA/
NewsFromTheFA/Postings/2004/10/Obituary_BillNicholson.htm – Aufgerufen am 11.08.2005.
42
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
2.6.1 Fußball-Emotionen in „In Memoriam Bill Nicholson“
Das strophenübergreifende Enjambement von Strophe 1 auf Strophe 2 wurde bereits zu
Beginn der Analyse angesprochen und soll im Folgenden näher beleuchtet werden, weil
es eine signifikante Stelle für eine spezielle Bedeutungsebene des Gedichtes markiert.
Durch den Zeilensprung wird der Satz in der 2. Strophe derart weitergeführt, dass sein
Inhalt modifiziert wird. Die letzte Verszeile in Strophe 1 lautet:
„there’s music playing as your credits roll“
Der Satz, der zunächst vollständig erscheint, wird in der nächsten Strophe wie folgt
beendet:
„through men’s minds.(...)“
Diese beiden Zeilen bedürfen einer näheren Betrachtung. Einiges deutet darauf hin,
dass das Gedicht die Ehrung des verstorbenen Bill Nicholson vor dem Spiel von Tottenham Hotspur gegen Bolton Wanderers am 25.10.2004 sowie das Spiel selbst zum Inhalt
hat: Das Spiel fand nur zwei Tage nach dem Tod Bill Nicholsons statt. Vor Beginn des
Spiels wurden auf den Anzeigetafeln Bilder von Nicholson und von den erfolgreichsten
Tagen seiner Zeit bei Tottenham gezeigt, die musikalisch untermalt wurden. Wie auch
im Gedicht schoß Robbie Keane im anschließenden Spiel ein Tor98 . Nimmt man diesen
Kontext als gegeben an99 , so liegt es nahe, das Ende von Strophe 1 auf die Würdigung
Nicholsons im Stadion, also die Musik und die Projektion jener Bilder auf die Anzeigetafeln, zu beziehen. Diese Erwartung wird mit dem Anfang von Strophe 2 in einer
überraschenden Wendung um eine weitere Bedeutung ergänzt. Die credits laufen nicht
nur über die Anzeige, sondern auch durch die Köpfe der Zuschauer im Stadion. Damit
wird die Würdigung des verstorbenen Spielers von einem offiziellen Akt und Teil des
Programms zu einer persönlichen Erfahrung der Fans aufgewertet. Das Enjambement
dient hier also nicht nur einem Überraschungseffekt, sondern vor allem einer Betonung
der persönlichen Bedeutung, die Bill Nicholson als eine Legende des Vereins für die
Fans auf den Tribünen hat. Aus dem Satz lässt sich aber noch eine weitere Besonderheit
herauslesen, wenn er im Zusammenhang mit dem folgenden Satz (Strophe 2, Verszeilen 1 und 2) betrachtet wird. Hier wird mit den Worten director und producer100 , beide
Bezeichnungen aus dem Filmgeschäft, eine assoziative Ebene erzeugt, die mit einem
Rückbezug auf die Verszeile 4 der 1. Strophe, genauer auf die Worte music und credits,
Fußball und Film in eine Ähnlichkeitsbeziehung setzt. Diese Ähnlichkeitsbeziehung betont die Emotionalität und den Pathos der Würdigung, die dem Verstorbenen zuteil wird.
98 Vgl.
T HOMAS , Russel: Match Report: Tottenham left chasing glories of distant past. http://football.
guardian.co.uk/Match_Report/0,1527,-49520,00.html – Aufgerufen am 11.08.2005.
99 Der sich vor allem – wie es auch in den Gedichten von John Baine der Fall ist – für Fans des Vereins
erschließt, freilich aber für das Verständnis des Gedichtes nicht zwingend notwendig ist.
100 „of the Glory Years“, also der ruhmreichsten Zeit des Vereins.
43
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Der theatralische Effekt eines solchen Massengedenkens wird durch die Filmterminologie hervorgehoben. Dies geschieht aber ohne dieses zu kritisieren oder der Lächerlichkeit preiszugeben: Durch die bereits angesprochene Übetragung des Wortes credits von
einem technischen Bedeutungszusammenhang auf einen individuellen und emotionalen
wird die Authentizität der Trauer und der Ehrerweisung herausgestellt. Die Erinnerung
an den Spieler und Trainer findet nicht nur als „Pflichtprogramm“ des Vereins statt,
sondern sie ergreift die Menschen innerhalb des Stadions.
Die Theatralik und zugleich die Emotionalität des Moments werden also im Gedicht
festgestellt und beschrieben, aber aus einer involvierten Position des lyrischen Ichs,
nicht aus einer kritisch-distanzierten: Diese persönliche Perspektive wird durch die Verwendung des Personalpronomens we belegt. Der Blick auf die Personalpronomen, die
im Gedicht verwendet werden, ist aber auch aufschlussreich für die Interpretation der
bereits in der ersten Verszeile thematisierten Präsenz des verstorbenen Bill Nicholson.
Hier wird mit dem einleitenden you eine persönliche Ansprache Bill Nicholsons gewählt, die sich über das gesamte Gedicht fortsetzt. Die in der zweiten Verszeile vorhandene Nennung des Namens Bill, durch die der soeben in der 2. Person adressierte plötzlich als 3. Person benannt wird, bestätigt diese Auslegung sogar: Das we in Verszeile
2 kann als ein Plural verstanden werden, der den als immer noch präsent wahrgenommenen Nicholson mit einschließt, so dass er, allgegenwärtig, seine eigene Würdigung
mitverfolgt.
2.6.2 Die lyrische Sprache: Militärischer und religiöser Charakter des Fußball
Die bereits im vorhergehenden Kapitel untersuchte Verwendung von Termini aus der
Sprache des Films ist nur ein Beispiel für den assoziativen Charakter der Sprache in
„In Memoriam Bill Nicholson“. Sie wird im Gedicht eingesetzt, um die verschiedenen
Funktionen, die der Fußball für Zuschauer und Fans erfüllt, zu definieren. Außerdem
verwendet das Gedicht Elemente aus der Militärsprache, um den Status eines „FußballHelden“ begreifbar zu machen. So wird in der Verszeile 3 von Strophe 2 über Bill Nicholson gesagt:
„served in the army and for Tottenham Hotspur“
Der Dienst in der Armee wird hier dem „Dienst“ für einen Fußballverein gleichgesetzt. Dadurch wird zum einen die Bedeutung des Fußball erhöht, zum anderen aber
auch sein (Wett-)Kampfcharakter betont – Fußball erfährt eine Militarisierung, in deren
Kontext das Heldentum im Einsatz für ein Kollektiv zu verstehen ist. In der nächsten
Verszeile wird an Nicholsons Tor für die englische Nationalmannschaft gegen Portugal
(1951101 ) erinnert und damit die Korrelation von Fußball und Krieg komplettiert: Das
101 Vgl.
T HE F OOTBALL A SSOCIATION: England Players: Bill Nicholson. http://www.thefa.com/
England/SeniorTeam/Players/Postings/2004/10/BillNicholson_EnglandProfile.htm – Aufgerufen am
44
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Länderspiel ist eine „friedliche“ Übertragung kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen zwei Ländern. „In Memoriam Bill Nicholson“ verknüpft also zwei Welten, die
traditionell eine enge Verwandtschaft aufweisen. Die Legende Bill Nicholson wird als
„Kriegs- und Fußballveteran“ stilisiert, den die Fans (in Strophe 3) zu einem Ritter und
Lord machen. Seine Bedeutung liegt für seine Anhänger aber nicht in seinen Leistungen
als Soldat, sondern in jenen, die er für Tottenham Hotspur erbracht hat. Die Verwendung
militärischer Begriffe dient also nicht einer Verherrlichung des Krieges, sondern vor allem einer poetischen Annäherung an die hohe Relevanz, die Erfolg im Fußball für die
Menschen, die sich dem Verein verbunden fühlen, besitzt. Der Gewinn des Double, also von Meisterschaft und Pokal, wird letztlich dem Einsatz für die Verteidigung der
eigenen Nation gleichgesetzt.
Das Gedicht ist aber auch ein gutes Beispiel für den wechselseitigen Eingang von
Fußballbegriffen in die Alltagssprache – und umgekehrt. So liegt die Bedeutung des
folgenden Satzes in der kunstvollen Verwendung einer durch den Fußballkontext bedingten Doppeldeutigkeit:
„Leagues ahead on another field and plain“
Das Wort league kann hier sowohl auf eine Fußballliga verweisen, als auch auf ein
altes Längenmaß102 . Die Großschreibung impliziert zwar erstere Bedeutung, dennoch
lässt das Wort in Verbindung mit dem Wort ahead unweigerlich auch die zweite Lesart
aufkommen, die hier poetisch eine große Distanz von Zeit oder Ort anzeigt. Diese Doppeldeutigkeit wird in den Worten field und plain, die beide auf das Spielfeld bezogen
werden können, fortgeführt. Der Übergang von Leben zu Tod, der sich im Wechsel in eine andere Liga und dem Einsatz auf einem anderen Spielfeld ausdrückt, ist ein Verweis
auf das Jenseits.
2.6.3 Abschied und Neuanfang – die Rolle der Tradition
Mit der letzten Strophe zieht das Gedicht eine Linie von Nicholson zu den Stars der
heutigen Mannschaft. Der verstorbene Fußballer „schiebt“ sich durch die „seeds and
roots“ des Rasens, dieser wird also zu einem Grab, das Spielfeld zu einem Friedhof
der Fußballlegenden. Die metaphysische Präsenz des Toten im organischen Leben des
Rasens wirkt fort in denen, die dort spielen, und wenn Robbie Keane in der vorletzten
und letzten Verszeile den Himmel grüßt, als er ein Tor schießt, so impliziert dies Dankbarkeit des jetzigen Spielers an den Verstorbenen, und das Bewusstsein einer (Fußball)Tradition, der er entstammt und der er sich verpflichtet fühlt. Mit dem Satz „Spurs new
blood and their past“ in der letzten Verszeile wird diese Tradition zitiert. Das Fußballstadion wird zur Kultstätte dieser Tradition, weil es lediglich für den einen Zweck erichtet
16.08.2005.
H ARPER , Douglas: Online Eytmology Dictionary - Eintrag "League". http://www.etymonline.
com/index.php?search=league&searchmode=none – Aufgerufen am 16.08.2005.
102 Vgl.
45
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
wurde, dass Fußballspiele darin ausgetragen werden können. Die Überlagerung eigentlich profaner Elemente dieses Stadions, wie Rasen oder die Flutlichter, die in Strophe
1 den Regen erleuchten, mit Emotion, Tradition und Erinnerung macht es zu einem
„locus theologicus“103 , einem heiligen Ort, an dem das eigentliche Spiel in diesem rituellen, religiösen Charakter aufgeht. Das Gedenken an Bill Nicholson wird in diesem
Gedicht also nicht anhand der Erfahrung der Beerdigung thematisiert, sondern anhand
eines Spiels, das zu einer Art Gottesdienst wird, in dem die „Erben“ Bill Nicholsons
ihre Dankbarkeit und Ehrerbietung anhand der einzigen rituellen „Grabbeigabe“, die
im Fußballspiel gewertet wird, nämlich eines Tors, erweisen – abgehalten im Fußballstadion, der „Kirche“ der Fußballgemeinde. In „In Memoriam Bill Nicholson“ drückt
sich also der kultische, religiöse Charakter des Fußball aus, der eine Erklärung für die
übermäßige Faszination des Spiels bietet.
2.6.4 Zusammenfassung
Der Vergleich zu „Goldstone Ghosts“ von John Baine bietet sich an, weil in beiden
Gedichten das Stadion zum Träger der Emotion des Fußballspiels wird. Während in
Wardles Gedicht mit einem Ende immer auch ein Anfang verbunden ist, die Tradition
Bill Nicholsons im Talent der aktuellen Spieler fortgesetzt wird (er also in ihnen weiterlebt) und somit ein dauerhafter Kreislauf aus der Tradition eines Spiels und eines
Vereins entsteht, endet bei Baine eine Epoche mit dem Verlust der Heimat Goldstone
Ground, der zwar den Tod des Vaters schmerzlich in die Erinnerung des lyrischen Ichs
ruft, aber gleichzeitig den Beginn einer neuen Epoche markiert. Das Stadion trägt bei
Wardle einen religiösen Charakter, der Bezüge zum Jenseits und damit zur Ewigkeit
(des Spiels) herstellt. Bei Baine ist das Stadion hingegen ein Zentrum persönlicher Erinnerungen wie auch gescheiterter kollektiver Anstrengungen – und wird so zu einem
Symbol für eine schmerzliche Niederlage im Kampf gegen die negativen Aspekte des
modernen Fußball.
2.7 Gedichtanalyse: Audere Est Facere – To Dare is To Do
Im Zentrum von „Audere Est Facere – To Dare is To Do“ steht eine Auslegung des lateinischen Mottos von Tottenham Hotspur, das sich im Logo des Vereins wiederfindet104 .
Mit dem Motto des Fußballvereins werden anhand konkreter Bezüge auf Spieler des
Vereins allgemein Aussagen über Theorie und Praxis abgeleitet, die in einem Plädoyer
für den Mut zum Handeln münden.
103 K OPIEZ ,
Reinhard: Alles nur Gegröle? Kultische Elemente in Fußball-Fangesängen. Aus: H ERZOG ,
Markwart (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst - Kult - Kommerz. Stuttgart: W. Kohlhammer,
2002 (= Irrseer Dialoge 7), S. 294.
104 Zu sehen z.B. auf der offiziellen Homepage des Vereins, vgl. T OTTENHAM H OTSPUR FC: Official
Homepage. http://www.spurs.co.uk/index.asp – Aufgerufen am 18.08.2005.
46
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
2.7.1 Struktur: Die Nähe zum Sonett
Bei „Audere Es Facere – To Dare is To Do“ handelt es sich um einen Vierzehnzeiler, der erst auf den zweiten Blick seine innere Struktur offenbart. Obwohl es nicht in
Strophen gegliedert ist, lassen sich anhand der syntaktischen Struktur Einheiten von
zunächst zweimal vier Verszeilen erkennen, denen eine Einheit von sechs Verszeilen
folgt. Diese dritte Einheit ist darüber hinaus ebenfalls deutlich erkennbar gegliedert: In
Verszeile 10 findet sich eine Zäsur mit dem Beginn eines neuen Satzes, der sich inhaltlich wie syntaktisch bis in die letzte Verszeile fortsetzt. Ein Blick auf das Reimschema
erlaubt allerdings zusätzlich eine alternative Gliederung – das Reimschema wechselt
innerhalb des Gedichtes und folgt dabei nicht vollständig der oben dargestellten syntaktischen Struktur, sondern vielmehr einer Gliederung in drei mal vier und einmal zwei
Verszeilen. Die ersten vier Verszeilen folgen dem Schema abab, während sich in den
zweiten vier Verszeilen kein Reim, sondern lediglich eine annähernde Assonanz im letzten betonten Vokal der Worte Premiership und kick feststellen lässt. In den nächsten
vier Verszeilen wiederholt sich das Schema der ersten vier Zeilen, in den letzten beiden
Verszeilen findet sich wiederum eine Assonanz (up und gut). Die durch das Reimschema vorgegebene Struktur erinnert an ein Shakespeare-Sonett: In der Zahl der Einheiten
und im Reimschema sind trotz der fehlenden Gliederung in Strophen die drei Quartette
und das letzte Reimpaar erkennbar. Wenngleich die syntaktische Struktur, wie oben bereits festgestellt, dieser Gliederung nicht in Gänze folgt, so ist die Orientierung an der
klassischen Form des Shakespeare-Sonetts dennoch nicht zu übersehen. Dieser zweite Gliederungsversuch erscheint umso schlüssiger, als alle drei Quartette mit dem Wort
You eingeleitet werden, also eine strophische Gliederung anzeigen. Die Geschlossenheit
dieser Strophen wird erst im dritten Quartett mit der Zäsur in der 10. Verszeile aufgebrochen, in der das Wort You erneut einen Satz einleitet, der sich dann bis in die letzte
Verszeile fortsetzt. Syntaktisch wie inhaltlich ist die ohnehin nicht konsequente Sonettform damit unterbrochen; die Zäsur erhöht die Dynamik des Gedichtes, , eingeleitet von
einer zentralen Aussage des Gedichtes: „You have a choice“. Diese Aussage leitet vom
Fußballkontext über auf den der Poesie und offenbart damit die allgemeine Gültigkeit
des Mottos „Audere Est Facere“, die im folgenden Kapitel untersucht wird.
2.7.2 Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der lyrischen Darstellung
Das Gedicht thematisiert das Verhältnis von Theorie und Praxis anhand des Mottos
von Tottenham Hotspur, das in etwa der deutschen Redewendung „Wer wagt, gewinnt“
entspricht. Die Auseinandersetzung mit diesem Motto wird anhand mehrerer alternativer Gegenüberstellungen theoretischer und praktischer Vorgehensweisen vorgenommen, die sich sowohl auf den Fußball als auch auf allgemeines menschliches Handeln
beziehen lassen. Die ersten beiden Quartette gleichen sich dabei in ihrem inneren Auf-
47
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
bau: Drei der vier Verszeilen beschreiben theoretische Konzepte des Studierens, Erforschens oder Analysierens, die vierte stellt dem eine knappe Alternative praktischen
Handelns entgegen, die anhand eines Spielers von Tottenham Hotspur und einer fußballerischen Aktion beschrieben wird:
You can study the laws of physics, balance equations of speed and spin,
take doctorates in aerodynamics, or curl it like Keane and get it in.
Dabei ist das Verhältnis von 3:1 in der Zahl der Verszeilen eine ironische Technik, die
den umständlichen theoretischen Vorgehensweisen eine nüchterne, pragmatische und
spontane Aktion gegenüberstellt. Die Einleitung der vierten Verszeile durch das Wort
or macht deutlich, dass es sich nur zwischen den in den ersten drei Verszeilen aufgezählten Möglichkeiten und der in der vierten um eine wirkliche Alternativwahl handelt:
Die Wahl zwischen Theorie und Praxis, die verbunden mit dem Motto auch eine Wahl
zwischen ängstlicher Zurückhaltung und Mut zum Risiko meint. Auffällig ist zudem die
Verwendung von Alliterationen, speziell in den jeweils vierten Verszeilen der Strophen,
in denen die Handlungen von Spielern beschrieben werden: „curl it like Keane“, „do as
Kanoute and take a kick“, „risk it like Redknapp“. Diese Sätze sind nach dem Muster des
Titels des Films „Bend It Like Beckham“ aufgebaut105 , eine Anspielung, die aufgrund
der hohen Popularität des Films als allgemein zugänglich zu bewerten ist. Die Spieler
werden hier, wie David Beckham im Film, zu Vorbildern, die für Orientierung sorgen
und den Vorzug der Praxis gegenüber der Theorie veranschaulichen sollen. Der Unterschied zwischen dem theoretischen und dem praktischen Ansatz und die im Gedicht
vorgenommene Wertung beider Ansätze wird auch in der lyrischen Sprache abgebildet.
Während in der Aufzählung theoretischer Vorgehensweisen sowohl bei Verben als auch
bei Substantiven Fremdwörter in deutlich überwiegender Zahl auftreten, ist der Stil der
praktischen Alternativen extrem schlicht gehalten. Fußballspezifische Floskeln wie „get
it in“, „take a kick“ und umgangssprachliche Formulierungen wie „bust a gut“ betonen
den pragmatischen Charakter des Fußball, in dem zumeist schnelles Entscheiden statt
langen Überlegens gefragt ist.
2.7.3 Zusammenfassung
Die implizite Botschaft des Gedichtes ist keineswegs, dass Erfolg im Fußball (oder in
anderen Lebensbereichen) lediglich eine Frage des Tuns ist. Wenn die Profi-Fußballer
Keane, Kanoute oder Redknapp als Beispiele benannt werden, heißt das nicht, dass tatsächlich jeder Tore schießen kann wie Keane, wenn er es nur versucht. Analog ist auch
die Option, Keats Jamben zu kritisieren oder sich stattdessen selbst als Dichter zu betätigen, keine Abwertung von Keats’ Dichtkunst. Die Aussage ist in Bezug zu Tottenham
105 Vgl.
Kapitel 6.
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IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Hotspurs Motto als ein Plädoyer für das praktische Handeln zu verstehen, im Vordergrund steht die Bereitschaft zum Risiko, das dem theoretischen Denken, Reden, Analysieren, Kritisieren vorzuziehen ist. In einer Rückübertragung auf den Fußball könnte
die Aussage des Gedichtes in der Feststellung konzentriert werden, dass Tore letztlich
nicht durch Denken, sondern durch praktisches Handeln, durch eine konkrete Aktion erzielt werden. Diese Erkenntnis erhält im Gedicht allgemeine Gültigkeit nicht nur für den
Fußball und die Poesie, sondern für alle Bereiche des menschlichen Lebens. „Audere
Est Facere – To Dare is To Do“ ist damit ein Beispiel dafür, dass Fußball ein theoretisches System darstellt, das Übertragungen auf allgemeine gesellschaftliche Zusammenhänge und Erkenntnisse ermöglicht. Im konkreten Beispiel wird ein symbolisches Element aus diesem System, nämlich das Motto eines Fußballvereins, zur Herleitung von
Thesen herangezogen, die anhand des konkreten Bezugs leichter zugänglich gemacht
werden als dies bei abstrakten Reflexionen der Fall wäre. Die Auseinandersetzung mit
Theorie und Praxis geschieht also nicht nur im Inhalt des Gedichtes, sondern schon in
der Wahl von Fußball als demjenigen Zusammenhang, der die Aussage transportiert:
Fußball übernimmt die Funktion einer „poetic metaphor“106 .
2.8 Fußball im Gedicht: Zusammenfassung
Fußball übernimmt in den zuvor analysierten Gedichten unterschiedliche Funktionen. In
„Goldstone Ghosts“ werden durch Fußball persönliches und kollektives Erleben sowie
politisches Bewusstsein zusammengehalten. „Complete Control“ leitet aus den negativen Erfahrungen mit der Macht des Geldes im Fußball eine explizite Moral ab, so dass
aus dem Konkreten (Fußball) das Abstrakte (Gesellschaft) erklärt werden kann. „In
Memoriam Bill Nicholson“ untersucht den rituellen, religiösen Charakter des Fußball
in einer Auseinandersetzung mit Heldentum, Kampf und Emotion und bezieht damit
Elemente der Welt außerhalb des Spiels auf den Mikrokosmos des Fußballsports um
seine übergeordnete Rolle im Leben vieler Menschen zu veranschaulichen. „Audere Est
Facere – To Dare is To Do“ nutzt Fußball als eine Metapher für das Leben im Sinne von
H UBERS Begriff der kulturellen Metapher107 . Fußball wird zu einem Beispiel, anhand
dessen auseinandergesetzt wird, dass theoretisches Denken praktisches Handeln, Mut
und Risikobereitschaft nicht ersetzen kann.
Alle vier Beispiele zeugen davon, wie Fußball literarisch genutzt werden kann, um
allgemeine Überzeugungen zu transportieren, Identitäten und Verhaltensweisen darzustellen und damit Denkprozesse auszulösen. Fußball wird als ein omnipräsenter Bestandteil der gesellschaftlichen Realität und der Leben der Menschen zu einer poetischen Metapher, mittels derer die Aussagekraft von Lyrik wirkungsvoll transportiert
106 WARDLE
107 Vgl.
2004.
hierzu den Forschungsüberblick, Kapitel II.
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werden kann. Allen Gedichten ist daüber hinaus ein sehr konkreter Bezug nicht nur auf
das System Fußball, sondern auf den einzelnen Verein und auf die Protagonisten des
Spiels gemeinsam. Beide Dichter sind in ihrem Wirken als Poet in Residence eng mit
ihrem jeweiligen Verein verbunden. Die Gedichte sind dadurch aus dem realen Fußballgeschehen nicht herausgelöst, sondern vielmehr darin eingebettet, so dass den Gedichten gerade im Umfeld des jeweiligen Vereins erhöhte Aufmerksamkeit sicher ist.
3 Englische Hooligankultur in „The Football Factory“
Das folgende Kapitel soll den Zusammenhang zwischen Fußball und Gewalt anhand
der Darstellung der englischen Hooligan-Subkultur in John Kings „The Football Factory“108 Der Roman ist der erste in einer Trilogie, die sich mit „Headhunters“ und „England Away“ fortsetzte. Wenngleich King mit dieser Trilogie die erste groß angelegte
literarische Aufarbeitung der Hooligan-Problematik bot, soll an dieser Stelle auch auf
Kevin Sampsons Buch „Awaydays“ hingewiesen109 , dass sich dem Phänomen ebenfalls
nähert, allerdings aus einer eher historischen Perspektive, angesiedelt in den siebziger
Jahren. Aufgrund seiner Ansiedlung in den Neunzigern bietet „The Football Factory“
im Vergleich die interessanteren Einblicke in die britische Gesellschaft, weswegen zu
seinen Gunsten auf eine Analyse von „Awaydays“ verzichtet wurde. beleuchten.
Die Analyse gliedert sich in drei Schwerpunkte: Kapitel 3.1 setzt sich mit den Hauptprotagonisten des Romans auseinander, einer Gruppe Fußball-Hooligans aus der Anhängerschaft von Chelsea London. Diese Untersuchung wird speziell unter dem Aspekt
einer veränderten Hooliganszene in England vorgenommen, die unter dem Begriff „Superhooligans“110 zusammengefasst wird. In Kapitel 3.2 wird die Struktur des Romans,
speziell seine Gliederung und der ständige Wechsel der Erzählperspektive, untersucht.
Dabei wird die These vertreten, dass sich gerade in den unabhängigen Kapiteln, die die
Perspektive von Personen außerhalb der Hooliganszene wiedergeben und kaum oder
nicht mit der Handlung des Hauptstrangs verbunden sind, fundamentale Kritik an der
englischen Gesellschaft findet. Kapitel 3.3 schließlich beschäftigt sich anhand einer Episode über einen Boulevardjournalisten in The Football Factory mit der Einflußnahme
der Massenmedien auf die Hooliganszene.
108 K ING ,
John: The Football Factory. London: Vintage, 2004. Die folgenden Seitenangaben in runden
Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
109 S AMPSON , Kevin: Awaydays. London: Vintage, 1999.
110 H ALEY, A.J.: „British Soccer Superhooligans: Emergence and Establishment: 1982-2000“.
In: The Sport Journal 4 (2001), Nr3. http://www.thesportjournal.org/2001Journal/Vol4-No3/
soccer-hooligans.asp – Aufgerufen am 19.07.2005.
50
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
3.1 Superhooligans
Der zentrale Handlungsstrang in „The Football Factory“ konzentriert sich auf die Erlebnisse einer Hooligan-„firm“ von Chelsea-Anhängern. Im Vordergrund stehen die vier
Hooligans Rod, Mark, Harris und insbesondere Tom Johnson, dessen Geschichte, aus
seiner eigenen Perspektive erzählt, den überwiegenden Teil der Kapitel ausmacht. Die
Charaktere der vier Hooligans reflektieren eine Entwicklung im Bereich der Hooliganszene, die einen neuen Typus, den „Superhooligan“, erschaffen hat, der sich in seinem
sozialen Hintergrund, Bildungsstand und seinen Verhaltensweisen deutlich von den gängigen Vorstellungen abhebt und durch ein extrem hohes Gewaltpotential gekennzeichnet
ist. Seit den achtziger Jahren prägt dieser Typus zunehmend die britische Hooliganszene und ist seitdem auch Objekt der sozialwissenschaftlichen Forschung. H ALEY nennt
als die zentralen Definitionsmerkmale dieses Typus ein Alter von Mitte zwanzig bis
deutlich über dreißig, eine früh einsetzende Verbindung zur Hooliganszene, die nicht
mehr zwingend im Zusammenhang mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit steht und nicht
unvereinbar mit einem ansonsten bürgerlichen Leben als Ehemann und Familienvater
ist, eine auffällige Häufung von Vorstrafen wegen Gewaltdelikten, hohe Professionalität bei Planung, Organisation und Durchführung der Hooliganaktivitäten, den Verzicht
auf Alkohol vor geplanten Aktionen sowie häufig die Dokumentation der Aktivitäten etwa in Form eines Tagebuchs111 . Vereinzelt gerieten in den letzten Jahre Mitglieder der
Hooliganszene in den Fokus von Medien und Wissenschaft, die über einen gesicherten finanziellen Hintergrund und ein hohes Bildungsniveau verfügten, darunter sogar
Universitätsstudenten112 . Diese spezifischen Charakteristika stellen die Forschung vor
das Problem, dass der früher unterstellte Zusammenhang zwischen niedrigem Bildungsstand, sozialer Benachteiligung, Alkoholismus und den Ausschreitungen von Hooligans
nicht mehr greift. Dabei muss allerdings berücksichtig werden, dass diese Entwicklung
nicht durch den Zulauf von Angehörigen der bürgerlichen Mittelschicht in die Hooliganszene verursacht wurde. H ALEY zitiert dazu den kritischen Verweis von D UNNING
auf die soziale Herkunft der Superhooligans, die sich in der Merheit der Fälle auf Wurzeln in der Arbeiterschicht zurückverfolgen lässt113 . Selbst unter Berücksichtigung des
beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegs und eines höheren Bildungsniveaus wurden also auch die Superhooligans entscheidend durch die Zugehörigkeit zur working
class geprägt und können also nicht davon losgelöst betrachtet werden.
Tatsächlich findet sich der oben beschriebene Typus des Superhooligans teilweise
auch in The Football Factory wieder. Zwar beschreibt King in seinem Roman die Mitglieder der firm als typische Repräsentanten der englischen Arbeiterklasse, und Alkoholkonsum spielt eine große Rolle. Doch gerade an den Gedanken von Tom, die einen
111 Vgl.
H ALEY 2001.
H ALEY 2001.
113 Vgl. H ALEY 2001.
112 Vgl.
51
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
großen Teil des Buches ausmachen, lässt sich erkennen, dass Kings Hooligans durchaus in der Lage sind, ihr Handeln zu reflektieren, dass sie dezidierte Ansichten über den
Zustand der englischen Gesellschaft entwickelt haben und dass ihre Gewalttaten keineswegs mit dem übermäßigen Konsum von Alkohol zu erklären sind, denn selbst in den
Kampfszenen, die aus der Sicht von Tom im Präsens wiedergegeben werden, ist er noch
in der Lage, klare Gedanken zu formulieren, sogar in dem Moment, in dem er alleine
und wehrlos den Schlägen einer Gruppe von Millwall Hooligans ausgesetzt ist, die ihm
schließlich einen Krankenhausaufenthalt einbringen:
„I’m losing my grip, going into some kind of junky dream world, thoughts cracking
up an drifting along, floating, and I can feel the blows but none of the pain, just
numb now, like I’m pissed or something. But through it all I’ve still got my dignity,
a dull voice in my head telling me that we did the bussiness. We’ve done ourselves
proud showing we’ve got the bottle to take on Millwall and we’ve held our own
against superior odds.“ (232)
Die Textstelle zeigt, dass trotz der berauschenden Atmosphäre der Gewaltexzesse, die
in John Kings Roman an vielen Stellen beschrieben wird, letztlich doch ein rationales
Verständnis des eigenen Handelns vorhanden ist. Die Gewalt der Hooligans ist keine
Droge, sondern „bussiness“, also nicht nur Spaß, sondern vor allem eine Aufgabe, der
sie sich verpflichtet fühlen. Kings Hooligans sind keine arbeitslosen Alkoholiker, die
sich aufgrund ihrer mangelnden Ausdrucksmöglichkeiten ihren Frust vom Leib prügeln,
sondern lohnabhängig beschäftigte Männer mittleren Alters von durchaus klarem Verstand. Sie stehen nicht am Rande der Gesellschaft, sondern bilden deren Fundament114 :
„We’re working, with money in our pockets. We’ve got good mates and tight families
and we don’t go without bird if we want them. We have a laugh.“ (154).
Die Veränderungen in der englischen Hooliganszene betreffen aber nicht nur die soziale Zusammensetzung der Szene, sondern auch die Hooliganaktivitäten selbst. Die
Kämpfe mit rivalisierenden firms verlagern sich aus den Stadien und deren unmittelbarer Umgebung, die aufgrund flächendeckender Videoüberwachung als Aktionsorte zu
riskant wurden, in Wohngegenden fernab des Fußballgeschehens115 . Außerdem treten
Hooligans zunehmend seriös und teuer gekleidet auf und reisen nicht mehr in den eigens
für die Fußballfans abgestellten Sonderzügen, sondern mit normalen Schnellzügen, oftmals sogar erster Klasse, zu den Auswärtsspielen ihres Vereins an, um einer Identifizierung durch die Ordnungskräfte zu entgehen116 . Bei manchen firms entwickelte sich aus
114 Auch
wenn sie sich, wie in Kapitel 3.2 eingehender untersucht wird, zunehmend marginalisiert fühlen.
serious hooligan incidents have been displaced away from stadia, and away from the video cameras.“. S IR N ORMAN C HESTER C ENTRE FOR F OOTBALL R ESEARCH: Fact Sheet 1: Football and
Football Hooliganism. http://www.le.ac.uk/footballresearch/resources/factsheets/index.html – Aufgerufen am 15.04.2005, S. 17. Vergleiche auch H ALEY 2001: „the (...) policy measures introduced to
combat soccer superhooliganism tended to displace the disorder on to the streets outside football
grounds, sometimes at considerable distances from them (...)“.
116 So etwa die „Inter City Firm“ von West Ham United. Vgl. H ALEY 2001.
115 „Some
52
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
dieser Mischung von verbesserten finanziellen Möglichkeiten und dem Versuch eines
möglichst unauffälligen Äußeren ein eigener Stil, wie etwa bei der Gruppe der Cambridge Casuals, „known for their expensive clothes and yuppy life-styles along with a
reputation for violence.“117 .
Diese strategischen Überlegungen sind auch in The Football Factory zu beobachten.
Die Ausweitung ordnungspolitischer Maßnahmen wird für die Hooligans zu einer logistischen Herausforderung, die die Fähigkeit zu Selbstbeherrschung und einen klaren
Kopf voraussetzt. Auch die Chelsea-firm in The Football Factory passt die „Spielorte“
nach Bedarf an und dehnt ihren Aktionsradius schrittweise auf den ganzen Ort aus118 .
3.2 Die englische Gesellschaft als Quelle der Gewalt: „Worker’s
Dream“
„The Football Factory“ ist geprägt durch Multiperspektivität und das Nebeneinander
verschiedener Handlungsstränge, unterbrochen durch einzelne isolierte Episoden, die
mit der im Vordergrund stehenden Hooligan-Problematik auf den ersten Blick wenig
gemeinsam haben. Die Verbindung zwischen den Erlebnissen der Chelsea-firm und den
eingeschobenen Episoden erschließt sich auf einer Ebene, die den Zusammenhang zwischen Fußball und Gewalt in Frage stellt und auf eine allgemeine Kritik an der britischen Gesellschaft abstellt. Hier wird einer bestimmten Klientel eine Stimme verliehen,
die sich in der Selbstbeschreibung der Romanfigur Billy Bright, eines Charakters mit
starkem Hang zu rechtsextremen Ideen, wiederfindet:
„He was white, Anglo-Saxon, heterosexual and fed up of being told he was shit.“
(116)
John King definiert diese Gruppe in einem Interview genauer:
„I am talking about people who are not liberal or trendy left, but anti-EU and
patriotic, proud of their culture and sick of being told they are shit by our social
controllers in politics and the media.“119
Beispielhaft ist das Kapitel „Worker’s Dream“(33), das den Tagtraum eines Kollegen
von Tom, dem Lagerarbeiter Sid Parkinson, wiedergibt und das im Folgenden kurz erläutert werden soll: Sids Traum, den er während der Arbeit aktiv entwickelt, der aber
immer wieder durch den Arbeitsalltag unterbrochen wird, beginnt mit einem spektakulären Spiel, das er für das Team der Queens Park Rangers bestreitet und setzt sich fort mit
117 H ALEY
2001.
been to all the grounds and see the stadiums as more than the view on the screen. To me they’re
towns (...). And when Norwich put three goals past West Ham I have to smile even though I’m
picturing the street behind the stand where me and Rod got a hiding.“ (157).
119 C IESA , Robert: Homepage of Laura Hird - The New Review: The Sharp Edge - Interview With John
King. http://www.laurahird.com/newreview/johnkinginterview.html – Aufgerufen am 11.05.2005.
118 „I’ve
53
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
einem Gewinn von 40 Millionen Pfund bei der englischen Entsprechung des Fußballtoto, mit denen er sich seinen Kindheitstraum erfüllt und seinen Lieblingsfußballverein
kauft. Im Laufe des Arbeitstages korrigiert er den Verwendungszweck für die 40 Millionen Pfund, damit sein konstruierter Traum mit seiner persönlichen Glaubwürdigkeit
vereinbar bleibt. So beschließt er, von seinem Gewinn zuerst eine Eigentumswohnung
zu erwerben, um der Abhängigkeit von seinem arroganten Hausbesitzer zu entfliehen,
dann einen Teil an Familie und enge Freunde weiterzugeben und sich schließlich einen
Urlaub in Brasilien zu leisten. Die Überlegung, die verbleibenden Millionen in Spieler
für die Queens Park Rangers zu investieren, verwirft er aufgrund der seiner Meinung
nach übertrieben hohen Gehälter der Profifußballer, und fühlt sich am Ende am Wohlsten bei dem Gedanken, das Geld für wohltätige Zwecke auszugeben. Mit diesem zu
Ende geplanten Traum fühlt er sich für den restlichen Tag gerüstet:
„There was a lot Sid could do with the cash and when he heard the foreman shouting that it was time to get back to work, that there was work needed doing, he
knew that he had a good line of thought which would take him right through to
dinner. Then there would be the short walk to the bookies, for a fiver on Sir Rodney, running at Cheltenham.
Sid was feeling lucky.“ (40)
Diese kurze Passage beschreibt eine Strategie unter vielen, sich mit einer Gesellschaft
zu arrangieren die einem nicht geringen Anteil der Bevölkerung gewisse Privilegien
vorenthält. Die immer vernünftiger ausfallenden Pläne, die Sid für die Verwendung des
imaginären Millionengewinns entwirft, belegen die eigentlich bescheidenen Ansprüche,
die er an diese Gesellschaft stellt. Obwohl gleichermaßen Fußballfan, begegnet er dem
System nicht wie sein Kollege Tom durch regelmäßige Gewaltexzesse120 , die eine klar
gegen den Staat als institutionalisierte Form der Gesellschaftsordnung gerichtete Botschaft in sich tragen, sondern durch die Flucht in eine Traumwelt, die sich nur durch die
Hoffnung auf Glück im Spiel aufrechterhalten lässt. Er klammert sich an die Art „rags
to riches“- Fantasie, die Tom an anderer Stelle als „Pile of shit“ (24) bezeichnet.
Sids Tagtraum ist nur eine der Episoden, in denen „The Football Factory“ von ihrer
Kernhandlung, den Erlebnissen der Chelsea-Hooligans, abweicht, und zusammengenommen entwickelt sich aus dieser Multiperspektivität eine Gesamtsicht auf die englische Arbeiterklasse, die von Ernüchterung, Frustration bis hin zur offenen Ablehnung des britischen Gesellschaftssystems reicht. Im Zusammenhang mit der HooliganThematik wird damit klar, dass die Wurzel der Gewalt nicht im Fußball oder in der
Perspektivlosigkeit einer sozialen Minderheit gesehen wird, sondern in einer empfundenen Kriegserklärung eines Systems von Medien, Wirtschaft und Politik gegenüber
einem bedeutenden Anteil der Bevölkerung, die sich im Dunstkreis von bürgerlichem
120 Sid
ist im Gegensatz zu Tom kein Hooligan, sondern ein „programme collector“, und lehnt die von
ihm als „trouble-maker“ bezeichneten Hooligans ab (36).
54
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Liberalismus, Marktwirtschaft und einer strukturellen Dominanz von Mittel- und Oberschicht zunehmend an den Rand gedrängt sieht. Diese Feststellung zieht sich durch den
ganzen Roman, und wird gerade von den Hooligans immer wieder reflektiert:
„We’re lower than niggers because there’s no politician going to stand up for the
rights of mainly white football hooligans like us. And we don’t want their help. We
stand on our own feet. There’s no easy place to hide. No Labour council protecting
us because we’re an ethnic minority stitched up by the system. No Tory minister to
support our free market right to kill or be killed.“ (31)
Während also die sozialen Härten der neoliberalen Tory-Reformen die letzten Überreste
sozialer Sicherheit für die Arbeiter zerstörten, wird auch die linksliberale Antidiskriminierungspolitik der Labour Party nur als weiterer gesellschaftlicher Verdrängungsprozess der weißen Mehrheit der britischen working class empfunden. Damit lässt sich auch
das in The Football Factory thematisierte Problem des Rechtsextremismus erklären, der
für die von den beiden Volksparteien vernachlässigten Wählerschichten zunehmend attraktiv wird. Besonders deutlich wird dies in der Geschichte von Billy Bright sowie in
einem der Kapitel, die aus der Perspektive von Mr. Farrell erzählt werden (159).
Für das Verständnis des Romans ist dies insofern wichtig, als das Hooligan-Phänomen
hier nicht mehr als isolierte Erscheinung im Umfeld von Fußball betrachtet wird, sondern als eine Ausdrucksform der Unzufriedenheit und des Widerstandes, aber auch eines
wachsenden Selbstbewusstseins gegenüber den gesellschaftlichen Autoritäten.
Vor dem Hintergrund der vorhergehenden Analyse drängt sich die Frage auf, welche Rolle Fußball für die Identität und die Motivation der Hooligans in „The Football
Factory“ einnimmt. Tatsächlich ist der Fußball ein einendes Element in den Biografien
der Mitglieder der eingangs geschilderten sozialen Gemeinschaft. Fußball, mit seinen
„working class roots and traditions“121 bildet ein letztes Rückzugsgebiet der in ihrer
Wahrnehmung von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossenen weißen, männlichen Arbeiterschicht und formt dadurch die Identität der Hooligans entscheidend. Doch
auch diese letzte Domäne der englischen working class ist zunehmend bedroht: Der
zeitgenössische englische Fußball verändert sich aktuell zu einem Sport, der nicht mehr
von den Arbeitern, sondern der Mittelschicht geprägt wird:
„Given the current trajectory of the top levels of the sport here, football seems less
to be ’coming home’, than it is, in the words of the US soul singer, Curtis Mayfield,
to be ’Moving On Up’. The wider social consequences of such a shift remain to be
determined.“122
121 S IR
N ORMAN C HESTER C ENTRE
S. 11.
122 S IR N ORMAN C HESTER C ENTRE
S. 18.
FOR
F OOTBALL R ESEARCH: Fact Sheet 1: Football Hooliganism,
FOR
F OOTBALL R ESEARCH: Fact Sheet 1: Football Hooliganism,
55
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Diese Veränderungen nehmen auch die Figuren in Kings Roman zur Kenntnis. Ihnen
droht also, neben der Verdrängung aus der Mitte der Gesellschaft, mit der zunehmenden
Fokussierung des Sports auf ein Mittelschichtspublikum auch die Verdrängung aus einer
ihrer letzten Domänen.
3.3 Der Einfluß der Medien auf die Hooliganszene
Die Anklagen der Protagonisten in „The Football Factory“ richten sich neben den Verantwortlichen in Politik und Justiz auch gegen die Medien. Gerade die Sensationslust
der Massenmedien und deren Bereitschaft, zu übertreiben und zu manipulieren, um den
Wunsch nach spektakulären Nachrichten zu entsprechen wird deutlich kritisiert:
„Funny thing is, people look at football fans and think they’re scum. But your
regular football supporter, right across the board, from young kid to old man, nutter
to trainspotter, has seen the propaganda machine in action through the years. First
hand knowledge. You can go to a game and see a bit of trouble and then when
you get home and read the papers, or turn on the TV, you think it’s happened
somewhere else. The amount of time and effort they put into minor outbursts, the
way they exaggerate, makes you think seriously about what’s true and what’s a lie.
The great thing is, though, that it’s us lot, the scum, especially the major firms,
who understand it better than most. We know the truth because we’ve been there.“
(106)
Tatsächlich finden sich auch in der Hooligan-Forschung Stimmen, die die Rolle der Medien in Bezug auf das englische Hooligan-Problem kritisch angesehen: Einerseits wird
den Journalisten vorgeworfen, durch die ausführliche Berichterstattung über bekannte
firms und deren Anführer zu deren Attraktivität beigetragen zu haben und manche Vorfälle durch „predictive reporting“ erst provoziert zu haben123 . Andererseits diktieren
die Medien dadurch der öffentlichen Meinung ein Schreckensszenario und vermitteln
die Botschaft, dass dem nur mit entsprechender Härte von staatlicher Seite entgegen
gewirkt werden könne. Der Boulevardjournalismus forciert also restriktive Maßnahmen
gegen ein Problem, das erst durch ihn einen guten Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit
erlangt hat124 .
In „The Football Factory“ behandelt eine Episode speziell diese Thematik. In „Hooligans“ (52 ff.) erläutert ein erfahrener Boulevardjournalist einer Nachwuchsreporterin
die Prinzipien der Hooligan-Berichterstattung:
„As Morgan talked, Will started drifting. He vaguely heard his colleague listing the
buzz-words and phrases which made for a good hooligan article – ’scum’, ’mindless yobs’, ’thugs’, ’ashamed to be English’, ’not true fans’, ’bring back the birch’,
123 Vgl.
H ALEY 2001.
media was not only engaged in reporting and predicting soccer superhooliganism, but it also led
the call for remedial action against the soccer thugs.“ Vgl. H ALEY 2001.
124 „The
56
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
’give them a good thrashing’ and ’now is the time for the courts to hand down
tough custodial sentences’.
– Just shuffle that lot around and you’re there, Morgan laughed (...). First comes
the titillation and gory details, then the condemnation which masks the pleasure the
reader’s had from the story. Call for the return of the cat o’nine tails and demand
some good old fashioned square-bashing and everyone’s happy. It makes the public
feel secure.“ (58)
In den halb ironischen Erklärungen des Journalisten finden sich die kritischen Aspekte
der Hooligan-Berichterstattung versammelt: Die detaillierte Darstellung blutiger Details, das Schüren von Sensationsgier, das Erzeugen von Faszination und schließlich
der Ruf nach harter Bestrafung. Mittels eines Baukastens von Standardausdrücken und
-begriffen lässt sich ein „guter“ Hooligan-Artikel nach dem obigen Schema bei Bedarf jederzeit schreiben. Nicht umsonst trauert also sein Kollege Will Dobson zuvor der
Hochphase der Hooligan-Ausschreitungen hinterher: „(...)they were a bloody nuisance,
but they shifted papers and journalism’s all about circulation figures“ (53).
In der Geschichte von Vince, einem Ex-Hooligan, eröffnet der Roman schließlich eine
Perspektive für den friedlichen Widerstand gegen ein manipulatives und sensationslüsternes Mediensystem durch das Herstellen einer Gegenöffentlichkeit im nichtkommerziellen Raum: Das Kapitel „Liquidator“ (233 ff.) erzählt von seinem Einstieg in die
Redaktion des neuen, basisdemokratisch organisierten Chelsea-Fanzines „No Exceptions“, in dem er in einer Comic-Serie seine frühere Gewalttätigkeit in fiktionaler Form in
offensive Kritik am gesellschaftlichen System transformieren kann. Das Fußballfanzine
wird zum Kontrapunkt einer mehr und mehr kommerzialisierten Fußballkultur. Vince ist
damit unter den Protagonisten des Romans eine Ausnahme, indem er für sich eine konstruktive Perspektive entwickelt, die in einem deutlichen Kontrast zu der Destruktivität
der Fußball-Hooligans steht.
3.4 Zusammenfassung
„The Football Factory“ behandelt ein in der englischen Gesellschaft nach wie vor kontroverses Thema, das eng mit dem Fußball verknüpf ist und spätestens bei internationalen Turnieren auch weltweites Interesse hervorruft. Neben einer sehr direkten Darstellung von Gewalt, Sexismus und Rassimus in der Hooliganszene steht aber vor allem die Innensicht der handelnden Protagonisten im Vordergrund, die die vielfältigen
Motivationen von Hooligans anhand einer Einsichtnahme in ihre Gefühlswelt aufzeigt.
Dabei entsprechen sie in vielen Aspekten dem Konzept der Superhooligans, die durch
extreme Gewaltbereitschaft aber auch durch ein einen gefestigten sozialen Hintergrund
und rationales Handeln im Alltag gekennzeichnet sind. In den Einschüben, die in einer
sehr losen Verbindung zur Haupthandlung stehen, kommen Menschen ähnlicher sozialer
Herkunft zu Wort, die die Perspektive der Hooliganepisoden um eine allgemeinere Sicht
57
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
auf die britische Gesellschaft erweitern. Auf der Grundlage ähnlicher Mechanismen erleben sie wie auch die Hooligans die zunehmende soziale Ausgrenzung in einer Gesellschaft, in der sie sich von Staat und Institutionen immer weniger repräsentiert finden.
Diese Ausgrenzung wird auch in der Kritik an der kommerzialisierten Fußballwelt deutlich, deren Öffnung und steigende Attraktivität für ehemals „fußballferne“ Schichten
Verdrängungsprozesse traditioneller Fußballanhänger zur Folge hat. Die Rolle der Massenmedien, speziell der tabloids und des Fernsehens, die das Phänomen der Hooligans
regelmäßig hochspielen, wird sowohl aus der Wahrnehmung der Hooligans kritisiert
wie auch durch einen Einschub, der die zweifelhafte Praxis der Zeitungen im Umgang
mit dem Thema veranschaulicht. John Kings Roman besitzt damit zusammengefasst ein
sehr kritisches Profil, das durchaus diskussionswürdig ist. The Football Factory ist ein
Roman, der einerseits in drastischer Deutlichkeit das Leben englischer Hooligans mit all
den Facetten ihrer Identität – brutaler Gewalt, Sexismus und Rassismus, aber auch Solidarität und Nervenkitzel – schildert125 und dabei eine distanzierte bis sympathisierende
Haltung einnimmt. Durch seine starke Konzentration auf die Perspektive der handelnden Personen wird auch dem Leser, bei aller Abscheu gegenüber den in schockierender
Präzision dargestellten Gewaltorgien, eine völlige Ablehnung gegenüber den im Mittelpunkt stehenden Hooligans um Tom Johnson erschwert. Wenngleich der Roman keinen
eindeutig positiven Bezug auf die Hooliganszene nimmt, bleibt doch das Gefühl, dass
die Faszination der orgiastischen Kampfszenen ihre Wirkung nicht verfehlt. Dennoch
gewährt „The Football Factory“ gerade aufgrund seines dichten und persönlichen Einblicks in die Hooligankultur eine sehr aufschlussreiche Sichtweise auf die Schwächen
der englischen Gesellschaft, gerade auch durch den Bezug auf den Fußball als ein zentrales identitätsstiftendes Element des Landes.
4 Fußball in der Kurzprosa
Das folgende Kapitel befasst sich mit zwei Fußballkurzgeschichten, die jeweils einen
speziellen Aspekt aus der Welt des Fußball in den Mittelpunkt stellen. Kurzgeschichten müssen sich aufgrund ihres Umfangs notwendigerweise auf einen Gesichtspunkt
konzentrieren und eignen sich deshalb besonders gut, um die literarische Präsentation solcher Teilaspekte zu untersuchen. In Ian Plenderleiths Kurzgeschichtenband „For
Whom the Ball Rolls“126 liegt der Fokus auf der Betrachtung einzelner Charaktere aus
dem Umfeld des Fußballs und der psychologischen Annäherung an die Frage, wie sich
die Faszination des Sportes auf diese Charaktere auswirkt und warum Fußball auf das
alltägliche Leben der Menschen so massiv Einfluß nehmen kann. Aus dem Band wur125 Vgl.
H UBER 2002, S. 288 f.
Ian: For Whom the Ball Rolls. Football Stories and More. London: Orion, 2001a.
126 P LENDERLEITH ,
58
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
de die Kurzgeschichte „The Man in the Mascot127 ausgewählt, die sich mit einer oft
vergessenen Berufsgruppe im englischen Fußball beschäftigt – dem Maskottchen. Die
Fragwürdigkeit eines Symbols, das den Verein repräsentieren und die Spieler motivieren soll, letztlich aber vor allem als Ventil für die Aggressionen der Zuschauer herhalten
muss und die Demütigung, die für die Person im Inneren des Kostüms damit einhergeht,
steht im Zentrum der Erzählung.
Einen gänzlich anderen Aspekt beleuchtet die Erzählung „A Minute’s Silence“ aus
der Anthologie „The Hope That Kills Us“, einer Sammlung von Fußballkurzgeschichten schottischer Autoren. Hier geht es um ein spezifisch schottisches Problem: Die Rivalität zwischen den beiden Glasgower Vereinen Glasgow Rangers und Celtic Glasgow,
die in den historischen Differenzen zwischen der protestantischen Mehrheit und der
katholischen Minderheit begründet sind, wird hier zur Ursache einer zerstörten Freundschaft zwischen zwei Jungen. Im Kern der Erzählung steht die Erkenntnis, dass dem
Fußball neben seiner integrierenden, verbindenden Funktion128 auch die Eigenschaft innewohnt, Ab- und Ausgrenzung zu fördern und so die eigene Identität in Abhängigkeit
zu einem konstruierten Anderen zu definieren. Nicht einmal die innige Freundschaft der
beiden Jungen kann verhindern, dass sie von der Leidenschaft zu „ihrem“ Fußballverein so sehr vereinnahmt werden, dass ihr Verhältnis letztlich nur noch von gegenseitiger
Ablehnung und Hass bestimmt ist.
4.1 Die Protagonisten des Spiels: „The Man in the Mascot“
Der Kurzgeschichtenband „For Whom The Ball Rolls. Football Stories And More“ folgt
in seiner Gliederung dem Untertitel und besteht zu etwas mehr als der Hälfte aus Fußballgeschichten. Gemeinsam ist ihnen allen die bereits in der Einleitung erwähnte Beschäftigung mit der Wirkung von Fußball auf Menschen, die aus den unterschiedlichsten
Gründen mit dem Fußballspiel in Berührung kommen. In der Geschichte „The Man in
the Mascot“ ist dies ein Mann, der sein Geld damit verdient, im Kostüm des Vereinsmaskottchens „Topsy the Toucan“ bei Heimspielen seines Clubs aufzutreten.
Vereinsmaskottchen spielen im britischen Fußball eine größere Rolle als etwa im
deutschen Fußball, weshalb an dieser Stelle ein kurzer Exkurs gerechtfertigt ist. In den
englischen Ligen besitzt nahezu jeder Verein, bis hinab in die fünfte Liga, sein eigenes
Maskottchen129 . Diese treffen sich sogar jährlich aus Anlaß des Mascot Grand National,
einem Benefizturnier, um sich im Hürdenlauf zu messen130 . Das Verhältnis der Fußball127 P LENDERLEITH ,
Ian: The Man in the Mascot. Aus: For Whom the Ball Rolls. Football Stories And
More. London: Orion, 2001b.
128 Dieser Gesichtspunkt wird in der vorliegenden Arbeit speziell in Kapitel 6 anhand des Films Bend It
Like Beckham untersucht.
129 Eine Übersicht über diese findet sich im Internet: The Football Mascot Scrapbook. http://www.
sports-mascots.co.uk/ – Aufgerufen am 25.07.2005.
130 Vgl. The Mascot Grand National. http://www.themascotgrandnational.co.uk/ – Aufgerufen am
59
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
fans zu ihren Maskottchen ist indes sehr durchwachsen. Stuart Drummond etwa, damals
im Kostüm des Maskottchens H’Angus Monkey von Hartlepool United unterwegs, kandidierte 2002 ohne ernsthafte Absichten bei der ersten direkten Bürgermeisterwahl in
Hartlepool und gewann als parteiloser Kandidat, der sich bei Wahlkampfauftritten stets
im Affenkostüm zeigte, mit 52,1% der Stimmen131 . Seine Wiederwahl im Jahr 2005 bestätigte seine hohe Popularität, die ihm in Verbindung mit seiner ungewöhnlichen Biografie landesweite Berühmtheit einbrachte132 . Dabei reihte sich Drummond durchaus
ein in die Menge der Maskottchen, die durch Regelübertretungen und provokatives Verhalten im Stadion regelmäßig unangenehm auffallen133 . Die Tatsache, dass er bei zwölf
Teams ein Auftrittsverbot auferlegt bekam, schien seiner Popularität nicht zu schaden.
Der Fall Drummond ist also ein Hinweis darauf, dass die Popularität der Maskottchen
als Teil der englischen Stadienkultur nicht zu unterschätzen ist. Auf der anderen Seite ist er aber ebenso eine Ausnahmeerscheinung, denn gewöhnlich ist der Mensch im
Inneren des Plüschkostüms den Zuschauern nicht bekannt und austauschbar. Der Bekanntheitsgrad eines Maskottchens springt also im seltensten Fall auf den Menschen,
der es verkörpert, über, was eine Erklärung dafür bietet, warum englische Maskottchen
– wie oben erwähnt – so oft durch unangemessenes und aggressives Verhalten auffallen:
In der Rolle einer Kunstfigur scheint das Verantwortungsbewusstsein über das eigene
Handeln hinter der schützenden Maskierung zurückzutreten.
4.1.1 Handlungsüberblick
Plenderleiths Geschichte, die die dunklen Seiten des Maskottchendaseins beleuchtet, ist
vor dem Hintergrund obiger Ausführungen zu betrachten. Sie beruht auf der Erzählung
eines jungen Mannes, einem arbeitslosen Absolventen einer Schauspielschule, der seine
Rolle als „Topsy the Toucan“ nicht aus Leidenschaft spielt, sondern um seine Sozialhilfe
aufzubessern. Mit einer klassischen Biografie des Scheiterns belastet, identifiziert er
sich nur widerwillig mit dem großen Plüschvogel, als der er Woche für Woche die Fans
unterhalten und motivieren soll.
Die Erzählung beginnt mit einem Rückblick auf den Abend, an dem er in einem Pub
ein Mädchen namens Sabina kennenlernt und ihr auf die Frage, was er beruflich mache,
eine Antwort gibt, die nahelegt dass er sein Geld als Spieler in dem Verein verdient,
in dem er eigentlich als Maskottchen arbeitet (13). Die Angst vor Ablehnung treibt ihn
dazu, die Wahrheit zurückzuhalten, und tatsächlich entwickelt sich zwischen den beiden
24.07.2005.
L ÜCK 2004.
132 Vgl. S TEVENS , Andrew: Labour wins new mayors in British General election. http://www.citymayors.
com/politics/uk_elections2005.html – Aufgerufen am 01.09.2005.
133 So berichtete der Sportteil von BBC Online im Jahr 2001 über geplante Einschränkungen für Maskottchen, nachdem das Maskottchen von Swansea, Cyril the Swan, den Plüschkopf des gegnerischen
Maskottchens, Zampa the Lion, in die Menge getreten hatte. Vgl. BBC S PORT: Quacking down on
the mascots. http://news.bbc.co.uk/sport1/hi/football/1167001.stm – Aufgerufen am 23.07.2005.
131 Vgl.
60
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
eine Liebesbeziehung. Der Erzähler Jacob beurteilt seine Rolle als Vereinsmaskottchen
mit einer Mischung aus Zynismus und pragmatischer Ironie. Den Sinn seiner Aufgabe
stellt er permanent in Frage:
„I often wondered which promotional genius had determined that a trussed-up,
failed drama graduate would be capable of causing seven thousand people to start
getting excited about a football match by jumping up and down, flapping his wings
and pressing a button which made a distorted cackling noise.“ (19)
Und tatsächlich stößt der Vogel, der die Fans auf das Spiel und die eigene Mannschaft
einstimmen und motivieren soll, bei diesen lediglich auf eine Mischung aus Ignoranz
und Aggression. Er ist bei jedem Einsatz vulgären Beschimpfungen ausgesetzt, Zuschauer bewerfen ihn mit Essensresten und die einzigen, an denen er sich für diese
Misshandlungen rächen kann, sind die Kleinkinder, die er verschreckt, indem er den
Knopf in seinem Kostüm drückt, wenn sie seinen Schnabel anfassen (21). Jacob erträgt
die wöchentlichen Demütigungen nur durch den Gedanken an das Geld, das er dabei
verdient, und den konstanten Konsum von Bier, das er mit einer speziellen Konstruktion im Inneren seines Kostüms unbemerkt zu sich nehmen kann. Gelegentliche Einsätze bei Auswärtsspielen, in denen er auf Maskottchen anderer Vereine trifft 134 , stellen
für ihn schon das Maximum an Abwechslung innerhalb seines ansonsten ereignis- und
erfolglosen Lebens dar. Akzeptanz gegenüber seinem Alter Ego, dem Tukan, erlangt
Jacob nur an seinen „Wodka-Tagen“, an denen er sich vor seinem Einsatz in einem Pub
mit exzessivem Wodka-Konsum auf das Spiel vorbereitet. Durch den Alkohol ermutigt,
entwickelt er an diesen Tagen eine ausgeprägt sadistische Ader, die sich in Attacken auf
Jugendliche oder das bewusste Stören der Zuschauer während des Spiels ausdrückt (23
f.). Insgesamt überwiegt in Jacobs Tätigkeit als Vereinsmaskottchen aber das Gefühl,
unter Bedingungen permanenter Unterforderung und Demütigung ein tristes, unwürdiges Dasein zu führen, aus dem er sich aufgrund seiner eigenen Lethargie nicht befreien
kann – das Leben als Maskottchen erscheint ihm als Sackgasse (16).
Als er Sabina kennenlernt, überwiegt deshalb die Angst, sich mit einer ehrlichen Antwort aller Chancen zu berauben, den Wunsch nach Ehrlichkeit. Denn während er seinen
unseriösen Beruf im Beisein seiner Eltern gerne nutzt, um sie vor Familienfreunden
bloßzustellen (17), empfindet er die gleiche Scham gegenüber Sabina, so dass er sich
im Laufe der Geschichte immer tiefer in Lügen verstrickt, um sie nicht zu verlieren. Er
entwirft eine alternative Identität als Spieler, bei der ihn die Frau insofern unterstützt,
als sie sich nicht besonders für seinen Beruf zu interessieren scheint. Seine kontruierte
Scheinidentität gerät dennoch ins Wanken, weil er auffällig sparsam mit Geld umgeht,
seine Freundin nur in günstige Lokale ausführt und immer darauf besteht, dass sie ihre Rechnung getrennt bezahlen (25). Die Tatsache, dass er kein Auto besitzt, erklärt
134 „(...)Benny the Bantam or Gordy ’Gator or some other illiterated, man-sized, bestial fabrication“ (16).
61
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
er mit einer angeblichen Kampagne des Vereins in Kooperation mit der Gemeinde, die
Umweltbewusstsein propagieren soll, indem die Spieler mit dem Fahrrad zum Training
fahren (26). Die offensichtliche Absurdität seiner Ausreden belastet ihn schwer, und
schließlich zwingt er sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Dabei stellt sich heraus, dass Sabina die ganze Zeit von dem Täuschungsmanöver wusste und sie selbst ebenfalls eine
Rolle spielte: Tatsächlich arbeitet Sabina in leitender Position für die Agentur, die das
Marketing von Jacobs Fußballverein übernommen hat und war dort verantwortlich für
die Konzeption des Maskottchens Topsy (27 f.)135 . Die Demütigung, der Jacob durch
diese Enthüllung ausgesetzt wird, führt zur endgültigen Trennung, auch in Jacobs Interesse, der es ihr, wie ersagt, nie verzeihen könnte, dass sie „Topsy the Toucan“ erschaffen
hat (28 f.). Die Erzählung endet schließlich mit der nüchternen Meldung, dass Topsy am
folgenden Samstag durch die Polizei aus dem Stadion entfernt werden musste, nachdem
er, extrem alkoholisiert, alle Regeln des Anstandes verletzt hatte (29). Jacob rächt sich
also für die Erniedrigungen, die er erfahren musste, und die ihren Höhepunkt in Sabinas
Geständnis erreichten, indem er radikal mit seiner Rolle als Topsy bricht und sich mit
einem exzessiven letzten Auftritt gegen seine Identität als Vereinsmaskottchen auflehnt.
4.1.2 Selbstachtung und Demütigung: Versagen im Kontext des Fußballs
Die Figur des Jacob steht in Plenderleiths Kurzgeschichte nicht nur für das Scheitern des
Menschen an sich selbst, sondern auch für die Beziehung zwischen Selbstachtung und
beruflicher Erfüllung. Jacob verkörpert dabei einen Charakter, den individuelle Charakterschwächen an seinem beruflichen Fortkommen hindern, was wiederum zu einer
Manifestation dieser Züge (Lethargie, Pessimismus und eine allgemein ablehnende Haltung gegenüber sich selbst und seiner Umwelt) führt – ein Teufelskreis anhaltender Erfolglosigkeit.
Das Scheitern des Mannes hebt sich vor dem Hintergrund des Fußballsettings, das
in besonderen Maße mit Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung, aber auch mit Gemeinschaftsgefühl und -erlebnis assoziiert wird, besonders deutlich ab. Während sich
alle hier bisher besprochenen Texte mit den naheliegenden Protagonisten des Fußball,
Spielern und Fans, auseinandersetzen, gewinnt Fußball in der vorliegenden Erzählung
am Beispiel des Menschen, der sich im Inneren des Maskottchens verbirgt, eine andere
Dimension hinzu: Sowohl Spieler als auch Unterstützer sind charakterisiert durch ihre
Zugehörigkeit zu einem Kollektiv und durch dieses Kollektiv verbindende gemeinsame
Identitätsmerkmale136 , während das Maskottchen als isolierte Randfigur im Fußballgeschäft in keines dieser Kollektive eingebunden ist. Zwar repräsentiert es als Werbeträger den Verein und fördert dadurch Unterstützung und eine positive Außendarstellung,
135 An
dieser Stelle klärt sich also die Frage nach dem „promotional genius“ hinter dem Konzept des
Maskottchens auf, die zuvor von Jacob in den Raum gestellt wurde (19).
136 Vgl. dazu auch Kapitel 4.2.
62
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
doch dies resultiert, wie gerade in der vorliegenden Geschichte deutlich zu erkennen,
nicht in erster Linie aus einem gewachsenen, emotionalen Zugehörigkeitsgefühl, das
gegebenenfalls auch kritische Äußerungen erlaubt, sondern aus einem klar definierten
Auftrag auf der Basis eines Beschäftigungsverhältnisses. Wenngleich auch die Spieler
in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Verein stehen, unterscheidet sich
das des Maskottchens von dem der Profispieler nicht nur durch die völlige Anonymität,
die eine persönliche Anerkennung seiner Leistung durch das Publikum erschwert137 ,
sondern auch durch die unterschiedliche gesellschaftliche Anerkennung des beruflichen
Status, die sich nicht zuletzt in gravierenden Einkommensunterschieden niederschlägt.
Die Erzählung verdeutlicht dies insbesondere aufgrund von Jacobs erheblicher beruflicher Überqualifikation als diplomierter Schauspieler, der seine Rolle als „Topsy the
Toucan“ in keiner Weise gerecht wird, auch wenn er an einer Stelle mit einer Mischung
aus Ironie und Stolz anmerkt, dass er es im Gegensatz zu einigen seiner ehemaligen
Kommilitonen zumindest geschafft hat, auf einer Art Bühne und vor einem großen Publikum aufzutreten (22). Der Status, den das Maskottchen genießt, lässt sich anhand der
ständigen Erniedrigungen, die Jacob erdulden muss, ablesen: Das Maskottchen dient
nicht, wie eigentlich seiner Konzeption entsprechend, einer positiven Identifikation mit
dem Verein, es ist vielmehr ein Ventil für die aufgestauten Aggressionen der Zuschauer,
die aufgrund der „Gesichtslosigkeit“ durch die Kostümierung und durch die fehlende
Angst vor einer Sanktionierung persönlichen Fehlverhaltens ohne Hemmungen an ihm
ausgelassen werden. In Plenderleiths tragikomischer Erzählung wird also eine Fußballwelt dargestellt, in der es nicht nur im Spiel Sieger und Verlierer gibt, sondern in der
der Verehrung der Spieler gleichzeitig die wöchentliche Erniedrigung des Maskottchens
gegenüber steht. Mit seiner Lüge versucht Jacob deshalb, die Seiten zu wechseln und
sich eine Identität anzueignen, die ihn nicht der Lächerlichkeit preisgibt, sondern ihm
die Anerkennung anderer zusichert.
Letztlich darf die Erzählung aber nicht auf ihr Fußballthema reduziert werden, da
es hier auf einer allgemeineren Ebene um ein wesentlich abstrakteres Thema, nämlich
die Analyse des gescheiterten Charakters geht. Jacob verkörpert einen Menschen, der
aus einer Mischung gesellschaftlicher Faktoren, wie mäßiger Arbeitsmarktchancen für
Schauspieler, und persönlichen Defiziten wie Motivationslosigkeit, Pessimismus und
Alkoholismus ein Leben in Erfolglosigkeit und sozialer Isolation lebt. Das Scheitern als
Lebensprinzip spiegelt sich in der Absurdität seiner Tätigkeit als überdimensionierter
Plüschtukan, der die paradoxe Aufgabe hat, selbst bei anhaltender Erfolglosigkeit des
Vereins für gute Stimmung unter den Fans zu sorgen. Der Mikrokosmos Fußball dient
hier also einer zugleich anschaulichen wie komischen Gegenüberstellung der „Helden“
137 An
dieser Stelle sei an die eingangs geschilderte Geschichte Stuart Drummonds erinnert, der nicht als
politische Persönlichkeit, sondern als der Affe H’Angus in das Bürgermeisteramt gewählt wurde, vgl.
Kapitel 4.1.
63
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
auf dem Platz und des Versagers im Tukankostüm am Spielfeldrand.
4.2 Die schottische Perspektive auf den Fußball: „A Minute’s Silence“
Wenn von Fußball in Großbritannien die Rede ist, wird oft die Tatsache vernachlässigt, dass es den „britischen“ Fußball als Ganzes nicht gibt138 . Tatsächlich existieren im
Vereinigten Königreich mit England, Schottland, Wales und Nordirland vier einzelne
Ländermannschaften, die Republik Irland als unabhängiger Staat besitzt selbstverständlich ebenfalls ein eigenes Team. Auch die kulturellen Praktiken, die mit dem Fußball
verbunden sind, unterscheiden sich in den verschiedenen Teilen des Vereinigten Königreichs deutlich voneinander, sei es in der Bedeutung, die dem Fußball in der Gesellschaft zukommt139 , in der Organisation der Ligen oder in der Frage, welche Faktoren
das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Verein determinieren. Um der Tatsache
Rechnung zu tragen, dass der britische Fußball nicht mit dem englischen gleichzusetzen ist140 , wird im folgenden Kapitel beispielhaft auf die literarische Repräsentation
des fußballbegeisterten Schottland eingegangen. Schottland eignet sich für diese Betrachtung aus zwei Gründen besonders gut: Einmal aufgrund der Professionalität der
schottischen Ligen, mit der weder Wales141 noch die beiden irischen Länder aufwarten
können142 , zum anderen aufgrund der Tatsache, dass sich die Verbindung zwischen Fußball und kollektiven wie individuellen Identitäten sehr anschaulich an den zwei großen
Vereinen Glasgows, Celtic Glasgow und Glasgow Rangers – oft zusammengefasst unter dem Begriff Old Firm143 – beobachten lässt144 . Dazu wurde mit „A Minute’s Silence“ von Alan Bissett eine Erzählung aus der Anthologie The Hope That Kills Us145
ausgewählt, einer Sammlung von Kurzgeschichten zum Thema Fußball, verfasst von
schottischen Autorinnen und Autoren. Kapitel 4.2.1 gibt einen kurzen Überblick über
138 Vgl.
M ERGENTHAL , Silvia: England’s Finest - Battle Fields and Football Grounds in John King’s
Football Novels. Aus: KORTE , Barbara/S CHNEIDER , Ralf (Hrsg.): War and the Cultural Construction
of Identities in Britain. Band 59, Amsterdam, New York: Rodopi, 2002, S. 262.
139 So rangiert er in Wales in seiner Popularität deutlich hinter RugbyVgl. M OORHOUSE , Herbert F.: Ein
Staat, mehrere Länder. Fußball und Identitäten im „Vereinigten“Königreich. Aus: H ORAK , Roman/
R EITER , Wolfgang (Hrsg.): Die Kanten des runden Leders. Beiträge zur europäischen Fußballkultur.
Wien: Promedia, 1991, S. 132.
140 Vgl. M OORHOUSE 1991, S. 131.
141 Die walisischen Profimannschaften spielen deshalb sogar in den englischen Ligen, vgl. M OORHOUSE
1991, S. 132.
142 Vgl. M OORHOUSE 1991, S. 137.
143 Vgl. B URDSEY, Daniel/C HAPPELL , Robert: Soldiers, sashes and shamrocks: Football and social identity in Scotland and Northern Ireland. http://physed.otago.ac.nz/sosol/v6i1/v6i1_1.html – Aufgerufen
am 28.04.2005.
144 Aus diesem Grund konzentrieren sich auch B URDSEY und C HAPPELL in ihrem Aufsatz über den
Zusammenhang zwischen Fußball und Identität in Schottland und Irland auf die beiden Vereine: „the
clubs with the strongest politico-religious traditions in Scotland“. B URDSEY/C HAPPELL: Soldiers,
sashes and shamrocks.
145 S EARLE , Adrian (Hrsg.): The Hope That Kills Us. An Anthology of Scottish Football Fiction. Edinburgh: Polygon, 2003.
64
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
die Handlung und die Spezifika der literarischen Sprache, Kapitel 4.2.2 analysiert die
Geschichte unter dem Aspekt der Bedeutung der religiösen und ethnischen Identitäten
im Fußball, wobei die spezielle Situation von Fußballfans in Glasgow, der Stadt der
fußballerischen „Religionskriege“146 im Mittelpunkt steht.
4.2.1 Handlungsüberblick und sprachliche Besonderheiten
Bei „A Minute’s Silence“147 von Alan Bissett handelt es sich um eine überwiegend
retrospektive Erzählung in der ersten Person, die vollständig in Scots verfasst ist148 .
Die Erzählung trägt den Charakter einer direkten Rede, nicht nur durch die Sprache,
sondern auch durch den Satzbau und die an einigen Stellen vorhandenen Rückfragen
des Erzählers an eine zweite Person, die nicht benannt wird, die aber offenbar deutlich
jünger sein muss als der Erzähler, da sie zum Beispiel das Kindheitsidol des Erzählers,
den Seriencharakter Colt Seevers, nicht mehr kennt (132).
Der Erzähler rekapituliert anlässlich eines touristischen Besuchs im Vatikan während
einer Romreise die Geschichte einer Kinderfreundschaft zwischen ihm, dem Protestanten, und Danny, einem Jungen aus einer katholischen Familie. Diese Geschichte thematisiert eines der zentralen „identitätsrelevante[n] Merkmale“149 , die den schottischen
Fußball charakterisieren: Die historisch begründete religiöse Teilung des Landes in eine
protestantische Mehrheit und eine katholische Minderheit, die sich in der Bindung an
einen bestimmten Fußballverein, besonders bei den zwei dominanten und rivalisierenden Teams in Glasgow150 , niederschlägt. Die Erinnerung des Erzählers beginnt als die
Geschichte zweier gleich alter Freunde, die ihre Kindheit gemeinsam verbringen. Der
Erzähler erinnert sich an den Spaß, den sie bei Kinderaktivitäten wie dem Fahrradfahren,
Klettern oder bei Cowboy und Indianer-Spielen hatten und an die Solidarität zwischen
den besten Freunden, die auch durch die stetig vorhandene Konkurrenz nicht in Frage
gestellt wurde. Über die beiden Figuren erfährt der Leser bis zu diesem Zeitpunkt nur
wenig. Danny ist ein eher kleines, schwaches und schüchternes Kind151 und vier Tage
146 M UNO ,
Wolfgang: Endspiel. Über Fußball, Krieg und Gewalt. Aus: H ÜTIG , Andreas/M ARX , Johannes
(Hrsg.): Abseits denken. Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft. Kassel: Agon Sportverlag,
2004, S. 169.
147 B ISSETT, Alan: A Minute’s Silence. Aus: S EARLE , Adrian (Hrsg.): The Hope That Kills Us. An Anthology of Scottish Football Fiction. Edinburgh: Polygon, 2003. Die folgenden Seitangaben in runden
Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
148 Zum Nachschlagen unbekannter Vokabeln wurde das Online Scots Dictionary verwendet, vgl. Scots
Online. http://www.scots-online.org/ – Aufgerufen am 05.08.2005.
149 Vgl. M OORHOUSE 1991, S. 137.
150 Vgl. M OORHOUSE 1991, S. 137.
151 Die körperliche Unterlegenheit bringt ihm den Namen „subbuteo kid“ ein (131) – bei Subbuteo handelt
es sich um ein Tischfußballspiel, das auf einem Tuch mit Figuren gespielt wird, die gegen den Ball
oder über das Spielfeld geschnippt werden (vgl. F EDERATION OF I NTERNATIONAL S PORTS TABLE
F OOTBALL: A History of Subbuteo. http://en.fistf.com/history/ – Aufgerufen am 30.07.2005). Der
Name bezieht sich wohl auf die Tatsache, dass der Junge häufig von den Größeren „herumgeschubst“
wurde.
65
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
jünger als der Erzähler, was diesen einerseits zu Dannys Beschützer werden lässt, ihm
aber andererseits deutliche Vorteile im Spiel einbringt, die er entsprechend nutzt (131).
Soweit liest sich die Handlung wie die einer konventionellen nostalgischen Geschichte über zwei Freunde, bis der Erzähler auf das Thema Fußball zu sprechen kommt. Er
schildert in einem sehr emotionalen Abschnitt die Faszination des Spiels, die die Kinder
eines Sommers ergreift:
„But then comes the fitba! Yabeauty it roars intae toon wan summer man, like
a circus eh, an yer oot every night hard at it. Playing like the gemmes just been
invented. The dark night is your foe. Ye ken yersel. Aye we were aw weans, we
were aw weans.
See. Cos. Weans play a pure kind of fitba.“(133)
Den kindlichen Fußball, den der Erzähler „pure“ nennt, beschreibt er mit Bildern aus
der Natur und bekräftigt damit den Eindruck, dass es sich beim Fußballspiel um ein
„natürliches“ Bedürfnis handelt, das jeder in sich trägt und das sich nur in der Kindheit
unverfälscht ausleben lässt:
„But pure fitba... its in the womb beside ye man. In the silence an calm. Its like...the
sea or the desert or oxygen aw roond ye, the rhythm an glances an pattern ae the
gemme ken? Ye feel it. That connection in a pass, reachin somebody across empty
green space like...a message. A silent message.“ (133)
Fußball wird hier also zu einer Erfahrung, die das Leben der Kinder nachhaltig prägt
und die so natürlich ist wie etwa der Prozess des Erwachsenwerdens. Damit ist bereits
eine Aussage über den Zusammenhang von Fußball und Identität getroffen: Fußball
gehört zum menschlichen Leben, ist ein Teil der menschlichen Existenz und damit unzweifelhaft auch der eigenen Identität.
Dass die Kinder gerade durch die gemeinsame Erfahrung des Spiels noch stärker miteinander verbunden sind, dass der Erzähler ungeachtet der Konkurrenzsituation sogar
Stolz empfindet, wenn sein talentierter Freund Danny ein Tor schießt, macht die folgende Entwicklung der Handlung nur noch tragischer. Der Erzähler stellt rückblickend eine
langsame, aber endgültige Auseinanderentwicklung der beiden Jungen fest, die zwar in
der religiösen Differenz der beiden Kinder ihre Wurzeln hat, sich jedoch erst im Fußball
manifestiert und dadurch erst seine Bedeutung erlangt.
In die positiven Erinnerungen an die gemeinsamen Fußballspiele mischt sich ein unangenehmer Gedanke:
„But there wis this wan thing.
This wan wee thing.
Like a germ.
An it grows so slow ye dont notice.“ (134)
66
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Dieses „eine kleine Ding“, das langsam die Freundschaft der beiden Jungen untergräbt,
zeigt sich zum ersten Mal, als die Jungen auf zwei unterschiedliche Schulen gehen, eine Tatsache, die sich der Erzähler damals nicht erklären kann, ihr aber nicht allzu viel
Bedeutung beimisst. Die Frage nach den unterschiedlichen Schulen wird dem Jungen
indirekt von einem Schulkameraden beantwortet, der ihn eines Tages im Rahmen eines kindischen Spiels unvermittelt fragt, ob er „tim“ oder „hun“ sei, Begriffe, die der
Erzähler zu dieser Zeit nicht kennt (135). Als ihm der Vater erzählt, dass tims Lügen
und Läuse verbreiten, und dass der Unterschied darin liegt, welche Art Gottesdienst
man besucht, stellt der Junge fest, dass er ein hun sein muss. Bemerkenswerterweise
trifft er diese Entscheidung in erster Linie deshalb, weil er vermeiden möchte, dass die
anderen von ihm denken, er hätte Läuse. Die Frage nach dem Gottesdienst hilft ihm
wenig weiter, weil er in seinem Leben nur zweimal in der protestantischen Sonntagsschule war und er deshalb darin keine Bedeutung sieht. Diese Feststellung belegt die
These, dass Religion zwar ein formaler, aber kein realer Grund für die Rivalität und den
Hass zwischen den Anhängern von Celtic und Rangers sein kann, wie auch Burdsey
und Chappell feststellen, weil die Intensität des individuellen Glaubens bei vielen nicht
sehr hoch ausgeprägt ist152 . Die Frage, ob Danny Protestant oder Katholik ist, wird an
dieser Stelle durch eine Aussparung indirekt beantwortet:
„Jonesey:hun. Donovan:tim. Dek allison: hun. Danny“ (135)
Die Auslassung deutet bereits den Konflikt an, der die beiden Jungen letztlich für immer
trennt. Der Bruch wird ausgelöst durch ein morgendliches Elfmeterschießen, durch das
sich ein Anwohner gestört fühlt, der sich lautstark beschwert. Danny, bei dem mit dem
Körper auch das Selbstbewusstsein gewachsen ist, schießt daraufhin den Ball durch das
Fenster des wütenden Mannes, der, als er das (wie erst später erwähnt wird, aber aus
dem Kontext zu erschließen ist) grün-weiße153 Trikot des Jungen bemerkt, in wüste Beschimpfungen ausbricht, die der Erzähler nicht versteht, die aber alle auf Dannys Religion und die damit einhergehende Unterstützung von Celtic Glasgow abzielen. Daraufhin
stellt Dannys Vater den Mann zur Rede und es kommt zu einer Schlägerei, die von der
Frau des Anwohners beendet wird. Dannys aufgebrachter Vater bemerkt – wohl zum
ersten Mal –, dass Dannys Freund, der Erzähler, ein orangenes Trikot trägt und verbietet Danny daraufhin den Kontakt zu seinem Freund. Nach einem langen Sommer, den
die beiden verbringen, ohne sich zu sehen, stellt der Erzähler fest, dass Fußball unbemerkt von einem reinen Spiel zu einer ernsten Sache geworden ist, dass ein verlorenes
Spiel der eigenen Mannschaft plötzlich zum Auslöser für eine tiefe innere Wut wird.
152 Jedenfalls
bei den protestantischen Anhängern von Glasgow Rangers, von denen laut einer Umfrage
von 1995 nur etwa 5% mindestens einmal die Woche einen Gottesdienst besuchten, während es bei
den Celtic-Fans immerhin 61% sind und damit der Anteil höher ist als in der katholischen Gesamtbevölkerung. Vgl. B URDSEY/C HAPPELL: Soldiers, sashes and shamrocks
153 Grün und weiß sind die Vereinsfarben von Celtic Glasgow. Die Farbe der Glasgow Rangers ist orange.
67
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Es wird offensichtlich, dass die Wut der Niederlage und der Triumph des Sieges immer
mit dem Gegner, der rivalisierenden Mannschaft, verbunden sind. Deshalb tauchen die
beiden Jungen nach jedem Sieg ihrer jeweiligen Mannschaft an der Tür des anderen
auf, um ihren Jubel auf seine Kosten auszuleben, um sich dann wie in einem Ritual von
dessen Mutter unter einem Vorwand wegschicken zu lassen, weil keiner der Häme des
anderen wehrlos ausgeliefert sein will.
In ähnlicher Weise führen provokative Rituale der Anhänger der verfeindeten Vereine zu weiteren Konflikten. Der Erzähler wirft Danny vor, dass er sich nach einem Tor
bekreuzigt und das Kruzifix küsst, dass er um seinen Hals trägt – Gesten, die seiner Meinung nach nichts mit Fußball zu tun haben. Der wiederum erinnert ihn daran, dass man
das über den Union Jack, den manche Rangers-Fans als Zeichen ihrer Loyalität zum
Vereinigten Königreich tragen, ebenso sagen könne. Dass der Bruch zwischen den beiden Jungen irreversibel ist, stellt sich beim gemeinsamen Ansehen des Pokalfinalspiels
zwischen den beiden Mannschaften heraus, als Danny sich weigert, Saft zu trinken, weil
er orange ist.
Ein letztes Mal treffen die beiden als Spieler ihrer beiden Schulmannschaften in einem Spiel aufeinander, das in gegenseitigen Beleidigungen endet und das Ende ihrer
Freundschaft markiert. Der Erzähler ruft sich in Erinnerung, wann er Danny zuletzt gesehen hat und dabei erwähnt er fast wie nebenbei, dass Danny vor einigen Jahren am
zwölften Juli, dem protestantischen Feiertag, erstochen wurde.
Schließlich findet sich die Erzählung im hier und jetzt wieder, der Erzähler kehrt zurück zu seiner Romreise und schildert seine Gefühle in der Stille des Vatikans, die ihn
an die Schweigeminute für Danny in Celtic Park, dem Stadion von Celtic, auch Parkhead genannt, erinnert. Als er den Vatikan verlässt, weint er, von der Atmosphäre des
sakralen Ortes allen religiösen Differenzen zum Trotz tief ergriffen, um seinen verlorenen katholischen Freund. Im Schluß der Kurzgeschichte klären sich die Umstände der
Erzählung: Offenbar findet sie in einem Pub statt, in dem der Erzähler am Ende – wie
zum Trotz – auf die Rangers anstösst.
4.2.2 Die geteilte Stadt: Fußball als religiöser Identitätsstifter
„A Minute’s Silence“ zeigt anschaulich auf, wie Fußball dazu beiträgt, die Identität von
Menschen zu prägen und zu dominieren. Die Erzählung nutzt die Ausgangssituation
einer langen und intensiven Freundschaft, die an einer aus der religiösen Prädisposition
zustande gekommenen Vorliebe für den einen oder anderen Verein zerbricht154 . Die
historisch bedingte Feindschaft der beiden Vereine setzt sich auf der individuellen Ebene
154 Wohlgemerkt
nicht an der Religion der beiden Jungen, die zumindest im Fall des Erzählers im Alltag
keine Rolle spielt, sondern daran, dass dieser Teil ihrer Identität (katholisch oder protestantisch) durch
die Unterstützung des jeweils zugehörigen Vereins erst an Bedeutung gewinnt, also einen Sinn zu
ergeben scheint.
68
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
fort, obwohl es dazu rational keinen Anlaß gibt: Die Freundschaft der Kinder ist älter
als ihre Verbundenheit zu ihrem Verein, und dennoch findet die langsame Entwicklung,
die der Erzähler immer wieder anspricht, fast unbemerkt statt und schafft eine Distanz,
die erst der tragische und im Fußball begründete Tod des einen zu überbrücken scheint
– allerdings zu spät.
Im Zentrum von „A Minute’s Silence“ steht damit die Feststellung, dass die identitätsstiftende Funktion des Fußball das Individuum zwar in ein Kollektiv von Fans einbindet,
es aber gleichzeitig von anderen Individuen, die sich einem Konkurrenten verbunden
fühlen, entfernt und im schlimmsten Fall eine Situation schaffen kann, in der sich sportliche Rivalität zu Hass steigert. Der spezifisch schottische Blick findet sich in der Tatsache, dass sich die verfeindeten Fanlager durch die historischen Unterschiede – Celtic
mit den Attributen katholisch, nach Irland orientiert und eher republikanisch, Rangers
hingegen protestantisch, dem Vereinigten Königreich verpflichtet und monarchistisch
ausgerichtet155 – eine Ablehnung gegenüber dem Anderen zu eigen machen, die erst
durch den Fußball Möglichkeiten der Artikulation eröffnet und sinnstiftend wirkt. Diese Möglichkeiten ergeben sich gerade bei einem Fußballspiel, wo, wie B URDSEY und
C HAPPELL darlegen, in der direkten, aber relativ ungefährlichen, Konfrontation mit
dem ebenfalls anwesenden Gegner im Stadion die eigene Identität lautstark betont und
die des anderen angegriffen werden kann156 .
Der Fußball stillt also ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Abgrenzung, das allerdings erst durch ihn forciert wird, denn in Schottland wird dem Konflikt zwischen
Protestanten und Katholiken, der Diskussion um eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse der beiden christlichen Religionen oder gar der Frage nach einem unabhängigen
Staat politisch keine vergleichbare Bedeutung zuteil wie in Nordirland157 .
Allerdings darf trotz des pessimistischen Grundtons in „A Minute’s Silence“ nicht
übersehen werden, dass die Rivalität zwischen den beiden Vereinen in Glasgow nicht
ausschließlich negative zu bewerten ist, und das nicht nur, weil die beiden großen Vereine eine enorme Wirtschaftskraft besitzen und dem schottischen Fußball internationale
Bedeutung verleihen. Die Affinität der Fans zu ihrem jeweiligen Verein wird durch die
Existenz eines nahen Rivalen noch gestärkt, und M OORHOUSE spricht sogar vom Stolz
der Schotten über die Einzigartigkeit dieser Konstellation158 , und nicht umsonst beendet der Erzähler seine Geschichte mit den Worten „For the rangers! Aye.“(139). Die
Erzählung stellt also nicht das Problem der Rivalität im Fußball heraus, sondern vielmehr die Dominanz, die diese über das Leben und das Verhalten von Fans gewinnen
155 Vgl.
B URDSEY/C HAPPELL: Soldiers, sashes and shamrocks.
B URDSEY/C HAPPELL: Soldiers, sashes and shamrocks.
157 M OORHOUSE bemängelt allerdings, dass in der Darstellung gerade der englischen Medien, aber auch
im akademischen Diskurs, durch Unwissenheit und Übertreibung fälschlicherweise ein anderer Eindruck entsteht. M OORHOUSE 1991, S. 138 ff.
158 Vgl. M OORHOUSE 1991, S. 139 f..
156 Vgl.
69
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
kann und die, wenn sie Prinzipien rationaler menschlicher Umgangsformen missachtet, in einer Zerstörung zwischenmenschlicher Beziehungen und in einer emotionalen
Verrohung des Individuums enden kann.
4.3 Zusammenfassung
Die beiden besprochenen Kurzgeschichten unterscheiden sich in der Funktion, die Fußball wahrnimmt, diametral. Während Plenderleith sich das Thema Fußball zunutze macht,
um die Persönlichkeitsstruktur eines gescheiterten Menschen zu beleuchten, bedient
sich Bissett der Geschichte einer Freundschaft, erzählt aus einer sehr persönlichen Perspektive, um damit bestimmte Mechanismen der Identifikation und Ausgrenzung im
Fußball zu erklären. In „The Man in the Mascot“ kann man Fußball im Sinne von
H UBER159 also tatsächlich als kulturelle Metapher verstehen, die allgemeine Aussagen
über das individuelle Scheitern transportiert, während „A Minute’s Silence“ Fußball als
Projektionsfläche für gesellschaftliche Konflikte untersucht und als Vehikel dafür die
aus der kindlichen Perspektive erzählte Geschichte einer verlorenen Freundschaft verwendet.
5 David Feckham; My Backside: Parodie auf ein
populäres Genre und Hommage an einen Superstar
In David Feckham; My Backside160 parodiert das Autorenduo Baddiel und Zucker die
2003 erschienene, äußerst erfolgreiche161 Autobiografie David Beckhams, My Side162 .
Diese Parodie vollzieht sich auf der Ebene der Erzählform und Handlung ebenso wie in
der Gestaltung und Konzeption des Buchs163 . Im Folgenden wird zunächst die Parodie
auf das populäre Genre der Spielerautobiografie untersucht. Dem folgt eine Analyse
der Ziele der Satire, die in der Welt des zeitgenössischen Profifußballs sowie dessen
Darstellung durch die Medien zu finden sind. Dafür spielt besonders das Phänomen
David Beckham eine zentrale Rolle.
159 H UBER
2002.
Ivor/Z UCKER , Jonny: David Feckham; My Backside. London: Orion, 2004. Die folgenden
Seitenangaben in runden Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
161 Vgl. R ENG , Ronald: „Die Marke Beckham“. In: Die Zeit Nr. 25 vom 09.06.2004 (2004).
162 B ECKHAM , David/WATT, Tom: My Side. London: HarperCollins Willow, 2003.
163 Auf die Elemente der Genreparodie wird gesondert in Kapitel 5.1 eingegangen.
160 BADDIEL ,
70
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
5.1 Die Genreparodie auf die „Spielerautobiografie“
Das sehr populäre Genre der „sports autobiography“164 und hier speziell das „Subgenre“ der Fußballerautobiografie, das aufgrund der hohen Popularität dieses Sports
den Markt der Sport(auto)biografien in Großbritannien dominiert, hat vor allem kommerzielle Bedeutung, während sich Literaturkritik und -theorie noch wenig mit ihm
beschäftigt haben165 . Dennoch scheinen sich auch hier Veränderungen abzuzeichnen,
die aus einer veränderten Wahrnehmung von Fußball und seiner kulturellen Signifikanz
resultieren mögen166 . Dies lässt sich etwa daran ablesen, dass David Beckhams erste
Biografie My World, die zur Hälfte aus Fotografien besteht, im Guardian von keinem
Geringeren als Terry Eagleton rezensiert167 und im Times Literary Supplement besprochen wurde168 .
Die Spielerautobiografie eignet sich für eine Satire aus verschiedenen Gründen: Sie
stellt zum einen ein insofern besonderes Genre dar, als die Frage der Autorenschaft so
ungeklärt ist wie in keinem anderen: Sportler sind in der Regel keine Schriftsteller, und
die Frage, wieviel des Buches letztlich dem Spieler und wieviel doch dem oder den
Ghostwriter(n) zuzurechnen ist, inwiefern sich also ein persönlicher Stil erkennen und
unterscheiden lässt und ob der Ghostwriter in erster Linie Protokollant oder doch Autor ist, inwieweit er als Co-Autor modifiziert, Schwerpunkte definiert und vermeintliche
Nebensächlichkeiten auslässt, kann der Rezipient nicht beantworten. Dies kann zwar
grundsätzlich für jede Autobiografie gelten, dennoch hebt sich die Autobiografie des
Sportlers besonders dadurch ab, dass sie im Gegensatz zur Autobiografie eines Schriftstellers, Journalisten oder auch gelegentlich der eines Politikers im Regelfall auf einen
Ghostwriter nicht verzichten kann, der Spieler also am kreativen oder produktiven Prozess zwar maßgeblich, aber eben nicht ausschließlich beteiligt ist. Wichtige Ansätze der
literarischen Analyse werden damit zumindest teilweise ausgehebelt169 .
Zum anderen ist die Spielerautobiografie als ein Instrument der Vermarktung erfolgreicher Spieler von hoher kommerzieller Bedeutung. Entsprechend diktiert der Markt
die Gesetze, die es aufgrund hoher Gewinninteressen zur Regel machen, dass eine Autobiografie nicht erst am Ende der Karriere oder gar des Lebens, sondern im kommerziell
besten Fall auf dem Höhepunkt des Erfolges eines Spielers zu erscheinen hat. Die Spielerautobiografie ist also zumeist kein reflektierender Rückblick auf ein langes, erfülltes
Leben im Sinne einer Retrospektive, sondern eher eine Beschreibung des Wegs zum
164 Vgl.
VAN O OSTRUM , Duco: „The Printed Dimension: The Battle For Authorial Control In the Football
Autobiographies of Tony Adams and David Beckham“. In: Aethlon XXI (2003), Nr. 1.
165 Vgl. VAN O OSTRUM 2003, S. 26.
166 Zur Entwicklung der kulturwissenschaftlichen Debatte über Fußball vgl. den Forschungsüberblick in
Kapitel II sowie die Einleitung zu Kapitel 1.
167 E AGLETON , Terry: Written on the body. http://books.guardian.co.uk/reviews/biography/0,,382130,00.
html – Aufgerufen am 15.08.2005.
168 Vgl. VAN O OSTRUM 2003, S. 26.
169 Vergleiche hierzu VAN O OSTRUM 2003.
71
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Erfolg, zumeist angereichtert durch als intim verstandene Details aus dem Privatleben
des Stars. Sie leistet ihren Beitrag, den Starcharakter des Spielers zu versilbern, solange
seine Anhängerschaft, und damit die mögliche Käuferschaft, am größten ist, unabhängig davon, ob der Spieler zu diesem Zeitpunkt Relevantes über sein Leben zu berichten
hat. Dass David Beckham mit My Side bereits seine zweite Biografie veröffentlichte,
wohlgemerkt im Alter von nicht einmal 30 Jahren, ist ein anschaulicher Beleg für diese
Behauptung. Dabei kann unterstellt werden, dass das Interesse der Spieler nicht allein
darin besteht, an ihren Büchern Geld zu verdienen. Vermutlich ist das Bedürfnis, die
Deutungshoheit über die eigene Person, die zunehmend bei den Medien liegt, zu behalten oder zurück zu gewinnen, ein nicht zu unterschätzendes Motiv. Dennoch ist es
gerade diese Mischung aus Gewinnstreben bei Spielern wie Verlegern und dem Wunsch
nach Kontrolle über das nach außen getragene Bild von sich selbst, die den Charakter der Autobiografie ins Komische, gar ins Lächerliche verzerren können170 . Dadurch
ist der Übergang von der seriösen Spielerautobiografie ins ungewollt Komische bereits
fließend.
Im Aufbau von David Feckham; My Backside finden sich charakteristische Merkmale der Spielerautobiografie wieder. So enthält es im Anhang einen ausführlichen Career
Record, der ernüchternde Zahlen aufweist: Feckhams Torbilanz sieht mit 15817 nur
deshalb beeindruckend aus, weil sie in der Kategorie „OVERALL RECORD (including
kickabouts in front room, park and bedroom)“ geführt wird – die gleiche Statistik, die
sich nur auf reale Spiele bezieht, weist eine Summe von 4 Toren in 428 Spielen auf,
während die Zahl der Eigentore bei 500 liegt (197). Dem Career Record folgt ein ausführlicher Index, aufgebaut aus bizarren und für das Buch völlig irrelevanten Einträgen
√
und häufig sinnlosen Seitenangaben wie „4 68“ oder „2πr“ (199).
Aber David Feckham; My Backside parodiert nicht nur ein (Sub-)Genre, sondern bezieht sich explizit auf die 2002 erschienene Autobiografie David Beckhams, My Side.
Bereits der Einband des Buchs ist dem von Beckhams Autobiografie zum Verwechseln
ähnlich. Der abgebildete Mann entspricht dem Schwarzweißporträt Beckhams auf dem
Cover von My Side in seinen charakteristischen Merkmalen. Er trägt die gleiche Frisur,
den gleichen Stoppelbart, einen Stecker im rechten Ohrläppchen. Gleichwohl sorgen
gravierende Unterschiede dafür, dass eine Verwechslung auszuschließen ist. Es mangelt
dem dargestellten Mann augenscheinlich an Attraktivität, sein Kinn ziert eine Schnittwunde, die er sich offenbar beim Rasieren zugezogen hat, seine Gesichtszüge wirken
unbedarft, den Blick hat er schräg nach oben gerichtet und seine Augenbrauen sind
merkwürdig asymmetrisch verzogen. Bereits das Titelbild ist eine ironische Antwort
auf Beckhams Status als Ikone: Der Fußballstar wird durch die schattenreiche Schwarz170 So
sind es zum Beispiel hilflose Versuche, der Normalität des eigenen Privatlebens Interessantes oder
wenigstens Sympathisches zu verleihen, die Komik produzieren, so etwa im Falle der Autobiografie
Gerd Müllers, in der er enthüllt: „Marmorkuchen, den ich sehr gern esse, bäckt meine Frau, sooft ich
Appetit drauf habe.“Vgl. K ATZENBACH 2004, S. 124
72
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
weißdarstellung auf seinem eigenen Buch, auf dem er entschlossen, ernst und leicht von
unten in die Kamera blickt, geradezu mystisch überhöht. Diese Form der Darstellung
wird auf dem Cover von David Feckham parodiert, indem mit dem gleichen Setting ein
völlig anderer Eindruck entsteht – das Porträt des fiktiven Feckham wirkt nicht mysteriös, ernsthaft und anziehend, sondern lächerlich. Auch der Titelschriftzug unterscheidet
sich typographisch nicht vom Vorbild, es wurde lediglich der erste Buchstabe des Namens ausgetauscht: Aus Beckham wird Feckham, vermutlich eine Wortmischung aus
dem Namen des Fußballers und dem Wort fake. Aus der Mehrdeutigkeit des Titels von
David Beckhams Autobiografie „My Side“, in dem das Wort „side“ sowohl als Hommage an das Kollektiv hinter dem Superstar Beckham, die Mannschaft, als auch für
seine individuelle technische Stärke, den Effet, also das Anschneiden des Fußballes,
steht, wird das sowohl eindimensionale als auch profane „My Backside“, ein für die
Handlung nicht als programmatisch zu verstehendes Wortspiel.
5.2 Satirische Techniken
Baddiels und Zuckers Buch ist ein Beispiel für eine fiktive Biografie, die parodistische
Funktion erfüllt171 . Sie funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Parallel zu Englands
Fußballstar Beckham wird der fiktive Protagonist David Feckham entwickelt, der in
den Rahmendaten erstaunliche Gemeinsamkeiten mit Beckham aufweist. Beider Namen sind fast identisch, beide stammen aus London, sie sind gleich alt, beide haben
eine dominante Leidenschaft für Fußball, beide sind mit einer mehr oder minder erfolglosen Popsängerin verheiratet, beide landen schließlich in Spanien und spielen dort in
einer Fußballmannschaft. Diese Parallelen werden auch in den Namen der Protagonisten aufgegriffen: In Anlehnung an Beckhams Frau Victoria heißt Feckhams spätere Frau
Vivian, seine Kinder tragen die Namen Chorlton-Cum-Hardy und King Lear, wobei die
Namensgebung – wie bei Beckham – im ersteren Fall nach dem Zeugungsort erfolgt
ist172 . Beckhams zweiter Sohn trägt wie der Feckhams den Namen einer Figur aus einem Shakespeare-Drama (Romeo). Gerade vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten aber heben sich die Unterschiede zwischen den beiden Männern besonders deutlich ab: David Feckham ist letztlich in jeder Beziehung ein Anti-Beckham173 . Obwohl
171 Ein
Beispiel aus der amerikanischen Literatur ist die Biografie des fiktiven Bach-Sohns P.D.Q. Bach,
dem es trotz seiner Herkunft an Musikalität mangelt, was ihn aber nicht davon abhält, sein Leben der
Musik zu widmen. Dasselbe Verhalten findet sich auch bei David Feckham, der trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit den Fußball für seine Berufung hält. Vgl. S CHICKELE , Peter: The Definitive
Biography of P.D.Q. Bach. New York: Random House, 1987.
172 Bei David Feckham wird dieses Thema allerdings variiert: Um ihren Sohn nicht „Viv’s Room At Her
Parents’ House in Essex“ nennen zu müssen, entscheiden sie sich für den Namen des Ortes, an
dem David früher am häufigsten über „the act of his conception“ nachgedacht hat, sein Zimmer
in Chorlton-Cum-Hardy (95).
173 Der Klappentext des Buches formuliert es wie folgt: „David Feckham is everything David Beckham is
not.(...)He’s the Anti-King Midas: everything he touches turns to shit.“
73
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
die markanten Stationen ihres beruflichen Fortschritts die gleichen scheinen – Beginn
der Karriere in Manchester, Berufung in die Nationalmannschaft und dort zum Kapitän (wenngleich, in Feckhams Fall, nur in das national Pub Sunday League team(77)),
Wechsel zu einer spanischen Mannschaft – sind Beckhams Fortschritte tatsächliche Erfolge, die auf seinem spielerischen Können beruhen, während Feckhams Aufstieg lediglich in seiner Fantasie, nicht aber faktisch stattfindet und jede berufliche Veränderung
nur merkwürdigen Zufällen, nie aber seinem Talent geschuldet ist.
Beckham und Feckham begegnen sich im Laufe der Erzählung mehrfach. Ihre erste
Begegnung schildert Feckham mit einer zutreffenden Einschätzung des Spielers, ohne
dass der Leser jedoch sofort erfährt, um wen es sich handelt:
„For the final game we were up against Ashton Park Wednesday North End Athletic United Wanderers Academicals, who counted amongst their number a young,
scrawny-looking lad with fair hair and hazel brown eyes. He looked a bit useful and
I knew from the off that if we were to get anything out of this game, I would have
to win a personal battle with him. So I employed a tactic known as man-for-man
marking“.(39)
Als er bemerkt, dass das Spiel von Scouts des Vereins Manchester United beobachtet
wird, sieht er den Grund ihrer Anwesenheit nicht in Beckham, sondern in sich selbst.
Entsprechend interpretiert er die Tatsache, dass am Ende nicht er, sondern Beckham von
den Scouts zu Testspielen eingeladen wird, als eine Bestrafung eines unverzeihlichen
Fehlers, den er darin sieht, dass er Beckham zwar während des Spiels nie aus den Augen
gelassen hat, ihn nach dem Spiel aber verliert - eine klare Verletzung seiner Taktik des
„man-for-man marking“(40). Die hier offenbar werdende Unfähigkeit zur objektiven
Einschätzung der eigenen Situation ist ein charakteristisches Merkmal der Erzählweise
in David Feckham; My Backside und eine der Techniken, mittels derer Komik erzeugt
wird. Der Leser ist sich zu jeder Zeit besser über das Scheitern und die Unfähigkeit
des Spielers bewusst als dieser selbst. Die zufälligen Begegnungen zwischen Beckham
und Feckham ziehen sich fortan durch die Erzählung, und immer scheint es aus der
Perspektive von Feckham, als habe sich ihre Karriere absolut parallel entwickelt. Er
sieht sich sogar in einer Konkurrenzsituation, die in einer von Feckham initiierten Wette
mündet, die seine völlige Realitätsferne anschaulich darlegt:
„Yeah, yeah, I’ll race you to the England team. First to get there buys the other one
a Coke.“(41)
Am Ende stellt sich heraus, dass Beckham die Karriere Feckhams tatsächlich durchgehend beobachtet hat, dass er jedes bedeutende Spiel mitverfolgt hat. Als er diese
Stationen aufzählt, fällt er ein abschließendes Urteil über den unbegabten Spieler, das
gleichzeitig das Ende der Handlung markiert:
74
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
„’And you know what?’
I shook my head, revelling in the moment.
’Your dad was right. You’re rubbish.’“ (177)
Die Unfähigkeit zur Reflexion und zur Erkenntnis des eigenen Scheiterns lässt Feckham
den absurd großen Unterschied in Begabung, Popularität und Erfolg ausblenden. Er lebt
so sehr in seiner eigenen Ich-Bezogenheit, dass er selbst den späteren steilen Aufstieg
Beckhams nicht wahrnimmt. In den Begegnungen der beiden Fußballer überschneidet
sich im Roman Fiktion mit Realität: Beckhams Karriere wird weitestgehend realitätsgetreu nachvollzogen, wärhend sich dazu parallel Feckhams fiktive „Karriere“ abspielt,
die im Fokus des Buchs steht. Wie in zwei parallelen Universen spiegelt sich Beckhams
Karriere also in David Feckham, jedoch immer auf einem ungleich niedrigeren Niveau,
das dem Leser, nicht aber dem Erzähler, immer im Bewusstsein ist. 174
Neben David Beckham, der als Figur in der Biografie Feckhams auftritt, tauchen eine
Reihe von Namen auf, die ebenfalls bewusst an reale Akteure des Fußball angelehnt
sind. So landet Feckham im Senior Team von „The Schnitzel and Parrot“, einem PubTeam in Manchester, das von einem gewissen Sralex Ferfuson trainiert wird (60) – die
Ähnlichkeit zu Sir Alex Ferguson, dem Trainer von Manchester United, wird hier durch
die Änderung und Auslassung von gerade einmal zwei Buchstaben so deutlich wie nur
möglich gemacht. Im Spiel gegen Brasilien ist es der Spieler „Ronaldmacdonaldinho“,
der einen Freistoß zum Torerfolg macht (148), und im Epilog wird ein Mittelfeldstürmer
namens „Sid Sidane“ vorgestellt (181), dessen Namensverwandtschaft mit dem französischen Fußballstar Zinédine Zidane ebenfalls keine zufällige ist. Der Name „Ben Turd
Vodaphone“ spielt wiederum auf Englands schwedischen Nationaltrainer Sven-Göran
Eriksson an (130). Die beleidigende Bedeutung des mittleren Namens Turd legt nahe,
dass die Verballhornung des Trainernamens hier tatsächlich dazu dient, die Person zu
treffen - dies bleibt allerdings eine Ausnahme, zumeist lässt sich die Verwendung und
Abwandlung bekannter Namen in David Feckhams Autobiografie nur auf den komischen Effekt zurückführen (besonders auffällig bei Ronaldmacdonaldinho, einer Idee,
174 Diese
der Komik dienende absurde Selbstwahrnehmung wenden die Autoren auch auf sich selbst an
(und das in doppelter Funktion: Als die fiktiven Ghostwriter Feckhams, als die sie in der Autobiografie gewürdigt werden (178) sowie als die realen Autoren der Satire): Im Umschlag werden frühere
(fiktive) Bücher der Autoren Baddiel und Zucker aufgelistet, darunter Titel wie Porous – A Potted History of the Household Sponge, Edward Shevardnadze – Man or Forehead? oder auch The Bible. Diese
Liste parodiert die Gewohnheit, im Umschlag eines Buches weitere Werke des Autors zu bewerben.
Dabei handelt es sich um eine Technik, die in der Geschichte der Satire weit zurückverfolgt werden
kann; ein bekanntes Beispiel findet sich etwa in Jonathan Swifts Satire A Tale of a Tub, vgl. S WIFT,
Jonathan: Major Works. Edited with an Introduction and Notes by Angus Ross and David Woolley.
Oxford: Oxford University Press, 2003, S. 62. Auf diese Tradition verweist auch R EAL in S WIFT,
Jonathan: Ein Tonnenmärchen. Übersetzung von Ulrich Horstmann. Anmerkungen und Nachwort von
Hermann J. Real. Stuttgart: Reclam, 1994, S. 192, Anmerkung 5. Die dadurch erzeugte Komik verweist nicht nur auf diese Tradition, sie soll auch die Autorität der „Ghostwriter“ David Feckhams im
selben Maß untergraben, in dem in der ernsten Literatur die Autorität des Autors durch solche Verweise auf frühere Werke gestärkt wird. Zudem wird Feckhams Egozentrismus hier auf seine Co-Autoren
übertragen, so dass David Feckham; My Backside als das Werk dreier Egomanen erscheinen muss.
75
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
die naheliegend ist, weil der Name Ronaldinho sie geradezu provoziert.). Diese Anspielungen, die der fußballinteressierte Leser ohne Schwierigkeiten verstehen soll und kann,
bilden ein Element des Sprachwitzes, der in David Feckham; My Backside eine gewichtige Rolle spielt. Dazu zählt auch die kreative Namensgebung der Vereine, für oder
gegen die David Feckham im Laufe seiner Karriere spielt und der dazugehörigen Ligen.
Darunter findet sich etwa die Mannschaft des Pubs „Die Doggen Und Ducken“, der sich
am Konzept eines deutschen Bierkellers orientiert, was sich auch in der Namensgebung
niederschlägt (99), Feckham spielt für seine Pub-Mannschaft in der „South by South
East Manchester Pub Sunday League Division 4 (North)“ (64) und am Ende landet er
in Spanien bei der Mannschaft „Fun in the Sun Timeshare Apartments Ltd XL“ (166),
die in der „West Costa Del Sol League Division 6 (South)“ spielt (196).
Unabhängig von der Orientierung an der Figur David Beckham und den Anspielungen auf reale Persönlichkeiten des Fußball ist David Feckham; My Backside auch
eine Satire auf den Fußball selbst, genauer auf bestimmte rituelle Elemente, die sich
als Konventionen etabliert haben, auf aktuelle Diskussionen und nicht zuletzt auf eine spezifische Fußballsprache. Dazu gehören klassische Spielrituale wie der Jubel bei
Torschüssen:
„I turned to see the ball nestling in the back of our net and the Barnham boys doing
their traditional goal celebration dance, a choreographed routine that involved tutus, ballet shoes and face paints.“(35)
Auch mit Feckhams Idee des „audio-refereeing“ (36f.) wird ein Gegenstand des Fußballgeschehens aufgenommen, nämlich die lebhafte Diskussion um den Einsatz des „video refereeing“, das in Situationen, die vom Schiedsrichter nicht eindeutig beurteilt
werden können, zu Rate gezogen werden soll, damit Fehlentscheidungen ausgeschlossen sind. Feckham hält dieses Konzept für unzureichend und stellt dem seine eigene
Vorstellung eines technischen Systems gegenüber, das in der Lage sein soll, durch die
Aufzeichnung auch minimaler Geräusche entscheiden zu können, ob ein Ball die Torlinie überquert hat oder nicht.
Auffällig ist aber vor allem das Spiel mit der spezifischen Sprache des Fußball, die
sich gerade in formelhaften Allgemeinplätzen, die im Fußball zu Redewendungen geworden sind, äußert. David Feckhams Erzählung ist voll von solchen Äußerungen, die
dem Leser in leicht abgewandelter Form aus Kommentaren von Spielern, Trainern oder
Fußballreportern bekannt sind. So kommentiert Feckham eine vermeintliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters mit den Worten „(...)but that’s the rub of the green for
you; sometimes you get those decisions, sometimes you don’t.“(39), zu seiner Enttäuschung über den Erfolg Beckhams bei den Scouts von Manchester United merkt er an:
„It was a tought lesson to learn, but then if you enrol in the school of hard knocks you’ve
got to expect the knocks to be hard.“(40), und nach einer Aussprache mit seinem Trainer
76
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
stellt er fest:
„After all of my years in football, I’ve learnt that sometimes the right word, in the
right ear, from the right mouth, in the right room, with the right curtains, at the
right time, is all it takes to defuse a situation.“(55)
Die Fähigkeit Feckhams, in solchen, als allgemeingültige Erkenntnis oder „Weisheit“
verpackten Null-Aussagen seine Erfahrung als Spieler zu demonstrieren, ist ein komisches Element, das sowohl sein überdimensioniertes Selbstbewusstsein als auch sein reflexives Unvermögen veranschaulicht. Die beiden ersten zitierten Aussagen bestechen
durch ihre Inhaltsleere, also die transportierte Erkenntnis, die eben keine ist, während
die dritte durch die fortgesetzte Spezifizierung eines eigentlich gängigen Allgemeinplatzes ihre Aussagekraft letztlich völlig verliert.
Weiterhin werden klassische Stereotypen aus der Fußballwelt zitiert und durch Übertreibung in ihrer Eindimensionalität entlarvt. So wird das Team des bereits erwähnten
Pubs „Die Doggen und Ducken“ von Feckham als „very organised (...) in military fashion“(100) charakterisiert, über die Fußballnation Brasilien erzählt er: „It’s a religion
over there. Everywhere you go there are huge statues of balls that you have to bow
down to when you pass or be publicly whipped“ (148). Als Feckham in Spanien trainiert, belegt er Kurse, um den „spanischen Fußball“ zu lernen, die Titel tragen wie
„(...)How To Quell The British Instinct To Play The Long Ball Upfield, How To Wear
A Hairband(...), How To Waste An Awful Lot Of Time.“ (180). Die Fußball-Stereotypen
in David Feckham orientieren sich deutlich an tatsächlich vorhandenen Einschätzungen
und Vorurteilen, übertreiben diese für den komischen Effekt und stellen sie dadurch
in Frage. Besonders sichtbar wird das an einer Aussage Feckhams, die nur geringfügig, aber mit enormer semantischer Relevanz, von einem Satz abweicht, der in jeder
Berichterstattung über ein internationales Turnier zu hören sein könnte:
„Different countries’ games have their own very subtle nuances and variations,
often undetectable to the naked eye and indeed the naked flame, but there nonetheless.“ (179)
5.3 Der Fußballstar und sein „Anti-Beckham“
Nicht unerheblich für die Analyse von David Feckham ist die Erkenntnis, dass diese
Parodie nur deshalb funktioniert, weil sein Vorbild David Beckham nicht nur ein erfolgreicher Fußballspieler ist, sondern in erster Linie eine weltweit bekannte Marke, ein
Produkt einer kommerzialisierten Fußballwelt und eine popkulturelle Ikone, wie es sie
zuvor in der Sportwelt nicht gegeben hat175 . Das Phänomen Beckham ist – wie auch die
175 Für
S IMPSON ist das Phänomen Beckham so einzigartig, dass er die Einführung einer Epoche B.B.
in den allgemeinen Sprachgebrauch in Erwartung stellt – die Ära Before Beckham. Vgl. S IMPSON ,
77
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
kulturelle Neudefinition von Fußball – eine Erscheinung der Neunziger Jahre. David
Beckhams Aufstieg zu einem der bekanntesten Fußballer der Welt176 beruht auf einer
Reihe von Faktoren, die zu dem Gesamtbild eines Sportlers werden, der seine Identität erfolgreich zu einer Marke entwickelt hat. Zum einen ist seine Popularität nicht auf
den Kreis der fußballinteressierten Bevölkerung begrenzt, im Gegenteil: Er nutzt den
Fußball, um sich selbst damit zu „verkaufen“, fördert dadurch aber im Gegenzug das
Interesse an Fußball – und das weltweit. „Seit Mitte der Neunziger gilt Fußball nicht
mehr nur als Sport, sondern als Unterhaltung für jedermann, und das ist Beckhams Verdienst“177 . Dieses übergeordnete Interesse entsteht nicht allein durch sein spielerisches
Können178 , und auch seine optische Attraktivität179 ist dafür allein nicht ursächlich.
Das Alleinstellungsmerkmal Beckhams ist sein ausgeprägtes Bestreben, durch seinen
Status als Fußballer und unter Zuhilfenahme seines Körpers, und damit dem Kapital
des Sportlers, seine Identität aktiv zu gestalten, zu entwickeln und immer wieder zu
modifizieren, immer mit dem Ziel, zu gefallen, gemocht zu werden. Nicht umsonst werden Beckhams eher ruhiger, schüchterner Charakter und seine Höflichkeit gerne betont:
Er schafft den Spagat, trotz provokativer Eitelkeit und extremem Selbstmarketing dennoch als bescheiden und im Grunde liebenswert naiv und, in deutlichem Widerspruch
zu seiner unverkennbaren Selbstinszenierung, als natürlich und authentisch wahrgenommen zu werden180 . Dies ist umso erstaunlicher, als David Beckham einerseits als eigene
„Industrie“181 der Vorreiter der neuen Fußballwelt ist, in der Spieler auch nach ihrer
kommerziellen Verwertbarkeit bewertet werden und Merchandising für das finanzielle
Überleben eines Vereins unabdingbar geworden ist – eine neue Fußballwelt, die gerade
die Fans aus der working class, der auch Beckham entstammt, eher verschreckt als integriert182 – und er andererseits ein Verhalten und einen persönlichen Stil an den Tag legt,
der in der nicht immer toleranten Fußballgesellschaft zwangsläufig provozieren muss:
Denn die provokanten Merkmale in Beckhams Identität bestehen vor allem in einem
Mark: Beckham, the virus. http://archive.salon.com/mwt/feature/2003/06/28/beckham/ – Aufgerufen
am 19.08.2005
176 Für S IMPSON gar „one of the most famous humans who has ever lived“, S IMPSON : Beckham, the virus.
177 Vgl. R ENG 2004.
178 „(...)Beckham hat weder den rücksichtslosen Instinkt großer Torjäger wie Gerd Müller, noch die zauberhafte Eleganz legendärer Regisseure wie Michel Platini“. R ENG 2004
179 Schließlich gelten andere Spieler ebenfalls als gutaussehend, ohne Beckhams Status als Ikone auch
nur annähernd zu erreichen. Ablesen lässt sich das, jedenfalls für das deutsche Publikum, zum
Beispiel in einer Online-Umfrage des Magazins stern zur Fußballeuropameisterschaft 2004, in der
350000 User ihre Stimme für einen von 20 EM-Spielern abgeben konnten. Die Wahl gewann mit
deutlichem Vorsprung der junge Portugiese Christiano Ronaldo, David Beckham landete – mit einem deutlich niedrigeren Ergebnis – auf Platz drei, knapp geschlagen von dem Schweden Freddy Ljungberg. Vgl. STERN . DE: Damenwahl: Christiano Ronaldo ist der attraktivste Fußballer.
http://www.stern.de/lifestyle/leute/index.html?id=526518&gmx=8b97dc0daf8f5&nv=gmxlog – Aufgerufen am 25.07.2005.
180 „Er ist wirklich nett und höflich, wirklich schön, wirklich ein guter Fußballer. Keine Marketingkampagne muss ihn überhöhen. Er ist authentisch bewundernswert“. R ENG 2004.
181 R ENG 2004.
182 Siehe dazu auch die Ausführungen in den Kapiteln 1 und 2.
78
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
bewussten Spiel mit der sexuellen Identität und einer individuellen Deutung von Männlichkeit. Gerade im doch sehr von konventionellen Männlichkeitsidealen bestimmten
Fußball provoziert Beckham, indem er sich äußerlich Bestandteile weiblicher Identität
aneignet. So gibt David Beckham zu, gerne die Unterwäsche seiner Frau zu tragen, er
lackiert sich die Fingernägel und trat auch schon im (Männer-)Rock auf183 . Zudem liess
er sich für die Titelseite des schwulen Lifestyle-Magazins Attitude ablichten184 – nicht
umsonst ist Beckham auch eine Ikone der Schwulenbewegung185 . Dieses Spiel mit der
eigenen Sexualität ist einer der Gründe, warum sich David Beckham als kulturelles Phänomen von anderen erfolgreichen Spielern deutlich abhebt. Sein Spiel mit Femininität,
mit Androgynität, vor allem aber auch mit einer Neudefinition männlicher Ästhetik,
mündet in dem Begriff der Metrosexualität, einem Konstrukt, das den jungen, urbanen
und gutverdienenden Mann beschreibt, der besonderen Wert auf Mode und Lifestyle
legt und sich dabei gegebenenfalls auch ohne Hemmungen an weiblicher Ästhetik orientiert. Dabei ist die sexuelle Ausrichtung unerheblich, und Androgynität dient nicht
der Provokation, sondern ist Ausdruck des individuellen Stils. Der Metrosexuelle ist damit auch ein perfekter Konsument, der sein Geld auch in Bereichen investiert, in denen
männliche Konsumenten zuvor so gut wie keinen Umsatz generierten, wie etwa Mode
oder Kosmetik186 . Durch das Spiel mit femininen Attributen und durch seinen offenen Umgang mit Homosexualität trägt Beckham also eine Identität nach außen, die das
klassische Bild des Manns im Fußball, einer der letzten Domänen traditioneller Männlichkeit, empfindlich trifft. Dies ist umso gravierender, als Homosexualität im Fußball
immer noch ein absolutes Tabuthema ist und der Verdacht, ein Spieler sei homosexuell, sein Karriereende bedeuten kann187 . Umso weniger mag es verwundern, dass ihn
die Regisseurin Gurinder Chadha für ihren Film Bend It Like Beckham als Aufmacher
verwendet hat. Dies ist sicherlich zu einem Teil seiner Popularität geschuldet, aber es
würdigt eben auch seinen indirekten Verdienst um das Aufbrechen alter Klischees und
Vorurteile im Fußball, von dem letztlich auch Fußballspielerinnen profitieren können188 .
Auf die Analyse von David Feckham; My Backside angewendet, wird klar, dass die
Figur Feckham auch in Bezug auf diese signifikanten Charakteristika David Beckhams
konträr konstruiert ist: Dort, wo David Beckham als „echter Mann“ auftritt, nämlich
auf dem Spielfeld, scheitert sein Gegenüber Feckham in jeder Beziehung. Doch abseits
des Platzes zeigt sich Feckham als eingebildeter, selbstbezogener und großmäuliger
Charakter, dem es an all dem mangelt, was Beckham abseits vom Fußball auszeich183 Vgl.
S IMPSON , Mark: Meet the metrosexual. http://archive.salon.com/ent/feature/2002/07/22/
metrosexual/ – Aufgerufen am 19.08.2005.
184 Vgl. S IMPSON : Meet the metrosexual.
185 Vgl. S CHÄFER , Rainer/L ÜCK , Oliver: „Einer muss den Anfang machen.“. In: Rund. Das Fussballmagazin. November (2004), Nr. 11, S. 56.
186 Zum Begriff der Metrosexualität vgl. S IMPSON : Meet the metrosexual.
187 Vergleiche hierzu etwa S CHÄFER /L ÜCK 2004
188 Zu Bend It Like Beckham vgl. Kapitel 6 dieser Arbeit.
79
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
net: Höflichkeit, Stil und Toleranz. Die Bescheidenheit, die David Beckham trotz seines
äußerst hohen Einkommens und seines entsprechend luxuriösen Lebensstils zugeschrieben wird, fehlt Feckham, wie auch das hohe Einkommen und der luxuriöse Lebensstil,
vollkommen. Und es findet sich nicht der geringste Hinweis darauf, dass Feckham dem
Konzept der Metrosexualität entspricht – im Gegenteil. Er ist der unattraktive, triebhafte, stil- und charakterlose Macho längst vergangen geglaubter Zeiten (um S IMPSON zu
zitieren: „B.B.“-Zeiten189 ) und damit auch, wenngleich ins Extrem überzeichnet, eine
Mischung aus Eigenschaften, die in der immer noch männlich dominierten Welt nach
wie vor vereinzelt auftreten könnten. Er ist damit der denkbar negativste Typ Spieler
überhaupt, dem noch dazu jedwedes sportliche Talent fehlt.
Feckham gleicht Beckham also lediglich in sozialer und geografischer Herkunft, Alter und dem ausgeprägten Wunsch, Fußball zu spielen. Und auch wenn seine Geschichte
voller Absurditäten und surrealen Handlungselementen ist, zeigt sie doch, was aus einem fußballbegeisterten Jungen aus der Unterschicht nicht werden kann, wenn es ihm
an den Grundvoraussetzungen – Talent, Ehrgeiz, Disziplin, Rationalität und Kritikfähigkeit – fehlt. Es ist ein Buch des völligen Scheiterns, und damit letztlich auch eine
Würdigung David Beckhams, der im direkten Vergleich mit seinem „ungleichen Zwilling“ noch an Strahlkraft gewinnt. David Feckham; My Backside ist also nicht nur Satire,
sondern auch eine sehr eigenwillige Hommage an einen englischen Superstar.
5.4 Zusammenfassung
David Feckham; My Backside ist sowohl eine Genreparodie, die sich der kommerziell
sehr erfolgreichen Spielerautobiografie am Beispiel von My Side annimmt und diese
strukturell imitiert, als auch zugleich eine satirische Hommage an das Phänomen David
Beckham. Gerade aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades des englischen Spielers lässt
sich auf der Basis seines Karriereverlaufs eine fiktive Biografie entwickeln, die zugleich
parallel und dennoch konträr verläuft. Humor entsteht also schon durch den Wiedererkennungseffekt der chronologischen Stationen Feckhams, der in den Anspielungen
auf andere bekannte Persönlichkeiten im Fußball aufgegriffen wird. Die völlige Abwesenheit von Selbstreflexion und die Unfähigkeit, das eigene Scheitern, das sich dem
Leser von Anfang bis Ende offenbart, zu erkennen oder anzuerkennen ermöglicht beinahe tragikomische Dialoge und die Konstruktion einer beruflichen Karriere, die, wenn
nicht von Rückschritten, dann auf jeden Fall nie von Fortschritten geprägt ist. David
Feckham; My Backside nutzt Rituale, Diskurse und Sprache des modernen Fußball, um
durch leichte Modifikationen zu entlarven, wie fließend die Grenzen zwischen Seriosität und unfreiwilliger Komik gerade im Fußball sein können – dafür sind die im Text
wiederholt auftretenden „Erkenntnisse“ Feckhams lebhafte Beispiele.
189 S IMPSON :
Beckham, the virus.
80
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Einerseits werden also Elemente des Phänomens Beckham (vor allem bestimmte
Vorlieben und Verhaltensweisen) karikiert und der Star damit entmystifiziert, auf der
anderen Seite führt die Gegenüberstellung des „Antihelden“ David Feckham, dessen
Schilderungen eingebunden sind in einen absoluten Mangel an Talent und eine dem gegenüberstehende völlig verzerrte Selbstwahrnehmung, dazu, dass Beckham vor diesem
Hintergrund noch gewinnt. Daraus lässt sich folgern, dass David Beckham nicht als Ziel
der Satire dient, sondern vielmehr als Folie für den Entwurf eines Charakters, dessen
Lebensgeschichte die Möglichkeit bietet, Auswüchse und Absurditäten des modernen
Fußball am Beispiel eines gar nicht modernen Typus Mann aufzuzeigen.
6 Das Verbindende im Fußball: Kulturelle Identität und
individuelle Emanzipation in „Bend It Like Beckham“
6.1 Fußball im Film
P FLÜGL stellt in einem Aufsatz fest, dass Fußball noch wenig als Thema im Spielfilm
genutzt wurde190 . Diese Feststellung scheint heute angesichts der in den letzten zehn
Jahren produzierten Filme nicht mehr zuzutreffen: In Deutschland wurde Das Wunder
von Bern zu einem großen Erfolg; in England sind es Beispiele wie die Filmfassung von
John Kings Hooligan-Roman The Football Factory, die britische Verfilmung von Nick
Hornbys Fever Pitch oder Gurinder Chadhas Film Bend It Like Beckham, die die These
in Frage stellen, dass „die große Schar der Fußballfans lieber das Spiel selbst erlebt,
als eine Geschichte über Leute zu verfolgen, die in irgendeiner Weise mit dem Fußball zu tun haben“191 . Diese Theorie ist auch deshalb kaum haltbar, weil sie von einer
Ausschließlichkeit ausgeht, die es so sicher nicht gibt – im Gegenteil: Wer sich gerne
Fußballspiele ansieht, wird sich auch eher entscheiden einen Film mit einem Fußballthema zu sehen, als jemand, der mit Fußball nichts anfangen kann. Da es keinen Zwang
gibt, sich zwischen beidem zu entscheiden, ist also eher von einer Schnittmenge aus
Fußballfans und Fans von Fußballfilmen als von zwei verschiedenen Interessengruppen
auszugehen – und das fußballinteressierte Publikum damit ein potentielles Kinopublikum für Filme, die das Thema Fußball behandeln.
Zwar liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der literarischen Umsetzung von Fußball, doch da mit The Football Factory und Fever Pitch zwei hier besprochene, populäre
Bücher verfilmt wurden und der Film Bend It Like Beckham mit seinem eher ungewöhnlichen Sujet Frauenfußball zum Kassenschlager wurde192 , erscheint ein knapper Exkurs
190 Pflügls
Aufsatz bezieht sich wohlgemerkt auf die filmische Produktion bis 1991.
Helmut: „Die erste Schwalbe“- Fußball im Film. Aus: H ORAK , Roman/R EITER , Wolfgang
(Hrsg.): Die Kanten des runden Leders. Beiträge zur europäischen Fußballkultur. Wien: Promedia,
1991, S. 234.
192 Der Film spielte allein im Vereinigten Königreich über 11 Millionen Pfund ein und war darüber hinaus
191 P FLÜGL ,
81
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
zu Fußball im Film an dieser Stelle sinnvoll.
Fußball und Spielfilm weisen als Erscheinungen der Populärkultur eine Reihe von
Gemeinsamkeiten auf193 . So gibt es eine Reihe ähnlicher formaler Bedingungen: Beide
arbeiten innerhalb eines begrenzten zeitlichen Rahmens (dabei fällt vor allem die Parallele zwischen den regulären 90 Minuten Spielzeit im Fußball und der Orientierung an
eben dieser Zeitspanne im kommerziellen Spielfilm auf), beide sind Gemeinschaftsprodukte, für deren Entstehung ein „Team“ nötig ist. Auch ein Fußballspiel ist also eine
Inszenierung mit allen dafür notwendigen Elementen - einer „Handlung“, einem festen
Regelwerk, einer strikten zeitlichen und örtlichen Begrenzung, einer großen Zahl mehr
oder weniger stark involvierter Protagonisten und einem Publikum.
Die eigentliche Gemeinsamkeit liegt aber für P FLÜGL darin, dass es sich in beiden
Fällen um ein „rituelle[s] Schauspiel“ handelt, das dadurch definiert ist, dass es sich
in den Köpfen der Betrachter zur „emotionalen Fiktion eigenen Erlebens“194 manifestiert. Sowohl Fußballspiel als auch Kinofilm erlauben und verlangen also eine individuelle Perspektive, eine an der eigenen Identität ausgerichtete Interpretation, durch die
Zuschauer. Parallelen zeigen sich auch in der Aufgabenverteilung. Es gibt eine Trennung zwischen Akteuren und Rezipienten, wobei der Grad an Aktivität und Passivität
dennoch unterschiedlich ausfällt: Ein leidenschaftlicher Anhänger eines Vereins wird
bei einem Fußballspiel vermutlich durch wesentlich mehr Aktivität auffallen als ein
unparteiischer, lediglich fußballinteressierter Zuschauer, wie auch Kinobesucher unterschiedlich stark berührt sind und ihre verschieden ausgeprägte emotionale Betroffenheit
stark bis gar nicht zur Schau stellen.
Ein gravierender Unterschied bleibt dennoch: Die Fiktionalität des Spielfilms und das
Wissen der Zuschauer um die künstlerische Darstellung einer Handlung, die entweder
fiktiv ist oder auf längst vergangenen Geschehnissen beruht, macht ihm bewusst dass
er auf den Ablauf und den Ausgang keinen Einfluß nehmen kann. Zwar ist auch der
Einfluß der Zuschauer auf den Verlauf eines Fußballspiels nicht direkt nachzuweisen,
dennoch sind sie, zumindest im Stadion, als ein Faktor spürbar und können in unterschiedlichen Formen ihre Unterstützung oder Ablehnung artikulieren. Das ist nur deshalb möglich und sinnvoll, weil der Ausgang eines Fußballspiels bis zum Ende immer
ungewiss bleibt. Während Ablauf und Ende eines Spielfilms schon vor der Kinopremiere feststehen und zuverlässige Aussagen über die Handlung schon vorher (zum Beispiel
in Rezensionen oder Interviews mit Regisseuren) getroffen werden können, können vor
einem Fußballspiel zwar Prognosen abgegeben, Hoffnungen und Ängste artikuliert oder
Wetten abgeschlossen werden, es ist aber nicht möglich, auch nur eine Spielminute vorauch international äußerst erfolgreich.Vgl. G OPALAKRISHNAN , Anupama: A British Indian filmmaker scores a goal!! An interview with Gurinder Chadha. http://www.viaindia.com/articles/archives/
chadha.htm – Aufgerufen am 18.05.2005
193 Vgl. im Folgenden P FLÜGL 1991.
194 P FLÜGL 1991, S. 232.
82
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
herzusagen195 . Ein Fußballspiel ist, wie jeder sportliche Wettkampf, ein Ereignis das
ausschließlich in der Gegenwart stattfindet, sieht man von den durch die Fernsehübertragung und -aufzeichnung entstandenen technischen Möglichkeiten ab, Spiele oder
Spielszenen zu wiederholen oder Zeitlupen zu zeigen, während der Spielfilm erst abläuft, wenn er zu Ende konzipiert und produziert ist, und ohne Einschränkung beliebig
oft reproduziert werden kann.
Film und Fußball als Institutionen eint auch, dass beide den Menschen – jedenfalls
grundsätzlich – die Möglichkeit bieten, unabhängig von ihrer Herkunft aufzusteigen,
da in beiden Bereichen die formalen Einstiegshürden gering sind: Weder Fußball noch
Schauspielerei verlangen grundsätzlich ein bestimmtes Qualifikationsniveau oder das
Einbringen eines erheblichen privaten Vermögens, etwa für Ausrüstung. Dadurch werden Hoffnungen erweckt, die sich in Träumen ganzer Generationen niederschlagen –
beispielhaft ist die durch tatsächliche Ausnahmekarrieren erweckte Vorstellung vom
brasilianischen Fußballwunderkind, das sich durch sein Talent aus der Armut befreit.
Dieser Aufstieg bedeutet in vielen Fällen zugleich eine erhebliche Verbesserung der sozialen Situation des gesamten Umfeldes, am beruflichen Erfolg partizipieren also auch
Familie und Freunde unmittelbar. Aus der Erfahrung der vorbildhaften Traumbiografien
entsteht dadurch eine kollektive Hoffnung, das Leben durch Fußball positiv gestalten zu
können196 .
Im Folgenden wird Gurinder Chadhas Filmkomödie Bend It Like Beckham197 näher
betrachtet. Der Film zeigt die Leidenschaft und die Begabung für Fußball als Auslöser für einen Emanzipationsprozess und steht damit im Kontext der oben genannten
Konnotation: Fußball ist auch hier eine Hoffnung und eine Perspektive, zwar nicht auf
die Befreiung aus der Armut, doch aber auf eine Zukunft, die der Protagonistin die
selbständige Entwicklung einer eigenen Identität und die Unabhängigkeit von kulturell
bedingten, einengenden Wertvorstellungen ermöglicht.
195 Vgl.
dazu auch die Aussagen von H ERZOG über die Unterschiede zwischen Theater und Fußball:“Präsenz wird Ereignis in Raum und Zeit: Im Stadion, aus dem Alltagsleben ausgesondert, mit
dem Spielfeld in der Mitte, das die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich konzentriert, und in den
beiden Halbzeiten von jeweils 45 Minuten ereignet sich unvorhersehbar Neues. Dagegen ist der Ausgang eines Theaterstücks von Anfang an bekannt; was auf der Bühne gespielt wird, liegt teilweise
schon seit Jahrhunderten als Text vor. Die ’Stücke’ des Fußballs indes werden erst im Vollzug der Präsentation ’geschrieben’ bzw. ’präsentiert’. Die Spieler ’interpretieren’ es nicht, sondern sie ’diktieren’
es“. H ERZOG , Markwart: Von der ’Fußlümmelei’ zur ’Kunst am Ball’. Über die kulturgeschichtliche
Karriere des Fußballsports. Aus: H ERZOG , Markwart (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst Kult - Kommerz. Stuttgart: Kohlhammer, 2002 (= Irseer Dialoge 7), S. 37.
196 Vgl. Z ICKGRAF, Peer: João Mateus will Fußballlegionär werden. Der Junge aus Salvador de Bahia möchte hoch hinaus. http://www.einseitig.info/html/content.php?txtid=266 – Aufgerufen am
22.05.2005.
197 C HADHA , Gurinder: Bend It Like Beckham (Deutscher Titel: Kick it like Beckham). GB, 2002. Alle
im Folgenden zitierten Kapitelbezeichnungen beziehen sich auf die deutsche DVD-Version.
83
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
6.2 Die Modifikation der kulturellen Identität
Bend It Like Beckham ist ein Film über Fußball, über die Entwicklung einer eigenen
Identität in der widersprüchlichen Situation der zweiten und folgenden Generationen
von Migranten, die sich in zwei verschiedenen Kulturen bewegen und zu Hause fühlen,
aber auch allgemeiner über das Erwachsenwerden in einem Umfeld, dessen kulturell
bedingte Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen der persönlichen Entfaltung von
Jugendlichen entgegenstehen. Die damit verbundenen Konflikte und mögliche Auswege
zeigt Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Gurinder Chadha auf, indem sie den Protagonistinnen ein gemeinsames Interesse zuweist, das gerade in Bezug auf ihr Geschlecht
vor ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund zu Spannungen führen muss: Die beiden
Teenager (Jess, Kind einer aus Indien stammenden Familie, und die Engländerin Jules) verbindet die Leidenschaft und die Begabung für Fußball und die Erfahrung von
Hindernissen, die es ihnen erschweren, diese zu realisieren. Fußball, als ein männlich
dominierter und westlich geprägter Sport, steht in einem scharfen Kontrast zu den Normen und Werten, die den Protagonistinnen in ihrem familiären Umfeld auferlegt werden. Dabei ist die Handlung nur vordergründig auf den Selbstbehauptungs- und Emanzipationsprozess der aus einer traditionellen indischen Migrantenfamilie stammenden
Jess fokussiert. Zwar wird die Handlung dominiert vom schmerzhaften Zwang zur Abwägung zwischen dem traditionellen Rollenverständnis des indischen Elternhauses einerseits und den individuellen Ansprüchen an die Entwicklung eines eigenen Lebensentwurfs andererseits, doch die Parallelen zwischen den Problemen von Jess und den
Hindernissen, die die Engländerin Jules zu überwinden hat, erweitern die Perspektive
des Films weit über das Problem der Identitätsfindung in England geborener Migrantenkinder hinaus. Damit, so M C C LAIN, verweist Chadhas Film auch auf ein in der feministischen Forschung bekanntes Problem: Westliche Feministinnen unterstellen häufig,
dass gerade Frauen aus oder in den Ländern der dritten Welt stark durch ihre Kultur
bestimmt und eingeschränkt würden und übersehen dabei, dass dies für Frauen in den
westlichen Industriestaaten grundsätzlich ebenso gilt.198
Jessminder (genannt Jess) und ihre ältere Schwester Pinky Bhamra sind die Töchter
einer aus Indien stammenden, traditionell orientierten Familie, die in der Nähe des Flughafens Heathrow lebt. Während Pinky sich mit den Erwartungen, die vor allem die Mutter an ihre Töchter stellt, vergleichsweise problemlos arrangiert – sie steht kurz vor einer traditionellen Hochzeit mit einem indischen Mann199 –, stößt ihre jüngere Schwester
198 Vgl.
M C C LAIN , Linda C.: „Bend It Like Beckham and Real Women Have Curves: Constructing Identity in Multicultural Coming-of-Age Stories“. In: DePaul Law Review 54 (2005), S. 703.
199 Auch Pinky interpretiert ihren kulturellen Hintergrund allerdings individuell. Sie verkörpert ein moderneres Frauenbild durch ihre Berufstätigkeit, die „Liebesheirat“, wenngleich mit einem indischen
Mann, und die Orientierung an westlicher Mode. Ihre stärkere Integration in ein eher klassisches
indisches Frauenbild basiert hauptsächlich auf einer Mischung aus Anpassung und einer Geheimhaltungsstrategie, die später auch Jess anwendet - so versucht sie ihre regelmäßigen Treffen mit ihrem
Verlobten vor ihrer kritischen Mutter geheimzuhalten. Vgl. M C C LAIN, S. 712.
84
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Jess immer wieder an die durch ihre kulturelle Identität vorgegebenen Grenzen. Pinky
entspricht durch ihre Verlobung mit einem indischen Mann aus gutem Hause und die
baldige traditionelle Hochzeit weitaus besser dem Weiblichkeitsideal der Eltern, vor allem der Mutter, während Jess kein Interesse an femininer Kleidung, Männern oder dem
Kochen indischer Gerichte zeigt und aus ihrer Verehrung für David Beckham, dessen
Fotos ihre Zimmerwände zieren, keinen Hehl macht. Der Film deutet allerdings an,
dass Pinky und Jess gerade in ihrer Kindheit verhältnismäßig viel Freiheiten zugestanden wurden; so vermutet M C C LAIN den Auslöser für Jess’ Fußballbegeisterung darin,
dass sie als Kind die Freiheit hatte, im Park Fußball zu spielen200 .
Der Lebensentwurf, den ihre Eltern für Jess vorgesehen haben, ist nicht grundsätzlich
inkompatibel mit Jess’ eigenen Wünschen: Besonders ihr Vater erhofft sich von Jess
eine berufliche Karriere als Anwältin, und auch sie selbst arbeitet auf die für die Aufnahme an einer guten Universität nötigen Abschlußnoten hin201 . Ihre Leidenschaft, das
Fußballspielen mit den Jungen im Park, stößt bei den Eltern hingegen auf wenig Verständnis. Ihre Mutter ist der Überzeugung, dass ihre Tochter „genug gespielt“202 habe,
als sie ein Kind war. Fußball ist für sie also kein ernsthaftes, berechtigtes Interesse, sondern in erster Linie ein Spiel und gehört damit in die Welt der Kinder, nicht aber der
erwachsenen Frau. Ähnlich verfährt ihrerseits Jess mit einem im Film zentralen Ritual,
das stellvertretend für die traditionelle Welt indischer Frauen steht, dem Kochen, das
auch Jess von ihrer Mutter lernen soll203 . In einer Szene, in der sie von ihrer Mutter
unterrichtet wird, spielt sie hinter deren Rücken mit den Zutaten, verschiedenen Gemüsesorten, wie mit einem Fußball204 . Sie macht also ihrerseits ein Ritual, das von der
Mutter als Teil ihrer Identität besonders ernst genommen wird, zu einem Spiel205 . Sie
definiert damit Zutaten ihrer traditionellen Lebenswelt um.
Als sie Jules kennen lernt, die ihr vorschlägt, sich den Hounslow Harriers, einer Frauenfußballmannschaft, anzuschliessen, muss sie einen Weg finden, ihre Leidenschaft ausleben zu können ohne sich in einen Konflikt mit ihrem Elternhaus zu begeben. Stärker
als für ihre ältere Schwester wird für Jess der kulturell vorgegebene weibliche Lebensentwurf zur Einschränkung; das Ausbrechen aus dem Normengefüge ihrer kulturellen
Identität findet zuerst wie bei Pinky in einer Art Versteckspiel statt, innerhalb dessen
Jess sowohl ihrer Rolle als Tochter gerecht werden als auch ihre Bedürfnisse bis zu einem gewissen Grad heimlich ausleben kann: „[A] way to get along in a world where
200 Vgl.
M C C LAIN 2005, S. 711.
1, Filmstart.
202 Kapitel 4, Jetzt wird richtig gespielt.
203 Für Gurinder Chadha ist das Essen, und das Zubereiten von Gerichten, von großer Aussagekraft für
die Darstellung einer Kultur:“(...)food is a really great codifier of culture. It is a, it’s a great way
of expressing cultural things, you know(...)“. F ISCHER , Paul: Gurinder Chadha - Success at Last
as Beckham Finally Hits US. http://www.filmmonthly.com/profiles/articles/gchadha/gchadha.html –
Aufgerufen am 17.05.2005
204 Kapitel 5, Erstes Match.
205 Vgl. M C C LAIN 2005, S. 717.
201 Kapitel
85
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
expectations and desires invariably conflict206 .“
In dem Tagtraum, den Jess zu Beginn des Films durchlebt, überwindet sie die Grenzen, die ihr Geschlecht und ethnischer Hintergrund setzen, im Fußballspiel durch ihr
besonderes Talent. In einem Spiel von Manchester United gegen Anderlecht ist sie es,
die eine Flanke von David Beckham zum entscheidenden Tor verwandelt und daraufhin von den euphorischen Kommentatoren zu einer Hoffnung für den englischen Fußball erklärt wird, zur „answer to England’s prayers“207 . Dass sie eine Frau indischer
Abstammung ist, scheint in diesem Moment unwichtig: Es ist ihr Können, nicht ihre
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, das ihre Perspektiven determiniert – ihre
Identität ist in diesem Szenario die eines erfolgreichen englischen Fußballtalents. Der
Auftritt der Mutter im Fernsehstudio bei der nachfolgenden Analyse des Spiels zerstört
diese Illusion. Sie ist empört darüber, dass ihre Tochter in kurzen Hosen mit Männern
auf einem Platz umherrennt208 . Damit stellt sie gleich zu Beginn des Films klar, dass
der Fußballplatz ihrer Meinung nach nicht der richtige Ort für ein junges Mädchen aus
ihrer Kultur ist.
Im Verlauf des Films schwankt Jess immer wieder zwischen der Strategie, ihrem
Hobby heimlich nachzugehen, und den kontroversen Debatten mit ihren Eltern, vor denen sie ihr heimliches Spielen nie allzu lange geheim halten kann. Schnell wird klar,
dass es einer Lösung bedarf, die Jess nicht zu einer Entscheidung zwischen ihrer familiären Bindung und ihrem persönlichen Traum vom Profifußball zwingt. Die von Chadha
aufgezeigten Möglichkeiten, aus traditionellen kulturellen Identitätsmerkmalen und individuellen Erwartungen eine neue, eigene Identität aktiv zu „konstruieren“209 , spiegelt
auch der englische Titel des Films wider210 . Der Begriff „bend“ bezieht sich auf die von
David Beckham perfektionierte Technik, einen Ball „anzuschneiden“, also ihm durch
geschicktes seitliches Treffen eine gekrümmte Flugbahn zu verleihen211 . Darüber hinaus äußert sich Chadha aber in einem Interview zu einer weiteren Bedeutungsebene:
(...)„the title also works as an excellent metaphor for the film as the girls ’bend’ the
rules rather than ’break’ them so they can get what they want“.212
Das „Zurechtbiegen“ der Regeln ist also eine Alternative zur völligen Ablehnung des
eigenen kulturellen Hintergrunds und ein Weg, den eigenen Lebensentwurf innerhalb
206 F UCHS ,
Cynthia: Maneuvering Around the Cultural Divide. http://www.poppolitics.com/articles/
2003-03-21-benditlikebeckham.shtml – Aufgerufen am 13.05.2005.
207 M C C LAIN 2005, S. 710.
208 Vgl. M C C LAIN 2005, S. 710.
209 Vgl. M C C LAIN 2005, S. 706.
210 In Deutschland kam der Film unter dem Titel „Kick it like Beckham“ in den Verleih, um ihn für das
deutsche Publikum verständlicher zu machen – dadurch ging die doppelte Bedeutung allerdings verloren.
211 Vgl. F USSBALL D21 (S TIFTUNG J UGENDFUSSBALL ): Fussball ABC, Eintrag „anschneiden“. http:
//www.fd21.de/68549.asp – Aufgerufen am 19.05.2005.
212 G OPALAKRISHNAN : Interview.
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IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
eines eigentlich restriktiven Systems dennoch leben zu können. Die eigene Identität, die
sich Jess schafft, indem sie am Ende des Films mit dem Einverständnis ihrer Eltern eine
Profilaufbahn mit einem Stipendium an einem amerikanischen College einschlägt, ist
also eine Kombination aus Elementen des kulturellen und ethnischen Kontextes und individuellen Ansprüchen und Zielen. Für Chadha ist es wichtig, diese mögliche Pluralität
von Identitäten mit ihrem Film weiterzugeben: ’Why call yourself one thing when you
can call yourself 20 different things ?“213 Sie demonstriert, dass man sich innerhalb einer
dominanten kollektiven Identität Freiräume verschaffen kann, indem man Grenzen verschiebt und sich so aus dem Zwang, sich zwischen geschlossenen Systemen entscheiden
zu müssen, befreien kann. Damit eröffnet der Film eine Perspektive für eine konstruktive Gestaltung multikultureller Gesellschaften: „The cultures continue to clash, but in
ways that are increasingly responsive to to one another“214 .
6.3 Neue Konstruktionen von Weiblichkeit
In Bend It Like Beckham ist Fußball mehr als nur eine Möglichkeit, das kulturelle Normengefüge zu modifizieren. Er ist auch eine Alternative zur „weiblichen Welt“, wie sie
in der Familie Bhamra Mutter und, mit Abstrichen, Schwester vorleben. Zwar scheinen diese Welt und die mit ihr verbundenen Nachteile für Jess unmittelbar kulturell
(ethnisch und religiös) bedingt, doch der Film nimmt das Thema der geschlechtsspezifischen Vorbehalte gegen das vermeintlich „unweibliche“ Fußballspiel in einem weiteren
Strang auf: Den orthodoxen Bhamras steht die englische Familie – und auch hier speziell die Mutter – von Jess’ Teamkollegin und Freundin Jules gegenüber. Diese typische
britische Mittelschichtsfamilie bildet kulturell einen Kontrapunkt zur „exotischen“ und
stärker reglementierten Welt der Einwandererfamilie und wirkt gleichzeitig als Beweis
dafür, dass geschlechtsspezifische Diskriminierung auch in der vermeintlich liberalen,
aufgeschlossenen westlichen Welt Realität ist. Die vergeblichen Versuche der Mutter,
aus ihrer Tochter eine „richtige Frau“ zu formen, funktionieren nicht über Verbote: Sie
bedient sich subtilerer Methoden – wie etwa bei dem Versuch, sie anstelle der von Jules
bevorzugten Sport-BHs zum Kauf eines aufblasbaren, vergrößernden BHs zu überreden,
oder durch ständig verbal artikulierte Ängste und Befürchtungen, die Tochter könnte in
ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau versagen. Die Mechanismen unterscheiden sich
also in ihrem Instrumentarium, sie ähneln sich aber in der Erwartungshaltung, die den
jungen Frauen in beiden Familien entgegen gebracht wird. Dass Jules mit ihrem englischen Hintergrund nicht gegen Verbote, sondern „nur“ gegen Vorurteile und Vorbehalte
ihrer Mutter kämpfen muss, ändert nichts daran, dass die gemeinsame Leidenschaft von
Jules und Jess sie zu Außenseiterinnen innerhalb ihres jeweiligen kulturellen Kontextes
213 DAWSON ,
Bruce: Interview with Gurinder Chadha. http://www.soccerphile.com/soccerphile/news/
bend_it_like_beckham.html – Aufgerufen am 13.05.2005.
214 F UCHS : Maneuvering.
87
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
macht:
„Both leading female characters have the same dream and manage to realise this
dream against reservations based on gender; it is only tougher for the Asian girl.“215
Programmatisch ist der Hintergrundsong einer Szene, in der Jess heimlich zu einem
Fußballspiel läuft, während ihre Eltern sie bei der Arbeit vermuten216 : Der Text von
Curtis Mayfields „Move On Up“ formuliert die ermutigende Botschaft, die Regisseurin
Chadha vor allem an das junge weibliche Publikum weitergeben möchte217 :
„Hush now child and don’t you cry
Your folks might understand you by and by
Move on up towards your destination
You may find from time to time
Complications(...)“218
Überhaupt scheint die Auswahl der Filmmusik219 von diesem Motiv geleitet zu sein. So
wurden Lieder der beiden Ex-Spice-Girls-Mitglieder Mel C und Victoria Beckham mit
einbezogen, im zweiten Fall sicher auch als Anspielung auf ihren prominenten Ehemann
David Beckham, den von Jess verehrten Fußballer. Äußerungen der Regisseurin zeigen
jedoch, dass die Erinnerung an die Spice Girls auch eine Reminiszenz an das Konzept
der „Girl Power“ ist220 . Dieses Konzept wird auch dadurch unterstützt, dass mit Shaznay
Lewis ein ehemaliges Mitglied der erfolgreichen Mainstream-Girlband All Saints für
die Rolle der Teamkapitänin gecastet wurde221 . Chadha versucht damit, das klassische
Frauenbild der Teeniefilme neu zu definieren: „What I wanted to do was create a story
about teens, but a teen movie with balls, so to speak“222 .
215 K ORTE ,
Barbara/S TERNBERG , Claudia: Bidding for the Mainstream? Black and Asian British Film
since the 1990s. Amsterdam, New York: Rodopi, 2004 (= Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 73), S. 171.
216 Kapitel 5, Erstes Match.
217 „I would like girls to walk away with their heads six foot tall, chests out, grinning from ear to ear, and
going, wow. I can do anything.“F ISCHER: Gurinder Chadha.
218 M AYFIELD , Curtis: Move On Up, zuerst erschienen auf dem Album "Curtis" (1970). http://www.
stlyrics.com/songs/c/curtismayfield6089/moveonup238352.html – Aufgerufen am 06.07.2005.
219 Diese besteht im Wesentlichen – dem multikulturellen Setting folgend – aus einem Wechsel von indischer und westlicher Musik. Lediglich in der Szene des Films, die Jess bei dem spielentscheidenden
Freistoß zeigt, der mit dem emotionalen Höhepunkt der indischen Hochzeit zusammenfällt, wird mit
einer Arie von Puccini zu klassischer Musik übergegangen, für KORTE /S TERNBERG eine Parodie auf
die bevorzugte musikalische Theatralik bei großen Sportereignissen. Vgl. KORTE/S TERNBERG 2004,
S. 176.
220 „Yeah! Girl Power! Totally, that’s what the film is about. One has to credit them [die Spice Girls,
Anm.d.Verf.] for giving girls a sense of assertiveness and confidence and agressiveness, which was
absent before.“ F UCHS , Cynthia: Interview with Gurinder Chadha. http://www.popmatters.com/film/
interviews/chadha-gurinder-030403.shtml – Aufgerufen am 13.05.2005
221 Vgl. T HE I NTERNET M OVIE DATABASE : Bend It Like Beckham. http://www.imdb.com/title/
tt0286499/ – Aufgerufen am 15.07.2005.
222 F UCHS : Interview.
88
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Dabei sind es in Bend It Like Beckham gerade Männer, durch die die beiden jungen
Frauen Unterstützung erhalten. Während die Mütter in ihrer überzogenen, komischen
Darstellung zeitweise wie Karikaturen wirken223 , sind beide Väter toleranter, gelassener und stärker von dem Wunsch geprägt, den Töchtern ihren eigenen Willen zu lassen.
Jess’ Vater kritisiert und unterbindet ihr Handeln anfangs, muss aber letztendlich zugeben, dass sein Wunsch, die Töchter glücklich zu sehen, dem Beharren auf kulturell
bedingten Normen übergeordnet ist. Diese Erkenntnis ist gerade vor dem Hintergrund
seiner eigenen negativen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung im Sport von
besonderer Tragweite224 .
Auch der Vater von Jules erweist sich als Anwalt ihrer Interessen, und sei es auch
nur, wie die Mutter in einer Bemerkung anklingen lässt, weil er den Sohn, den er sich
gewünscht hatte, nicht bekam, und deshalb bestimmte Erwartungen auf seine Tochter
zu projizieren versucht. Die stärkere Nähe der beiden Väter zum Sport – die des Inders
zum Cricket und die für englische Männer nicht untypische Liebe zum Fußball bei Jules’
Vater – erleichtert die Annäherung der Väter an ihre Töchter, da beide jeweils über ein
gemeinsames, verbindendes Interesse verfügen, das stärker zu wiegen scheint als die
Tatsache, dass eben dieses Interesse in den Lebensentwurf, der für ihre Töchter geplant
ist, nicht zu passen scheint.
Sowohl M C C LAIN als auch KORTE /S TERNBERG legen besonderen Wert auf die unterstützende Funktion von Männern innerhalb des Films - namentlich der Väter, des
Trainers Joe, Jess’ Cousin Tony und sogar des amerikanischen Talentscouts. KORTE
und S TERNBERG führen dies auch auf die bereits beschriebene Strategie des Mainstreaming zurück, durch die der Geschlechterkonflikt auf eine liberale, aber nicht zu
offensive Weise dargestellt wird225 . Dass Jess und Jules gerade auf die Unterstützung
von Männern angewiesen sind, entspricht allerdings in weiten Teilen der Realität im
Frauenfußball. Nach wie vor sind die entscheidenden Institutionen weitgehend männlich dominiert226 , gibt es noch sehr wenige weibliche Trainerinnen, gerade in Ländern,
in denen der Frauenfußball noch jung ist. Damit sind die Spielerinnen bislang immer
noch stark auf männliche Unterstützung angewiesen.
223 Vgl.
M C C LAIN 2005, S. 714. Hauptdarstellerin Parminder Nagra äußert sich deutlicher: „Jess’ mum is
a little crazy, as is Jules’ mum. They’re both completely mad“. P FEIFFER , Mark: A Conversation with
Bend it Like Beckham’s Parminder Nagra. http://www.thefilmjournal.com/issue5/beckham.html –
Aufgerufen am 13.05.2005.
224 Vgl. K ORTE /S TERNBERG 2004, S. 172.
225 Vgl. M C C LAIN , S. 174, K ORTE /S TERNBERG , S. 730.
226 So ist der FIFA-Exekutiv-Ausschuss, trotz seiner Entscheidungskompetenzen auch über den Frauenfußball, nach wie vor nur mit Männern besetzt. Vgl. FIFA: Exekutivausschuss. http://www.fifa.
com/de/organisation/committee/exccom.html – Aufgerufen am 07.07.2005. Dieser Ausschuss entschied unter anderem, dass es keine Durchlässigkeit zwischen Männer- und Frauenfußball geben
dürfe. Vgl. FIFA: Pressemitteilung: Saison 2005/2006: letzter Spieltag weltweit am 14. Mai 2006.
http://www.fifa.com/de/media/index/0,1369,104802,00.html – Aufgerufen am 07.07.2005
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IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
6.4 Fußball - Identifikationsmöglichkeiten und
Vermarktungsstrategien
Die ersten Entwürfe des Drehbuchs von Bend It Like Beckham gehen laut Regisseurin
Chadha auf das Jahr 1996 zurück, inspiriert durch die Fußballeuphorie, die während der
in England stattfindenden Europameisterschaft im öffentlichen Leben verstärkt spürbar
war227 . Dass der Weg von Jess und Jules in der Handlung des Films mit einer Sportart
verbunden wird, die in England traditionell an Popularität nicht zu überbieten ist228 ,
trug sicherlich zum Erfolg des Films bei und mag Teil der Strategie sein, die KORTE
und S TERNBERG als „Bidding for the Mainstream“ bezeichnen: Die Tendenz afroamerikanischer und asiatischer Filmemacher in Großbritannien seit den 90er Jahren,
sich mit ihren Werken stärker an den Bedürfnissen des britischen Mainstream zu orientieren und damit breitere Schichten anzusprechen229 . Unbeschadet dessen ist Fußball
als das gemeinsame Interesse der beiden Protagonistinnen allerdings vor allem ein tragfähiges Vehikel, um die implizierten Konfliktlinien und Lösungsstrategien aufzuzeigen.
Im Zentrum dieser Konflikte stehen die unterschiedlichen Vorstellungen von Weiblichkeit, von Tradition und vom Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft (sei
diese familiär, ethnisch oder durch das Geschlecht gebildet). Jess Bhamra besitzt das Talent, ausgesprochen gut Fußball spielen zu können, und sie entwickelt den festen Willen,
aus diesem Talent eine Profession zu machen. Fußball ist ein Sport, der üblicherweise
weder mit der asiatischen Bevölkerung noch mit Frauen assoziiert wird. Trotz aller Internationalisierung, der steigenden Zahl farbiger Spieler in englischen Teams und der
zunehmenden Akzeptanz von Frauenfußballteams bleibt Fußball in England in erster
Linie ein Sport weißer englischer Männer. Der Kontrast zwischen diesem Sport und
einer indischen Einwanderertochter, die Darstellung von Fußball als Teil einer Mädchenidentität sind ungewöhnlich genug, um die Grenzen kultureller Offenheit auch in
der englischen Gesellschaft aufzuzeigen - und die Chancen, die in der Möglichkeit liegen, diese Grenzen zu verschieben. Es ist wohl vor allem dieser Perspektive geschuldet,
dass sich eine englische Organisation auf den Film beruft, die in Peterborough Fußballstunden speziell für asiatische Mädchen anbietet230 . Offenbar sorgte der Film für eine
deutlich spürbare Fußballbegeisterung bei jungen Frauen sowohl in Indien als auch in
England, die sich in einer Zunahme an Mitgliedern in Frauenfußballvereinen oder in
deren Gründung niederschlug231 .
227 Vgl.
KORTE/S TERNBERG 2004, S. 170.
seiner großen Anhängerschaft ist Fußball nach wie vor the „people’s game“, das Volksspiel(...)“. M ASON , Tony: Großbritannien. Aus: E ISENBERG , Christiane (Hrsg.): Fußball, soccer,
calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt. München: dtv, 1997, S. 39
229 Vgl. K ORTE /S TERNBERG 2004, S. 111.
230 Vgl. T HE F OOTBALL A SSOCIATION : Enjoying it like Beckham. http://www.thefa.com/thefa/
ethicsandsportsequity/racialequality/postings/2005/03/enjoying+it+like+beckham.htm – Aufgerufen
am 08.07.2005.
231 Vgl. P FEIFFER : Conversation.
228 “Aufgrund
90
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Dabei bekommt Jess die Chance, ihre Individualität zu entdecken und zu entwickeln.
Was sie auszeichnet, ist nicht in erster Linie ihr Frau-Sein oder ihre indische Abstammung, sondern ihre besondere Begabung. In einem Gespräch mit ihrem Cousin Tony
betont sie dieses Merkmal, indem sie feststellt dass grundsätzlich jeder ein Aloo Gobi
kochen, aber eben nicht jeder einen Ball anschneiden kann wie Beckham232 . Bend It
Like Beckham ist damit auch ein Film über das Missverständnis zu glauben, die Identität eines Menschen anhand bestimmter sozialer und kultureller Kriterien beurteilen zu
können. Die Verbindung mit dem Fußball ermöglicht es, diese Missverständnisse und
die entstehenden Konflikte anschaulich zu machen:
„The film explores how others misread of Jess, as well as how Jess resists efforts by
her parents, especially her mother, and her sister to mold her to fit their expectations
of a good Indian girl, respectful daughter, and loyal sister.“233
Der Fußball bietet aber auch die Möglichkeit, über Geschlechter- und Kulturgrenzen
hinweg sowohl Hindernisse als auch Unterstützung aufzuzeigen. So orientieren sich
Jess und Jules an unterschiedlichen Vorbildern. Jess wird erst durch Jules mit dem
Frauenfußball konfrontiert, zuvor beschränkt sich ihre Spielerfahrung ausschließlich auf
das Spiel im Park mit befreundeten Jungen. Entsprechend orientiert sie sich an einem
männlichen Vorbild: Für Jess ist David Beckham ein Idol. Damit unterscheidet sich
Jess zunächst nicht von einer großen Zahl britischer weiblicher Teenager, die David
Beckham wegen seines Aussehens, seiner für Fußball ungewöhnlichen Starqualitäten
und seines glamourösen Lebensstils verehren. Jess’ Bewunderung ist allerdings nicht
in diesen Merkmalen begründet, sondern in seinem fußballerischen Können, speziell in
seiner besonderen Kunstfertigkeit, Bälle anzuschneiden. Jess selbst demonstriert diese
Technik gegen Ende des Films bei der Ausführung eines Freistoßes. Jules orientiert sich
hingegen am Frauenfußball. Ihr Idol ist die amerikanische Spielerin Mia Hamm und ihr
Traum die professionelle amerikanische Frauenliga. Fußball bietet also im Film Identifikationsmöglichkeiten sowohl mit weiblichen als auch mit männlichen Vorbildern.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, welche Bedeutung die Unterstützung
durch Institutionen außerhalb der Familie für die Mädchen hat. Jess’ und Jules’ Fußballtalent kann sich erst durch die Existenz einer Frauenfußballmannschaft in räumlicher Nähe entwickeln, und die Chance, mit einem Sportstipendium an einer amerikanischen Universität zu studieren ermöglicht die Perspektive auf eine professionelle
Fußballlaufbahn234 . Damit verdeutlicht Chadha durch das Fußballthema auch, wie es
bei aller persönlichen Entschlossenheit und persönlicher Begabung immer auch eines
institutionalisierten Rahmens bedarf um die individuellen Wahlmöglichkeiten zu erweitern.
232 Vgl.
M C C LAIN 2005, S. 717.
2005, S. 708.
234 Vgl. M C C LAIN 2005, S. 731.
233 M C C LAIN
91
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
Schließlich ist Fußball als Teil der Populärkultur ein verbindendes Thema, das dem
von Chadha bewusst gewollten Konzept eines Mainstreamfilms entspricht235 . Sie sichert sich damit das Interesse von Zuschauern, die für ein multikulturelles Setting mit
einer sehr geschlechtsspezifischen Sichtweise normalerweise eher schwer erreichbar
sind. Das Genre des Sportfilms, dem Bend It Like Beckham zugeordnet werden kann236 ,
ist ein idealer Rahmen um dem Ziel eines kommerziellen Erfolges gerecht zu werden
und gleichzeitig die oben beschriebenen Ideen zu transportieren, und innerhalb dieses
Genres scheint für einen britischen Film237 kein anderer Sport so geeignet wie Fußball.
Dem entspricht, dass der Filmtitel den Namen eines der populärsten englischen Fußballer überhaupt enthält – dessen Popularität sich nicht allein auf die fußballinteressierten
Teile der Bevölkerung beschränkt – und damit einen weiteren Anreiz für das britische
Publikum darstellt, den Film zu sehen.
6.5 Umsetzung der Fußballszenen
Bend It Like Beckham enthält eine große Anzahl von Fußballszenen, die auf dem Trainingsplatz, im Park, im Garten oder auf verschiedenen Fußballplätzen und Stadien stattfinden. Der Film strebt in diesen Szenen ein Höchstmaß an Authentizität an: Die Rollen
der Mitglieder der Hounslow Harriers wurden fast ausnahmslos mit „echten“ Fußballspielerinnen besetzt238 , und auch die beiden – zuvor fußballunerfahrenen – Hauptdarstellerinnen Parminder Nagra und Keira Knightley wurden drei Monate lang trainiert,
um alle Spielszenen selbst übernehmen zu können239 . Auch in der Ästhetik der Szenen
ist Chadha um Realismus bemüht; so berichtet sie von einer Szene, in der die Spielerinnen im Training synchron über hintereinander aufgestellte Hürden springen. Der Cutter
kritisierte die Einstellung, weil außer der schlanken Jules auch eine kräftigere Spielerin
zu sehen war, deren Bauch und Busen sich bei der Übung deutlich sichtbar mitbewegten240 . Chadha bestand darauf, die Einstellung beizubehalten und hielt sie sogar für den
„best shot“241 . Die aktive Entscheidung, Frauen und Mädchen in einer Weise zu zeigen,
die stärker an die Realität der Zuschauerinnen und weniger an ein im Mainstreamki235 Gurinder
Chadha formuliert ihre Motivation in einem Interview wie folgt: „I said I had to make the
most commercial, mainstream, wide-appealing, multiplex movie I possibly could - with an Indian girl
in the lead.“Vgl. KORTE/S TERNBERG 2004, S. 250
236 Bend It Like Beckham spielt freilich auch mit anderen Genres wie dem der romantischen Komödie
(vgl. F UCHS: Interview), grundsätzlich kann aber von einem Sportfilm gesprochen werden, weil es
der Sport ist, der den Bruch zwischen Jess und ihren Eltern auslöst und gleichzeitig zu dessen Überwindung beiträgt.
237 Als ein solcher wurde er sowohl beworben als auch rezipiert (vgl. K ORTE /S TERNBERG 2004, S. 169),
und auch Regisseurin Chadha sieht sich selbst als „British film-maker“ vgl. KORTE/S TERNBERG
2004, S. 249.
238 T HE I NTERNET M OVIE DATABASE : Trivia for „Bend It Like Beckham“. http://www.imdb.com/title/
tt0286499/trivia – Aufgerufen am 24.05.2005.
239 Vgl. P FEIFFER : Conversation, F ISCHER : Gurinder Chadha.
240 Kapitel 4, Jetzt wird richtig gespielt.
241 F UCHS : Interview.
92
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
no weit verbreitetes Schönheitsideal anknüpft, trägt gleichzeitig zu einer glaubhafteren
Darstellung des Frauenfußballs bei und gibt ihm als Sport die Ernsthaftigkeit zurück,
die führende männliche Fußballfunktionäre etwa durch die öffentliche Anregung, der
Sport könne durch „attraktivere“, also körperbetontere Kleidung für die (männlichen)
Zuschauer anziehender gemacht werden, in Frage stellen242 . Sexismus spielt auch im
Film eine Rolle: So fallen die jungen Inder, mit denen Jess im Park Fußball spielt, vor allem durch sexistische Äußerungen in Bezug auf Frauenfußball und Fußballerinnen auf:
So unterhalten sie sich während eines Spiels über die Brüste einer Spielerin, fragen in
provokativer Absicht, ob es auch einen Trikottausch gebe und verspotten Jess’ Vorstellung von einer indischen Frauenfußballmanschaft mit dem Namensvorschlag „Southall
United Sari Squad“243 . Ein ähnliches Verhalten legen allerdings auch die jungen indischen Mädchen an den Tag, die sich beim Beobachten des Spiels im Park angesichts
der durchtrainierten nackten Oberkörper der Spieler über die Attraktivität der männlichen Spieler austauschen. Chadha gelingt es, durch ihren Blick auf Fußball dieser
sexistischen Rezeption etwas entgegen zu setzen und das Spiel als Spaß, aber auch als
ernstzunehmenden Leistungssport darzustellen.
Spiel- und Trainingsszenen werden als eine Montage von kurzen Ausschnitten gezeigt, die zumeist musikalisch untermalt ist. Das hohe Tempo und die schnellen Schnitte dieser Montagen tragen der Dynamik des Fußballspiels Rechnung. Die temporeiche
Musik, die während der Spielszenen zum Einsatz kommt, verstärkt diesen Effekt. Auch
wenn Jess und Jules in diesen Szenen im Mittelpunkt stehen, werden sie immer als Teil
eines Teams gezeigt. Während Jess in den Szenen im Park als eine technisch den Jungen deutlich überlegene Spielerin hervorsticht, ist sie bei den Hounslow Harriers teil
einer Mannschaft, ohne deren perfekt abgestimmtes Zusammenspiel sie nicht brillieren
könnte. Dabei wird besonders die gute Abstimmung zwischen ihr und ihrer Freundin
Jules betont; diese endet, als sich Jess und Jules im Streit um ihren Trainer entzweien,
und damit kommen auch Jess’ überdurchschnittliche Erfolge im Spiel vorübergehend zu
einem Ende. Die Differenzen zwischen Jules und Jess spiegeln sich also auch im Spielgeschehen wider und gefährden den Erfolg der Mannschaft. Hier wird der besondere
Teamcharakter des Fußball, für den Eigensinn und Egoismus eine Gefahr darstellen,
betont.
Schließlich gelingt es Chadha, das Thema Frauenfußball durch Gastauftritte realer,
populärer Fußballprotagonisten aufzuwerten. So werden mit Gary Lineker und Alan
Hansen britische Fußballlegenden eingebunden244 , Jules zeigt Jess Videos mit Spiels242 So
wurde die entsprechende Anregung von UEFA-Präsident Lennart Johansson von Fußballerinnen
weitgehend scharf verurteilt, während sich männliche Funktionäre, wie etwa DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, nur zu einer halbherzigen Ablehnung durchringen konnten. Vgl. S PORTGA TE: Diskussion um „Kleiderordnung“im Frauen-Fußball. http://www.sportgate.de/fussball/frauen/
63350-Diskussion-um-Kleiderordnung-im-Frauen-Fussball.html – Aufgerufen am 11.07.2005
243 Kapitel 2, Fußball im Park.
244 Kapitel 1, Filmstart.
93
IV Funktionen und literarische Umsetzung von Fußball in ausgewählten Werken
zenen der erfolgreichen amerikanischen Fußballerin Mia Hamm245 , und schließlich sind
es Doppelgänger von David Beckham und seiner Frau Victoria, die bei Jess’ und Jules’
Abschied am Flughafen einen kurzen Auftritt haben246 . Zumindest für den mit dem
englischen Fußball vetrauten Zuschauer ist auch die Nummer 7 auf Jess’ Trikot aufschlussreich. Die 7 ist David Beckhams Nummer in der Nationalmannschaft und sie
war es auch in seiner Zeit bei Manchester United. Jules’ Trikotnummer 9 ist hingegegen die Nummer der von ihr verehrten Mia Hamm247 . Chadhas Umsetzung von Fußball
ist also geprägt von einem hohen Grad an Authentizität, audiovisueller Dynamik und
einem Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit und Zukunft des Frauenfußball. Gezielt unterstützt wird diese Umsetzung durch Auftritte von Repräsentanten des professionellen
Fußball.
245 Kapitel
6, Die Schuhe.
16, Ein toller Tag.
247 Vgl. T HE I NTERNET M OVIE DATABASE : Trivia.
246 Kapitel
94
V Schluss
V Schluss
Die vorliegende Arbeit wurde mit dem Ziel verfasst, das Sujet Fußball in der zeitgenössischen britischen Populärliteratur auf seine Darstellung und seine Funktionen hin zu
untersuchen. Aus den vorausgegangen Analysen lassen sich nun eine Reihe allgemeiner
Feststellungen ableiten, die im Folgenden abschließend .
1. Die seit Anfang der neunziger Jahren boomende populäre Fußballliteratur
ist ein Produkt einer ausgeprägten Fankultur im Fußball.
Die Wechselwirkungen zwischen Fankultur und Fußballliteratur sind vielfältig.
Einige Autoren, deren Texte in dieser Arbeit vertreten sind, begannen ihre schriftstellerische Karriere mit Beiträgen in „When Saturday Comes“, dem ersten englischen Fußball-Fanzine überhaupt1 , das unter anderem an der Veröffentlichung der
von Nick Hornby herausgegebenen Anthologie „My Favourite Year“, einer „Collection of Football Writing“ beteiligt war2 . Konzepte wie die Internetdatenbank
der Football Poets belegen die demokratische Basis dieser Fankultur, während
Dichter wie John Baine und Sarah Wardle als Poets in Residence ihre Lyrik in
den Kontext von Verein und Fans.
Wie festgestellt wurde, ist die britische Fußball- und Fankultur Veränderungen
unterworfen. Sie ist stark von einem Anstieg des Interesses eines middle classPublikums am Fußball geprägt, das in den Neunzigern auch dem Bedürfnis nach
einer neuen Art von Fußballliteratur Vorschub leistete. Neben der konventionellen Sportliteratur als Sachliteratur bildeten sich belletristische Formen heraus, die
stark durch die Populärkultur geprägt sind. Mit dem Interesse des Mittelschichtspublikums ist die spezifische Eigenschaft des Fußball verknüpft, kollektive Identifikation zu fördern. Wie am Erfolg von Nick Hornbys Fever Pitch abzulesen, besteht gerade bei dieser Klientel ein Bedürfnis der Orientierung an Interessen und
Ritualen der working class, Fußball wird also zu einer Möglichkeit, sich aus seiner eigenen Schicht heraus Elemente einer anderen sozialen Schicht anzueignen
und damit sein eigenes Identitätsprofil um neue Aspekte zu bereichern. Fußball
besitzt also eine klassenübergreifende Attraktivität, die nicht nur die gesellschaft1 G IULIANOTTI ,
Richard: Football Media in the UK: A Cultural Studies Perspective. http://www.
efdeportes.com/efd6/rgi1.htm – Aufgerufen am 01.02.2005.
2 H ORNBY, Nick (Hrsg.): My Favourite Year. A Collection of Football Writing. London: Phoenix, 2004.
95
V Schluss
liche Orientierung nach oben, wie sie in der Biografie vieler erfolgreicher Spieler
aus der Arbeiterschicht abzulesen ist, sondern auch die nach unten einschliesst.
2. Fußball dient in den besprochenen Texten als Projektionsfläche für Aussagen über individuelle und kollektive Identität und gesellschaftliche Problemlagen.
Im Zentrum der analysierten Texte steht nicht die literarische Darstellung des
Spiels an sich, sondern des Fußballs als Mikrokosmos innerhalb der Gesellschaft,
anhand dessen sich abstraktere Themen transportieren lassen. Spezifische Aspekte des Sports, wie seine Kommerzialisierung, seine Fähigkeit, kollektive Identitäten zu konstituieren, das Thema von Gewalt im und am Rande von Fußball oder,
mit der Spielerautobiografie, sogar Genres der traditionellen Sportliteratur werden verwendet, um anhand der Welt im Fußball die Welt außerhalb des Fußballs
zu interpretieren. Fußball funktioniert als kulturelle Metapher.
3. Die von L IESSMANN aufgestellte These von der „Literaturunfähigkeit“ von
Fußball ist im Bereich der britischen Populärliteratur nicht haltbar.
Die Vielfältigkeit der britischen Fußballliteratur, die sich allein in den oben untersuchten Texten der letzten fünfzehn Jahre zeigt, belegt ein ungebrochenes Interesse an der fiktionalen Verwertung des Themas Fußball. Sie alle zeichnet aus, dass
sie Fußball verstehen und ernst nehmen. Die Autoren sehen sich selbst nicht als
Beobachter, sondern als Teil der Fußballkultur, sie nehmen also eine durchgehend
subjektive Position ein. Ihr teilweise enormer Erfolg erklärt sich partiell mit dieser
Position, die Authentizität und emotionale Involviertheit nach sich zieht. Zudem
steht Fußball hier nicht im Dienst einer abstrakt-künstlerischen Herangehensweise, die dem Sujet distanziert gegenübersteht und lediglich seine ästhetischliterarischen Grenzen austestet. Fußball wird vielmehr als ein universales und der
großen Mehrheit der Menschen zugängliches Konzept eingesetzt, das sowohl (wie
in These 2 ausgeführt) Rückschlüsse auf die Welt außerhalb des Fußballs erlaubt
als auch in sich selbst Wirkungsmechanismen und Prinzipien einer Welt im Kleinen trägt. Die hier vorgestellte Fußballliteratur besticht also durch eine große Zugänglichkeit für ein breites Publikum wie auch durch eine Durchlässigkeit des
Fußballthemas in übergeordnete Zusammenhänge. Von einem Scheitern des Versuchs, Literatur und Fußball zusammenzubringen, kann also keine Rede sein. Die
fiktionale Annäherung an Fußball stellt vielmehr einen Teil der gesellschaftlichen Repräsentation der Kultur des Fußballs dar, der sich in die oben beschrieben
Fankultur ebenso wie in die kommerziellen Fußballmedien nahtlos einfügt. Angesichts der vielfältigen kulturellen Aktivitäten rund um die Weltmeisterschaft
2006 bleibt die Beobachtung der literarischen Verwertung von Fußball aktuell
und spannend. Die historische Entwicklung der englischen Fußballliteratur, die
96
V Schluss
entscheidende Impulse aus der Fußballbegeisterung der neunziger Jahre, also der
Zeit der Europameisterschaft in England, erhalten hat, ist gerade in Hinblick auf
die deutsche Fußballliteratur vielversprechend, die von dem erhöhten Interesse im
Vorfeld der WM profitieren könnte. Ob sich indes eine der englischen auch nur
annähernd vergleichbare Populärliteratur zu Fußball entwickeln kann, bleibt angesichts der speziellen Implikationen der englischen Fußball- und Fankultur nach
wie vor zweifelhaft.
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