Burnout

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Burnout
07.03.2012
Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für
Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN) zum Thema
Burnout
Deutsche Gesellschaft
für Psychiatrie,
Psychotherapie und
Nervenheilkunde
I ANLASS FÜR DAS POSITIONSPAPIER
Seit mehreren Monaten wird das Thema Burnout intensiv und mit hoher
Dynamik in der Öffentlichkeit diskutiert. Es wurde als Titelthema in vielen
Zeitschriften aufgegriffen und in öffentlichen Diskussionsrunden
thematisiert. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt diese Entwicklung nachdrücklich,
da mit ihr das noch immer auf psychischen Erkrankungen liegende
gesellschaftliche Stigma reduziert wird. Ermutigt durch Prominente, wie
z.B. Miriam Meckel, Ralf Rangnick oder Tim Mälzer, die öffentlich über ihre
psychischen Krisen berichten, fällt es Betroffenen erkennbar leichter, ohne
Scham über ihre eigenen psychischen Probleme und Erkrankungen zu
reden.
Die DGPPN sieht jedoch gleichzeitig in der jetzigen Burnout-Diskussion
erhebliche Verwirrungen und potenzielle Fehlentwicklungen. Die
Spannweite der Diskussion reicht von der völligen Negierung der Relevanz
des Burnouts als psychische Erkrankung bis hin zur Warnung vor einer
tickenden, bisher übersehenen Zeitbombe. So bedürfen nicht zuletzt
folgende weitverbreitete Sichtweisen einer fachlichen Kommentierung:
Gleichstellung von Burnout mit jeglicher Form einer psychischen
Krise und Erkrankung im zeitlichen Zusammenhang mit einer
Arbeitsbelastung
Damit bleibt das international geltende Klassifikationssystem
psychischer
Erkrankungen
(ICD-10,
F-Gruppe)
der
Weltgesundheitsorganisation
unbeachtet,
das
eine
solche
undifferenzierte Betrachtungsweise nicht zulässt.
Gebrauch des Begriffs Burnout ersatzweise für Depressionen von
arbeitenden Menschen
Bei der Berichterstattung in den Medien wird zum Teil eine Krankheitsdefinition gefördert, die den Begriff Burnout mit einer Erkrankung der
Leistungsträger und der „Starken“ gleichsetzt, den Begriff Depression
dagegen mit einer Erkrankung der (anlagebedingt) „Schwachen“
verknüpft. Diese Bewertung trifft nicht zu und bringt zudem die Gefahr
einer neuen Stigmatisierung depressiv erkrankter Menschen mit sich.
Präsident
Prof. Dr. med. Peter Falkai, Göttingen
President Elect
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier, Bonn
Past President
Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider, Aachen
Schriftführer
Prof. Dr. med. Oliver Gruber, Göttingen
Kassenführer
Priv.-Doz. Dr. med. Felix M. Böcker, Naumburg
Beisitzerin Versorgung und Sozialpsychiatrie
Dr. med. Iris Hauth, Berlin-Weißensee
Beisitzer Aus-, Fort- und Weiterbildung
Prof. Dr. med. Fritz Hohagen, Lübeck
Beisitzer Forschung
Prof. Dr. med. Heinrich Sauer, Jena
Beisitzerin Psychotherapie
Prof. Dr. med. Sabine C. Herpertz, Heidelberg
Beisitzer Psychosomatik
Prof. Dr. med. Martin Bohus, Mannheim
Beisitzer Qualitätssicherung und Rehabilitation
Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Düsseldorf
Vertreter Universitätskliniken
Prof. Dr. med. Andreas Heinz, Berlin
Vertreter Fachkliniken
Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer, Ingolstadt
Vertreter Psychiatrische Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern
Prof. Dr. med. Arno Deister, Itzehoe
Vertreter BVDN
Dr. med. Frank Bergmann, Aachen
Vertreter BVDP
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Burnout als primäres Problem des Gesundheitssystems
Vom Gesundheitssystem wird erwartet, Burnout-Beschwerden und ihre gesamtgesellschaftlichen
Folgen, wie den Anstieg durch psychische Störungen bedingter Krankschreibungen und
Frühberentungen, vorzubeugen und zu beheben. Diesbezüglich sehen wir jedoch primär
Sozialpartner und Politik in der Pflicht, der postulierten Überforderung einer steigenden Zahl von
Berufstätigen mit negativen Konsequenzen für ihre psychische Gesundheit entgegenzuwirken.
Die DGPPN möchte mit diesem Positionspapier zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen
und helfen, bestehende Unzulänglichkeiten und Unsicherheiten zu klären. Diese beziehen sich auf
den Umgang mit dem Burnout-Phänomen im Gesundheitssystem, der Arbeitswelt und der
Gesellschaft.
Im Folgenden werden auf dem Boden bisheriger empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse eine
differenzierte Definition von Burnout-Zuständen, darauf aufbauende Angaben zu Häufigkeit und
Risiken sowie Vorschläge zu Prävention, Therapie und Rehabilitation dargestellt.
II DEFINITION VON BURNOUT-ZUSTÄNDEN
A. Gängige Burnout-Konzepte
Der Begriff Burnout wurde in den 70-er Jahren von dem New Yorker Psychotherapeuten Herbert
Freudenberger eingeführt. Damit beschrieb er einen Zustand, den er bei Beschäftigten in sozialen
Berufen beobachtete, die sich in ihrer Arbeit überengagiert hatten. Die „Ausgebrannten“ fühlten sich
u.a. müde, überfordert, lustlos und durch körperliche Beschwerden beeinträchtigt. Trotz inzwischen
etwa 1000 Publikationen pro Jahr zu diesem Thema, ist es bisher nicht gelungen, sich auf eine
normierte, einheitliche und verbindliche Begriffsbildung zu einigen. Heute wird in Deutschland das
Thema Burnout zunehmend als Problem des Gesundheitssystems gesehen. In anderen Ländern wird
es hingegen ausschließlich als Problem der Arbeitswelt, d.h. als ein Thema der Sozial- und
Tarifpartner sowie der Arbeitspsychologie verstanden.
In einer älteren Übersichtsarbeit wurden bereits 16 unterschiedliche Burnout-Definitionen einander
gegenübergestellt (Rook, 1998). Die aktuelle Zahl von Definitionsversuchen ist beträchtlich größer
(siehe Hillert & Marwitz, 2006; Burisch, 2010; Rösing, 2010). Als Einzelsymptome eines Burnouts
wurden bereits mehr als 160 verschiedene Beschwerden publiziert (Burisch, 2010; Maslach et al.,
2009). Galten zunächst ausschließlich in Gesundheitsberufen tätige Menschen als gefährdet, werden
nun alle Berufssparten als bedroht erachtet. Laut aktuellem Wissensstand ist ein Burnout zudem auch
bei außerberuflich Tätigen, etwa in der familiären Krankenpflege, eine potenzielle Gefahr. Wurde
initial davon ausgegangen, dass ausgeprägter Enthusiasmus („gebrannt zu haben“) eine
Vorbedingung von Burnout sei, hat sich auch dies zunehmend relativiert (z.B. Schmitz & Leidel,
1999).
Die in der Literatur berichteten Burnout-Beschwerden werden häufig in drei Dimensionen gegliedert:
I. Emotionale Erschöpfung als die basale Dimension. Sie umfasst das Gefühl der
Überforderung und des Ausgelaugtseins bezüglich der eigenen psychischen und körperlichen
Reserven. Mit dem
Energiemangel verbunden sind Symptome wie Müdigkeit und
Niedergeschlagenheit sowie das Auftreten von Anspannungszuständen. Zu beobachten sind in
diesem Zusammenhang zudem häufig eine Unfähigkeit, sich in der Freizeit zu entspannen, und
Schlafstörungen. An körperlichen Beschwerden werden Magen-Darm-Symptome, Kopf- und
Rückenschmerzen und eine vermehrte Anfälligkeit für Infekte genannt.
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II. Zynismus/Distanzierung/Depersonalisation. Aus dem idealisierten Verhältnis zur Arbeit, die
meist mit positiven Erwartungen begonnen wurde, entwickelt sich zunehmend Frustration mit
anschließender Distanzierung von der Arbeit. Dies ist verbunden mit Schuldzuweisungen für die
verändert erlebte Arbeit und einer Verbitterung gegenüber den Arbeitsbedingungen. Diese
Frustration führt schließlich zu einer Abwertung der Arbeit und zum Zynismus, der sich oft auch
gegen Arbeitskollegen und Klientel richtet. Dies wiederum bedingt beim Betroffenen
Schuldgefühle. Häufig wird auch ein Gefühlsverlust (Depersonalisation) beobachtet.
III. Verringerte Arbeitsleistung. In der Selbsteinschätzung besteht der Eindruck einer
nachhaltigen Minderung der Arbeitsleistung, Kompetenz und Kreativität u.a. durch
Konzentrationsstörungen und Arbeitsunzufriedenheit.
Bei allen Burnout-Definitionen gilt als notwendige Voraussetzung der Probleme, dass die Betroffenen
selbst ihr Beschwerdebild als Folge der Arbeitsbelastung sehen. Entsprechend glauben sie, dass die
Beschwerden bei fortbestehenden negativen Arbeitsbedingungen anhalten, sich aber meist nach
Schaffung einer neuen, als förderlich erlebten Arbeitssituation zurückentwickeln.
Entsprechend der initialen Definition des Burnout von Freudenberger wird zwar einerseits in den breit
anerkannten Definitionen wie der von Schaufeli und Enzmann (1998) – „Burnout ist ein dauerhafter,
negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand „normaler“ Individuen ...“ – davon ausgegangen, dass es
sich nicht um eine Erkrankung handelt. Andererseits werden hier schwerste psychische
Krankheitssymptome wie Depression, Suizidalität, schwere Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
oder existenzielle Verzweiflung angeführt.
Messinstrumente für Burnout-Beschwerden wurden entwickelt: In den meisten Veröffentlichungen
werden Burnout-Beschwerden mit einer Selbstbeurteilungsskala, dem Maslach-Burnout-Inventar
(MBI) mit 25 Items erfasst und gemessen. Ziel dieses Inventars ist nicht die Diagnose eines BurnoutSyndroms, sondern die Erfassung des subjektiven Ausmaßes der Beschwerden. Auch wenn es
einzelne Versuche, etwa in Holland oder Skandinavien gibt, einen Cutoff-Wert für ein leichtes,
mittelschweres und schweres Burnout festzulegen, erfüllen diese nicht den Anspruch der
diagnostischen Gültigkeit. D.h. es liegt gegenwärtig im ärztlichen Ermessen, Burnout festzustellen und
eine geeignete Therapie als indiziert zu erachten.
Bezüglich der schrittweisen Entwicklung eines Burnout bestehen eine Vielzahl unterschiedlicher
Phasen- und Stufenmodelle, die plausibel erscheinen mögen, sich jedoch nicht als wissenschaftlich
valide und generalisierbar erwiesen haben. Mit den internationalen Diagnosekriterien psychischer
Erkrankungen (International Classification of Diseases, ICD-10) gänzlich unvereinbar sind „BurnoutSpiralen“, bei denen Symptome wie gewichtige Konzentrationsstörungen, depressive Stimmungen
und Suizidalität als Vorstufen eines voll ausgebildeten Burnout-Syndroms aufgelistet werden.
B. DGPPN-Konzept zur Burnout-Klassifikation
Eine Einordnung des Burnout in die auch in Deutschland verbindliche Kategorisierung und
Klassifikation von Erkrankungen der WHO ist bisher nicht erfolgt. Daher soll im Folgenden eine
Systematik dargestellt werden, die es ermöglicht, die im Zusammenhang mit Arbeitsbelastung
auftretenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Übereinstimmung mit der ICD-10 zu
differenzieren. Die DGPPN hält eine solche Differenzierung für dringend notwendig, um dem
Phänomen Burnout im Gesundheitswesen gegenüber Kostenträgern/Krankenkassen, aber auch in
der Arbeitswelt und Gesellschaft adäquat Rechnung zu tragen (Abb. 1).
Die isolierte Betrachtung des Burnout-Beschwerdebilds greift unseres Erachtens zu kurz. Vielmehr
müssen die dynamischen Zusammenhänge der arbeitsplatzbezogenen und individuellen
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Auslöserbedingungen einschließlich eventuell bestehender Krankheiten berücksichtigt werden. Diese
Zusammenhänge werden in Abb. 1 dargestellt, die Kategorisierung ist an die ICD-10 angelehnt und
die Burnout-Beschwerden sind in zwei Kategorien differenziert, a) ohne und b) mit gleichzeitig
bestehender ICD-10-Erkrankung.
Abb. 1 DGPPN-Konzept zum Übergang von Arbeitsbelastung zur Krankheit
1. Vorübergehende Arbeitsüberforderung
Ungewöhnliche Anforderungen der Arbeitswelt können mit vegetativen Stresssymptomen wie
Angespanntheit, verminderter Schlafqualität und einem Erschöpfungsgefühl verbunden sein. Wenn
diese vorübergehend, absehbar zeitlich begrenzt sind und sich die Stressreaktionen in kurzen
Erholungsphasen zurückbilden, sollte nicht von Burnout gesprochen werden. Ansonsten besteht die
Gefahr, routinemäßig bewältigbare Prozesse des Arbeitslebens in die Nähe von Krankheitszuständen
zu rücken.
2. Burnout als längerfristige Arbeitsüberforderung
Hält ein solcher Zustand jedoch längere Zeit, d.h. mehrere Wochen bis Monate, an, ist ein Ende nicht
absehbar und führen kurze Erholungsphasen, etwa an Wochenenden, nicht zu einer Rückbildung von
Erschöpfung, vegetativer Symptomatik, Leistungsminderung sowie der kritischen Distanz zur Arbeit,
sollte von einem Burnout gesprochen werden. Subjektiv erlebte Arbeitsüberforderung kann ein
breites Spektrum von Ursachen (siehe auch Abschnitt IV) umfassen:
 Arbeitsplatzbezogene Faktoren sind z.B. real unbewältigbarer Arbeitsanfall, mangelnde
Anerkennung durch Vorgesetzte, fehlende Abgrenzung zum Privatleben.
 Individuelle Faktoren sind z.B. stark überhöhter Anspruch, mangelnde Erholungsphasen,
Perfektionismus oder mangelnde Qualifikation.
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Hierbei bedeutsam ist die jeweils individuelle Passung beider Aspekte. Allgemeingültige
Schwellenwerte gibt es folglich nicht.
Erschöpfungsgefühle und andere gesundheitliche Burnout-Beschwerden, die zusammen mit einem
überdauernden Gefühl der Überforderung durch Arbeit auftreten, bedeuten noch nicht das Vorliegen
einer Krankheit nach der ICD-10. Die Weltgesundheitsorganisation hat jedoch in der ICD-10 neben
dem Klassifikations- und Diagnosesystem für Krankheiten, das festgelegte operationalisierte Kriterien
angibt, in einem Anhangskapitel Faktoren benannt, die das Befinden des Einzelnen beeinträchtigen
können. Allein durch diese Beschwerden sind – auch wenn sie zur Kontaktaufnahme mit
Gesundheitsdiensten führen - jedoch die Kriterien für eine Krankheit nicht erfüllt. In diesem
Anhangskapitel werden unter der Ziffer Z 73 „Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der
Lebensbewältigung“ – und unter der Unterziffer Z 73.0 „Burnout gleichbedeutend mit Zustand der
totalen Erschöpfung“ aufgeführt. Die DGPPN empfiehlt deswegen Ärzten, bei Patienten mit einem
Burnout-Beschwerdebild ohne eine psychische Erkrankung nach ICD-10, diese mit der Z 73.0-Ziffer
zu codieren.
Dabei kann Burnout einen Risikozustand für eine spätere psychische oder körperliche Erkrankung
darstellen (siehe 3.). In diesen Fällen geht das Burnout-Erleben den späteren Erkrankungen zeitlich
voraus. Bei Personen mit einer genetischen Veranlagung und/oder durch frühere Belastungen
erworbenen Disposition z.B. zu einer depressiven Erkrankung kann der Stress eines Burnout den
Krankheitsauslöser darstellen. Besonders gefährdet sind Menschen mit entsprechenden
Erkrankungsphasen
in
der
Vorgeschichte. Gleiches
gilt
etwa
für
Angstoder
Abhängigkeitserkrankungen (Abb. 1). Die klinische Erfahrung deutet darauf hin, dass das Burnout
auch zur Entstehung körperlicher Krankheiten wie Tinnitus, Hypertonie oder Infektionskrankheiten
beitragen kann (Mommersteeg et al., 2006). Deshalb sollte ein solcher Risiko-Zustand durch eine
Kodierung mit den Z-Kategorien eine adäquate Beachtung finden. In der ICD-10 sind dafür die ZKategorien (Z 73.0 oder auch 56) vorgesehen (s.u.).
Die WHO will offenbar (jedenfalls derzeit) in der anstehenden Revision der ICD-10, also der ICD-11,
an ihrem bisherigen Vorgehen festhalten, das heißt:
a) die vielfältigen "Burnout-Beschwerden" keiner einheitlichen Diagnose bzw. Krankheit zuzuordnen
und damit kein "Burnout-Syndrom" als neue offzielle Krankheitsdiagnose einzuführen,
b) die Kennzeichnung von "Burnout" als Anlass zur Kontaktaufnahme mit Gesundheitsdiensten
fortzuführen.
Der DGPPN erscheint dieser Weg konsequent und sinnvoll.
3. Burnout-Beschwerden als Auslöser psychischer oder somatischer Erkrankungen
Bestand bei einem Patienten eine längerfristige Arbeitsüberforderung, in dessen Folge eine ICD-10Erkrankung wie Depression (Abb. 2), Alkoholmissbrauch, Angststörung, chronisches
Schmerzsyndrom, Tinnitus, Bluthochdruck oder chronische Infektionserkrankungen aufgetreten sind,
sollte zuerst die ICD-10-Krankheitsverschlüsselung erfolgen. Wenn angenommen wird, dass die
Arbeitsüberforderung im Sinne eines Burnout-Risikozustands eine entscheidende Rolle für die
Entstehung und Aufrechterhaltung der Erkrankung spielt, empfiehlt die DGPPN in Zukunft regelhaft
die zusätzliche Codierung mit der ICD-10 Anhangsziffer Z 73.0 vorzunehmen. Diese
Berücksichtigung arbeitsbedingter Belastung als krankheitsauslösender Faktor erfolgt aus Sicht der
DGPPN bisher nicht systematisch und findet entsprechend unzureichend Eingang in die
Behandlungsstrategien. Die ICD-10 orientiert sich bei psychischen Erkrankungen vorwiegend an der
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Querschnittssymptomatik. Hierbei gibt es nur wenige Ausnahmen, z.B. posttraumatische
Belastungsstörung. Einer unzureichenden Beachtung des Faktors Arbeitsbelastung kann jedoch mit
der regelhaften Zusatzcodierung der Z-Ziffern entgegengewirkt werden.
Abb. 2 ICD-10-Kriterien einer depressiven Episode (Dilling et al. 1991)
4. Krankheiten als Ursache burnout-ähnlicher Beschwerden
Gänzlich anders ist das gleichzeitige Bestehen von Burnout-ähnlichen Beschwerden und einer
Erkrankung zu bewerten, wenn diese eine (Früh)Symptomatik, d.h. Folge einer spezifischen
Erkrankung sind. Typische Beispiele hierfür sind: Multiple Sklerose, Schilddrüsenerkrankungen,
beginnende
Demenz,
Psychosen,
Depressionen,
chronische
Insomnie,
chronische
Schmerzsyndrome, Infektionskrankheiten, Krebs oder andere Tumorerkrankungen. Solche
Erkrankungen können das Gefühl von Überforderung, Insuffizienz und Erschöpfung am Arbeitsplatz
zur Folge haben (Abb. 3). In diesem Fall ist die Erschöpfung jedoch ein Krankheitssymptom, das
ansonsten gut bewältigbare Anforderungen zur Überlastung werden lässt. Eine erfolgreiche Therapie
der Grunderkrankung wird in der Regel das sekundäre Burnout-Problem beheben. Deswegen muss
vor der Feststellung eines Burnout und der Z 73-Zusatzcodierung eine genaue medizinische
Diagnostik erfolgen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass eine notwendige gezielte
Behandlung des Patienten zeitnah erfolgen kann.
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Abb. 3 Differentialdiagnostik von Erkrankungen als Ursache von Burnout-Beschwerden (nach
Korczak et al., 2010)
III HÄUFIGKEIT
Die bisher fehlende Differenzierung von Burnout-Beschwerden in die genannten Kategorien macht
präzise Häufigkeitsangaben nahezu unmöglich. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen,
die zwar ebenfalls eine genaue Differenzierung vermissen lassen, jedoch gewisse Anhaltspunkte für
die Größenordnung des Problems geben. Als Beispiele seien genannt:

In Finnland sollen gemäß einer bevölkerungsweiten Befragung 25 % der erwachsenen
Bevölkerung an milden und 3 % an ernsthaften Burnout-Beschwerden leiden (Honkonen et
al., 2006).

In Dänemark wurde eine besondere Häufung von Burnout in Berufen festgestellt, die Serviceund Hilfeleistungen für andere Menschen erbringen (Borritz et al., 2010).

Ärzte in einem deutschen Großkrankenhaus (Charité Universitätsmedizin Berlin) geben
mehrheitlich Burnout-Beschwerden an (emotionale Erschöpfung, Depersonalisation)
(Buehrsch et al., 2011)

Für Deutschland sind in den letzten Monaten aus den Routinedaten der Krankenkassen
Häufigkeitsangaben etwa von den Techniker Krankenkassen, den Betriebskrankenkassen
oder der AOK veröffentlicht worden, die für eine hohe Relevanz des Problems „Burnout“ zu
sprechen scheinen.
All diese Daten haben jedoch die Einschränkung der einerseits unscharfen Grenzen des jeweils
verwendeten Burnout-Konzepts, der fehlenden Differenzierung in die vier oben aufgeführten Burnout7
Kategorien und einer unwissenschaftlichen Datenerhebung. D.h. es liegen keine verlässlichen Daten
für Deutschland vor, wie häufig psychische Beschwerdebilder im Zusammenhang mit einer
überfordernd erlebten Arbeitssituation in Deutschland bestehen. Es ist auch unklar, ob diesbezüglich
tatsächlich eine relevante Zunahme von Burnout-Beschwerden erfolgt ist. Die gestiegenen
Krankschreibungen und Frühberentungen als Folge psychischer Störungen könnten gleichfalls durch
deren optimierte Erfassung oder eine gestiegene Offenheit der Patienten, mit ihrem Arzt über
psychische und berufliche Probleme zu sprechen, bedingt sein. Dafür spräche u.a. die parallel erfolgte
kontinuierliche Abnahme von Krankschreibungen und Frühberentungen infolge somatischer
Erkrankungen.
Aus Sicht der DGPPN besteht folglich ein dringender Bedarf nach exakter epidemiologischer
Forschung zu psychosozialen Problemen am Arbeitsplatz und deren Folgen.
IV BURNOUT-BESCHWERDEN IM BIO-PSYCHO-SOZIALEN
ENTSTEHUNGSMODELL
Für das Auftreten psychischer Erkrankungen hat sich allgemein das bio-psycho-soziale Modell
durchgesetzt, das das Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen
Einflussfaktoren bei der Krankheitsentstehung hervorhebt. Dieses Modell ist unseres Erachtens
ebenfalls relevant für das Auftreten von Burnout-Beschwerden.
Biologische Risikokonstellationen dürften auch bei Entstehung des Burnout eine Rolle spielen. Bei
depressiven Erkrankungen ist bestens belegt, dass Personen mit einer genetischen Prädisposition bei
belastenden Lebensereignissen wesentlich leichter depressiv reagieren als andere. Dies kann so
stark ausgeprägt sein, dass bereits minimale Stressoren wie die Jahreszeitenwechsel oder
Zeitzonenflüge eine depressive Episode auslösen können. Auch im Hinblick auf BurnoutBeschwerden gibt es die alltägliche Beobachtung, dass sich die Belastbarkeit von Mensch zu Mensch
stark unterscheidet. Es ist zu vermuten, dass diese Unterschiede auch genetisch bedingt sind. Im
Gegensatz zu Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen gibt es hier jedoch bislang
keine wissenschaftlichen Belege.
Psychologische Bedingungsfaktoren eines Burnout im Sinne unserer Kategorie 2 wurden
umfassend diskutiert und dargestellt. Auch hier muss jedoch einschränkend gesagt werden, dass die
empirische Basis sehr begrenzt ist. Ausnahmen stellen die systematischen Beobachtungsstudien von
Siegrist und Wahrendorf (2009) dar, die jedoch nicht mit dem Begriff „Burnout“ arbeiten. In diesem
Positionspapier soll vornehmlich etwa auf die Darstellungen von Burisch (2010) und Hillert & Marwitz
(2006) verwiesen werden. Zusammenfassend wird ein individuelles Burnout-Risiko gesehen, wenn
der Einzelne dem Arbeitsbereich überhöhte Bedeutung im Hinblick auf Selbstverwirklichung,
Selbstbestätigung und Leistungserwartung zumisst. Diese Grundhaltung ist häufig mit einer
zunehmenden Ausdehnung der Arbeitszeit unter Vernachlässigung von Familie und Freizeitgestaltung
verbunden. Dies mache den Einzelnen anfällig, bei überlastungsbedingter Erschöpfung,
Leistungseinschränkungen und dadurch bedingten Konflikten in eine psychische Krise zu geraten.
Arbeitsplatzbezogene
Bedingungsfaktoren
wurden
in
zahlreichen
vor
allem
arbeitspsychologischen Untersuchungen plausibel diskutiert. Auch hier liegen nur begrenzte
empirische Evidenzen vor (Übersicht bei Burisch, 2010; Hillert & Marwitz, 2006). Beispielhaft seien an
dieser Stelle die von Maslach & Leiter (2001) betonten Risikofaktoren genannt: Arbeitsbelastung,
Mangel an Kontrolle, mangelnde Belohnung, Zusammenbruch des Gemeinschaftsgefühls, mangelnde
Fairness und Wertkonflikte.
8
Es sei ergänzend angemerkt, dass diese arbeitsplatzbezogenen Faktoren vorwiegend für abhängig
Beschäftigte gelten.

Zurzeit werden vor allem die permanenten Veränderungen und Neuanforderungen in der
Arbeitswelt als relevante Belastungsfaktoren und Ursache für zunehmende Burnout-Klagen
diskutiert. Diese würden den Einzelnen bezüglich seiner Stressbewältigungsressourcen
überfordern. Arbeits- und Organisationspsychologen listen eine Vielzahl von entsprechenden
Risikofaktoren auf. Dazu gehören ein eingeschränkter Tätigkeits- und Handlungsspielraum,
ein Übermaß an Verantwortlichkeit, Rollenambiguität, problembeladenes Klientel, mangelnde
Transparenz am Arbeitsplatz, mangelndes Feedback, übermäßige Überwachung/Kontrolle
und Leistungserwartungen, mangelnde Einflussmöglichkeiten und geringe Aufstiegschancen
(Burisch, 2010; Fengler & Sanz, 2011).

Die Globalisierung führt zu einer immer breiteren und größeren Konkurrenzsituation im
Wirtschaftsleben. Eine Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen wird häufig durch massive
Stellenkürzungen und durch Rationalisierungen erreicht, was zu einer verstärkten
Arbeitsbelastung der am Arbeitsplatz Verbleibenden führt, die oft verbunden ist mit Ängsten
vor weiteren Stellenkürzungen.

Als weitere Ursache insbesondere bei älteren Berufstätigen sind die wachsende Bedeutung
von Computern und die damit verbundenen Innovationen zu sehen. Da mit dem Älterwerden
die hierzu vornehmlich erforderliche fluide Intelligenz kontinuierlich abnimmt, kommt es
gehäuft zu Überforderungssituationen (Wolf, 2012).

Von zunehmender Bedeutung ist in diesem Kontext das Phänomen der kontinuierlichen
externen Kontrolle durch Vorgesetzte, welche die Arbeitsleistung überprüft und zu einer
Leistungsmaximierung des Einzelnen führen soll. Durch die Durchdringung der Arbeitswelt mit
computerbasiertem Controlling (u.a. unter dem Stichwort Qualitätssicherung) sind neue
Belastungen entstanden, die in besonderer Weise mit Burnout in Zusammenhang gebracht
werden können. Ein Beispiel ist die automatische Überwachung der Arbeitsgeschwindigkeit
von Verkäuferinnen an der Kasse.

Durch die dauernde Erreichbarkeit durch Handys und Mailkontakte werden die Grenzen
zwischen Arbeitswelt und Privatleben zunehmend aufgehoben, was die Erholungs- und
Regenerationsmöglichkeiten erheblich einschränkt.

Die einseitige Verknüpfung von finanziellem Verdienst mit dem Ergebnis der Arbeitsleistung:
So warnen z.B. seit Jahren Wirtschaftsökonomen und -psychologen vor den sich
ausbreitenden leistungsorientierten, jährlich wechselnden Bonuszahlungen. Diese
schwächten die intrinsische Motivation, steigerten den Konkurrenzdruck und führten bei
Nichtauszahlung zu Demotivation (Layard, 2005).
Auf die gesellschaftlichen Bedingungen, die zu einer Zunahme von Burnout-Zuständen führen
können, wurde u.a. von dem Soziowissenschaftler Ehrenberg (2008) und dem Philosophen Han
(2010) hingewiesen. Erschöpfung, Burnout und Depression werden quasi als Leitkrankheiten des
beginnenden 21. Jahrhunderts bezeichnet, und zwar bedingt durch eine Ausuferung der
Leistungsgesellschaft. In der bis in die 60-er Jahre des 20. Jahrhundert dominierenden
Disziplinargesellschaft sei das Verhalten des Einzelnen sowohl im Privatleben als auch in der
Arbeitswelt durch Gebote und Verbote autoritär gesteuert worden. Dieser autoritäre Druck sei durch
die gesellschaftlich-demokratische Entwicklung der letzten Jahrzehnte in den Hintergrund getreten.
An seine Stelle sei schrittweise das Diktat der Leistungsgesellschaft getreten, das den Einzelnen zu
noch höherer Effizienz führe. Es werde ihm die Überzeugung vermittelt, dass er alleine, unabhängig
von seiner Herkunft, für seinen beruflichen Erfolg verantwortlich sei. Unbegrenzt in Aussicht gestellte
Aufstiegschancen erzeugten den Eindruck einer zwingenden Freiheit zur Maximierung der eigenen
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Leistung und des erzielten Erfolgs. Han (2010) bezeichnet diesen Vorgang als den Weg in die
Selbstausbeutung, indem der Ausbeutende gleichzeitig der Ausgebeutete ist. Diese paradoxe
Scheinfreiheit erschwere das Erkennen von Selbstüberforderung und könne häufig nur durch das
Gefühl der Erschöpfung begrenzt werden. Von dieser Entwicklung sind besonders Kreativberufe,
Spitzensportler oder Selbstständige bedroht, die einen wesentlichen Anteil der Burnout-Betroffenen
stellen.
IV PRÄVENTION, THERAPIE UND REHABILITATION
Entsprechend dem DGPPN-Konzept der Kategorisierung von Burnout-Beschwerden zeigt Abbildung 4
die verschiedenen Maßnahmen-Ebenen: (1) Prävention von Burnout, (2) Prävention von BurnoutFolgen, (3) Therapie von Burnout-Folgeerkrankungen, (4) Therapie der Grunderkrankung (z.B.
Krebs), die Burnout-ähnliche Symptome zur Folge hat.
Abbildung 4: DGPPN-Kategorisierung von Burnout-Beschwerden mit den
entsprechenden Maßnahmen-Ebenen.
A. Prävention
Die Möglichkeiten der Verhinderung von psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz sind durch eine
zunehmende Anzahl von Menschen, die sich ausgebrannt fühlen, zu einer breit diskutierten Frage
geworden. U.a. Arbeits- und Organisationspsychologen, Gewerkschaften, Krankenkassen,
Rentenversicherungen, Betriebsärzte und eine unüberschaubare Zahl von Coaching-, Wellness- und
Alternativmedizin-Anbietern bemühen sich um geeignete Konzepte. Dabei geht es um:
1. Die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, die der Entstehung eines Burnout
entgegenwirken sollen:
Bereits seit mehreren Jahren besteht in der EU eine Sozialpartner-Vereinbarung zum Thema
psychosozialer Stress am Arbeitsplatz. Diese Empfehlung hat in den meisten EU-Staaten zu
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entsprechenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor gesundheitsgefährdendem
psychischen Stress geführt. Damit wurde psychische Belastung den medizinischen Risiken von
Lärm, Licht, Vibration, Toxinen etc. gleichgestellt. In Deutschland wurden bisher entsprechende
Arbeitsschutzgesetze nicht erlassen, so dass nur bei der Minderheit der Betriebe
Gefährdungsbeurteilungen auch bzgl. psychischer Stressoren erfolgen (Kamp und Pickhaus,
2011). Die DGPPN ist der Meinung, dass psychosozialen Gesundheitsrisiken in der Arbeitswelt
ein deutlich höherer Stellenwert zusteht. Die bereits erwähnten kontinuierlichen
Veränderungsprozesse in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst bedingen sich
permanent verändernde Aufgabenprofile für den Einzelnen und für Teams. Diese
Umstrukturierungen lassen eine begleitende psychosoziale Gefährdungsbeurteilung zum Zweck
der Burnout-Prävention als sinnvoll und häufig notwendig erscheinen.
2. Die Stärkung der Ressourcen des Einzelnen, mit dem Ziel von erhöhter Belastbarkeit
und effizienterer Bewältigungsmöglichkeiten:
Hierzu bestehen eine Fülle von Konzepten, Ratgebern und Empfehlungen. Bereits
Freudenberger (1974) schlug gezielt Präventivmaßnahmen vor. Burisch (2010), Hillert und
Marwitz (2006), Fengler und Sanz (2011) sowie Walter et al. (2012) publizierten hierzu
umfassende Übersichten. Dabei ist ein uneinheitlicher Gebrauch des Begriffs Burnout sowohl in
Abgrenzung zu üblichen Arbeitsbelastungen aber vor allem zu Erkrankungen, wie der
Depression, festzustellen. Es gibt bisher wenige als wirksam evaluierte Präventionsstrategien.
Eine Ausnahme ist z.B. das Achtsamkeits-basierte Stressmanagement-Programm mit den Zielen
der Entlastung von Arbeitsplatz-Stressoren und Erholung durch Entspannung und Sport (Limm et
al. 2011). Neuerdings sind auch berufsgruppenspezifische Behandlungsvorschläge entwickelt
worden, wie z.B. ein kognitiv-behaviorales Präventionsprogramm für Lehrer (Hillert und Marwitz,
2006; Hillert et al., 2012). Individualberatungen dienen dem Aufspüren von persönlichen
Stressauslösern oder/und zur Reduzierung von zu hohen Erwartungshaltungen und zu hohen
Anforderungen an sich selbst. Einbindung von Betriebsärzten und Mobbing-Beratungsstellen in
die Präventionsarbeit soll der Entwicklung von Konflikten am Arbeitsplatz entgegenwirken.
In Deutschland liegt die Verantwortung für die Primärprävention von Krankheiten und
beschwerdebedingten Funktionseinbußen primär nicht beim Gesundheitssystem. Bei BurnoutBeschwerden
können
Ärzte
und
Psychologische
Psychotherapeuten
jedoch
eine
differentialdiagnostische Abklärung vornehmen, beraten und auf die Präventionsangebote von
Krankenkassen oder Betrieben hinweisen. Nur wenn bei Burnout-Beschwerden eine gleichzeitige
psychische oder somatische Erkrankung festgestellt wird, besteht ein Anspruch auf eine längerfristige
kassenwirksame Leistung, wie eine ambulanten oder stationären Psychotherapie. Bei den
Präventionsangeboten können Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten als Dozenten oder
Coaches tätig werden. Ihre differentialdiagnostische und differentialtherapeutische Kompetenz und ihr
Wissen um potenzielle Folgeerkrankungen eines Burnout dürften einen wichtigen Vorteil gegenüber
anderweitig ausgebildeten Burnout-Beratern darstellen.
B. Therapie und Rehabilitation
Bei Personen, bei denen eine psychische oder somatische Erkrankung im zeitlichen
Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung aufgetreten ist, liegt in der Regel die Notwendigkeit einer
Therapie vor. Die Patienten haben Anspruch auf eine von den Krankenkassen, der Renten- oder
Unfallversicherung vergüteten Behandlung, die sich an den offiziellen Leitlinien der
Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) orientieren
sollte.
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Die DGPPN sieht in der Benutzung von Burnout als Oberbegriff für sämtliche arbeitsbedingten
psychische Störungen eine erhebliche Gefahr. Viele Burnout-Coaches und Kliniken vermitteln den
Patienten den Eindruck, dass mit Wellness-Methoden wie gesundem Essen, Sport, Entspannungsund Zeitmanagement-Training oder einfachen Empfehlungen zur Arbeitsplatzumstrukturierung
jegliche psychische Störungsform im Zusammenhang mit Arbeitsstress behoben werden könnte. Die
DGPPN warnt vor der Gefahr, dass den Patienten evidenzbasierte störungsspezifsche
Behandlungen vorenthalten werden. Unzulängliche, mittel- und langfristig erfolglose und sich über
sehr lange Zeiträume ersteckende Behandlungen dürften die Folge sein. Darauf lassen die
wissenschaftlichen Studien zum Vergleich von spezifischen zu unspezifischen Therapien, z.B. bei
Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen oder Angststörungen schließen.
Besteht eine relevante Überlastung am Arbeitsplatz, ist deren Erkennung und Berücksichtigung für die
Therapie zusätzlich bedeutsam: Ohne diese Erkennung sind Behandlungen der Krankheitssymptome
sowie gestufte Wiedereingliederungen nach längerer Arbeitsunfähigkeit oft nicht nachhaltig
erfolgreich. Die Belastung am Arbeitsplatz muss in dieser Konstellation begleitend zur
störungsspezifischen Therapie Gegenstand der Behandlung sein. Dieser Aspekt findet bisher z.B. in
der Depressionsbehandlung nur unzureichend Berücksichtigung. Dieser Umstand spiegelt sich z.B. in
der
Interpersonellen
Psychotherapie
(IPT)
wider
(Schramm,
2010).
Bei
dieser
depressionsspezifischen Behandlungsform werden zwar als potenzielle Krankheitsursachen a)
zwischenmenschliche Konflikte b) Rollenwechsel c) Vereinsamung und d) Trauer, nicht aber
Arbeitsbelastung/Burnout aufgelistet. Zu fordern ist, dass bei störungsspezifischen Therapien
Burnout-Zusatzmodule eingeführt und in kontrollierten Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft werden
müssen.
Ziel der Therapie sollte nicht sein, Patienten in die Lage zu versetzen, inakzeptable und
unbewältigbare Arbeitsbedingungen vorübergehend wieder tolerieren zu können. Vielmehr sollte die
Therapie u.a. darauf hinwirken, dass Menschen mit Burnout-Beschwerden ein Arbeitsplatz zur
Verfügung gestellt wird, der ein arbeitsbedingtes Wiedererkrankungsrisiko minimiert.
Zu diesem Zweck ist eine enge Zusammenarbeit mit den Arbeitsstellen erforderlich.
Wünschenswert wäre eine Stärkung der Position und der Einflussmöglichkeiten der Betriebsärzte.
V FAZIT ZU GEGENWÄRTIGEN FEHLENTWICKLUNGEN UND
DARAUS RESULTIERENDE FORDERUNGEN

Die DGPPN warnt vor einem unwissenschaftlichen und unkritischen Gebrauch des
Begriffs Burnout für quasi sämtliche psychischen Störungen, die im Zusammenhang mit
einer Arbeitsbelastung stehen. Diese allumfassende Anwendung des Begriffs hat zwar initial
zu einem offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen geführt, doch sollte jetzt wieder ein
differenzierter Blick auf den Zusammenhang von Arbeitswelt und psychischen Störungen
geworfen werden. Vor allem droht bei der Gleichstellung des schweren und oft
lebensbedrohliche Krankheitsbildes der Depression mit Burnout eine gefährliche Unter- und
Fehlversorgung der Betroffenen.

Es gibt keinen Grund, in Deutschland aus der Internationalen Klassifikation von
Erkrankungen (ICD-10) der WHO auszuscheren und mit dem Burnout-Begriff quasi eine
neue, deutsche Krankheitsdefinition zu schaffen. Neben dem Verlust der internationalen
Vergleichbarkeit würden damit bisherige Grenzziehungen für Krankheiten, Diagnostik- und
Therapie-Standards und Vergütungsansprüche für Therapie, Rehabilitation, Arbeits-, Berufsund Erwerbsunfähigkeit verschwimmen. Ohne Bezug zur ICD-10 besteht damit die Gefahr,
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dass bestbelegte therapeutische Möglichkeiten zum Schaden der Patienten nicht
angewandt werden. Evidenzbasierte Therapien sind nahezu ausschließlich nur in Bezug auf
ICD-10-Diagnosen wissenschaftlich als wirksam nachgewiesen.

Es muss immer daran gedacht werden, dass ein breites Spektrum von Erkrankungen
Burnout-ähnliche Beschwerden hervorrufen kann. D.h. in diesen Fällen stellt nicht die
Arbeitssituation sondern die Grunderkrankung die Ursache des Burnout-Erlebens dar. Nur
durch eine gründliche medizinische Untersuchung kann ein solches symptomatisches Burnout
erfasst und gezielt behandelt werden.

Bei psychischen Erkrankungen, die durch Arbeitsstressoren (mit) ausgelöst wurden,
sollte die Therapie zukünftig auf diesen Aspekt u.a. durch enge Kooperation mit den
Arbeitsstellen und Betriebsärzten verstärkt eingehen.

Auch Burnout-Beschwerden, bei denen (noch) keine gleichzeitige Erkrankung vorliegt,
sollten vom Einzelnen und seinem Umfeld angemessene Beachtung finden. Sie sind mit
Einbußen der Lebensqualität verbunden und können bei gefährdeten Personen manifeste
Erkrankungen nach sich ziehen.

Die
Burnout-Prävention
ist
nicht
primär
Aufgabe
des
medizinischen
Versorgungssystems, sondern der Sozialpartner, Politiker, Krankenkassen und
Betriebsärzte des innerbetrieblichen Gesundheitsmanagements. Gefordert ist auch der
Einzelne. Er selbst kann Stressoren und Belastungen entgegenwirken und somit seine eigenen
gesundheitlichen Ressourcen weniger gefährden.

Rasche empirische Forschungsinitiativen sind für fundierte Entscheidungen bzgl.
präventiver und therapeutischer Maßnahmen erforderlich. Dies betrifft vor allem
epidemiologische Forschung zu den einzelnen Kategorien von Burnout Phänomenen,
Forschung zu der bisherigen Versorgungssituation der Betroffenen und zu differentiellen
Präventions- und Therapieprogrammen.
Auch die DGPPN als größte medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für psychische
Erkrankungen sieht für sich die Bekämpfung von arbeitsbedingten psychosozialen Risiken und
Folgeerkrankungen als dringende Aufgabe.
Autoren des Positionspapiers: M. Berger (Freiburg), M. Linden (Berlin), E. Schramm (Freiburg),
A. Hillert (Prien a. Chiemsee), U. Voderholzer (Prien a. Chiemsee), W. Maier (Bonn)
Für den Vorstand der DGPPN
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier
President Elect DGPPN
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn
Tel.: 0228 287-15722/-15723
E-Mail: [email protected]
Das Positionspapier der DGPPN zum Thema Burnout finden Sie zum Download unter www.dgppn.de.
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