Kirsche, Vom Einfluss der Heidelbacher Glashütte auf die Seiffener

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Kirsche, Vom Einfluss der Heidelbacher Glashütte auf die Seiffener
Pressglas-Korrespondenz
2009-4
Albrecht Kirsche
1986
Vom Einfluss der Heidelbacher Glashütte auf die Seiffener Volkskunst
Artikel aus Sächsische Heimatblätter, Heft 1 / 1986, S. 33-36
Gefunden und zur Verfügung gestellt von Herrn Dieter Neumann. Herzlichen Dank!
Seit 1980 werden durch ein kleines Kollektiv von Heimatfreunden Forschungen zur Geschichte der Glasproduktion im östlichen Erzgebirge betrieben. Diese Forschungen ergaben, dass vor allem die Heidelbacher
Glashütte eine wesentlich größere Bedeutung hatte, als
bisher bekannt war - sowohl ethnographisch als auch
künstlerisch. [1]
Bereits vor einigen Jahren äußerte der Volkskundler Johannes Eichhorn, Seifen, die These: „Mit Sicherheit
kann angenommen werden, dass die Seiffener Volkskunst in Holz durch die an der Heidelbacher Hütte
geübte Glaskunst wesentlich angeregt und beeinflusst
worden ist.“ [2] Diese These und das verstärkte Bewusstwerden der Bedeutung dieser Glashütte veranlassten den Verfasser, die Zusammenhänge zwischen der
Glashütte und der Seiffener Volkskunst näher zu betrachten.
Noch 1682 wird geschrieben, dass „Wo man aber sonst
mit dem Holtz nichts vorzunehmen / da ist eine nützliche und wohl eintragende Wirtschaft / eine Glashütte zu
machen / also wird das sonst nichts gültige Holz teuer
genug bezahlt / am besten geschieht das an diesem Ort /
wo man gantze Wälder abraumen / dieselben zu Felder
und Wiesen verkehren will ... “ [3]
Abb. 2009-4/324
Blauglas mit sächsischem Wappen, datiert 1674, Heidelbach
aus Kirsche 2005, S. 143, Abb. 41
Abb. 2009-4/323 / Abb. 1:
Humpen mit dem Wappen der Familien von Schönberg
und von Einsiedel, datiert 1585, Heidelbach
Aufbewahrt im Kunstgewerbemuseum Prag, ČSSR
Foto: Urbanek, Prag
Die zahlreichen Wüstungen alter Glashütten [4], die
in jüngster Zeit entdeckt wurden, bewiesen, dass diese
Aussage auch für das Erzgebirge zutrifft. Die meisten
dieser Produktionsstätten waren einfache Waldglashütten. Zu künstlerischer Bedeutung gelangten davon nur
die Marienberger und die Heidelbacher Hütte. Beide
wurden von Mitgliedern der bedeutenden Glasmacherfamilie Preußler geführt. Die Marienberger Hütte stellte bereits 1698 die Glasproduktion ein. Die Heidelbacher Hütte produzierte jedoch, vielleicht mit einigen
Unterbrechungen, bis mindestens 1827, sowohl einfaches Gebrauchs- und Flachglas als auch künstlerisch
wertvolles Glas.
Zur Bedeutung der Glashütte Heidelbach
Die Glasmacherei ist neben dem Bergbau wohl mit der
älteste Broterwerb im Erzgebirge. Glashütten waren
maßgeblich an der Rodung, der Vorbereitung zur Urbarmachung, beteiligt.
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Mit Erzeugnissen dieser Glashütte wurden u.a. die Hofapotheke in Dresden und verschiedene Hofkellereien
Sachsens ausgerüstet, die nur Waren von guter Qualität
aufnahmen. Noch 1752 waren die Erzeugnisse aus Heidelbach in Dresden sehr begehrt. Die Besitzerin der
Heidelbacher Glashütte, Kammerrätin Nehmitz, erlaubte sich bei einem Streit um Geleitgeldzahlung in
Rechenberg zu äußern, dass sie bei Nichterfüllung ihrer
Bitte „die Glaslieferung besonders zur Hoffkellerey einzustellen sich genötigt sehe“. [5]
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Stand 06.12.2009
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In der Heidelbacher Hütte waren Glasschleifer tätig, die
gegenwärtig nur auf Grund von Scherbenfunden nachgewiesen werden konnten. Hier arbeiteten sehr früh
Glasschneider, wie die Brüder Caspar und Wolfgang
Schindler, die Anfang des 17. Jahrhunderts vom „Porschenstein” nach Dresden gingen. In dieser Kunststadt
wurde Caspar auf Grund seiner Fähigkeiten zum Hofglasschneider ernannt.
Glasmaler brachten es zu hoher künstlerischer Fertigkeit. Die vier Glasgemälde von 1612 im Fenster der alten Schlosskapelle zu Purschenstein, die im Museum
für Kunsthandwerk Dresden aufbewahrte Blauglasflasche von 1674 und der mit 1585 datierte Humpen im
Kunstgewerbemuseum Prag (Abb. 2009-4/323) sind dafür noch heute eindrucksvolle Zeugen.
Abb. 2009-4/325 / Abb. 2:
Glasspinne in der Kirche zu Seiffen,
Heidelbach, um 1670
Foto: Georgi, Schneeberg
Abb. 2009-4/326 / Abb. 3:
Seiffener Holzspinne, 1982
(Pfeil zeigt auf Knaufelement). Foto: Kirsche
Die gegenseitige Beeinflussung zwischen
Glasmacher und Drechsler
In jeder Glashütte, die Hohlglas produzierte, wurde
auch ein Formenmacher gebraucht. Diesem Handwerker wurde bei der Erforschung alter Glashütten sehr wenig Beachtung geschenkt. Vielleicht übernahm seine
Tätigkeit in früher Zeit der Glasmeister selbst, denn „so
wie alle mittelalterlichen Schöpfer künstlerischer Werte
war auch der Glasmacher des Mittelalters Entwerfer,
Gestalter und Handwerker in einer Person“ [6]. Aber
mit den höheren Ansprüchen, die an die Gläser gestellt
wurden, wuchsen auch die Ansprüche an die FormenStand 06.12.2009
herstellung. „Bei den Hohlglashütten stemmte in älterer
Zeit der Formenmacher die Formen mit dem Meißel
aus, bis ihn der Formendrechsler ablöste. Dessen
Drehbank war für das Treten mit dem Fuße eingerichtet.
Drechsler und Hüttenmeister mussten gut zusammenarbeiten im Interesse des künstlerischen Eindrucks der
Gläser, und der Drechsler galt häufig als die rechte
Hand des Meisters. Diese Holzformen wechselten je
nach der Mode …“ [7]. Obgleich es bis jetzt noch nicht
gelungen ist, einen Formendrechsler an der Heidelbacher Glashütte urkundlich zu belegen, beweisen doch
die hier hergestellten Gläser [8] und Bodenfunde, u.a.
ein altes Drechseleisen, dass auch hier dieses Handwerk
vertreten war. Die erste Drechselbank im Seiffener
Winkel wird bereits im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in der Heidelbacher Glashütte gestanden haben.
Als erster Holzdrechsler in Seiffen wird Georg Frohs
1644 erwähnt. Nach Eichhorn [9] ist vermutlich ein
Vorfahre der Familie Frohs aus Italien an die Heidelbacher Glashütte gekommen. Es ist daher anzunehmen,
dass dieser Georg Frohs Formendrechsler war. Die letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges, in denen das
Seiffener Gebiet besonders von Plünderungen betroffen
war, wirkten sich auch negativ auf Produktion und Absatz der Glashütte aus. Frohs drechselte, vielleicht wegen Arbeitsmangels in der Glashütte, Gebrauchsgegenstände, zum Beispiel Teller und Spindeln. Die letzteren
werden vor allem für die Hütte gearbeitet worden sein,
denn wie zahlreiche Funde beweisen, wurde hier die dazugehörigen Spinnwirtel aus Glas hergestellt. Ein überzeugender Beweis, dass ein enges Wechselverhältnis
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zwischen den Glasmachern und den Drechslern bestanden haben muss.
Interessant in dieser Beziehung ist die Familie Hiemann.
1615 wird ein Andreas Hiemann als Glasmacher an
der Glashütte erwähnt. Einer seiner Enkel, Caspar Hiemann (1653-1723) war Nachtschürer an der Glashütte.
Dessen Bruder, Johann Friedrich Hiemann (16691737) war Drechsler und Händler in Heidelbach. 1699
soll er als erster die Seiffener Holzwaren zur Leipziger Messe gebracht haben.
Ein Willkommen ist bekanntlich ein größeres und besonders gestaltetes Trinkgefäß, oft aus Glas oder Edelmetall, daraus nahm bei Festlichkeiten jeder ankommende Gast einen Begrüßungstrunk. Es kann wohl angenommen werden, dass diesem hölzernen Willkommen
als Vorbild ein gläserner Willkommen diente, der in der
Heidelbacher Hütte hergestellt wurde. Diese „KunstDrechsel-Fabrique” bzw. das Verlagsgebäude befanden
sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Glashütte Hei
delbach.
Die guten Beziehungen der Drechsler zur Glashütte äußern sich auch in den zahlreichen Patenbriefen, die
„H. Sigismund August Mehrheim Factor in der Glashütte Heidelbach“ [12] von den Seiffener und Heidelbacher
Drechslern erhielt. Oft werden sie bei solchen Feiern
auch Gedanken über ihre Produktion ausgetauscht haben.
Abb. 2000-6/029
Seiffener Holzluster „Holzspinne“, 1960
aus Kirsche 1994, S. 44
Sammlung Spielzeugmuseum Seiffen
Abb. 2009-4/327 / Abb. 4
Porzellan- und Tonteile, gefunden auf den Fluren der ehemaligen Heidelbacher Glashütte. Foto: Kirsche
Der künstlerische Einfluss der Glashütte
Einen weiteren Beweis für die Vorbildwirkung der
Glashütte auf die Seiffener Volkskunst liefern die Produkte selbst. Das geeignetste Erzeugnis, um den künstlerischen Einfluss zu erklären, sind die „Hängeleuchter
in der typischen Auszier der Seiffener Drechsler“
[13].
Aus einer anderen Linie der Hiemanns stammte der
Glaser und Bergmann Johann Christoph Hiemann
(1683-1748). Sein ältester Sohn Johann Adam Hiemann (1713-1782) wird anfangs als Drechsler und später als Fabrikbesitzer und Verleger genannt [19]. Anlässlich der feierlichen Übernahme der Herrschaft Purschenstein durch Adam Rudolph von Schönberg am 27.
Oktober 1772 wird sein Erscheinen wie folgt beschrieben: „Endelich wurde auch ebenfalls durch den Gerichts-Direktor zween Abgeordneten der KunstDrechsler-Fabrique zu Heydelberg, Nahmens Johann
Adam Hiemann und dessen Sohn präsentiert, welche Ihro Excellens durch Überreichung eines kunstmäßig gedrehten, hölzernen Willkommens mit der Aufschrift:
Vivat Rudolph auf einem gedrehten hölzernen Praesentier-Teller, die Drechsler-Fabrik zu Heydelberg zu hoher Protection untertänigst empfohlen; aus welchem
Willkommen die hohe Gesundheit von Ihro Excellenz
sicherlich getrunken wurde“ [11].
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Der älteste Hängeleuchter in Seiffen ist die Glasspinne
in der Seiffener Kirche (Abb. 2). Wie Funde von verschiedenen Glasprismen auf dem ehemaligen Heidelbacher Glashüttengelände beweisen, wurden hier derartige Leuchter hergestellt. In den Rechnungen zum Kirchenneubau 1779 findet man die Notiz: „5 Groschen
den großen Hauptleuchter scheuern und auszuputzen, da
er wohl in 100 Jahren nicht kann gescheuert worden
sein.” [14]
In Böhmen wurden Glaslüster mit Spindel und geschwungenen Armen, die die Spinnen charakterisieren,
erst ab etwa 1770 hergestellt. Die Glasspinne in Seiffen
ist jedoch um hundert Jahre älter. Das unterstreicht die
Annahme, dass sie in Heidelbach hergestellt wurde.
Zwei weitere Glasleuchter der Seiffener Kirche wurden
1784 bzw. 1815 gestiftet. Sie könnten ebenfalls aus
Heidelbach stammen. Der vierte Leuchter wurde 1884
gestiftet und kann kein Produkt der Heidelbacher Hütte
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sein. Aber auch dieser diente den Drechslern, wie alle
Glashängeleuchter in der Seiffener Kirche, als Vorbild
für ihre Hängeleuchter aus Holz. Denn so teure Glasleuchter konnte sich keiner der Drechsler leisten. Betrachtet man die Seiffener Holzspinnen und andere
Hängeleuchter einmal genau, kann man feststellen, mit
welch einfachen Mitteln der Drechsler die Elemente der
Glasleuchter in Holz nachgebildet hat. Der Glanz des
Glases wurde meist mit Goldbronze nachgeahmt.
Goldbronze aber war teuer, so wurden nur kleine Teile,
wie Sterne, Kugeln, Glöckchen und Prismen, damit bemalt. Größere Teile wurden mit billigeren Farben bemalt. Letztere erhielten teilweise noch bunte Striche, die
die Spektralfarben der Glasprismen imitieren sollten.
vorherrschte. Häufig auftretende Verzierung war die
Punktreihe. Diese findet man auch heute noch als typisches Zierelement eben an Seiffener Figuren.
Seiffener Figuren unterscheiden sich durch diese
Merkmale von denen aus Grünhainichen, die schon allein durch mehr Bewegung gekennzeichnet werden.
Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man Erzeugnisse aus Berchtesgaden oder dem Grödner Tal
betrachtet. Figuren dieser Gegenden sind voller Bewegung und voller farbiger Verzierungen. Beispielsweise
werden Knopfleisten nicht wie im Seiffener Gebiet als
Punktreihen gestaltet, sondern meist nur als Striche angedeutet.
Einen weiteren Hinweis auf die Zusammenarbeit der
Glasmacher und der Drechsler gibt eine Gruppe von
Funden, die auf dem Terrain der Glashütte in großer
Zahl gemacht wurden. Es sind aus Ton gebrannte
Speichen- und Vollräder. Sie konnten nur für Spielzeug verwendet worden sein. Des weiteren sind es
Bruchstücke von Porzellanfiguren aus der Biedermeierzeit und ein Porzellanpuppenkopf (Abb. 4). Es wird
angenommen, dass diese Erzeugnisse in den letzten Jahren des Bestehens der Heidelbacher Hütte in den Glasöfen mit gebrannt wurden. Auch einige dieser Puppenköpfe könnten u.a. für die Weiterverwendung bei Holzwaren gedient haben. Aufwendige Teile zum Beispiel
wurden von den Seiffener Spielwarenmachern aus Masse hergestellt. Noch in diesem Jahrhundert waren Teigarme, Teigfüße und Teiggesichter an größeren Figuren keine Seltenheit. Vielleicht waren derartige Puppenköpfe für die heute rar gewordenen Engelpuppen mit
gedrechseltem Körper und Porzellankopf vorgesehen.
Auch Auguste Müller wendete diese Technik bei der
Figur „Fräulein Erika” an [15].
Abb. 2009-4/328 / Abb. 5:
Glasträger, nach mündlichen Überlieferungen in Heidelbach
hergestellt, gilt seit 1939 als verschollen.
Foto: Markert, Grönningen [siehe unten Anmerkung SG]
Aus Glas geschliffene Knaufelemente werden vom
Drechsler in höchst eigenständiger Weise nachempfunden. Er drechselt dafür mehrere Rundringe und schneidet diese auseinander. Die entstandenen Ringsegmente
werden an einer dünnen Stelle der Spindel an den Umfang geklebt (Abb. 3). Oder es wird ein selbständiges
Schmuckelement hergestellt, das dann meist den unteren Abschluss eines Hängeleuchters bildet. Zündet man
die Kerzen des Leuchters an, spielt das Licht in diesen
Gebilden fast so schön wie im Glas. Bei einer näheren
Betrachtung der verschiedenen hölzernen Hängeleuchter
wird man noch weitere Parallelen zu den Glasleuchtern
feststellen.
Wie der Glasträger (Abb. 5) und verschiedene Funde
beweisen, wurden an der Heidelbacher Hütte Figuren
aus Glas produziert. [SG: dieser „Glasträger“ wurde in
Portieux in Lothringen / Frankreich spätestens ab 1894
hergestellt. Er ist sicher als Andenken ins Erzgebirge
gekommen.
Siehe
http://www.pressglaskorrespondenz.de/aktuelles/pdf/pk-2000-6w-sgglastraeger-portieux.pdf und http://www.pressglaskorrespondenz.de/aktuelles/pdf/pk-2006-1w-christophglastraeger-portieux.pdf]
Abb. 2000-6/033
Werdegang der Reifentiere
aus Kirsche 1994, S. 48
Man findet diese Elemente aber nicht nur an Hängeleuchtern. Auch viele Seiffener Pyramiden tragen unter den Kerzenhaltern, in den Rundbögen und an anderen Stellen derartige Teile.
Für eine echte Seiffener Figur ist die steife Dockenform
mit einer dezenten Bemalung typisch. Auch hier haben
sicherlich die Heidelbacher Glasmacher Einfluss genommen. Sie hatten es über Jahrhunderte gelernt, Docken in Form von Gläsern kunstvoll zu bemalen. Die
der Heidelbacher Hütte zugeschriebenen Gläser und
Funde unterstreichen, dass hier eine schlichte Bemalung
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Das Reifendrehen und die Glashütte
Hat die Glashütte auch Einfluss auf die Entwicklung des
Reifendrehens genommen? Viele Vermutungen wurden angestellt, die die Herkunft des Reifendrehens erklären sollten.
Bilz schreibt, dass die Entstehung des Reifendrehens
keine Erfindung, sondern ein langer Entwicklungsprozess war. Anfangs wurden nur Zubehörteile, später
Häuser und als Krönung die Reifentiere hergestellt
[16].
Abb. 2000-6/030
Das Preißlersche Reifendrehwerk in Heidelberg / Seiffen
(Freilichtmuseum Seiffen). Gleichzeitig ein Blick in die Formendrehstube einer Glashütte um 1800
aus Kirsche 1994, S. 53
Grauwiller meint dazu jedoch, dass „gerade die schlichte Form eines Häuschens heute auch einem geübten Reifendreher einige Probleme stellt. Die rechten Winkel der
Grundfläche zu den Wänden, das hervorspringende
Dach und die geforderte Symmetrie des Hauses sind
schwierig herzustellen, da optische Täuschungen dem
Reifendreher oft Streiche spielen.“ [17] Sollte das Haus
doch eine erste Form der Reifendreherei gewesen sein,
muss dieser Drechsler ein hervorragendes Vorstellungsvermögen gehabt haben. Der Formendrechsler an der
Glashütte hatte dieses Vorstellungsvermögen. Er konnte
komplizierte Formen drechseln, ohne dass er sofort das
Profil seines Erzeugnisses sah. Erst als die Form aufgesägt wurde, konnte der Drechsler erkennen, wie die
Form gelungen war.
Die relativ großen Serien, die an gleichartigen Spielzeugteilen hergestellt werden mussten, regte den Formendrechsler zur Rationalisierung an. Er drechselte
Reifen und stellte daraus gleiche Teile her. Die ersten
Reifen werden Zubehörteile und Häuser gewesen sein,
wie es auch der Bestellmeier-Katalog von 1802 zeigt.
Sie wurden wohl im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in der Formendrechselstube der Heidelbacher
Glashütte hergestellt. Durch die territoriale Nähe der
Glashütte zu Heidelberg hat sich die Reifendreherei
auch hier besonders gut ausgebildet. Hier waren stets
die besten und meisten Reifendreher tätig.
Abb. 2000-6/038 / Abb. 6:
Formendrechsler einer Glashütte, 1985.
Formendrehen für Beleuchtungsglas, Glashütte Radeberg 1985
Foto: Geyer, Neuhausen
aus Kirsche 1994, S. 55
Vergleicht man das Reifendrehen mit den Arbeiten an
einer Formendrehbank heutiger Glashütten (Abb. 6), so
erkennt man folgende Gemeinsamkeiten:
Beide Techniken
Aus einer Akte von 1778 erfährt man, dass durch Holzmangel „mithin die Erliegung dieser seit 200 Jahren im
Gange gewesenen Glasfabrique unausbleiblich” war.
Den „Amtsunterthanen” wurde „durch deren Erliegen
Verdienst und Nahrung entzogen, dahero in große Armuth und Dürftigkeit gesetzt“. [18]
In dieser Zeit werden einige Glasmacher aus Heidelbach abgewandert sein. Doch der Formendrechsler
hatte in dem Ort, in dem sich die Produktion gedrechselter Holzwaren gefestigt hatte, erneut annehmbare Verdienstmöglichkeiten. War er doch wahrscheinlich der
erfahrenste und geschickteste Drechsler im Seiffener
Gebiet.
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- verlangen vom Drechsler hohes handwerkliches
Können und gutes Vorstellungsvermögen;
- werden auf einer Plandrehmaschine ausgeführt;
- verlangen feuchtes, astfreies Holz als Werkstück;
- werden mit Werkzeugen ausgeführt, die wesentlich
größer dimensioniert sind als Werkzeuge, die beim
normalen Drechseln verwendet werden;
- werden nur mit einfachsten Schablonen als Messhilfen ausgeführt;
- sind ein kombiniertes Verfahren von Plankonturund Innenkonturdrehen. (Beim Reifendrehen kommt
das übliche Längskonturdrehen hinzu.)
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Ein Unterschied zwischen den beiden Techniken liegt in
der Verwendung von Buchenholz in der Formendrechslerei und Fichtenholz bei der Reifendreherei.
Der Grund liegt in der weiteren Verwendung. Glasformen müssen hohe Temperaturen aushalten und trotzdem
maßhaltig bleiben. Das Holz der Reifen dagegen soll
gut spaltbar und einfach zu beschnitzen sein. Außerdem
ist wohl auch die Masse der herzustellenden Produkte
für die Verwendung von billigerem und reichlich vorhandenem Fichtenholz bei der Reifendreherei eine wesentliche Ursache für diesen Unterschied. Trotz dieses
Unterschiedes sind wohl die Gemeinsamkeiten der
Techniken so reichlich, dass ein Einfluss der Heidelbacher Glashütte auf die Reifendreherei und damit auf die
gesamte Seiffener Volkskunst erkennbar wird.
Der Bergmann, der Glasmacher
und der Drechsler in Seiffen
Bisher wurde der Bergmann als der einzige Träger der
Tradition in der Seiffener Volkskunst bezeichnet. Aber
die Grundlagen für die spezifische Holzgestaltung im
Seiffener Winkel wurden auch in der Glashütte gelegt.
Nach dem Niedergang des Bergbaues wurden die
Bergleute Drechsler, weil ihnen die Drechselbank aus
der Glashütte bekannt war. Die „arbeitslosen“ Bergleute
stellten so die notwendige Masse an Arbeitskräften, um
die Drechselkunst im Seiffener Winkel heimisch werden
zu lassen. Ohne diese freiwerdenden Arbeitskräfte wäre
die Drechselei mit dem Niedergang der Glashütte aus
diesem Gebiet ebenso verschwunden, wie das zum Beispiel in Mecklenburg geschah.
Der Bergmann konnte stets Holz sehr gut verarbeiten.
Die vielen „Künste“ der Bergzimmerlinge, die uns bildlich überliefert sind, beweisen das eindrucksvoll. Er war
der Bastler, der das Drechseln beherrschen lernte und
seine aus dem Bergbau angeeigneten Fähigkeiten der
Holzbearbeitung nutzte, um die für Seiffen typischen
Holzwaren in reicher Vielfalt entstehen zu lassen.
Selbstverständlich stellte der ehemalige Bergmann auch
sein Metier dar. Deshalb entstanden auch in Seiffen so
viele Bergbaumotive, und das Licht spielte gerade für
ihn an den finsteren Tagen um die Weihnachtszeit eine
große Rolle. Die Weiterentwicklung der Reifendreherei
zu Tierreifen war wohl auch die Idee eines ehemaligen
Bergmannes, der sich nun sein Brot mit der Herstellung
von Spielwaren verdiente. Denn das Schnitzen, dieser
zusätzliche Arbeitsgang bei der Fertigung von Reifentieren, war doch eindeutig Sache des Bergmannes. Die
unzähligen Schnitzereien von Bergleuten verdeutlichen,
wie gut und wie gern gerade sie mit dem Messer das
Holz gestalteten.
Schlussbemerkungen
Bergleute und Glasmacher bzw. Formendrechsler waren
gemeinsam an der Entwicklung der spezifischen Holzgestaltung im Seiffener Winkel beteiligt. Untersucht
man noch weitere der in diesem Gebiet hergestellten
Produkte, so wird man viele weitere Details finden, die
die Einflüsse der Glashütte und des Bergbaues erkennen
lassen. Aber nur in ihrer Gesamtheit liegt das Geheim-
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nis der so faszinierenden und doch einfachen Seiffener
Volkskunst.
Anmerkungen
[1] s. Kirsche, Geyer: Zur Bedeutung der Heidelbacher
Glashütte. In: Dresdner Kunstblätter 4/85 u. 5/85
[2] Eichhorn, J.: Alte Volkskunst in Glas aus Seiffen.
Kalender Sächsische Gebirgsheimat 1972
[3] Hohberg, W. H. von: Adeliges Landleben 1682.
In: Glück und Glas - Zur Kulturgeschichte des Spessarts, München 1984
[4] Bisher sind an folgenden Orten mittelalterliche
Glashütten gefunden worden: Moldava (ČSSR),
Holzhau, Frauenbachtal bei Neuhausen, Hüttstatt am
Schwartenberg, Heidelbach, Kühnhaide, Ansprung,
Marienberg sowie Rübenau und Reuckersdorf (letztere sind bisher nur aus Urkunden bekannt).
[5] Staatsarchiv Dresden, Rep. XV, Frauenstein Nr. 20:
„Das von der Frau Cämmerräthin Nehmitz zu Heidelbach gesuchte Fixum des Rechenbergk Geleits
unterm ambte Frauenstein, von ihr nach Dresden geführten Glaswaren betr.” 1752
[6] Hejdová, D., Režnichová: Beitrag zur Methodik der
Rekonstruktion mittelalterlicher Gefäße
In: Glasrevue 4/73
[7] Blau, J.: Die Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald in Volkskunde und Kulturgeschichte
Regensburg 1954, S. 51
[8a] Baumgärtner, S.: Sächsisches Glas - Die Glashütte
im Erzgebirge und ihre Erzeugnisse
Wiesbaden 1977
[8b] Haase, G.: Sächsisches Glas vom 17. bis Anfang
des 19. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog,
Museum für Kunsthandwerk. Dresden 1974
[9] Eichhorn, J.: Die Glasmacherei an der Glashütte
Heidelbach im Rahmen der alten erzgebirgischen
und nordböhmischen Glas- und Farbenindustrie
(bisher unveröffentlichtes Manuskript)
[10] Die Angaben zur Familie Hiemann verdanke ich
Herrn J. Eichhorn, sie basieren auf den Kirchenbüchern Neuhausens.
[11] Staatsarchiv Dresden, Grundherrschaft Purschenstein Nr. 348: Kurze Beschreibung des Einzuges Ihro Excelenz Adam Rudolph von Schönberg,
als Hochdieselben am 27. Octobries 1772 das erstemahl als alleiniger Besitzer der Herrschaft Purschenstein und Sayda anhero kamen.
[12] Kirchenbuch Neuhausen: Geburts- und Taufnachrichten 1800-1816
[13] Bachmann, M.: Holzspielzeug aus dem Erzgebirge
Dresden 1984
[14] Kirchenarchiv Seiffen. Für den Hinweis danke ich
Herrn J. Schönfelder, Seiffen.
[15] Bachmann, M.: Seiffener Spielzeugschnitzer
Leipzig 1956, Abb. III
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[16] Bilz, H.: Das Reifendreherhandwerk im Spielwarengebiet Seiffen, Seiffen 1976
[17] Grauwiller, C. P.: Seiffener Kostbarkeiten
Liestal / Schweiz 1984
Abb. 2005-4/287
Albrecht Kirsche, Zisterzienser, Glasmacher und Drechsler Glashütten im Erzgebirge und Vogtland und ihr Einfluss auf die
Seiffener Holzkunst
Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Band 27, Verlag Waxmann, Münster 2005
[18] Staatsarchiv Dresden, Loc. 3852: Die Verabfolgung des nöthigen Brennholzes für die Glashütte zu
Heidelbach betr. 1778
Abb. 2000-6/027
Albrecht Kirsche, Vom Glasmacher zum Reifendreher.
Erzgebirgische Glashütten und Seiffener Holzspielzeug
Liestal 1994, Einband
links ein Glasmacher, rechts ein Reifendreher
Albrecht Kirsche
Vom Glasmacher zum Reifendreher
Erzgebirgische Glashütten und
Seiffener Holzspielzeug
Liestal 1994
68 Seiten, zahlreiche Abbildungen
ISBN-10: 3952025011, € ???
Albrecht Kirsche
Zisterzienser, Glasmacher und Drechsler Glashütten im Erzgebirge und Vogtland und ihr
Einfluss auf die Seiffener Holzkunst
Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik,
Arbeit und Umwelt, Band 27
Verlag Waxmann, Münster 2005
254 Seiten, zahlreiche Abbildungen
ISBN 3-8309-1544-6, € 25,50
Literaturangaben:
Kirsche, Albrecht, Vom Einfluss der Heidelbacher Glashütte auf die Seiffener Volkskunst.
In: Sächsische Heimatblätter 32 (1986) 1; S. 33-36
Kirsche, Albrecht, Zwei Glashumpen von 1585 aus der Heidelbacher Glashütte?
In: Dresdener Kunstblätter 30 (1986) 5, S. 152-155
Kirsche, Albrecht, Auf den Spuren einer alten Sage das „Raubschloß" gefunden
In: Erzgebirgische Heimatblätter, 3/1987, S. 65-68
Kirsche, Albrecht, Vom Glasmacher zum Reifendreher - Erzgebirgische Glashütten und Seiffener Holzspielzeug. Liestal / Schweiz 1994
Seite 288 von 438 Seiten
PK 2009-4-07
Stand 06.12.2009
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Kirsche, Albrecht, Zur Bedeutung des Klosters Osek (Ossegg) für das sächsische Erzgebirge.
In: 800 Let Klaštera Osek - jubilejni sbornik / 800 Jahre Kloster Ossegg – Festschrift
Ossegg / Osek 1996, S. 329-332
Kirsche, Albrecht, Glas und Holz: Vorindustrielle Glashütte im Erzgebirge und im Vogtland und ihr Einfluss auf die
Seiffener Holzkunst. Dissertation, Dresden 2003.
Siehe unter anderem auch:
PK 2000-6 Kirsche, Glasmacher und die frühesten Drechsler in Seiffen
PK 2005-4 SG, Albrecht Kirsche, Zisterzienser, Glasmacher und Drechsler Glashütten im Erzgebirge und Vogtland und ihr Einfluss auf die Seiffener Holzkunst ein neues Buch zur Glasgeschichte
PK 1998-1 Billek, ... z.B. Händler-Geschichten von der Buchsbaum-Form
PK 1998-1 SG, Buchsbaum arboreszens ...
PK 1998-2 Schagemann, In (Holz-) Formen geblasene Gläser
PK 1998-2 SG, Holz als Material der Pressformen für Glas; Nachtrag zu PK 1998-1
PK 2000-5 SG, Form-geblasenes Glas
PK 2000-5 SG, Beispiele für form-geblasenes Glas aus Katalogen und Büchern
PK 2000-6 Mauerhoff, Das Glashüttenmuseum Neuhausen im sächsischen Erzgebirge
PK 2002-5 Stopfer, Form-geblasenes Glas aus dem "Herzogthum Steyermark"
PK 2003-4 Whitehouse, Zwei Formen aus Metall für form-geblasenes Islamisches Glas
PK 2004-4 Erzepky, SG, Kännchen, wagrechte Schuppen, Fußbecher mit Palmetten, form-geblasen
PK 2005-4 Erzepky, SG, Form-geblasenes Kännchen mit Muster „Draperies“, Hersteller unbekannt,
Böhmen oder Steiermark, Frankreich oder Belgien, 1830 - 1850
PK 2006-1 Stopfer, SG, „In eine Form fest geblasen“:
eine wichtige technische Grundlage bei Pressglas
PK 2007-2 Vogt, SG, Form-geblasene, farblose und uran-grüne Fußschale mit Blütenzweigen und
Blättern unter der Bodenplatte, Böhmen / Mähren oder Steiermark, um 1850?
PK 2007-3 Erzepky, Über das große Vergnügen, die Herstellung von Formen zu untersuchen
Bilder zum Thema gedrechselte Formen aus Holz in der PK seit 1998-1
PK 2007-3 Mauerhoff, Nahtlos geblasene Gläser aus gedrechselten Holzformen und Gussformen Zu den Bildern aus dem Glasmuseum Neuhausen im Erzgebirge
PK 2007-3 Mauerhoff, Erinnerungen - So kam ich in die Glashütte ...
Warum wurden in die Gussformen Holzspäne eingelegt?
PK 2007-3 SG, Das Thema „form-geblasenes Glas“ in der Pressglas-Korrespondenz seit 1998-1
Stand 06.12.2009
PK 2009-4-07
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