Das grüne Hochwasserschutzkonzept

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Das grüne Hochwasserschutzkonzept
1. Ordentlicher Länderrat 2012
06. Juli 2013, Universal Hall, Berlin
Beschluss
Das grüne Hochwasserschutzkonzept: Modernen
ökologischen Hochwasserschutz durchsetzen
„Weil der Fluss um so schneller wird und den Damm und den Grund um so mehr zernagt
und zerstört, je gerader er ist, ist es nötig, solche Flüsse entweder stark zu verbreitern
oder sie durch viele Windungen zu schicken oder sie in viele Zweige zu unterteilen.“
Leonardo da Vinci (1452-1519)
In den letzten zwei Jahrzehnten musste Deutschland bereits viele
„Jahrhunderthochwasser“ erleben: zwei in den 1990-er Jahren am Rhein, im Sommer
1997 an der Oder, im Sommer 2002 an der Elbe und ihren Zuflüssen, im August 2005 im
Alpenraum, im Sommer 2010 in Ostsachsen und im Erzgebirge, im Winter 2011 wieder an
der Elbe und nun, 2013, in den Regionen von Elbe, deren Zuflüssen und im Alpenraum
gleichzeitig. LandwirtInnen, mittelständische Betriebe, HausbesitzerInnen und MieterInnen
in den Hochwassergebieten kämpfen um ihre wirtschaftliche Existenz. Sie fürchten
Konkurs und Armut. Insgesamt starben in den letzten 10 Jahren in Europa bei
Überflutungen über 700 Menschen.
Die Verwüstungen sind enorm, das ganze Ausmaß wird erst jetzt deutlich. 2002 stellte die
rot-grüne Bundesregierung als Soforthilfe kurzfristig 385 Millionen Euro bereit, um die vom
Hochwasser betroffenen Menschen beim Wiederaufbau zu unterstützen. Unmittelbar nach
der Flut wurden ein Aufbauhilfefondsgesetz erlassen und 7,1 Milliarden Euro zum
Wiederaufbau bereitgestellt.
Eine riesige Wiederaufbauleistung steht auch jetzt bevor. Die Schäden durch die
Hochwasserkatastrophe werden auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Bund
und Länder haben sich nach dem Vorbild von 2002 auf eine gemeinsame Finanzierung
geeinigt, diesmal werden acht Milliarden Euro benötigt.
Das Hochwasser hat viel Leid verursacht und viele Missstände aufgedeckt, aber auch viel
Solidarität geweckt. Die beeindruckende Hilfsbereitschaft der Menschen aus allen Teilen
Deutschlands ist für die Betroffenen nicht nur materiell eine große Unterstützung.
Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet fahren an die Flüsse um vor Ort zu helfen.
Neue Verbindungen entstehen. Dieses Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung
brauchen wir, um auch diesmal die Folgen der Flut zu bewältigen.
Endlich durchgreifende Konsequenzen ziehen
Warum, so fragen sich nun alle, hat Deutschland nach den letzten
Jahrhunderthochwassern nicht besser vorgesorgt? Was können wir jetzt besser machen?
Dafür gilt es, mehrere Teufelskreise zu durchbrechen.
Der erste Teufelskreis heißt: Schnell weg mit dem Wasser – zum Nachbarn. Eingriffe wie
Flussbegradigungen, Staustufen, Entwässerungen, Vertiefungen, Ufermauern und auch
höhere Deiche führen das Wasser immer schneller ab. Außerdem trägt der Verlust von
Feucht- bzw. Überschwemmungsgebiete zum Hochwasser bei. Für die Menschen
flussabwärts bedeutet das: mehr Wasser, schnellere und größere Flutwellen und dadurch
die Gefahr extremer Hochwasser mit zerstörerischer Wirkung. Es ist paradox, dass gerade
der technische Hochwasserschutz die Schadensentwicklung vielerorts verstärkt hat.
Der zweite Teufelskreis heißt: Aus den Augen aus dem Sinn. Je länger das Hochwasser
vorbei ist, desto stärker melden sich die Partikularinteressen und ihre Lobbys zu Wort.
Jürgen Trittin hat in der Folge des Elbehochwassers 2002 ein konsequentes
Hochwasserschutzgesetz vorgelegt. Bis zu seiner Verabschiedung 2005 wurde es durch
immer mehr Ausnahmen im Rahmen der Verhandlungen mit den Ländern immer weiter
aufgeweicht. Und die Föderalismusreform II tat ihr Übriges. Die Kommunen wollten weiter
neue Gewerbe- und Wohngebiete in hochwassergefährdeten Bereichen ausweisen. Die
Landwirte wollten weiter auf den Überflutungsgebieten ackern. Den Ländern war der
ökologische Hochwasserschutz zu teuer. Und so weiter und so fort. Vom Klimaschutz, von
dem große Koalition und Schwarz-Gelb sich zunehmend verabschiedet haben, ganz zu
schweigen.
Der dritte Teufelskreis heißt: Bauen und Ackern in der Aue sind die größten Hindernisse
dafür, den Flüssen und ihren Auen endlich wieder so viel Raum zu geben, dass die
Retentionsräume Hochwasserspitzen abfangen können. Zugleich entstehen beim
Hochwasser die größten Schäden in Gewerbegebieten und Siedlungen, die unter
Vorsorgegesichtspunkten gar nicht in der Aue hätten entstehen dürfen. Auch auf Äckern,
die auf Auengrünlandstandorten umgebrochen wurden entstehen Schäden und damit
verbundene Kosten. So werden gleichzeitig dringend notwendige Deichrücklegungen
verhindert und Milliarden öffentlicher Gelder verschwendet. Gleichzeitig entstehen genau
dort die größten Entschädigungsbedarfe nach Hochwässern.
Ökologischer Hochwasserschutz jetzt!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben nach den katastrophalen Fluten an Elbe und Donau
noch im Jahr 2002 die Konsequenzen gezogen. In Regierungsverantwortung haben wir
mit einem 5-Punkte-Programm zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes
eine Politik eingeleitet, deren Ziel es ist, Schäden intelligent entgegen zu wirken, den
eingezwängten Flüssen mehr Raum zu geben, den Kompetenzdschungel beim
Hochwasserschutz zu lichten sowie den Herausforderungen des Klimawandels Rechnung
zu tragen. Leider wurden in der Folge viele wichtige Reformen nicht umgesetzt, die
Rückgewinnung von Überschwemmungsgebieten z.B. blieb in Anfängen stecken.
So wurden an der Elbe 35.000 ha als Flächen zur Auenrenaturierung, Deichrückverlegung
oder als mögliche Polder identifiziert, aber nur 5% davon wurden überhaupt angegangen.
So sind in Sachsen erst 111 Hektar (1,5 Prozent) der ursprünglich geplanten 7.500 Hektar
Überflutungsflächen geschaffen worden. Von den 530 Millionen Euro für den sächsischen
Hochwasserschutz wurden nur 5 Millionen Euro in die Schaffung von Überflutungsflächen
investiert worden. Das sind unter ein Prozent, der für Hochwasserschutz verwendeten
Mittel. In Bayern wurde von 7 neuen großen Rückhaltebecken bisher nur eines
verwirklicht.
Neben der Dominanz des technischen Hochwasserschutzes ist auch fehlendes
(Fach)Personal eine der Hauptursachen für die Verschleppung des naturnahen
Hochwasserschutzes. Sachsen-Anhalt zum Beispiel hat im Zeitraum von 2007 bis 2011
schon 43 Stellen im Bereich des Hochwasserschutzes abgebaut (ca. zehn Prozent).
Insgesamt sollen laut Personalentwicklungskonzept dort 164 Stellen in diesem Bereich
eingespart werden.
Dies alles zeigt, dass das 2002 begonnene Umdenken gestoppt wurde, es ist viel zu
wenig passiert. Dass es auch anders geht, zeigt das grün-rot regierte BadenWürttemberg. Das integrierte Rhein Programm ist nach 25 Jahren erst zu 60%
abgearbeitet, in Baden-Württemberg sind erst 3 von 13 Hochwasserrückhalteräumen
fertiggestellt und einsatzbereit. Es gibt keine Deichrückverlegungen und Regelungen zur
ökologischen Flutung von Poldern. Jetzt wurden nach dem Regierungswechsel die Mittel
für den Hochwasserschutz nahezu verdoppelt, auch für ökologische
Hochwasserschutzmaßnahmen. Erste Wirkungen werden aber erst in 5-10 Jahren
einsetzen.
Außerdem ist Hochwasservorsorge auch sinnvolle Haushaltspolitik. Der Nutzen von
naturverträglichen Hochwasserschutzmaßnahmen wie z.B. Deichrückverlegung und
Überschwemmungsflächen ist ein Vielfaches höher als deren Kosten.
Dies alles zeigt auch: Die Kosten der Flutkatastrophe von heute sind die Folge fehlender
und falscher Maßnahmen von gestern. Bei der Wiederaufbauhilfe nach dem Hochwasser
muss es nun vorrangig darum gehen, die Fehler der Vergangenheit rückgängig zu machen
und vor allen Dingen nicht zu wiederholen.
Grüne Maßnahmen – den Flüssen wieder Raum geben
Rund 80 Prozent der Flüsse und Auen in Deutschland sind durch unangepasste
Landwirtschaft, Gewässerausbau und eine rein auf Wachstum ausgerichtete Verkehrs-,
Gewerbe- und Siedlungsentwicklung weitestgehend verbaut, reguliert oder anderweitig
verändert. Dabei sind Auen für die Sicherheit der Menschen unabdingbar, weil sie Wasser
zurückhalten und Flutwellen bremsen. Unseren Flüssen stehen nur noch rund ein Drittel
der ehemaligen Überschwemmungsflächen zur Verfügung, an den Strömen Rhein, Elbe,
Donau und Oder sogar nur ca. 10 bis 20 Prozent.
Die falsche Nutzung der Auen geht auch zu Lasten der Biodiversität. Flussauen sind ein
besonders artenreicher und vielfältiger Lebensraum und eine wichtige Säule in der
Nationalen Biodiversitätsstrategie. Mit dem Verlust dieses natürlichen Reichtums ergeben
sich für den Menschen viele weitere Nachteile: z.B. wird das Trinkwasser wird nicht mehr
durch gesunde Auenböden gereinigt, die Flusslandschaften verlieren an Attraktivität und
viele Schadstoffe und Nährstoffe werden nicht mehr zurückgehalten. Intakte Auen stellen
der Gesellschaft diese Ökosystemleistungen kostenlos zur Verfügung.
Wir müssen den Schutz der Gewässer und Auen deutlich verbessern, Auen renaturieren
und frei fließenden Flüssen Vorrang gewähren. Das erfordert tiefgreifende Veränderungen
wie Nutzungsänderungen, Deichrückbauten und Rücknahmen von Flussbegradigungen,
die sich nicht nur auf wasserbauliche Maßnahmen beschränken, sondern auch auf die
Wiederherstellung der auentypischen Vielfalt gerichtet sein müssen.
Im Rahmen eines bundesweiten Fluss – und Auenschutzprogramms, als wichtige
Maßnahme des Hochwasserschutzprogramms, sollen u.a. alle in öffentlichem Besitz
befindlichen Gewässerrandstreifen und BVVG-Liegenschaften in tatsächlich ungenutzte
Renaturierungsflächen umgewandelt werden. Bewirtschaftungsauflagen bei Gewässern
und ihren Auen – insbesondere, wenn sie die Teil des europaweiten Schutzgebietssystems
Natura 2000 sind - müssen strikt durchgesetzt werden.
Grüne Maßnahmen – Flächenversiegelung stoppen
Noch immer ist die Neuinanspruchnahme von Flächen in Deutschland viel zu hoch. Ziel
der nationalen Nachhaltigkeitstrategie ist es, den Siedlungs- und
Verkehrsflächenverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu senken. In den
Jahren 2008-2011 lag die Inanspruchnahme bei 81 Hektar. Damit wächst die
Siedlungsfläche in Deutschland jährlich immer noch um 30.000 ha. Und das, obwohl die
Bevölkerungszahl zurückgeht. Der größte Zuwachs entfällt dabei auf Siedlungs- und
Verkehrsflächen, insbesondere im verdichteten Umland der Gemeinden. Die bisher
erreichte Reduzierung ist unzureichend.
Im Boden kann Wasser versickern – in Beton nicht. Grün- und Freiflächen verlangsamen
und verringern den Abfluss von Niederschlagswasser in Menge und Geschwindigkeit.
Durch die Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsfläche gehen städtische und ländliche
Grün- und Freiflächen verloren. Das hat negative Folgen für die Abflussregime, der Abfluss
von Niederschlagswasser erfolgt ungebremster und in stärkerem Ausmaß.
Ein wirksames Hochwasserschutzkonzept muss daher unbedingt die Verringerung des
Flächenverbrauchs und die Stärkung von städtischem Grün beinhalten. Wir wollen
mittelfristig den Flächenverbrauch ganz stoppen, jede neue Versiegelung muss durch eine
Entsiegelung kompensiert werden. Abgaben und Steuern sollen mit ökologisch wirksamen
Komponenten versehen werden damit die Nutzung von Brachflächen, Entsiegelung und
Rückbau attraktiver wird als Neuversiegelung. Im Baugesetzbuch wollen wir städtische
Grünflächen stärken, Kommunen müssen verpflichtend Brachflächenkataster führen und
bei der Ausweisung von Neubaugebieten nachweisen, dass keine hinreichenden
Potenziale im Innenbereich vorliegen. Außerdem müssen bei Baumaßnahmen die
Infrastruktur-Folgekosten berechnet werden. Über eine Stärkung der nachhaltigen
Mobilität soll das Wachstum der Verkehrsflächen und unnötiger Verkehre minimiert
werden.
Grüne Maßnahmen – in den Auen nicht mehr bauen
Die Neubebauung von hochwassergefährdeten Flächenmuss gestoppt werden. Städte
und Gemeinden müssen ihre Siedlungsstrategie den Hochwassergefahren anpassen.
Bestehenden Ausweisungen in Flächennutzungsplänen müssen überprüft und ggf.
zurückgenommen werden. Fördermittel des Bundes dürfen in hochwassergefährdete
Bereiche nur noch fließen, wenn Konzepte zur hochwasserrisikoangepassten
Siedlungsentwicklung vorliegen. Wenn Kommunen in Zukunft in hochwassergefährdeten
Gebieten Baugenehmigungen erteilen, sollten sie im Schadensfall schadensersatzpflichtig
gemacht werden. Wir benötigen bundeseinheitliche Regelungen für den Umgang mit
wassergefährdenden Stoffen sowie ein durchgängiges Verbot von Ölheizungen in
Überschwemmungsgebieten.
Der Schutz der Infrastruktur und von Gebäuden darf nicht auf die ausgewiesenen
Überschwemmungsgebiete reduziert werden. Mit vermehrten und stärkeren Hochwassern
müssen auch die überschwemmungsgefährdeten Siedlungsflächen stärker berücksichtigt
werden. Im Falle des Versagens von Hochwasserschutzeinrichtungen, wie z.B.
aufgeweichte und gebrochene Deiche, aber auch gezielte Öffnungen von Deichen, sind
Schäden in eigentlich geschützten Gebieten die Folge. Hier ist die Regionalplanung in der
Pflicht, durch Vorrang- und Vorbehaltsgebiete weitere Bebauung und unangepasste
Nutzungen zu unterbinden oder unter Auflagen zu stellen.
Maßstab für den Hochwasserschutz, für die Ausweisung von Baugebieten etc. ist der
jeweilige Wert für das „Jahrhunderthochwasser“ „HQ 100“, ein statistischer Wert, der
angibt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von bestimmten Hochwasserhöhen ist. Die
Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Hochwässer höher und häufiger werden,
sodass das, was man bisher als „HQ 100“ gewertet hat, jetzt als „HQ 50“ oder gar „HQ 10“
anzusehen ist.
Außerdem haben die Häufigkeiten von extremen Wetterlagen zugenommen. Daher sind
überall die Werte für die Hochwassergefahren neu zu berechnen und die Vorsorge- und
Schutzmaßnahmen daran anzupassen. In vielen Bereichen werden die Betroffenen aber
auch wieder lernen müssen, mit dem Wasser zu leben. Dafür sind aber meist weder die
Häuser noch die Infrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten gebaut worden. Wir wollen
daher, dass die Hauseigentümer mit Beratung und finanziellen Mitteln dabei unterstützt
werden, ihre Häuser „wasserfest“ zu machen, damit das Wasser ohne Gefahr für die
Gebäude und die Umwelt (z.B. durch Heizöl) durchfließen kann. Auch mit der
Herausforderung Häuser energetisch zu modernisieren und gleichzeitig hochwassersicher
zu machen, darf man die Hauseigentümer nicht allein lassen. Auch die Kommunen dürfen
mit dem Problem der „Wasserfestmachung“ von Straßen, Kanälen etc. nicht allein
gelassen werden.
Grüne Maßnahmen – Ökologisierung der Landnutzung
Die abfließende Wassermenge ist neben Faktoren wie Morphologie, Geologie und
Niederschlagsverlauf auch von der Landnutzung sowie der damit zusammenhängenden
Bodenbedeckung abhängig. So verschlämmen bei nicht durch Vegetation völlig
abgedeckten Böden - z.B. auf Äckern - die feinsten Bodenpartikel die Porenstruktur des
Bodens und verhindern somit die Versickerung. Der Einsatz von schweren Maschinen
verdichtet den Boden zusätzlich. Wald und Wiese halten wesentlich mehr Wasser zurück
als Äcker. Untersuchungen haben gezeigt, dass Böden im ökologischen Landbau doppelt
so viel Wasser aufnehmen können wie konventionell bewirtschaftete Äcker. Auch im Wald
hängt die Wasserhaltefähigkeit stark von der Bewirtschaftung ab.
Verstärkt wird dieses Schadenspotenzial durch die Drainierung von großen Teilen der
landwirtschaftlich genutzten Flächen in den Einzugsgebieten der Flüsse. Eine
Untersuchung im Auftrag des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie in
Mecklenburg-Vorpommern ergab, dass rd. 65 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche
künstlich entwässert werden, in anderen Ländern sieht es ähnlich aus.
Wir benötigen mehr Wasserrückhalt in der Fläche, also in den Einzugsgebieten und in den
Gewässerauen. Wir benötigen eine Wiedervernässung von Mooren und Feuchtgebieten
um die höhere Wasseraufnahmekapazitäten wieder herzustellen. Natürliche
Wasserspeicher können so wieder reaktiviert werden, das ist aktiver Hochwasserschutz
schon in den Hochwasserentstehungsgebieten. Im Auenbereich müssen striktere
Nutzungseinschränkungen wie z.B. in der Landwirtschaft eine obligatorische
Grünlandnutzung sowie Restriktionen für Pestizide und Dünger eingeführt werden.
Wir wollen den Bodenschutz in der Landwirtschaft stärken und Maßnahmen gegen
Verdichtung und Erosion sowie zur Verbesserung der Humusreproduktion in der guten
fachlichen Praxis für die Landwirtschaft verankern. Boden- und Hochwasserschutz
dienliche Bewirtschaftungssysteme wie der ökologische Landbau, die extensive
Grünlandnutzung oder der Zwischenfruchtanbau sollen über die zweite Säule der
Europäischen Agrarpolitik gefördert werden.
Grüne Maßnahmen – ein umfassendes Hochwasserschutzprogramm
Flüsse sind lebendige Systeme, die keinen Halt an Grenzen machen. Es ist daher
dringend notwendig, dass der Hochwasserschutz solidarisch, grenz- und fachübergreifend
verstärkt von Bund und Ländern gemeinsam vorangetrieben wird.
Schwerpunkt aller künftigen Maßnahmen muss der ökologische Hochwasserschutz sein.
Alle weiteren Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes wie Deichbau- oder
-erhöhung müssen mit dem ökologischen Gesamtgefüge abgestimmt werden. Die
Maßnahmen des ökologischen Hochwasserschutzes – wie Vergrößerung des
Retentionsraums, Auen- und Flussrenaturierungen –sollen künftig prioritär finanziert
werden. Deichrückverlegungen und Polder, die bisher nicht realisiert wurden, müssen nun
schnellstmöglich umgesetzt werden. Im Flussgebiet der Elbe betrifft dies u.a. die Polder
Aussig, Dautzschen und Dommitzsch in Sachsen und den Polder Axien-Mauken in
Sachsen-Anhalt. Eine umfassende Beteiligung der Zivilgesellschaft ist dabei
Voraussetzung für das Gelingen und die Akzeptanz aller Hochwasserschutzmaßnahmen
und muss durch personelle und finanzielle der zuständigen Behörden ermöglicht werden.
Notwendig sind eine verbesserte Abstimmung der Maßnahmen zwischen den
Bundesländern, grenzübergreifende Planung von Wassermanagement und
Hochwasserschutz sowie die solidarische Finanzierung notwendiger Maßnahmen.
Länderegoistische Hochwasserplanung, die dann die Nachbarn vor unlösbare und
unfinanzierbare Aufgaben stellt, muss durch die systematische Zusammenarbeit von
Bund, Ländern und Kommunen für einen ganzheitlichen Hochwasserschutz im Rahmen
eines nationalen Hochwasserschutzprogramms abgelöst werden.
Das fordert auch die Umsetzung der EU-Hochwassermanagement-Richtlinie, die
europaweit eine einheitliche frühzeitige Erkennung und nachhaltige Verringerung von
Hochwasserrisiken auf der Basis von Hochwasserrisikomanagementplänen über die
Landesgrenzen hinaus verlangt. Der Bund muss eine führende und koordinierende Rolle
beim Hochwasserschutz einnehmen. Das soll auch als eine Aufgabe der
Bundesraumordnung begriffen werden, z.B. in Form eines Bundesraumordnungsplans
„Ökologischer Hochwasserschutz“. Der Raumordnungsbericht 2011 identifiziert den
Schutz der „Kritischen Infrastruktur“ als Belang von zentraler Bundesrelevanz. Gerade bei
Flusssystemen bedarf es einer integrierten Gesamtplanung. Der Beirat für Raumordnung
des BMVBS hat 2009 darauf hingewiesen, dass zum Hochwasserschutz
länderübergreifende Strategien erarbeitet werden müssen.
Hochwasserschutz und Renaturierung von Auen müssen als Schwerpunkte in ein neues
Bundeswasserstraßenkonzept integriert werden. Dazu sollen u.a. die Aufgaben der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung so angepasst werden, dass der Schutz des
Ökosystems Fluss mindestens den gleichen Stellenwert wie die Sicherheit und Leichtigkeit
des Schiffsverkehrs hat. So könnte die Wasser – und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
z.B. direkte Maßnahmen zum Hochwasserschutz entlang der Bundeswasserstraßen
durchführen und Koordinationsaufgaben zu übernehmen.
Zur Finanzierung kurzfristig geplanter Maßnahmen sollte ein Sonderrahmenplan zum
Hochwasserschutz in der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK)
eingerichtet und mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden. Mittelfristig müssen
Bund und Länder geeignete Finanzierungsinstrumente einrichten, um die Folgen des
Klimawandels und entsprechende Anpassungsstrategien zu finanzieren. Außerdem muss
geprüft werden, wie sich sozial verträglich ein angemessener Versicherungsschutz der
BürgerInnen vor Elementarschäden herstellen lässt.
Grüne Maßnahmen – Klimaschutz ist Hochwasserschutz
Auch wenn nicht jedes Wetterereignis mit dem Klimawandel zusammenhängt, gibt es doch
einen messbaren Zusammenhang zwischen Erwärmung und immer neuen Rekorden bei
Temperatur und häufigeren Niederschlagsereignissen. So hat das Potsdam Institut für
Klimafolgenforschung (PIK) nachgewiesen, dass extreme Regenfälle und extreme
Hitzewellen mit dem Klimawandel und den vom Menschen verursachten
Treibhausgasemissionen zusammenhängen.
Das bedeutet, dass mit zunehmender Erderwärmung auch Hochwasserereignisse häufiger
auftreten werden. Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik trägt zum Hochwasserschutz bei,
der hilft Schäden und Folgekosten durch Hochwasserkatastrophen zu vermeiden.
Spätestens seit der Vorlage des Berichtes von Nicholas Stern wissen wir, dass
vorsorgender Klimaschutz billiger ist, als die Beseitigung der Schäden. Nach einer Studie
der Münchner Rück aus dem Jahr 2012 belaufen sich die Kosten für Unwetterschäden seit
1980 auf mehr als eine Billion Dollar (772 Milliarden Euro). Damit haben sich diese
Schäden in den letzten 30 Jahren verfünffacht.
Doch gerade beim Thema Klimaschutz hat die Bundesregierung in den letzten Jahren
versagt. Im letzten Jahr sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland statt wie geplant
weiter zu sinken um 1,6 Prozent gestiegen und bedingt durch den Verfall des CO2 Preises
im europäischen Emissionshandel verdrängen klimaschädliche Kohlekraftwerke
zunehmend hocheffiziente Gaskraftwerke. Die Bundesregierung schaut tatenlos zu, es
gibt keine Initiative zur Unterstützung der europäischen Vorschläge zur Reform des
Emissionshandels oder zur Anhebung des europäischen Klimaziels.
Neben den dringen notwendigen Anstrengungen zur weiteren Verminderung der
Treibhausgasemissionen kommt der Klimaanpassung eine zunehmende Bedeutung zu. In
dem Maße, wie die Treibhausgasemissionen weiter zunehmen und die Erderwärmung
steigt, müssen die Anstrengungen intensiviert werden, den unvermeidbaren Auswirkungen
des Klimawandels zu begegnen und das Unvermeidliche zu bewältigen. Wir Grüne stehen
für eine möglichst umweltverträgliche und naturnahe Anpassung an den Klimawandel. Es
wäre fatal, wenn zur Bekämpfung der Folgen dieser globalen Umweltkatastrophe
Strategien oder Technologien zur Anwendung kämen, die neue, unbeherrschbare
Umweltgefahren mit sich bringen und schlimmstenfalls die Anfälligkeit verstärken, anstatt
sie zu mildern. Beispiele für solche „Fehlanpassungen“ können auch Infrastrukturen zum
technischen Hochwasserschutz sein, wie sie die natürliche Dynamik von Küsten- und
Flusssystemen stören.
Deutschland muss wieder ein Vorreiter beim Klimaschutz werden. Dafür muss die
Bundesregierung den Klimaschutz zu einem zentralen Politikfeld machen und an die
anspruchsvolle Klimaschutzpolitik, wie sei seinerzeit von Rot-Grün begründet wurde,
anknüpfen. Dazu braucht es ein Klimaschutzgesetz, dass das nationale Klimaziel von
derzeit minus 40 Prozent bis 2020 verbindlich festschreibt und mit den notwendigen
Zwischenzielen für die verschiedenen Emissionssektoren versieht, um bis 2050 eine
Emissionsreduktion von mindestens 95 % zu erreichen. Und es braucht ein Programm
zum Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen, damit Emissionen von
klimaschädlichen Treibhausgasen nicht weiter zu Lasten öffentlicher Haushalte gefördert
wird.
Deutschland muss auch wieder eine aktive Rolle in Brüssel einnehmen und Einsatz für
eine wirksame Reform des Emissionshandels und eine Initiative für die dringend
erforderliche Anhebung des europäischen Klimaziel von derzeit minus 20 Prozent auf
mindestens minus 30 Prozent bis 2020 zeigen.