Sichtbare und unsichtbare digitale Visual Effects im

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Sichtbare und unsichtbare digitale Visual Effects im
Sichtbare und unsichtbare digitale
Visual Effects im zeitgenössischen Kino
Vivien Schreiber
Diplomarbeit
eingereicht am 28.6.2010 im
Fachhochschul-Masterstudiengang
Digitale Medien
in Hagenberg
Im Juni 2010
Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen
Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die aus anderen Quellen entnommenen Stellen als solche gekennzeichnet habe.
Wien, am 28.6.2010
Vivien Schreiber
Inhalt
1 Vorwort
7
1.1 Umfeld und Methoden
7
1.2 Zielsetzung
8
1.3 „Visual Effects“ – Begriffsproblematik
10
2 Einleitung
13
3 Realismus und Sichtbarkeit 17
3.1 Dimensionen des Realismus
17
3.1.1 Original und Kopie
18
3.1.2 Die Existenz des Referenten
20
3.1.3 Die Wahrheit des Gesehenen
20
3.2 Naturrealismus und Fotorealismus
22
3.2.1 Fotorealismus in der Kunst
22
3.2.2 Fotorealismus in der Computergrafik
24
3.3 Realismus und Narration
25
4 Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
4.1 Formale Sichtbarkeit
26
27
4.1.1 Historische Dimension
27
4.1.2 Perfekte Verschmelzung, Rahmung und diegetic baggage
30
4.1.3 Die Formalen Eigenschaften des Filmbildes
37
4.2 Inhaltliche Sichtbarkeit
39
4.2.1 Aspekte der Inhatlichen Erkennbarkeit
40
4.2.2 Weltwissen
42
4.2.3 Inhalt und Filmstil
46
4.3 Inhaltliche und Formale Sichtbarkeit im Zusammenspiel 47
4.4 Kriterien für die Sichtbarkeit
48
4.4.1 Objektbezogene Kriterien
48
4.4.2 Zuschauerbezogene Kriterien
49
4.4.3 Situationsbezogene Kriterien
51
5 Sichtbare und unsichtbare Effekte
5.1 Einleitung
53
53
3
5.2 Sichtbare Effekte
54
5.2.1 Narrative Effekte
54
5.2.2 Unabsichtlich Stilbrechende Effekte
55
5.2.3 Absichtlich Stilbrechende Effekte
56
5.2.4 Spektakuläre Effekte
58
5.3 Unsichtbare Effekte
62
5.3.1 Einleitung
62
5.3.2 Korrigierende Effekte
63
5.3.3 Ermöglichende Effekte
65
6 Empirische Studien
66
6.1 Fragebogen: Sichtbarkeit von Visual Effects
66
6.1.1 Datenerhebung
66
6.1.2 Die Fragen
69
6.1.3 Auswertung
70
6.1.4 Zusammenfassung
76
6.1.5 Barrieren der Industrie – ein kurzer Erfahrungsbericht
77
6.2 Verbreitung von Effekten im heutigen Film
7 Literatur
78
82
4
Kurzfassung
Wenn heutige Kinofilme in der Postproduktion digital bearbeitet werden,
so passiert das in einer nie dagewesenen Fülle an Formen. Manche dieser
Effekte offenbaren sich den Zusehern der Filme, während andere geschickt im Hintergrund bleiben und in ein unverändert anmutendes
Filmbild einfließen. Die Eigenschaft dieser Sichtbarkeit und Erkennbarkeit von digitalen Visual Effects ist Thema der vorliegenden Arbeit. Es
werden zwei grundlegende Aspekte der Sichtbarkeit erarbeitet – die formale und die inhaltliche Sichtbarkeit. Auf diesen setzt eine Kategorisierung auf, in welche Eigenschaften des Films und des Betrachters, des
menschlichen Wahrnehmungsapparats und der gesellschaftlichen Institution Kino einfließen. Anschließend wird analysiert welche Faktoren
diese Wahrnehmung beeinflussen können. Von einem künstlerischen
Standpunkt aus wirft die Arbeit einen Blick auf die möglichen Ausprägungen der Integration von aufgezeichneten und computergenerierten
Bildern. Sie betrachtet die Vielzahl von Formen der Integration abseits
des Mainstream-Paradigmas der Seamless Effects. Zu guter Letzt werden
über einen Fragebogen erhobene Daten zu Erkennbarkeit, Wahrnehmung und Verbreitung von Visual Effects als empirische Untermauerung
der Aussagen präsentiert.
5
Abstract
When a motion picture is edited during today‘s post production, it happens in an unprecedentedly broad diversity of ways. Some of these edits
will present themselves to the viewer while others submerge in a seemingly unchanged camera image. This quality of visibility and perceptibility of digital visual effects is the topic of this thesis. Two basic principles
of visibility are being defined—the contentual and the formal visibility.
Based upon these, it defines a categorization that integrates aspects of
the viewers, the human perceptual apparatus and the cinema as a societal institution. Subsequently, it analyzes the factors that play a part in
the process of recognizing visual effects. From the artistic point of view,
the thesis takes a look at the choices that are available to filmmakers who
explore the different ways of fusing captured and computer generated images. It looks away from the mainstream paradigm of seamless effects to
the rich variety of other forms of integration. Finally, it presents an empirical study based on an online questionnaire. The participants were
asked to watch short movie clips and provide information about their perception of the visual effects contained in them.
6
1 Vorwort
1.1 Umfeld und Methoden
Wir befinden uns am Beginn des zweiten Jahrzehnts des nicht mehr ganz
so neuen Milleniums. Die komplett digitale Filmproduktionskette ist dabei sich auch in den letzten Bereichen zu etablieren, in denen bisher fast
ausschließlich analoge Verfahren zum Einsatz kamen – Aufnahme und
Projektion von Filmen. Digitaler Ton, Schnitt und Bearbeitung hatten
bereits mehrere Jahrzehnte Zeit um sich durchzusetzen und gelten bei
der durchschnittlichen Filmproduktion bereits als Standard. Gleichermaßen hat sich die computerisierte Bearbeitung von Filmbildern zu einem breiten Gebiet mit einer Fülle von Ausprägungen entwickelt. Analysen von modernen Filmproduktionen legen nahe, dass der überwiegende
Teil von international erschienenen Filmen aller Budgetklassen bereits
auf die eine oder andere Art auf digitale Bearbeitung zurückgreift.
In der Fachwelt hat der Diskurs über dieses „neue Medium“ ebenfalls
eine Entwicklung hinter sich, die jedoch im Gegensatz zu dem relativ
geradlinigen Erfolgskurs auf dem Markt etwas heterogener erscheint:
Barbara Flückinger beschreibt zu Beginn ihres umfassenden Buches
über Visual Effects das Problem, dass eine theoretische Auseinandersetzung mit digitalen Filmeffkten in der Vergangenheit entweder auf geisteswissenschaftlicher oder auf technischer Seite stand und es in ihren
Augen ein gewisses Unverständnis für die Argumentation der jeweils
andren Seite gab.1 Beschäftigt man sich ein wenig mit der Recherche zu
filmtheoretischer Analyse von digitalem Film, kann man diesen Eindruck
gut nachvollziehen. Die erste Welle der filmwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Medium lässt sich etwa Anfang der 1990er Jahre festmachen. Aus diesen frühen Beispielen lassen sich öfters Vorbehalte gegen das Medium herauslesen, dem dabei mit geschickter, oft
negativ-konnotierter Wortwahl die „Zerstörung der Authentizität“ des
Filmbildes, die „Vernichtung des Raumes“, den der materielle Film einnahm, oder – durch das scheinbar neue Element der Diskretisierung und
Codierung des Bildes – eine „unvollständigere Darstellung“2, die nur noch
auf mathematischer Abstraktion, nicht mehr auf Analogie basiert nachgesagt wird. Man könnte diese frühe tendenzielle Abneigung der geistes­
wissen­schaftlichen Gemeinschaft als Reaktion auf andere Formen der
Herangehensweise zu der Zeit deuten, welche sich hier in den theoretischen Diskurs mischte. Sie bildete dabei genau den Gegenpol zur Darstellung des Themas in der Technik oder in der Werbung, die damals vor
1 Flückiger 2008, S. 15ff
2 Hoberg 1999, S. 9
7
Kapitel 1: Vorwort
allem aus kommerziellen Beweggründen die rasante Veränderung des
Mediums vor­an­trieb.3
Darum sehe ich als Post Production Artist – angesiedelt zwischen dem
Technischen und dem Ästhetischen – die Aufgabe meiner Arbeit unter
anderem darin, in der Tradition von Lev Manovich und seinen Zeitgenossen, die Brücke zwischen Theorie und Technik zu schlagen. Aus der technischen und gestalterischen Praxis kommend, setze ich mich in diesem
Text auch mit Film- und Medientheorie auseinander und versuche meine
Schlüsse von einem gestalterischen sowie von einem technischen Standpunkt aus zu argumentieren.
Medien- und filmtheoretisch stehe ich den Ansätzen von Lev Manovich
nahe, welcher seit den 90er Jahren als einer der Begründer des fächerübergreifenden theoretischen Diskurses der neue Medien wirkt, sowie
moderneren multidisziplinären Wissenschaften auf dem Gebiet der Visual Culture, der Disziplin, welche die Entwicklung der filmischen Ästhetik
in einen gesellschaftlichen Kontext setzt. Trotzdem ich grundsätzlich die
negative Darstellung, welche digitale Filme in manchen klassischen Werken erhalten, sowie die Idealisierung von analogen Medien nicht teile,
werde ich auch historische Theorien in die Betrachtung des modernen
Films mit einbeziehen, wo ihre Verwendung einen sinnvollen, neuen Zugang zur Materie schafft.
Neben der Auseinandersetzung mit theoretischen Texten beziehe ich
auch Informationen aus Industrie-relevanten Zeitschriften, Reviews und
Interviews ein, sowie eigene Analysen des Gebiets, die abschließend im
Detail beschrieben werden.
1.2 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist, eine umfassende Kategorisierung der in modernen
Filmen enthaltenen Visual Effects anhand deren Sichtbarkeit zu erstellen, sowie die theoretische Auseinandersetzung mit dem Stilelement der
Verschmelzung von analogen und digitalen, indexalischen und virtuellen
Bildern. Obwohl die nahtlose Verschmelzung von Inhalten unterschiedlicher Provenienz ein zentrales Element der modernen digitalen Medien
schlechthin ist, gibt es nur wenig Literatur, die sich speziell mit den Ausprägungen dieses Elements beschäftigt.
Viele der Begriffe für und Kategorien von Effekten, die im Rahmen
dieser Arbeit verwendet und in Beziehung zueinander gesetzt werden,
sind in der Fachwelt durchaus gebräuchlich – Visual Effects Driven Moti3Belton 2002, S. 16-18
8
Kapitel 1: Vorwort
on Pictures4, Seamless Visual Effects5, Supportive Visual Effects6 und Invisible Visual Effects7 sind geläufige Begriffe.8 Sie bezeichnen jedoch oft
nicht nur die sichtbare Dimension, sondern sind darüber hinaus auch
Aussagen über Motivation und Technik hinter den Effekten. Die Konsequenz ist etwa, dass das Potenzial dieses Gestaltungsmittels sehr einseitig ausgenutzt wird, nämlich ausschließlich in Richtung der oben erwähnten perfekten Verschmelzung, in der die Elemente des filmischen
Bildes ihre unterschiedliche Identität aufgeben und in einem gemeinsamen Hybridbild aufgehen oder sich die digitalen Effekte komplett dem
Film unterordnen, um durch ihre Möglichkeiten der subtilen Bilderweiterung die Geschichte unsichtbar zu stützen.
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die digitale Bearbeitung
im Bild des zeit­genössischen Kinos. Obwohl sich die Digitalisierung der
gesellschaftlichen Institution Kino auf vielen Ebenen abspielt und Theorien, die das digitale Kino betreffen, in der Regel über alle diese Ebenen
sprechen, beschränke ich mich in dieser Arbeit lediglich auf den visuellen
Aspekt. Dabei soll auch nur bedingt zwischen der Rezeption im klassischen Kinosaal oder der auf der privaten Heimkinoanlage unterscheiden
werden. Obwohl dem Saal natürlich seit der Geburt des klassischen Kinos eine spezielle Rolle bei der Filmwahrnehmung zukommt, sind moderne Heimkinoanlagen heutzutage oft vergleichbar eingerichtet. Auch ohne
den großen Saal schaffen sie es heute schon durch ihre Größe und Qualität dem Kinoerlebnis in Hinblick auf die psychologische Wirkung des
Raums auf die Wahrnehmung9 ebenbürtig zu werden. Und ich meine zu
erkennen, dass auch andere Ausgabegeräte wie Bildschirm oder Fernseher diesen Effekt, wenn auch in abgeschwächter Form, durchaus reproduzieren – sei es durch kulturelle Prägung oder durch die Machart des
Hollywood-Kinos, das die Präsenz der Kamera auf formale Art leugnet.
Bei den Aspekten des digitalen Kinobildes fokussiert diese Arbeit speziell auf dem nach der Aufnahme eingefügten, digitalen Visuellen Effekt.10
Er weist im Gegensatz zum mechanischen oder optischen Effekt eine Verbreitung und Durchdringung des Bildmaterials auf, die so weit geht, die
4 Filme, die von ihren Effekten leben
5 meist fotorealistische Effekte, welche sich nahtlos ins umgebende Bild integrieren
6Effekte, die sich der Narration unterordnen
7 gänzlich unerkennbare Effekte
8 vgl. FXGuide Redaktion 2007, Skewers 2004, Preiskategorien des Visual Effects Society
Award, einer brancheninternen Auszeichnung http://www.vesawards.com/awards/history/1.
html
9 Gemeint ist hierbei, dass der Kinobesucher während der Rezeption des Films ganz in diesem versinken kann.
10 Digital Visual Effect, oder nur Visual Effect
9
Kapitel 1: Vorwort
Bildkonventionen des Mediums Kino nachhaltig zu verändern.11 Die Verbreitung digitaler Bearbeitungen macht es heutzutage auch schwer von
veränderten und unveränderten Bildern zu sprechen. Digitale Visuelle
Effekte sollen hier deshalb getrennt von Techniken wie der digitalen
Nachbearbeitung der Bildfarbe (Grading) oder oder der digitalen Montage betrachtet werden. Die letzten beiden Techniken gehören, bis auf wenige Ausnahmen, bereits zum Standardverfahren in Filmen aller Budgetklassen.
Neben der Ausprägung der Verschmelzung von Bildelementen durch
die „räumliche Montage“ des Compositing12, untersucht diese Arbeit auch
die Schwelle, ab der es dem Betrachter möglich ist zwischen unbearbeitetem und bearbeitetem Bild zu unterscheiden. Die Arbeit unterscheidet
in diesem Zusammenhang zwei zentralen Faktoren der Sichtbarkeit: die
nahtlose Integration aufgrund von Nachahmung der Bildkonventionen
des Filmbildes auf der einen Seite und die Fähigkeit des Zusehers Effekte aufgrund von Weltwissen als solche erkennen zu können auf der anderen Seite.
Dass diese nahtlose Integration von Filmbild und Effekt nicht mehr
nur eine simple minderwertige Nachahmung der Realität ist, wird
schlussendlich deutlich, wenn man moderne hybride Filmbilder betrachtet. In ihnen ist es nicht nur die Computergrafik, die sich dem klassischen Film-Stil annähert. Durch den Einsatz von digitaler Postproduktion treffen sich Filmbild und künstlicher Effekt im Rahmen eines neuen
Stils, der von der visuellen Tradition des analogen Kamerabildes ebenso
geprägt ist wie von den Eigenheiten und Möglichkeiten des Computerbildes.13 Auch auf diese wird, wenn auch nicht hauptsächlich, eingegangen.
1.3 „Visual Effects“ – Begriffsproblematik
Die digitale Filmbearbeitung kennt eine Vielzahl von Möglichkeiten das
Bild zu verfälschen bzw. zu erweitern. Diese Techniken, welche während
11Richter 2008, 182ff
12 Das Compositing ist jene Technik, mit der unterschiedliche Bildteile zu einem Bild zusammengefügt werden. Es ist ein zentraler Arbeitsschritt in der Produktion digitaler Filmeffekte. Hier werden die computergenerierten Elemente ins ursprüngliche Kamerabild integriert. Bei seiner Analyse des digitalen Films regte Manovich 2001 an, das Compositing als
räumliche Montage innerhalb eines Einzelbildes zu betrachten (im Gegensatz zur klassischen, zeitlichen Montage mehrerer Einstellungen hintereinander). Er erhob es damit in
der Bedeutung zu einem der Montage gleichwertigen Gestaltungsmittel. vgl. Manovich
2001, S. 148.
13Richter 2008, S. 79
10
Kapitel 1: Vorwort
der Produktionsphase des Digital Intermediate14 computergestützt auf
die digitalen Bilddaten angewandt werden, unterschieden sich von Film
zu Film. Für große Produktionen werden oft komplett neue Postproduktions-Abläufe entwickelt15 und obwohl sich verschiedene Techniken weitgehend etabliert haben, ist die Branche von einer Standardisierung weit
entfernt. Das führt dazu, dass in den vergangenen Jahren der Begriff der
Visual Effects, der digitalen Bearbeitung, weit gedehnt wurde: Oft ist die
Grenze zu Techniken, die normalerweise nicht als Visual Effects bezeichnet werden, wie etwa Grading16, nicht mehr so deutlich.
Grading und digitale Effekte sind beides sind Verfahren, um das Filmbild digital zu verändern. Im Prozess der Postproduktion können manchmal Compositing von digitalen Effekten17 und Grading in ein und demselben Arbeitsschritt passieren. Aus historischer Sicht und im Rahmen der
Postproduktion handelt es sich aber um zwei unterschiedliche Verfahren.
Während der Prozess des Grading in analogen Filmen eher mit der Farbgestaltung der Szene, der Wahl der Beleuchtung oder des Filmmaterials
zu tun hat, sind digitale Effekte eine Erweiterung des Filmmaterials. Sie
sind die Fortsetzung der analogen Tricktechniken und deren Weiterentwicklung. In großen Filmproduktionen werden diese beiden Schritte auch
explizit voneinander getrennt durchgeführt, obwohl der Umfang und der
Aufwand, mit dem manche Filmeinstellungen gegradet werden, tatsächlichen Visual Effects um nichts nachsteht. Obwohl sich diese Arbeit mit
der Effekttechnik befasst, soll auch Grading nicht ganz vernachlässigt
werden.
Schließlich stellt sich die Frage, ob nicht ein anderer Begriff als jener
der Visuellen Effekte besser die Bandbreite von Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung beschreibt. Der Begriff Visual Effect stammt historisch
gesehen von der Notwendigkeit der Unterscheidung zu den analogen Special Effects, welche normalerweise als pro-filmische Effekte während dem
Dreh realisiert werden. Betrachtet man das budgetäre Spitzensegment
der heutigen Kinoproduktion, so erkennt man die digitalen Effekte als
Fortsetzung der analogen. Doch die digitale Bearbeitung reicht weit über
die Erzeugung von vereinzelten Effekten hinaus. In manchen Fällen ist
der „Effekt“, der durch Bearbeitung erzielt wird, deutlich subtiler, und
manifestiert sich etwa im Abwesend-Sein eines visuellen Eindrucks, statt
in dessen Einfügen: wenn etwa Bildelemente digital retuschiert werden,
14 Digital Intermediate bezeichnet den Abschnitt zwischen der Digialisierung des analogen
Bildmaterials mittels Filmscanner und der erneuten Ausbelichtung der fertigen digitalen
Bild- und Tondaten auf Film.
15 Cinefex 2010, S. 30ff, S. 68ff
16 vgl. S. 10
17 vgl. S. 10
11
Kapitel 1: Vorwort
um einen bestimmten Ort oder eine Zeit der Handlung zu kommunizieren. Der offenbar örtlich begrenzte Visuelle Effekt beschreibt auch nur in
Maßen den Einsatz digitaler Be­ar­bei­tung in Bildern, die weitgehend digital erzeugt sind. Das ist heutzutage sowohl durch Computergrafik-Modelle in virtuellen Räumen oder durch nur begrenzt räumliche MattePaintings18 möglich. Darüber hinaus zeichnet sich der Begriff durch eine
unterschiedliche Verwendung im theoretischen wie im praktischen Bereich aus.
Die oben erwähnten Begriffe19 bieten einen Ansatz für die Ausdifferenzierung des Gebiets.
Aus Mangel an Alternativen werden in dieser Arbeit die durch digitale
Bearbeitung veränderten oder ergänzten Bild-Teile trotzdem als digitale,
Visuelle Effekte, oder mit ihrem noch gebräuchlicheren englischen Namen Digital Visual Effects, bezeichnet. Es bleibt zu beobachten ob dieser
ungenaue Überbegriff für die differenzierten digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten auch weiterhin Gebrauch finden wird, oder ob sich auf dem
Feld nicht schon bald andere, differenziertere Namen durchsetzen.
18 zweidimensionale, meist starre Bildelemente, wie künstliche Hintergründe
19 vgl. S. 8
12
2 Einleitung
Sichtbarkeit von Visual Effects ist eine Eigenschaft, die sich am Besten
anhand von konkreten Beispielen besprechen lässt. Darum möchte ich,
noch bevor auf Theorie, Geschichte und Technik eingegangen werden soll,
drei exemplarische Filmszenen bescheiben. Diese drei Szenen aus den
Filemen Children of Men (Alfonso Cuarón, 2006), Vorstadtkrokodile
(Christian Ditter, 2009) und The Curious Case of Benjamin Button (David
Fincher, 2008) beinhalten Visual Effects, die sich jeweils auf eine spezielle Art mit in den Film integrieren. Sie sind Vertreter von gängigen Formen von Visual Effects, welche sich auch später im Text wiederfinden.
Augenscheinlich sind sie aber zunächst drei komplett unterschiedliche
Produktionen: The Curious Case Of Benjan Button mag vielen Lesern ein
Begriff sein – der Film gewann 2009 drei Oscars und war für dreizehn
davon nominiert, seine Produktion kostete, Schätzungen zufolge1, stolze
150 Mio. Dollar. Eine beträchtliche Summe brachte dieser Film auch für
seine Werbung auf. Dahingegen ist das Budget der anderen beiden Filme
eher bescheiden. Children Of Men wurde mit 76 Mio. Dollar2, Vorstadtkrokodile lediglich mit 4,5 Mio. Euro3 produziert.
Jeder Film gehört offensichtlich zu einem anderen Genre und hat, obwohl alle dem Fotorealismus4 verhaftet sind, seinen eigenen, starken, visuellen Stil, ein charakteristisches Setting und spezielle Schauspieler.
Alle dieser Eigeschaften beeinflussen die Form der Visual Effects und
deren Integration in den Filmen, beinflussen, ob wir sie erkennen können odern nicht. Es ist diese Bandbreite an verschiedenen Arten der Integration und deren jeweilige Erkenbarkeit, worauf ich nun das Augenmerk der Leser lenken möchte.
Children of Men – Erkennen und Vermuten der Effekte
Die erste Szene spielt im kühlen, geschäftigen London der nahen Zukunft. Eine dokumentarisch anmutende Kamera filmt eine Fleet Street,
die von Verkehr, Müll und futuristischen, bewegten Plakaten geprägt ist.
Das Bild wirkt unmittelbar und authentisch. Der leichte Farbstich und
das scharfe, kontrastreiche Bild suggerieren eine Fernseh-Dokumentation über eine fast alltägliche, leicht trostlose Situation. Umso härter trifft
es den Zuseher, als plötzlich eines der Lokale unmittelbar vor der Kamera in einer riesigen Explosion zerstört wird. Als sich die Kamera der dich1 http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=curiouscaseofbenjaminbutton.htm
2 http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=childrenofmen.htm
3 zur Zeit der Produktion waren das etwas mehr als 6,2 Mio. Dollar, vgl. http://www.crew-united.com/index.asp?show=projectdata&ID=78546
4 vgl. Abschnitt 3.2 Naturrealismus und Fotorealismus
13
Kapitel 2: Einleitung
ten Staubwolke nähert, taumelt aus dem inneren des Lokals eine benommene Frau. In einer Hand trägt sie ihren durch die Explosion
abgetrennten Arm mit sich.
In dieser Szene werden wir als Zuseher Zeuge von mehreren Effekten,
die sich uns eindeutig als solche präsentieren. Die futuristischen Elemente fügen sich visuell perfekt ins Kamerabild, doch unser Wissen um das
Aussehen zeitgenössischer Städte und das Genre des Films (Science Fiction) verrät uns einige der Punkte, an denen das originale Kamerabild
endet und das digitale beginnt. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass
animierte Plakate und holographische Straßenschilder, mögen sie auch
noch so authentisch aussehen, nicht mit einer Kamera gefilmt werden
können. Sie existieren in der Realität nicht. Ebenso ist uns als Zuseher
jederzeit bewusst, dass die Explosion sowie ihre Opfer fiktiv sind und sich
vor Ort nicht so stattgefunden hat. Aus Erfahrung mit Effektkino können
wir vermuten, dass auch diese Bilder durch digitale Bearbeitung entstanden sind, oder zumindest am Set, ohne Gefahr für die Schauspieler.
Sicherheit über die Technik, mit welcher der Effekt der Explosion letztendlich umgesetzt worden ist, haben wir keine.
Es ist dem Zuseher in dieser Szene also möglich, aufgrund von Erfahrungswerten einzelne Effekte zu lokalisieren, obwohl sie im Rahmen des
Filmbildes absolut authentisch wirken.
Vorstadtkrokodile – Unsichtbare Effekte
Die zweite Szene spielt auf dem verfallenen Dach eines alten, hohen Lagerhauses. Eine lange, gleichmäßige Kamerafahrt über Giebel und Rand
des Daches stellt den Handlungsort vor. Hannes, einer der Hauptcharaktere des Films Vorstadtkrokodile, steigt eine rostige Leiter hoch. Er muss
als Teil einer Mutprobe auf das instabile Dach klettern, von dem sich
unter seinen Füßen die Ziegel lösen. Etwa zehn Meter tiefer stehen seine
Freunde, welche die waghalsige Aktion verfolgen. Die Mutprobe geht
Abb. 1: Explosionsszene in Children Of Men (Alfons Cuarón, 2006)
14
Kapitel 2: Einleitung
schief, als Hannes plötzlich das Gleichgewicht verliert, über den Rand
des Daches rutscht und sich gerade noch an einer Regenrinne halten
kann. Dort, in Lebensgefahr schwebend, muss er auf seine Rettung durch
die örtliche Feuerwehr warten.
Dieser Film hebt sich von den anderen beiden schon allein deshalb ab,
weil er nur über einen Bruchteil des Budgets verfügte. Die Szene spielt in
einer realistischen Gegenwart, an einem typischen Ort in Deutschland.
Diegese und Handlung sind so gewählt, dass der Film ohne Weiteres
komplett effektlos produziert werden könnte. Trotzdem ist die beschriebene Szene massiv von Computergrafik gestützt: Ein maßstabsgetreues
Set des Daches, auf dem sich der Schauspieler nur wenige Zentimeter
über dem Boden bewegte, wurde in die Aufnahmen des Originalschauplatzes integriert. Dahinter steckte die Motivation, die Sicherheit der
Produktion und des Schauspielers zu gewährleisten.
Für einen Zuseher, der kein Detailwissen über das deutsche Jugendschutzgeset hat, ist die Bearbeitung komplett unsichtbar.
The Curious Case Of Benjamin Button – Wissen um die Effekte
Die dritte Szene zeigt eine Versammlung im Zelt eines Wunderheilers im
New Orleans der 30er Jahre. Die Szenerie wird in ästhetischen Bildern
von einer neutralen Kamera in klassischer Hollywood-Manier erzählt. In
einem Rollstuhl auf der Bühne sitzt ein schmächtiger alter Mann mit
dem bekannten Gesicht von Brad Pitt. Der Prediger beschwört in einem
energischen Gebet die Heilung des Lahmen, welcher sich daraufhin tatsächlich, mit sichtlicher Anstrengung, aus dem Rollstuhl erhebt und unter Jubel der Versammelten einige Schritte läuft. Was die intradiegetischen Anwesenden5 nicht wissen ist, dass der vermeintliche Alte in
Wirklichkeit ein Junge ist, der eben die ersten Schritte seines Lebens
macht.
Abb. 2: Vorstadtkrokodile (Christian Ditter, 2009)
5 die Personen der Handlung, innerhalb der filmischen Welt
15
Kapitel 2: Einleitung
The Curious Case of Benjamin Button ist die größte und teuerste der
ausgewählten Produktionen. Das Herzstück des Films ist der digital gealterte Hauptcharakter, der von Weltstar Brad Pitt gespielt wird.
Dass sein Gesicht in vielen der Szenen teilweise bis komplett digital
erstellt wurde, ist uns als Zusehern bereits vor Filmstart in einer Flut
von Werbung und Making-Ofs kommuniziert worden. Die Wahl des Darstellers ist in diesem Zusammenhang auch als bewusstes Betonen der
Effekte zu verstehen, denn die Bekanntheit des Gesichts von Brad Pitt
erlaubt uns, unnatürliche Abweichungen vom gewohnten schneller zu erkennen.
Wir haben es in dieser Form des Films also mit einem Effekt zu tun,
der sich zwar perfekt ins Bild integrieren soll, aber trotzdem nie unsichtbar ist, dessen Ausmaß immer erkennbar ist. Den Zusehern soll ermöglich werden, dessen technische Perfektion zu bestaunen.
Zuseher mit geschultem Blick mögen darüber hinaus vielleicht auch
den Hauch einer digitalen Bearbeitung am Aussehen des Charakters erkennen. Sie entdecken im Aussehen der Haut, in der Bewegung, in der
Art der Mimik die Idiosynkrasien6 der Computergrafik.
Die drei Beispiele illustrieren unterschiedliche Typen von Effekten, die
wir aus unterschiedlichen Gründen erkennen, oder die uns verborgen
bleiben. Alle Effekte integrieren sich formal perfekt ins Bild. Man kann
als Zuseher nicht behaupten, die Filmschaffenden hätten gepatzt oder
ihr Medium nicht im Griff. Trotzdem sind in zweien der Beispiele aufgrund des Inhalts und Form der Bilder Effekte zu erkennen. Wovon dieses Erkennen im speziellen abhängt und welche Informationen wir der
Gestaltung der Sichtbarkeit entnehmen können, soll nun beantwortet
werden.
Abb. 3: The Curious Case of Benjamin Button (David Fincher, 2008)
6 den formalen Eigenheiten
16
3 Realismus und Sichtbarkeit
3.1 Dimensionen des Realismus
Während der Recherche nach Texten, die über die Sichtbarkeit von Visual Effects sprechen, stößt man so oft auf den Begriff des Filmischen Realismus. Die Befassung mit der Diskussion um diesen Begriff bildet nicht
nur eine Grundlage zur weiteren Diskussion des Themas Sichtbarkeit,
sie situiert die Arbeit auch im filmtheoretischen Umfeld, weshalb ich ihn
im Folgenden erklären möchte. Er ist besonders hilfreich bei der Analyse
der sichtbaren Effekte im modernen Spektakelkino1 und wird vor allem
bei der Diskussion um den gesellschaftlichen Wert von fotorealistischer
Computergrafik verwendet.
Dabei sollte man sich allerdings auch des historischen Hintergrundes
der Diskussion über den Realismus in den Medien bewusst sein, welche
in unterschiedlichen Epochen und sogar Jahrzehnten der letzten 200
Jahre paradigmatischen Änderungen unterworfen war. Christa Karpenstein-Eßbach beschäftigt sich in Einführung in die Kulturwissenschaft
der Medien2 mit Medien, welche die Gesellschaft durchdringen und bestimmen. Dabei beschreibt sie die Veränderung des Fokus in dieser Thematik von der Frage des Realismus als Ideologie3 vor den 1970er Jahren
hin zum Realismus als Unterscheidung zur Simulation und dem Simulakrum4. Die Unterscheidung war zu dieser Zeit von den Theorien der Semiotik sowie der Medienkritik von Jean Beaudrillard gekennzeichnet. In
den 1980er Jahren kreiste die Debatte laut Karpstein-Eßbach um die
grundlegende philosophische Problematik, ob es denn überhaupt eine erkennbare Realität gäbe, bis zur heutigen Problematik des Medialen Realismus als einzige Inszenierung.5 Eng damit verwandt ist auch jene Debatte um die immer einfacher werdende und unerkennbare Veränderung
von Bildmaterial und das damit einhergehende Misstrauen gegenüber
realistischen Bildern, welche sich in unterschiedlichen Texten seit den
1980er Jahren finden lässt.6
Um dem Phänomen des Realismus im Film ein wenig näher zu kommen und es als Begriff zu prägen, auf den ich in dieser Abhandlung zu1 Der Begriff des Spaktakelkinos, unter den Filme wie Avatar, 2012 und der zuvor erwähnte
Benjamin Button fallen, wird in Abschnitt 4.1 ausführlicher erklärt.
2 Karpenstein-Eßbach 2004
3 Damals stellte sich die Frage, ob es nicht überhaupt mehrere Realitätsbilder der unterschiedlichen Weltanschauungen gibt
4 das Nachgeahmte
5 Diese Sichtweise drängt sich besonders auf, wenn über Kriegsberichterstattung gesprochen
wird.
6Ein Vertreter ist etwa Hoberg 1999
17
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
rückgreifen kann, soll versucht werden, ihn auf unterschiedliche Ebenen
herunterzubrechen. Dan North unterscheidet in der Einleitung seines
Buches anschaulich zwischen drei Ebenen des Filmischen Realismus, die
ich im Folgenden mit Hilfe dieser Fragestellungen thematisieren möchte:
Die unmittelbare Frage nach Original und Kopie, die Frage nach der
Existenz des Referenten und nach der Wahrheit des Gesehenen.7 Diese Unterscheidungen werden uns im Folgenenden helfen, über den Eindruck
und die Sichtbarkeit von Effekten zu sprechen.
3.1.1 Original und Kopie
Die erste Ebene ist für die Thematik dieses Textes nur von begrenzter
Bedeutung. Sie fragt danach, ob das im Kino Gesehene die Realität selbst
ist, nur eine Kopie, oder im Falle des Films, ein Eindruck. Während der
frühen Jahre des Films hatte diese Frage eine offensichtlichere Bedeutung. R. McRath wird in Performing Illusions8 zitiert, wie er die besondere Eigenschaft des fotografischen Bildes und des bewegten Films gegenüber anderen visuellen Medien der Zeit aufzeigt. Das Foto hatte, wohl
gegenüber Malerei oder Bildhauerei, die Eigenschaft, die Merkmale des
eigenen Produktionsprozesses in den Hintergrund zu stellen und verbarg
damit seine eigene Künstlichkeit.
From the moment of their invention, photographs where passed
off as portions of nature.9
Die philosophische Frage nach dem Original, die sich in Folge auch
andere experimentelle Filmkünstler und -theoretiker stellten und stellen, ist auch die nach einem etwaigen immanenten Realismus des Fotobildes, der so weit gehen kann, dass er dem Realismus der Welt ebenbürtig wird, das Bild also nicht mehr nur ein „Abdruck“ der Realität ist,
sondern selbst die Realität wird. André Bazin machte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts diesen Realismus an Gestaltungsmerkmalen des
Filmbildes fest. Diese sollten den „natürlichen“ sensorischen Wahrnehmungen des Menschen möglichst genau und umfassend entsprechen. Seiner Meinung nach wäre etwa ein Film ohne Schnitte der Realität näher
als einer der auf Montage zurückgreift. Durch Analyse und Experiment
versuchte er ein Repertoire an solchen wirklichkeitssteigernderen Elementen zu entwickeln und so das Medium hin zu einem absoluten Realismus zu entwickeln. Bazin griff zu diesem Zweck auch Ideen auf, die aus
7 North 2008, S. 21
8 North 2008
9 ebd. S. 50
18
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
heutiger Sicht als Vorreiter der Idee der Immersive Virtual Reality10 gesehen werden könnten, und platzierte das Medium Film damit in einer teleologischen Evolutionskette, welche sich durch technische Innovation
immer weiter dem Ideal annähern würde. 11
Obwohl sich aus heutiger Sicht sagen lässt, dass dieses Ziel der „Wirklichkeitsannäherung“ und der Erzeugung gleichwertiger aber anderer
Realitäten immer noch von gesellschaftlicher Bedeutung ist, vollzieht sie
sich doch in einem anderen Bereich: Der Virtual Reality und der Computerbilder (welche zu Bazins Zeiten noch nicht existierten). Technische
Entwicklungen wie der CAVE12 könnten interessanterweise dem
Bazin’schen Ideal näherstehend gesehen werden als das Medium Film
selber. Der Film entwickelte seine eigenen Konventionen und ist diesen
rückblickend überraschend treu geblieben. Trotz der sich gerade verbreitenden Technologie der Stereoskopie sind Montage, Bewegungs- und Tiefenunschärfe, Wechsel in der Einstellungsgröße, Geschwindigkeit und
viele andere essentielle Bestandteile des Films, die zeigen, dass der Film
seine eigene Sprache durchgesetzt hat und statt einem absoluten Realismus zuzustreben, „nur“ noch diese weiterentwickelt. Realismus als Motor
für technische Innovation ist auf andere Gebiete ausgewandert und die
Entwicklung des Kinos wird heute von anderen Motiven getrieben. Dan
North sieht zumindest das Ziel des teuren Spektakelkinos heute mehr im
Genuss der Illusion:
„There is no ‚ultimate goal‘ for cinema, no point at which it can
appear so realistic, that it becomes a perfect simulacrum. If it
were to become totally ‘real’, it would cease to hold fascination as
an illusion of reality.” 13
Statt des absoluten Realismus entwickelte die Fotografie den Fotorealismus als eigenen visuellen Stil. Manche Strömungen des modernen
Films streben diesen nun als Ideal an, worauf ich später eingehen möchte.
10 virtuelle Realität, in die man komplett, mit allen Sinnen eintauchen kann
11 ebd. S. 15
12 „CAVE: Audio Viusal Experience“, „CAVE: Automatic Virtual Environment“ ist eine Installation, die 1991 vom Electronic Visualisation Laboratory entwickelt wurde und 1992 erstmals auf der Siggraf Messe für Computergrafik präsentiert wurde. In der damaligen Präsentationsbeschreibung weisen die Erfinder des CAVE ausdrücklich auf die Implementierung
von Prinzipien wie „Suspension of Disbelief“ hin, welche aus der Filmindustrie stammen.
vgl. Cruz-Neira 1992
13 North 2008, S. 16
19
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
3.1.2 Die Existenz des Referenten
Die zweite Frage bezieht sich auf den indexikalischen Charakter des Kinos. Die große Errungenschaft und ein Alleinstellungsmerkmal des fotografischen Films war zur Zeit seiner Entstehung, dass er das interpretative Element des Abbildungsprozesses chemischen Vorgängen überließ,
die auf die physische Präsenz des Abgebildeten angewiesen sind. Man
kann nicht aus dem Gedächtnis oder der Vorstellung heraus fotografieren; jedes im Foto abgebildete Element hat seine eindeutige Entsprechung in der Realität, welche zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der
Kamera präsent war. Die Begriffe der Zeichenlehre aufgreifend, hat sich,
nach der Klassifikation von Charles Sander Peirce, der Begriff des indexikalischen Bildes14 entwickelt. Mehr noch als ein einfaches Ikon, welches
ein Objekt beschreibt und ihm ähnelt, ist ein Index in der Semiologie ein
Hinweis auf den oder ein Abdruck vom Referenten. Wie etwa die Spur
eines Tieres ein Hinweis auf dessen Anwesenheit ist, so ist ein Foto der
Hinweis auf die Existenz des Abgebildeten. Damit ist das Foto in dieser
Hinsicht der Malerei überlegen, die zwar sehr authentisch visuelle Eindrücke wiedergeben kann, aber der man doch jederzeit vorwerfen kann
eine bloße Vorstellung des Künstlers darzustellen. Zusammen mit der
Fähigkeit, Objekte durch einen festgelegten und scheinbar objektiven –
weil chemischen – Prozess zu erzeugen, brachte die Fotografie auch eine
eigene Bildsprache mit sich. Diese durch den Abbildungsapparat bedingten Bildeigenschaften wie Tiefenschärfe, Perspektive, bestimmte Farben
oder die Abwesenheit von Farbe, wurden zum Sinnbild für jene Realitätsverhaftung und im gesellschaftlichen Bewusstsein fast untrennbar mit
ihr verbunden. Die moderne Bildbearbeitung bricht nun mit dem indexikalischen Charakter der Fotografie, indem sie erlaubt, Bilder zu erzeugen, die zwar ununterscheidbar von Fotografien sind, aber plötzlich keinen realen Referenten mehr benötigen.
3.1.3 Die Wahrheit des Gesehenen
Die dritte Frage, nach der Wahrheit des Gesehenen, betrifft die vom Film
vermittelte Botschaft und zeigt die enge Verknüpfung von Realismus und
Wahrheit. Ist Film in der Lage, uns objektiv etwas über die Welt zu berichten oder ist alles im Kino vermittelte eine Illusion? Hat man akzeptiert, dass Film nicht einen eigenen Realitätsanspruch (wie oben beschrieben) besitzt, so stellt sich die Frage, ob er als Vermittler zwischen
der objektiven Realität und uns fungieren kann und etwa helfen kann
14Eco 1977, S. 60f
20
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
komplexe Zusammenhänge einfacher zu verstehen und abstrakte Modelle von Systemen zu schaffen, oder ob seine Fähigkeit sich lediglich darauf
beschränkt uns verzerrte Realitätsbilder und emotionsgeladene Fiktionen zu präsentieren. Dabei ist es interessanterweise nicht wichtig, dass
die gezeigten Bilder indexikalischen Charakter haben – man denke an
medizinische Simulationen oder animierte Infografiken, denen wir in vielen Fällen eine bessere und genauere Vermittlung der Realität zugestehen, als Bildern, die unserem eignen Sehen ähnlich sind. Das Genre der
Dokumentation oder des Filmberichts etwa setzt implizit darauf, dass
uns Film, über den Abdruck der Realität hinaus, auch weitere objektive
Information liefern kann, welches uns über den visuellen Eindruck hinaus, auch das Geschehen vor Ort in derselben objektiven Weise vermittelt werden kann. Auch der Kinofilm hat stellenweise scheinbar den Anspruch das Publikum zu bilden, wenn er etwa versucht moralische Werte
zu vermitteln. Anders als der Dokumentarfilm suggeriert der klassische
Kinofilm dem Zuseher jedoch, das Gesehene wäre realistisch, indem er
die Gegenwart des Mediums verschleiert. Eine Vielzahl an Arbeitsweisen
hat sich über die Jahre entwickelt, um den Zuseher ein möglichst authentisch und realistisch anmutendes und direktes Filmerlebnis zu präsentieren. Dazu zählen etwa Continuity Editing15 und Method Acting16. Über
lange Jahre der kritischen Auseinandersetzung haben sich gewisse stilistische Merkmale durchgesetzt, die wir mit „wahrheitsgemäß“ und „illusorisch“ assoziieren.
Die Frage nach dem Realismus des Inhalts ist, wie man sich vorstellen
kann, die komplizierteste, da die Möglichkeiten des Films zu täuschen
scheinbar endlos sind. So hat sich schweigend das perfekte, reine Bild des
Hollywood-Kinos als Grundlage für Fiktion etabliert. Als Grundlage für
nüchterne, informative Berichte kristallisierte sich demgegenüber der
unbearbeitete, verwackelte Look von Hand- oder Schulterkameras heraus. In Verbindung mit Off-Kommentaren oder ungeschminkten Interview-Situationen, verbirgt dieser die Methode seiner Schöpfung nicht.
Die Debatte um die Ideologie des Kinos schien überwunden.
Der digitale Film hat durch seine einfache Manipulierbarkeit diese
Frage wieder ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Unterschiedliche Filmtheoretiker werfen dem Effektfilm vor, er
überwältige das Publikum und würde seine Fähigkeit kritisch zu denken
15Auch unsichtbare Montage; Verbreitetste Montage-Form des populären Kinos, welche ein
Versinken der Zuseher in der Filmwelt ermöglicht und die Anwesenheit des Mediums verschleiert. Mehr dazu in Pramaggiore 2005, S. 182 oder Orpen 2003, S. 9.
16Beim Method Acting identifizieren sich Schauspieler für die Dauer der Filmproduktion mit
der gespielten Rolle und empfinden die gespielte Emotion selbst.
21
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
betäuben.17 In mehreren Filmen der vergangenen Jahre wurde bewusst
auf dokumentarischen, rohen Filmstil gesetzt, der genauso bearbeitet
und digital erweitert werden kann wie jeder andere. Kritiker werfen dem
digitalen Film vor, mit dem scheinbar unbeschränkten Manipulation den
Realismus des analogen Films zu unterwandern, was durch die immer
einfacherer werdende Veränderung zu einer neuen Welle von Täuschung
führen könnte. Dan North interpretiert die Entwicklung des Kinos hin zu
stärker verfälschten Bildern und damit immer schwerer erkennbaren Illusionen erfrischend anders: Da der moderne Spektakelfilm sein illusionistisches Potenzial zur Schau stellt und das Entdecken von möglichst
gut integrierten Seamless Effects als zusätzlichen Reiz bietet, schärfe er
auch die Fähigkeit des Publikums digitale Veränderung zu erkennen und
sich kritisch mit auf den ersten Blick unbearbeitetem Filmmaterial auseinanderzusetzen.
3.2 Naturrealismus und Fotorealismus
Wenn der Film nun, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, nicht den
natürlichen Realismus als visuelles Ziel hat, wie kann man seinen Charakter dann beschreiben? Welche Form von Realismus streben die Effekte des Filmes an, wenn sie versuchen realistisch zu sein? Der vorwiegende Stil des Hollywoodkinos ist einer, der stark von den natürlichen
Bildeigenschaften des fotografischen Bildes bestimmt ist. Das ist keine
überraschende Erkenntnis, doch es sollte dabei bedacht werden, dass
dies keinesfalls eine Notwendigkeit darstellt. Zielt die Bearbeitung des
Films nun darauf ab, genau diese Anmutung des Filmbildes aufrecht zu
erhalten, so spricht man von fotorealistischen Effekten.
3.2.1 Fotorealismus in der Kunst
Der Begriff des Fotorealismus als Stil der Bildgestaltung trat erstmals in
den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Malerei auf. Ansätze, fotografische oder vorfotografische Hilfsmittel in der Malerei einzusetzen,
gab es schon lange. Der Gebrauch der Camera Obscura in der Malerei
etwa ist bereits seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Nach dem Populärwerden der Fotografie schlug die Malerei jedoch bald den Weg der Abstraktion ein und distanzierte sich weitgehend vom bloßen Abbilden der
Realität. Die Thematisierung der Gestaltungsmerkmale fotografischer
17 North 2008, 8ff.
22
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
Aufzeichnung und Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Dominanz, die
fotografische Gestaltung in der westlichen Gesellschaft besitzt, stellte
eine kulturelle Errungenschaft dar. Künstler des Fotorealismus wie Richard Estes in Amerika und Franz Gertsch in Europa übertrugen alltägliche Motive, die sie zuvor mit Kamera aufgezeichnet hatten, mit großem
handwerklichem Geschick in ihre Gemälde. Auf diese Weise machten sie
auch den starken Unterschied zwischen dem Foto und dem Medium der
Malerei deutlich. Den dabei entstandenen Bildern mit hohem Detailgrad,
welche manchmal bis auf unmittelbare Distanz nicht von Fotografien unterschieden werden können, wurde nachgesagt, sie würden bloß den Realismus der Fotografie nachahmen, statt die Stärken der Malerei – Abstraktion und Interpretation – auszunutzen. Eine andere Interpretation
wäre auch, dass durch den Transport von Stilmerkmalen eines Mediums
in ein anderes, dem sie eigentlich fremd sind, diese in die Aufmerksamkeit der Betrachter rücken. Die Fotorealisten erlaubten es den Rezipien-
Abb. 4: Fotorealismus in Irene VIII (1981) von Franz Gertsch,
Gouache auf Papier, 48,3 x 61 cm
Abb. 5: Fotorealismus in Escalator (etwa 1971) von Richard Estes, Öl auf Leinwand,
60,96 x 91,44 cm
23
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
ten ihrer Kunst damit, sich des Monopols der Fotografie auf die Abbildung der Realität bewusst zu werden, indem sie diese anderen Arten von
Abbildungen gegenüberstellten – dem klassischen Bild, aber auch moderneren, abstrakteren Gattungen. Wie auch immer man die Intention der
Fotorealisten bewerten mag, spätestens seit dieser Periode hatte der Stil
nicht-fotografischer Bilder, die den Konventionen einer Kamera folgten,
einen Namen.
3.2.2 Fotorealismus in der Computergrafik
Für den Bereich des Effektkinos ist ebenso ein erneutes Aufgreifen des
Begriffes wichtig, das diesmal auf dem Gebiet der Technik stattfand: Mit
der Weiterentwicklung von bildgebenden Verfahren in der IT wurden
auch Algorithmen entwickelt, die physikalische Vorgänge wie komplexen
Licht- und Schattenwurf aber auch den Kameraapparat mit seinen Linsen simulierten und so künstliche Bilder erzeugten, die denen einer Kamera nachempfunden waren. Dazu zählen vor allem die Verfahren Raytracing, Radiosity, Final Gather und Global Illumination. Bilder, welche
mit solchen Verfahren berechnet sind, werden als fotorealistisch bezeichnet.
Eine interessante Frage ist, warum sich der Fotorealismus in der Effektwelt so stark durchgesetzt hat. Einzelne moderne Beispiele, wie Sin
City (Robert Rodriguez, 2005), 300 (Zack Snyder, 2007), Filme von Tim
Burton oder Terry Gilliam zeichnen sich durch individuelle Stile aus, sich
von dem des Realfilms unterscheiden und trotzdem Realfilm-Elemente
einsetzen. Sie zeigen, dass es durchaus Alternativen zum klassichen
Filmrealismus (bzw. den jeweiligen Genre-Stilen) gibt. Wieso sich dieser
trotzdem weitgehend als Leitstil hält wird in Kapitel 4, im Abschnitt Formale Sichtbarkeit, besprochen.
Abb. 6: Fotorealismus in der Computergrafik: Klassisches Beispiele für Raytracing
Global Illumination und andere fotorealistische bildgebende Verfahren
24
Kapitel 3: Realismus und Sichtbarkeit
Diese Techniken simulieren die Eigenschaften von Licht, welches von
einer Kamera aufgenommen wird. Daneben setzen Filme mit fotorealistsichen Effekten auch vielerorts aufgezeichnete Elemente ein, um die Ästhetik von Kamerabildern nachzuahmen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Performance Capture18, Überlagerung mit aufgezeichnetem
Filmmaterial, fotografische Texturen und durch Messungen erzeugte
Oberflächenmodelle19 usw. Barbara Flückiger gibt am Beginn ihre Buches eine gute Übersicht über dieses Gebiet.20
Dem Begriff des Fotorealismus soll der Begriff des Naturrealismus gegenübergestellt werden, mit welchem ich nicht medial-vermittelte, direkte sensorische Eindrücke der Welt beschreiben möchte.
3.3 Realismus und Narration
Bei allen Überlegungen zum Thema Realismus ist ein Aspekt nicht zu
vergessen: Für ein Funktionieren der audiovisuellen Narration eines
Films ist eine besondere Nähe der Bilder zur Realität nicht notwendig.
Die menschliche Vorstellung ist ebenso in der Lage abstrakte Bilder zu
interpretieren und komplexe Handlungen oder Charaktere zu erkennen.
Stilisierte Animationsfilme oder Cartoons sind ebenso lesbar wie Fotografien. Filme wie Who Framed Roger Rabbit (Robert Zemeckis, 1988)
beweisen, dass auch nicht-fotorealistische Elemente in klassischen Film
integriert werden können. Das Kapitel 4.1 Sichtbare Effekte geht auf diese und weitere Arten von gelungener Kombination von nicht-fotorealistischen Bildelementen ein.
Abb. 7: Funktionierende Narration trotz Stilbruch in Who Framed Roger Rabbit
(Robert Zemeckis, 1988)
18 welche die Bewegung von Schauspielern für digitale Modelle aufzeichnet
19 z.B. soganannte Bidirectional Texture Functions (BTF). Diese stellen eine mathematische
Beschreibung beleuchteter Oberflächen dar, welche durch Messungen erzeugt wurde.
20 Flückiger 2009, S. 291
25
4 Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Unter dem Titel Ausprägungen der Sichtbarkeit möchte ich zwei grundlegende Aspekte der Integration unterscheiden und über deren historische
und formale Bedeutung sprechen.
An den Beispielen zu Beginn des ersten Kapitels kann man erkennen,
dass es nicht nur misslungene oder experimentelle Effekte sind, die einem als Zuseher auffallen.
Im einen Fall mag es dem einen oder anderen Zuseher auffallen, dass
der alte Mann in der Szene aus The Curious Case Of Benjamin Button
Züge von Künstlichkeit hat, vielleicht sogar in eine unheimlicher Art
schwer zu bestimmen sind. In einem andern Fall erkennt er vielleicht,
dass es sich bei dem scheinbar Alten um den bekannten Schauspieler
Brad Pitt handelt und es erscheint daraufhin naheliegend, dass es sich
dabei um eine (wenn auch nicht genauer bestimmbare) Art des Filmeffekts handelt. Wieder in einem anderen Fall mag der Zuseher, wie viele
andere, in den Genuss von Werbeartikeln oder Making-Of Filmen mit
Werbecharakter gekommen sein, welche ausführlich die innovative neue
Technik beschrieben, welche für die eine oder andere filmische Illusion
verantwortlich ist.
Aus dieser einen Beobachtung kann man schließen, dass es nicht nur
unterschiedliche Kriterien für die Erkennbarkeit gibt, sondern dass diese
auch von gänzlich unterschiedlichem Charakter sind: Eine Klasse dieser
Kriterien ist offenbar von den technischen Produktionsmethoden bedingt,
andere sind durch unseren sehr selektiven und in manchen Situationen
ausgesprochen anspruchsvollen Wahrnehmungsapparat bedingt. Wieder
eine andere ist bestimmt durch Information, die von außerhalb des Films
kommt.
Dan North fasst die Eigenschaften, welche für die Sichtbarkeit eines
digitalen Effekts ausschlaggebend sind wie folgt zusammen:
Special Effects can be perceived by their mechanical idiosyncrasies or deficiencies, by inadequacies of their manufacture, or by
simple acknowledgement of the impossible1
Die drei hier aufgeführten Möglichkeiten wären also die dem Medium
eigenen Bildeigenschaften, minderwertige Produktion von Effekten, welche allerdings das Potenzial hätten, dem Zuseher nicht aufzufallen, und
schließlich Wissen über die Fiktionalität des gezeigten Bildes.
Da es kaum genauere Klassifikationen für die verschiedenen Arten
der Sichtbarkeit von digitalen Filmeffekten gibt, möchte ich in diesem
1 North 2008, S. 5
26
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Text eine neue vorschlagen: Ich möchte diese Eigenschaften durch die
Begriffe formale Sichtbarkeit und inhaltliche Sichtbarkeit unterscheiden.
4.1 Formale Sichtbarkeit
Der in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriff der formalen Sichtbarkeit beschreibt all jene Merkmale der Sichtbarkeit von Effekten, die innerhalb
einer einzigen Einstellung erkennbar sind. Nach Dan Norths Beschreibung umfasset die formale Sichtbarkeit jene „mechanical idiosyncrasies
or deficiencies“ und „inadequacies of their manufacture“.
Die Arten, auf die Bilder in der Fotografie und am Computer entstehen, unterscheiden sich grundlegend. Während im einen Fall ein chemischer Prozess für das Erscheinen der Bilder sorgt, so passiert es im anderen Fall elektronisch auf Basis von Daten und Algorithmen. Diese
Entstehungsprozesse zeichnen sich im Aussehen der jeweils resultierenden Bilder ab. Auch Bilder des selben Mediums, die unter unterschiedlichen Voraussetzungen erzeugt wurden, weisen andere Bildeigenschaften
auf. In der Fotografie wäre hier etwa die Farbe unterschiedlicher Filme
zu nennen, andere Linsen oder Lichtverhältnisse – um Klassen mehr
Möglichkeiten gibt es am Computer. Versucht man nun Fotografien und
digitale Bilder zu kombinieren, so stechen diese Differenzen entweder ins
Auge oder müssen handwerklich geschickt entfernt oder kaschiert werden.
Ein unterhaltsames Beispiel für die Betonung der formalen Sichtbarkeit aus der Welt der statischen Bilder ist das Spiel Fake Or Photo, welches von der Firma Autodesk angeboten wird.2 Es wirbt mit fotorealistischen Bildern aus der Produktpalette von Autodesk für die Möglichkeiten
ihrer Computergrafik. In dem kurzen Quiz werden den Benutzern unterschiedliche Bilder gezeigt, die auf den ersten Blick wie Fotos wirken. In
Beschreibungen wird dem Spieler dann erklärt, das sich allerdings nur
bei etwa der Hälfte der Bilder um echte Fotografien handelt. Die andere
Hälfte sind computergenerierte Bilder, die sich darunter „geschummelt“
haben. Die Aufgabe des Spielers ist es nun die Provenienz jedes Bildes
anhand seiner formalen Merkmale richtig zu erkennen.
4.1.1 Historische Dimension
In der Filmwelt wird die formale Sichtbarkeit am offensichtlichsten, wenn
der Zuseher während des Filmerlebnisses einen Stilbruch wahrnimmt.
2 http://area.autodesk.com/fakeorfoto
27
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Ein gutes Beispiel dieser Domäne sind die Effekte in Filmen wie Tron
(1982, Steven Lisberger) oder Star Trek: The Wrath of Khan (1982, Nicholas Meyer). In ihnen ist die frühe Computergrafik der 1980er Jahre aufgrund der mathematischen, abstrakten Ästhetik der frühen Effekte von
dem umgebenden, detaillierteren Filmbild deutlich zu unterscheiden.
Ausschlaggebend für das Erkennen der einzelnen Effekte in diesen Filmen ist die oben beschriebene, unterschiedliche visuelle Ästhetik der Bildelemente in ihrer Oberflächengestaltung, Bewegung oder Detailgrad,
die damit deutlich erkennbar aus unterschiedlichen Quellen stammen.
Die frühe Computergrafik trug ihren Erstellungsprozess noch klar zur
Schau. Dan North zählt neben den beiden oben genannten Filmen auch
The Last Starfighter (1984, Nick Castle) und Young Sherlock Holmes
(1985, Barry Levinson) auf, in denen er ebenfalls einen klaren Bruch zwischen Film und Computergrafik feststellte.3 Auch hier traten die digital
ergänzten Teile durch Abstraktion der Effekte ohne fotografische Artefakte wie Unschärfe oder Rauschen hervor. Die intuitivste Erklärung für
diesen Stilbruch im effektgestützten Kino ist, dass die Computergrafik
der 1970er und 80er Jahre nicht über die Reife der heutigen verfügte und
deshalb die perfekte formale Integration noch nicht möglich war. Auch
wenn etwa Young Sherlock Holmes mit seinem magischen Ritter aus
Fensterglas schon erste Schritte in Richtung rahmenloser Integration
der Bilder4 machte und schon erste Beispiele für die Verschmelzung von
Film und Computergrafik erkennen lassen, so war der Computer damals
noch kein geeignetes Werkzeug, um die Qualitäten fotografischer Bilder
Abb. 8: Kampf gegen den digitalen Glas-Ritter in Young Sherlock Holmes (Barry
Levinson, 1985)
3 Dan North 2008, S. 127
4 D.h. Integration in Bilder ohne narrative Rechtfertigungen der Ästhetik. s. Flückiger 2008,
S. 394, North 2008, S. 133
28
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
glaubhaft nachzuahmen. Der wahrgenommene Bruch ist demnach ein
Versagen der frühen Computergrafik, fotorealistische Bilder zu erzeugen.
Mit dieser Erklärung greift man allerdings eine Entwicklung vorweg,
die erst in den 1990er Jahren einsetzen sollte: die nahtlose Integration
von Effekten. Zu einer Zeit, als es eine Herausforderung darstellte, einfache geometrische Körper in Filmqualität zu rendern, war an naturalistische Motive nicht zu denken. Tatsächlich war es zu Enstehungszeit dieser beiden Filme auch noch nicht absehbar, wann und ob Computerbilder
überhaupt in der Lage wären fotorealistisch zu erscheinen.
In der Effektabteilung der Lucas Arts Studios (heute Industrial Light
and Magic) wurde für den erwähnten Teil der Star Trek-Filmereihe zwar
schon an fraktalen Algorithmen gearbeitet, welche den Bildern ein natürlicheres Aussehen geben sollten5, das Gros der Effektarbeit in den 1970er
bis 1980er Jahren fand sich jedoch nicht im Kino, sondern im Fernsehen.
Hier spielten digitale Bilder gezielt ihre artifizielle Ästhetik aus: glänzende Logos, Werbeslogans und Inserts kommunizierten mit den ungewohnten Bildern Modernität und technischen Fortschritt.
Besonders der Film Tron zielte nicht darauf ab, eine realistische Welt
zu zeigen, sondern wollte mit der ungewohnten Computer-Ästhetik neuartige Bilder zeigen, narrativ gerahmt als „Blick in den Computer“.6 Die
Filmschaffenden nutzten die neue Technologie für eine Geschichte, die
den Zeitgeist wiederspiegelte, und mit Computergrafik einen Blick in das
Innere eines Computers warf, in dem sich anthropomorphe Programme
in einer Welt bewegten, deren moralische Wertvorstellungen an die unsere angelehnt waren. Damit war es durchaus ein Ziel, die zum Film unterschiedlichen Eigenschaften des Computerbildes hervorzuheben, indem
etwa auch die Schauspieler und Set-Aufnahmen aus längeren Filmsequenzen mithilfe analoger Animationstechniken an diesen Stil angeglichen wurden.
Man sieht an diesen Beispielen, dass ein Bruch in den Anfangszeiten
des Kinos durchaus erwünscht war und der Stilmix einen weiteren Kommunikationskanal zum Publikum eröffnete. Durch die Bildeigenschaften
des Computerbildes wurde der Fortschritt der Technik kommuniziert,
der es dem sperrigen, unzugänglichen Rechengerät überhaupt erst ermöglichte als Bildmedium zu fungieren.
5 North 2008, S. 127ff
6 North 2008, S. 129
29
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
4.1.2 Perfekte Verschmelzung, Rahmung und diegetic baggage
Dass Stilbrüche Bedeutung tragen können, könnte man in der Bildwelt
des heutigen Kinos schnell vergessen. Mit dem Fortschritt der bildgebenden Verfahren in den 1990er Jahren stellte sich der oben beschriebne
Trend in der Computergrafik ein, der sich weitgehend bis heute gehalten
hat – der Trend zur perfekten Verschmelzung, zu den Seamless Effects7.
Dieser Begriff ist zu einem Gütesiegel der Industrie geworden, wie unterschiedliche Artikel in Fachzeitschriften zeigen. Ziel dieser Ideologie der
Filmgestaltung ist es, wie der Name sagt, die formale Grenze zwischen
den unterschiedlichen Bildelementen eines effektgestützten Bildes verschwinden zu lassen. Großteils wird dies realisiert, indem sich die Computergrafik formal dem Aussehen und den Gestaltungsprinzipien des
Abb. 9: Computerwelt aus Tron (Steven Lisberger, 1982)
Abb. 10: Frühe dynamics Animation aus Star Trek: The Wrath of Khan (Nicholas
Meyer, 1982)
7 Skweres 2004, FXGuide Redaktion 4.1.2007
30
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Films annähert, obwohl Filme wie Tron zeigen, dass auch die umgekehrte Annäherung – des Films an den Stil des Computers, möglich ist. Darüber hinaus hat auch das inhaltliche „Tricksen“ um einen Effekt trotz
formalen Bruches nahtlos in das Filmbild zu integrieren, eine lange Tradition, wie sich an einigen Beispielen zeigen wird.
Perfekte formale Integration, am Beispiel Jurassic Park
Einer der Vorreiter der Seamless Effects war der Film Jurassic Park, der
1993 unter Regie von Steven Spielberg abgeschlossen wurde. Der Film
zeigte eine Verschmelzung von unterschiedlichen digitalen Techniken,
analogen Puppen und Animatronics8 mit dem Ziel der totalen Unterordnung der Computergrafik unter das Filmbild. Mit Hilfe weiterentwickelter Algorithmen und auf Basis ausgiebiger Recherche wurden so ein möglichst authentisches Bild der prähistorischen Wesen gezeichnet.
Was Jurrasic Park in den 1990ern bot, war eine perfekte Fiktion in
filmischen Bildern, welche ohne inhaltlichen Rahmen und Rechtfertigung auskam. Der Film ist gekennzeichnet durch das Fehlen jeder diegetic baggage9 zur Rechtfertigung eines stilistischen Bruchs, wie sie Dan
North noch bei Vorgängerfilmen ausmachte.10 Er ließ den Zuseher einerseits in einer kontinuierlichen, stilistisch ungebrochenen Diegese versinken und regte ihn andererseits an, wie im Spiel Fake of Photo11, doch he-
Abb. 11: Natürlich wirkender Auftritt von Computergrafik, ohne diegetic baggage
in Jurassic Park (Steven Spielberg, 1993)
8 durch Mechanik bewegte Puppen
9 diegetischer Rucksack; North bezeichnet damit eine konstruierte Geschichte, deren Zweck
es ist, lediglich die Anwesenheit eines Viusal Effects zu rechtfertigen. Er konnotiert damit
den gebräuchlichen Begriff der Rahmung negativ. vgl. Tron, The Last Starfighter, Terminator II
10 North 2008, S. 133
11 vgl. S. 27
31
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
rauszufinden welches Bild denn nun „real“ filmisch und welches virtuell
sei. Nicht zuletzt lässt sich die Bedeutung der Effekte von Jurassic Park
auch in der Liste der 50 einflussreichsten Visual Effects Filme aller Zeiten
herauslesen, welche die Visual Effects Society herausgibt: Sie würdigt Jurassic Park mit Platz 5 und macht ihn somit nach The Matrix (The Wachowski Brothers, 1999) zum zweiten Film mit digitalen Filmeffekten
überhaupt in ihrer Reihung.12 Diese Fähigkeit der Viusal Effects, sich
perfekt formal unter das Filmbild unterzuordnen, bildete die Grundlage
für ihren Erfolg.
Strategien der Integration in Tron und The Matrix
Ein weiteres anschauliches Beispiel für den Erfolgszug ist im Vergleich
der beiden Filme Tron (1982, Steven Lisberger) und The Matrix (The Wachowski Brothers, 1999) zu sehen. In beiden Filmen werden Welten gezeigt, die innerhalb der Handlung digitale, virtuelle Welten sind, in welchen sich die Charaktere der Handlung frei bewegen können, die aber
eigenen Gesetzen folgen. Im Falle des 1982 gedrehten Tron ist diese Welt
das Innere des Computers der Firma ENCOM, in das der Hacker Flynn
gegen seinen Willen geschleudert wird. Im Falle von The Matrix, ist es
die komplexe Welt der Matrix, aus der der Hauptcharakter Neo auzubrechen versucht.
Während im Falle des früheren Films die Computerwelt noch der Formensprache der relativ reinen Computergrafik und -animation entsprach
und das Element des digitalen sich noch in jeder Fläche, jedem Körper
formal widerspielgelte, so ist sie in The Matrix bereits ununterscheidbar
von der Realität. Die Eigenschaften, welche die Matrix die längste Zeit
des Films als computergenerierte Pseudo-Realität kennzeichnen sind
rein inhaltlicher Natur: Personen haben übermenschliche Fähigkeiten,
Abb. 12: Zwei Helden in einer computergenerierten Welt: Während die Computerwelt in Tron weitgehend auf rein formaler, bildgestalterischer Ebene passierte,
arbeitet The Matrix mit fotorealistischen Bildern, in deren Inhalt sich die Computerwelt offenbart.
12 http://www.visualeffectssociety.com/system/files/15/files/ves50revelfin.pdf
32
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Gegenstände materialisieren sich auf Kommando in einem endlosen weißen Raum, Wiederholungen von Situationen lassen Fehler im Programm
erkennen. Formal tritt sie bereits ununterscheidbar vom Kamerabild auf
– die virtuelle Realität sieht formal ununterscheidbar von der Realität
aus. Gegenstände haben denselben Detailreichtum, mathematische
Grundformen kommen nicht vor, alle virtuellen Gebilde sind mit den
klassischen Eigenschaften der Kamera – Tiefenschärfe, Bewegungsunschärfe, Filmrauschen, usw. – versehen. Der virtuelle Raum, den früher
die formale Dimension des Kamerabildes kommunizierte, ist fast gänzlich in die inhaltliche Ebene des Films gewandert. Selbst dort, wo der
Film uns neue Bildwelten eröffnet13, ist eine vergleichsweise brave Ästhetik gewählt, welche nicht wie vor zwanzig Jahren versucht die formale
Sprache des Films zu brechen, sondern lediglich diese in Richtung von
Computerbildern zu erweitern und die beiden einander anzunähern.
Obwohl die Geschichten ähnliche Komponenten beinhalten – eine immersive, virtuelle Computerwelt, anthropomorphe Programme, usw. – ist
der visuelle Stil der beiden Filme gänzlich unterschiedlich. In ihnen spiegelt sich nicht nur der technische Fortschritt der Computergrafik, sondern auch der jeweils vorherschende Stil und die Mode im Bezug auf Visual Effects. In den 1980er Jahren war die Rahmung der Effekte sowie
die Annäherung des Filmbildes noch unerlässlich. Im moderneren Film
haben die Effekte ihre inhaltliche Rechfertigung nicht mehr notwendig.
Sie sie sind den diegetischen Rucksack los.
Erfolgsrezept der perfekten formalen Integration
Der Siegeszug von Seamless Effects ist viel diskutiert und mit unterschiedlichen Argumenten erklärt worden. Warum setzten sich im Kino
nicht Erzählstile mit deutlicherem Bruch durch, wo doch dieser ein Element ist, das narrative Bedeutung tragen kann? Warum behielt in der
nahtlosen Verschmelzung von Computerbild und Fotografie die letztere
so deutlich die Oberhand? Die Antworten (derer es mehrerer bedarf) finden sich auf unterschiedlichen Ebenen:
Ungestörte Fiktion durch formale Kontinuität
Dan North sieht im verschmolzenen Bild einerseits endlich die Möglichkeit eine durchgängige, ungebrochene Fiktion zu erzählen, welche sich
zuvor einer ständigen Ausrede bedienen musste, um die stilistisch eingeschränkte Computergrafik im Kino einzusetzen. Denn unkommentierte,
nicht integrierte Computergrafik wirkt im Kamerabild deplatziert. Der
13 etwa in den berühmten Bullet-Time Einstellungen, in denen für einen Moment die Zeit des
Films angehalten wird, während sich die Kamera weiter bewegt
33
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
stilistische Bruch zwischen den beiden Bildwelten reißt den Zuseher aus
der Versenkung in die Geschichte und lenkt seine Aufmerksamkeit, zumindest zeitweise, auf die Optik der Elemente.
Der Versuch, von den technischen Produktionsmitteln des Films abzulenken, lässt sich auch in anderen gestalterischen Domänen des Kinos
erkennen. Beim Continuity Editing14 ist etwa ebenso das höchste Ziel
eine Geschichte zu erzählen, ohne dabei auf die Technik des Erzählens
(in diesem Fall die Montage) hinzuweisen. Werden die Prinzipien des
Continuity Editing gebrochen, kann es passieren, dass der Zuseher aus
dem Erzählstrom gerissen wird und erst wieder durch bewusste Interpretationsleistung der Handlung folgen – z.B. „Diese Einstellung befindet
sich noch im selben Raum, nur die Perspektive ist stark geändert.“
Der selbe störende Effekt tritt heute bei Filmen ein, in welchen schlecht
integrierte Effekte, oder analoge Filmtricks mit unglaubwürdigen Puppen oder Kostümen vorkommen. Aufmerksamkeit wird auf die unzulängliche Technik des Effekts gelenkt. In diesem Szenario kann es dazu kommen, dass der Zuseher erst bewusst akzeptieren muss, was ihm durch
den Effekt präsentiert wird – etwa die digitalen Kulissen von Sky Captain And The World Of Tomorrow (Kerry Conran, 2004) als realen Raum.
Das erfolgreiche, ungestörte Versinken in der Handlung eines Films
wird in der Filmproduktion suspension of disbelief15 genannt und ist ein
zentrales Thema aller Medien, welche Fiktionen transportieren.
Diegetic Baggage als provisorische Lösung
Der Zuseher kann durch eine Rahmung oder eine inhaltliche Rechtfertigung auf den Bruch vorbereitet werden. Die unterschiedlichen Effekte
Abb. 13: Computergenerierte Bilder aus dem Film Sky Captain and the World of
Tomorrow (Kerry Conran, 2004) wirken absichtlich stilisiert.
14 vgl. S. 21
15 das „Aussetzens des Unglaubens“
34
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
können so auch trotz eines formalen Bruchs in die Handlung integriert
werden – etwa indem Effekte auch im Film als Computergrafik auf einem
Monitor (gerahmt) auftreten16. In Tron existieren die durch Computergrafik erzeugten Bilder etwa innerhalb der Handlung in einer alternativen Realität, in welcher die Gesetze der gewohnten Welt nicht gelten und
somit die unterschiedlichen Aussehen gerechtfertigt sind.
Jedoch war das Repertoire solcher „Rahmungen“ und „Rechtfertigungen“ früher begrenzt durch die geringe Formensprache, zu welcher die
Computergrafik fähig war. Eine mit der technischen Entwicklung voranschreitende Annäherung des Effektstils an den Filmstil (das breiter akzeptierte und ausgereiftere der beiden Bildmedien) folgte also dem Zweck
der Erzählung einer kontinuierlichen Handlung und eröffnete gleichzeitig eine neue Bandbreite von Einsatzgebieten für Computergrafik im
Film.
Was bei dieser Betrachtung natürlich außen vor bleibt ist die kreative
Leistung der Filmschaffenden, welche die rahmenden Handlungen ersinnen. Sie bedient stattdessen eine andere Philosophie in der Gestaltung
von Visual Effects, deren Ziel im Folgenden beschrieben wird.
Faszination der Integration
Als weitere Begründung der Verschmelzung von virtuellem und aufgezeichnetem Bild vergleicht Dan North die Faszination des modernen Effektfilms mit jener von magischen Tricks der Illusionskünstler – eine
Theorie, auf die ich im Abschnitt Sichtbare Effekte noch zurückkommen
möchte. Das formale Verschwinden von Effekten, zusammen mit einem
inhaltlichen Hinweis auf ihre Existenz (wie es vorhin am Beispiel The
Matrix bereits angerissen wurde), dient somit als Element um das Interesse der Zuschauer zu wecken. Suspension of disbelief ist nach North für
manche Gattungen des Films nicht genug. Sie leben nicht nur von der
perfekten Fiktion allein, sondern auch von der Betonung der technischen
Perfektion, die mit dieser einhergeht17. Durch die inhaltliche Betonung
der Technik, welche perfekte Verschmelzung erst ermöglicht, bieten diese
Filme ihren Zusehern einen weiteren Reiz, nämlich den Versuch die Fiktion zu durchschauen, und wenn das nicht möglich ist, sie doch zumindest zu verstehen. Auf diese Weise entsteht ein interessantes Spiel zwischen der formal perfekten Fiktion, in der der Zuseher versinkt, und der
16 vgl. S. 31
17 vgl. Abschnitt Spektakuläre Effekte S. 58
35
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
ständigen Anerkennung des gestalterischen und technischen Geschicks
der Schöpfer dieser Fiktion.18
Auflösung der Grenzen in Hybriden Bildern
Wie bereits erwähnt, finden sich Filme, welche der Auffassung folgen,
nahtlose Integration sei noch nach einer anderen Prämisse möglich als
der Unterordnung der Computergrafik unter das Filmbild, vergleichsweise seltener. Jedoch ist auch ein „reiner Stil“ des Kamerabildes und des
Computerbildes heute nur noch schwer bis gar nicht mehr auszumachen.
Da Computerbild und Kamerabild immer vermehrter gemeinsam und
ineinander verwoben auftreten, beeinflussen sich ihre Stile gegenseitig.
Das Kamerabild adaptierte mit der Zeit Eigenheiten, die zunächst dem
Computerbild vorenthalten waren, wie der Film The Matrix zeigt. Und
auch das Computerbild entwickelte sich weiter: Wurde eine bestimmte
Ästhetik vor eineinhalb Jahrzehnten noch eindeutig mit Computergrafik
assoziiert, so ist das heute schon deutlich schwieriger. Der Einsatz der
letzteren erstreckt sich von komplett digitalen Animationsfilmen mit realistischer bis formaler Gestaltung, über komplett abstrakte Experimentalfilme bis zu den Effekten in fotorealistischen Filmen. Auch die Assoziation von erkennbarer Computergrafik mit technischem Fortschritt ist
loser geworden. In jedem dieser Gebiete haben sich ganz unterschiedliche
Formen, Stärken, Schwächen und Eigenheiten der Computergrafik
durchgesetzt. Der Computer wurde zum flexiblen Medium, dessen Gestalt weniger durch technische Voraussetzungen bestimmt ist, als durch
gesellschaftliche Prozesse und Erwartungshaltungen. Wenn nun aber die
oben gezeichnete Skala zwischen Film und Computergrafik, auf der sich
die Verschmelzung zu Seamless Effects theoretisch vollziehen kann, einen Pol (nämlich den der reinen Computergrafik) vermissen lässt, was
befindet sich dann an diesem Ende? Was sind die anderen Prämissen,
unter denen die Verschmelzung von aufgezeichnetem und virtuellem Material passieren kann?
Was sich heute also vermehrt beobachten lässt sind Filme, welche die
neuen, mächtigen Bearbeitungsmöglichkeiten des digitalen und digitalisierten Films dazu nutzen, um den filmischen Stil sowohl von rein digitalem als auch klassischem Filmbild zu entfernen. Es findet sich öfters eine
Mixtur, in der grafische Stile aus anderen Bereichen als dem Kino Einfluss haben. So lassen sich malerische bis comichafte Filme ausmachen,
die einerseits durch klassische, profilmische Elemente wie Kostüm, Setdesign, Kameraführung und Schauspiel, wirken, als auch durch Elemente der Postproduktion. Die Stile, die dabei Einfluss auf den Film nehmen,
18 North 2008, S. 3f
36
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
stammen aus allen Bereichen der visuellen Gesellschaft: aus der Comicund Zeichentrick-Kultur, der Wissenschaft, der klassischen oder zeitgenössischen Kunst, aus Informationsmedien, sind Erkennungsmerkmal
eines bestimmten Regisseurs oder beziehen sich selbst auf den Stil früher
Filme. Zwei berühmte Vertreter solcher Realfilme mit künstlerischem
Stil sind etwa Tim Burton und Terry Gilliam, die in jedem ihrer Filme
das Repertoire des klassischen Filmbildes erweitern. In diesen Filmen
fließen Effekte und Realfilm zu einem Stil zusammen, der den beiden
Medien eigentlich fremd ist. Sebastian Richter sieht darin einen weiteren
Zweig des Compositing, welcher dem Animationsfilm nahesteht. Er verwendet das filmische Ausgangsmaterial nicht als Kontext, in den die Effekte eingebettet werden, sondern als „Rohstoff“ für Computeranimation.
Das Ergebnis ist die langsame aber konsequente Veränderung der
Bildkonventionen des Mediums Film als Ganzes durch den subtilen Einfluss der versteckten Effekte, hin zu einem neuen Stil welcher weder filmisch noch computerisiert ist: den hybriden Bildern.19 Vielleicht ist es
deshalb bei der Frage nach der Prämisse, unter der eine Verschmelzung
von digitalem Material und Realfilm passieren kann, bald nicht mehr
praktikabel von einer Skala zwischen „klassisch-filmisch“ und „nicht-filmisch“ zu sprechen. Wenn Effekte noch weitere Verbreitung in der Filmwelt finden, wird der Stil des klassisch foto-chemischen Bildes vielleicht
nur noch ein Sonderfall unter vielen sein.
4.1.3 Die Formalen Eigenschaften des Filmbildes
Welche Eigenschaften hat also das Filmbild und was sind die Eigenheiten des fotografischen Films, bzw. der Computergrafik, die formal so verschieden sind?
Die formalen Eigenschaften, die der fotografische Film besitzt, leiten
sich einerseits aus seiner Fähigkeit Abbilder zu schaffen ab, auf der anderen Seite bringt das Medium eine Reihe von technisch bedingten Eigenheiten selbst mit. Die Fähigkeit abzubilden ist, vielen Filmschaffenden und Theoretikern zufolge, jene, die dem Film groß machte.20 Sie
bringt ihn anderen Medien gegenüber in eine Sonderstellung, denn der
Film mit seinen optischen Prinzipien ist dem menschlichen visuellen
Wahrnehmungsapparat zumindest im Aufbau ähnlich. Das bedeutet für
den Stil der Bilder, die uns Film präsentieren kann, dass dieser uns in
Form und Inhalt bereits bekannt ist. Film bildet Objekte, physikalische
Vorgänge und Bewegungen, welche auch uns als Zuschauer aus dem All19Richter 2008, S. 20
20 vgl. Krackauer, Bazin, Barthes, Hoberg 1999, 12ff, Flückiger 2008, S 289
37
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
tag bekannt sind, ab. Wir erkennen auf der simpelsten Ebene Menschen,
Gegenstände oder Orte wieder, haben auch Erfahrung mit Bewegungen
und kennen schließlich auch Naturgesetze, denen die Welt folgt, kulturelle Regeln, die sich in den Abbildungen widerspiegeln und so weiter.
Gleichzeitig fließen damit aber auch alle Eigenschaften unseres Wahrnehmungsapparates in die Rezeption des Kinos mit ein. Eine nicht unbeachtliche Menge an Idiosynkrasien, welche sich der Mensch im Laufe der
Evolution angeeignet hat, wirken sich auf die Wahrnehmung des Films
aus. Kurzum: Der Film schöpft seine visuellen Gestaltungsmittel aus
dem, was wir tagtäglich um uns herum wahrnehmen und was uns vertraut ist. Zwar ist ein nicht unbeträchtlicher Teil des Filmverstehens –
der Fähigkeit einen Film, seine Bildfolgen und multimodalen Botschaften lesen zu können – eine kulturelle Errungenschaft, aber diese
grundlegende Eigenschaft des Films besteht und übt ihre Anziehungskraft auch noch mehr als hundert Jahre nach seiner Erfindung aus. Für
diesen Abschnitt lässt sich aus jener Erkenntnis ableiten, dass jede Technik, die versucht die Gestaltungmittel des Films nachzubilden, auch diese grundlegende Eigenschaft des Films nachbilden können muss. Es
braucht kaum erwähnt zu werden, dass sich hier einerseits die größte
Schwierigkeit, aber auch das größte Potenzial des digitalen Kinos verbirgt.
Die weitere Dimension, welche schon vorher angesprochen wurde, leitet sich aus den technischen Eigenschaften des Mediums ab. Film besitzt
neben der Fähigkeit abzubilden auch einige charakteristische Eigenschaften, die er seinen Abbildungen aufgrund der verwendeten Technik
„hinzufügt“. Durch die enorme Verbreitung von Film und Fotografie in
der Gesellschaft, haben sich diese soweit durchgesetzt, dass sie mittlerweile schon abseits von Film, das heißt in Bildmedien, die auf anderen
Herstellungsprozessen basieren, als Stilmittel verwendet werden. Zu diesen Eigenheiten zählen etwa die Tiefenschärfe, Bewegungsunschärfe,
charakteristische Farb- und Kontrasteigenschaften und das bekannte
Filmrauschen, welche wir mittlerweile oft untrennbar mit Abbildungen
der Realität verbinden und in der westlichen Gesellschaft zu lesen gelernt haben. Nicht zuletzt das Filmrauschen zeigt im Zeitalter des digitalen Films exemplarisch, welchen Status diese Gestaltungsmittel in der
Filmwahrnehmung erlangt haben: Barbara Flückiger untersuchte in der
Studie Das Digitale Kino – Eine Momentaufnahme21 die Filmproduktion
mit einer digitalen Kamera22, verglich den damit aufgenommenen Bildeindruck empirisch mit dem von Film und sammelt Stimmen aus der
21 Flückiger 2003
22Aufnahmen mit einer Kamera, die nicht klassisch auf Film sondern direkt auf digitale
Datenträger aufzeichnet.
38
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Branche. Philip Gröning etwa fragt sich in der Studie, ob die Brillanz,
welche die Bilder von digitalen Kameras auszeichnet, nicht durch das
Wegfallen des Filmkorns dazu führt, dass mit ihnen keine Fiktionen
mehr erzählt werden können.23 Flückiger sieht im subtil flackernden
Filmkorn ein Element, welches die Aufmerksamkeit des Zuschauers unbewusst beansprucht und damit dem Bild Lebendigkeit verleiht.24 Wie
weit verbreitet diese Ansicht ist, und ob sie von unterschiedlichen Zuschauern gleich wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten. Klar wird jedoch, dass diese „Störungen“ und Eigenschaften des Films in der Wahrnehmung unserer Gesellschaft eng mit dem Medium Film verbunden
sind, egal ob es uns auf digitalem oder analogem Träger entgegenkommt.
Versucht ein Medium also, die Bildkonventionen des Films nachzubilden,
so sind auch diese durch den photochemischen, optischen Herstellungsprozess bedingten Eigenschaften (zumindest im Moment) noch ein Thema. Die einzelnen Eigenschaften der formalen Sichtbarkeit (sowie jene
der inhaltlichen Sichtbarkeit) werden in Kapitel 4, Kriterien der Sichtbarkeit ausführlicher behandelt.
4.2 Inhaltliche Sichtbarkeit
Die zweite Dimension der Sichtbarkeit, die in diesem Text der formalen
gegenübergestellt wird, ist Teil der Wirkungsweise der filmischen Fiktion.
Sie beschreibt jene Eigenschaft, welche die Anwesenheit eines Effektes anhand des Inhaltes des ihn umgebenden Bildes, zu erkennen gibt.
Man betrachte die Bilder eines fotorealistischen Films als Abbildungen,
wie sie Barbara Flückiger definiert25, als Flächen, welche etwas repräsentieren und durch ästhetische Eigenschaften und außerbildlichen Bezug
gekennzeichnet sind. Die Eigenschaft der inhaltlichen Sichtbarkeit ist in
diesem außerbildlichen Bezug zu finden, die formale Sichtbarkeit großteils in den ästhetischen Eigenschaften des einzelnen Bildes.
Um einen digitalen Effekt inhaltlich zu erkennen, muss also das gesehene Bild in seinem Kontext – des heutigen Kinos, der afilmischen Welt,…
– verstanden und interpretiert werden. Inhaltliche Sichtbarkeit tritt zum
einen dann auf, wenn ein Bild zwar formal wie aus einem Guss erscheint,
es uns aber gelingt die verschmolzenen Teile aufgrund unseres Wissensschatzes wieder zu zerlegen.
23 ebd. S. 29
24 ebd. S. 30
25 Flückiger 2008, S. 275
39
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
4.2.1 Aspekte der Inhatlichen Erkennbarkeit
Erkennen des Effeks an sich – Rezeptionsmodus des Films
Der fiktive Film setzt laut Theoretikern wie Christian Metz, Hans J.
Wulff oder Vivian Sobchack einen mehrschichtigen Rezeptionsmodus voraus, der sowohl das Erkennen der Fiktion als auch das Vertiefen in diese
erlaubt.26 Für Filmtricks, welche einen Teil solcher Filme bilden, scheint
nun Ähnliches zu gelten: Wenn sie Teil von Abbildungen fiktiver Situationen sind, dann geben sie ihre Künstlichkeit potenziell preis. Das Erkennen der Effekte stört dabei, anders als beim formalen Bruch, die Wahrnehmung des Films nicht. Der Zuseher nimmt, abhängig von seinem
Wissenstand, bestimmte Elemente eines Bildes oder komplette Bilder als
künstlich wahr, so wie er in der Lage ist eine Fantasiegeschichte als solche zu erkennen. Dan North beschreibt dieses Phänomen mit folgendem
anschaulichen Beispiel:
...we know that the actor Christopher Reeves cannot fly, so we
assume that it is a trick photography which makes his Superman, in Richard Donner’s film of that name, appear to defy gravity27
Wohl gemerkt, reicht dieser Aspekt alleine nicht aus, um anhand eines
scheinbar fiktiven Bildes Aussagen darüber zu machen, welcher Typ von
Effekt nun eingesetzt wurde. Es könnte sich in besagtem Film um eine
geschickte Kameraperspektive handeln, um einen mechanischen oder
chemischen Effekt – oder eben um einen digitalen.
Erkennen der digitalen Natur des Effekts
Das Erkennen der Natur von Filmtricks setzt ebenso ein nicht unbeträchtliches Wissen über das Medium Film selbst voraus. So können wir
als aufmerksame Kinobesucher, welche ein ungefähres Wissen um die
Kinogeschichte besitzen, durch die Tatsache, dass Richard Donners oben
genannter Film im Jahr 1978 erschien, vermuten, dass es sich dabei nicht
um digitale Effekte handelt. Diese zogen erst einige Jahre später ins Kino
ein.
Ist nun einmal ein Zuseher, durch welche Quelle oder Erkenntnis auch
immer, soweit gebildet, dass er neben seinem Weltwissen ein ungefähres
Wissen um die Möglichkeiten von Filmtricks besitzt, so gibt es bestimmte
Bildinhalte, welche den Einsatz von digitalen Techniken nahelegen. Es
26 ebd. S. 288
27 North 2008, S. 5
40
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Abb. 14: Die Kreatur aus Hellboy II: Golden Army schöpft ihre Authentizität aus
einer Mischung von digitalen und analogen Tricktechniken
sind solche fiktiven Bilder, die etwa mit Kamera und nicht-digitalen
Tricks nur schwer bis gar nicht erzeugt werden können.
Obwohl große Filmproduktionen immer wieder suggerieren, digitale
Effekte und Computergrafik wären mittlerweile in der Lage, alle Bildinhalte künstlich zu erzeugen, so wird natürlich gewöhnlich für unterschiedliche Effekte auf die effektivste Realisierung zurückgegriffen. Ein
Wissen um den Einsatz von speziellen Techniken erlaubt Rückschlüsse
auf den Einsatz von Viusal Effects.
So kann etwa vermutet werden, dass bei dem großen Detailgrad des
einstürzendes Hauses auf der venezianischen Brücke in Das Parfum: Die
Geschichte eines Mörders (Tom Tykwer, 2006) als digitaler Effekt zum
Einsatz kommt. Hat man Wissen um den Aufwand, der mit unterschiedlichen Motiven einhergeht, ist es allerdings auch naheliegend zu vermuten, dass es sich dabei um ein Modell handelt (wie es in diesem Fall tatsächlich passierte).
Viele Effekte setzen sich schließlich auch aus analogen und digitalen
Komponenten zusammen. Simple Wire-Stunts28 leben etwa davon, dass
durch digitale Technik ihre analoge Natur kaschiert wird und oft werden
heute auch analoge und digitale Technik Hand in Hand eingesetzt um
mit der einen die Makel der anderen zu verdecken (wie etwa in Hellboy II:
Golden Army, wo Kostüme und aufwendige Masken durch einzelne Effekte natürlicher und weniger starr gemacht wurden).
In Produktionen, welche in der Wahl ihrer Mittel eingeschränkter
sind, stellen sich bestimmte Bildinhalte immer noch als besser mit einer
analogen Technik zu realisieren heraus. Ein solches spezielleres Wissen
28 Stunts, in denen die Performer auf Seilen bewegt werden. Diese werden in der Postproduktion entfernt.
41
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
über die Stärken und Schwächen von einzelnen Techniken erlaubt Rückschlüsse auf die Art des Effekts und weiters, Special Effects von Visual
Effects zu unterscheiden.
Erkennen der Effektgrenzen
Anders als beim formal erkennbaren Effekt, wo jeweils immer ein bestimmtes Element seine Künstlichkeit preisgibt, und mit jeweiliger Sicherheit gesagt werden kann, wo und zu welcher Sekunde ein Effekt im
Spiel ist, ist bei inhaltlich erkennbaren Effekten vorerst nur festzustellen, dass ein Bild nicht natürlichen Ursprungs ist.
Die Erkenntnis, dass beim oben genannten fliegenden Superman ein
Effekt am Werk ist, reicht allein nicht aus um zu sagen, welche Bildteile
denn nun tatsächlich bearbeitet wurden.
Durch diese Eigenschaft laden inhaltlich sichtbare Effekte potenziell
dazu ein nach dem Ursprung und den Grenzen des entdeckten Effekts zu
suchen, wie im beschriebenen Beispiel Fake or Photo29, in welchem dem
Zuseher inhaltlich mitgeteilt wurde, dass er künstliche Bilder vor sich
habe und diese nun suchen solle.
4.2.2 Weltwissen
In diesem Abschnitt soll nun noch mehr auf das Wissen eingegangen werden, das für das Erkennen von Effekten notwendig ist.
Wenn von Weltwissen gesprochen wird, so ist damit das Wissen um
Beschaffenheit und Gesetzmäßigkeiten der Welt gemeint, gegen das der
Film kritisch auf seinen Wahrheitswert geprüft wird. Beim Film und seinen Effekten, als technischem Medium, das uns Geschichten zu erzählen
vermag, macht es dabei Sinn das Weltwissen geteilt zu betrachten: in den
Teil des Wissens um Zustand und Gesetzmäßigkeiten der realen Welt
und um das technische Medium Film.
Auf den Erwerb und die Bedeutung des generellen Weltwissens möchte ich hier nur kurz eingehen, da alles andere den Umfang der Arbeit weit
übersteigen würde. Es soll hier nur gesagt werden, dass die filmische
Darstellung der Welt bzw. zur Welt in Relation stehender Fiktionen und
das Verständnis der Zuseher von Welt (betrachtet man dieses auf gesellschaftlicher Ebene) einander natürlich beeinflussen. Daraus ergibt sich
unter anderem auch der Vorwurf an das Kino, seine Zuseher nicht nur zu
bilden, sondern auch manipulieren zu können.
29 vgl. S. 27
42
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Näher beleuchtet werden soll jenes Wissen um das technische Medium
Film, welches uns erlaubt Aussagen über den Effekt selbst zu machen.30
Besonders interessant ist hier die Frage, woher dieses Wissen stammen
kann.
Film-Schauen und Erfahrung
Die einfachste Quelle ist die Erfahrung mit anderen Filmen, also das
einfache Film-Schauen. Auf diese Weise erarbeitet sich jeder Zuseher mit
der Zeit ein Verständnis der Formensprache und der Stile des Films. Die
unterschiedlichen Stile von Filmgenres etwa können mit einiger Filmerfahrung schnell anhand der jeweiligen Art der Gestaltung in Bild, Ton,
Schauspiel, Kamera und dergleichen unterschieden werden. Durch einfaches Betrachten mehrerer Filme können Informationen über unterschiedliche Kategorien von Filmen gesammelt werden und die Verbreitung von
Effekten in diesen, sofern sie erkennbar sind.
Dan North sieht das Verständnis für die gesellschaftliche und historische Dimension als ein zentrales Element des Effektfilms, das auch von
den Filmschaffenden bewusst eingesetzt wird, etwa wenn Filme durch
moderne Remakes bewusst in Relation zu älteren Vorbildern gesetzt werden. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das wiederholte Remake des
Klassikers King Kong, jeweils mit den aktuellen Mitteln der Effekttechnik. Dieser Effekt baut zum Teil darauf, dass er von erfahrenen Zusehern
aufgrund deren Weltwissen inhaltlich erkannt wird.
Daneben existiert die bewusste Auseinandersetzung mit dem Medium
Film, welche der Zuseher selbst sucht. Sie passiert dann, wenn sich Filmschauende untereinander austauschen, sich über Filme informieren, oder
wenn sie auch einfach nur Trailer anschauen. Diese Auseinandersetzung
kann einen Unterhaltungswert haben, sie kann aber auch einen theoretischen oder praktischen Wert haben, wie zwischen Filmschaffenden selbst.
Sie erlaubt es, Wissen über den Hintergrund des Films zu sammeln, was
während des Betrachtens neue Aspekte eröffnet.
Digressions und Marketing
Besonders interessant und für die Praxis des Films relevant ist es zu
betrachten, wie solche Informationen bewusst von der Filmindustrie verbreitet werden. Moderne Filmwerbung schafft etwa durch die Verbreitung von Informationsmaterial zu Filmen Erwartungshaltungen in den
Zusehern, welche sich auf die wahrgenommene Qualität des Films auswirken. So beobachten Hedinger und Vonderau etwa die Betonung unter30 u.a.: Was ist ein Digital Visual Effect? Ist es möglich, dass ein bestimmter Teil eines Films
ein Visual Effect ist? Wie sehen diese normalerweise aus? Wo werden sie eingesetzt? usw.
43
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
schiedlicher Aspekte eines Films (einmal inhaltiche, einmal visuelle oder
dramaturgische) um diesen für unterschiedliche Zielgruppen interessant
zu machen.31 Dasselbe passiert auch bei Effekten in Filmen: Manche Produktionen weisen ihre Zuseher bewusst auf Effekte hin, um den Blick der
Zuseher auf sie zu lenken und den Konsum des Films um die bewusste
Wahrnehmung der Effekte zu erweitern. Bewusst verbreitete Information über Effekte kann deren Wahrnehmung im Film beeinflussen, sogar
bis zu dem Grad, an dem den Effekten eines Films mehr Bedeutung zukommt als der Handlung.
Diese Praxis ist heute bei vielen Produktionen beobachtbar und auch
in der Filmtheorie bereits an mehreren Stellen analysiert. So gründet
etwa Dan North seine Theorie des Effektfilm-Genres auf diese bewusste
Abb. 15: Rückbezüglichkeit von Filmeffekten in (a) King Kong (1933)
(b) (John Guillermin, 1976) und (c) (Peter Jackson, 2005)
31 Hedinger, Vonderau, 2009
44
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Betonung der Effekttechnik und zitiert Barbara Klinger, welche bewusst
verbreitete Informationen zu Filmen als digressions32 bezeichnet.
[...] generic or narrative intertexts that school the spectator in
dramatic conventions, to a host of promotional forms ... that arm
the spectator with background information [...] 33
Diese Informationen sind bildend für die Zuseher, indem sie ihnen Hintergrundinformation zur Machart des Films geben. Sie steigern die Aufmerksamkeit der Zuseher für bestimmte Aspekte des Films, etwa bekannte Schauspieler, Regisseure, Produzenten, das Budget oder eben die
Effekte. Sie sind damit ein bedeutender Teil der Wirkungsweise von Visual Effects Driven Motion Pictures34. Digressions lassen sich heute sehr
oft in Form von Bonus Material auf DVDs finden, in Werbefilmen oder
Making-Ofs, welche oft technische Laien in die spektakulärsten Aspekte
der Filmproduktion einführen.
Ein Beispiel für den Einsatz von digressions für das Funktionieren
eines Effekts war etwa die Veröffentlichung von The Curious Case of Benjamin Button (David Fincher, 2008). Dieser Film wurde von Fernsehberichten, Werbung, Zeitschriftenartikeln, Web-Berichterstattung und
Trailern begleitet, welche die technischen Herausforderungen bei der Erzeugung des digital gealterten Brad Pitt betonten.
Beschreibt man diesen Vorgang erneut mit dem zuvor aufgestellten
Vokabular, so vermitteln diese digressions ein Weltwissen, welches es erlaubt, gezielt einzelne Effekte des Films, wie das digitale Gesicht von
Button, wahrzunehmen und diesen Bedeutung zukommen lassen. So entsteht ein eigenes Genre von Effektfilmen, welche mit vergleichsweise einfachen und klassischen Handlungssträngen und komplexer, teurer, spektakulärer und moderner Computertechnik locken.
Wahl des Inhalts
Das Wissen, welches vorausgesetzt ist, um einen digitalen Effekt als solchen zu erkennen, wenn er formal perfekt kaschiert ist, ist umfangreich.
Man würde es am ehesten visuell geschulten Cineasten oder Filmemachern selbst zutrauen. Betrachtet man diese Thematik jedoch aus anderer Perspektive, so stellt man fest, dass es sehr wohl Filme gibt, die einerseits perfekte Seamless Effects einsetzen, aber das Erkennen ihrer
Effekte trotzdem zulassen. In ihnen werden digitale Effekte geschickt so
gewählt, dass ihre inhaltliche Dimension nicht nur das Erkennen der
Fiktion, sondern auch des technischen Effekts zulässt. Im Abschnitt
32Abschweifungen; Informationen abseits des Films, welche die Filmrezeption beinflussen
33 Klinger 1989, S. 3-19, zitiert in North 2008, S. 11
34 vgl. S. 8
45
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Spektakuläre Effekte auf S. 58 wird auf diese Gattung von Effektfilmen
eingegangen.
Subjektivität des Wissens
Die angesprochene Wichtigkeit des Kontexts für die inhaltliche Sichtbarkeit beschreibt auch, noch deutlicher als dies bei der formalen Sichtbarkeit der Fall ist, dass sie für Betrachter mit unterschiedlichem Hintergrund unterschiedlich stark ausgeprägt ist.
4.2.3 Inhalt und Filmstil
Wie sieht das Zusammenspiel von inhaltlicher Sichtbarkeit und Filmstil
aus, wenn nun statt des klassischen Filmstils einer der experimentelleren, grafischeren Stile betrachtet wird, wo aus Computergrafik und Realfilm hybride Stile geschaffen werden?
Im filmischen Bild allein können Effekte formal perfekt verborgen
werden. Damit kann über die inhaltliche Sichtbarkeit eine perfekte Fiktion transportiert werden oder ein bestimmter Effekt selbst betont werden. Sorgt der Filmschaffende auch für inhaltliche Unsichtbarkeit, so
verschwinden Effekte komplett aus der Wahrnehmung der Zuseher und
diesen erscheint ein unverfälschtes Filmbild. Entfernen sich formale und
inhaltliche Elemente nun zusehends von unserem Weltverständnis, indem sie vom filmischen Stil zu einen grafischen Stil wechseln, so ist es
nicht mehr so einfach möglich, Aussagen über die Sichtbarkeit von Effekten als vereinzelten Elementen des Bildes zu machen.
Ursache ist hier zum einen, dass der Grundzustand des Film nicht
mehr atechnisch ist, sondern selbst oft ein Mitwirken des Computers voraussetzt. Zum anderen bricht ein individueller Stil mit der Bildkonvention der Fotografie und manchmal auch mit jener der menschlichen
Wahrnehmung und macht somit auch eine visuelle Verschiebung weg von
der Realität (des fotografischen Bildes) zu seinem Grundzustand.
Die Verschiebung zu abstrakten, grafischen Stilen ist dabei von Film
zu Film anders. Bei manchen ist diese Verschiebung stärker ausgeprägt,
wie etwa bei Sin City (Robert Rodriguez, 2005), in dem sie nicht nur die
Umgebung und Charaktere umfasst, sondern auch die komplette Farbgestaltung auf deutliche Weise. Die Verschiebung weg von der Realität wäre
in diesem Fall die Stilisierung in der Farbgestaltung.
In anderen Filmen mögen die eingesetzten Effekte viel umfangreicher
sein, ihr Stil aber subtiler, wie etwa in Alice in Wonderland (Tim Burton,
2010), der fast schon als Animationsfilm mit vereinzelten menschlichen
46
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Darstellern gesehen werden kann. Formal und vielleicht sogar inhaltlich
gesehen mögen einzelne Effekte und punktuelle Bearbeitungen noch herausstechen. Darüber legt sich aber eine globale Schicht der formalen
Verschiebung, welche oft nicht mehr im Kontrast zu anderen Bildelementen beurteilt werden kann. In diesem Fall wird auch von hybriden Charakteren35 gesprochen.
Die Kriterien der inhaltlichen und formalen Sichtbarkeit sind noch
verwendbar, jedoch mit immer stärkerer Stilisierung zunehmend schwerer einzusetzen.
4.3 Inhaltliche und Formale Sichtbarkeit im
Zusammenspiel
Zuletzt soll in diesem Abschnitt zusammenfassend betrachtet werden,
wie die Ausprägung von inhaltlicher Sichtbarkeit im Zusammenspiel mit
der formalen gestaltet sein kann.
Prinzipiell sind formale und inhaltliche Sichtbarkeit voneinander getrennte Phänomene. Sie können gemeinsam auftreten, müssen das aber
nicht.
Ein Bildelement, wie der Flugzeughangar aus Sky Captain and the
World of Tomorrow, kann inhaltlich durchaus glaubwürdig sein – eine
große Halle im architektonischen Stil der 1920er Jahre – während es
formal deutlich als computergeneriertes Modell zu erkennen ist.
Daneben mag die Flugsequenz der Papierdrachen in The Kite Runner
(Marc Forster, 2007) formal fast ununterscheidbar vom Rest des Films
sein. Inhaltlich jedoch verrät uns eine absolut frei bewegliche und schein-
Abb. 16: Stilisierte Hybridbider, deren Stil vom klassischen Kamerabild hin zu
(a) Illustration (Alice in Wonderland, Tim Burton, 2010) oder
(b) Comics (Sin City, Rober Rodriguez, 2005) verschoben ist. Der Grundzustand
dieser Filme ist bereits eine Mischung aus Realfim und Visual Effect.
35 hybrid characters, vgl. Vortrag Alice in Wonderland von Ken Ralston und David Schaub auf
der FMX 2010
47
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
bar von den Fesseln des Materials befreite, immer wieder um die Drachen fliegende Kamera, dass wir nicht Zeuge einer tatsächlich aufgenommen Szene sind.
Dass eine inhaltliche Sichtbarkeit dazu auffordern kann, auch nach
formalen Kriterien zu suchen, ist eine Tatsache, die gerne und bewusst
im Film eingesetzt wird. So lässt uns in Avatar (James Cameron, 2010)
etwa die Berührung zwischen Neytiri, der übermenschlich großen, blauhäutigen Navi vom Planeten Pandora und Jake Sully, dem vergleichsweise zerbrechlich wirkenden Menschen, ungläubig und fasziniert zugleich
nach der Schnittstelle zwischen Computergrafik und Realfilm suchen;
wissen wir doch, abgesehen von der so augenscheinlichen Fiktion, aus
unzähligen anderen Quellen, dass das blaue Wesen eine rein digitale
Kreatur ist.
Sind Filmschaffende versucht sowohl inhaltlich als auch formal nicht
aufdringliche Effekte zu verwenden, und suggerieren Filmstil und Berichterstattung über den Film gleichermaßen einen reinen Realfilm, so
kann passieren, dass, wie bei Das Weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte (Michael Haneke, 2009), dem Zuseher weitreichende Visual Effects ganz entgehen.
4.4 Kriterien für die Sichtbarkeit
Es gibt nun eine Reihe von weiteren Faktoren, welche sich auf die Fähigkeit bestimmter Personen, in bestimmten Situationen, Effekte formal
oder inhaltlich wahrnehmen zu können, auswirken. Sie werden in diesem
Abschnitt zusammenfassend mit den oben definierten aufgelistet.
4.4.1 Objektbezogene Kriterien
Als objektbezogene Kriterien werden hier all jene formalen Eigenschaften
eines Abbildes bezeichnet, welche die Computergrafik nachahmen muss,
um als ebensolches filmisches Abbild zu erscheinen. Objekte in diesem
Zusammenhang sind dabei alle im Film abgebildeten Dinge, Umgebungen, Tiere und Personen. Der Begriff beschreibt sowohl einige der Kriterien, die Bildelemente an den Stil der Kamera angleichen, als auch an
den „Stil“ der wahrgenommenen Realität. Da die Computergrafik aufgrund ihres Computer-basierten Produktionsprozesses für manche Motive besser geeignet ist als für andere, stellten die folgenden Eigenschaften
je nach Ausprägung eine größere Herausforderung dar.
48
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Statische (nicht-animierte) Eigenschaften des Objekts
•
•
•
•
Oberflächenbeschaffenheit, Reflexionen
Form (Detailgrad, Modellierung)
Textur
Beleuchtung & Schatten
Stilistische Anpassung an ein Kamerabild
•
•
•
•
Farbgebung, Helligkeit, Kontrast
Körnung
Unschärfe
Eventuelle weitere Eigenheiten des analogen Films (Kratzer,
Vignette, ...)
Animation/Perspektive
Authentisches Verhalten von Körpern in
• Geschwindigkeit, Masse, Bewegung
• Tracking (Korrekte Position im Bild bei Kamerabewegungen)
Verhalten & Emotion
• Berührung von fiktiven und realen Objekten und Personen
• Schauspielerisches Können virtueller Charaktere
4.4.2 Zuschauerbezogene Kriterien
Physiologie
Da Fotografie bis zu einem gewissen Grad die menschliche Wahrnehmung nachahmt und Filmschauen natürlich über unsere Sinne passiert,
gelten für die Wahrnehmung eines Filmes die selben Kriterien wie für
diese. Barbara Flückiger weist darauf hin, dass das menschliche Auge
sehr empfindlich ist, was die gleichmäßige Farbgestaltung eines Bildes
betrifft.36 Brüche in Farbstimmung, Kontrast und Helligkeit führen
schnell dazu, dass Elemente, die perspektivisch oder von ihrer Bewegung
her zusammenpassen, absolut konträr wirken. Demgegenüber ist der
Mensch aber, was die logische Kontinuität von Bildelementen betrifft weniger sensibel. So zeigt sich im Artikel Wie man digitale Bilder entlarvt37,
dass es meist erst bewusster Aufmerksamkeit bedarf, bis etwa eine Inkonsistenz in der Lichtrichtung bei der Beleuchtung von mehreren Ob36 Flückiger 2008, S. 264
37 Farid 2009
49
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
Abb. 17: Das Uncanny Valley, aus Mori 1977
Abb. 18: Eines der wohl meistzitierten Beispiele für das Uncanny Valley: Aki aus
Final Fantasy: The Spirits Within (Hironobu Sakaguchi, 2001)
jekten in einer Szene wahrgenommen wird. Die Vermutung liegt nahe,
dass ein solches selektives Verhalten des menschlichen Wahrnehmungsapparats mit evolutionären Erfordernissen zusammenhängt. Nach Belegen hierfür zu suchen würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Eine sehr faszinierende Eigenschaft der menschlichen Wahrnehmung
ist ihre Empfindlichkeit in Abhängigkeit des Motivs. Diese bereitet nicht
nur der Viusal Effects-Branche Kopfzerbrechen, sondern fand etwa auch
in der Robotik Aufmerksamkeit, als etwa Masahiro Mori sein Konzept
des Uncanny Valley aufstellte.38 Mori fasste damit eine Reihe von Beobachtungen aus der Robotik zusammen, nach denen sich die emotionale
Reaktion von Betrachtern auf anthropomorphe Charaktere nicht linear
zu dem Grad ihres Anthropomorphismus verhält. Er beobachtete, dass
bei einer fortlaufenden Vermenschlichung der Charaktere (in seinem Fall
Roboter), die Akzeptanz der Betrachter nur anfangs gleichermaßen zu38Mori 1970
50
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
nahm. Ab einem bestimmten Punkt der Ähnlichkeit brach die Akzeptanz
plötzlich ein, und die Charaktere wirkten auf die Betrachter unheimlich,
tot und starr. Diese Beobachtung, obwohl von Kritikern als verkürzt gesehen, lässt auch sehr gut auf Computerspiele und Filme übertragen. So
ist es in der Computergrafik-Branche längst bekannt, dass die Kreation
von fotorealistischen Menschen zu einer der schwierigsten Disziplinen
gehört.39
Schließlich bildet auch die körperliche Verfassung des einzelnen Betrachters ein Kriterium für seine oder ihre Fähigkeit Effekte zu erkennen. In dieser Arbeit wird jedoch der Einfachheit halber, was den körperlichen Zustand betrifft, von idealisierten Personen ausgegangen.
Allgemeinbildung, Weltwissen
Hierzu zählt die persönliche Bildung des Zuschauers, die es ihm oder ihr
ermöglicht, aus dem Inhalt zu schließen welche Elemente des Bildes real
sind und welche nicht. Mit Bildung ist hier nicht speziell eine schulische
oder akademische gemeint, sie muss nicht bewusst oder absichtlich erlangt worden sein.
Die Bildung ist in erster Linie eine subjektive Eigenschaft, die unterschiedliche Personen Filmeffekte unterschiedlich wahrnehmen lässt. Sie
lässt sich aber genausogut auf Ebene von Personengruppen und auf ganzen Gesellschaften analysieren. So lässt sich etwa beobachten, dass mit
dem technischen Fortschritt des Kinos auch der Anspruch der Zuschauer
an die Qualität der Effekte steigt (oder von der Filmindustrie vorangetrieben wird).
Erfahrung mit Visual Effects
Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Datenerhebung ergab erwartungsgemäß, dass Empfindlichkeit für die Wahrnehmung von Viusal
Effects mit der Erfahrung des Betrachters mit Filmen und Visual Effects
korreliert. Es kann also angenommen werden, dass intensiver Umgang
mit Visual Effects wohl einerseits den Blick für ihre Fehler und Eigenheiten schult und es andererseits leichter macht, aus dem Umfeld der Effekte auf ihr Vorhandensein zu schließen. Die Erfahrung mit Visual Effects
ist hier eine Art der Bildung, der spezielle Bedeutung zukommt.
4.4.3 Situationsbezogene Kriterien
Die Betrachtungssituation fließt natürlich auch in die Fähigkeit zu erkennen mit ein. In der bisherigen Auseinandersetzung mit dem Thema
39 siehe auch: North 2008, S. 152
51
Kapitel 4: Aspekte und Kriterien der Sichtbarkeit
wurde allerdings, wie im Vorwort angekündigt, nicht näher auf dieses
Kriterium eingegangen. Hierzu zählen:
• Qualität und Art des Filmmaterials
yy Format
yy Kompression
yy Auflösung
yy Bild und Tonqualität
yy ...
• Eigenschaften des Ortes der Betrachtung
yy Art (Kino, Heimfernseher, Computer, mobiles Gerät)
yy Größe des Filmbildes und Abstand zu diesem
yy Wiedergabeverhalten
yy ...
52
5 Sichtbare und unsichtbare Effekte
5.1 Einleitung
In diesem Kapitel sollen nun die zuvor definierten Eigenschaften der inhaltlichen und formalen Sichtbarkeit auf die Menge der heute im Kino
verbreiteten Effekte angewendet und diese damit in sinnvolle Kategorien
geteilt werden. Die Einteilung bezieht sich dabei immer auf einzelne Effekte in Filmen, denn es stellt sich bei einiger Betrachtung heraus, dass
Filme, welche bewusst sichtbare Effekte einsetzen ebenso auch auf unsichtbare zurückgreifen. Die Fähigkeit formale und inhaltliche Sichtbarkeit wahrzunehmen ist dabei sehr subjektiv ausgeprägt. Es kann passieren, dass sich einzelne Effekte von unterschiedlichen Standpunkten aus
als unterschiedliche Typen von Effekten herausstellen. Ein Betrachter
mit geschultem Auge mag einen Effekt formal erkennen, der einem anderen verborgen bleibt. Ein Zuseher, der filmrelevantes Wissen besitzt, mag
ein künstliches Bild aufgrund seines Inhalts schneller erkennen, als jemand, der dieses Wissen nicht besitzt. Und für Zuseher, welchen erklärt
wurde wohin zu schauen ist, gibt es, nach dieser Definition, keine unsichtbaren Effekte mehr. Diese Einteilung gibt somit aus Sicht der Zuseher bestenfalls Tendenzen wieder. Allerdings kann ein digitaler Effekt
tendenziell von vielen oder wenigen Betrachtern wahrgenommen werden.
Etwas eindeutiger werden die Kategorien, wenn sie nicht aus Sicht der
Zuseher, sondern aus Sicht der Filmschaffenden und nachn deren Motiven eingeteilt werden. So sind manche Effekte dafür bestimmt hervorzustechen und andere dazu vorgesehen lediglich im Rahmen der Handlung
spannende Bilder zu erzeugen.
Leider gibt es sehr wenig empirische Forschung zum Thema Filmeffekte, welche solche Tendenzen bestätigen oder widerlegen könnte. Die
einzige empirische Untersuchung, welche im Zuge der Recherchen gefunden werden konnte, befasste sich mit der emotionalen Wirkung von Filmen unterschiedlichen Realismus-Grades auf die Zuseher1. Dieser Text
stützt sich also auf eine eigens hierfür durchgeführte Umfrage (Anhang),
sowie auf Beispiele und Berichte aus der Industrie, anhand derer der
Erfolg und die Verbreitung einzelner Effekt-Arten bestimmt werden.
Auch möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die hier gezeigten Beispiele nach der Studie und meiner persönlichen Einschätzung gewählt wurden. Es kann also durchaus passieren, dass der eine oder andere Leser mir bei der Wahl eines Beispiels anhand formaler Kriterien
(welche sich an den Abbildungen hoffentlich beurteilen lassen) widersprechen mag.
1Meade 2004
53
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
5.2 Sichtbare Effekte
Als sichtbare Effekte sollen all jene gelten, die aufgrund formaler oder
inhaltlicher Eigenschaften als künstliche (nicht-filmische) Bilder und in
letzter Konsequenz als digitale Effekte erkennbar sind.
5.2.1 Narrative Effekte
Nach der anschaulichen Unterscheidung in sichtbar und unsichtbar, welche sich über das ganze letzte Kapitel ersteckte, tritt nun ein Widerspruch auf: Das breite Gebiet der Seamless Effects – gemeint sind Effekte, welche sich in das globale Filmbild einfügen (wie auch immer dieses
Filmbild gestaltet ist) und dabei nicht prominent als Computergrafik
hervortreten, sondern vornehmlich die Handlung tragen – kann, je nach
Argumentation zu den sichtbaren wie auch zu den unsichtbaren Effekten
gezählt werden. Eine Argumentation wie im Artikel Getting Respect for
Invisible Vfx2, welche Effekte wie die spektakuläre Seeschlacht in Master
and Commander (Weir, 2003) als unsichtbaren Effekt betrachtet, betont
dabei die Eigenschaft des Effekts als Element der Narration, das nicht
als technisches Spektakel auffällt, sondern mithilft, die Geschichte zu
tragen. Der Artikel sieht die Rolle eines guten Effekts darin, die Handlung zu tragen und sich formal in den umgebenden Film einzufügen. Eine
Betrachtung, in der jener Typ von Effekten als sichtbar klassifiziert wird,
wie ich sie vorschlagen möchte, konzentriert sich mehr auf das Erkennen
von filmischer Bearbeitung des Originalmaterials oder auf die Mittel, mit
denen Fiktion geschaffen wird. Sie nimmt weniger Rücksicht auf eine
Wertung von Effekten. Denn obwohl jene narrativen Effekte sich formal
perfekt einfügen, geben sie doch jeweils mehr oder weniger durch inhaltliche Information ihre Anwesenheit preis. Zwar ist in jenem Beispiel aus
Master and Commander die aufwendige und actiongeladene Seeschlacht
in keinem Punkt als Computergrafik zu erkennen, doch die Inhalte der
Bilder legen dem filmbewussten Zuseher nahe, dass sich während der
Produktion nicht zwei riesige Schiffe gegenseitig beschossen haben, sondern dass diese Bilder durch einen Effekt erzeugt wurden. Er mag diesen
Gedankengang während des Filmschauens allerdings nur unterbewusst
verfolgen und auch nicht in der Lage sein die Grenzen des Effekts zu benennen.
Narrative Effekte sind also, je nach Argumentation, eine Grenzerscheinung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem.
2 Skweres 2004
54
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Ein weiteres Beispiel für einen narrativen, tragenden Effekt, an dem
keine Absicht erkannt werden kann, als Effekt selbst hervorzutreten,
wäre etwa der Flug der Papierdrachen in The Kite Runner. Hier wurde
für eine kurze Sequenz, die mit frei fliegender Kamera den spielerischen
Kampf zweier Papierdrachen zeigt, komplett auf fotorealistische Computergrafik gesetzt. Der Spielfilmstil des restlichen Films wird dabei aufrechterhalten. Die Inszenierung betont mit ständigen Rückschnitten auf
das Geschehen am Boden die Emotion des Moments. Wiederum ein weiteres Beispiel wäre das beißfreudige Kind aus Lemony Snicket‘s A Series
of Unfortunate Events (Brad Silberling, 2004), das in bester fotorealistischer Grafik einen geworfenen Holzklotz mit den Zähnen fangen kann.
Seine perfekte Grafik lässt die Zuschauer stutzig werden und sofort vermuten, dass es sich hierbei trotz des augenscheinlich Anderen nicht um
ein echtes Kind handeln kann.
5.2.2 Unabsichtlich Stilbrechende Effekte
Einen Bruch erzeugen all jene Effekte, die nicht beabsichtigterweise
sichtbar sind. Hierzu zählen im Kino vor allem Effekte, die sich das Ziel
des Fotorealismus stecken, es aber nicht erreichen: insofern, als sie deutlicher oder subtiler durch ihre meist formalen Kriterien vom Rest des
Bildes unterscheidbar sind. Randkriterien für die Perfektion einer Integration zu stecken ist dabei äußerst schwierig. Sie erinnern an die Formulierung des Turing-Tests: „Wenn keiner der Betrachter den Unterschied
mehr erkennt, ist sie perfekt.“3 Betrachter sind unterschiedlich und die
Eigenschaften, welche sie als fehlerhaft erkennen, variieren. Tatsache
ist, dass ein großer Teil von Effekten bei gezieltem Schauen und Analy-
Abb. 19: Narrative Effekte sind unter Umständen inhaltlich sichtbar, aber nicht um
sich selbst zu präsentieren: Master And Commander (Peter Weir, 2003), Lemony
Snicket‘s A Series of Unfortuante Events (Brad Silberling, 2004)
3 Vgl: Alan Turings empirische Methode die Qualität einer künstlichen Intelligenz zu testen,
die im Idealfall von ihrem Gegenüber im Gespräch (ohne Augenkontakt), nicht als Maschine erkannt werden konnte. http://plato.stanford.edu/entries/turing-test/
55
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
sieren mit geschultem Blick erkennbar ist. Effektarbeit hat neben dem
Anspruch an handwerkliche Perfektion auch einer Reihe anderer Kriterien zu genügen, nicht zuletzt Zeit und Budget. Effekte können durch Bewegung im Filmbild, gezielte Schnitte oder durch einen anderen Fokus
sehr gut kaschiert werden und fallen daher beim ersten Betrachten oft
formal nicht auf. Technik und Handwerk reichen heute zwar so weit, dass
auch komplexere Effekte in Filmen mit entsprechendem Budget vollkommen unsichtbar gelöst werden können, doch Aufgrund der oben beschrieben Ansprüche der Filmproduktion sollten solche „unvollkommenen“ Effekte nicht sofort als gescheitert bezeichnet werden.
Sie finden sich vor allem in älteren Filmproduktionen, oder aktuellen
Produktionen mit dem beschriebenen Einschränkungen an Budget und
Zeit, wie etwa oft im Fernsehen oder in Serien. Ein aus heutiger Sicht
anschauliches Beispiel ist etwa der Kopf des untoten ägyptischen Priesters Imhotep in der Fortsetzung The Mummy Returns (Stephen Sommers,
2001).
5.2.3 Absichtlich Stilbrechende Effekte
Interessant sind jene Effekte, die absichtlich die formale und meist auch
inhaltiche Filmgestaltung brechen und damit den Unterschied zwischen
dem reinen Filmbild und den Möglichkeiten des Effekts als bedeutungstragendes Element im Film einsetzen. Diese Effekte könnten, wie ich vorschlagen möchte, im Gegensatz zu Seamless Effects auch Framed Effecs
genannt werden, da sie sich einerseits formal vom Film abgrenzen und
andererseits meist inhaltlich von einer Rahmenhandlung getragen werden. Zu dieser Kategorie zählen Effekte in Filmen wie The Imaginarium
of Doctor Parnassus (Terry Gilliam, 2009), Alice in Wonderland (Tim Burton, 2010) oder Kill Bill (Quentin Tarantino, 2003). Sie mischen entweder
Abb. 20: Formal sichtbare Computergrafik in The Mummy Returns
(Stephen Sommers, 2001)
56
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Abb. 21: Absichtlicher Stilbruch und eindeutig erkennbare Künstlichkeit in stilisierten Filmen: The Imaginarium of Doctor Parnassus (Terry Gilliam, 2009) und
La science des rêves (Michel Gondry, 2006)
unterschiedliche, durchgängige Stile oder streuen diese ein um grafisch
interessante Bilder zu erzeugen, Gedankenwelten zu zeichnen oder gesteigerte Emotion zu transportieren. Wichtig ist dabei, dass die zusätzlichen Stile nicht filmischen Kriterien folgen, sondern entweder frei der
Fantasie ihrer Schöpfer entspringen oder aus anderen Medien entliehen
sind. Was Dan North beim Betrachten alter Computerfilme noch als notwendige diegetic baggage beschrieb (eine Geschichte, welche die Anwesenheit des Effekts rechtfertigt)4, wird in diesen Filmen als Chance wahrgenommen um zuvor schwierige Geschichten zu erzählen, oder Inhalte
und Assoziationen anderer Medien in den Film einzubringen. Letzteres
eröffnet eine breite Palette an neuen Stilmitteln, die Wiedererkennungswert besitzen und bereits mit Bedeutung und Emotion geladen sind. Ein
solcher Mix von Stilen kommt dabei natürlich nicht nur im digitalen Film
vor. Die Technik wurde bereits lange vor digitalen Effekten im Film eingesetzt und auch heute mischen sich gerne analoge Tricktechniken in
Kinofilme. Terry Gilliam etwa hat vor den Filmen mit digitalen Effekten
bereits in der Gestaltung von etlichen Monty Python-Filmen mit der
Kombination von analogem Film und Animation gearbeitet. Und auch in
Lola Rennt (Tom Tykwer, 1998) und La science des rêves (Michel Gondry,
2006), und davor zum Beispiel Who Framed Roger Rabbit (Robert Zemeckis, 1988) mischen sich analoge Tricks in die Bilder. Leider wird dieser
interessante visuelle Medienmix verglichen mit Seamless Effekts deutlich seltener eingesetzt.
Als weitere Kategorie der bewussten Brüche können schließlich auch
Filme wie 300 (Zack Snyder, 2007), Sin City (Robert Rodriguez, 2005), A
Scanner Darkly (Richard Linklater, 2006) und andere gezählt werden, die
zwar den formalen Bruch nicht in ein und demselben Film vollziehen,
wohl aber im Vergleich zu anderen. Sie verschmelzen durchgehend Realfilm und Effekt eng zu einem neuen Stil, dessen formale Besonderheiten
4 North 2008, S. 133.
57
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Abb. 22: Inhaltliche Erkennbarkeit trotz perfekter formaler Integration: Alvin and
the Chipmunks: The Squeakquell (Betty Thomas, 2009) und Garfield (Peter Hewitt,
2004)
sich aus der Differenz zu klassischen Filmen ergeben und der Nähe zu
manchen anderen Medien (Malerei, Comic, Animationsfilm).
Und schließlich können jene Effekte, die zwar formal nahtlos erscheinen, inhaltlich aber einen krassen Bruch zur uns bekannten Welt darstellen, zu dieser Klasse gerechnet werden. Mögliche Anwärter für diese
Kategorie sehe ich vor allem in Filmkreaturen wie den Chimpmunks (Alvin and the Chipmunks, Tim Hil, 2007 und Alvin and the Chipmunks:
The Squeakquell, Betty Thomas, 2009) sowie Garfield (im gleichnamigen
Film, Peter Hewitt, 2004), der Maske (The Mask, Chuck Russel, 1994)
und anderen kuriosen 3D-Filmgestalten. Sie erlangten auch jeweils ihre
Berühmtheit in anderen Medien oder sind aus Zitaten anderer Medienstile konstruiert, bevor sie für den Realfilm adaptiert wurden. Dabei wurde jedoch nicht auf ihre originalen Fähigkeiten verzichtet. Wenn der dicke, orangefarbene Kater oder die vormals zeichnerischen Eichhörnchen
mit Pullover auftreten, sprechen, singen oder tanzen, dann ist es nicht
die formal sichtbare Computergrafik, die uns in erster Linie verrät, dass
es sich um künstliche Figuren handelt – es ist der Inhalt. Gleichsam ist
es aber nicht die Intention mit dem digitalen Charakter eine perfekte
Technik zu inszenieren, weswegen sich dieser Typ von Effekten auch
nochmals deutlich von der folgenden Kategorie inhaltlich sichtbarer Effekte unterscheidet.
5.2.4 Spektakuläre Effekte
Neben den fehlerhaften und absichtlich stilbrechenden Effekten lässt
sich noch eine weitere Kategorie von Effekten ausmachen, die sich durch
aufwendigste Technik und perfekte nahtlose Integration auszeichnet. Sie
lebt gleichermaßen von der durch die Bilder erzeugten Fiktion und von
der inhaltlichen meist sehr geschickten Inszenierung der perfekten Tech-
58
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Abb. 23: Spektakulärer, fotorealistischer Einsatz von Visual Effects, der sich
inhaltlich perfekt zu erkennen gibt: Avatar (James Cameron, 2009), 2012 (Roland
Emmerich, 2009)
nik. Die Beobachtung dieser Kategorie von Effekten war es, welche die
ursprüngliche Idee zur vorliegenden Arbeit lieferte. Zu ihr zählen durchgehend Effekte in Film-Großproduktion mit deutlich höheren Budgets
als sie der durchschnittlichen Kinolandschaft zur Verfügung stehen. Moderne Beispiele wären etwa 2012 (Roland Emmerich, 2009), Avatar
(James Cameron, 2009), The Curious Case Of Benjamin Button (David
Fincher, 2008) oder King Kong (Peter Jackson, 2005). Jeder dieser Filme
verfügt über eine oder mehrere hervorstechende Anwendungen von Computergrafik, die jeweils die Grenzen des technisch Möglichen ausdehnt.
In 2012 ist es die fotorealistische Zerstörung von Gebäuden und Landschaften in vormals ungekanntem Ausmaß, in Avatar die emotional mitreißende Performance der digitalen Schauspieler sowie die fantastische
Welt der Handlung und in The Curious Case of Benjamin Button die fotorealistische Integration eines glaubhaften Menschen ins klassische Filmbild (was ja, wie im Abschnitt Kriterien der Sichtbarkeit erwähnt, eine
besondere Herausforderung darstellt, da die menschliche Wahrnehmung
äußerst genau in der Lage zu sein scheint, gerade Gesichter zu beurteilen). All diese Effekte sind nicht nur Teil der Narration, sondern werden
auch auf geschickte Art und Weise durch die Narration, durch die Gestaltungsmittel des Films und durch gezielte Information für das Publikum
in ihrem technischen und künstlerischen Charakter betont. So lädt etwa
das Remake des Klassikers King Kong von 1933 mit moderner Grafik
durch verschiedene Mechanismen dazu ein, die Gestaltung ihres zentralen Effekt-Themas, des komplett digitalen Riesenaffen, während des
Films zu bewundern und reflektieren: Der Affe gibt sich inhaltlich als
Effekt preis, indem er auf diegetischer Ebene eine Erscheinung ist, die in
der Realität keine Entsprechung hat. Damit spielte bereits das Original.
Die Beziehung zwischen Original und Remake ist ein weiterer Kanal, auf
dem uns das Reflektieren des Effektes ermöglicht wird, denn der SchwarzWeiß-Film ist gerade durch seine faszinierenden Filmtricks zu einem
59
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Klassiker geworden, der bis in die heutige Zeit bekannt ist. Und auch
während des Films finden sich immer wieder Momente der besonders
direkten körperlichen oder emotionalen Interaktion zwischen Schauspielern und Computerwesen – beides Gebiete, die traditionell eine Schwierigkeit für die fotorealistische Computergrafik darstellen, an welchen
Mängel schneller auffallen und Perfektion einen damit umso größeren
Eindruck hinterlässt. Und schließlich war auch das Erscheinen dieses
Films von einer Fülle paratextueller Informationen begleitet, welche den
Zusehern die Technik erklärten und nahelegten. So wurden etwa neben
dem Trailer (welcher traditionell den visuellen Stil, das Genre und die
Handlung kommuniziert, nicht jedoch weitere kontextuelle Informationen) in etlichen Artikeln und Sendungen Making-Ofs verbreitet, die etwa
die Animations- und Kameratechniken zur Erstellung der Effekte erklärten. All diese zusätzlichen Informationskanäle sind darauf ausgerichtet
den Zuseher mit inhaltlicher Information zu versorgen und das Erkennen
des Effekts zu ermöglichen.
Nicht jeder Film, der spektakuläre Effekte einsetzt, bedient sich im
selben Maße paratextueller Informationen und Inszenierung der Computergrafik im Film. Die Trends in der Bildgestaltung und Themenwahl,
welchen großen Filmproduktionen jedoch immer folgen (z.B. die Masse
an Filmen mit dem Thema des alten Griechenlandes, die dem Spektakelfilm Troy (Wolfgang Peterson, 2004) folgte) bedienen sich dabei meiner
Ansicht nach nicht nur am Bedürfnis des Publikums an ähnlichen Inhalten. Sie fordern auch ähnliche Sehgewohnheiten und das damit verknüpfte Wissen. Diese Strategie wäre ähnlich dem vorangegangenen Beispiel
des Rückbezugs des modernen Remakes von King Kong auf seinen historsichen Vorgänger, jedoch mit bereits konkretem Wissen über die jeweilige Technik. Ich vermute, dass sich so stilgleiche Nachfolgefilme derselben paratexutellen Informationen wie ihre stark beworbenen Vorgänger
bzw. wie ein ganzes Genre bedienen.
Natürlich ist dieser Einsatz von Effekten auch in der Fachwelt untersucht worden. Dan North liefert in seinem Buch Performing Illusions eine
sehr umfassende Theorie dieses Genres. Er sieht sie in der Tradition viktorianischer Magieshows stehen und zeigt erstaunliche Parallelen in ihrer Inszenierung und Wirkungsweise auf. So ist etwa die Inszenierung
der Berührung zwischen Illusion und Realem, wie sie bei spektakulären
Effekten immer wieder zu beobachten ist, und der auch Barbara Flückiger aus diesem Grund einen eigenen Abschnitt ihres Buches widmet, bereits mit Tricks wie Pepper’s Ghost5 im 19. Jahrhundert eingesetzt wor-
5Bei Pepper‘s Ghost handelte es sich um einen berühmten Spiegeltrick, der geisterhafte
Erscheinungen auf eine transparente Glasfläche einer Theaterbühne brachte.
60
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
den.6 Zweck war es damals wie heute, das Publikum durch die Verbindung
von Verstecken und Verraten von Tricks zu unterhalten. Zentrale Elemente beider Formate ähneln sich. Sie funktionieren mit handwerklich
perfekten und technisch modernen Tricks, über die das Publikum grundsätzlich auf paratextuellem Weg aufgeklärt wird. Während der Aufführung besteht die Unterhaltung aus der Illusion, welcher man sich von
einem aufgeklärten Standpunkt aus hingeben kann, und dem ständigen
Versuch durch Mängel der Inszenierung einen Blick auf diese Technik zu
erhaschen.
Interessant argumentiert North in diesem Zusammenhang auch gegen die altbekannte Anschuldigung, durch die Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung würde Film zu einem Medium, welches den Zuseher
ohne dessen Wissen mit falschen Bildern manipuliere: Er sieht in der
bewussten und gezielten Bildung des Publikums zu den Möglichkeiten
von digitalen Filmeffekten einen Schulung im kritischen Umgang mit digitalen Bildern. Das moderne Spektakelkino brächte also von sich aus
Mechanismen hervor, die den Blick seiner Zuseher für Manipulation und
Künstlichkeit schärften, damit dieser in immer besseren Illusionen erneut auf die Probe gestellt werden könne.
Ebenso schulte das Magietheater seine Zuseher auf unterhaltsame Weise
im kritischen und aufgeklärten Umgang mit Zauberei und okkulten
Tricks.
Produktionen von spektakulären Effekten gehören zu den absoluten
Riesen der Filmbranche, so lag das (von unterschiedlichen Stellen geschätzte) Budget von Avatar über 230 Mio USD und 2012 kostete etwa
200 Mio. USD in der Produktion.7 Da sich interessanterweise beobachten
lässt, dass solche enormen Großproduktionen relativ gesehen mehr Gewinn bringen als ihre Konkurrenz mit Budgets von unter 50 Mio USD8,
darf erwartet werden, dass der Trend zu immer höheren Budgets auch
weitergeführt wird.9 Für die Filme selbst bedeutet das neben dem hohen
Budget für Effekte auch einen enormen Marketingaufwand, die Notwendigkeit einer massenkompatiblen Handlung und große Ressourcen um
Technologien weiter oder neu zu entwickeln.
6 Flückiger 2008, S. 259-256.
7 http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_most_expensive_films
8 Die Datenerhebung im Rahmen dieser Arbeit legt nahe, dass die meisten regionalen und
Independent Spielfilmproduktionen mit einem Budget von unter 10 Mio. USD auskommen.
9Lang 2009
61
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
5.3 Unsichtbare Effekte
5.3.1 Einleitung
Als geradezu riesiger Bereich stellen sich den auf irgendeine Weise sichtbaren Effekten jene entgegen, die dem Betrachter sowohl formal als auch
inhaltlich komplett verborgen bleiben. Sie erfüllen in erster Linie den
Zweck, während der nun schon weiter verbreiteten Digital Intermediate
Stufe10 der Filmbearbeitung, korrigierend in die Filmbilder einzugreifen
und kleine bis große Mankos der Aufnahme in der Postproduktion zu
entfernen. Dazu gesellt sich jene Klasse an Effekten, welche Inhalte präsentiert, die zwar realistisch sind, aber aus finanziellen, rechtlichen,
ethischen oder anderen Gründen nicht vor der Kamera realisiert werden
können. Sie haben mittlerweile eine außerordentliche Verbreitung erlangt. Ein Blick auf die weltweit 2009 erschienenen Kinofilme legt nahe,
dass über 90% der Filme bereits den einen oder anderen Effekt einsetzen
und auch Post Productions Artist Reinhard Feichtinger (Listo Wien) vermutet im Interview, dass fast jeder professionelle Spielfilm in Österreich,
unabhängig vom Budget der Produktion auf die eine oder andere Weise
bearbeitet ist.11
Es ist vielleicht ein historisches Relikt, dass diese unsichtbaren Visual
Effects und die spektakulären Computergrafiken aus den zuvor beschriebenen Großproduktionen denselben Namen tragen, spielen sie sich doch
in zwei gänzlich unterschiedlichen Welten und Größenordnungen ab. So
zeichnen sich unsichtbare Effekte ja auch gerade dadurch aus, dass jeder
auffällige Effekt bei ihrem Einsatz ausbleibt. Die beiden greifen auch auf
unterschiedliche Techniken zurück: Leben spektakuläre Effekte meist
von aufwendiger dreidimensionaler Computergrafik und virtuellen Elementen, so setzen unterstützende Effekte viel auf zweidimensionale Bearbeitung und Archivmaterial. Jedoch existiert auch keine klare Grenze
zwischen unterstützenden und filmtragenden Effekten, sondern eher ein
Spektrum an digitalen Eingriffen in das Filmbild, in dem diese beiden
Ausprägungen die Pole darstellen und in dem man das Gros irgendwo
dazwischen verteilt findet. Meist findet man die beiden Effekte auch Seite an Seite in Filmen: Während die einen die Aufmerksamkeit der Betrachters fesseln, sorgen die anderen für ein kontinuierliches und ungestörtes Erscheinungsbild des restlichen Films.
10In der DI, der digitalen Zwischenstufe der Filmproduktion, wird der zu Beginn analog aufgezeichnete Film digitalisiert und bearbeitet, abschließend wieder auf Film übertragen.
11 vgl. auch Abschnitt 5.2 Verbreitung von Effekten im Heutigen Film
62
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
Unsichtbare digitale Filmeffekte bergen in sich das Potenzial der Manipulation des Filmschauenden, besonders, wenn sie in Dokumentationen eingesetzt werden. Aus der Datenerhebung, die im Rahmen dieser
Umfrage durchgeführt wurde, ging hervor, dass es durchaus eine gänige
Praxis ist, auch in Dokumentationen und Dokutainment Produktionen
(Dokumentationen mit Unterhaltungswert. Einige Beispiele wären etwa
die IMAX 3D Dokumentationen Deep Ocean 3D oder Sharkwater 3D) Effekte einzubauen. Eine Beschäftigung mit diesem Thema wäre durchaus
lohnend, aber kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen.
Unsichtbare Effekte sind schwer durch Filmausschnitte allein zu demonstrieren, deshalb berufe ich mich bei den Beispielen dieses Kapitels
in erster Linie auf technische Berichte aus Fachzeitschriften. Jedoch
stellt sich auch hier das Problem, dass diese dem Grundrepertoire des
heutigen Filmschaffens zugehörigen Effekte meist den einschlägigen Informationsmedien nicht erwähnenswert scheinen, wenn die Effekte sich
nicht als besonders komplex oder speziell erweisen. Außerdem ist es oft
im Sinne der Filmschaffenden, dass verborgene Effekte auch verborgen
bleiben; das ist ein Grund, bewusst keine paratexutellen Hinweise zu verbreiten, welche etwa in Filmen mit starker narrativer Komponente ungewollt von der Handlung ablenken.
Da im Bereich der unsichtbaren Effekte nicht mehr anhand der formalen und inhaltlichen Sichtbarkeit unterschieden werden kann (idealerweise sind die hier beschriebenen Effekte sowohl auf die eine als auch die
andere Art komplett ununterscheidbar vom Kamerabild), bieten sich für
die Unterteilung unterschiedliche Kriterien: Technische Umsetzung,
Aufwand, Rolle der Effekte für die Filmproduktion, Motivation der Filmschaffenden. Gewählt wurde die Einteilung nach ihrer Bedeutung im
Prozess des Filmschaffens. Die folgenden beiden Funktionen erfüllt also
jeder unsichtbare Effekt mehr oder weniger.
5.3.2 Korrigierende Effekte
Die erste Klasse umfasst jene Bearbeitungen, die korrigierend in den
Film eingreifen und punktuelles Compositing zur Beseitigung von störenden Elementen einsetzen. Entfernt werden aus historischen Filmen
zum Beispiel Artefakte der Neuzeit in öffentlichen Räumen wie Schilder,
elektronische Geräte, Autos oder dergleichen (vgl. The Curious Case of
Benjamin Button) oder mechanische Hilfsmittel wie Halteseile in actiongeladenen Stunts. Geändert wird angefangen von Blut, das in Einstellungen hinzugefügt oder aus diesen entfernt wird, über zusätzliche Partikel
bei Explosionen oder Feuer (vgl. Das Weiße Band, Michael Haneke, 2009),
63
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
über Passanten im Hintergrund (vgl. Changeling, Clint Eastwood, 2008),
Staßenschildern (vgl. The Road, John Hillcoat, 2009) alles, was bei der
Aufnahme nicht beachtet wurde, oder zwar möglich war, aber aus einem
anderen Grund nicht gemacht wurde. Änderungen an Kleidung von
Schauspielern (vgl. Adam Ressurected, Paul Schrader, 2008), oder gar an
ihren Gesichtern in Form von Digital Makeup (hierauf haben sich sogar
einige Studios, wie lola|vfx www.lolavfx.com spezialisiert) sind nur einige
von vielen Beispielen. Sogar vereinzelte Restauration wie etwa an dem
beschädigten Negativ von Imagine That (Karey Kirkpatrick, 2009) wurde
mit Techniken durchgeführt, die aus der Produktion unsichtbarer Effekte stammen. Und schließlich finden sich unsichtbare Effekte auch in
überarbeiteten Versionen alter Filmproduktionen, mit der zweifelhaften
Funktion, diese an modernen Geschmack und Werte anzupassen12.
Effekte dieser Kategorie ermöglichen also einen perfektionistischen,
flexiblen Arbeitsprozess, denn wo früher ganze Szenen neu gedreht werden mussten, können nun die Änderungen bequemer in der Postproduktion durchgeführt werden. Bei ihnen handelt es sich in erster Linie um
solides Handwerk, denn gestalterischer Spielraum besteht bei der Korrektur in der Regel wenig.
Abb. 24: korrigierte Dächer in Das Weiße Band (Michael Haneke, 2009)
Abb. 25: Ausblenden von störenden Hintergrundelmenten in The Road
(John Hillcoat, 2009)
12 vgl. die digitale Überarbeitung von ET (Steven Spielberg, 1982), oder Star Wars (George
Lucas, 1977)
64
Kapitel 5: Sichtbare und unsichtbare Effekte
5.3.3 Ermöglichende Effekte
Bei diesen digitalen Effekten geht es um eine Erweiterung des Repertoires an Bildern, welches zur filmischen Erzählung einer Geschichte
verwendet werden kann. Mittels digitaler Bearbeitung wird auf diese
Weise erzeugt, was entweder technisch, gesetzlich, im Rahmen des Budgets oder aus anderen Gründen allein mit Kamera und Spezialeffekten
nicht machbar wäre, oder wobei denen der Aufwand ungleich größer
wäre.
Beispiele dieser Gattung umfassen sehr oft die Verwandlung eines Drehortes in einen anderen: Das Parfum (Tom Tykwer, 2006) verwandelte
Barcelona ins Paris des 18. Jahrhunders und befüllt es mit digitalen Statisten13, The Proposal (Anne Fletcher, 2009) verwandelte das östliche Nordamerika in Alaska14, The Kite Runner Westchina ins Vorkriegs-Afghanistan.15 Stunts die aus ethischen oder gesetzlichen Gründen nicht
funktionieren können durch Effekte ermöglicht werden: In Das Weiße Band
stürzt ein digitales Pferd schmerzhaft über einen Draht16 um dem tatsächlichen Pferd dieses zu ersparen, in Vorstadtkrokodile erklimmt ein Junge
im Zuge einer Mutprobe ein digitales Dach, was ihm in Realität aufgrund
der deutschen Jugendschutzgesetze nicht möglich war.17 Aber auch virtuosere und aufwendigere Effekte sind in dieser Kategorie zu finden: so wird
etwa in Children of Men ein digitales Kind zur Welt gebracht18 oder in
Changeling aufwendig ein Los Angeles der 1920er Jahre mit weitreichenden digitalen Gebäuden und anderen Set Extensions rekonstruiert.19
Abb. 26: In Children of Men (Alfonso Cuarón, 2006) wird ein digitales Kind zur Welt
gebracht. Der Exekution von Jean-Baptiste Grenouille sieht in Das Parfum (Tom
Tykwer, 2006) eine digital vervielfältigte Menschenmenge zu.
13 http://www.webcitation.org/5m2DFUCV2
14 http://www.fxguide.com/modules.php?name=News&file=article&sid=572
15 http://www.cafefx.com/
16Diese Information stammt aus einem Interview mit Post Production Artist Reinhard
Feichtinger vom im Postproduktionshaus Listo Videofilm, welches die Effekte für Das Weiße Band produzierte.
17 Diese Information stammt aus einem Vortrag von Trixter auf der FMX 2009.
18 http://www.awn.com/articles/production/ichildren-meni-invisible-vfx-future-decay
19http://www.awn.com/articles/reviews/ichangelingi-vfx-peripheral-imagery
65
6 Empirische Studien
6.1 Fragebogen: Sichtbarkeit von Visual Effects
Um die Aussagen dieses Textes auch auf empirische Daten stützen zu
können, wurde für diese Arbeit eine dreimonatige Online-Umfrage durchgeführt. In ihr haben 56 Personen anonym ihre Eindrücke beim Betrachten von Ausschnitten aus 6 Filmen festgehalten, welche alle Visual Effects einsetzen.
6.1.1 Datenerhebung
Zur Datenerhebung wurde im Zeitraum von Februar bis April 2010 ein
geschlossener Online-Fragebogen unter der Adresse http://vivivi.mmf.at/
questionnaire/limesurvey/ angeboten. Den Teilnehmern, welche einzeln eingeladen wurden, wurde ein Passwort zugewiesen, mit dem sie den Fragebogen aufrufen und anonym beantworten konnten. Zur vollständigen Beantwortung der Umfrage ergab sich aus einigen Testläufen eine
Mindestdauer von einer halben Stunde, nahmen sich die Teilnehmer
auch wirklich Zeit alle Fragen gründlich zu lesen und zu bedenken. Von
Seiten der Software wurde auf die Open Source Lösung LimeSurvey zurückgegriffen, da sich diese Software nach Recherchen als stabile, benutzerfreundliche Plattform erwies, die allen Anforderungen des Fragebogens entsprach.
Einen zentralen Punkt des Fragebogens bildeten insgesamt 15 Ausschnitte von 6 verschiedenen Filmen mit einer durchschnittlichen Länge
von etwa 45 Sekunden. Die Teilnehmer sahen sich alle dieser Ausschnitte
nacheinander an und beantworteten danach jeweils 3–5 Fragen zu den
vorgekommenen – oder auch nicht vorgekommenen – Visual Effects. Ausgewählt wurden für diesen Test Filme unterschier Bekanntheit, unterschiedlichen Stils und Produktionsbudgets. Jeder Film beinhaltete jedoch
Visual Effects zu deren Produktion Informationen zu finden waren, welche genaue Aussagen über deren Machart und die Ausprägung in speziellen Szenen zuließen. Im Folgenden findet sich eine Liste der ausgewählten Filme mit einer Begründung für deren Auswahl. Abb. 27 zeigt
einzelne Einstellungen aus den 6 Filmen.
Adam Resurrected, Paul Schrader, 2008 (3 Ausschnitte):
Unsichtbare Effekte
Trotz seines sehr kleinen Budgets schufen die Filmschaffenden in diesem
Film nach klassischer Manier der unsichtbaren Filmeffekte einen virtuellen Ort der Handlung: Ein Sanatorium für überlebende der Nazi-Kon-
66
Kapitel 6: Empirische Studie
zentrationslager in der Wüste von Israel, das in Realität nie erbaut wurde.
Die Effekte in diesem Film konzentrieren sich auf Set-Extension und digitale Retusche. Informationen über die Produktion bietet das Effektstudio Pictorion, Das Werk. Darüber hinaus hatte die Autorin auf der Fachmesse FMX im Jahr 2009 die Chance einen Vortrag über die Produktion
zu hören.
Cloverfield, Matt Reeves, 2008 (3 Ausschnitte):
Sichtbare Effekte
Dieser Film wurde als deutlicher Gegenpol zu unsichtbaren Effekten gewählt. Obwohl sein visueller Stil realistisch gehalten ist – im Stil von mit
Handkamera gedrehten Heimvideos – und auch er viele unsichtbare Effekte einsetzt, so sind doch viele der Einstellungen des Films offensichtlich dem Computer entsprungen. Die gilt nicht zuletzt für ein riesiges,
Godzilla-artiges Reptilienwesen, welches New York verwüstet.
Die Effekte dieses Films konzentrieren sich auf aufwendige Set-Extensions, Explosionen, Zerstörung von Gebäuden sowie mehrere digitale
Kreaturen. Information über die Herstellung entstammen Fachzeitschriften sowie veröffentlichten Making-Of Videos.1
Children of Men, Alfonso Cuarón, 2006 (2 Ausschnitte):
Unsichtbare Effekte
Wie Cloverfield entlehnt auch Childen of Men seinen visuellen Stil von
jenem moderner Medienbilder – in diesem Fall, von Fernesehberichterstattung. Dadurch bedient sich der Film der Authentizität, die diesen
Bildern heute beigemessen wird. Inhaltlich finden sich aber auch in diesem Film Bilder, die sich als reine Science Fiction erkenntlich geben. Jedoch ist die Grenzziehung zwischen Effekt und Nicht-Effekt hier (dem
Gefühl der Autorin nach) deutlich schwieriger.
Effekte in Children of Men unterstützen mit Set-Extension und MattePaintings das Aussehen der zukünftigen Erde, zerstören diese, liefern
aber auch mehrere virtuelle Stunt Doubles und Charaktere, wie etwa ein
neugeborenes Kind.2
4.The Kite Runner, Marc Forster, 2007 (2 Ausschnitte):
Unsichtbare Effekte
1 Quellen: u.a. http://www.youtube.com/watch#!v=YT_yh1r3cQg&feature=related
2 Quelle: u.a. http://www.fxguide.com/modules.php?name=News&file=article&sid=390
67
Kapitel 6: Empirische Studie
Um die emotionale Geschichte zweier Kindheitsfreunde im Afghanistan
der 70er Jahre zu erzählen musste nicht nur das mittlerweile zerstörte
Land virtuell rekonstruiert werden.
Neben klassischer Set-Extension und sehr gelungenen Matte-Paintings
gibt es in diesem Film ganze Cg-Sequenzen, in denen digitale Papierdrachenkämpfe im Himmel über einem virtuellen Kabul ausgetragen werden. Informationen zur Erstellung der Effekte liefern die Macher CafeFX.3
5. Changeling, Clint Eastwood, 2008 (2 Ausschnitte):
Unsichtbare Effekte
Mit dem größten Budget in für einen Film mit unsichtbaren Effekten in
dieser Sammlung – ganze 55 Mio. US-Dollar4 – rekonstruierten die Filmschaffenden hier das Los Angeles der 1930er Jahre.
Changeling gewann 2009 den Award der Visual Effects Society für die
besten unterstützenden Visual Effects. Nach der begehrten Auszeichnung der Industrie schrieben viele Fachzeitschriften über die Produktion
der Effekte für diesem Film.5
6.The Curious Case Of Benjamin Button, David Fincher, 2008 (2 Ausschnitte):
Sichtbare Effekte
Dieser Film gehört wohl zu einem der bekannteren Visual Effects Driven
Motion Pictures der vergangenen Jahre. Massiver Einsatz von unsichtbaren Effekten rekonstruiert Amerika zu unterschiedlichen Momenten des
letzten Jahrhunderts. Der interessanteste sichtbare Visual Effect ist jedoch der fotorealistische, teilweise digitale Hauptdarsteller, gespielt von
Brad Pitt.
Der am aufwendigsten produzierte Film dieser Auswahl ist somit auch
ein spektakulärer Versuch das Uncanny Valley zu überbrücken. Er bot
sich daher als interessantes Objekt zur Untersuchung der Grenzen von
inhaltlicher Sichtbarkeit an.
Da Informationsverbreitung über die Produktion der Effekte ein Teil
der Werbestrategie von Benjamin Button war, ist es nicht schwer im internet und in diversen Fachzeitschriften Informationen darüber zu finden.6
3
4
5
6
http://www.cafefx.com/cafefx/html/cafefx.html
http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=changeling08.htm
http://features.cgsociety.org/story_custom.php?story_id=4767
http://www.benjaminbuttonfx.com/
68
Kapitel 6: Empirische Studie
Neben Fragen zu den Filmen wurden die Testpersonen auch aufgefordert
ihre eigene Erfahrung um Umgang mit Visual Effects einzuschätzen sowie Informationen zu ihrem Film-Konsumverhalten anzugeben.
6.1.2 Die Fragen
Der Fragebogen sollten folgende Fragen beantworten:
• Werden manche digitale Visual Effects öfter erkannt als andere?
(Wenn es einen Unterschied zwischen sichtbaren und unsichtbaren
Effekten gibt, dann muss dieser in den Ergebnissen des Fragebogens erkennbar sein.)
Abb. 27: (Von oben links, zeilenweise) Adam Resurrected (Paul Schrader, 2008),
Cloverfield (Matt Reeves, 2008), Children of Men (Alfonso Cuarón, 2006), The Kite
Runner (Marc Forster, 2007), Changeling (Clint Eastwood, 2008), The Curious Case
of Benjamin Button (David Fincher, 2008)
69
Kapitel 6: Empirische Studie
• Lässt sich das Erkennen von Effekten an diesen immanenten Eigenschaften wie Qualität und Inhalt festmachen? Ist diese Unterscheidung praktikabel?
• Gibt es Personen, die eher in der Lage sind als andere, Effekte zu
erkennen? Wenn ja, lässt sich das an der Erfahrung, am Alter oder
anderen Faktoren festmachen?
• Ist der Bogen generell in der Lage, die Aussagen des Textes zu einzenen Effekten zu belegen?
6.1.3 Auswertung
Nach dem Export aus der Umfragesoftware LimeSurvey wurden die Daten nach OpenOffice Calc7 gebracht und in bearbeitbare Form gebracht.
Einzelne Datensätze wurden schließlich nach Wolfram Matematica importiert und auf erkennbare Effekte und Korrelationen untersucht oder
als Grafiken ausgegeben. Einelne Grafiken wurden auch mit Adobe Illustrator erstellt.
Zunächst wurde überprüft, wie die Antworten generell aussahen. Die
erste Frage hierbei war, wie viele der Antworten überhaupt korrekt waren. Dabei wurde, zunächst für jeden Filmausschnitt einzeln, notiert, wie
viele der Testpersonen angegeben hatten, beim Betrachten einen Effekt
wahrgenommen zu haben (Antwortmöglichkeiten: „Ja“(/„Vielleicht“)/
„Nein“). Eine positive Angabe („Ja“/„Vielleicht“) führte im Fragebogen zu
vertiefenden Fragen, welche dann noch genauer festzustellen versuchten,
wie sicher sich die Testperson mit ihren Aussagen war. Dabei wurde, mit
3–5 Fragen auf verschiedene Elemente der Bilder eingegangen und gefragt ob es sich speziell dabei um Effekte handelte oder nicht. Beispiele
für solche Elemente waren etwa „Das Gesicht von Benjamin Button“,
„Der Rollstuhl von Benjamin Button“, „Das Zimmer“ usw.
Die Antworten wurden für einzelne Fragen gezählt und auf deren Anzahl normalisiert, was eine Quote für richte und falsche Antworten pro
Frage ergab. Aus den normalisierten Antworten auf die einzelnen Fragen
wurde der Durchschnitt pro Filmausschnitt und schließlich pro Film berechnet.
Richtige Antworten Pro Film
Dieselben Informationen wurden auch für die einzelnen Filmausschnitte
und Filme erhoben, wobei sich wenig überraschend herausstellte, dass
7 das Open Source Pendent zu Microsoft Excel
70
Kapitel 6: Empirische Studie
die Antwortquoten hier stärker schwankten.8 Abb. 28 zeigt eine Gegenüberstellung der Antwortquoten pro Film und Clip mit dem Budget des
jeweiligen Films.
Eine allgemeine Korrelation von Budget und Erkennbarkeit ist nicht
zu erkennen. Aufgrund der unterschiedlichen Arten von Effekten, ist dies
aber nicht nur nicht verwunderlich, sondern wurde auch erwartet. Was
sich jedoch beobachten lässt ist, dass die Erkennbarkeit von unsichtbaren
Effekten in Adam Resurrected, The Kite Runner und Changeling mit steigendem Budget tendenziell abnimmt. Die Effekte steigern sich in Qualität und verschwinden schließlich komplett. Die Schwankungen beim Film
The Kite Runner, welche in Kürze erklärt werden sollen, lässt sich dabei
auf die Wahl der Ausschnitte zurückführen.
Ein interessanter Aspekt am Film The Curious Case of Benjamin Button ist die Variation der Anzahl der richtigen Antworten in den zwei
Clips. Auch wenn er vergleichsweise gering zu anderen Filmen ausfällt,
so ist er in diesem Beispiel beachtenswert. Hier wurden die aufeinander
folgenden Clips bewusst aufeinander abgestimmt: Die zwei Ausschnitte
Abb. 28: Gegenüberstellung von Budget und Erkennquote pro Film (schwarze
Punkte) und Clip (orange Punkte)
8Anm.: Übersicht über alle Daten findet sich im Anhang
71
Kapitel 6: Empirische Studie
im Fragebogen zeigten beide den gealterten Schauspieler Brad Pitt. Im
ersten Clip fand die Alterung digital statt, im zweiten lediglich durch
Make-Up. Im ersten Clip waren noch durchschnittlich viele Personen in
der Lage den Effekt korrekt als Visual Effect zu erkennen. Im zweiten
Clip brach die Quote jedoch ein und lag mit nur 39% leicht unter dem
Durchschnitt von 52%. Die Fragestellungen waren dabei bewusst so gewählt, dass an mehreren Stellen des Fragebogens darauf hingewiesen
wurde, dass nach digitalen Effekten gefragt wurde. Der Einbruch könnte
deshalb daran liegen dass, wie im Abschnitt inhaltliche Sichtbarkeit beschrieben, die inhaltliche Sichtbarkeit zwar erkennen lässt, dass ein Effekt vorhanden ist, nicht jedoch welche Technik hinter diesem steckt.
Weitere Gewichtung
Im nächsten Schritt wurde das Spektrum an Ja/Nein-Antworten etwas
verbreitert, indem diese mit einer subjektiv angegebenen Sicherheit der
Aussage gewichtet wurden.
So konnten Testpersonen zusätzlich dazu angeben, wie sicher sie sich
beim Erkennen der einzelnen Effekte wären. Existierte der besagt Effekt
tatsächlich und wäre damit zurecht erkannt worden, so bedeutete das ein
positives Ergebnis, in der Höhe der angegeben Sicherheit (1/„nicht sicher“
– 5/„sehr sicher“). Das vermeintliche Erkennen eines Effekts, wo sich keiner Befand, sowie das Übersehen/Nichterkennen führten gleichermaßen
zu einem negativen Ergebnis der Frage. Gab eine Person von vornherein
an, in einem Filmausschnitt überhaupt keine Effekte erkannt zu haben,
wenn sich jedoch welche darin befanden, so resultierte dies in einer mittleren negativen Bewertung von -2. Dieser Wert wurde so gewählt, dass er
weniger schwer ins Gewicht fiel als mit voller Überzeugung in allen
Punkten zu irren.
Die Ergebnisse der einzelnen Fragen wurden abschließend summiert
und ergaben wie bei einem Test ein positives, negatives, oder – in seltenen Fällen – neutrales Ergebnis. Dieses Spektrum von -5 bis 5 wurde
schließlich auch noch grafisch für die einzelnen Fragen ausgegeben, und
erlaubt eine deutliche Unterscheidung der einzelnen Fragen.
Eine Ausführliche Grafik hierzu findet sich im Anhang.
Kriterien der Sichtbarkeit
Die nächste Frage ist die nach der Unterscheidung zwischen inhaltlicher
und formaler Sicherheit. Den Teilnehmern wurde die Möglichkeit gegeben, nach Beantwortung der Fragen zu den jeweiligen Filmausschnitten
anzugeben, woran sie Effekte erkannt hätten. Zur Auswahl standen dabei die in dieser Arbeit beschriebenen Kriterien der Sichtbarkeit: „Arte-
72
Kapitel 6: Empirische Studie
fakte oder Fehler der Bearbeitung“, „bestimmte Bildeigenschaften von
digitaler Bearbeitung“, „Realismus des Bildinhalts“ und „Informationen
aus anderer Quelle“. Im folgenden gibt es eine Auflistung der Angaben in
Summe (Abb. 29) und prozentuell pro Film (Abb. 30)
Die mit Abstand am Öftesten angegebenen Kriterien waren dabei
„Bildeigenschaften“ und „Inhalt“.
Was überrascht ist, dass das Kriterium „Artefakte“ kaum gewählt
wurde. Prinzipiell enthielt der Fragebogen Filmausschnitte, auf welche
dieses Kriterium aus meiner Sicht zutraf. Die Frage nach den Grund die-
Abb. 29: Absolute Anzahl der Angaben zu den vier Kriterien der Erkennbarkeit
Adam Resurrected
Cloverfield
Children Of Men
36.36
54.12
59.04
10.84
5.88
2.6
3.61
5.2
26.51
55.84
31.48
56.1
57.01
9.26
4.88
5.61
Changeling
Benjamin
Button
Changeling
The Kite Runner
8.41
40.
4.88
22.22
28.97
37.04
34.15
Abb. 30: Kriterien für die Sichtbarkeit der Effekte pro Film,
prozentuell
73
Kapitel 6: Empirische Studie
ses Ergebnisses, muss ich, aus Mangel an Information offen lassen. Der
Annahme, dass es sich um aussagekräftige Daten handelt, widerspricht
jedoch, dass das verwandte formale Kriterium „bestimmte Bildeigenschaften von digitaler Bearbeitung“ ungleich öfter angegeben wurde.
Eine ungenaue Fragestellung ist naheliegend.
The Kite Runner
Beim Film The Kite Runner, der ebenfalls im Text besprochen wird, stellte sich heraus, dass Full-CG-Szenen9 mit fliegenden Papierdrachen in
erster Linie aufgrund von Bildeigenschaften deutlich erkannt werden
konnten. Die Quote lag bei besagten Szenen im Spitzenfeld des ganzen
Fragebogens mit 75% richtigen Antworten. Daneben gab es in anderen
Ausschnitten dieses Films noch umfassende Matte-Paintings, welche
wiederum deutlich schlechter erkannt wurden – mit nur 30% richtiger
Antworten gehörten sie zu den drei schwierigsten Ausschnitten des ganzen Fragebogens. In dieses Ergebnis spielen nun, meiner Ansicht nach,
unterschiedliche Gründe hinein: Zum einen ist das Auge bei bewegten
Elemente (den Drachen) empfindlicher10, als bei unbewegten Hintergründen. Und schließlich ist es aus diesem Grund auch schwieriger komplexe
Szenen mit bewegten Objekten und bewegter Kamera zu künstlich zu
erzeugen, besonders mit geringerem Budget.
Cloverfield
Am einfachsten fiel es den Zusehern, wie erwartet, beim Film Colverfield
aufgrund von inhaltlichen Aspekten die Effekte zu entlarven. Auch hier
gaben die Teilnehmer bei den einzelnen Clips mehr als doppelt so oft wie
durchschnittlich an, die Effekte hätten sich inhaltlich verraten. Der
Schnitt der drei Clips von Cloverfield ergab 28,7 Personen, welche pro
Clip inhaltich Effekte erkannten. Der Durchschnitt aller Clips lag bei
16,8. Der Fragebogen bestätigt damit die Annahme, dass Effekte in Fantasiefilmen aufgrund ihres Inhalts erkannt werden und zeigt, dass diese
Form der Sichtbarkeit sehr stark ins Gewicht fällt.
The Curious Case of Benjamin Button
Obwohl externe Quellen selten als Erkennungsgrund angegeben wurden,
so wurde dieses Kriterium doch beim Film The Curious Case of Benjamin
Button am öftesten gewählt. Der Film erhielt mit im Schnitt 6 Angaben
pro Clip in etwa die dreifache Menge der anderen Clips. Öfters wurden
jedoch auch in diesem Film die Effekte inhaltlich Erkannt. Die Besetzung
9In diesen werden alle Elemente einer Einstellung digital erzeugt.
10 vgl. Abschnitt Kriterien für die Sichtbarkeit S. 48
74
Kapitel 6: Empirische Studie
mit dem Schauspieler Brad Pitt dürfte also zum Erkennen des Effekts
mehr beitragen als die ausgiebige Werbung. Die Teilnehmer gaben auch
öfters an, Eigenheiten von Computergrafik zu erkennen, als Informationen von externen Quellen erhalten zu haben. Dennoch lag die Anzahl der
Personen, welche solche formalen Eigenheiten erkannten mit 10 und 7
Antworten deutlich unter dem Schnitt von 16,8. Darin kann eine weitere
Bestätigung für die Qualität der Effekte in diesem High-Budget-Film gesehen werden.
Changeling
In Changeling waren die Teilnehmer durchgehend nicht in der Lage Effekte zu erkennen. Die Angaben zu drei der vier Kriterien lagen in absoluten Zahlen so niedrig wie bei keinem anderen Film. Lediglich in The
Curious Case of Benjamin Button gaben die Teilnehmer seltener an, die
Effekte aufgrund von besonderen Bildeigenschaften zu erkennen.
Subjektivität und Bildung
Für die letzte Frage wurde die Perspektive der Betrachtung gewechselt
und statt nach den Effekten, nach den Personen gefragt:
War es anhand der von den Teilnehmern angegebenen Informationen
über die eigene Person möglich, eine Prognose über die Richtigkeit ihrer
Antworten zu machen, oder anders gesagt – Konnte anhand des Test
nachgewiesen werden, dass unterschiedliche Personen Effekte unterschiedlich gut wahrnahmen? Die Testpersonen hatten zu Beginn der Umfrage einige Informationen über sich selbst anonym preisgegeben. Dazu
gehörten:
• Alter
• Die Häufigkeit von Filmkonsum
Punktezahl
Punktezahl nach Alter
200
150
100
50
30
40
50
Alter
50
Abb. 31: Gegenüberstellung von Alter und Punktezahl sowie Erfahrung und
Punktezahl, letzteres mit händischer Einzeichnung einer möglichen Korrelation.
75
Kapitel 6: Empirische Studie
• Erfahrung mit digitalen Effektfilmen (als Konsument)
• Wissen über die Produktion von Effekten, und welcher Art dieses
war
Auf dieselbe Art, wie zuvor die gewichteten Antworten pro Filmausschnitt berechnet worden waren, wurde aus den gewichteten Antoworten
jetzt ein „Score“ berechnet, der angab, wie richtig die jeweilige Testperson
gelegen hatte. Dieser Wert wurde den anderen gegenübergestellt. Dabei
konnte, innerhalb der Stichprobe der Umfrage eine leichte Korrelation
zwischen der Erfahrung der Person (die der Einfachheit halber ebenfalls
auf einen Wert reduziert wurde), und den Antworten beobachtet werden.
Innerhalb der Stichprobe galt also: Personen, die sich besser mit der technischen Produktion von Filmen aukannten, gaben richtigere Antworten.
Eine Korrelation mit dem Alter der Testpersonen konnte nicht beobachtet werden.
6.1.4 Zusammenfassung
Der Fragebogen bestätigt im Großen und Ganzen die Annahmen des Textes.
Er zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen sichtbaren und unsichtbaren Effekten, wenn in Cloverfield praktisch alle der Teilnehmer
Effekte erkennen und in Changeling kaum einer.
Er bestätigt die Annahme, dass Effkete anhand von unterschiedlichen
Kriterien erkannt werden, wenn sich in Cloverfield etwa herausstellt,
dass die meisten der Teilnehmer die Effekte aufgrund von inhaltlichen
Hinweisen erkennen und in The Kite Runner aufgrund von Bildeigenschaften.
Er gibt den unterschiedlichen Kriterien der Sichtbarkeit eine Bedeutsamkeit in Relation zueinander, was ebenfalls ausgesprochen interessant
ist. So stellt sich etwa heraus, dass digressions einen durchgehend geringeren Anteil beim Erkennen von Effekten darstellen, als ursprünglich
angenommen wurde. Selbst beim massiv beworbenen Film The Curious
Case of Benjamin Button trug die Aufklärung durch die Werbeindustrie
oder externe Quellen weniger zum Erkennen der Effekte bei, als die inhaltiche Dimension des Films – die Anwesenheit des Schauspielers Brad
Pitt. Gleichsam zeigt er jedoch auch den Einfluss von digressions, wenn
sich die Teilnehmer bei diesem Film überdurchschnittlich stark an externe Quellen erinnern.
Er gibt Hinweise auf die Eigenheiten der menschlichen Wahrnehmung, welche ins Erkennen von Visual Effects hineinspielen, sowie auf
den Aufwand der Effekte, welcher mit einem bestimmten Budget reali-
76
Kapitel 6: Empirische Studie
sierbar ist. The Kite Runner etwa scheint mit seinem Budget und den
Full-CG-Szenen an der Genze zu sitzen, an der aufwendige unsichtbare
Effekte möglich sind. Manche der unsichtbaren Effekte in diesem Film
funktionieren perfekt, andere sind aufgrund von Bildeigenschaften noch
eindeutig erkennbar. Changeling, der denselben anspruch bei höherem
Budget hat, schafft es bereits durchgehend seine Zuseher zu täuschen.
Der Fragebogen unterstützt schließlich, wenn auch nur grob, die Annahme, dass Erfahrung im Umgang mit Visual Effects die Wahrnehmung
beeinflusst. Mit dem Kino erfahrene Betachter sind eher in der Lage Effekte zu erkennen als unerfahrene. Er lässt vermuten, dass eine größere
Stichprobe diesen Effekt in der Auswertung weiter verstärkt.
6.1.5 Barrieren der Industrie – ein kurzer Erfahrungsbericht
Obwohl das Gebiet der Visual Effects und der Computerbilder nicht nur
in der Industrie einen starken Forschungszweig besitzt11, ist eine Forschung auf diesem Gebiet in Österreich nicht unproblematisch. Besonders auf dem Gebiet der Studien über digital bearbeitete Filme stößt man
sehr schnell an die Schranken, welche die Filmindustrie selbst errichtet.
Bei Filmen und Computergrafik in der beschriebenen Form handelt es
sich oft um aufwendigste kommerzielle Produkte, welche speziell auf diesem Gebiet einer strengen gesetzlichen Reglementierung durch die Copyright-Gesetze unterliegen. Die Erstellung einer Studie, welche einen Film
verwendet, ist mit einem nicht unbeträchtlichen Kosten- und Organisationsaufwand verbunden, allein, was den Gegenstand der Untersuchung
betrifft. Diese Kosten fallen an, ohne dass dabei auch nur ein Datensatz
gesammelt wird.
So ergab eine Anfrage nach den Voraussetzungen zur Verwendung von
Filmen bei Universal Pictures Europe, deren Verwertungsrecht bei ihnen
selbst liegt, dass die öffentliche Verwendung eines Filmausschnittes des
Studios für wenigen Sekunden bereits mehrere Tausend Euro kosten
würde. Auch eine entsprechende Rechtsberatung sowie eine Anfrage bei
der Interessensvertretung der Filmschaffenden Österreichs bestätigte
das Fehlen einer rechtlichen Ausnahme für den akademischen Bereich.
Eine Anfrage bei Paramount Pictures blieb überhaupt unbeantwortet.
Interessanterweise stellte sich heraus, dass der akademische Bereich
in Österreich hier stärkeren Restriktionen unterworfen ist als etwa der
amerikanische. In den USA würde eine Verwendung von Filmen in der
11 man denke an die großartigen Entwicklungen aus dem akademischen Umfeld, die etwa jedes Jahr auf der Siggraph präsentiert werden
77
Kapitel 6: Empirische Studie
benötigten Länge unter Umständen als Fair Use12 gelten. Diese gesetzliche Ausnahme erlaubt eine beschränkte, dafür aber freie Nutzung von
unter Copyright stehenden Werken. Es bleibt zu hoffen, dass sich ein
ähnliches Gesetz früher oder später auch in Europa durchsetzt.
6.2 Verbreitung von Effekten im heutigen Film
Um die Frage zu beantworten, wie weit denn digitale Filmeffekte eigentlich verbreitet sind, wurden zwei verschiedene Stichproben ausgewertet.
Da ein entscheidendes Element der Filmwahrnehmung die selektiven
Kanäle sind, über welche sie uns zugänglich sind (unterschiedliche Kinos, Fernsehen, Internet, usw.), stellte sich die Frage, wie ein Querschnitt
durch die aktuelle Filmlandschaft aussehen müsste, um brauchbare und
repräsentative Aussagen damit machen zu können. Die weltweite Filmlandschaft ist ungleich größer und diverser, als sie dem durchschnittlichen Kinobesucher zugänglich ist. Jährlich erscheinen tausende Filme
etwa nur regional und schaffen es nie über die Grenzen eines Landes oder
manchmal nur einiger Kinos hinaus. Manche Filme werden nie im Kino
gezeigt, sondern direkt auf DVD oder im Fernsehen veröffentlicht und die
Produktion von Featurelänge-Filmen13 wird von einer schier unendlichen
Masse an Kurzfilmen begleitet. Wo ist die Grenze zu ziehen, wenn über
die Verbreitung von Viusal Effects gesprochen wird? Da eine einzige
Quelle hier nicht aussagekräftig genug erschien, fiel die Entscheidung,
zwei unterschiedliche Selektionen von Filmen auszuwerten. Die erste
sollte einen möglichst umfassenden Blick auf die aktuelle Filmlandschaft
ermöglichen. Bei ihr handelte es sich darum um die Liste aller 2009 erschienen Filme, welche in der International Movie Database14 gelistet
sind. Die IMDb führt eine der umfassendsten Sammlungen an Filmfakten und stellt ihre Daten über das Internet für private und nichtkommerzielle Zwecke frei zur Verfügung. Die bereitgestellten Daten setzen sich
aus von der Redaktion recherchierten Kino- und Fernsehfilmen, Serien
und Computerspielen und daran beteiligten Personen zusammen. Benutzer können diese Information selbst ergänzen. Diese Daten werden dann
ebenfalls von der Redaktion gegengeprüft. Sie sind deshalb wie erwähnt
sehr umfangreich, aber aufgrund der einigermaßen freien Bearbeitung
auch nicht hundertprozentig zuverlässig. Außerdem sind sie keineswegs
vollständig und es ist anhand der IMDb Daten auch nur ungefähr möglich auf die Anzahl und Art der nicht vorhandenen Einträge zu schließen.
12http://fairuse.stanford.edu/index.html
13 die klassicherweise über 90 Minuten langen Kinofilme
14IMDb, http://www.IMDb.com
78
Kapitel 6: Empirische Studie
Trotzdem stellt sie für den Anspruch dieser Auswertung eine gute Grundlage dar. Es ist möglich die Gesamtheit der eingetragenen Titel zusammen mit einiger ergänzender Information sowie diverser andere Listen,
etwa von Schauspielern oder Special Effects-Firmen, in unterschiedlichen Formaten herunterzuladen und lokal weiter zu filtern. Für den
Zweck dieser Auswertung wurde die Komplettliste aller IMDb-Titel nach
jenen des Jahres 2009 gefiltert und, soweit es die zugänglichen Informationen erlaubten, Fernsehproduktionen, Serien, Computersiele und Videoproduktionen herausgefiltert.15 Leider enthielt die Liste keine weiteren Informationen, welche es erlaubten Featurelänge-Filme von
Kurzfilmen zu unterscheiden.16 Die fertige Liste umfasste 20 186 Titel,
welche die Gesamtheit der 2009 erschienen Kinofilme und Kurzfilme darstellt. Aus ihr wurden nun, zwecks genauerer Bestimmung 207 Titel zufällig ausgewählt und durch händische Recherche mit weiteren Informationen ergänzt. Dabei stellte sich unter anderem ein ungefährer Anteil
an Kurzfilmen von 51,2% heraus, welcher schließlich ebenfalls weggelassen wurde.
Die zweite Sammlung von Filmen sollte selektiver sein und mehr dem
entsprechen, was der durchschnittliche Kinobesucher an Filmen wahrnimmt. Eine solche Auswahl ist nach den Kriterien der heimischen Kinos
zusammengestellt. Sie ist also gekennzeichnet durch mehr internationale Mainstream-Filme, einen stärkeren kommerziellen Fokus, ein deutlich
höheres Durchschnitts-Budget, sowie einen gewissen Anteil von heimischen Filmen und einer thematischen Präferenz für Kunst- sowie Bildungsfilme (bedingt durch spezielle Programmkinos, etwa dem Filmarchiv Austria in Wien). Die Grundlage für die Liste sollte ein möglichst
vollständiges Programm der österreichischen Kinos bilden. Als Quelle
hierfür wurde das Programm der Website film.at gewählt. Diese listete
am 15.2.2010 181 Filme, zu welchen ebenfalls händische Recherche betrieben wurde, um die jeweils gewünschten Informationen zum Einsatz
von Effekten zu finden.
Für die Ergänzung der Informationen wurde erneut auf Internet-Recherche (großteils IMDb, teilweise Wikipedia und deren weiterführende
Links, sowie, wenn notwendig, spezielle weitere Seiten) zurückgegriffen,
15Bei stichprobenartigen Kontrollen stellte sich jedoch heraus, dass nicht alle der Filme –
besonders bei Videoproduktionen – korrekt gekennzeichnet sind. Die Ergebnisse müssen
daher leider in dieser Hinsicht mit Vorsicht betrachtet werden.
Reine Video-Produktionen wurden gefiltert, da sie (meinem Eindruck nach) ein spezielles
experimentelles bis Extrem-Low-Budget Segment darstellen, in welchen kaum Effekte vertreten sind und welches auch kaum im Kino gezeigt wird. Sie wurden deshalb für diese
Auswertung als nicht-relevant eingestuft.
16 Kurzfilme wurden für die Auswertung auch als nicht-relevant eingestuft. Sie wurden später anhand einer zufälligen Stichprobe annähernd aussortiert.
79
Kapitel 6: Empirische Studie
da sich diese im Rahmen der Arbeit als am effektivsten herausstellte. In
jeder der beiden Listen sind Filme enthalten, zu denen keine genaueren
Informationen zu den Effekten zu finden waren. Diese sind jeweils als
„Ohne Information“ gekennzeichnet oder, wenn aufgrund jeglicher fehlender Information der Verdacht bestand, dass der angegebene Titel nicht
korrekt war, als „Unbekannt“. Bei der Endauswertung wurden diese Filme ebenfalls ausgeklammert. Animationsfilme wurden als „ohne Effekte“ gekennzeichnet, da hier lediglich die Kombination von Effekt mit Realfilm ausschlaggebend sein soll.
Hier die Ergebnisse der Auswertung:
Auswertung IMDb –
Datenbankstand 2.2010 (gerundete Ergebnisse)
Alle
Alle %
Ohne unbek.
Ohne unbek. %
Kurz- FeatureKeine Ohne
Mit
Alle
filme
Filme
Unbek.
Info.
Vfx
Vfx
207
106
101
11
12
137
47
66,18
22,71
100
51,21
48,79
5,31
5,8
184
0
0
137
47
100
0
0
74,46
25,54
Ohne Kurzfilme
101
6
12
57
26
Ohne Kurzfilme %
100
5,94
11,88
56,44
25,74
83
0
0
57
26
100
0
0
68,68
31,33
Ohne unbek. &
Kurzfilme
Ohne unbek. &
Kurzfilme %
Auswertung film.at –
Stand 15.2.2010 (gerundete Ergebnisse)
Alle
Vor
1982
Nach
1982
2009
Keine
Info.
Ohne
Vfx
Mit
Vfx
Alle
181
51
130
69
21
79
81
Alle %
100
28,18
71,82
38,12
11,60
43,65 44,75
Nach 1982
137
21
Nach 1982 %
100
15,33
25,55 59,12
0
30,17 69,82
Nach 1982 %
(ohne unbek.)
80
35
81
Kapitel 6: Empirische Studie
Alle
Vor
1982
Nach
1982
2009
2009 %
2009 %
(ohne unbek.)
2009
Keine
Info.
Ohne
Vfx
Mit
Vfx
69
10
11
48
100
14,49
15,94 69,57
0
18,64 81,36
Bei der Auswertung der aktuellen Kinofilme wurde eine weitere Unterscheidung zwischen den Filmen gezogen, welche potenziell Visual Effects
enthalten könnten und jenen, die vor der Zeit der Visual Effects produziert wurden. Als Grenze wurde hier das Jahr 1982 gewählt, da in diesem
Tron, der erste größere Kinofilm, welcher digitale Computergrafik verwendete, erschien.
Was bei diesen Zahlen sofort ins Auge sticht, ist der große Unterschied
zwischen dem Prozentsatz von Visual Effects Filmen an allen veröffentlichten Filmen im Jahr 2009 (lediglich etwas mehr als 30%) zu dem Prozentsatz der tatsächlich im Kino gezeigten Effektfilme mit einem Rekordsatz von mehr als 80%. Von allen im Kino gezeigten Filmen enthielten
zum Zeitpunkt der Datenerhebung etwa gleich viele Effekte wie darauf
verzichteten (44,75% zu 43,65%). Vergleicht man allerdings die Anzahl
jener Filme, die in einer Zeit gedreht wurden, als Effekte bereits im Kino
eingesetzt wurden, so ergibt sich ein anderes Bild: Hier verwendeten bereits fast 70% Visual Effects. Eine solche selektive Betrachtung der nach
1982 erschienenen Filme macht Sinn, wenn etwa erhoben werden soll,
wie viele der Filme, welche die Möglichkeit hatten Effekte einzusetzen,
von diesen tatsächlich Gebrauch machen. Jede dieser Betrachtungen eröffnet ein leicht anderes Bild. Generell kann jedoch gesagt werden, dass
der Anteil an Filmen, welche digital nachbearbeitet wurden, bei all diesen Selektionen überwiegt, ganz im Gegenteil zum Anteil an allen veröffentlichten Filmen, unabhängig davon ob sie im Kino gezeigt werden. Die
Anzahl von Effektfilmen korreliert also, wenn man so will, mit der Anzahl kommerziell erfolgreicher Filme. Effekte könnten daher als ein zentraler Bestandteil von international erfolgreichen Filmen gesehen werden. Bei einer detaillierteren Betrachtung der Genres der jeweiligen
Filme stellt sich heraus, dass durchschnittlich von 11 aktuellen, 2009
veröffentlichten Kinofilmen ohne Effekte ganze 6 Dokumentationen und
einer ein Kurzfilm ist (übrigens der einzige im Kino). Zudem darf davon
ausgegangen werden, dass die Information auf IMBb stellenweise unvollständig ist und manche Positionen nicht erwähnt sind. Der tatsächliche
Anteil müsste nach oben korrigiert werden. Es ist also nicht weit gegriffen zu behaupten dass praktisch alle modernen Spielfilme im österreichischen Kino bereits digitale Filmeffekte einsetzen.
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