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Rechtliche Möglichkeiten
zur Beschleunigung von Asylverfahren
Gutachten erstattet für die
Unabhängige Kommission Zuwanderung
von
Dr. Ralf Alleweldt, LL.M. (EUI)
Prof. Dr. Stefan Oeter, Hamburg
Privatdozent Dr. Andreas Zimmermann, LL.M.
(Harvard)
II
Das vorliegende Gutachten wird von den drei Verfassern gemeinsam verantwortet. Die
einzelnen Teile wurden im wesentlichen wie folgt bearbeitet:
Teil 1: Ralf Alleweldt
Teil 2: Stefan Oeter unter Mitarbeit von Sigrid Boysen
Teil 3: Andreas Zimmermann
III
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht
Aufgabenstellung ............................................................................................. IV
Thesenartige Zusammenfassung ...................................................................... V-XV
Inhaltsverzeichnis............................................................................................. XVI-XIX
Gutachtentext ................................................................................................... 1-120
Teil 1 ................................................................................................................ 1-43
Teil 2 ................................................................................................................ 44-103
Teil 3 ................................................................................................................ 104-119
Literaturverzeichnis.......................................................................................... 121-128
IV
Aufgabenstellung
Fragenkomplex 1:
Welche Möglichkeiten bestehen, um Asylverfahren und behördliche und gerichtliche
Anschlussverfahren (Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte, Duldung, Feststellung
von Abschiebungshindernissen etc.) unter Beachtung der verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrensstandards und unter Einhaltung der erforderlichen Richtigkeitsgewissheit
zu beschleunigen und dadurch die Dauer des verfahrensbedingten Aufenthalts zu verkürzen?
Fragenkomplex 2:
Welche zusätzlichen gesetzgeberischen oder administrativen Spielräume im Hinblick
auf die Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen und die materiellen Voraussetzungen der Schutzgewährung ergäben sich, wenn das Grundrecht auf Asyl (Art.
16 a Abs. 1 GG) in eine institutionelle Garantie umgewandelt würde? Bedürfte es zur
Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen im Asylverfahren und gerichtlichen Anschlussverfahren ggf. einer Einschränkung der Rechtsweggarantie des Art. 19
Abs. 4 GG? Welche verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen
Vorgaben sind in diesem Zusammenhang zu beachten?
Fragenkomplex 3:
Erscheint eine Änderung des Art. 16 a GG im Hinblick auf die fortschreitende europäische Harmonisierung des materiellen Asylrechts und des Asylverfahrensrechts im Hinblick darauf erforderlich, dass Art. 16 a Abs. 5 GG eine Vorbehaltsklausel lediglich für
den Fall des Abschlusses völkerrechtlicher Vereinbarungen über Zuständigkeitsregelungen (Dubliner Übereinkommen) vorsieht?
V
Thesenartige Zusammenfassung
Teil 1:
Welche Möglichkeiten bestehen, um Asylverfahren und behördliche und gerichtliche Anschlussverfahren (Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte, Duldung, Feststellung von Abschiebungshindernissen etc.) unter Beachtung der verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrensstandards und unter Einhaltung der erforderlichen
Richtigkeitsgewissheit zu beschleunigen und dadurch die Dauer des verfahrensbedingten Aufenthalts zu verkürzen?
1.
Die Untersuchung erstreckt sich auf drei Phasen:
-
das Asyl-Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge,
2.
-
das verwaltungsgerichtliche Asylverfahren,
-
sowie mögliche Anschlussverfahren.
Da die meisten Asylverfahren beim Bundesamt in verhältnismäßig kurzer Zeit
durchgeführt werden und nur wenige Verfahren in die Berufungsinstanz gelangen, ist ein spürbarer Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung hauptsächlich von
Änderungen innerhalb der ersten gerichtlichen Instanz zu erwarten.
3.
Von der Stellung des Asylantrags bis zur Entscheidung über die Zulassung der
Berufung betrug die Dauer der im Jahre 1999 beendeten Asylverfahren etwa 30
Monate. Es erscheint möglich, diese Dauer auf etwa ein Jahr zu senken, indem
im Regelfall eine Verfahrensdauer von drei Monaten vor dem Bundesamt, von
sechs Monaten beim Verwaltungsgericht und von zwei Monaten im Verfahren
über die Zulassung der Berufung erreicht wird.
Thesenartige Zusammenfassung
4.
VI
In jedem Fall muss allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen eine gründliche Prüfung des Asylbegehrens Vorrang vor allen Überlegungen der Beschleunigung haben; ein Asylverfahren darf auch nicht unangemessen kurz sein. Dieser
Gedanke ist insbesondere bei möglichen Folteropfern und anderen traumatisierten Personen zu berücksichtigen.
5.
Für das Verfahren vor dem Bundesamt erscheint eine Regeldauer von drei
Monaten als eine realistische Perspektive. Sie sollte normativ – mit der Möglichkeit einer Verlängerung aus besonderen Gründen der Sachverhaltsermittlung
– festgelegt werden. Eine stärkere Verkürzung erscheint nicht empfehlenswert.
Je mehr Sorgfalt zu Beginn des Verfahrens auf eine genaue und vollständige
Aufklärung des Sachverhalts aufgewandt wird, desto höher ist die Sicherheit, eine richtige Entscheidung zu treffen. Jede fehlerhafte Entscheidung hingegen
führt potentiell zu vermeidbaren Prozessen und damit zu überflüssigen Verfahrensverzögerungen.
6.
Entscheidungsstopps zu bestimmten Ländern sollten nur zurückhaltend angeordnet und jeweils auf den unbedingt erforderlichen Zeitraum begrenzt werden. Aus
der Perspektive der Verfahrensverkürzung sollte bei einer länger dauernden Gefahrenlage das Verfahren gleichwohl beendet werden, gegebenenfalls durch eine
dem Antragsteller günstige Entscheidung.
7.
Eine weitere Möglichkeit der Verkürzung des verfahrensbedingten Aufenthalts
liegt darin, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, zur Vermeidung nacheinandergeschalteter Asylanträge von Eltern und Kindern eine gesetzliche Fiktion der Asylantragstellung von Kindern, deren Eltern ein Asylverfahren betreiben, einzuführen.
8.
Die lange Verfahrensdauer in der ersten Verwaltungsgerichtsinstanz in bestimmten Bundesländern beruht maßgeblich auf der hohen Zahl der Altbestände
und einer zu knappen Personalausstattung. Verzögerungsbegründend ist nicht
die Bearbeitung, sondern die Nichtbearbeitung von Verfahren. In einer Reihe
von Bundesländern erscheint eine personelle Aufstockung dringend erforderlich,
wenn eine Chance auf Verfahrensbeschleunigung bestehen soll. Verfahrensverkürzungen würden Ersparnisse bei den Aufenthaltskosten der Asylsuchenden
ermöglichen.
Thesenartige Zusammenfassung
9.
VII
Eine Regelverfahrensdauer von sechs Monaten erscheint in der ersten Instanz
möglich, wenn die Altbestände abgebaut werden, das Gericht im allgemeinen
bereits in die Lage im Herkunftsland eingearbeitet ist und den Gerichten das Ziel
einer regelmäßig sechsmonatigen Verfahrensdauer in geeigneter Form normativ
vorgegeben wird.
10.
Zur Reduzierung der Einarbeitungsvorgänge sollten die einzelnen Spruchkörper
eine Mindestzahl jährlicher Eingänge aus einem Herkunftsland erhalten; andererseits sollten Asylsachen aus selten vorkommenden Herkunftsländern möglichst nur einem Bundesland zugewiesen werden. Innerhalb der Länder würde
es sich empfehlen, dem „Thüringer Modell“ folgend, jedes Herkunftsland nur
einem Verwaltungsgericht zuzuordnen.
11.
Die Vorschrift zur Schaffung besonderer Asylspruchkörper in § 83 Abs. 1 AsylVfG ist in der Praxis nur unvollkommen angenommen worden. Sie sollte dahingehend geändert werden, dass Asylspruchkörper überwiegend, aber nicht unbedingt ausschließlich mit Asylsachen befasst sein müssen.
12.
Schließlich empfiehlt sich die normative Einführung eines besonderen Beschleunigungsgebotes in Asylsachen und einer Pflicht zur Festlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung innerhalb von sechs Monaten. Die Verlängerung dieser Frist sollte nur durch begründeten Gerichtsbeschluss möglich sein;
die Geschäfte müssten so verteilt und die Gerichte personell so ausgestattet werden, dass die Frist in der Regel eingehalten werden kann.
13.
Weitere mögliche Maßnahmen sind: die Vermeidung überflüssiger Beweiserhebungen durch Datenbankrecherchen, die Streichung des Klagerechts des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten und eventuell die Einführung der obligatorischen Streitentscheidung durch den Einzelrichter. Für nicht empfehlenswert halten wir eine Verkürzung der Klage- oder Begründungsfrist und die
Möglichkeit des Absehens von der mündlichen Verhandlung.
14.
Von den denkbaren Verkürzungen des Instanzenzugs erscheint unter dem Aspekt der Richtigkeitsgewähr einzig der Wegfall der Revisionsinstanz als akzeptable Möglichkeit; er sollte zur Wahrung der Rechtseinheit sinnvollerweise mit
der Schaffung eines zentralen Asylberufungsgerichts verbunden werden. Da nur
wenige Verfahren die Berufungsinstanz erreichen, erscheint jedoch eine Verän-
Thesenartige Zusammenfassung
VIII
derung im Instanzenzug nicht unbedingt erforderlich.
15.
Im Verfahren über die Zulassung der Berufung sollte eine verbindliche Entscheidungsfrist von zwei Monaten eingeführt werden, die durch begründeten
Gerichtsbeschluss verlängert werden kann. Die regelmäßige Einhaltung dieser
Frist setzt wiederum eine angemessene Personalausstattung voraus; die für die
erste Instanz unterbreiteten Empfehlungen im Hinblick auf Ausstattung und
Konzentration gelten für dieses Verfahren und für die Berufungs- und Revisionsinstanz entsprechend.
16.
Schließlich ist an die Möglichkeit der Schaffung besonderer Asylgerichte zu
denken. Ein solches Vorgehen würde es erleichtern, die Asylgerichtsbarkeit gezielt unter dem Aspekt der Verfahrensverkürzung zu unterstützen. Zwar wäre ihre Einführung ein starker Eingriff in das bestehende System der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Asylgerichte wären jedoch den in der politischen Diskussion angesprochenen Beschwerdeausschüssen im Hinblick auf Rechtsschutzqualität und
Richtigkeitsgewähr überlegen und müssten ihnen bei entsprechender Ausstattung im Hinblick auf Effektivität und Zügigkeit des Verfahrens nicht nachstehen.
17.
Anschlussverfahren sind erforderlich, um neue Tatsachen und Entwicklungen
in das Asylverfahren einzubringen und um Abschiebungshindernisse zu prüfen,
die nicht Gegenstand des Asylverfahrens sind. Gleichzeitig bieten sie eine Gelegenheit, Fehlentscheidungen zu korrigieren.
18.
Durch die Stellung unbegründeter Anträge kann ein abgewiesener Asylbewerber
im allgemeinen seine Abschiebung nicht wesentlich hinauszögern. „Stillhalteabkommen“ zwischen Ausländerbehörden und Gerichten ermöglichen ein hinreichendes Maß an Rechtsschutz, hindern die Behörde jedoch nicht an der weiteren
Vorbereitung der Abschiebung.
19.
Zur Sicherung einer kurzen Verfahrensdauer könnte für Entscheidungen in gerichtlichen Eil-Anschlussverfahren eine Entscheidungsfrist von einer Woche
eingeführt werden.
20.
Die Möglichkeit, ein Asyl-Folgeverfahren auch noch nach Beginn des Abschiebungsvorgangs einzuleiten, sollte trotz potentiell verfahrensverzögernder Wirkung aus Gründen der Richtigkeitsgewähr und des Menschenwürdeschutzes
IX
Thesenartige Zusammenfassung
nicht ausgeschlossen oder erschwert werden. Abschiebungen sollten in einem
zeitlichen Rahmen durchgeführt werden, der eine geordnete Bearbeitung eines
etwaigen Folgeantrags oder eines gerichtlichen Eilverfahrens ermöglicht.
21.
Eine Konzentration aller abschiebungsrelevanten Entscheidungen beim Bundesamt würde aller Voraussicht nach zu keinem nennenswerten Zeitgewinn führen,
weil sie nichts daran ändern würde, dass bei Vorliegen neuer Tatsachen oder zur
Prüfung von Abschiebungshindernissen vorübergehender Natur Anschlussverfahren durchgeführt werden müssten.
22.
Insgesamt dürften faktische Hindernisse bei der Abschiebung wie etwa die Beschaffung von Reisepapieren in höherem Maße zur Verlängerung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber beitragen als die Einleitung unberechtigter Anschlussverfahren. Faktische Hindernisse können allerdings unabhängig davon
auftreten, ob die betroffene Person ein Asylverfahren durchgeführt hat oder
nicht.
Teil 2:
Welche zusätzlichen gesetzgeberischen oder administrativen Spielräume im Hinblick auf die Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen und die materiellen Voraussetzungen der Schutzgewährung ergäben sich, wenn das Grundrecht
auf Asyl (Art. 16 a Abs. 1 GG) in eine institutionelle Garantie umgewandelt würde? Bedürfte es zur Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen im Asylverfahren und gerichtlichen Anschlussverfahren ggf. einer Einschränkung der
Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG? Welche verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben sind in diesem Zusammenhang zu
beachten?
1.
Eine genaue Untersuchung der verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und
europarechtlichen Grenzen für eine Umgestaltung des Asylgrundrechts und des
daraus abgeleiteten Asylverfahrensrechts erweist, dass die Handlungsspielräume
Thesenartige Zusammenfassung
X
des verfassungsändernden Gesetzgebers recht eng gesteckt sind. Zwar hat es der
verfassungsändernde Gesetzgeber in der Hand, über eine Umwandlung des bisherigen Individualgrundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle
Garantie die subjektiv-rechtliche Dimension des verfassungsrechtlich gewährleisteten Asylrechts und die damit verkoppelte Verfassungsbeschwerdefähigkeit
des Asylrechts abzuschaffen. Aus Art. 79 Abs. 3 GG ergeben sich insoweit,
selbst soweit man das Asylrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG als von einem Menschenwürdekern getragen ansieht, keine weitreichenden Hindernisse.
2.
Rechtspolitisch wäre mit einem derartigen Schritt allerdings nicht allzu viel gewonnen. Die bisher im Schatten des Art. 16 a Abs. 1 GG stehenden grundrechtlichen Auffangpositionen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs.2 S. 1 GG würden
schnell das Feld besetzen, das bislang durch Art. 16 a Abs. 1 GG ausgefüllt
wurde. Zwar reicht der materielle Gewährleistungsgehalt dieser Grundrechtsgewährleistungen inhaltlich noch weniger weit als der Schutzgehalt des sukzessive
immer weiter eingeschränkten Asylgrundrechts.
3.
Der materielle Gewährleistungsgehalt des Art. 16 a Abs. 1 GG stellt aber unbestrittenermaßen nicht das rechtspolitische Problem dar, aus dem die Unfähigkeit zu effektiver Steuerung der Zuwanderung im Bereich der Asylbewerber erwächst. Problempunkt der Asylgarantie ist nach allgemeiner Auffassung eher
der unter Ausnutzung der von Art. 16 a Abs. 1 GG vermittelten Verfahrensposition erlangte unberechtigte Aufenthalt, der sich durch den Gebrauch aller zur
Verfügung stehenden Rechtsmittel verlängern lässt. Genau an diesem Punkt
würde eine Herabstufung der Asylgarantie zu einer Einrichtungsgarantie jedoch
nicht sonderlich viel bewirken, da die zur Verfügung stehenden Auffangpositionen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine dem Asylgrundrecht vergleichbare Verfahrensposition vermitteln und es im Regelfall der Asylantragstellung nicht allzu schwer wäre, ein eventuelles Rechtsmittel in Kategorien des
Schutzes von Leib oder Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder der Menschenwürde
(Art. 1 Abs. 1 GG) zu formulieren.
4.
Verstärkt wird dieser Befund noch durch die völkerrechtlichen Vorgaben der
Genfer Flüchtlingskonvention, die allerdings nur den Erfolg des „nonrefoulement“ verlangt und kein bestimmtes Verfahren fordert, das mit subjektiven Verfahrenspositionen bewehrt wäre. Anders ist dies unter der Europäischen
Thesenartige Zusammenfassung
XI
Menschenrechtskonvention, die im Gewand der Rechtsprechung des EGMR zu
Art. 3 EMRK einen dem Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weitgehend parallelen Schutz aufrichtet. Da die Konkretisierung der Garantien der
EMRK in den Händen des EGMR verselbständigt und dynamisiert ist, mit einer
starken Ausrichtung an den Leitgedanken des „effet utile“, geht der praktisch
sich aus Art. 3 EMRK ergebende Schutzumfang weit über den Gewährleistungsumfang des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinaus, wie er insbesondere in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seine Ausprägung gefunden
hat. Eine nennenswerte Absenkung der materiellen Schutzstandards des Art. 16
a Abs. 1 GG, soweit diese überhaupt noch möglich wäre ohne gänzliche Abschaffung des Asylrechts, wird man unter der Perspektive dieser völkerrechtlichen Bindungen für ausgeschlossen halten müssen. Schon jetzt bleiben die materiellen Schutzstandards in bestimmten Bereichen des deutschen Rechts massiv
hinter den Anforderungen der EMRK zurück.
5.
Wenn überhaupt, dann erscheint unter der Zielsetzung einer Rückgewinnung
rechtspolitischer Spielräume mit Blick auf eine Verkürzung der Asylverfahren
und eine Effektivierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen eine Einschränkung
der Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für den Bereich des Asylrechts – und darüber hinaus für bestimmte Fragen des Ausländerrechts – als potentiell zielführender denn eine isolierte Einschränkung des Asylgrundrechts. Die Herausnahme asylrechtlicher Entscheidungsverfahren aus dem
Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG würde es dem Gesetzgeber prinzipiell erlauben, mit flexibleren Formen des Rechtsschutzes zu arbeiten. Die denkbaren
Änderungen des Kontrollsystems liefen letztlich auf ein System verwaltungsinterner, wenn auch unabhängig gestellter (und damit gerichtsähnlicher) Beschwerdeausschüsse hinaus.
6.
Das so zu schaffende ersatzweise Rechtsschutzsystem stünde allerdings – stellt
man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum in seinem Kern für
änderungsfest erklärten Menschenwürdekern des „Grundrechtsschutzes durch
Verfahren“ in Rechnung - unter einschränkenden Vorbehalten der „Gleichwertigkeit“ des so gewährten Rechtsschutzes. Träger eines derartigen Rechtsschutzes hätte ein nicht weisungsgebundener und organisatorisch unabhängiger
Spruchkörper zu sein, dessen Überprüfung der rechtsgestaltenden Verwaltungs-
Thesenartige Zusammenfassung
XII
entscheidungen den Forderungen einer „substantiellen Kontrolle“ unter der Gewährleistung einer (wenn auch nur relativen) materiellen „Richtigkeitsgewähr“
zu stehen hätte. Das Erfordernis der gerichtsähnlichen Arbeitsweise dieser
Spruchkörper würde die – rechtspolitisch wie verfassungsrechtlich bedeutsame –
Frage aufwerfen, ob ihre Funktion in ebenso effektiver Weise durch – ebenfalls
neu zu schaffende – spezialisierte Asylgerichte wahrgenommen werden könnte.
7.
Vergleichbare Anforderungen ergeben sich aus der EMRK. Soweit es um den
Schutz der in der EMRK gewährleisteten Menschenrechte geht, verlangt Art. 13
EMRK ein adäquates System „wirksamer Beschwerde bei einer nationalen Instanz“. Diese nationale Beschwerdeinstanz hat nicht notwendig ein Gericht im
formellen Sinn zu sein, unterliegt aber vergleichbaren Anforderungen im Blick
auf die organisatorische Stellung wie auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung.
8.
Nur schwer abzuschätzen ist das sich aus der neueren Rechtsprechung des
BVerfG ergebende Risiko, dass ein derartiges „adäquates Kontrollsurrogat“ unter dem Gesichtspunkt der gewaltenteiligen Zuweisung gerichtsförmiger Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung mit abschließender Rechtswirkung an die
„rechtsprechende Gewalt“ gemäß Art. 92 GG ohne anschließende Möglichkeit
gerichtlicher Überprüfung dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts anheimfiele. Koppelte man jedoch – was diese Rechtsprechungslinie nahezulegen
scheint - ein verwaltungsinternes Überprüfungsverfahren mit der Möglichkeit
eines (wenn auch nur eingeschränkten) verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, dann wäre der Gewinn an Beschleunigung gegenüber dem bestehenden
System wohl kaum mehr messbar. Wahrscheinlich wäre ein so strukturiertes
Kontrollsystem sachadäquater als das bestehende System eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle ohne Instanzenzug; größere zeitliche Effizienz
wird man sich dagegen von ihm nicht notwendig erwarten können.
9.
Schränkt man die Verfahrensrechte der Betroffenen im nationalen Recht immer
weiter ein, so entsteht ein zunehmendes Risiko, dass angesichts der Ineffizienz
nationalen Rechtsschutzes immer mehr Betroffene den Rechtsweg der Beschwerde zum EGMR beschreiten. Die Beschwerde im Verfahren der Europäischen Menschenrechtskonvention aber führt de facto in nicht wenigen Fällen zu
einer aufschiebenden Wirkung gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen.
XIII
Thesenartige Zusammenfassung
Nimmt man die Verfahrensdauer in Straßburg in den Blick, so liefe eine zunehmende Inanspruchnahme dieser Möglichkeit auf einen Pyrrhussieg des deutschen Gesetzgebers hinaus. Die internen Verfahren würden – unter immer weiterer Aushöhlung jeden Anspruchs auf materielle „Richtigkeitsgewähr“ - gestrafft
bis hinein in Grenzbereiche, in denen weitere Verfahrensverkürzungen nur noch
mit übermäßigem Aufwand zu erzielen sind. Zugleich würde aber eine zunehmend größere Zahl von Beschwerdeführern über die Beschwerde an den EGMR
einen Verfahrensaufschub über viele Jahre erlangen, was wiederum schnell
schulbildend wirken könnte und zur sowieso schon übermäßig hohen Verfahrenslast des EGMR weiter beizutragen drohte.
Teil 3:
Erscheint eine Änderung des Art. 16 a GG im Hinblick auf die fortschreitende europäische Harmonisierung des materiellen Asylrechts und des Asylverfahrensrechts im Hinblick darauf erforderlich, dass Art. 16 a Abs. 5 GG eine Vorbehaltsklausel lediglich für den Fall des Abschlusses völkerrechtlicher Vereinbarungen
über Zuständigkeitsregelungen (Dubliner Übereinkommen) vorsieht?
1.
Bei dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts verfügt die Europäische
Gemeinschaft über die Kompetenz zum Erlass von Regelungen für die Aufnahme von Asylbewerbern, für die Anerkennung als Flüchtling, für das nationale Asylverfahrensrecht und für den vorübergehenden Schutz vertriebener Personen.
In diesen Bereichen kann sie aber jeweils nur Mindestnormen erlassen. Ferner
kann sie darüber hinaus Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die
Durchführung eines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaates festlegen.
2.
Art. 16 a Abs. 5 GG sollte nach seiner Entstehungsgeschichte und ausweislich
der amtlichen Begründung eine Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens sowie des Dubliner Übereinkommens seitens der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Damit sollte zugleich die verfassungsrechtliche
Thesenartige Zusammenfassung
XIV
Grundlage für eine europäische Lastenverteilung auf völkerrechtlicher Grundlage geschaffen werden.
3.
Die Gesetz gewordene Endfassung des Art. 16 a Abs. 5 GG selbst enthält, anders als Vorentwürfe, keine Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten
auf die Europäische Gemeinschaft im Bereich der Asylpolitik. Damit bildet Art.
16 a Abs. 5 GG seinerseits nicht die verfassungsrechtliche Grundlage für die
Ermächtigung der Gemeinschaft zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur
Bestimmung des jeweils zuständigen Mitgliedstaates gemäß Art. 63 Nr. 1 lit. a)
EGV. Demgegenüber ist die Festlegung sekundärrechtlicher Mindestnormen
durch die Gemeinschaft gemäß Art. 63 Nr. 1 lit. b) – d) sowie gemäß Art. 63 Nr.
2 lit. a) EGV im Lichte von Art. 16 a Abs. 5 GG verfassungsrechtlich unbedenklich.
4.
Grundsätzlich bildet Art. 23 GG eine umfassende Ermächtigungsnorm zur verfassungsrechtlichen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union und zur Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf die Europäische
Gemeinschaft. Art. 23 GG ermöglicht damit grundsätzlich auch Abweichungen
von entgegenstehenden Bestimmungen des Grundgesetzes.
5.
In dieser Hinsicht stellt Art. 16 a Abs. 5 GG möglicherweise aber einen Sonderfall dar: Art. 16 a Abs. 5 GG könnte lex specialis zu Art. 23 GG sein und damit
im Bereich der Asylpolitik im Grundsatz Hoheitsübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft sperren. Ansatzpunkte für ein derartiges Verständnis ergeben
sich zum einen aus der Entstehungsgeschichte von Art. 16 a Abs. 5 GG und zum
anderen aus seiner systematischen Stellung. Diese Auslegung von Art. 16 a Abs.
5 GG wird auch durch den Parallelfall des Art. 88 S. 2 GG bestätigt.
6.
Wenn man dagegen davon ausgeht, dass Art. 23 GG ungeachtet des Art. 16 a
Abs. 5 GG eine umfassende Vergemeinschaftung des Asylrechts verfassungsrechtlich ermöglicht, erscheint gleichwohl zumindest aus verfassungspolitischen
Gründen eine (dann allerdings nur klarstellende) Änderung des Art. 16 a Abs. 5
GG angezeigt.
7.
Verneint man eine Sperrwirkung des Art. 16 a Abs. 5 GG gegenüber Art. 23 GG
mit der Folge, dass auch im Bereich der Asylpolitik eine umfassende Übertragung deutscher Hoheitsrechte verfassungsrechtlich zulässig wäre, dann ergeben
Thesenartige Zusammenfassung
XV
sich dessen ungeachtet aus Art. 23 GG selbst materielle Grenzen für eine solche
Übertragung.
8.
Die Übertragung von Hoheitsrechten setzt nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG voraus,
dass das Gemeinschaftsrecht einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Dementsprechend muss auch auf
Gemeinschaftsebene der Wesensgehalt der betroffenen Grundrechte generell
verbürgt sein.
9.
Insoweit kommt in Betracht, dass materielle und verfahrensmäßige Begrenzungen des Art. 16 a i.V. mit Art. 19 Abs. 4 GG, die auf der Grundlage einer weiteren, umfassenden Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaft erfolgen, den Wesensgehalt des Art. 16 a GG berühren könnten.
10.
Dies wäre insbesondere dann zu befürchten, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber den gerichtlichen Rechtsschutz für Asylsuchende auch jenseits der von Art.
16 Abs. 2 – 4 GG erfassten durch eine nicht den Anforderungen des Art. 19 Abs.
4 GG gerecht werdende Überprüfung ersetzt.
XVI
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Teil 1:........................................................................................................................................................... 1
1.
Einleitung .................................................................................................................................. 1
1.1.
Bisherige Bemühungen zur Verkürzung des Asylverfahrens.................................................... 1
1.2.
Verfahrensablauf und Verfahrensdauer heute, Zielvorgabe ...................................................... 3
1.2.1.
Schnell- und Flughafenverfahren ......................................................................................... 3
1.2.2.
Normalverfahren .................................................................................................................. 4
1.2.3.
Verfahrensdauer heute und Zielvorstellung.......................................................................... 5
1.3.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Länge des Asylverfahrens.
Das Problem traumatisierter Personen ...................................................................................... 6
2.
Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ...................... 7
2.1.
Beschleunigung und sorgfältige Sachbearbeitung..................................................................... 8
2.2.
Entscheidungsstopps ................................................................................................................. 9
2.3.
Regelentscheidungsfrist........................................................................................................... 10
2.4.
Vermeidung sukzessiver Asylanträge von Familienmitgliedern ............................................. 11
3.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz ................................................................ 11
3.1.
Dauer der Verfahren ................................................................................................................ 11
3.2.
Sechsmonatsfrist als Zielvorgabe ............................................................................................ 11
3.3.
Abbau der Altbestände ............................................................................................................ 13
3.3.1.
Problematik ........................................................................................................................ 13
3.3.2.
Abhilfe................................................................................................................................ 17
3.4.
Spezialisierung und Konzentration.......................................................................................... 18
3.4.1.
Konzentration der Fälle aus einem Herkunftsland ............................................................. 18
3.4.2.
Schaffung besonderer Spruchkörper nach § 83 I AsylVfG ................................................ 20
3.5.
Besonderes Beschleunigungsgebot in Asylsachen .................................................................. 21
3.6.
Terminierungsfrist ................................................................................................................... 22
3.7.
Ergänzende Maßnahmen ......................................................................................................... 24
Inhaltsverzeichnis
XVII
3.7.1.
Verkürzung der Klage- oder Begründungsfrist .................................................................. 24
3.7.2.
Vermeidung überflüssiger Beweiserhebungen ................................................................... 25
3.7.3.
Vermeidung von Klagen gegen Anerkennungsbescheide .................................................. 25
3.7.4.
Obligatorischer Einzelrichter.............................................................................................. 26
3.7.5.
Absehen von mündlicher Verhandlung? ............................................................................ 27
4.
Rechtsmittelverfahren.............................................................................................................. 27
4.1.
Veränderungen im Instanzenzug ............................................................................................. 27
4.1.1.
Wegfall aller Rechtsmittel.................................................................................................. 28
4.1.2.
Wegfall der Berufungsinstanz ............................................................................................ 29
4.1.3.
Wegfall der Revisionsinstanz ............................................................................................. 30
4.1.4.
Konzentration der Berufungsinstanz, verbunden mit dem Wegfall der Revisionsinstanz.. 30
4.1.5.
Einschränkung der Rechtsmittelzulassungsgründe............................................................. 31
4.2.
Verkürzung der Verfahrensdauer in der zweiten und dritten Instanz ...................................... 32
4.2.1.
Entscheidung über die Zulassung der Berufung ................................................................. 32
4.2.2.
Berufungs- und Revisionsverfahren ................................................................................... 33
5.
Schaffung besonderer Asylgerichte als Sonderverwaltungsgerichte....................................... 34
6.
Anschlussverfahren ................................................................................................................. 35
6.1.
Abgrenzung der Problematik................................................................................................... 35
6.2.
Arten der Anschlussverfahren ................................................................................................. 36
6.2.1.
Gründe für Anschlussverfahren.......................................................................................... 36
6.2.2.
Aufenthalt während eines Anschlussverfahrens ................................................................. 39
6.3.
Schutzanträge während des Abschiebungsvorgangs ............................................................... 40
6.4.
Konzentration aller abschiebungsrelevanten Entscheidungen beim Bundesamt? ................... 42
6.5.
Schlussbemerkung................................................................................................................... 43
Teil 2:......................................................................................................................................................... 44
1.
Einleitende Überlegungen ....................................................................................................... 44
2.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren ....... 45
2.1.
2.1.1.
Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie................................... 45
Die Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG................................................................................ 46
Inhaltsverzeichnis
2.1.2.
2.2.
XVIII
Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG ................ 50
Auffangfunktion anderer Grundrechte .................................................................................... 54
2.2.1.
Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ............................................ 54
2.2.2.
Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG.................................................... 57
2.2.3.
Unterschiede im Regelungsgehalt ...................................................................................... 58
2.2.4.
Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG.................................................... 61
2.3.
Änderung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.................................................... 64
2.4.
Verfassungsrechtliche Konsequenzen ..................................................................................... 73
3.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren ..................................................... 75
3.1.
Genfer Flüchtlingskonvention ................................................................................................. 76
3.1.1.
Geltungsumfang ratione personae der GFK ....................................................................... 76
3.1.2.
Geltungsumfang des Non-Refoulement-Gebotes nach der GFK........................................ 77
3.1.3.
Mindeststandard für ein Anerkennungsverfahren nach der GFK ....................................... 79
3.1.4.
Zusammenfassende Betrachtung ........................................................................................ 80
3.2.
Europäische Menschenrechtskonvention................................................................................. 80
3.2.1.
Umfang des Non-Refoulement-Gebotes nach der EMRK ................................................. 82
3.2.2.
Mindeststandard für ein Anerkennungsverfahren nach der EMRK.................................... 86
3.2.3.
Menschenrechtsbeschwerde vor dem EGMR..................................................................... 88
3.2.4.
Zusammenfassende Betrachtung ........................................................................................ 94
4.
Vorgaben für das Asylverfahren aus den Gemeinschaftsgrundrechten................................... 97
5.
Schlussbetrachtung................................................................................................................ 100
Teil 3:....................................................................................................................................................... 104
1.
Gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage ................................................................................ 104
2.
Problemstellung .................................................................................................................... 107
3.
Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG.............................................................................. 108
4.
3.1.
Entstehungsgeschichte und Bedeutung von Art. 16 a Abs. 5 GG ......................................... 108
3.2.
Art. 16 a Abs. 5 GG und eine Harmonisierung des Asylrechts durch die EG ....................... 109
3.3.
Zwischenergebnis.................................................................................................................. 111
Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG................................................................ 112
Inhaltsverzeichnis
XIX
4.1.
Fragestellung ......................................................................................................................... 112
4.2.
Art. 16 a Abs. 5 GG als lex specialis zu Art. 23 GG ............................................................. 113
4.3.
Ergebnis................................................................................................................................. 115
5.
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG.......... 116
5.1.
Allgemeine Fragen ................................................................................................................ 116
5.2.
Bedeutung für eine europäische Harmonisierung des Asylrechts durch die EG ................... 116
5.3.
Ergebnis................................................................................................................................. 118
Literaturverzeichnis.................................................................................................................................. 121
1
Teil 1:
Welche Möglichkeiten bestehen, um Asylverfahren und behördliche und gerichtliche Anschlussverfahren (Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte, Duldung, Feststellung von Abschiebungshindernissen etc.) unter Beachtung der verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrensstandards und unter Einhaltung der erforderlichen
Richtigkeitsgewissheit zu beschleunigen und dadurch die Dauer des verfahrensbedingten Aufenthalts zu verkürzen?
Das Asylverfahren hat die Funktion, einerseits politisch Verfolgten und anderen schutzbedürftigen Personen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu verschaffen und andererseits
unter den Antragstellern die nicht schutzbedürftigen Personen herauszufinden und ihren
Aufenthalt zu beenden. Wird das Asylverfahren zügig durchgeführt, so dient dies beiden Zielen: schutzbedürftige Personen werden nicht länger als notwendig in einem Zustand der Unsicherheit gehalten; der Aufenthalt nicht schutzbedürftiger Personen in
Deutschland wird auf einen kurzen Zeitraum begrenzt. Gleichzeitig verringert sich der
Anreiz für andere Personen, einen unberechtigten Asylantrag zu stellen.
Zu untersuchen sind mögliche Verfahrensverkürzungen in drei Phasen: im AsylVerwaltungsverfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, im verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren sowie in möglichen Anschlussverfahren.
1.
Einleitung
1.1. Bisherige Bemühungen zur Verkürzung des Asylverfahrens
Seit 1980 ist durch vielfache Änderungen des Asylverfahrensrechts versucht worden,
die Verfahren zu beschleunigen.1 Während in den siebziger Jahren ein Asylverfahren im
Regelfall zwei Verwaltungs- und bis zu drei Gerichtsinstanzen durchlaufen konnte, stehen einem Asylsuchenden seit der Abschaffung des Widerspruchs (1978) und der Ein-
1
Vgl. etwa G. Renner, ZAR 1999, S. 206, 207 m. w. N.
Einleitung
2
führung der Zulassungsberufung (1982) in der Regel eine Verwaltungs- und eine Gerichtsinstanz zur Verfügung.
Das Asylverfahren weist im Vergleich zu anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren
eine Reihe von Besonderheiten auf. So ist die Klagefrist verkürzt und der Einsatz von
Proberichtern erleichtert. Die Klage kann als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen
werden, wodurch jedes Rechtsmittel ausgeschlossen wird. Es besteht eine einmonatige
Klagebegründungsfrist, deren Versäumung zum Ausschluss erheblichen Vorbringens
führen kann; die Beschwerde ist völlig ausgeschlossen. Wird im Verwaltungsverfahren
ein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, so hat die Klage des Asylsuchenden keine aufschiebende Wirkung.2
Es ist nachvollziehbar, wenn eine neuere Äußerung aus der Richterschaft den bisherigen
Reformen des Asylverfahrensrechts einen „hauptsächlich eindämmenden Charakter“
zuschreibt, deren Ziel es gewesen sei, zwecks Beschleunigung der Asylverfahren die
Verfahrensrechte der Asylbewerber zurückzudrängen.3 Renner würdigt die Geschichte
des Asylverfahrensrechts dahingehend, dass zahlreiche erprobte Vorkehrungen für die
Gewährleistung der Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen in Asylsachen nach und
nach aufgegeben worden seien.4
Wir werden uns deshalb im Einklang mit unserem Auftrag im wesentlichen auf solche
Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung beschränken, die nicht mit einer Einbuße
an Richtigkeitsgewähr verbunden sind.
Bei der Suche nach Möglichkeiten der Verkürzung des verfahrensbedingten Aufenthalts
ist von vornherein zu beachten, dass die Aufenthaltsdauer nicht schutzbedürftiger Asylsuchender im Inland zwar maßgeblich, aber nicht allein von der Dauer des Asylverfahrens bestimmt wird. Wenn es etwa über mehrere Jahre hinweg keine Möglichkeit gibt,
Personen in ein bestimmtes Land abzuschieben – das gilt gegenwärtig für Afghanistan,
Somalia und den Irak; bis vor kurzem traf es auf Jugoslawien zu – dann führt eine Verfahrensbeschleunigung nicht automatisch zu einer Aufenthaltsverkürzung.
2
3
4
Vgl. §§ 74, 76, 78 Abs. 1, 80, 75, 36 AsylVfG.
W. Reiland, BayVBl. 1998, S. 321, 322.
G. Renner, ZAR 1999, S. 206, 207.
Einleitung
3
1.2. Verfahrensablauf und Verfahrensdauer heute, Zielvorgabe
Nach der heutigen Rechtslage steht einem Asylsuchenden, wenn das Bundesamt seinen
Asylantrag ablehnt und feststellt, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG5
vorliegen, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Für die nähere Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens kommt es darauf an, ob der Asylantrag als offensichtlich
unbegründet6 abgelehnt worden ist oder nicht.
1.2.1. Schnell- und Flughafenverfahren
Etwa 30 Prozent aller ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes sind Ablehnungen
als „offensichtlich unbegründet“.7 In diesen Fällen hat die Klage keine aufschiebende
Wirkung.8 Die betroffene Person kann innerhalb einer Woche einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen und Klage erheben. (Nur) bis zur gerichtlichen Entscheidung über diesen Antrag ist die Abschiebung ausgesetzt; das Gericht hat
seine Entscheidung regelmäßig innerhalb einer Woche nach Ablauf der Antragsfrist zu
treffen.9
Derartige Schnellverfahren sind in aller Regel wenige Wochen oder Monate nach der
Einreise des Asylsuchenden beendet. Auch wenn die gesetzgeberische Zielvorstellung
einer Verfahrensdauer von sechs Wochen10 im allgemeinen nicht erreicht wird, sehen
wir unter dem Aspekt einer vertretbaren Richtigkeitsgewähr keine Möglichkeit und keine Notwendigkeit, Vorschläge zur Verkürzung des Schnellverfahrens zu machen. Gleiches gilt für das noch weiter beschleunigte Flughafenverfahren11.
5
6
7
8
9
10
11
Diese Vorschrift schützt vor Abschiebung in Fällen drohender Folter (Abs. 1), Todesstrafe (Abs. 2),
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Abs. 4 i. V. m. Art. 3 EMRK) und bei Gefahren für
Leib oder Leben (Abs. 6).
Vgl. § 30 AsylVfG. Gleich zu behandeln sind die – in der Praxis nicht sehr bedeutsamen – Ablehnungen als unbeachtlich (§§ 29, 27 AsylVfG).
Siehe Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asyl in Zahlen, 6. Aufl.
2000, S. 38.
§ 75 AsylVfG.
Vgl. §§ 36 Abs. 3, 74 Abs. 1 AsylVfG.
Vgl. BT-Drs. 12/2062, S. 25 f.
Vgl. § 18 a AsylVfG.
Einleitung
4
1.2.2. Normalverfahren
Im Normalfall beträgt die Klagefrist zwei Wochen; die Klage hat aufschiebende Wirkung.12 Gleichzeitig mit der Klagefrist beginnt die Begründungsfrist von einem Monat;
innerhalb derer der Kläger, soweit es ihm möglich ist, grundsätzlich alle erheblichen
Tatsachen und Beweismittel vorbringen muss.13
Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist ausgeschlossen, wenn die Klage
durch das Verwaltungsgericht als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist. Im übrigen findet sie nur statt, wenn sie auf Antrag vom
Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
Die Berufung darf nur zugelassen werden, wenn das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung eines höheren Gerichts abweicht, die Sache grundsätzliche Bedeutung hat
oder ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel (ein sogenannter „absoluter
Revisionsgrund“) vorliegt; hierzu gehört insbesondere die in der Praxis besonders häufig erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das verwaltungsgerichtliche Urteil rechtskräftig.14
Anträge auf Zulassung der Berufung werden in den meisten Fällen abgelehnt. Exakte
statistische Daten sind nicht verfügbar; aber nach übereinstimmenden Aussagen aus der
Praxis wird die Berufung nur in einer sehr geringen Zahl von Fällen zugelassen.15 Die
Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist nur – nach Zulassung – gegen Berufungsurteile der Oberverwaltungsgerichte statthaft.
In den übrigen Fällen – also im Regelfall – ist das Verfahren nach der ersten Instanz mit
der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung beendet.16 Von Beschleunigungsmaßnahmen in der zweiten und dritten Instanz wären daher nur sehr wenige Asylverfahren betroffen, so dass – dies ist bereits hier festzuhalten – ein spürbarer, ins Gewicht fallender Beitrag zur Beschleunigung aller Asylverfahren nur von Veränderungen
innerhalb der ersten Instanz zu erwarten ist.
12
13
14
15
16
§§ 74 Abs. 1, 75, 38 AsylVfG.
§ 74 Abs. 2 AsylVfG i.V. mit § 87 b Abs. 3 VwGO.
Vgl. im einzelnen § 78 AsylVfG.
H. Heinhold, Recht für Flüchtlinge, 3. Aufl. 2000, S. 137, schätzt die Erfolgsquote auf „unter 1 %“.
Gegen alle letztinstanzlichen Entscheidungen ist – außerhalb des eigentlichen Asylverfahrens – die
Verfassungsbeschwerde zulässig (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG).
Einleitung
5
1.2.3. Verfahrensdauer heute und Zielvorstellung
Bundesweit betrug die Dauer der im Jahre 1999 beendeten Asylverfahren durchschnittlich
-
beim Bundesamt etwa 6 Monate,
-
beim Verwaltungsgericht (Hauptsacheverfahren) 19,2 Monate
-
beim Oberverwaltungsgericht (Antrag auf Zulassung der Berufung) 6,4 Monate.17
Hieraus ergibt sich für den Regelfall einer erfolglosen Asylklage eine durchschnittliche
Gesamtdauer von etwa 30 Monaten.
Unser Auftrag fragt allgemein nach Beschleunigungsmöglichkeiten und enthält keine
bestimmte zeitliche Zielvorgabe. Gleichwohl muss man sich darüber Gedanken machen,
welchen Zeitraum man für die Gesamtdauer eines zügigen Asylverfahrens als angemessen erachtet. Nach unserem Eindruck würde ein Asylverfahren, das innerhalb eines Jahres zum Abschluss gebracht werden kann, einerseits den Anforderungen eines zügigen
Verfahrens entsprechen und andererseits im allgemeinen eine hinreichend sorgfältige
Bearbeitung der Sache ermöglichen.
Wir werden daher im folgenden untersuchen, ob sich die Verfahrensdauer von der
Stellung des Asylantrages bis zur Entscheidung über die Zulassung der Berufung für
den Regelfall auf etwa ein Jahr verkürzen lässt. Für die einzelnen Verfahrensstadien
wären dabei die folgenden zeitlichen Vorgaben denkbar:
-
Verfahren vor dem Bundesamt: 3 Monate,
-
Gerichtsverfahren erster Instanz: 6 Monate,
-
Verfahren über die Zulassung der Berufung: 2 Monate.
Rechnet man die Fristen für Klage und Antrag auf Zulassung der Berufung hinzu, so
ergäbe sich eine Gesamtdauer von etwa einem Jahr.
17
Statistische Angaben mitgeteilt von der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ am 11.12.2000,
vgl. auch Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle „Eingänge, Erledigungen, Endbestände sowie Personalverwendung und –bestand im richterlichen Dienst mit Verfahrensdauer im Jahre
1999“, hier: Verwaltungsgerichte, vom 8.11.2000 (1441-I.3a-10/00), Abschnitt 2.1. (Asylkammern/
Hauptverfahren).
Einleitung
6
1.3. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Länge des Asylverfahrens.
Das Problem traumatisierter Personen
Asylrecht ist Grundrechtsverwirklichungsrecht. Verfahren, die – wie das Asylverfahren
– mit gleichsam konstitutiver Wirkung die Geltendmachung eines Grundrechts regeln,
müssen von Verfassungs wegen sachgerecht, geeignet und zumutbar sein.18 Die Prüfung
eines Asylantrages muss ein besonderes Maß an Verlässlichkeit aufweisen und auch
dem Umfang nach, mit Blick auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sein.19 Schließlich gelten auch im Asylbereich die allgemeinen rechtsstaatlichen
Grundsätze des fairen Verfahrens und der Entscheidung innerhalb einer angemessenen
Zeit.
Aus alledem ergibt sich, dass die Notwendigkeit einer gründlichen Prüfung des Asylbegehrens Vorrang vor allen Überlegungen der Beschleunigung haben muss und dass ein
Asylverfahren auch nicht unangemessen kurz sein darf. Dieser Gedanke ist insbesondere in Fällen von Asylsuchenden zu berücksichtigen, bei denen nicht ausgeschlossen
werden kann, dass es sich um Folteropfer oder andere traumatisierte Personen handelt.
Verfolgung in Gestalt von Folter oder anderer schwerer Verletzung der Menschenrechte
hinterlässt in vielen Fällen ein schweres seelisches Trauma. Im Asylverfahren besteht
für die betroffenen Personen das Problem, dass sie einerseits anerkanntermaßen besonders schutzwürdig sind, andererseits es ihnen aber aufgrund der postraumatischen Belastung oft sehr schwer fällt oder sogar unmöglich ist, in der behördlichen oder auch
gerichtlichen Anhörung ihre „unaussprechlichen“ Erlebnisse detailliert, widerspruchsund steigerungsfrei zu schildern.20 Es kommt häufig vor, dass eine traumatisierte Person
erst nach Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, nach einer therapeutischen Behandlung oder gar erst im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung über ihr
Schicksal berichtet.21
18
19
20
21
BVerfGE 60, 253 (295).
BVerfGE 76, 143 (162).
Siehe hierzu ausführlich W. Treiber, Fallgruppen traumatisierter Flüchtlinge im Asylverfahren, in:
Bundesamt (Hrsg.), Asylpraxis Band 7, 2001, S. 15 f. Der gesamte Band befasst sich mit der Problematik traumatisierter Flüchtlinge; besonders eindrucksvoll der Erfahrungsbericht von S. Kunold, S. 57
ff.
Vgl. W. Treiber (Fn. 20), S. 20; B. Brand/ J. Weidenhammer, Bedingungen für die Anhörung von
Flüchtlingen im Rahmen des Asylverfahrens, die unter anderem Folter und andere traumatische Erfahrungen erlitten haben, 1991, S. 19 f. Vgl. zum Thema auch D. Kossen, Die Tatsachenfeststellung im
Asylverfahren, 1999, S. 127-133; R. Weber, Extremtraumatisierte Flüchtlinge in Deutschland, 1998.
Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
7
Das Asylverfahren muss dieser Problematik gerecht werden. Sobald Anhaltspunkte für
eine mögliche Traumatisierung erkennbar sind, ist das Verfahren mit besonderer Sorgfalt und Behutsamkeit fortzuführen;22 Aspekte der Verfahrensbeschleunigung müssen in
solchen Fällen zurückstehen gegenüber der verfassungsrechtlichen Funktion des Asylverfahrens, Schutz für politisch verfolgte Personen zu sichern.
2. Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
Im ersten Halbjahr 2000 entschied das Bundesamt
-
innerhalb eines Monats 31,93 %,
-
innerhalb von drei Monaten 55,58 %,
-
innerhalb von sechs Monaten 69,70 % der Asylanträge.23
Diese Verfahrensdauer stellen gegenüber früheren Jahren einen bemerkenswerten Fortschritt dar;24 das hier ins Auge gefasste Ziel einer regelmäßigen Entscheidung innerhalb
von drei Monaten ist jedoch noch nicht ganz erreicht. Da das Bundesamt über spezialisierte Entscheider zu nahezu allen Herkunftsländern verfügt, dürfte es im Regelfall kein
Problem sein, eine Entscheidung innerhalb von drei Monaten zu treffen.
In manchen Fällen ist allerdings eine Verfahrensdauer von mehr als drei Monaten
schwer vermeidbar, wenn etwa zur Sachverhaltsaufklärung Auskünfte sachverständiger
Stellen eingeholt werden müssen. Gibt es Anhaltspunkte für eine Traumatisierung eines
Asylsuchenden, muss eventuell ein zweiter Anhörungstermin vor einem spezialisierten
Entscheider anberaumt werden; die sodann etwa erforderliche Einholung eines psychologischen oder psychiatrischen Gutachtens nimmt weitere Zeit in Anspruch.
22
23
24
Beim Bundesamt gibt es seit einigen Jahren Sonderbeauftragte für die Anhörung traumatisierter Personen; vgl. etwa S. Ellinger, Frauen im Asylverfahren, in: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asylpraxis Band 4, 2. Aufl. 1999, S. 15 (28 f.).
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asyl in Zahlen, 6. Aufl. 2000, S.
45.
Vgl. D. Kossen (Fn. 21), S. 35 f.
Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
8
2.1. Beschleunigung und sorgfältige Sachbearbeitung
Vor einigen Jahren wurde beim Bundesamt im Rahmen eines „Modellprojekts Rastatt“
geprüft, ob es möglich sei, in 90 Prozent der Asylverfahren eine Verfahrensdauer von
fünf bis sieben Arbeitstagen zu erreichen.25 Über dieses Projekt existiert offenbar kein
Abschlußbericht.26 Unabhängig davon erscheint eine derartige Beschleunigung des Asylverwaltungsverfahrens nicht erstrebenswert. So dient es nicht unbedingt der Richtigkeit der zu treffenden Entscheidung, wenn Asylsuchende direkt nach der Einreise unvorbereitet über ihre Asylgründe angehört werden. Eine solche Anhörungspraxis liegt
allerdings nach der Gesetzeslage nahe,27 sie soll sicherstellen, dass der Antragsteller
zunächst spontan und unbeeinflusst durch Dritte seine Fluchtgründe darstellt. Andererseits ist der Asylsuchende verpflichtet, in der Anhörung von sich aus die Tatsachen aus
seiner Biographie vorzutragen, die aus der Sicht des deutschen Asylrechts erheblich
sein können. Wenn der Asylsuchende nicht hinreichend über den Inhalt des deutschen
Rechts informiert ist, besteht die Gefahr, dass er rechtserhebliches Vorbringen unterlässt.28
Besonders prekär ist die Lage für Folteropfer und andere traumatisierte Personen. Wenn
ihnen die Ablehnung des Asylantrages innerhalb weniger Tage oder Wochen droht, weil
sie (noch) nicht imstande waren, über ihre Erlebnisse vollständig zu berichten, dann
besteht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition durch das Verfahren.29
Eine zu hohe Beschleunigung des Asylverfahrens in seinem Anfangsstadium kann also
geradezu kontraproduktiv wirken. Je mehr Sorgfalt zu Beginn für eine genaue und vollständige Aufklärung des Sachverhalts aufgewandt wird, desto höher ist die Sicherheit,
eine richtige Entscheidung zu treffen. Jede fehlerhafte Entscheidung hingegen führt
potentiell zu vermeidbaren Prozessen und damit zu überflüssigen Verfahrensverzögerungen. Von einem zu kurzen Asylverwaltungsverfahren ist also nicht nur aus der Sicht
25
26
27
28
29
Vgl. dazu näher I. Rose-Natzschka, Der Einzelentscheider-Brief 7/1997, S. 6.
Nach einer Mitteilung des Bundesamtes vom 1.2.2001 beruht dies darauf, dass die Außenstelle Rastatt
geschlossen wurde.
Vgl. § 25 Abs. 4 AsylVfG.
Nach Einschätzung der EKD ist es in der Vergangenheit aufgrund von Mängeln in der Anhörung
häufig zu fehlerhaften Bescheiden gekommen; vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Asylsuchende und Flüchtlinge, EKD-Texte 55, 1996, S. 13; sowie EKD-Texte 51, 1995, S. 15-18. Eingehend zur Anhörung im Asylverfahren D. Kossen (Fn. 21), S. 124-144.
Vgl. BVerfGE 63, 131 (143).
Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
9
der Richtigkeitsgewähr, sondern auch aus der Perspektive der Verfahrensbeschleunigung abzuraten.
Wir sehen daher insgesamt für das Verfahren vor dem Bundesamt nur ein begrenztes
Beschleunigungspotential. Folgende Maßnahmen erscheinen aber denkbar:
1. Vermeidung längerfristiger Entscheidungsstopps,
2. Normative Festlegung einer Regelentscheidungsfrist von
drei Monaten,
3. Vermeidung sukzessiver Asylanträge von Familienmitgliedern.
2.2. Entscheidungsstopps
Ist die Lage in einem Herkunftsland vorübergehend besonders unklar, werden Anträge
aus diesem Land häufig zunächst zurückgestellt. Solche Entscheidungsstopps können,
wenn sie länger andauern, erheblich zur Verfahrensdauer beitragen. So bestand etwa ein
Entscheidungsstopp für Antragsteller aus Bosnien-Herzegowina vom Juli 1993 bis
September 1996; am Ende dieses Zeitraums waren 30.215 Personen davon betroffen.
Seit März 1999 besteht ein Entscheidungsstopp für asylsuchende Roma und Serben aus
dem Kosovo; er umfasste 11.291 Personen am Ende des Jahres 2000. Weitere seit 1993
betroffene Länder waren Burundi, Ruanda, Russland/Tschetschenien und Sierra Leone;
einen Überblick hierzu bietet die Anlage.30 Im Januar 2001 erließ der Bundesinnenminister einen Entscheidungsstopp zur Demokratischen Republik Kongo und warnte
gleichzeitig die Länder davor, Abschiebungen in dieses Land vorzunehmen.31
Kurzfristige Entscheidungsstopps mögen sinnvoll und unvermeidbar sein, wenn die
Entwicklung in einem Herkunftsland besonders schwer zu überschauen ist. Entscheidungsstopps von mehr als nur einigen Wochen Dauer führen jedoch de facto zu einem
informellen Abschiebestopp für Angehörige des betreffenden Landes. Eine solche Verfahrensweise hat – pragmatisch gesehen – sowohl für die Asylsuchenden als auch für
die Verwaltung gewisse Vorteile. In der Vergangenheit haben sich aber hierdurch viele
Asylentscheidungen über Jahre hinweg verzögert.
30
31
Insgesamt waren Ende 2000 etwa 16600 Asylsuchende von einem Entscheidungsstopp betroffen.
Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 19. Januar 2001.
Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
10
Aus der Perspektive der Verfahrensbeschleunigung sollte das Instrument des Entscheidungsstopps nicht dazu genutzt werden, bei Bestehen möglicher asyl- oder abschiebungsrelevanter Gefahrsituationen auch über längere Zeiträume hinweg abzuwarten, ob
sich die Lage bessert. Vielmehr ist in solchen Fällen, wenn die Verfahrensdauer kurz
gehalten werden soll, das Asylverfahren gegebenenfalls mit einer den Antragstellern
günstigen Entscheidung zu beenden.32
Wir empfehlen deshalb, Entscheidungsstopps zurückhaltend anzuordnen und jeweils auf
den unbedingt erforderlichen Zeitraum zu begrenzen.
2.3. Regelentscheidungsfrist
Eine weitere Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung läge darin, den Bearbeitern im
Bundesamt eine – verbindliche, aber verlängerbare – Entscheidungsfrist vorzugeben.
Dies könnte etwa durch die Aufnahme einer Vorschrift des folgenden Inhalts in das
Asylverfahrensgesetz geschehen:
„Die Entscheidung über den Asylantrag ist innerhalb von drei
Monaten zu treffen, es sei denn, daß die Aufklärung des Sachverhalts eine längere Bearbeitungsdauer erfordert. Wird die Entscheidung nicht innerhalb von drei Monaten getroffen, so sind
die Gründe für die Verzögerung aktenkundig zu machen.“
Eine solche Regelung hätte den Vorteil, dass für die Entscheider eine rechtsverbindliche
Entscheidungsfrist bestünde; möglicherweise würden auch noch unentdeckte Beschleunigungspotentiale im organisatorischen Bereich aktiviert. Gleichzeitig könnten die aktenkundig gemachten Verzögerungsgründe nach einer gewissen Zeit gesammelt und im
Hinblick auf ihre Vermeidbarkeit analysiert werden.
32
Die Bundesausländerbeauftragte kritisiert, dass "bei bestimmten Ländern aussichtsreiche Anträge über
Jahre nicht entschieden werden". Vgl. Beauftragte der Bundesregierung in Ausländerfragen (Hrsg.):
Mythen im deutschen Asylrecht. November 2000. Zitiert nach:
http://www.bundesauslaenderbeauftragte.de/aktuell/mythen.htm (12.12.2000).
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
11
2.4. Vermeidung sukzessiver Asylanträge von Familienmitgliedern
In der Vergangenheit haben Asylsuchende mit Kindern offenbar in einer Reihe von
Fällen ihre Asylanträge nicht gleichzeitig, sondern mit einem gewissen zeitlichen Abstand gestellt. Wird der Asylantrag eines Elternteils abgelehnt, so kann, wenn kurz vor
einer vorgesehenen Abschiebung Asyl für ein minderjähriges Kind beantragt wird, zumindest dieses Kind mit einer Betreuungsperson weiterhin im Bundesgebiet bleiben.
Vielfach wird der Aufenthalt aller Familienmitglieder geduldet.
Der Bundesrat hat auf Initiative des Landes Niedersachsen einen Gesetzentwurf in den
Bundestag eingebracht, der zur Vermeidung derartiger Vorgehensweisen eine gesetzliche Fiktion der Asylantragstellung von Kindern, deren Eltern ein Asylverfahren betreiben, vorschlägt.33
Die vorgeschlagene Gesetzesänderung wäre aller Voraussicht nach geeignet, in den
betroffenen Fällen zu einer spürbaren Verfahrensbeschleunigung beizutragen.
3. Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
3.1. Dauer der Verfahren
Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erster Instanz dauerte 1999 in Asylsachen im
Durchschnitt aller Bundesländer 19,2 Monate. Auffallend sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern: Die Dauer der im Jahre 1999 erledigten Verfahren schwankt
zwischen 9,9 Monate (Rheinland-Pfalz) und 29,6 Monate (Berlin). Diese Zahlen führen
bereits zu zwei Erkenntnissen: zum einen ist es offenbar möglich und realistisch, eine
Regelverfahrensdauer anzustreben, die deutlich unter einem Jahr liegt. Zum anderen
gibt es Länder, die von diesem Ziel noch weit entfernt sind.34
3.2. Sechsmonatsfrist als Zielvorgabe
Da der Kläger die Klagebegründung einen Monat nach Zustellung der angefochtenen
Verwaltungsentscheidung vorlegen muss, liegt angesichts der soeben genannten Zahlen
33
34
Siehe BT-Drs. 14/4925.
Quelle der Zahlen: Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17).
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
12
das größte Beschleunigungspotential in dem Zeitraum zwischen Eingang der Klagebegründung und der abschließenden Entscheidung des Gerichts.
In der Regel fallen für das Gericht nach Eingang der Klagebegründung die folgenden
Aufgaben an:
Eine Kammer des Verwaltungsgerichts muss nach Anhörung der Beteiligten über die
Übertragung auf den Einzelrichter entscheiden.35 Das erkennende Gericht (Kammer
oder Einzelrichter) muss sodann die mündliche Verhandlung terminieren, sich im Hinblick auf die Lage im Herkunftsland einarbeiten oder auf den aktuellen Stand bringen.
Das Gericht hat die Prozessbeteiligten über die verwendeten Erkenntnismittel in Kenntnis zu setzen und zur mündlichen Verhandlung zu laden. In der Verhandlung sind der
Asylsuchende und eventuell benannte Zeugen zu hören; im Anschluss daran wird im
allgemeinen das Urteil gefällt.36
Für diese Tätigkeiten erscheint ein Zeitraum von sechs Monaten nach Eingang der Klage als in der Regel ausreichend, es sei denn, das Gericht muss sich erst neu in die Materialien über das Herkunftsland einarbeiten. Dann kann die Einhaltung dieser Zielvorgabe problematisch werden, zumal wenn das Gericht Verfahren aus mehreren Ländern
gleichzeitig zu bearbeiten hat. Eine Sechsmonatsfrist ist ferner dann nicht realistisch,
wenn das Gericht einen hohen Bestand an Altfällen abzuarbeiten hat, der seine Arbeitskapazität für die nächsten sechs Monate oder länger in Anspruch nimmt.
In einigen Fällen holt das Gericht aufgrund des persönlichen Vorbringens des Asylsuchenden und eventueller Beweisanträge ergänzende Auskünfte ein, die einen zweiten
Verhandlungstermin erforderlich machen. Beweiserhebungen sind jedoch die große
Ausnahme; sie finden ausweislich der amtlichen Statistik nur in etwa drei Prozent der
Fälle statt.37 Gleichfalls selten sind bisher die Fälle, in denen Zweifel im Hinblick auf
die Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden bestehen und das Gericht hierzu Ermitt-
35
36
37
Vgl. § 76 Abs. 1 AsylVfG.
Ein Teil der Asylgerichtsverfahren wird nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss erledigt; hierbei
handelt es sich in wesentlichen um zurückgenommene Klagen und nicht betriebene Verfahren (§ 81
AsylVfG). Sie tragen zum verfahrensbedingten Aufenthalt nichts bei und können daher hier außer
Betracht bleiben. Im Jahre 1998 wurden bundesweit 35,9 Prozent der Asylklagen durch Beschluss erledigt; vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Verwaltungsgerichte 1998, S. 12.
Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Verwaltungsgerichte 1998, S. 22. Hiernach fand in 2,9 Prozent
der Fälle eine Beweiserhebung statt. Diese Zahl schließt allerdings auch die nicht asylrechtlichen Verfahren ein; auf der anderen Seite enthält sie auch diejenigen Beweiserhebungen, die keinen zweiten
Termin erforderten.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
13
lungsmaßnahmen durchführen muss.38 Sie können deshalb für eine Normalfallbetrachtung, wie sie hier angestrebt ist, unberücksichtigt bleiben.
Zusammengefasst erscheint damit im typischen Asylfall, in dem die Staatsangehörigkeit
geklärt und keine Beweiserhebung erforderlich ist, eine Terminierung der mündlichen
Verhandlung und Entscheidung der Sache innerhalb von sechs Monaten unter folgenden
Voraussetzungen erreichbar:
-
Das Gericht ist nicht übermäßig hoch durch Altbestände belastet.
-
Das Gericht ist bereits in die allgemeine Lage im Herkunftsland eingearbeitet.
-
Die Frist von sechs Monaten wird von den Gerichten als eine für den Normalfall
verbindliche Zielvorgabe empfunden und respektiert.
Hierfür erscheinen folgende Maßnahmen geeignet:
1. Abbau der Altbestände, gegebenenfalls durch Verbesserung
der Personalausstattung,
2. Spezialisierung und Konzentration,
3. Einführung eines Gebots der besonders beschleunigten Bearbeitung von Asylsachen,
4. Einführung einer verbindlichen Terminierungsfrist von sechs
Monaten, die durch begründeten Gerichtsbeschluss verlängert werden kann.
Diese Vorschläge werden im folgenden erläutert.
3.3. Abbau der Altbestände
3.3.1. Problematik
Während die Asylgerichtsverfahren in Rheinland-Pfalz in einem Zeitraum erledigt werden, der nicht weit von der Idealdauer von sechs Monaten entfernt ist, beträgt die Regelverfahrensdauer in Berlin zweieinhalb Jahre. Dieser Unterschied ist nach unserem
38
Im Jahre 1999 erachtete das Bundesamt bei 2,52 % der Asylsuchenden die Staatsangehörigkeit als
ungeklärt, im ersten Halbjahr 2000 bei 3,89 % der Asylsuchenden. Vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asyl in Zahlen, 6. Aufl. 2000, S. 21.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
14
Eindruck nicht auf eine unterschiedliche – „schnelle“ oder „langsame“ – Arbeitsweise
der Gerichte in den verschiedenen Ländern zurückzuführen, sondern auf ihre unterschiedliche Belastungssituation.
Dies zeigt ein Blick auf die Zahl der Verfahren, die am Ende des Jahres 1999 noch anhängig waren. Während ein rheinland-pfälzischer Asylrichter mit durchschnittlich 69
laufenden Hauptsacheverfahren ins Jahr 2000 ging, fand sein Berliner Kollege am ersten Arbeitstag des neuen Jahres einen Bestand von 699 unerledigten Fällen vor, also
mehr als das Zehnfache. Der Grund hierfür kann nicht in einer höheren Produktivität
der rheinland-pfälzischen Richter liegen; denn sie erledigten im Jahre 1999 im Durchschnitt 167 Verfahren, während ein Berliner Richter immerhin 210 Verfahren zum Abschluss brachte.39
Es ist hier nicht der Ort, die genauen Ursachen für diese unterschiedliche Belastung zu
analysieren; es spricht einiges dafür, dass im Anschluss an die stark gestiegenen Asylbewerberzahlen Anfang der neunziger Jahre die Bundesländer in unterschiedlichem
Maße und zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch eine Anpassung der Kapazitäten ihrer Verwaltungsgerichte reagierten.
Jedenfalls hatten die Berliner Asylrichter, legt man die obigen Zahlen zugrunde, zu Beginn des Jahres 2000 einen Verfahrensbestand vor sich, der ihre Arbeitskraft voraussichtlich für die nächsten drei Jahre in Anspruch nehmen würde. Es handelte sich dabei,
in Annäherung gesprochen, um die Eingänge der vergangenen drei Jahre. Diese konnten
1999 nicht erledigt werden, weil es zu viele noch ältere Verfahren gab, die vorrangig zu
bearbeiten waren. Damit sind die hohen Erledigungsdauern in Berlin erklärt: es sind die
Belastungen früherer Jahre, die sich in der Statistik erst jetzt niederschlagen. Auch die
gegenwärtig neu eingehenden Verfahren können nicht zeitnah erledigt werden, weil es
zu viele alte Verfahren gibt.
Umgekehrt befanden sich die rheinland-pfälzischen Richter in der vergleichsweise komfortablen Lage, einen Verfahrensbestand ins neue Jahr mitzunehmen, der ihre Arbeitskapazität nur für etwa fünf Monate beanspruchen würde. Die Bearbeitung der neu einlaufenden Verfahren konnte deshalb ohne wesentlichen Verzug begonnen werden; daher die niedrigen Erledigungszeiten in Rheinland-Pfalz.
39
Vgl. Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17).
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
15
Pointiert ausgedrückt zeigt sich: es ist nicht die Bearbeitung der Asylverfahren, die von
Land zu Land unterschiedlich lange Zeit in Anspruch nimmt, sondern die Nichtbearbeitung.40
Dieser Befund gilt auch für die anderen Bundesländer: Länder mit hohen Verfahrensrückständen haben durchweg hohe Verfahrensdauern aufzuweisen. Die Verfahrensdauer
betrug in den acht Ländern mit dem günstigsten Verhältnis von Bestand (Ende 1999) zu
Erledigungen (1999) zwischen 9,9 und 16,3 Monaten, in den anderen acht Ländern zwischen 19,9 und 29,6 Monaten.
40
Ähnlich zur Ursache langer Asylgerichtsverfahren bereits G. Renner, ZAR 1992, S. 59 (65 f.).
16
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
Ein Gesamtüberblick über die Verfahrensrückstände bei asylrechtlichen Hauptsacheverfahren in allen Ländern, bezogen auf den 31. Dezember 1999, ergibt sich aus der folgenden Tabelle:41
1
2
3
4
5
Land
Durchschnittliche
Verfahrensdauer
1999 (in Monaten)
Erledigte
Verfahren
1999
Bestand
Ende 1999
Bestand Ende 1999,
umgerechnet in richterliche Arbeitskapazität
(in Monaten)
BadenWürttemberg
16,3
11211
11383
12,18
Bayern
12,5
12599
9349
8,90
Berlin
29,6
1407
4692
40,02
Brandenburg
24,3
1994
5303
31,91
Bremen
27,5
1361
1281
11,29
Hamburg
19,9
1859
3298
21,29
Hessen (1998)
25,9
11694
17984
18,45
MecklenburgVorpommern
20,9
2168
3710
20,54
Niedersachsen
15,5
7798
7923
12,19
NordrheinWestfalen
26,4
22430
38600
20,65
RheinlandPfalz
9,9
4613
1892
4,92
Saarland
21,9
2058
1350
7,87
Sachsen
23,0
4248
7462
21,08
SachsenAnhalt
10,4
3407
2332
8,21
SchleswigHolstein
21,2
1522
4014
31,65
Thüringen
15,0
2000
2232
13,39
41
Quelle der Zahlen: Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17). – Spalte 5
entspricht dem Quotient aus Bestand und erledigten Verfahren und wurde von den Autoren berechnet.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
17
3.3.2. Abhilfe
Wer Beschleunigung will, muss dafür sorgen, dass die hohen Bestände kurzfristig abgebaut werden. Eine Verfahrensreform kann nur funktionieren, wenn mit der Bearbeitung
neuer Verfahren ohne Verzug begonnen werden kann. Es sollte deshalb angestrebt werden, den Rückstand der Verwaltungsgerichte innerhalb einer festzulegenden Frist (etwa
bis Ende 2002) so weit zu senken, dass er der Arbeitskapazität von höchstens sechs bis
neun Monaten entspricht.
Erste Voraussetzung dafür ist, dass die für Asylverfahren vorhandenen Personalkapazitäten nicht verringert werden. Aufgrund der gegenwärtig sinkenden Eingangszahlen
bei Verwaltungsgerichten und Bundesamt ist zwar damit zu rechnen, dass die Verfahrensdauern sich in allen Ländern weiter verkürzen werden. Ein verfrühter Personalabbau würde jedoch den notwendigen Abbau der Altbestände weiter hinauszögern.
In den Ländern Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein, in denen der Verfahrensbestand Ende 1999 der richterlichen Arbeitskapazität von etwa 30 bis 40 Monaten entsprach, erscheint uns eine Aufstockung der für das Asylgerichtsverfahren vorhandenen
personellen Kapazitäten erforderlich, wenn kurzfristig eine spürbare Senkung der Erledigungszeiten erreicht werden soll. Dasselbe gilt in abgeschwächtem Maße auch für die
Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen mit
einem Verfahrensbestand von etwa 20 Monaten Arbeitskapazität.
Besonders entschiedene Maßnahmen erscheinen im Lande Berlin erforderlich. Hier
wurden Ende 1999 nur noch rechnerisch 6,71 Richter für Asyl-Hauptsacheverfahren
verwendet, während Ende 1998 noch 8,95 Richter in diesem Bereich tätig gewesen waren.42 Ohne personelle Maßnahmen wäre in Berlin für die nächsten Jahre eher mit einer
weiteren Verlängerung der Erledigungsdauer zu rechnen, zumal die Eingangszahlen
1999 etwa 10 Prozent höher lagen als die Erledigungszahlen.43
Solange die Personalausstattung in einigen Ländern unzureichend bleibt, ist jeder Versuch einer Verfahrensbeschleunigung zum Scheitern verurteilt. Eine angemessene Personaldecke kann hingegen viel dazu beitragen, die Verfahrensdauer kurz zu halten.44 Es
spricht sogar einiges dafür, dass eine kapazitätsangemessene Personalausstattung schon
42
43
Vgl. Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17) sowie Tabelle „Eingänge, Erledigungen, Endbestände ... 1998“, hier: Verwaltungsgerichte, v. 13.11.2000 (1441-I.3a284/96), Abschnitt 2.1 (Asylkammern/ Hauptverfahren).
Vgl. Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17).
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
18
allein dafür sorgen würde, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer in allen Ländern
unter ein Jahr sinken würde.
Der Schritt zu einer großzügigeren Personalausstattung der Gerichte sollte um so leichter fallen, als sie ein äußerst wirksames Mittel zur Reduzierung der Kosten im Asylbereich darstellen dürfte. Es spricht einiges dafür, dass die durch eine etwaige zeitweise
personelle Überbesetzung entstehenden Zusatzkosten weitaus geringer sind als die Aufenthaltskosten, die auf Verfahrensverlängerungen infolge Personalmangels beruhen.45
3.4. Spezialisierung und Konzentration
3.4.1. Konzentration der Fälle aus einem Herkunftsland
Die durchschnittliche Verfahrensdauer hängt zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil
davon ab, wie häufig sich das Gericht in ein neues Land einarbeiten muss. Um einen
Asylprozess kompetent zu entscheiden, muss das Gericht nicht nur im Asylrecht, sondern auch in der allgemeinen Situation im Herkunftsland des Antragstellers hinreichend
kundig sein. Es ist offensichtlich, dass das einzelne Verfahren schneller bearbeitet werden kann, wenn das Gericht bereits bei Eingang der Klage in die allgemeine Lage im
Herkunftsland eingearbeitet ist.
Es ist folglich unter dem Aspekt sowohl der Verfahrensbeschleunigung als auch des
effektiven Einsatzes richterlicher Arbeitskraft günstig, die Zahl der Einarbeitungsvorgänge weitestmöglich zu reduzieren. Der einzelne Spruchkörper sollte in der Regel im
Rahmen seiner Kapazitäten möglichst viele Eingänge zu einem bestimmten Land erhalten, zumindest aber so viele Eingänge, dass er permanent in die Geschehnisse in diesem Land eingearbeitet bleibt und sich nur jeweils kurzfristig auf den neuesten Stand
bringen muss.
Dieser Gedanke betrifft zum einen die in der Asylpraxis selten vorkommenden Herkunftsländer. Es ist, um ein Beispiel zu nennen, erheblich sinnvoller, wenn die Fälle der
26 Personen aus Peru, die 1999 in Deutschland Asyl beantragten,46 von einem einzigen
Verwaltungsgericht in Deutschland bearbeitet werden (das einen Teil der Fälle voraus-
44
45
46
Zu diesem Argument siehe insbesondere D. Kossen (Fn. 21), S. 34.
Vgl. hierzu eingehend D. Kossen (Fn. 21), S. 32-35.
Vgl. H. v. Pollern, ZAR 2000, S. 77.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
19
sichtlich auf den Einzelrichter übertragen kann), als wenn 26 oder auch nur 10 über
Deutschland verteilte Spruchkörper sich diese Fälle aufteilen. Die Ressourcen würden
am sinnvollsten eingesetzt, wenn die Fälle aus denjenigen Herkunftsländern, aus denen
bundesweit in den letzten Jahren nur wenige Asylsuchende pro Jahr (z.B. bis zu 300)
nach Deutschland gekommen sind, jeweils nur einem Bundesland zugeordnet würden.47
Innerhalb der Länder würde es sich empfehlen, dem „Thüringer Modell“ folgend, jedes
Herkunftsland nur einem Verwaltungsgericht zuzuordnen.48
Asylsachen aus häufiger vorkommenden Herkunftsländern sollten innerhalb der Verwaltungsgerichte so verteilt werden, dass jeder damit befasste Spruchkörper eine noch
festzulegende, angemessene Mindestzahl von Verfahren (z. B. 50 Verfahren) pro Jahr
zu bearbeiten hat.
Nennenswerte Nachteile einer solchen herkunftsländerbezogenen Verteilung sind nicht
ersichtlich. Zu beachten ist lediglich, dass eine solche Verteilung aufgrund des Prinzips
des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) im voraus nach abstrakten Kriterien vorgenommen werden muss.
Es wäre daher erforderlich, die Zuständigkeitsregelung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO –
wonach bisher der Aufenthaltsort des Asylsuchenden die örtliche Gerichtszuständigkeit
bestimmt – zu ändern und die gerichtliche Zuständigkeit nach der gewünschten Verteilung der Herkunftsländer zu bestimmen. Dies gilt jedenfalls für die nicht sehr häufig
vorkommenden Herkunftsländer, in denen eine länderübergreifende Verteilung erforderlich erscheint. Gelegentliche Änderungen der Zuständigkeitsverteilung könnten erforderlich sein, wenn etwa größere Schwankungen der Asylbewerberzahlen aus einzelnen Ländern zu bewältigen sind.
Allerdings wäre es gleichwohl günstig, wenn die Asylsuchenden in dem Bezirk oder in
der Nähe ihres zuständigen Verwaltungsgerichts ihren Aufenthalt nähmen. Dies könnte
durch eine entsprechende Änderung der Verteilungsvorschriften (§§ 46, 50, 51 AsylVfG) und eine entsprechende Zuweisungspraxis des Bundesamtes erreicht werden.
47
48
Dies würde etwa für 1999 die folgenden Staaten betreffen (in Klammern die Antragszahlen): Ägypten
(219), Bulgarien (90), Burkina Faso (179), Elfenbeinküste (117), Eritrea (280), Estland (12), Jemen
(220), Jordanien (84), Kenia (95), Kolumbien (119), Kroatien (287), Kuba (106), Lettland (32), Liberia (65), Libyen (107), Litauen (73), Nepal (72), Niger (143), Peru (26), Polen (42), Ruanda (88),
Slowenien (5), Tschechische Republik (15), Ungarn (34). Zitiert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
nach H. v. Pollern, ZAR 2000, S. 77 f.
Vgl. Verwaltungsgerichtszuständigkeitsverordnung v. 30.11.1998, GVBl. Thüringen 1998, S. 434.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
20
Durch eine geschickte Verteilung der Herkunftsländer auf Verwaltungsgerichte und
einzelne Spruchkörper wird sich nach unserer Einschätzung die Zahl der Einarbeitungsvorgänge in bedeutendem Maße reduzieren lassen.
Würde man hingegen auf dahingehende Maßnahmen verzichten, so könnte es für diejenigen Spruchkörper, die viele Einarbeitungsvorgänge zu bewältigen hätten, in vielen
Fällen schwierig werden, die Sechsmonatsfrist einzuhalten. Die Nutzung der Ressource
richterlicher Arbeitskraft wäre unvollkommen, und der Vorteil der Konzentration und
der zentralisierten Kompetenz, der beim Bundesamt gegeben ist, würde in der gerichtlichen Instanz verloren gehen.
3.4.2. Schaffung besonderer Spruchkörper nach § 83 I AsylVfG
Ein weiterer Schritt zum effizienten Einsatz der richterlichen Arbeitskraft ist bereits
nach heutiger Rechtslage vorgesehen: Nach § 83 Abs. 1 AsylVfG sollen Asylstreitverfahren „in besonderen Spruchkörpern zusammengefasst werden“, d.h. diejenigen Kammern, die sich mit Asylrecht befassen, sollen in der Regel nur asylrechtliche Fälle bearbeiten. Nach der Gesetzesbegründung zielte diese Vorschrift darauf ab, „die Praxis,
nach der die Spruchkörper zum Teil mit Asylsachen und zum Teil mit anderen Verfahren befasst werden, künftig grundsätzlich nur noch insoweit ..., als die Spruchkörper
nicht mit Asylsachen ausgelastet sind“, zu ermöglichen.49
Die Gerichte sind dem Willen des Gesetzgebers nur teilweise gefolgt. Der größte Teil
der deutschen Richterschaft soll dieser Vorschrift bis heute den Gehorsam verweigert
haben.50 Die ausschließliche Beschäftigung mit Asylsachen gilt für viele Richter anscheinend als unzumutbar, für das Betriebsklima schädlich oder der richterlichen Qualifizierung abträglich.51 Es wird befürchtet, die länger dauernde Spezialisierung auf ein
inhaltlich so enges Rechtsgebiet müsse zu einer juristischen Verkümmerung im übrigen
führen.52
49
50
51
52
BT-Drs. 12/4450, 28.
So W. Reiland, BayVBl. 1998, S. 321 (327).
Vgl. G. Renner, ZAR 1999, S. 206 (212).
W. Reiland, BayVBl. 1998, S. 321 (327).
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
21
Es ist umstritten, ob die vollständige Umsetzung des § 83 AsylVfG einen verfahrensbeschleunigenden Effekt haben würde.53 Im Prinzip ist jede Spezialisierung potentiell verfahrensbeschleunigend, wobei es für einen hinreichenden Grad an Spezialisierung nicht
erforderlich erscheint, dass ein Spruchkörper sich nur mit Asylrecht befasst. Auf der
anderen Seite ist es sicherlich ineffektiv, wenn einzelne Spruchkörper nur am Rande mit
dem Asylrecht befasst sind; überflüssige Einarbeitungsvorgänge wären die Folge. Auch
ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, die Kenntnis des Asyl- und Asylverfahrensrechts und seine Anwendung auf schwierig zu ermittelnde Sachverhalte seien so
kompliziert, dass nichts dafür spreche, möglichst viele Richter mit diesen Aufgaben zu
betrauen.54
Letztlich erscheint es erforderlich, aber auch ausreichend, dass Asylstreitverfahren von
Richtern entschieden werden, die sich zumindest überwiegend mit diesen Verfahren
befassen. Dies war das gesetzgeberische Anliegen bei der Schaffung des § 83 Abs. 1
AsylVfG. 55 Dieses Anliegen könnte durch eine Neufassung der Norm etwas klarer zum
Ausdruck gebracht werden. Sie könnte etwa wie folgt lauten:
„Streitigkeiten nach diesem Gesetz sind in besonderen Spruchkörpern zusammenzufassen, die überwiegend mit solchen Verfahren befasst sind.“
Der Umsetzung einer derart geänderten Vorschrift in die Praxis dürften keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Überflüssige Einarbeitungsvorgänge aufgrund
geringer Fallzahlen könnten dann weitgehend vermieden werden; auf der anderen Seite
wäre gewährleistet, dass alle Verwaltungsrichter im allgemeinen ein hinreichendes Maß
an Berufspraxis auch in Rechtsgebieten außerhalb des Asylrechts erlangen.
3.5. Besonderes Beschleunigungsgebot in Asylsachen
Wenn verwaltungsgerichtliche Spruchkörper auch künftig zum Teil mit Asylverfahren
und zum Teil mit anderen Verfahren befasst sein werden, so sollte gesetzlich festgelegt
werden, dass Asylsachen mit Vorrang oder zumindest mit besonderer Beschleunigung
53
54
55
Vgl. einerseits G. Renner, ZAR 1999, 206 (212) und andererseits K. Schenk, in: K. Hailbronner
(Hrsg.), Ausländerrecht, Bd. 2, § 83 AsylVfG Rdnr. 1, sowie die Beschreibung der Diskussion im Gesetzgebungsverfahren bei R. Marx, Kommentar zum AsylVfG, 4. Aufl. 1999, § 83 Rdnr. 2-5.
Vgl. G. Renner, ZAR 1999, S. 206 (212).
BT-Drs. 12/ 4450, S. 28.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
22
zu bearbeiten sind. Anderenfalls wäre nicht gesichert, dass eventuelle Verbesserungen
der Personalausstattung ausschließlich der Beschleunigung der Asylverfahren zugute
kommen.
Verwaltungsgerichte haben neben Asylsachen auch andere wichtige Streitsachen zu
bearbeiten, in denen die Kläger – anders als viele Asylsuchende – auf eine möglichst
schnelle Entscheidung drängen. Es ist im Prinzip verständlich, zulässig und angemessen, wenn Richter ein objektiv oder subjektiv dringendes Anliegen eines Bürgers vorrangig behandeln. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Beschleunigung von Asylverfahren zwar schon lange in der politischen Diskussion ist, es gegenwärtig aber keine
Rechtsnorm gibt, die den Richtern aufgibt, Asylgerichtsverfahren schneller zu bearbeiten als andere Verfahren.
Ist das politische Ziel des Gesetzgebers die größtmögliche Beschleunigung von Asylgerichtsverfahren, so sollte dieses Ziel auch für die Gerichte normativ verbindlich gemacht werden. Dies könnte dadurch geschehen, dass ein gesetzlicher Vorrang für Asylverfahren oder – etwas flexibler – ein Gebot der besonders beschleunigten Bearbeitung
von Asylsachen eingeführt wird. Asylsachen wären dann Verfahrensarten, die von den
Verwaltungsgerichten – ähnlich wie Haftsachen von Strafgerichten – mit Priorität zu
bearbeiten wären.
Verfassungsrechtliche Probleme sind mit einer solchen Normierung nicht verbunden.
Das Gebot des effektiven und zügigen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG müsste
selbstverständlich auch weiterhin für alle verwaltungsgerichtlichen Verfahren Beachtung finden. Ist dies der Fall, so darf der Gesetzgeber aus gewichtigen sachlichen Gründen für bestimmte Verfahren eine besonders zügige Erledigung vorschreiben.56
3.6. Terminierungsfrist
Mit den bisher beschriebenen Schritten – Abbau der Altbestände, Konzentration der
Verfahren und Spezialisierung der Spruchkörper – könnte nach unserer Einschätzung
eine Grundlage dafür geschaffen werden, Asylgerichtsverfahren so zu organisieren, dass
die mündliche Verhandlung regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der
Klageschrift stattfinden kann. Die beschriebenen Maßnahmen können dies aber allein
56
Siehe auch unten (5.) zur Möglichkeit der Schaffung besonderer Asylgerichte.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
23
nicht sicherstellen. Vielmehr erscheint es notwendig, daneben auch das Ziel dieser
Maßnahmen – eben die regelmäßige Terminierung innerhalb von sechs Monaten – den
Gerichten in verbindlicher Form vorzugeben.57
Dies sollte durch eine Ergänzung der Vorschriften über das Asylgerichtsverfahren geschehen, die folgende Bestimmungen enthalten könnte:
1. Der erste Termin zur mündlichen Verhandlung ist unverzüglich festzusetzen.
2. Der Termin soll so früh wie möglich stattfinden, spätestens
sechs Monate nach Eingang der Klage.
3. Die Verlängerung dieser Sechsmonatsfrist ist nur durch einen begründeten Gerichtsbeschluss möglich.
4. Die Geschäfte sind so zu verteilen und die Verwaltungsgerichte sind personell so auszustatten, dass die Sechsmonatsfrist in der Regel eingehalten werden kann.
In asylrechtlichen Eilverfahren besteht für die Gerichte eine – verlängerbare –Entscheidungsfrist von einer Woche.58 Diese Vorschrift ist, obgleich sie im Gesetzgebungsverfahren starker Kritik ausgesetzt war59, ohne größere Probleme in die Gerichtspraxis umgesetzt worden.
Diese Erfahrung rechtfertigt die Erwartung, dass die vorgeschlagene Terminierungsfrist
von den Gerichten als eine für den Normalfall verbindliche Zielvorgabe empfunden und
respektiert wird. Wenn demgemäß die mündliche Verhandlung generell innerhalb dieser
Frist stattfinden wird und – wie bisher – in aller Regel nicht mehr als ein Verhandlungstermin erforderlich ist, so wäre für den Regelfall das gesetzgeberische Ziel – Abschluss der ersten Instanz innerhalb von sechs Monaten – erreicht. Gleichzeitig ist diese
Regelung hinreichend flexibel: wenn der Streit ausnahmsweise nach dem ersten Termin
noch nicht entscheidungsreif ist, so ist das Gericht nicht gehindert, die mündliche Verhandlung zu einem späteren Termin – etwa nach Einholung einer Auskunft – fortzusetzen. Eine Terminierungsfrist ist insbesondere erheblich flexibler als eine ebenfalls
denkbare, hier aber nicht vorgeschlagene Entscheidungsfrist.
57
58
Vgl. auch die Regelungen in §§ 272, 275 ZPO über den „frühen ersten Termin“.
§ 36 Abs. 3 Satz 5 AsylVfG.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
24
Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht berührt. Zu ihr gehört zwar auch die Befugnis,
über die Reihenfolge und den Zeitpunkt der Bearbeitung der eingehenden Sachen zu
entscheiden; eine Terminierungsfrist greift in diese Befugnis aber jedenfalls dann nicht
ein, wenn sie – wie hier vorgeschlagen – verlängerbar ist. Sollte ein Gericht sich etwa
wegen zeitweiliger oder dauerhafter Überlastung nicht in der Lage sehen, die Sechsmonatsfrist einzuhalten, so kann es damit einen Verlängerungsbeschluss begründen. Diese
Verfahrensweise hat gleichzeitig den Vorteil, dass das Gerichtspräsidium oder die Justizverwaltung auf derartig begründete Verlängerungsbeschlüsse, jedenfalls wenn sie
gehäuft auftreten, durch Maßnahmen der Geschäftsverteilung oder Personalausstattung
reagieren kann. Eine Pflicht, bei Bedarf solche Maßnahmen vorzunehmen, könnte ebenfalls normativ festgelegt werden.
3.7. Ergänzende Maßnahmen
3.7.1. Verkürzung der Klage- oder Begründungsfrist
Zur weiteren Beschleunigung des Verfahrens könnte man daran denken, die Frist zur
Klageerhebung oder zur Klagebegründung weiter zu verkürzen. Denkbar wäre etwa,
dem Kläger aufzugeben, seine Klage schon innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist zu
begründen. Bisher konnte er die Begründung innerhalb eines Monats seit Zustellung der
Verwaltungsentscheidung vorlegen.
Eine solche Verkürzung erscheint uns im Hinblick auf die notwendige Richtigkeitsgewähr und Verfahrensfairness nicht empfehlenswert. Ein asylsuchender Kläger ist darauf
angewiesen, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Innerhalb der Begründungsfrist muss der Anwalt in der Regel ein ausführliches Mandantengespräch führen
und einen auf die Person des Klägers und die Situation im Herkunftsland abgestimmten
Schriftsatz formulieren. Dabei hat auch der Rechtsanwalt zuweilen Bedarf, sich einzuarbeiten oder auf den neuesten Stand zu bringen. All dies muss organisatorisch mit seinen übrigen Aufgaben und Mandaten – insbesondere einer eventuellen Tätigkeit in asylrechtlichen Eil- oder Flughafenverfahren mit sehr viel kürzeren Fristen – abgestimmt
werden. Eine kürzere Klagebegründungsfrist könnte nach unserer Einschätzung leicht
59
Siehe etwa die Darstellung der Diskussion bei R. Marx, Kommentar zum AsylVfG, 4. Aufl. 1999, §
36 Rdnr. 29 f.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
25
dazu führen, dass Asylklagen oberflächlicher begründet werden als bisher. Dies wäre
dem Ziel einer richtigen Entscheidung nicht dienlich und für die Gerichte keine Erleichterung. Letztlich würde auch der erreichbare Zeitgewinn, der sich maximal im Bereich von etwa zwei Wochen bewegen dürfte, nicht nennenswert ins Gewicht fallen.
3.7.2. Vermeidung überflüssiger Beweiserhebungen
Gelegentlich ist es erforderlich, dass die Gerichte zur Vorbereitung Auskünfte sachverständiger Stellen einholen. Dies kann recht zeitaufwendig sein. Da solche Auskünfte
wesentliche Erkenntnisquellen im Asylverfahren darstellen, kann auf sie nicht verzichtet werden; die damit verbundene Verzögerung muss zumindest für einige Verfahren
hingenommen werden.
Nach einer Beobachtung Renners kommt es allerdings immer wieder vor, dass mehrere
Auskunftsersuchen zu identischen Fragen an dieselben Institutionen gestellt werden,
und dies, obwohl die Antwort auf die Ersuchen in der verwaltungsgerichtlichen Dokumentation bereits enthalten war. Offenbar werde zuweilen nach bereits erteilten Auskünften nur oberflächlich gesucht.60 Solche Doppelarbeit ließe sich durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen verhindern, die sicherstellen, dass vor Erlass oder Ausführung
eines Beweisbeschlusses eine Recherche stattfindet, ob und welche aktuellen Unterlagen zum Beweisthema vorhanden sind. Diese Aufgabe könnte – ohne nennenswerte
Inanspruchnahme richterlicher Arbeitskraft – durch Geschäfts- oder Dokumentationsstellen wahrgenommen werden.61
3.7.3. Vermeidung von Klagen gegen Anerkennungsbescheide
Im Normalfall kann ein behördlicher Bescheid nicht von der Behörde selbst oder einer
anderen Behörde angefochten werden. Im Asylverfahren ist jedoch der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten befugt, gegen Entscheidungen des Bundesamtes zu klagen.62
60
61
62
Vgl. G. Renner, ZAR 1999, S. 206 (214).
Vgl. G. Renner, ZAR 1999, S. 206 (216).
§ 6 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz
26
Die Streichung dieser Befugnis würde einerseits die betroffenen Verfahren verkürzen
und andererseits zur Entlastung der Verwaltungsgerichte beitragen. Das Asylverfahrensgesetz enthält Möglichkeiten zur Beseitigung rechtswidriger oder nicht mehr aktueller Entscheidungen63; es ist trotz der Weisungsunabhängigkeit der Entscheider des
Bundesamtes64 nicht zwingend erforderlich, die Anfechtbarkeit ihrer Entscheidungen
durch eine Behörde zuzulassen.
3.7.4. Obligatorischer Einzelrichter
Eine Möglichkeit der intensiveren Nutzung richterlicher Arbeitskraft würde darin liegen, für Asylsachen die obligatorische Erledigung durch einen Einzelrichter einzuführen. Dies ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits heute der Fall,65 in
Hauptsacheverfahren soll die Kammer den Rechtsstreit in der Regel einem ihrer Mitglieder übertragen.
Die Einführung des obligatorischen Einzelrichters ist allerdings nach unserem Eindruck
eher eine Spar- als eine Beschleunigungsmaßnahme; die hier ins Auge gefassten zeitlichen Zielvorgaben sind prinzipiell gleichermaßen durch Kammern wie durch Einzelrichter erreichbar. Es ist wegen der regelmäßigen Unanfechtbarkeit erstinstanzlicher
Entscheidungen schwierig, zur Richtigkeit der Entscheidungen von Kammern und Einzelrichtern verlässliche Aussagen zu machen; insgesamt wird Kollegialentscheidungen
wegen der Möglichkeit gegenseitiger Koordinierung und Kontrolle eine höhere Richtigkeitsgewähr zugeschrieben.66 In Asylsachen wird häufig so verfahren, dass im Hinblick
auf bestimmte Herkunftsländer zunächst eine „Kammerlinie“ festgelegt wird, an der
anschließend die Einzelrichter orientieren. Diese rationelle Verfahrenspraxis wäre nach
der Einführung des obligatorischen Einzelrichters nicht mehr möglich.
Diese verschiedenen Gesichtspunkte gilt es gegeneinander abzuwägen; wir sehen uns
hier zu einer eindeutigen Empfehlung nicht in der Lage.
63
64
65
66
Siehe im einzelnen §§ 72, 73 AsylVfG.
§ 5 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG.
§ 76 Abs. 4 AsylVfG.
Starke Kritik am Einzelrichterprinzip bei W. Molitor, in: GK-AsylVfG, § 76 Rdnr. 27.
Rechtsmittelverfahren
27
3.7.5. Absehen von mündlicher Verhandlung?
Im Asylverfahren kommt es wie in kaum einem anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf den persönlichen Eindruck des Gerichts und insbesondere die persönliche
Glaubwürdigkeit des Betroffenen an. Die mündliche Verhandlung bietet dem Asylsuchenden die Gelegenheit, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Gerichts für seine Sache
zu erlangen, auf die wichtigen Merkmale und mögliche Besonderheiten seines Falles
hinzuweisen und auch eventuelle Widersprüche und Unstimmigkeiten auszuräumen.
Die mündliche Verhandlung ist daher ein Beitrag ganz eigener Art zur Richtigkeitsgewähr des Verfahrens. Die Garantie des rechtlichen Gehörs in Art. 103 Abs. 1 GG verlangt nicht zwingend in jedem Einzelfall eine mündliche Verhandlung,67 es ist allerdings eine offene Frage, ob dies auch für Streitfälle gelten kann, in denen es – wie im
Asylverfahren – für die Betroffenen um mögliche existentielle Gefahren geht. In jedem
Fall wäre das Absehen von mündlicher Verhandlung in Asylsachen mit einer erheblichen Einbuße an Richtigkeitsgewähr verbunden; eine solche Maßnahme halten wir
nicht für empfehlenswert.
4. Rechtsmittelverfahren
4.1. Veränderungen im Instanzenzug
Rechtsmittel dienen einerseits der Richtigkeitskontrolle und andererseits der Rechtseinheit. Im Asylverfahren werden Rechtsmittel nur zugelassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das angefochtene Urteil von einer Entscheidung eines höheren Gerichts abweicht
oder
3. wenn das Urteil auf einem Verfahrensfehler beruht (im Berufungsverfahren: wenn
ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensfehler vorliegt).68
Das Berufungsgericht führt also, verkürzt gesagt, eine sehr begrenzte Richtigkeitskontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung durch und sorgt für die einheitliche Beurteilung von Tatsachenfragen von grundsätzlicher Bedeutung; das Revisionsgericht nimmt
67
68
Vgl. etwa C. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rdnr. 23 m.w.N.
Vgl. § 78 Abs. 3 AsylVfG, § 132 Abs. 2 VwGO.
Rechtsmittelverfahren
28
eine begrenzte Richtigkeitskontrolle des Berufungsurteils vor und sorgt für die einheitliche Beurteilung von Rechtsfragen.
4.1.1. Wegfall aller Rechtsmittel
Der weitestgehende Schritt wäre, sowohl die Berufung als auch die Revision in Asylsachen völlig abzuschaffen. Urteile des Verwaltungsgerichts würden sofort rechtskräftig
werden; die erste Instanz wäre die letzte.
Eine solche Ausgestaltung wäre mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar: Diese Vorschrift garantiert nur den Zugang zu einem Gericht, aber kein Recht
auf einen Instanzenzug.69
Jedoch würde die im Verfahren erreichte Richtigkeitsgewähr spürbar beeinträchtigt
werden. Nach der gegenwärtigen Rechtslage werden Berufungen immer wieder auch
deshalb zugelassen, weil erstinstanzliche Gerichte die Vorschriften über die Gewährung
rechtlichen Gehörs verletzen, etwa dadurch, dass sie Beweisanträge übergehen. Solche
Fehlurteile würden bestehen bleiben, wenn jegliche Nachprüfung durch eine übergeordnete Instanz entfiele.
Darüber hinaus könnte sich eine Beseitigung aller Rechtsmittel geradezu als kontraproduktiv erweisen. Unterlegene Asylsuchende würden aller Wahrscheinlichkeit nach verstärkt mittels Verfassungsbeschwerde versuchen, doch noch eine günstigere Entscheidung herbeizuführen. Wenn ihnen dann – was bisher üblich ist und auch angemessen
erscheint – für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens der weitere Aufenthalt
ermöglicht wird, so kann dies leicht zu einer im Vergleich zur heutigen Lage längeren
Aufenthaltsdauer führen. Die Belastung des Bundesverfassungsgerichts würde weiter
verstärkt.
Schließlich würde die Rechtseinheit für den Asylprozess nahezu völlig verloren gehen.
Dies gilt nicht nur für die Beurteilung der allgemeinen Situation in den Herkunftsländern, die dann nicht einmal mehr auf Landesebene einheitlich vorgenommen werden
würde, sondern auch für sämtliche Rechtsfragen. Jedes Verwaltungsgericht könnte sozusagen sein eigenes – mehr oder weniger großzügig ausgestaltetes – Asylrecht heraus-
69
BVerfGE 11, 232 (233); 28, 21 (36); 40, 272 (274); 49, 329 (340); 58, 208 (231 f.); 70, 35, 62; 78, 88
(99); 83, 24 (31); P. M. Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 480.
Rechtsmittelverfahren
29
bilden; einzig das Bundesverfassungsgericht könnte ein gewisses Maß an Rechtseinheit
herstellen. Diese rechtsvereinheitlichende Funktion des Bundesverfassungsgerichts
könnte freilich nur durch den Asylsuchenden aktiviert werden, weil die öffentliche
Hand keine Verfassungsbeschwerde erheben kann.
Wir halten daher die Beseitigung aller Rechtsmittel nicht für empfehlenswert.
4.1.2. Wegfall der Berufungsinstanz
In Anlehnung an die Regelung in einigen anderen Rechtsgebieten70 könnte man erwägen, die Berufungsinstanz zu beseitigen und gegen die Urteile der Verwaltungsgerichte
nur noch die – auf Antrag zuzulassende – Revision zum Bundesverwaltungsgericht vorzusehen.
Allerdings würde sich, da es sich bei der Revision um eine Rechtskontrolle handelt, die
Gewährleistung der Rechtseinheit nur noch auf die Auslegung und Anwendung der
Rechtsnormen erstrecken, nicht mehr auf die Erfassung und Würdigung von Tatsachenkomplexen. Insbesondere im Hinblick auf die faktische allgemeine Menschenrechtsund Verfolgungssituation in einem Herkunftsland ist heute immerhin eine einheitliche
Rechtsprechung innerhalb eines Bundeslandes gegeben; diese Lage könnte künftig von
Verwaltungsgericht zu Verwaltungsgericht unterschiedlich eingeschätzt werden, ohne
dass das Rechtsmittelgericht auf eine einheitliche Rechtsprechung hinwirken könnte.
Der Gesichtspunkt der Richtigkeitsgewähr könnte allerdings durch eine Revisionsinstanz ansonsten prinzipiell in gleicher Weise gesichert werden wie durch eine Berufungsinstanz; die entsprechenden Zulassungsgründe des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
entstammen ja dem Revisionsrecht (§ 138 VwGO).
Ein gravierender Nachteil dieses Modells würde jedoch darin bestehen, dass das Revisionsgericht aufgrund seiner beschränkten Kontrollbefugnis in der Regel nicht in der Lage ist, bei Vorliegen eines Revisionsgrundes in der Sache selbst zu entscheiden. Es kann
eine etwa zu Unrecht unterbliebene Beweiserhebung nicht selbst nachholen. Vielmehr
muss es regelmäßig die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen. In diesen Fällen wäre der verfahrensbeschleunigende Effekt sehr zweifelhaft, zumal gegen
70
Vgl. die Aufzählung bei K. Redeker/ H. v. Oertzen, VwGO, § 135 Rdnr. 2 f.
Rechtsmittelverfahren
30
das neue verwaltungsgerichtliche Urteil dann erneut die Zulassung der Revision beantragt werden kann.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gegenwärtig etwa 15 000 Anträge auf Zulassung der Berufung im Jahr erhoben werden.71 Eine vergleichbare Zahl von Revisionszulassungsanträgen würde vermutlich eine Aufstockung des Bundesverwaltungsgerichts um mehrere Senate erforderlich machen.
Insgesamt wäre nach unserer Einschätzung die Beseitigung der Berufungsinstanz von
zweifelhaftem Nutzen und deshalb nicht empfehlenswert.
4.1.3. Wegfall der Revisionsinstanz
Der Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision würde bedeuten, dass die bundeseinheitliche Beurteilung von Rechtsfragen durch die Asylgerichte nicht mehr vollständig
gewährleistet wäre. Jedes Berufungsgericht könnte das Asylrecht nach seiner eigenen
Beurteilung auslegen; einzig das Bundesverfassungsgericht könnte in einem gewissen
Umfang für Rechtseinheit sorgen.
Diese Option ist ein denkbarer Weg, wobei die Vorteile bei der Beschleunigung verhältnismäßig weniger Verfahren jedoch gegen die Nachteile für die Rechtseinheit abgewogen werden sollten. In jedem Fall halten wir, wenn eine Abschaffung der Revisionsinstanz ernsthaft erwogen wird, die nachfolgend beschriebene Gestaltung für vorzugswürdig.
4.1.4. Konzentration der Berufungsinstanz, verbunden mit dem Wegfall der Revisionsinstanz
Nach unserer Auffassung könnten die Rechtsmittelfunktionen der Richtigkeitskontrolle
sowie der einheitlichen Beurteilung von Tatsachen- und von Rechtsfragen in optimaler
Weise in einem Zentralen Berufungsgericht für Asylsachen zusammengeführt werden.
Dieses Gericht würde bundesweit über alle Anträge auf Zulassung der Berufung und
über die Berufungsverfahren letztinstanzlich entscheiden. Da es keine anderen Beru-
71
Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17), Abschnitt Oberverwaltungsgericht 2. (Asylsenate).
Rechtsmittelverfahren
31
fungsgerichte gäbe, wäre für die einheitliche Beurteilung von Tatsachen- und Rechtsfragen gesorgt. Revisionsverfahren würden entfallen. Etwaige Divergenzen zwischen
verschiedenen Senaten des Gerichts könnten durch Vorlage an einen Großen Senat gelöst werden.
Durch eine entsprechende Geschäftsverteilung könnte eine angemessene Spezialisierung der einzelnen Spruchkörper sichergestellt werden.
Für die rechtliche Organisation eines solchen Gerichtes gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Aufgabe könnte dem Bundesverwaltungsgericht übertragen werden. Denkbar wäre (nach einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes) auch die Schaffung
eines neuen Bundesgerichtes. Das Gericht könnte durch Staatsvertrag der Länder begründet werden, und schließlich gibt es die Möglichkeit, das Oberverwaltungsgericht
eines bestimmten Bundeslandes mit dieser Aufgabe zu betrauen.
Ende 1999 waren bundesweit 86 Richter in der asylrechtlichen Berufungsinstanz tätig.72
Ein neues zentrales Berufungsgericht müsste über eine vergleichbare Personalausstattung verfügen. Es ist uns bewusst, dass die Einrichtung einer solchen Instanz einen erheblichen Eingriff in die bewährte Struktur der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit
bedeuten würde. Andererseits läge hierin eine ernsthafte, nicht anderweitig erreichbare
Möglichkeit, das Rechtsmittelsystem im Asylverfahren zu vereinfachen und – im Hinblick auf die einheitliche Beurteilung von Tatsachenfragen – gleichzeitig zu verbessern.
Damit wäre für die Verfahren, die in die Rechtsmittelinstanz gelangen, eine wesentliche
Verfahrensbeschleunigung erreicht.
Wir halten also die Schaffung eines zentralen Berufungsgerichts in Asylsachen für eine
bedenkenswerte Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung. Sollte die Schaffung eines
solchen Gerichts nicht in Betracht gezogen werden, so schlagen wir vor, den bestehenden Instanzenzug in Asylsachen beizubehalten.
4.1.5. Einschränkung der Rechtsmittelzulassungsgründe
Angesichts der schon heute stark begrenzten Möglichkeiten zur Kontrolle der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung halten wir es für nicht ratsam, die Berufungsoder Revisionszulassungsgründe weiter einzuschränken. Die verfahrensverkürzende
Rechtsmittelverfahren
32
Wirkung wäre im übrigen sehr zweifelhaft, weil viele Antragsteller ihr Glück auch bei
einer noch so begrenzten Erfolgschance versuchen würden.
4.2. Verkürzung der Verfahrensdauer in der zweiten und dritten Instanz
Im Hinblick auf die geringe Zahl zugelassener Berufungen73 soll hier die Frage, ob und
welche Maßnahmen sich zur Verfahrensverkürzung empfehlen, für das Verfahren über
die Zulassung der Berufung und für die eigentlichen Rechtsmittelverfahren getrennt
betrachtet werden.
4.2.1. Entscheidung über die Zulassung der Berufung
Das Berufungszulassungsverfahren hat eine große praktische Bedeutung, da alle erstinstanzlichen Entscheidungen – mit Ausnahme der Klageabweisungen als „offensichtlich
unbegründet“ – durch einen Antrag auf Zulassung der Berufung angegriffen werden
können.
Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer in diesem Verfahren betrug 1999 bundesweit
6,4 Monate; in den einzelnen Ländern schwankte sie zwischen 2,9 Monaten (in Bremen) und 14,0 Monaten (in Hamburg).74
Angesichts der engen gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung
und die strengen Darlegungsanforderungen75 bringt das einzelne Berufungszulassungsverfahren in aller Regel nur verhältnismäßig wenig Arbeitsaufwand mit sich, der in einigen Stunden oder höchstens ein bis zwei Tagen richterlicher Tätigkeit bewältigt werden kann. Dies gilt insbesondere für die – unter dem Aspekt der baldigen Aufenthaltsbeendigung besonders interessierenden – aussichtslosen Fälle. Das Problem ist auch
hier die große Zahl der zu bearbeitenden Fälle, die immer wieder zu Rückständen führt.
Wir schlagen deshalb folgende Maßnahmen zur Verkürzung dieses Verfahrensabschnitts vor:
72
73
74
75
Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), a.a.O.
Vgl. oben A II 2.
Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Tabelle 1999 (Fn. 17), Abschnitt Oberverwaltungsgericht 2. (Asylsenate).
Vgl. R. Marx, Kommentar zum AsylVfG, § 78 Rdnr. 341-343.
Rechtsmittelverfahren
33
1. Abbau der Altbestände, gegebenenfalls durch Verbesserung
der Personalausstattung,
2. Spezialisierung und Konzentration, soweit noch nicht geschehen,
3. Einführung einer verbindlichen Entscheidungsfrist von zwei
Monaten, die durch begründeten Gerichtsbeschluss verlängert werden kann.
4. Begründung einer gesetzlichen Pflicht, die Oberverwaltungsgerichte personell so auszustatten und die Geschäfte so
zu verteilen, dass die Zweimonatsfrist in der Regel eingehalten werden kann.
Diese Maßnahmen lehnen sich an unsere Empfehlungen für die erste Instanz an, zur
Begründung und Erläuterung beziehen wir uns auf die dort gemachten Ausführungen.
Da im Verfahren über die Zulassung der Berufung keine mündliche Verhandlung stattfindet, müsste allerdings an die Stelle der Terminierungsfrist eine Entscheidungsfrist
gesetzt werden.
4.2.2. Berufungs- und Revisionsverfahren
Für diesen Bereich könnte man – da er nur einen geringen Teil der Asylverfahren betrifft – daran denken, auf besondere Beschleunigungsmaßnahmen ganz zu verzichten.
Allerdings sind diese Verfahren gerade diejenigen, in denen der – möglicherweise berechtigte, möglicherweise aber auch unberechtigte – Aufenthalt der Asylsuchenden in
Deutschland sich über Jahre erstreckt.
Die Vorschläge zur ersten Instanz – Abbau der Altbestände, Terminierungsfrist, Spezialisierung und Konzentration, Pflicht zur beschleunigungsorientierten Geschäftsverteilung und Personalausstattung – lassen sich prinzipiell auf die höheren Instanzen übertragen. Eine besonders weitgehende Konzentration ließe sich mit der im vorhergehenden Abschnitt angeregten Schaffung eines zentralen Berufungsgerichts in Asylsachen
erreichen.
Schaffung besonderer Asylgerichte als Sonderverwaltungsgerichte
34
5. Schaffung besonderer Asylgerichte als Sonderverwaltungsgerichte
Wir halten die oben beschriebenen Maßnahmen für geeignet und hinreichend, um das
Ziel eine kurzen Asylverfahrensdauer von regelmäßig nicht mehr als einem Jahr erreichen zu können.
Allerdings hängen diese Vorschläge zu einem Gutteil davon ab, dass die Justizverwaltungen die Verwaltungsjustiz personell angemessen ausstatten und andererseits die Gerichtspräsidien den dadurch gewonnenen personellen Spielraum mit einer gewissen Einseitigkeit den Asylverfahren zugute kommen lassen. Hier ist es denkbar, dass es zu
Meinungsverschiedenheiten, Koordinations- oder Umsetzungsproblemen kommt.
Wir halten solche Probleme zwar für überwindbar, möchten aber auf die mögliche Alternative hinweisen, besondere Asylgerichte außerhalb der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu schaffen.
Ein solches Vorgehen würde die oben angedeuteten Probleme vermeiden. Die Justizverwaltungen hätten dann die Möglichkeit, bei Bedarf positiv und direkt auf die personelle Ausstattung der Asylgerichte einzuwirken. Die Asylgerichte würden – eventuell
mit dem oben beschriebenen zentralen Berufungsgericht als zweiter und letzter Instanz
– eine gesonderte Gerichtsbarkeit neben der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit
darstellen, die in besonderem Maße dem Beschleunigungsgebot verpflichtet wäre. Das
Verhältnis wäre etwa dem der Arbeitsgerichte zu den allgemeinen Zivilgerichten vergleichbar.
Die Schaffung gesonderter Asylgerichte würde freilich einen bedeutsamen Eingriff in
die Struktur der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit bedeuten. Die Lösung der bestehenden Probleme innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre vorzugswürdig. Die
Alternative der Schaffung besonderer Asylgerichte ist vor allem vor dem Hintergrund
zu sehen, dass die – mit einer Grundgesetzänderung verbundene – Ersetzung des
Rechtsweges in Asylsachen durch neu zu schaffende Beschwerdeausschüsse ernsthaft in
die politische Diskussion eingebracht worden ist. Auch die Schaffung derartiger Ausschüsse würde einen Systemwechsel mit sich bringen. Im Vergleich dazu wäre die
Schaffung einer gesonderten Asylgerichtsbarkeit ein erheblich schonenderer Eingriff in
das bestehende System des Rechtsschutzes. Mit Asylgerichten ließe sich das bisherige
Niveau an Qualität und Richtigkeitsgewähr des Rechtsschutzes aufrechterhalten. Be-
Anschlussverfahren
35
schwerdeausschüsse müssten entweder ebenso gründlich arbeiten wie Asylgerichte –
dann wäre ihre Schaffung nicht erforderlich – oder ihre Arbeit wäre mit Einbußen an
Richtigkeitsgewähr verbunden. Die Dauer des Verfahrens muss nicht davon abhängen,
ob ein Asylgericht oder ein Beschwerdeausschuss tätig wird. Kurz: nach unserem Eindruck könnten alle Aufgaben, die Beschwerdeausschüssen zugedacht sind, mit gleicher
Effektivität, aber höherer Qualität, von Asylgerichten wahrgenommen werden.
6. Anschlussverfahren
6.1. Abgrenzung der Problematik
Untersuchungsgegenstand ist hier, welchen Beitrag eine Beschleunigung behördlicher
und gerichtlicher Anschlussverfahren (Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte, Duldung, Feststellung von Abschiebungshindernissen etc.) zu einer Verkürzung des verfahrensbedingten Aufenthalts abgelehnter Asylsuchender leisten kann.
Nicht im Rahmen des Untersuchungsauftrages liegt die Prüfung, wie rein faktische
Probleme bei der Aufenthaltsbeendigung – die praktisch von großer Bedeutung sind –
bewältigt werden können, wie etwa
-
Verschleierung der Identität oder Nationalität,
-
(andere) Hindernisse bei der Beschaffung von Ausreisepapieren,
-
Aufgabe der Staatsangehörigkeit,
-
Verhinderung der Abschiebung durch Androhung oder Ausübung von Gewalt
während des Abschiebungsvorganges,
-
Weigerung von Staaten, ihre eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen,
-
faktisches Fehlen von Rückführungsrouten, z. B. wegen Schließung von Flughäfen,
-
76
Untertauchen.76
Es sei angemerkt, dass diese Probleme unabhängig davon bestehen können, ob zuvor ein Asylantrag
gestellt wurde. Sie sind also nicht von der Existenz eines Asylrechts abhängig, und es ist nicht ganz
zutreffend, sie als "Hauptprobleme des Asylverfahrens" zu bezeichnen (so etwa W. Bosbach, Ziele der
Zuwanderungspolitik: Humanität, Demographie, Ökonomie. Arbeitspapier v. 10.1.2001, S. 4 f. Vgl.
Anschlussverfahren
36
Im vorliegenden Zusammenhang geht es vielmehr um Verfahren, die ein abgelehnter
Asylsuchender einleiten kann, und zwar um Verfahren, die den Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung hinauszögern.
6.2. Arten der Anschlussverfahren
Anschlussverfahren wären überflüssig, wenn mit der rechtskräftigen Ablehnung des
Asylantrages feststünde, dass die betroffene Person abgeschoben werden kann. Sicherlich ist dies der Regelfall; es gibt jedoch eine Reihe von Umständen, die eine (sofortige)
Abschiebung rechtlich hindern können. Ein abgelehnter Asylbewerber kann
-
mittels eines Asyl-Folgeantrages neue Tatsachen oder Beweismittel vorbringen,
die seinem – bisher als unbegründet erachteten – Asylgesuch nunmehr zum Erfolg verhelfen könnten (§§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG),
-
eine Überprüfung der Entscheidung des Bundesamtes über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG beantragen,
-
mittels eines Antrags auf Duldung – etwa auf Krankheit oder Familienschutz
beruhende – inlandsbezogene Abschiebungshindernisse oder auch die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung geltend machen (§ 55 Abs. 2 AuslG, Art. 6
GG, Art. 8 EMRK), oder
-
eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen beantragen (§ 30 AuslG).
Alle diese Verfahren können von abgewiesenen Asylsuchenden unberechtigt genutzt
werden. In einer Reihe von Fällen erweisen sich die genannten Anschlussverfahren jedoch als notwendig.
6.2.1. Gründe für Anschlussverfahren
Ein Folgeantrag kann insbesondere dann begründet sein, wenn der Asylsuchende neue
exilpolitische Aktivitäten entwickelt hat oder wenn er zur Begründung seines Schutzge-
zum Ausmaß der Problematik auch J. Dahlkamp, Alias aus Angeblichstan, Der Spiegel 45/ 2000, zitiert nach http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,102231,00.html (19.12.2000).
Anschlussverfahren
37
suchs ein traumatisierendes Erlebnis vorträgt, über das er im ersten Verfahren noch
nicht zu sprechen imstande war.77
Allgemein kann der Asylsuchende das Bundesamt darum ersuchen, seine Entscheidung
über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG zu überprüfen, also etwa – auch ohne
neue Tatsachen vorzubringen – geltend machen, dass eine Foltergefahr bisher zu Unrecht noch nicht erkannt worden ist. Das Bundesamt hat in solchen Fällen nach seinem
Ermessen darüber zu entscheiden, ob es das Verfahren wiederaufgreifen will.78
Die Berechtigung dieser Möglichkeiten zur Korrektur getroffener Entscheidungen ergibt sich unter anderem auch aus der begrenzten Richtigkeitsgewähr des Asylverfahrens. Im Asylverfahren kommt es – wie in jedem Rechtsgebiet – in einer nicht genau
bekannten Häufigkeit zu Fehlentscheidungen.79 Die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen und die Bestandskraft von Verwaltungsakten dienen ganz allgemein dazu, Entscheidungen um des Rechtsfriedens willen auch dann Bestand zu verleihen, wenn sie,
gemessen am materiellen Recht, fehlerhaft sein sollten. Im Bereich des Asylrechts können freilich die Folgen einer Fehlentscheidung für die Personen, denen zu Unrecht
Schutz verweigert wird, existentielle Ausmaße annehmen. Ein Beispiel hierfür sind die
in neuerer Zeit dokumentierten Berichte, wonach türkische Kurden, die in den letzten
Jahren aus Deutschland in die Türkei abgeschoben wurden, in nicht geringer Anzahl
anschließend gefoltert worden seien.80
77
78
79
80
Siehe W. Treiber (Fn. 20) , S. 19-21.
BVerwG, Urt. v. 7.9.1999 - 1 C 6.99 -, InfAuslR 2000, S. 16 (17 f.); Urt. vom 21.3.2000 - 9 C 41.99.
Siehe dazu weiter VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.1.2000 - A 14 S 786/99 - , NVwZ-RR
2000, S. 261 f.; OVG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 24.1.2000 - 11 A 10006/00.OVG. – Dieser Gesichtspunkt ist kürzlich vom Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren betont worden, in dem die
Zurechnung des Anwaltsverschuldens bei der Versäumung einer Klagefrist im Asylverfahren damit
gerechtfertigt wurde, dass die betroffene Person, wenn irreparable Schäden drohen, beim Bundesamt
mit Aussicht auf Erfolg die Rücknahme einer bestandskräftigen ablehnenden Entscheidung über Abschiebungshindernisse beantragen könne (BVerfG, Beschl. v. 21.6.2000 – 2 BvR 1989/97).
G. Renner, selbst Asylrichter, sieht ein „weitverbreitetes Unbehagen über die Ergebnisse der Asylrechtsprechung“ (ZAR 1999, S. 206 [206]) bzw. eine „allenthalben vorhandene Ungewißheit über
Ausmaß und Gründe einer relativ hohen Fehlerquote im Asylverfahren“ (a.a.O. S. 216). Das Bundesverfassungsgericht stellt immer wieder schwerwiegende Rechtsanwendungsfehler im Asylverfahren
fest (Nachweise a.a.O. S. 212). – Renner weist auf das weitere Problem hin, dass es der im Hinblick
auf gruppenbezogene Gefahren oftmals sehr restriktiven Rechtsprechung gelegentlich auch an juristischer Überzeugungskraft mangelt (a.a.O. S. 210 f.), was ihre Akzeptanz beeinträchtigen kann. – Vgl.
auch die Aussage des heutigen Präsidenten des Bundesamtes Schmid, in Zukunft solle ernsthafter als
bisher geprüft werden, ob ein Flüchtling politisch verfolgt sei; früher habe es im Bundesamt quantitative Erwartungen, wie hoch die Anerkennungsquoten ausfallen durften, gegeben. So ein Interview in
der „Tageszeitung“ v. 9.2.2001, S. 4.
32 derartige Fälle werden geschildert in der Broschüre Pro Asyl / Förderverein Niedersächsischer
Flüchtlingsrat (Hrsg.), Von Deutschland in den türkischen Folterkeller, 2. Aufl. 2000.
Anschlussverfahren
38
Sicherlich kann ein Asylsystem nur funktionieren, wenn die Möglichkeit der Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen besteht; Rechtsdurchsetzung ist notwendiger Bestandteil des Rechtsstaats. Der Rechtsstaat verlangt aber nicht, dass der Begünstigte
einer Fehlentscheidung diese um jeden Preis durchsetzen muss. Die Verwaltung kann
auf die Vollstreckung einer gerichtlich – fehlerhafterweise – bestätigten Maßnahme
verzichten, wenn sie diese nachträglich als rechtswidrig erkennt. Ihre Lage ist insoweit
nicht anders als desjenigen, der vor Gericht eine in Wahrheit nicht bestehende Forderung erstritten hat, und nun auf die Vollstreckung des Urteils verzichtet. Wenn die Verwaltung in solchen Fällen – sei es auf die Initiative des Betroffenen, sei es auf Drängen
von Unterstützergruppen hin – eine Fehlentscheidung korrigiert, so liegt auch darin ein
Beitrag zu Rechtswahrung und –durchsetzung.81 Fehlerhafte Verwaltungsentscheidungen müssen nicht ad infinitum zur Disposition stehen, aber ihre Korrektur ist zulässig
und stellt nicht etwa ein Versagen des Rechtsstaats dar.
Des weiteren hat das Asylverfahren in seiner derzeitigen Ausgestaltung einen begrenzten Schutzumfang, insbesondere ist das Bundesamt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prüfung des § 53 AuslG nur für die zielstaatsbezogenen
Abschiebungshindernisse zuständig. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind
von der Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Der bzw.
die Betroffene kann insoweit etwa geltend machen, die Abschiebung könne vorübergehend wegen akuter Krankheit, ernsthafter Suizidgefahr oder Schwangerschaft nicht
durchgeführt werden.82 Es gibt aber auch Fälle, in denen der Asylsuchende eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung seines Rechts auf Privat- oder Familienleben (§ 53 Abs.
4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK) geltend machen kann.83 Schließlich kann er unbestrittenermaßen eine vorübergehende Duldung beantragen und erhalten, wenn die Abschiebung in sein Heimatland aus tatsächlichen Gründen – etwa wegen Einstellung des Flugverkehrs – zur Zeit nicht möglich ist. Die Duldung soll kein dauerhafter Aufenthalts-
81
82
83
Insofern können auch Gruppen, die etwa „Kirchenasyl“ gewähren, um die Korrektur von (mutmaßlichen) Fehlentscheidungen zu ermöglichen, sich mit einer gewissen Legitimation auf das Ziel der
Rechtsdurchsetzung berufen. Nach ihren eigenen Berechnungen führen ihre Aktivitäten in etwa 70
Prozent der Fälle zu einer Änderung der behördlichen Entscheidung. Vgl. D. Vogelskamp, Können
Kirchengemeinden Flüchtlinge schützen?, in: derselbe / W. Just, Zufluchtsort Kirche, 1996, S. 15-17.
Zur Auseinandersetzung über das Kirchenasyl auch die Beiträge in: Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asylpraxis Bd. 3, 2. Aufl. 1998.
Vgl. F. Schöndorf / J. Giese, Krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse, in: Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.), Asylpraxis Bd. 6, 2. Aufl. 2000, S. 99, 103 f. Zu der
Problematik traumatisierter Flüchtlinge, denen im Herkunftsstaat zwar keine neue Foltergefahr, aber
aus psychischen Gründen eine Retraumatisierung droht: W. Treiber (Fn. 20), S. 26 ff.
Vgl. dazu näher R. Göbel-Zimmermann, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1999, S. 336-342.
Anschlussverfahren
39
status sein; nach Ablauf einer gewissen Zeit kann ein solcher Flüchtling deshalb eine
Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen beantragen (§§ 30 Abs. 3, 4 AuslG).
6.2.2. Aufenthalt während eines Anschlussverfahrens
Anschlussverfahren werden häufig auch dann eingeleitet, wenn der Aufenthalt der betroffenen Person vorläufig ohnehin nicht – etwa aus einem der oben aufgezählten faktischen Gründe – beendet werden kann. Es findet eine Verlängerung des Aufenthaltes
statt, diese ist aber nicht verfahrensbedingt. Hat der abgewiesene Asylbewerber andererseits mit einem der bezeichneten Anträge bei der Behörde oder vor Gericht Erfolg, so
steht fest, dass er (vorläufig) nicht abgeschoben werden darf.
Unter dem Aspekt der Vermeidung unberechtigter, verfahrensbedingter Aufenthaltsverlängerungen ist somit zu untersuchen, ob und in welcher Weise ein abgewiesener
Asylbewerber durch die Stellung unbegründeter Anträge seinen Aufenthalt verlängern
kann.
Anträge auf Duldung oder Aufenthaltsbefugnis verschaffen der betroffenen Person kein
vorläufiges Aufenthaltsrecht. Mit der Stellung eines Folgeantrages erhält der Betroffene
zunächst nur die Möglichkeit zum weiteren Verbleib im Bundesgebiet, bis das Bundesamt über die Frage der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens entschieden hat.84
Die Ausländerbehörde kann nur zur sofortigen Abschiebung in den Herkunftsstaat
schreiten, wenn der Folgeantrag offensichtlich unschlüssig ist.85 Teilt das Bundesamt
der Ausländerbehörde mit, dass es kein weiteres Asylverfahren durchführen will, so
kann die Abschiebung vollzogen werden.
In all diesen Fällen kann die betroffene Person Rechtsschutz nur über einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erlangen. Auch ein solcher
Antrag verschafft kein Aufenthaltsrecht; das Gericht kann allerdings die Aussetzung der
Abschiebung anordnen. In der Zeit bis zur gerichtlichen Entscheidung besteht eine unsichere Lage. In den meisten Fällen haben sich Ausländerbehörden und Gerichte auf
„Stillhaltezusagen“ verständigt, wonach die Behörden zusichern, Abschiebungen wäh-
84
85
Siehe zum Ganzen § 71 Abs. 5 AsylVfG.
Einen etwas höheren Schutz gewährt die Stellung eines Folgeantrages, wenn die Vollziehbarkeit der
Abschiebungsandrohung des früheren Asylantrages schon seit mehr als zwei Jahren gegeben ist, § 71
Abs. 4 AsylVfG. Der Rechtsschutz orientiert sich dann an den Vorschriften über die Ablehnung eines
Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§§ 34-36 AsylVfG).
Anschlussverfahren
40
rend eines laufenden Eilverfahrens erst nach vorheriger Unterrichtung des Gerichts vorzunehmen. Auf diese Weise erhält das Gericht die Gelegenheit, besonders eilbedürftige
Fälle rechtzeitig zu entscheiden. Wird die Abschiebung allerdings in die Wege geleitet,
so kann es – um das Recht der betroffenen Person auf wirksamen Rechtsschutz nach
Art. 19 Abs. 4 zu wahren – zu einer gerichtlichen „Schiebeanordnung“kommen, mit der
der weitere Vollzug der Abschiebung bis zur Entscheidung über den Eilantrag ausgesetzt wird.86
Durch solche Abreden wird es in den meisten Fällen möglich sein, gleichzeitig die
weitere Vorbereitung der Abschiebung zu betreiben und die Erfordernisse eines wirksamen Rechtsschutzes zu beachten. Insofern hat die Person im allgemeinen nicht die
Möglichkeit, allein durch die Stellung unbegründeter Anträge ihre Abschiebung hinauszuzögern.
Folgeanträge, andere Schutzanträge und die dazugehörigen gerichtlichen Eilverfahren
werden, wenn sie unbegründet sind, normalerweise in sehr kurzer Frist erledigt. Wenn
gleichwohl eine Verkürzung der Dauer der gerichtlichen Eilverfahren angestrebt werden
sollte – verwertbare Zahlen über die Verfahrensdauer liegen nicht vor – dann würde es
sich anbieten, nach dem Muster des § 36 Abs. 3 AsylVfG eine einwöchige Entscheidungsfrist für Anträge abgelehnter Asylbewerber auf einstweiligen Rechtsschutz einzuführen.
6.3. Schutzanträge während des Abschiebungsvorgangs
Problematisch kann die Durchführung eines Anschlussverfahrens oder die Gewährung
gerichtlichen Rechtsschutzes allerdings werden, wenn ein Folgeantrag oder ein anderes
Schutzgesuch erst in letzter Minute nach Beginn des eigentlichen Abschiebungsvorgangs gestellt wird. Hier kann schon eine Verzögerung um wenige Stunden bedeuten,
dass die oft langfristig geplante und organisierte Abschiebung nicht durchgeführt werden kann, wenn das Ende des (Eil-) Verfahrens abgewartet wird.
Eine mögliche naheliegende Idee ist, der Ausländerbehörde die Befugnis einzuräumen,
einen Folgeantrag nach Beginn des Abschiebungsvorgangs als „offensichtlich unschlüssig“ im Sinne des § 71 Abs. 5 AsylVfG zu behandeln und die Abschiebung fortzuset-
86
Vgl. die Beschreibung bei G. Renner, Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Vortrag
Anschlussverfahren
41
zen.87 Eine solche Verfahrensweise würde der Ausländerbehörde einen Zeitgewinn
bringen, weil nicht mehr die Entscheidung des Bundesamts über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgewartet werden müsste. Sie würde allerdings die Stellung – und den möglichen Erfolg – eines Eilantrages bei Gericht nicht ausschließen.
Der Vorschlag verfolgt ein verständliches Anliegen, er erweckt allerdings unter dem
Gesichtspunkt der Richtigkeitsgewähr gewisse Bedenken. Es wurde bereits mehrfach
darauf hingewiesen, dass die Ausgestaltung des Asylverfahrens den besonderen Merkmalen und Bedürfnissen von Folteropfern und anderen traumatisierten Personen gerecht
werden muss. Gerade unter Folteropfern ist es ein immer wieder vorkommendes Verhalten, dass sie erst nach Ablehnung eines Asylantrages und Einleitung der Abschiebungsprozedur anfangen, über ihre Erlebnisse zu berichten.88 Bei drohender Foltergefahr muss die Abschiebung jedoch notfalls auch noch in letzter Minute gestoppt werden;89 es empfiehlt sich nicht, von diesem Prinzip abzugehen und zur Vermeidung unberechtigter Anträge – mag ihre Zahl auch groß sein – den Menschenwürdeschutz der
berechtigten Antragsteller zu beeinträchtigen.
Auch der gerichtliche Eilrechtsschutz kann während des Abschiebungsvorgangs nicht
ausgeschlossen werden. Die betroffene Person muss beispielsweise die Möglichkeit
haben, geltend zu machen, dass sie über einen Aufenthaltstitel verfügt, dass in ihrem
Fall eine positive Entscheidung über ein weiteres Asylverfahren gefallen ist oder der
Abschiebungsbehörde ein anderer Fehler unterlaufen ist.90
Die Stellung eines Eilantrages bei Gericht führt in diesem Verfahrensstadium anscheinend nicht immer zu einer Aussetzung der Abschiebung bis zur gerichtlichen Entscheidung; vielmehr prüfen die mit der Abschiebung befassten Behörden, ob der Antrag eine
gewisse Aussicht auf Erfolg hat, und setzen bei Verneinung dieser Frage die Abschiebung fort. In der Praxis hat somit der Betroffene es nicht in der Hand, durch substanzlose Anträge den Termin seiner Abschiebung hinauszuzögern.
87
88
89
90
im Migrationspolitischen Forum am 12.2.2001, Manuskript S. 7 f.
So etwa H. Hellstern, Praktische Probleme bei der Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen,
Vortrag im Migrationspolitischen Forum am 12.2.2001, Manuskript S. 7.
Sehr instruktiv dazu die Entscheidung des UN-Ausschusses gegen Folter v. 15.11.1994 (Khan ./. Kanada), Human Rights Law Journal 15 (1994), S. 426, insbes. Ziff. 12.3.
Vgl. R. Alleweldt, Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, 1996, S. 165 m.w.N.
Auf Irrtümern beruhende Abschiebungen sind in der Vergangenheit gelegentlich vorgekommen.
Anschlussverfahren
42
Zur Abmilderung der beschriebenen Probleme könnte man daran denken, Abschiebungen in einem zeitlichen Rahmen durchzuführen, der eine geordnete Bearbeitung eines
etwaigen Folgeantrags oder eines gerichtlichen Eilantrags sicherstellt.
6.4. Konzentration aller abschiebungsrelevanten Entscheidungen beim Bundesamt?
Die Möglichkeit unterschiedlicher Anschlussverfahren wirft die Frage auf, ob ein Zeitgewinn möglicherweise dadurch zu erzielen wäre, dass das Bundesamt im Rahmen des
Asylverfahrens nicht nur, wie bisher, über einzelne zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse, sondern über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung insgesamt entscheidet.
Dieser Vorschlag muss zunächst für diejenigen Anschlussverfahren scheitern, die gerade darauf beruhen, dass seit Unanfechtbarkeit der Bundesamtsentscheidung neue Entwicklungen eingetreten sind. Hierzu gehören nicht nur mögliche neue Asylgründe, sondern auch alle ihrer Natur nach nur vorübergehend bestehenden Hindernisse wie etwa
krankheitsbedingte Transportunfähigkeit. Das Asylfolgeverfahren müsste dann Gelegenheit bieten, alle nachträglichen Vollstreckungshindernisse geltend zu machen, die
bislang gegenüber der Ausländerbehörde vorzubringen waren: es ist nicht ersichtlich,
wie damit Zeit gewonnen werden könnte.
Letztlich erscheint die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene, an die Unterscheidung zwischen zielstaatsbezogenen und inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen anknüpfende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde zwar nicht als perfekt, auch nicht frei von Rechtsschutzdefiziten91, aber insgesamt doch als praktikabel. Insbesondere würde es sich möglicherweise im Hinblick
auf familienbezogene Abschiebungshindernisse empfehlen, ihre Prüfung in das Verfahren vor dem Bundesamt aufzunehmen. Ob dies freilich zu einer spürbaren Verfahrensverkürzung in einer nennenswerten Zahl von Verfahren führen würde, ist eine offene
Frage. Für die Vollstreckungsprobleme, die ihrer Natur nach nur vorübergehend sind,
erscheint die Ausländerbehörde wegen ihrer Ortsnähe besser geeignet zu sein.
Insgesamt ließe eine Änderung der Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde aller Voraussicht nach keine wesentlichen Zeitgewinne erwarten.
Anschlussverfahren
43
6.5. Schlussbemerkung
Es erweist sich, dass abgewiesene Asylsuchende nur wenige Möglichkeiten haben, allein durch die Einleitung unberechtigter Anschlussverfahren ihren Aufenthalt in nennenswertem Umfang zu verlängern. Eine Ausnahme hiervon stellt die Möglichkeit der
Stellung von Asylfolgeanträgen während des laufenden Abschiebungsvorgangs dar; sie
lässt sich aber unter dem Aspekt der Richtigkeitsgewähr und des Menschenwürdeschutzes nicht völlig vermeiden. Noch weniger vermeiden lässt sich die Einleitung berechtigter Anschlussverfahren; deren Vermeidung ist aber auch nicht erforderlich.
Insgesamt dürften die oben (6.1.) beschriebenen faktischen Probleme der Durchführung
aufenthaltsbeendender Maßnahmen, insbesondere bei der Beschaffung von Ausreisepapieren und auch bei der Aufklärung der Identität und Staatsangehörigkeit, diejenigen
Probleme sein, die in der Praxis in besonderem Maße aufenthaltsverlängernd wirken. Zu
einer fundierten Beurteilung dieser Frage wäre allerdings eine umfassende rechtstatsächliche Untersuchung erforderlich.
91
Sehr kritisch etwa H. Heinhold (Fn. 15), S. 102-107.
Teil 2:
44
Teil 2:
Welche zusätzlichen gesetzgeberischen oder administrativen Spielräume im Hinblick auf die Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen und die materiellen Voraussetzungen der Schutzgewährung ergäben sich, wenn das Grundrecht
auf Asyl (Art. 16 a Abs. 1 GG) in eine institutionelle Garantie umgewandelt würde? Bedürfte es zur Ergreifung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen im Asylverfahren und gerichtlichen Anschlussverfahren ggf. einer Einschränkung der
Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG? Welche verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben sind in diesem Zusammenhang zu
beachten?
1. Einleitende Überlegungen
Kern der verfassungspolitischen Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes mit
dem Ziel einer Vergrößerung der gesetzgeberischen und administrativen Spielräume ist
der Vorschlag einer Umwandlung der individualgrundrechtlich gefassten Asylgarantie
des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine Einrichtungsgarantie. Das Gutachten widmet sich zunächst den verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Implikationen einer derartigen Verfassungsänderung und untersucht die möglichen Auswirkungen einer Umstellung auf eine reine institutionelle Garantie, im Sinne der Vergrößerung der rechtspolitischen Handlungsspielräume. Eine derartige Änderung des Grundgesetzes hat jedoch unweigerlich Rückwirkungen auf das vernetzte Gefüge der Verfassung. Nicht nur
die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Abschaffung der Individualgarantie ist in den Blick zu nehmen, sondern auch die Rückkoppelungseffekte im Bereich
anderer Grundrechtsgarantien. Da sich das Asylgrundrecht inhaltlich teilweise mit den
Gewährleistungsgehalten anderer Grundrechte überlappt, kann ein Entfallen des Individualgrundrechtes auf Asyl ohne weiteres dazu führen, dass andere grundrechtliche Gewährleistungen, die bisher vom „starken“ Gewährleistungsgehalt des Asylrechts überlagert waren, auf einmal eine eigenständige Bedeutung entwickeln und partiell die Funktion des abgeschafften Asylgrundrechts übernehmen. Nur eine sorgfältige Analyse der
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
45
Gewährleistungsgehalte benachbarter Grundrechtsgarantien kann daher eine Abschätzung ermöglichen, welchen Gewinn an Handlungsspielräumen die vorgeschlagene
Umwandlung in eine Institutionelle Garantie tatsächlich erbrächte.
Nachgelagert ist sodann der Frage nachzugehen, ob die Änderung des Art. 16 a Abs. 1
GG ohne komplementäre Änderung des Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt einen Sinn ergibt,
oder ob nicht vielleicht eine Änderung der verfassungsrechtlichen Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes allein mehr Effekte erzielt als die lange Zeit im Vordergrund stehende Frage der Abschaffung des Individualgrundrechts auf Asyl. Auch hier bedarf es
eines Blickes auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die den Handlungsspielraum selbst des verfassungsändernden Gesetzgebers einschränken. Nur wenn man
die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Kautelen
bedenkt, kann man eine klare Vorstellung davon entwickeln, welche Effekte der Verfassungsgesetzgeber mit einer Änderung des Grundgesetzes überhaupt zu erzielen vermag.
Mit einer rein verfassungsrechtlichen Analyse kann es in Fragen der Asylgewährung
aber nicht sein Bewenden haben. Da es sich hier um einen stark durch völkerrechtliche
Normen geprägten Bereich handelt, bedarf es eines ergänzenden Blickes auf die insoweit einschlägigen völkerrechtlichen Vorgaben und Gewährleistungen, ergänzend auch
der europarechtlichen Rahmenregeln. Im Vordergrund stehen dabei die Genfer Flüchtlingskonvention und die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Erst
im Blick auf diese internationalen Vorgaben jeder Asylreform wird deutlich, wie eng
der Rahmen selbst für den Verfassungsgeber gesteckt ist.
2. Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
2.1. Umwandlung des Individualgrundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie
Am Beginn der Überlegungen hat – wie einleitend schon skizziert wurde – die Frage
nach einer möglichen Änderung des Grundgesetzes im Sinne einer Umwandlung der
individualgrundrechtlich gefassten Asylgarantie des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine Einrichtungsgarantie zu stehen. Bevor man sich den verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Implikationen einer derartigen Verfassungsänderung zuwendet, also
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
46
prüft, welche Rückwirkungen auf das Gefüge der Verfassung eine derartige Änderung
haben könnte und welche positiven Effekte man sich davon erwartet, bedarf es aber
einer Analyse der grundsätzlichen Zulässigkeit der diskutierten Änderung.
2.1.1. Die Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG
Zunächst ist deshalb zu untersuchen, ob eine Umwandlung des Individualgrundrechts
des Art. 16 a GG in eine institutionelle Garantie einen Verstoß gegen die Grenzen des
Art. 79 Abs. 3 GG darstellen könnte.1 In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere
die Frage, ob sich nicht der in Art. 16 a Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte subjektiv-öffentliche Anspruch auf Asyl gerade in seiner Ausgestaltung als status negativus
mit dem Kernbereich der Menschenrechts- und Menschenwürdegehalts deckt. Wäre
dies der Fall, so könnte es zur Folge haben, dass Art. 16 a Abs. 1 GG am Unantastbarkeitsgebot des Art. 1 GG partizipierte.2
Indem Art. 79 Abs. 3 GG festlegt, dass Verfassungsänderungen, durch welche die in
Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig sind, entzieht diese sogen. „Ewigkeitsgarantie“ der Verfassung einen bestimmten normativen
Kernbestand des Grundgesetzes dem Zugriff auch des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die Bindung der verfassungsändernden Gesetzgebung an die Grundrechte besteht
damit im Rahmen - aber auch nur im Rahmen - des Art. 79 Abs. 3 GG.3 Der so dem
verfassungspolitischen Wandel entzogene änderungsfeste Kern der Verfassung darf
allerdings nicht überdehnt werden. So ist etwa der teilweise in der Literatur vertretenen
Ansicht, die in Art. 19 Abs. 2 GG enthaltene Wesengehaltsgarantie gelte auch gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber, unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 3 GG4 sowie des systematischen Zusammenhangs von Art.
19 Abs. 2 GG mit Art. 19 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 3 GG, die beide anerkannterma-
1
2
3
4
Vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 3 ausführlich A. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf
Asyl, 1994, S. 233 ff.
Diese Bedenken äußerte auch der Finanzausschusses des Bundesrates im Jahre 1992 gegenüber einem
Gesetzesentwurf des Landes Bayern, demzufolge das Individualgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG
a.F. in eine lediglich institutionelle Garantie umgewandelt werden sollte, BRat-Drs. 627/92 vom 18.
September 1992, S. 8 f. Durch Beschluss des Bundesrates vom 25. September 1992 wurde der entsprechende Gesetzesentwurf daraufhin nicht beim Bundestag eingebracht.
BVerfGE 30, 1 (26 ff.); C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 1 Rdnr. 192.
Vgl. hierzu A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 236 f.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
47
ßen nur den einfachen Gesetzgeber beschränken,5 nicht zu folgen.6 Die Antastung des
Wesensgehalts eines Grundrechts kann allenfalls als Indiz dafür gewertet werden, dass
der – unstreitig der Änderung entzogene - Menschenwürdekern eines Grundrechts berührt wird.7
Unter den von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbestand der Verfassung fällt nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht nur der in Art. 1
Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde.
Auch das in Art. 1 Abs. 2 GG enthaltene Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit erlangt insoweit Bedeutung. In Verbindung mit der in Art. 1
Abs. 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit einer Einschränkung grundsätzlich entzogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar
sind.8 Ebenso sind grundlegende Elemente des Rechts- und des Sozialstaatsprinzips
zwingend zu achten, die in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG zum Ausdruck kommen.9 Bei
alledem verlangt Art. 79 Abs. 3 GG jedoch nur, dass die genannten Grundsätze nicht
berührt werden. Er hindert den verfassungsändernden Gesetzgeber dagegen nicht daran,
die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren.10
Aus Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG könnte sich also im Hinblick auf Art. 16 a
Abs. 1 GG nur dann eine Grenze für den verfassungsändernden Gesetzgeber ergeben,
wenn dem Asylrecht für politisch Verfolgte ein Menschenwürdekern zuzusprechen wäre. Weiterhin müsste dieser dem Asylgrundrecht innewohnende Menschenwürdekern
dann auch von einer Umwandlung des Individualgrundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG in
eine institutionelle Garantie betroffen sein.
Zunächst ist somit der Frage nachzugehen, inwieweit das Grundrecht auf Asyl einen
Menschenwürdekern aufweist. Als Ausgangspunkt hierfür bietet sich die immer wieder
5
6
7
8
9
Vgl. zu Art. 19 Abs. 1 GG R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 14. Zu Art. 1 Abs. 3
GG siehe C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 1 Rdnr. 192.
Anderer Ansicht ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung BVerwGE 47, 331 (357)
unter Bezugnahme auf die von Günter Dürig vertretene Auffassung, dass jedem Grundrecht der Art. 2
ff. GG ein Menschenwürdekern innewohnt; siehe hierzu G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79
Rdnr. 42.
H.-U. Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Rdnr. 174.
BVerfGE 94, 49 (102 f.).
BVerfGE 94, 49 (103).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
48
in diesem Zusammenhang zitierte Bemerkung von Günter Dürig in seiner Kommentierung zu Art. 79 GG an, wo er die Ansicht vertrat, dass allen Grundrechten der Art. 2 ff.
GG ein Menschenwürdekern innewohnt:
„Obwohl die dem Art. 1 GG nachfolgenden Grundrechte in Art. 79 Abs. 3 nicht genannt sind, ist
zu beachten, daß jedes dieser Einzelgrundrechte einen unantastbaren Menschenrechtsgehalt =
Menschenwürdegehalt besitzt.“11
Ob diese Behauptung in ihrer Pauschalität so ganz richtig ist, wird allerdings mit guten
Gründen angezweifelt. Man muss nur an die Beispiele des Petitionsrecht des Art. 17
GG oder auch des Rechts aus Art. 7 Abs. 4 GG denken, denen ersichtlich kein Menschenwürdekern inhärent sein kann, um festzustellen, dass sich diese These in ihrer Allgemeinheit so nicht aufrecht erhalten lässt.12 Einwenden kann man gegen die Annahme
eines Menschenwürdekerns bei jedem Grundrecht auch, dass in der Konsequenz alle
Bürgerrechte damit in dem von dem Menschenwürdegehalt bestimmten Kern zu Menschenrechten würden, mit der Folge, dass sich auf diese Rechte auch Ausländer berufen
könnten, trotz ihrer ursprünglichen Ausgestaltung als „Deutschengrundrechte“. Nichts
gegen die Erstreckung der „Deutschengrundrechte“ auf Ausländer – nach der EMRK
sind die meisten dieser Gewährleistungen sowieso menschenrechtlich garantiert, also
unabhängig von der Staatsangehörigkeit zu gewährleisten. Nur kann man aus der vom
Verfassungsgeber 1949 getroffenen Differenzierung ableiten, dass zumindest in der
ursprünglichen Konzeption die Grundrechte der Art. 1-19 GG nicht unbedingt als (quasi
deklaratorischer) Ausfluss der Menschenwürde, sondern zumindest in Teilen als positive Gewährleistung zugunsten eines nur eingeschränkten Kreises von Begünstigten verstanden wurden. Eine Ausdehnung des Schutzbereichs der Bürgerrechte, wie sie mit
dem Verständnis als Konkretisierung des Schutzes der Menschenwürde verbunden wäre, würde eine entsprechende vom Verfassungsgeber nicht intendierte Regelungslücke
voraussetzen.13 Angesichts der Tatsache, dass der Schutzbereich der Bürgerrechte für
Ausländer grundsätzlich über das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet
wird,14 ist das Vorliegen einer solchen Regelungslücke aber zu verneinen.
Wie ist dann aber der eventuelle Menschenwürdekern des Grundrechts nach Art. 16 a
Abs.1 GG zu ermitteln? In der Konsequenz der vorstehenden Ausführungen wird man
10
11
12
13
14
BVerfGE 94, 49 (103) unter Verweis auf BVerfGE 84, 90 (120 f.).
G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 42 unter Bezugnahme auf die Kommentierung bei Art.
1 Rdnr. 79 ff. Hervorhebungen im Original.
Vgl. ausführlich hierzu A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 239 f.
T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, S. 182.
BVerfGE 35, 382 (399).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
49
den Gewährleistungsgehalt jedes einzelnen Grundrechts auf seinen Menschenwürdekern
abzuklopfen haben. Unter Menschenwürde im Sinne des Grundgesetzes versteht das
Bundesverfassungsgericht dabei den unverzichtbaren Eigenwert einer Person, die jedem
Menschen schon aufgrund seines Menschseins zukommt.15 Seinen Ausdruck findet dieser Eigenwert jedes Menschen in dem Wert- und Achtungsanspruch, der ihm um seinetwillen auch gegenüber der staatlichen Gemeinschaft zukommt und der auch gegenüber bestimmten Zugriffen des Staates und der Gesellschaft unverrückbare Grenzen
setzt.16 Wegweisend für ein solches Verständnis der Menschenwürde ist die von Günter
Dürig geprägte und im Laufe der Jahre geradezu kanonisierte17 Objektformel, derzufolge es der menschlichen Würde widerspricht, wenn der konkrete Mensch „zum Objekt,
zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“.18 Die Grenzen,
an die ein Versuch einer generell-abstrakten Definition eines so von den jeweils herrschenden Wertvorstellungen geprägten Begriffs wie dem der Menschenwürde stoßen
muss, sind offensichtlich. Dieser Einsicht folgend stellte auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil betreffend die Überwachung des Brief- und Postverkehrs fest,
es könne nicht generell festgestellt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt. Vielmehr müsse eine solche Feststellung stets in
Ansehung der Umstände des konkreten Falles getroffen werden.19 Im Kern ist dies sicherlich richtig, wenn es auch einer gewissen Generalisierung bzw. Pauschalierung der
Befunde bedarf. Gerade im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 1 Abs. 1
GG, der seine Existenz den Erfahrungen mit dem menschenverachtenden Diktatur der
Nationalsozialisten verdankt,20 verlangt ein effektiver Grundrechtsschutz – wenn auch
keine umfassende positive Definition – dann doch zumindest konkrete Angaben, in
welchen konkreten Fallgruppen eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt.21
15
16
17
18
19
20
21
Vgl. aus der umfangreichen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts exemplarisch BVerfGE 5, 85
(204); 12, 45 (51); 21, 362 (369, 371); 48, 127 (161).
BayVerfGH 11, 164 (181); 14, 49 (57); 29, 38 (42).
W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr. 13; W. Graf Vitzhum, JZ 1985, S. 201 (202).
G. Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 28, 34. Vgl. auch BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198
(205); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 30, 1 (26); 74, 102 (122).
BVerfGE 30, 1 (25).
Vgl. hierzu C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 1 Rdnr. 9.
Vgl. hierzu das Kontrollratsgesetz Nr. 10, wonach beispielhaft Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung und Folter als Verletzungen der Menschenwürde angesehen wurden.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
50
2.1.2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG
Im Schrifttum war die Frage, ob dem Grundrecht auf Asyl ein Menschenwürdekern
innewohnt, stets umstritten.22 Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zeigt insofern kein einheitliches Bild. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1989 führte
das Gericht zur Bestimmung des Begriffs „politisch Verfolgter“ in Art. 16 Abs. 2 S. 2
GG a.F. noch aus, dem Asylgrundrecht liege die von der Achtung der Unverletzlichkeit
der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde, dass kein Staat das Recht habe,
Leib, Leben oder persönliche Freiheit aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die
allein in der politischen Überzeugung, in der religiösen Grundentscheidung oder in unverfügbaren Merkmalen lägen.23
In seiner ersten Entscheidung zum neuen Art. 16 a GG vom 14. Mai 199624 lehnte das
Bundesverfassungsgericht es jedoch ab, aus den oben zitierten Äußerungen den Schluss
zu ziehen, dass das Asylgrundrecht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG
gehöre. Was dessen Gewährleistungsinhalt sei und welche Folgerungen sich hieraus für
die deutsche Staatsgewalt ergäben, sei vielmehr eigenständig zu bestimmen. Aufbauend
auf dieser Annahme gelangte das Gericht zu der Ansicht, dass das Grundrecht auf Asyl
- wie grundsätzlich jede Bestimmung der Verfassung - zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers gemäß Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG stehe.25 Die dem verfassungsändernden Gesetzgeber durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogene Grenze, werde nicht dadurch
verletzt, dass Ausländern Schutz vor politischer Verfolgung nicht durch eine grundrechtliche Gewährleistung geboten werde. Der Menschenwürdekern könne auch auf
andere Weise geschützt werden. Resümierend stellt das Gericht fest, der verfassungsändernde Gesetzgeber sei mithin nicht gehindert, das Asylgrundrecht als solches aufzuheben.26
22
23
24
25
26
Zu den Befürwortern dieser These siehe exemplarisch R. Rothkegel, ZRP 1992, S. 222 (227); A.
Bleckmann, Verfassungsrechtliche Probleme einer Beschränkung des Asylrechts, 1992, S. 59; C.
Bierwirth / R. Göbel-Zimmermann, ZRP 1992, S. 470 (472); A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 252 ff.
m.w.N. auf S. 254, Fn. 121; K.-E. Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 242.
Einen solchen Menschenwürdekern verneinen dagegen z.B. R. Steinberg, Anhörung Gemeinsame
Verfassungskommission, Sten. Prot. der 55. Sitzung des Innenausschusses, der 71. Sitzung des
Rechtsausschusses und der 8. Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 357 (364); K.
Hailbronner, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 16
und 18), BT-Drs. 12/4152, ebenda S. 279 (287 ff.); H.-J. Papier, Der Staat 1988, S. 33 (34 ff.); B. Even, Die Bedeutung der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG für die Grundrechte, 1988, S.
221 f. Weitere Nachweise bei A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 254 f. in Fn. 121.
BVerfGE 80, 315 (333). Vgl. auch schon BVerfGE 54, 341 (357); 76, 143 (157 f.).
BVerfGE 94, 49 ff.
BVerfGE 94, (103).
BVerfGE 94, (104).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
51
Diese Argumentation, die zwischen Menschenwürdegehalt des Grundrechts einerseits
und der konkreten Grundrechtsnorm andererseits differenziert und somit folgerichtig zu
dem Ergebnis kommt, dass die Norm des Art. 16 a GG gänzlich abgeschafft werden
könnte, sofern nur an anderer Stelle das für eine menschenwürdige Rechtsordnung unverzichtbare Minimum an Schutz für Asylsuchende irgendwie garantiert werde, ist nicht
unproblematisch. Ob das Bundesverfassungsgericht ihr in der scheinbar logischen Konsequenz auch im Falle der anderen zwischen Art. 1 GG und Art. 20 GG verorteten
Grundrechte folgen würde, erscheint als zumindest fragwürdig. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht sich jedenfalls nicht scheut, in seinem im gleichen Band der amtlichen Entscheidungssammlung veröffentlichten Urteil betreffend die
Enteignungen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone explizit festzustellen,
dass jedenfalls Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG in ihrem Kernbereich über das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) und die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt seien,27 drängt sich die Frage auf, was diese beiden Grundrechte in diesem Zusammenhang vom Grundrecht auf Asyl unterscheiden könnte. Schließlich lässt sich als
Ausgangspunkt unschwer die Behauptung aufstellen, dass eine politische Verfolgungssituation im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG generell dadurch gekennzeichnet sei, dass
ein Staat an unverfügbare Merkmale des Einzelnen anknüpfend, die sein Anderssein
prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die den einzelnen Betroffenen28 durch ihre
Intensität aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.29
Der Unterschied zu den klassischen Grundrechten liegt einzig darin, dass der Betroffene
hier nicht vor dem gezielten und unmittelbaren Zugriff des deutschen Staates auf seine
sicherlich eng mit der Menschenwürde verkoppelten personalen Rechte geschützt werden soll, sondern nur vor der mittelbaren Beeinträchtigung seiner elementaren Grundrechte, deren Verletzung der deutsche Staat bei Durchführung aufenthaltsbeendender
Maßnahmen sehenden Auges in Kauf nehmen würde.
Angesichts der Tatsache, dass in Abkehr vom klassischen Eingriffsbegriff unter dem
Grundgesetz an der Unmittelbarkeit als Eingriffskriterium nicht mehr festgehalten
wird,30 reicht diese Mittelbarkeit der Beeinträchtigung der Menschenwürde indes nicht
27
28
29
30
BVerfGE 94, 12 (34) unter Verweis auf BVerfGE 84, 90 (120 f.).
Vgl. zur Rechtsfigur der Gruppenverfolgung das Jeziden-Urteil des Bundesverfassungsgerichts,
BVerfGE 83, 216 (231).
A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 246 f.
BVerfGE 6, 55 (82); 13, 230 (232 f.); H.-U. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der
Grundrechte, 1970.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
52
mehr aus, die – inhaltlich zwar nicht gewollte, faktisch u.U. jedoch unvermeidbare –
Teilnahme an der politischen Verfolgung von der Menschenwürdegarantie des Art. 1
Abs. 1 GG definitorisch abzukoppeln.31 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a.F. vom
10. Juli 1989,32 als es zum typischen Verstoß gegen die Menschenwürde im Kontext des
Asyls ausführte:
„Allgemein liegt dem Asylgrundrecht die von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde, daß kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner
politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren
Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen.“33
Die These, dass politische Verfolgung grundsätzlich zugleich eine Menschenrechtsverletzung (und meist auch eine Beeinträchtigung der Menschenwürde) durch den Verfolgerstaat darstellt, findet ihre Bestätigung in den oben dargestellten Definitionsansätzen
zum Menschenwürdebegriff und wurde vom Bundesverfassungsgericht auch in seiner
ersten Entscheidung zu Art. 16 a Abs. 1 GG34 nicht in Abrede gestellt.
Selbst wenn jedoch man einen Menschenwürdegehalt des Asylgrundrechts bejaht, so ist
damit die eigentliche Frage immer noch nicht beantwortet. Kern des Problems ist nämlich die Frage, ob der Menschenwürdekern des Asylrechts tatsächlich den Schutz vor
politischer Verfolgung in Form eines Individualgrundrechts verlangt. Die Feststellung
eines Menschenwürdekerns des Asylrechts und die Bedingtheit der Konkretisierung von
Mindeststandards widersprechen einander nicht.35 Die Annahme eines Menschenwürdekerns allein enthält noch keine Aussage darüber, welche materiellen Mindestfolgen
hieraus abzuleiten sind. Ganz konkret stellt sich damit die Frage, ob die Achtung der
Menschenwürde des Asylsuchenden nicht auch dann gesichert wäre, wenn über sein
Asylbegehren allein nach Maßgabe einer institutionellen Garantie des Asylrechts zu
entscheiden wäre. In diesem Zusammenhang muss erneut hervorgehoben werden, dass
sich auch mit der Annahme eines Menschenwürdekerns des Grundrechts auf Asyl nur
ein Kernbereichsschutz begründen lässt. Dass die Ausgestaltung des Asylrechts als Individualgrundrecht zu diesem Kernbereich gehört, ist indes nicht ersichtlich. Zum einen
existiert ein subjektives Recht auf einfach-gesetzlicher Ebene, wo § 51 Abs. 1 und § 53
31
32
33
34
Hierzu ausführlich unten unter 1.2.1. Vgl. auch zusammenfassend H. Bethge, Der Grundrechtseingriff, VVDStRL Bd. 57 (1998), S. 10 ff.
BVerfGE 80, 315 ff.
BVerfGE 80, 315 (333) unter Verweis auf BVerfGE 76, 143 (157 f.).
BVerfGE 94, 49 ff.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
53
AuslG dem Ausländer eine relative Schutzposition gewähren (vgl. § 50 Abs. 3 AuslG),
die ihn davor bewahrt, in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem sein Leben oder
seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Zum anderen hindert die Umwandlung des Individualgrundrechts aus Art. 16 a
Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie ausländische Flüchtlinge nicht daran, sich im
Hinblick auf ihre Zurückweisung oder Abschiebung auf Art. 1 Abs. 1 GG zu berufen.
Sie allein verkürzt somit den Menschenwürdeschutz nicht. Schließlich ist auch das
Rechtsinstitut der institutionellen Garantie nicht bloß „leere Hülle“. Auch ein in eine
institutionelle Garantie umgewandelter Art. 16 a Abs. 1 GG würde inhaltliche, organisatorische und verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der institutionellen Garantie „Asyl“ stellen.
Erstes Ergebnis: Eine Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie ist mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar und tangiert auch nicht die von Art. 79 Abs. 3
GG aufgestellten Grenzen für den verfassungsändernden Gesetzgeber.
Verfassungsrechtliche Konsequenz der Umwandlung in eine Einrichtungsgarantie wäre
zunächst nur der Verlust der mit der Rechtsfigur des Individualgrundrechts verbundenen verfassungsrechtlichen Individualrechtspositionen. Konkret würde sich aus Art. 16
a Abs. 1 GG kein Anknüpfungspunkt mehr für die Überprüfung der Einzelfallentscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Verwaltungsgerichte im Verfassungsbeschwerdeverfahren am Maßstab des Art. 16 a Abs. 1
GG ergeben, also keine Möglichkeit der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Asyls. Allenfalls gesetzgeberische Maßnahmen, die
zu einer völligen Entleerung des Asylrechts führen würden, könnten auch unter Geltung
der Einrichtungsgarantie noch Gegenstand zulässiger Verfassungsbeschwerdeverfahren
aus Art. 16 a Abs. 1 GG (evtl. i.V. mit Art. 2 Abs. 1 GG) sein.36
35
36
K.-E. Hain, (Fn. 22), S. 242.
Vgl. hierzu ausführlich K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S.
853 ff.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
54
2.2. Auffangfunktion anderer Grundrechte
Unabhängig von dem bislang durch das Individualgrundrecht auf Asyl aus Art. 16 a
Abs. 1 GG eröffneten Rechtsweg gegen die Versagung des Asyls könnte allerdings auch
im Falle einer Umwandlung von Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie der
gleiche aufenthaltsverlängernde Effekt durch eine Berufung auf andere Grundrechte
erzielt werden.
Die Ausweisung einer Person, der im Ausland Todesstrafe, Folter oder andere körperliche Misshandlungen drohen, ist nicht nur nach der einfachgesetzlichen Rechtslage unzulässig.37 Ein Ausweisungsverbot könnte sich auch ohne den bislang durch Art. 16 a
GG gewährleisteten Schutz unmittelbar aus anderen Grundrechten des Grundgesetzes
ergeben. Als Anknüpfungspunkt für einen solchen Grundrechtsschutz kommen insbesondere Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht.38
2.2.1. Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
Die staatliche Schutzpflicht für das Leben ist „umfassend“.39 Angesichts des vom Bundesverfassungsgericht konstatierten „Höchstwerts“40 des Rechtsguts Leben legt Art. 2
Abs. 2 S. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG dem Staat die Verpflichtung auf, sich
schützend und fördernd vor jedes Leben zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen
von Seiten anderer zu bewahren.41 Für die körperliche Unversehrtheit gelten dieselben
Gesichtspunkte, nur dass die Intensität des Schutzes in Relation zur Intensität des Eingriffs geringer sein kann.42 Der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG kann in
diesem Zusammenhang nicht mehr beliebig ausgefüllt werden. Angesichts der anerkannten Höchstrangigkeit des menschlichen Lebens darf die Schutzverpflichtung des
37
38
39
40
41
42
Vgl. hierzu § 53 Abs. 1 AuslG (Abschiebungsverbot bei drohender Folter), § 53 Abs. 2 AuslG (Abschiebungsverbot bei drohender Todesstrafe); § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK sowie § 8 IRG.
Sonstige erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben sind im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, § 53 Abs. 6 AuslG.
Zur Abgrenzung von Art. 102 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in diesem Zusammenhang vgl. ausführlich H. Albert, Das Grundrecht auf Leben als Schranke für aufenthaltsbeendende Maßnahmen, 1989,
S. 25 ff.
BVerfGE 46, 160 (164).
BVerfGE 46, 160 (164).
BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164).
D. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 189.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
55
Staates nur noch dort eingeschränkt werden, wo ein anderes höchstrangiges Rechtsgut
dies gebietet.43
Zunächst stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Grundrechtseingriff
durch einen Hoheitsträger auch bei Tatbeständen mit Auslandsbezug vorliegen kann.
Dies wäre dann zu verneinen, wenn keine tatbestandliche Eingriffswirkung solcher lediglich mittelbarer Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen anzunehmen
wäre, insbesondere wenn sich die Wirkung der grundgesetzlichen Garantien auf das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkte.44 Doch kann man hierzu gleich
konstatieren, dass in Abkehr vom klassischen Eingriffsbegriff unter dem Grundgesetz
an der Unmittelbarkeit als Eingriffskriterium nicht mehr festgehalten wird.45 Auch eine
mittelbare Folge des Verhaltens der deutschen öffentlichen Gewalt kann als tatsächliche
Beeinträchtigung unter den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fallen, soweit das
Verhalten für die Beeinträchtigung ursächlich ist und der öffentlichen Gewalt zuzurechnen bleibt.46 So hat etwa das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Auslieferungsverfahren klargestellt, dass die „unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung“ zu beachten seien und dass der Staat deshalb daran gehindert seien, an einer Auslieferung mitzuwirken, wenn dem Verfolgten im Ausland eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafe drohe.47 Grundrechtsrelevant im Sinne des
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind eben nicht die von Dritten im Ausland begangenen Lebensbzw. Gesundheitsverletzungen, sondern das eigene Verhalten der Hoheitsträger des
Bundes, durch die der Betroffene im Ausland den beschriebenen Rechtsgutverletzungen
zugeführt wird.48 Ob eine konkrete Auswirkung staatlichen Handelns erst im Ausland
oder bereits im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes eintritt, ist jedenfalls
unerheblich: Art. 1 Abs. 3 GG bindet die inländische Staatsgewalt an „die nachfolgenden Grundrechte“, ohne zu differenzieren, ob die Wirkungen eines Grundrechtsverstoßes im In- oder Ausland eintreten.49 Die Grundrechtsbindung deutscher Staatsgewalt
43
44
45
46
47
48
49
H. Albert, (Fn. 38), S. 74.
Diese Ansicht vertritt K. Hailbronner, JZ 1995, S. 127 (137): „Das Dazwischentreten staatlicher Souveränität unterbricht den Verantwortungszusammenhang“.
BVerfGE 6, 55 (82); 13, 230 (232 f.); H.-U. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der
Grundrechte, 1970.
BVerfG, NJW 1984, S. 601 (602):
BVerfG, NJW 1987, S. 2155 (2157).
D. Lorenz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, in: J. Isensee / P. Kirchhof, Handbuch
des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, § 128 Rdnr. 27.
BVerfGE 57, 9 (23); vgl. auch BVerfGE 6, 290 (295); 51, 1 (22); 75, 1 (1); BVerfG (K), NVwZ
1995, S. 781 (782).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
56
„endet“ nicht an der Staatsgrenze. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verbietet tatbestandliches Handeln um seiner Folgen willen, unabhängig davon, ob diese sich noch auf deutschem
Staatsgebiet einstellen oder erst jenseits der Grenzen. Die gesamte deutsche Staatsgewalt ist also grundsätzlich überall dort gebunden, wo sie tätig wird oder wo sie sich
auswirkt.50
Problematisch ist in diesem Zusammenhang allenfalls, welche Anforderungen im Hinblick auf die erforderlichen Kriterien der Kausalität und der Zurechenbarkeit an die
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen sind. Dass nicht nur konkrete Eingriffe in Grundrechtspositionen, sondern auch bloße Grundrechtsgefährdungen zu nicht
zu rechtfertigenden Grundrechtseingriffen führen können, steht aus Gründen der Effektivität des Grundrechtsschutzes außer Frage. In ihrer Funktion als Abwehrrechte sollen
Grundrechte Eingriffe in die Integrität der Schutzgegenstände von vornherein ausschließen.51 Entscheidend ist insofern lediglich, dass sich die Möglichkeit des Eintritts
der Störung bereits in einem der Bedeutung des bedrohten Schutzgegenstandes und dem
Gewicht der Störung entsprechenden Maße verdichtet hat.52 Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend im Hinblick auf die mit der friedlichen Nutzung von Kernenergie verbundenen Gefahren in seiner Kalkar-Entscheidung festgestellt, dass „bereits
die entfernte Wahrscheinlichkeit“ eines Schadenseintrittes für die genannten Rechtsgüter genügen müsse, um eine konkrete Schutzpflicht auszulösen.53 Als Grenzmarke hat
das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang den Begriff des hinzunehmenden „Restrisikos“ geprägt: Diesem Restrisiko sollen Situationen unterfallen, in denen es
„nach dem Stand von Wissenschaft und Praxis praktisch ausgeschlossen ist, daß ...
Schadensereignisse eintreten.“54
Ist eine Ausweisung in diesem Sinne mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit kausal für
die Tötung bzw. körperliche Schädigung eines Menschen, ist es somit der deutschen
Staatsgewalt durch die Grundentscheidung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG untersagt, an die-
50
51
52
53
54
P. Kunig, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. I, Art. 1 Rdnr. 53; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr.
79; B. Pieroth / B. Schlink, Menschenwürde und Rechtsschutz bei der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Asyl, in: FS für E. G. Mahrenholz, 1994, S. 669 (673); K. Stern, Das Staatsrecht der
Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 1230.
M. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rdnr. 95.
M. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rdnr. 95; P. Kunig, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. I, Art. 2 Rdnr.
68. Vgl. aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 51, 324 (346 f.); 52, 214 (220);
66, 39 (58); 77, 170 (220); BVerfG, NJW 1991, S. 3207; NJW 1998, S. 975 (976).
BVerfGE 49, 89 (142).
BVerfGE 53, 30 (59) – Mülheim-Kärlich mit Hinweis auf BVerfGE 49, 89 (140 ff.) – Kalkar.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
57
ser Rechtsgutverletzung mitzuwirken.55 Diese Bewertung hat der Gesetzgeber im übrigen nunmehr auch in § 8 IRG56 anerkannt und zur Grundlage der Regeln der Rechtshilfe in Strafsachen gemacht. Zu Recht ist deshalb auch das Bundesverfassungsgericht von
seiner ursprünglichen Billigung der Auslieferung in diesen Fällen57 abgerückt58 und
nutzt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG jetzt – ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht – zu einer
verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG.59 Hiernach kann das
Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Ermessensreduzierung bewirken, die im Einzelfall jede andere Entscheidung als die, den Ausländer nicht abzuschieben, zu einer
Grundrechtsverletzung abstempeln würde.60
2.2.2. Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG
Neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist für die Beurteilung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch das Grundrecht auf Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG maßgeblich.
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG untersagt es der deutschen Staatsgewalt, aufenthaltsbeendende
Maßnahmen durchzuführen, durch die Eingriffe in das Grundrecht der Betroffenen auf
Leben bzw. körperliche Integrität ausgelöst werden.61 In dem Maße, in dem diese
Rechtsgutsverletzungen als grausame oder erniedrigende Behandlung und damit als
Verletzung der Menschenwürde zu charakterisieren sind, steht auch Art. 1 Abs. 1 GG
der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entgegen. Die damit bewerkstelligte Auslandswirkung des Grundrechts steht dieser Konstruktion des Schutzbereiches nicht entgegen
– es gelten vielmehr die zum Problem der Grundrechtsbindung der deutschen öffentlichen Gewalt bei Wirkungen ihrer Tätigkeit im Ausland entwickelten Grundsätze.62
55
56
57
58
59
60
61
62
D. Lorenz, (Fn. 48), Rdnr. 27; T. Vogler, Auslieferung und Grundgesetz, 1970, S. 188 ff.; OVG Hamburg, DÖV 1986, S. 614; OVG Münster, NJW 1986, S. 2206 f.; G. Frankenberg, JZ 1986, S. 414
(416); J. A. Frowein / R. Kühner, ZaöRV 43 (1983), S. 537 (564).
Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. Dezember 1982, BGBl. I, S.
2071.
BVerfGE 18, 112 (116 ff.).
BVerfGE 75, 1 (16); 60, 348 (354); vgl. auch BVerfGE 63, 197 (208 ff.).
BVerfG, NVwZ 1992, S. 660; BVerfG (K), NVwZ 1995, S. 781 (782 f.). BVerwG NVwZ 1996, S.
199f.; NVwZ 1996, S. 476 ff.; NVwZ-Beil. 1996, S. 58 f.; NVwZ-Beil. 1996, S. 89 (90); NVwZ
1997, S. 685 (687 f.); vgl. auch OVG NRW, VBlNW 1994, S. 1978; VGH BW, DVBl. 1994, S. 69
(Ls.); VG Frankfurt, NVwZ-Beil. 1993, S. 7. Zustimmend z.B. F. Bethäuser, ZAR 1996, S. 12 (17 f.);
J. Niewerth, NVwZ 1997, S. 228 ff.; ablehnend K. Hailbronner, JZ 1995, S. 127 (137).
Vgl. hierzu H.-J. Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen,
1993, S. 425; R. Marx, ZAR 1991, S. 125 (128).
Siehe oben Fn. 55.
Vgl. oben unter 1.2.1.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
58
Der im Gefolge unmittelbar durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz vor Zurückweisung oder Abschiebung in einen Verfolgerstaat bzw. einen unsicheren Drittstaat
wird auch in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend anerkannt.63 Schon im Jahr
1987 hat das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Pflichten deutscher Hoheitsträger
im Auslieferungsverkehr ausgeführt:
„Schließlich zählt es wegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, daß eine angedrohte oder verhängte Strafe
nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf; die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken,
wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat.“64
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seiner umstrittenen Entscheidung, nach der
Folter, die nicht auf politischen Motiven beruht, keinen Asylanspruch begründet, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Betroffene dadurch nicht schutzlos ist; vielmehr
sei
„bei ausländerrechtlichen Entscheidungen über die Ausweisung und Abschiebung (...) stets auch
der Grundsatz der Menschenwürde als oberstes Prinzip unserer Rechtsordnung zu beachten.“
Mit dieser Menschenwürde sei es „nicht vereinbar, wenn deutsche Behörden an der menschenrechtswidrigen Behandlung eines Betroffenen durch dessen zwangsweise Überstellung in ein Land
mitwirken würden, in dem ihm Folter droht.“ 65
Geteilt wird diese Ansicht nicht zuletzt vom Bundesgesetzgeber, der in § 53 AuslG die
wesentlichen Fallgruppen der sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Abschiebungshindernisse einfach-rechtlich normiert hat.66 Gemäß Art. 79 Abs. 3 GG ist – wie oben ausgeführt wurde - eine Beseitigung dieses Zurückweisungs- und Abschiebungsschutzes
auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber nicht möglich.67
2.2.3. Unterschiede im Regelungsgehalt
Bedenken sollte man im Kontext der hier anzustellenden Analyse allerdings die gravierenden Unterschiede im Regelungsgehalt – und damit im Schutz- und Gewährleistungsumfang – der grundrechtlichen Auffangpositionen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1
Abs. 1 GG. Im Falle der Umwandlung des Grundrechts aus Art. 16 a Abs. 1 GG in eine
institutionelle Garantie resultierte aus den skizzierten Auffanggrundrechten kein er-
63
64
65
66
67
BVerwGE 67, 164 (194): Bay VGH, DVBl. 1988, S. 292; B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 673 ff.
BVerfGE 75, 1 (16).
BVerwGE 67, 184 (194).
Vgl. zum Zusammenhang zwischen § 53 AuslG und Art. 1 Abs. 1 GG BVerfG, NVwZ 1992, S. 660.
B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 675.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
59
satzweises „kleines“ Asylrecht, sondern nur ein auf Vermeidung evidenter Gefährdungen für Leib oder Leben gerichteter Elementarschutz der von Abschiebung bedrohten
Ausländer. Sowohl die durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährte - und im Kern sogar der Verfassungsänderung entzogene - Schutzposition aus der Garantie der Menschenwürde als
auch der durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantierte materielle Anspruch auf Schutz des
Lebens und der Gesundheit unterscheiden sich in Voraussetzungen und Rechtsfolge
erheblich von dem bislang durch Art. 16 a Abs. 1 GG gewährleistetem Grundrecht auf
Asyl.
Von herausragender Bedeutung ist dabei insbesondere das Merkmal der Verfolgungsintensität. An die Intensität der zu erwartenden Verfolgung wie an deren Wahrscheinlichkeit sind bei Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie Art. 1 Abs. 1 GG deutlich erhöhte Anforderungen im Vergleich zu Art. 16 a Abs. 1 GG zu stellen. Die beiden erstgenannten
Grundrechte gewähren nur dann Zurückweisungs- und Abschiebungsschutz, wenn der
Flüchtling tatsächlich an Leib oder Leben bedroht ausgesetzt wird (Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG), bzw. Maßnahmen ausgesetzt wird, die ihn in seiner Menschenwürde verletzen
(Art. 1 Abs. 1 GG). Deutlich illustrieren lässt sich dieses Minusverhältnis zwischen einerseits der einen Asylanspruch nach Art. 16 a GG begründenden politischen Verfolgung und andererseits den Fällen einer nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 oder Art. 1 Abs. 1 GG
tatbestandsmäßigen Grundrechtsverletzung an den Beispielen der Inhaftierung aus politischen Gründen. Ähnliches gilt für die für politische Verfolgung typischen Tatbestände
des politisch motivierten Ausschlusses von kommunikativen Grundfreiheiten, wie der
Meinungs- oder der Informationsfreiheit. Derartige Tatbestände der menschenrechtswidrigen Unterdrückung des Menschen als „politisches Wesen“ erfüllen zwar unzweifelhaft den Tatbestand des Art. 16 a Abs. 1 GG in seiner bisherigen Fassung, nicht aber
den der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 oder Art. 1 Abs. 1 GG.68 Dies soll nun nicht
bedeuten, die Auffangtatbestände der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S.1 GG seien ausnahmsloser enger im Gewährleistungsgehalt als der jetzige Art. 16 a Abs. 1 GG. In bestimmter Hinsicht kann der Schutzbereich der Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG durchaus auch einmal weiter sein als der des Art. 16 a GG: So greift das Asylgrundrecht nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich nur in Fällen politisch motivierter
Verfolgung durch staatliche Organe, während sich die erstgenannten Grundrechtstatbe-
68
Vgl. hierzu B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 676: „Der politische Gegner muss nicht erniedrigt,
sondern kann auch als Gegner geachtet und selbst bei der Verfolgung in seiner Würde anerkannt werden.“.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
60
stände hinsichtlich des Anlasses der Grundrechtsverletzung als indifferent erweisen,
also auch Gefährdungen aus rein persönlichen Hintergründen erfassen und auch nicht
vom Charakter der Verfolger als Träger staatlicher Hoheitsbefugnisse abhängen.
Dass man einem Irrtum erläge, würde man die im Falle einer Umwandlung des Art. 16 a
Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie in den Vordergrund tretenden Grundrechte
aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als „kleines Asylrecht“ bezeichnen,
zeigt auch ein Blick auf die an die unterschiedlichen Grundrechte geknüpften Rechtsfolgen. Art. 16 a Abs. 1 GG garantiert in seiner bisherigen Fassung politisch verfolgten
Asylsuchenden ein zumindest vorläufiges Aufenthaltsrecht. Der aus Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abzuleitende Schutzanspruch beinhaltet allein das Verbot der Zurückweisung, Zurückschiebung, Abschiebung oder Auslieferung in den Verfolgerstaat
oder einen unsicheren Drittstaat69 und kann sich nur dann zu einem Aufenthaltsrecht
verdichten, wenn es für den Betroffenen kein sicheres Drittland gibt, das bereit ist, ihn
aufzunehmen.
Dennoch sollten die Unterschiede zwischen Art. 16 a Abs. 1 GG und dem Schutzbereich der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG nicht überschätzt
werden, sollte man den Charakter der skizzierten grundrechtlichen Auffangpositionen
als „minus“ des Asylrechts nicht hypostasieren. In ihrer Indifferenz hinsichtlich des
Anlasses der Grundrechtsverletzung sind die Schutzbereiche von Art. 1 Abs. 1 GG und
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weiter als der des Art. 16 a GG, der nur in Fällen politischer Verfolgung einschlägig ist. Zudem hat die Einführung der Drittstaatenklausel des Art. 16 a
Abs. 2 GG schon jetzt zu einer gravierenden Schutzbereichsverkürzung des Grundrechts
auf Asyl geführt. Aufgrund der Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in ein geschlossenes System sicherer Drittstaaten sind ohnehin bereits heute praktisch alle auf
dem Landweg einreisenden Flüchtlinge vom Anwendungsbereich des Grundrechts auf
Asyl ausgeschlossen.70 Dies kommt nur deswegen in der Praxis nicht in dem Maße zum
Ausdruck wie man sich dies im Kontext der Änderung erhofft hatte, da die Betroffenen
systematisch zu Ausweichreaktionen gegriffen haben und über die Verschleierung von
Herkunft und Identität, insbesondere aber der Reisewege die Schutzbereichsverkürzung
faktisch unterlaufen. Außerdem garantiert auch Art. 16 a Abs. 1 GG kein umfassendes
69
70
B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 676.
Gegenüber Vertragsstaaten des Dubliner Abkommens ist die Drittstaatenklausel nicht anwendbar,
wenn hiernach eine andere Zuständigkeit begründet ist und der zuständige Staat den Flüchtling übernimmt.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
61
Bleiberecht, kein Recht auf eine neue Heimat, sondern macht alle über den Schutz vor
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinausgehenden Rechte (unbefristete Aufenthaltserlaubnis bzw. Aufenthaltsbefugnis, §§ 68, 70 AsylVfG) zusätzlich von gesonderter
staatlicher Zuerkennung abhängig.71
Bedenkt man die grundrechtliche Absicherung des Kerngehaltes der Asylgewährung,
die sich schon aus anderen, im Grundbestand änderungsfesten Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes ergibt, und die den „Nukleus“ des Asylrechts, den Schutz vor
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bei konkreter Gefährdung von Leib oder Leben
sowie des Kernbereichs der Menschenwürde bereits anderweitig schützt, so relativieren
sich die von einer Umwandlung des Asylgrundrechts erwartbaren Effekte für eine Beschleunigung der Verfahren und die Gewinnung neuer Spielräume bei der Effektivierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erheblich. Der Haupteffekt der Umwandlung
des Individualgrundrechts in eine Einrichtungsgarantie, der Ausschluss der unmittelbar
auf Art. 16 a Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde, würde schon durch die
Möglichkeit der auf Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde weitgehend konterkariert. Sieht man den typischen Vortrag des durchschnittlichen Asylbewerbers, der sich selten auf die Beschränkung politischer Kommunikationsgrundrechte und auf den Tatbestand der mit Verfolgungsmotivation vorgenommenen willkürlichen Inhaftierung allein stützt, sondern häufig, wenn nicht im Regelfall mit
Erfahrungen körperlicher Misshandlung und Folter ergänzt wird, so ließe sich die bisher
übliche Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage des Art. 16 a Abs.1 GG unschwer in
eine auf Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG gestützte Verfassungsbeschwerde umformulieren. Irgendein Beschleunigungseffekt wäre dann aber von der Umwandlung in
eine institutionelle Garantie kaum mehr zu erwarten.
2.2.4. Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG
Dieser Effekt wird noch verstärkt, blickt man auf die als „ultima ratio“ für den Betroffenen im Hintergrund stehende Auffangfunktion des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Für Flüchtlinge, die nach einer Umwandlung des Individualgrundrechts auf Asyl in eine
institutionelle Garantie nicht mehr unter Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG im Wege der
Verfassungsbeschwerde gegen die Verbringung in einen anderen Staat oder gegen die
71
Vgl. hierzu einschränkend G. Renner, Kommentar Ausländerrecht, Art. 16 a GG Rdnr. 16.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
62
Ablehnung ihres Asylgesuchs vorgehen könnten, stünde gerade auch unter Geltendmachung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG erneut der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen.
Kennzeichnend für das Asylrecht ist angesichts einer Vielzahl von Asylsuchenden aus
immer wieder gleichen Ländern das Phänomen des vergleichbaren Verfolgungsschicksals, das im Falle einer Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 vom Individualgrundrecht in
eine institutionelle Garantie als Anknüpfungspunkt für die Geltendmachung einer
Grundrechtsverletzung aus Art. 3 Abs. 1 GG dienen könnte. Die Kontrolldichte bei der
verfassungsgerichtlichen Überprüfung der asylrechtlichen Entscheidung wäre zwar
nicht die gleiche, hätte das Gericht angesichts des sehr zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs aus Art. 3 Abs. 1 GG doch nicht mehr vollen Zugriff auf Sachverhaltserhebung, -würdigung und –subsumtion. Allein die flächendeckende Möglichkeit der Formulierung verfassungsbeschwerdefähiger Positionen drohte jedoch jeglichen Beschleunigungseffekt der Abschaffung des Individualgrundrechts zunichte zu machen.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Grundrecht aus Art. 3
Abs. 1 GG schon jetzt neben dem Individualgrundrecht aus Art. 16 a Abs. 1 GG einen
eigenständigen Anwendungsbereich bei der Anfechtung von ablehnenden Entscheidungen bezüglich der Flüchtlingsanerkennung oder des Abschiebungsschutzes. So hat das
Bundesverfassungsgericht das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG wiederholt als Maßstab für die richterliche Begründungspflicht in Asylangelegenheiten herangezogen72 und
in der Verneinung eines Abschiebungsverbots ohne Darlegung des rechtlichen Maßstabs und der Abgrenzungskriterien eine Verletzung des Willkürverbots gesehen.73 Diese Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG könnte im Falle einer Umwandlung des Art.
16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie durchaus ausgebaut werden, was angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht seine Kompetenz zur Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Vergangenheit immer wieder zur Korrektur sowohl grob fehlerhafter Einzelentscheidungen sowie zur Sicherstellung angemessener Verfahrensstandards im Asylrecht genutzt hat, nicht unwahrscheinlich erscheint. Abzuwarten bliebe, ob sich das Bundesverfassungsgericht bei einer solchen
Prüfung auf das in den zitierten Entscheidungen herangezogene reine Willkürverbot
72
73
Vgl. hierzu BVerfG (K), DVBl 1999, S. 165 f. = InfAuslR 1999, S. 41 ff.; BVerfG (K), 2 BvR 780/96
und 2 BvR 795/96 vom 30.4.1998, http://www.BVerfG.de/. Siehe auch OVG NW, Urteil vom 10.
März 2000, 9 A 5189/99.A (IURIS).
BVerfG (K), DVBl. 1999, S. 165 f.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
63
beschränkt, oder ob angesichts der starken Auswirkungen von aufenthaltsrechtlichen
Entscheidungen auf die persönlichen Rechte der betroffenen Personen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der „neuen Formel“ erfolgt.74
2.2.5. Zusammenfassende Betrachtung
Die erwartbaren Effekte für Gesetzgeber und Verwaltung, die man sich von der diskutierten Herabstufung des Individualgrundrechts auf Asyl zu einer Einrichtungsgarantie
erhoffen könnte, erweisen sich damit als denkbar gering. Zwar gewönne der Gesetzgeber an Spielräumen bei der Ausgestaltung des materiellen Asylrechts und könnte den
Gewährleistungsumfang des einfachgesetzlich ausgeformten Asyls noch weiter verengen als er dies bisher schon getan hat. Auch Verwaltung und Verwaltungsgerichte
stünden nicht mehr unter der gleichen Drohung, vom Bundesverfassungsgericht im Ergebnis einen Verstoß gegen auf Verfassungsstufe gewährter Grundrechtspositionen
vorgehalten zu bekommen. Doch es bleibt die Frage: Wäre damit viel gewonnen? Der
materielle Gewährleistungsgehalt des Asylgrundrechts ist heute schon denkbar eng und
stellt letztlich für die Steuerung der Zuwanderung kein wirkliches Problem dar. Die
Zahlen der anerkannten Asylbewerber, also der Personen, die sich nach Auffassung des
Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte zu Recht auf das Asylrecht berufen, ist recht
gering und trägt nur wenig zum Anwachsen des Ausländeranteils unter der deutschen
Einwohnerschaft bei. De jure kann schon heute kaum noch jemand berechtigt Anspruch
auf Asyl erheben – die Regelung über sichere Dritt- und Herkunftsstaaten des Art. 16 a
GG schließt dies denklogisch beinahe aus. Auf direktem Wege wird ein politisch Verfolgter kaum jemals aus dem Verfolgerstaat in die Bundesrepublik einreisen können, da
er für den dazu erforderlichen Direktflug eines Visums bedarf, das er in Situationen
echter Verfolgung sich nur schwer wird beschaffen können. Auf anderen Wegen aber
scheitert sein Anspruch schon an der Einreise über einen verfolgungssicheren Drittstaat.
Welche materielle Einschränkung hier noch im Gewährleistungsumfang denkbar wäre,
ohne das Asyl gleich ganz abzuschaffen, ist schwer vorstellbar.
74
Vgl. zu dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die in Abkehr von der reinen Willkürprüfung im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab heranzieht und im Schrifttum als „neue Formel“ bezeichnet
wurde BVerfGE 55, 72 (88); 75, 108 (157); 83, 395(401); 84, 348 (359); 87, 1 (36); 88, 87 (96 f.); 92,
365 (407).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
64
Das eigentliche Problem, das die rechtspolitische Diskussion antreibt, liegt vielmehr in
einem ganz anderen Bereich. Gefragt wird, wie der – als missbräuchlich empfundene –
Rückgriff auf die von Art. 16 a Abs. 1 GG geschaffene Verfahrensposition, mittels dessen sich aufenthaltsbeendende Maßnahmen über Jahre hinweg verschleppen lassen, beendet werden könnte – zumindest in der Mehrzahl der Fälle, in denen im Ergebnis kein
materieller Asylanspruch besteht. Dieses Ziel ist – wenn die Möglichkeiten zur Verfahrensverkürzung erschöpft sind – nur über eine Verkürzung von Verfahrensrechten erreichbar. Über die Abschaffung des Individualgrundrechts lässt sich zwar die Verfassungsbeschwerdefähigkeit des Asylrechts als solchen beseitigen. Wie die Untersuchung
der als Auffangposition bereitstehenden Grundrechtsgewährleistungen aus Art. 1 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gezeigt hat, ist auf diesem Wege jedoch nicht allzu viel zu
gewinnen, da alternative verfassungsbeschwerdefähige Positionen zur Verfügung stehen. Deren materieller Berechtigungsgehalt ist zwar noch enger als der des bisherigen
Art. 16 a Abs. 1 GG; als Anknüpfungspunkt für verfahrensrechtliche Positionen reichen
jedoch auch diese Gewährleistungen aus.
2.3. Änderung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
Will man Spielräume für eine Verkürzung der Asylverfahren und für eine Effektivierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erzielen, so bietet sich als Alternative möglicherweise eine Änderung des Art. 19 Abs. 4 GG an. Auch bei Umwandlung des Individualgrundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie verbliebe den
Asylsuchenden die Möglichkeit, auf einfachgesetzlicher Grundlage um Abschiebungsschutz gemäß § 51 AuslG zu ersuchen. Indes setzen auch auf § 51 AuslG beschränkte
Asylgesuche ein Asylverfahren mit einem fast identischen Prüfungsprogramm in Gang
und verursachen daher auch für die zuständigen Gerichte einen vergleichbaren Arbeitsaufwand. Darüber hinaus könnten sich Flüchtlinge, denen Verletzungen der Menschenwürde bzw. Verletzungen von Leib oder Leben drohen, im Hinblick auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch im Falle einer Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG
in eine institutionelle Garantie auf den Schutz aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 und
Art. 3 Abs. 1 GG berufen und damit den Verwaltungsrechtsweg beschreiten sowie ggf.
auch noch das Verfahren der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen. Nun erscheint es aber zumindest als vorstellbar, Beschränkungen des
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
65
Rechtes auf gerichtlichen Rechtsschutz durch eine entsprechende Änderung des Art. 19
Abs. 4 GG vorzunehmen, die Fragen des Asyls völlig aus der Rechtsschutzgarantie herausnähme.
Auch bei dieser Variante ist allerdings wiederum fraglich, ob und wenn ja welche Verkürzungen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG dem verfassungsändernden
Gesetzgeber überhaupt möglich sind. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Individualrechtsschutz gegen jeden Akt der öffentlichen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland.
Da Art. 19 Abs. 4 GG vom Änderungsschutz des Art. 79 Abs. 3 GG, also von der sogen. „Ewigkeitsgarantie“, nicht ausdrücklich erfasst ist, kann der verfassungsändernde
Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur dann den Beschränkungen nach
Art. 79 Abs. 3 GG unterliegen, wenn und soweit durch Änderungen an Art. 19 Abs. 4
GG die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt würden.
Ob und inwieweit einzelne Materien durch Verfassungsänderung von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausgenommen werden dürfen, ist umstritten.75 Festzustellen ist zunächst, dass eine Bezugnahme des Art. 79 Abs. 3 auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Parlamentarischen Rat ausdrücklich abgelehnt wurde.76
Darüber hinaus verwehrt das Grundgesetz selbst der Rechtsschutzgarantie den absoluten
Geltungsanspruch, wenn es in Art. 44 Abs. 4 die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse und damit Akte Hoheitsakte des Bundes dem individuellen Rechtsschutz entzieht.
Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob nicht die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze die Garantie individuellen gerichtlichen Rechtsschutzes als ein rechtsstaatliches
Prinzip, das in Art. 19 Abs. 4 GG konkretisiert ist, für unabänderlich erklären. Anknüpfungspunkt für einen derartigen Änderungsschutz wäre dann zunächst das in Art. 20
Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte77 und unstreitig von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfasste Rechtsstaatsprinzip. Dieser Weg ist vielfach propagiert worden. In Rechtsprechung und Literatur wurde die Rechtsschutzgarantie immer
75
76
77
Vgl. hierzu aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 30, 1 (24 ff.) sowie das
abweichende Minderheitenvotum ebd. S. 38 ff.; aus der Literatur z.B. H. Bauer, Gerichtsschutz als
Verfassungsgarantie – Zur Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG, 1973, S. 155 ff.; K. A. Bettermann, AöR
96 (1971), S. 528 (561 ff.); E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 30 m.w.N.
in Fn. 80.
Vgl. hierzu Beratungen des Parlamentarischen Rates, 9. Sitzung vom 6. Mai 1949, Sten. Ber. S. 184,
dazu JöR 1951, S. 587.
BVerfGE 63, 343 (353).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
66
wieder als logischer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips zu deren untrennbarem Bestandteil erklärt.78 Inwieweit dies haltbar ist, bedarf allerdings einer genauen Prüfung. So
gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip gerade keinen lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz, sondern ist diesbezüglich – jedenfalls in seiner historischen Entwicklung - stets
von einem reinen Enumerationsprinzip geprägt gewesen.79 Gerade hierin liegt die Existenzberechtigung und Novität des Art. 19 Abs. 4 GG: er wäre redundant, wenn sich eine
umfassende Rechtsschutzgarantie bereits unmittelbar aus Art. 20 GG ableiten ließe.80
Eine Einbeziehung des Art. 19 Abs. 4 GG in den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG
könnte sich des weiteren aus Art. 20 Abs. 2 GG ergeben. Nach der Ansicht der dissentierenden Richter im Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts enthält Art. 20 Abs. 2
GG das rechtsstaatliche Prinzip möglichst lückenlosen individuellen Rechtsschutzes,
das in Art. 19 Abs. 4 GG lediglich konkretisiert wird.81 Nach dem Mehrheitsvotum82
jedoch vermögen weder der in Art. 20 Abs. 2 GG grundgesetzlich gewährleistete
Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch das ebenfalls dort verankerte
Prinzip der Gewaltenteilung die Rechtsschutzgarantie in den Schutzbereich des Art. 79
Abs. 3 GG einzubeziehen. Die Bindung der Verwaltung besteht unabhängig von der
Existenz einer externen Kontrollinstanz.83 Zwar bildet die Garantie gerichtlichen
Rechtsschutzes einen wesentlichen Pfeiler des Systems der grundgesetzlichen Gewaltenteilung.84 Dennoch verlangt das Prinzip der Gewaltenteilung in seiner Ausgestaltung
durch das Grundgesetz nicht die strenge Teilung der Gewalten, sondern lässt eine Vielzahl von Ausnahmen zu, in denen Rechtsetzung von Organen der Verwaltung oder Regierung und Verwaltung von legislativen Organen ausgeübt werden können.85
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit
der Umwandlung des gerichtlichen Rechtsschutzes in ein bloßes verwaltungsinternes
78
79
80
81
82
83
84
85
Vgl. insbesondere BVerfGE 80, 103 (107): „ ... Justizgewährungsanspruch, der durch Art. 19 Abs. 4
GG und durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ist.“ Sowie
vorher schon BVerfGE 35, 382 (401); 36, 67 (77 f.); 44, 105 (120); 49, 304 (315); 53, 115 (127); 57, 9
(22). Zum Schrifttum siehe exemplarisch E. Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2569 (2571) m.w.N., der
die Rechtsschutzgarantie als „Krönung des Rechtsstaates“ bezeichnet.
W.-R. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. 72.
W.-R. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. 72; a.A. H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr.
151. Siehe auch zum Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG zu Art. 20 GG E. Schmidt-Aßmann, NVwZ
1983, S. 1 ff.
BVerfGE 30, 1 (40 f.).
Vgl. BVerfGE 30, 1 (24 f.).
A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 295.
BVerfGE 4, 331 (346); 9, 268 (279); 22, 106 (111).
BVerfGE 30, 1 (27 f.).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
67
Verfahren im Hinblick auf Art. 20 GG in der oben zitierten Entscheidung zum G 10Gesetz bereits explizit Stellung genommen:
„Das Prinzip der Gewaltenteilung erlaubt auch, daß Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Exekutive ausnahmsweise nicht durch Gerichte, sondern durch vom Parlament bestellte oder gebildete, unabhängige Institutionen innerhalb des Funktionsbereichs der Exekutive gewährt wird. Wesentlich ist, daß in diesem Fall noch die ratio der Gewaltenteilung, nämlich die wechselseitige Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht, erfüllt ist. Die Ersetzung der gerichtlichen Kontrolle
durch eine unabhängige Institution im Felde der Exekutive darf zwar nicht einfach nach Gutdünken und Willkür vorgesehen werden, aber jedenfalls für den Fall, in dem ein zwingender, sachlich
einleuchtender Grund es erfordert, und dadurch nicht der der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Kernbereich berührt wird.“86
Der verfassungsändernde Gesetzgeber müsste sich somit jedenfalls von sachlichen
Gründen leiten lassen; ob in jedem Fall ein „zwingender, sachlich einleuchtender“
Grund erforderlich ist, lässt die Entscheidung offen. In Anbetracht der fundamentalen
Bedeutung der Rechtsschutzgarantie für das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung ließe sich gut dafür argumentieren, dass es sich jedenfalls um sachliche Gründe
von einigem Gewicht handeln muss. Darüber hinaus spricht manches dafür, für eine so
einschneidende Maßnahme wie eine Rechtsschutzumwandlung zu fordern, dass sie sich
im Lichte der Ziele des verfassungsändernden Gesetzgebers als geeignet, erforderlich
und verhältnismäßig erweist.
Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG könnte darüber hinaus insoweit Gegenstand der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sein, als ihre Einschränkung die
ebenfalls über Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Menschenwürde verletzt. Ausgehen könnte
man dabei von dem Befund, dass Individualrechtsschutz ein Teil des materiellen Grundrechtsschutzes ist87 und eine Beschränkung des Individualrechtsschutzes somit
zwangsläufig einen Eingriff in die betroffenen Grundrechte darstellt. Sind aber Grundrechte und auch Art. 16 a GG im Hinblick auf ihren Menschenwürdekern absolut geschützt, muss im selben Umfang auch der Individualrechtsschutz änderungsfest sein.
Außerhalb des Menschenwürdekerns der Grundrechte ist zwar auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG danach einer Relativierung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zugänglich, nicht dagegen für den Schutz aus der Menschenwürde abgeleiteter grundrechtlicher Positionen.88 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
86
87
88
BVerfGE 30, 1 (28).
W. Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. I, Art. 19 Rdnr. 47, 68.
W. Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. I, Art. 19 Rdnr. 68; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art.
19 Abs. 4 Rdnr. 110.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
68
sungsgerichts gebietet die durch Art. 1 Abs. 1 GG postulierte Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, dass
„er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist, sondern auch zur Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte den Prozeßweg beschreiten und vor Gericht seine Sache vertreten kann, in diesem Sinne also Gerichtsschutz genießt.“89
Grundrechtsschutz ist insofern nicht allein materiell-rechtlich, sondern auch durch das
Verfahrensrecht zu verwirklichen, soweit letzteres für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist.90 Änderungsfest ist demfolgend der Kerngehalt des Art. 19
Abs. 4 GG nach Maßgabe des nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbaren Menschenwürdekerns der Grundrechte im Sinne einer Rechtskontrolle, für die eine Kenntnis des Sachverhalts, eigene Kontrollmaßstäbe im Sinne des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes und
rechtliche Korrekturen durch unabhängige Dritte kennzeichnend sind.91
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss dieser minimal zu garantierende Rechtsschutz jedoch nicht zwingend als gerichtlicher Rechtsschutz ausgestaltet sein; ausreichend kann unter bestimmten Voraussetzungen auch ein adäquates
Kontrollsurrogat sein. Eine Verletzung der Menschenwürde ist in diesen Fällen ausgeschlossen, wenn „eine zwar andersartige, aber gleichwertige“ Rechtskontrolle gewährleistet wird.92 Die damit formulierte Bedingung ist jedoch durchaus anspruchsvoll.
Auch ein in eine institutionelle Garantie umgewandelter Art. 16 a Abs. 1 GG würde
organisatorische und verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Einrichtungsgarantie „Asyl“ stellen. Dies gilt erst recht für eine isolierte Änderung des Art.
19 Abs. 4 GG, ohne komplementäre Umwandlung des Asylrechts.
Dass Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension Bedeutung für die Ausgestaltung von Verfahren entfalten, gehört mittlerweile zu den gesicherten Erkenntnissen
der Grundrechtsdogmatik.93 Das Bundesverfassungsgericht hat dabei stets den Bezug
zum Rechtschutz betont.94 Angesichts der Tatsache, dass die Feststellung der Asylberechtigung eine Anerkennungsentscheidung voraussetzt, ist das Grundrecht aus Art. 16
a Abs. 1 GG noch offensichtlicher als die übrigen Grundrechte auf eine verfahrens-
89
90
91
92
93
94
BVerfGE 30, 1 (27).
BVerfGE 53, 30 (65) – Mülheim-Kärlich.
H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 110; B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 693 f.
BVerfGE 30, 1 (27); E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 30.
U. Becker, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 16 a Rdnr. 116; H. Goerlich, Grundrechte als
Verfahrensgarantien, 1981 (zum Asylrecht: S. 61 ff.); R. Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (167 ff.).
Vgl. dazu nur BVerfGE 53, 30 (65) – Mülheim-Kärlich.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
69
rechtliche Ausgestaltung angewiesen.95 Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf
das Asylrecht zunächst den allgemeinen Grundsatz der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte wiederholt:
„Indes bedürfen Grundrechte allgemein, sollen sie ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit erfüllen, geeigneter Organisationsformen und Verfahrensregelungen sowie einer grundrechtskonformen Anwendung des Verfahrensrechts, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz
von Bedeutung ist.“96
Im Hinblick auf das Asylverfahren formulierte das Gericht den Auftrag an den zuständigen Gesetzgeber, eine Regelung zu treffen,
„die der Bedeutung des Asylrechts gerecht wird und eine zuverlässige und sachgerechte Prüfung
von Asylgesuchen ermöglicht.“97
Schüfe der Gesetzgeber als Surrogat ein diese Grundsätze beachtendes System verwaltungsinterner Kontrolle im Asylverfahren, so könnte diesem Rechtsschutz eine
„Gleichwertigkeit“ gegenüber dem bisherigen gerichtlichen Kontrollverfahren unter
bestimmten Umständen zuerkannt werden. Eingedenk des Umstandes, dass die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eben nicht vollumfänglich, sondern nur in ihrem
durch die Menschenwürdegarantie bestimmten Kernbereich vor Veränderungen geschützt ist, ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass der erforderliche Mindeststandard einer solchen verwaltungsinternen Kontrolle nicht durchgängig die Qualität
verwaltungsgerichtlicher Kontrolle haben muss.98 Die den gerichtlichen Rechtsschutz
prägenden Charakteristika der organisatorischen Selbständigkeit, der persönlichen und
sachlichen Unabhängigkeit im Sinne des Art. 97 GG sowie der Neutralität und Distanz
gegenüber den Verfahrensbeteiligten99 sind zwar grundsätzlich als verfassungsrechtliche Anforderungen auf ein verwaltungsinternes Verfahren übertragbar, aber nicht zwingend in vollem Ausmaß und in identischer Form.
Minimale Anforderung an die Ausgestaltung des verwaltungsinternen Verfahrens wäre
insofern allein die Einsetzung eines für die Ausübung der grundgesetzlich postulierten
Kontrollfunktion unverzichtbaren, nicht weisungsgebundenen und organisatorisch unabhängigen Spruchkörpers. Inhaltlich muss ebenso wie für die gerichtliche Kontrolle
die Forderung einer „substantiellen Kontrolle“ und damit insbesondere die „Vergewis-
95
96
97
98
99
U. Becker, in: v. Mangoldt / Klein /Starck, GG I, Art. 16 a Rdnr. 116 m.w.N.
BVerfGE 56, 216 (236) unter Verweis auf BVerfGE 53, 30 (65).
BVerfGE 56, 216 (236).
B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 693.
Vgl. BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 14, 56 (69); 18, 241 (255); 21, 139 (145 f.); 27, 312 (322);
42, 64 (78); 60, 175 (214).
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
70
serungspflicht“ gelten, die der deutschen Staatsgewalt auferlegt, sich vor einer Abschiebung oder Zurückweisung zu vergewissern, dass der Flüchtling durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen Menschenwürdeverletzungen und keinen Gefahren für Leib
oder Leben ausgesetzt wird.100 Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Klagebefugten grundsätzlich einen Anspruch auf vollständige Nachprüfung
der angefochtenen Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.101 Zwar wird
man diese Kontrolldichte nicht automatisch auch zum über Art. 1 Abs. 1 GG i.V. mit
Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Minimum an Rechtsschutz zählen können; das Erfordernis einer „gleichwertigen“ Rechtskontrolle lässt für Abweichungen jedoch nur einen
sehr begrenzten Spielraum. Jedenfalls muss die Kontrollfunktion aufrechterhalten und
am Anspruch der „Richtigkeitsgewissheit“ zumindest abstrakt festgehalten werden.
Voraussetzung hierfür sind fundierte Sachverhaltskenntnisse, eigenständige Kontrollmaßstäbe und rechtliche Korrekturmöglichkeiten der Entscheidungsträger im verwaltungsinternen Kontrollverfahren.102
Je nach Ausgestaltung könnte ein System unabhängig gestellter Beschwerdeausschüsse,
etwa nach dem Vorbild der Schweizerischen „Asylrekurskommission“, diesen Vorgaben gerecht werden. Voraussetzung wären effektive Garantien für eine unabhängige
Kontrolle, also eine institutionelle und personelle Ausgestaltung, die die Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit der Entscheidungsgremien sichert, sowie eine im Ansatz volle
tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Verwaltungsentscheidung. Im Rahmen
dieser Maßgaben hätte der Gesetzgeber gewisse Spielräume, um im Blick auf die Konstruktion eines – vor allem zeitlich effektiven - Kontrollverfahrens neue Wege zu gehen,
jenseits der institutionellen und verfahrensrechtlichen Traditionen des Verwaltungsprozessrechts.
Verfassungsrechtliche Unsicherheiten bleiben jedoch auf diesem Weg. Die neuen gerichtsähnlichen Beschwerdeausschüsse müssten, um den oben beschriebenen Anforderungen zu genügen, als eine Art Sonderverwaltungsgerichte agieren. Dann aber fragt
sich, ob der (verfassungsändernde) Gesetzgeber seine Ziele, insbesondere Verfahrensbeschleunigung, ebenso gut durch die Errichtung echter Sonderverwaltungsgerichte –
also spezialisierter Asylgerichte – erreichen kann. Gerichte können, wenn es darauf an-
100
101
102
Vgl. hierzu B. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 693, 682.
BVerfGE 15, 275 (282); 61, 82 (111); H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 143; E. SchmidtAßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 183 (1985);
Vgl. Pieroth / B. Schlink, (Fn. 50), S. 694.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
71
kommt, sehr schnell entscheiden: das hat die Vergangenheit immer wieder erwiesen.
Schwierigkeiten treten dann auf, wenn (zu) viele eilbedürftige Fälle gleichzeitig zur
Entscheidung anstehen. Diese Schwierigkeiten können bei Beschwerdeausschüssen in
gleicher Weise auftreten wie bei Asylgerichten; sie könnten in beiden Fällen über eine
hinreichende Personalausstattung behoben werden.103
Vor diesem Hintergrund ist es eine offene Frage, ob Beschwerdeausschüsse zeitlich
effektiver arbeiten könnten als spezialisierte, gut ausgestattete Asylgerichte. Hinreichende Anhaltspunkte dafür sind bislang nicht erkennbar.
Die Einrichtung von Beschwerdeausschüssen erscheint damit einerseits als rechtspolitisch schwierig begründbar und andererseits auch als verfassungsrechtlich problematisch. Vergegenwärtigt man sich nochmals, dass nach der oben zitierten Rechtsprechung
für die Ersetzung des Rechtsweges durch eine Exekutivkontrolle sachliche Gründe
(vermutlich: von einigem Gewicht) sprechen müssen, so besteht die ernst zu nehmende
Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht den für die Einrichtung von Beschwerdeausschüssen sprechenden Gründen nicht das verfassungsrechtlich erforderliche
Gewicht zusprechen würde.
Sollte mit der Einrichtung von Beschwerdeausschüssen langfristig eine Kostenersparnis
verbunden sein – auch diese Frage ist durchaus offen – , so erschiene es nicht zuletzt
angesichts der im Asylverfahren betroffenen existentiellen Belange der Beteiligten ausgeschlossen, dass dieser Gesichtspunkt bei einer verfassungsrechtlichen Würdigung in
erheblicher Weise ins Gewicht fallen könnte.
Weitere Zweifel, ob die Überprüfung durch verwaltungsinterne Kontrollorgane alleine
den Maßstäben des Grundgesetzes genügen würde, wirft die jüngst – am 8. Februar
2001 – ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Hessischen Wahlprüfungsgericht auf.104 Der Gesetzgeber dürfe – so heißt es dort – „eine Angelegenheit,
die Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 erster Halbsatz GG ist, nicht anderen Stellen
als Gerichten zuweisen.“105 Was der „Rechtsprechung“ im Sinne von Art. 92 GG zuzuordnen sei, habe bisher nicht abschließend geklärt werden können, hänge vielmehr wesentlich von verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie von traditionellen oder durch den
Gesetzgeber vorgenommenen Qualifizierungen ab. Weiter heißt es dort:
103
104
105
Vgl. hierzu oben in Teil 1 unter 5.
BVerfG, Urteil vom 8.2.2001 – 2 BvF 1/00.
Ebd., Rdnr. 110.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
72
„Von der Ausübung rechtsprechender Gewalt kann – in allein organisationsrechtlicher Betrachtung – nicht schon dann gesprochen werden, wenn ein staatliches Gremium mit unabhängigen
Richtern im Sinne der Art. 92 ff. GG besetzt ist. Sinn und Zweck des IX. Abschnitts des Grundgesetzes, der für den Bereich der Rechtsprechung eine besondere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Willensbildung im System der Gewaltenteilung gewährleisten will (vgl. BVerfGE 22, 48,
75), entspräche es nicht, allein aus der Besetzung eines staatlichen Gremiums mit unabhängigen
Richtern auf die Ausübung rechtsprechender Gewalt zu schließen.“106
Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt werde vielmehr maßgeblich von der konkreten sachlichen Tätigkeit her, somit materiell bestimmt. Um Rechtsprechung in einem
materiellen Sinne handele es sich, „wenn bestimmte hoheitsrechtliche Befugnisse bereits durch die Verfassung Richtern zugewiesen sind oder es sich von der Sache her um
einen „traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung“ handle. Daneben sei rechtsprechende Gewalt im Sinne des Art. 92 GG auch dann gegeben, wenn der Gesetzgeber für
einen Sachbereich eine Ausgestaltung wähle, die bei funktioneller Betrachtung nur der
rechtsprechenden Gewalt zukommen könne.
„In funktioneller Hinsicht handelt es sich – ungeachtet des jeweiligen sachlichen Gegenstandes –
um Rechtsprechung, wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur
unabhängige Gerichte herbeiführen können. Zu den wesentlichen Begriffsmerkmalen der Rechtsprechung in diesem Sinne gehört das Element der Entscheidung, der letztverbindlichen, der
Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist.
(...) Nach Art. 92 GG ist es Aufgabe der Gerichte, Rechtssachen mit verbindlicher Wirkung zu
entscheiden, und zwar in Verfahren, in denen durch Gesetz die erforderlichen prozessualen Sicherungen gewährleistet sind und der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör
besteht.“107
Nimmt man diese Leitlinien in den Blick, so bleibt es zweifelhaft, ob der Gesetzgeber,
selbst bei Änderung des Art. 19 Abs.4 GG, bestimmten in die Verwaltung eingegliederten Kontrollorganen das Recht der letztverbindlichen Entscheidung über Ansprüche
Betroffener zuerkennen dürfte, ob es nicht vielmehr ergänzend der Möglichkeit eines –
und sei es auch nur einstufigen – gerichtlichen Überprüfungsverfahrens bedürfte. Diese
Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes müsste nicht zwingend vollen Zugriff auf
Tatsachenfragen und Rechtsanwendung ermöglichen, sondern könnte sich u.U. mit einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zufrieden geben. Den Weg zu den Gerichten ganz auszuschließen, würde aber – so dürfte als Schlussfolgerung zu ziehen sein –
das Projekt einer grundlegenden Asylreform mit unabwägbaren verfassungsrechtlichen
Risiken belasten.
106
107
BVerfG, ebd., Rdnr.111.
BVerfG, ebd., Rdnr.112.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
73
Ein weiteres Problem kommt hinzu. Bei der heutigen Zweiteilung des Rechtsschutzverfahrens in das Asylverfahren und die Verfahren nach allgemeinem Ausländerrecht führt
eine immer weitere Absenkung der Standards des Asylverfahrensrechts allein zu keiner
wirklichen Beschleunigung der Rechtsschutzverfahren und Effektivierung der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Solange der Betroffene komplementär
noch Rechtsschutz gegen die ausländerrechtlichen Begleit- und Folgemaßnahmen der
Asylversagung und der anschließenden Abschiebung erlangen kann, ist mit Ausweichmaßnahmen in den Bereich des Rechtsschutzes nach allgemeinem Ausländerrecht zu
rechnen. Wenn schon, dann müsste man – sollte die Beschränkung der Möglichkeiten
des gerichtlichen Rechtsschutzes effektive Wirkung zeitigen – im Ausländerrecht den
gesamten Bereich des zielstaatsbezogener Risiken aus dem Gewährleistungsumfang des
Art. 19 Abs. 4 GG herausnehmen, um ihn einem – nach den oben erläuterten Maßgaben
„gleichwertigen“ - verwaltungsinternen Kontrollverfahren zu unterstellen.
2.4. Verfassungsrechtliche Konsequenzen
Aus verfassungsrechtlicher Perspektive fällt die Antwort auf die Frage, welche zusätzlichen gesetzgeberischen oder administrativen Spielräume im Hinblick auf die Ergreifung
verfahrensbeschleunigender Maßnahmen und die materiellen Voraussetzungen der
Schutzgewährung sich bei der Umwandlung des Grundrechts auf Asyl aus Art. 16 a
Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie ergäben, und komplementär aus einer Einschränkung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, recht ernüchternd aus.
Nicht überschätzen sollte man zunächst die durch den Entzug der individualgrundrechtlichen Rechtspositionen bedingten Verkürzungen des verfahrensbedingten Aufenthalts.
Tatsächlich wären die Einzelfallentscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge und der Verwaltungsgerichte zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Asyls der Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren
nach Maßgabe des Art. 16 a Abs. 1 GG weitestgehend entzogen. Darüber hinaus würde
eine Umwandlung des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine bloße institutionelle Garantie zusätzliche administrative Entscheidungsspielräume in Form größerer Ermessensspielräume der Behörden auf einfachgesetzlicher Ebene herbeiführen, da die ermessensreduzierende Wirkung des Art. 16 a Abs. 1 GG in seiner Ausgestaltung als Individualgrundrecht insofern entfallen würde. Andererseits könnte die Umgestaltung des Art. 16 a Abs.
Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung im Asylverfahren
74
1 GG in eine bloße institutionelle Garantie Asylsuchende, denen Verletzungen der
Menschenwürde bzw. Verletzungen von Leib oder Leben drohen, nicht daran hindern,
sich im Fall aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf den Schutz aus Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu berufen, wodurch wiederum der Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht eröffnet wäre. Hierin liegt der letztlich unantastbare Kernbereich des
Asylrechts, der über Art. 79 Abs. 3 GG auch der Disposition des verfassungsändernden
Gesetzgeber entzogen ist. Zwar lässt sich der individualgrundrechtliche Charakter des
Asylrechts selbst beseitigen; die über Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten grundrechtlichen Auffangpositionen stehen jedoch nicht zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers.
Spürbare Verkürzungen des verfahrensbedingten Aufenthalts wären möglicherweise
durch eine Änderung des Art. 19 Abs. 4 GG zu erzielen, die Fragen des Asyls und dazu
bestimmte Fragen des Ausländerrechts von der Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes
ausschlösse. Angesichts der oben dargelegten teilweise geringeren Anforderungen an
ein solches verfassungsrechtlich zulässiges verwaltungsinternes Kontrollverfahrens wären bei entsprechender Ausgestaltung des Verfahrens hier eventuell Verkürzungen des
verfahrensbedingten Aufenthalts zu erzielen, deren Ausmaß jedoch ungewiss ist, wenn
man als Vergleichsmaßstab eine gut ausgestattete, spezialisierte Asylgerichtsbarkeit
heranzieht. Auch muss man im Blick behalten, dass im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter Umständen die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der aufenthaltsrelevanten Entscheidungen in jedem Fall offen
bleiben müsste.
Zusätzliche gesetzgeberische Spielräume könnten sich nur nach Maßgabe der Grenze
des unantastbaren Menschenwürdegehalts des Asylrechts ergeben, der angesichts der
aktuellen Gesetzeslage keine großen Spielräume mehr eröffnen dürfte. Unabhängig davon, ob man einen solchen Menschenwürdekern des Asylrechts anerkennt, ergeben sich
diese engen Grenzen auch aus anderem Grunde. So stehen nämlich alle bislang getroffenen Feststellungen über die verfassungsrechtlichen Konsequenzen der erörterten
Grundgesetzänderungen unter dem Vorbehalt der Grenzen des für die Bundesrepublik
Deutschland verbindlich geltenden Völkerrechts, an denen sich auch das deutsche Asylrecht auszurichten hat und dessen Mindestanforderungen durch keine Grundgesetzänderung beseitigt werden können. Eine Absenkung der materiellen und verfahrensrechtlichen Standards des Asylrechts über diese Grenzen hinaus wäre widersinnig, da so der
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
75
Gesetzgeber zwar möglicherweise kurzfristig Verkürzungen des Asylverfahrens erzielen könnte, die er aber – im Rahmen der Primärpflicht aus der in Folge entstehenden
Staatenverantwortlichkeit – wieder zu beseitigen hätte.
3. Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
In einem zweiten Bearbeitungsschritt ist der – allzu oft übersehenen – Frage nachzugehen, welche Schranken für mögliche Änderungen des Asylverfahrens sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Völkerrecht ergeben. Im Hinblick auf die Vorgaben
des Völkerrechts ist dabei zu fragen, ob die oben dargestellten „Gewinne“ an zeitlicher
„Effizienz“ des Asylverfahrens nicht durch anderweitige Instrumente des gerichtlichen
Rechtsschutzes, die dann eventuell an die Stelle des bisherigen Asylverfahrens träten,
wieder aufgefressen würden. So gelten über Art. 25 GG nicht nur die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze eines „due process“ und „fair trial“ als unmittelbar geltendes
Recht in der Bundesrepublik.108 Auch das Verbot „unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung“ ist als Menschenrecht sowohl universal (vgl. Art. 7 IPBPR109) als auch
regional für Europa anerkannt (vgl. Art. 3 EMRK). Von besonderer Bedeutung ist in
diesem Zusammenhang der Schutz vor Abschiebung aus den völkerrechtlichen Verträgen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)110 und der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)111, denen die Bundesrepublik Deutschland vorbehaltlos beigetreten ist. Ausgehend von Art. 33 Abs. 1 GFK sowie Art. 3 EMRK hat sich hier mit
zunehmender rechtsschutzverstärkender Tendenz die Schutzregel des sogen. „nonrefoulement“ durchgesetzt, die für die innerstaatliche Rechtsanwendung von größter
Bedeutung ist.
108
109
110
111
Vgl. dazu C. Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 25 Rdnr.46.
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPBPR), BGBl.
1973 II, S. 1533. Vgl. auch das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, BGBl. 1990 II, S. 246.
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November
1950 (EMRK), BGBl. 1952 II, S. 685, 953; 1968 II, S. 1111, 1120; 1989 II, S. 546.
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (GFK), BGBl. 1953 II, S. 559
i.V.m. dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, BGBl. II, S. 1294
– in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 5.11.1969, BGBl. 1970 II, S. 194 auch abgedruckt in 189 UNTS 150 bzw. 606 UNTS 267.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
76
3.1. Genfer Flüchtlingskonvention
Prägend für die Entwicklung des völkerrechtlichen Gebots des „non-refoulement“ war
und ist Art. 33 Abs. 1 GFK, der bestimmt:
„Keiner der vertragsschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die
Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“112
Das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland trägt der Bedeutung des Art.
33 Abs. 1 GFK durch § 51 Abs. 1 AuslG Rechnung.
3.1.1. Geltungsumfang ratione personae der GFK
Ursprünglich war die GFK gemäß ihrem Art. 1 A Abs. 2 nur auf vor dem 1. Januar
1951 eingetretene fluchtauslösende Ereignisse anwendbar. Diese Stichtagsregelung ist
mit Art. I Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar
1967113 entfallen.
In Art. 1 A Nr. 2 definiert die GFK als „Flüchtling“ eine Person, die
„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes
nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will
...“.
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Definition zur Bestimmung des Begriffs der
politischen Verfolgung ohne sprachliche Abänderung übernommen.114 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung die Flüchtlingsdefinition der GFK modifiziert, ohne dass es dadurch jedoch zu nennenswerten sachlichen Unterschieden gekommen wäre.115 Die Gruppe der Konventionsflüchtlinge ist weitestgehend deckungsgleich
mit der Gruppe der politisch Verfolgten, die in der Bundesrepublik nach bisheriger
Rechtslage Recht auf Asyl genießen.116 Es sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen
der Schutzbereich von Art. 33 Abs. 1 GFK über den des Art. 16 a Abs. 1 GG hinaus-
112
113
114
115
116
Zu beachten ist, dass nach der Schlussformel des Abkommens lediglich die englische und die französische Fassung authentisch sind; bei der hier zitierten deutschen Fassung handelt es sich um die im
Bundesgesetzblatt abgedruckte offizielle Übersetzung.
BGBl. 1969 II, S. 1294.
Vgl. BVerwGE 4, 235 (237); 77, 258 (263 f.); BVerwG, InfAuslR 1996, S. 225 (227).
Vgl. BVerfGE 80, 315 (315).
B. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 16 a Rdnr. 2; D. Kugelmann, ZAR 1998, S. 243 (244).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
77
geht.117 Für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft schreibt die GFK im übrigen
kein bestimmtes Verfahren vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich insoweit eine
bestimmte Staatenpraxis herausgebildet hätte, der nach Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener
Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969118 Verbindlichkeit
beizumessen wäre.
3.1.2. Geltungsumfang des Non-Refoulement-Gebotes nach der GFK
Art. 33 Abs. 1 GFK enthält das für das Flüchtlingsrecht zentrale Gebot des „nonrefoulement“.119 Der Geltungsumfang dieses Verbotes ist in vielerlei Hinsicht umstritten.
Allgemein anerkannt ist zunächst, dass Art. 33 GFK den Vertragsstaaten verbietet, einen Flüchtling an einen Verfolgerstaat auszuliefern oder abzuschieben, aus dem dieser
unmittelbar in den Erstaufnahmestaat eingereist ist. Unterschiedliche Ansichten bestehen allerdings immer noch zu der Frage, ob Art. 33 GFK bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Verfolgungssituation auch die Zurückweisung an der Grenze untersagt.120 Auch ohne genaue Untersuchung der für die einzelnen Ansichten angeführten
Argumente kann im Ergebnis jedoch zumindest für den europäischen Rechtskreis die
Annahme als gesichert gelten, dass das Refoulement-Verbot auch auf den an der Grenze
um Schutz nachsuchenden Flüchtling anzuwenden ist.121
Beinhaltet Art. 33 Abs. 1 GFK somit das Verbot der Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Auslieferung, so darf trotzdem nicht übersehen werden, dass Art. 33
GFK die Staaten nicht zur Asylgewährung oder zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet. Einer Ausweisung, Abschiebung oder sonstigen Aufenthaltsbeendigung mit
Verbringung in Nichtverfolgerstaaten steht Art. 33 GFK nicht entgegen.
Nächster Streitpunkt ist die Frage, ob eine nach Art. 33 GFK tatbestandsmäßige Verfolgungssituation zwingend staatliche Verfolgung voraussetzt, oder ob insofern auch die
117
118
119
120
Vgl. hierzu A. Roth, Die Genfer Flüchtlingskonvention im Schatten des Grundgesetzes, ZAR 1988, S.
164 ff.
BGBl. 1985 II, S. 926.
Vgl. hierzu ausführlich W. Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, 1982; G.-H. Gornig, Das Refoulement-Verbot im Völkerrecht, 1987; G. Stenberg, Non-Expulsion and Non-Refoulement, 1989.
Vgl. zu dieser Diskussion ausführlich J. A. Frowein / A. Zimmermann, Der völkerrechtliche Rahmen
für die Reform des deutschen Asylrechts, 1993, S. 17 ff.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
78
Gefahr nichtstaatlicher Verfolgung ausreichend ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat
bei seiner Auslegung der GFK in Anknüpfung an die entsprechende Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 a Abs. 1 GG122 stets das Erfordernis der
staatlichen Verfolgung auch im Hinblick auf Art. 33 Abs. 1 GFK betont.123 Diesem in
der deutschen Rechtsprechung vertretenen „accountability view“ (Zurechenbarkeit auf
die Staatsgewalt als Ansatzpunkt) steht der insbesondere vom UNHCR vertretene
„protection view“ gegenüber, der nicht zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung unterscheidet, sondern allein danach fragt, ob der Herkunftsstaat der von Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung betroffenen Person Schutz gewähren kann oder
nicht. Nicht nur an dieser Stelle macht sich negativ bemerkbar, dass Art. 33 GFK anders
als Art. 3 EMRK nicht der Auslegung durch eine internationale Gerichtsbarkeit unterliegt.124 Im Hinblick auf die vergleichbare Interessenlage beider Vorschriften kann die
Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK jedoch wichtige Erkenntnisse für den Gewährleistungsumfang des Art. 33 GFK liefern.125 Für die Schutzgarantie aus Art. 3
EMRK stellte der EGMR fest, dass Art. 3 EMRK auch dann Anwendung finden kann,
wenn die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung im Sinne dieser Vorschrift nicht von staatlichen Behörden, sondern von Personen ausgeht, die kein öffentliches Amt innehaben
(„private Dritte“).126
In das von Art. 33 GFK verfolgte Konzept der individuellen politischen, religiösen oder
rassisch bedingten Verfolgung lassen sich Flüchtlinge aus von Bürgerkriegen oder Naturkatastrophen heimgesuchten Gebieten nicht ohne weiteres einordnen. Doch schließt
das der Genfer Konvention zugrunde liegende Prinzip der Individualverfolgung Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten auch nicht von vornherein aus dem Refoulementschutz
des Art. 33 Abs. 1 GFK aus. Obwohl der Flüchtlingsbegriff der GFK von Antragstellern
121
122
123
124
125
126
K. Hailbronner, Refoulement-Verbote und Drittstaatenregelung, in: U. Beyerlin u.a. (Hrsg.), Recht
zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 365 (372).
Vgl. nur BVerfGE 80, 315 (334) unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte.
BVerwGE 95, 42 (48); 104, 254 (256). ). Die englischen Gerichte, die dem „protection view“ folgen,
sehen daher Deutschland im Hinblick auf bestimmte Flüchtlingsgruppen nicht mehr als sicheren Drittstaat an; vgl. House of Lords, Urt. v. 19.12.2000 – Adan.
Von der in Art. 38 GFK vorgesehenen Möglichkeit, den IGH anzurufen, ist bisher nie Gebrauch gemacht worden.
K. Hailbronner, (Fn. 121), S. 371.
Vgl. zuletzt EGMR, Zulässigkeitsentscheidung vom 7.3.2000, Rs. 43844/98, T. I. ./. Vereinigtes Königreich, InfAuslR 2000, S. 321 ff.; EGMR, Urteil vom 17.12.1996, Ahmed ./. Österreich, (Fn. 140).
Vgl. auch schon den Bericht der Kommission im Fall Altun: „(...) the Commission emphasises that
only the existence of an objective danger to the person to be extradited may be considered. (...) The
Commission moreover has taken account, in cases of expulsion, of a danger not arising out of the
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
79
die Darlegung verlangt, dass sie persönliche Verfolgung befürchten, setzt das Individualverfolgungskonzept der Konvention nicht unbedingt voraus, dass der Flüchtling
selbst, also gezielt als Individuum verfolgt wird. Es ist insofern ausreichend, dass sich
die begründete Verfolgungsfurcht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe
ergibt.127
3.1.3. Mindeststandard für ein Anerkennungsverfahren nach der GFK
Aus dem Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK kann die Pflicht jedes Vertragsstaates
abgeleitet werden, mit wirksamen Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass ein Flüchtling in
dem Staat, in den er zurückgewiesen oder zurückgeschoben wird, weder politische Verfolgung zu befürchten hat, noch der Gefahr ausgesetzt ist, in den Verfolgerstaat weitergeschoben zu werden.128 Dem Wortlaut der Konvention lassen sich keine verbindlichen
Leitlinien darüber entnehmen, welche verfahrensrechtlichen Pflichten die Staaten gegenüber Flüchtlingen übernommen haben.129 Grundsätzlich bleibt es daher jedem Vertragsstaat in den Grenzen seiner sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen130 überlassen, das Verfahren, welches er aufgrund seiner konstitutionellen und administrativen
Struktur für angemessen hält, einzuführen und anzuwenden.131 Insbesondere gewährleistet die Genfer Flüchtlingskonvention kein Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz gegen behördliche Entscheidungen im Bereich des Flüchtlingsrechts.132
Aus der generellen Verpflichtung völkerrechtlicher Vertragsparteien, nach Treu und
Glauben an der Erreichung der Ziele des Vertrages mitzuwirken, ergibt sich im Rahmen
des Art. 33 GFK lediglich die Pflicht zur Bereitstellung irgendeines Feststellungsverfahrens.133 Ein vollständiger Ausschluss eines solchen Verfahrens käme einem „denial of
127
128
129
130
131
132
133
authorities of the State receiving the person concerned (...).“Application 10308/83, Yearbook of the
European Convention on Human Rights 26 (1983), S. 164.
Vgl. hierzu ausführlich R. Marx, Völkervertragliche Abschiebungshindernisse für Flüchtlinge, in: K.
Barwig, G. Brinkmann, u.a. (Hrsg.), Ausweisung im demokratischen Rechtsstaat, 1996, S. 273 (291
ff.).
K. Hailbronner, (Fn. 121), S. 374.
K. Hailbronner, ZAR 1987, S. 3 (6).
Solche Verpflichtungen können sich insbesondere aus der EMRK und dem Internationalen Pakt über
Bürgerliche und Politische Rechte ergeben.
Davon geht auch der UNHCR aus, vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (1979), S. 55 f.
Siehe auch www.unhcr.ch/refworld/legal/handbook/handeng//hbtoc.htm.
J. A. Frowein / A. Zimmermann, (Fn. 120), S. 36; K. Hailbronner, (Fn. 121), S. 374.
J. A. Frowein / A. Zimmermann, (Fn. 120), S. 35.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
80
justice“, also einer Rechtsverweigerung gleich.134 An ein solchermaßen notwendiges
Verfahren der Feststellung stellt das Völkergewohnheitsrecht verschiedene Minimalanforderungen, als Ausprägungen der Grundsätze des fair trial.
3.1.4. Zusammenfassende Betrachtung
Der Refoulementschutz nach Art. 33 GFK umfasst das Verbot der Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Auslieferung.135 Er verpflichtet den Zufluchtsstaat nicht
zur Gewährung eines Aufenthaltsrechts für Flüchtlinge und beinhaltet somit keinen Anspruch auf Asylgewährung, sondern lediglich eine völkerrechtliche Unterlassungspflicht, die sich allenfalls dann zu einem Aufenthaltsrecht verdichtet, wenn kein sicherer
Drittstaat existiert.136 Mit der Verankerung der Gewährleistung des ohnehin über Art. 59
Abs. 2 GG innerstaatlich im Range eines einfachen Gesetzes geltenden Art. 33 Abs. 1
GFK in § 51 Abs. 1 AuslG hat der deutsche Gesetzgeber seinen Willen zur Einhaltung
der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik unterstrichen.
Für ein umgestaltetes Beschwerdeverfahren in Asylangelegenheiten ergeben sich aus
der Genfer Flüchtlingskonvention dagegen keine bedeutsamen Anforderungen.
3.2. Europäische Menschenrechtskonvention
Von weit größerer Bedeutung als praktisch handhabbarer Standard des Abschiebungsschutzes ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch wenn sich weder aus der
EMRK noch aus ihren Zusatzprotokollen ein Recht auf politisches Asyl als solches
herleiten lässt,137 ist sowohl im Schrifttum als auch in der Praxis der Straßburger Organe seit langem anerkannt, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen konventionsrechtlichen Bindungen bzw. Beschränkungen unterliegen. In Betracht kommen dabei als Maß-
134
135
136
137
Vgl. hierzu die Stellungnahme des IGH, ICJ Rep. 1970, S. 48, wo ausgeführt wird: „With regard (...)
to human rights, (...) it should be noted that these also include protection against denial of justice.“.
Der auslieferungsrechtliche Aspekt des völkerrechtlichen Refoulementschutzes ist in der Bundesrepublik umstritten. Vgl. hierzu die identischen Regelungen in § 45 S. 2 AuslG 1965; § 18 S. 2 AsylVfG
1982; § 4 S. 2 AsylVfG 1992: keine Bindungswirkung der asylrechtlichen Entscheidung für das Auslieferungsverfahren
J. A. Frowein / R. Kühner, ZaöRV 43 (1983), S. 537 (553).
EGMR, Urteil vom 30.10.1991, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, Ser. A, Nr. 215 = NVwZ
1992, S. 869; BVerwGE 3, 235 (236). Vgl. aus dem Schrifttum M. E. Villiger, Handbuch der EMRK,
1993, S. 183; C. Gusy, ZAR 1991, S. 63 (65); J. A. Frowein / A. Zimmermann, (Fn. 120),S. 29.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
81
stabsnormen die Gewährleistungen der Art. 2, 3, 8 und 13 EMRK. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des Art. 3 EMRK. Diese lautet:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Nach überwiegender Ansicht im Schrifttum138 und nach ständiger Rechtsprechung des
EGMR legt das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung139 nach Art. 3 EMRK in Verbindung mit Art. 1 EMRK, welcher von den Konventionsstaaten verlangt,
„allen ihrer unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Herrschaftsgewalt Rechte und Freiheiten [zu sichern]“,
den Vertragsstaaten die Verpflichtung auf, eine Person nicht in einen Staat abzuschieben, wenn stichhaltige Gründe die Annahme zulassen, dass diese Person einem tatsächlichen Risiko einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt wäre.140
Die Folgerung, dass sich aus Art. 3 EMRK ein Schutz vor Ausweisung ergeben kann,
wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte erstmalig in den Jahren
1961141 und 1962142 angenommen. Dort hieß es:
„(...) the Commission held that the deportation of a foreigner to a particular country might in the
exceptional case give rise to the question whether there had been ‚inhuman treatment‘ within the
meaning of Art. 3 of the Convention.“143
Im Jahre 1972 kam es in der Rechtssache Amekrane zu einem „friendly settlement“
i.S.v. Art. 28 (b) EMRK, nachdem das Vereinigte Königreich eine Person an Marokko
ausgeliefert hatte, die wegen eines Attentats auf den König gesucht und dort zum Tode
verurteilt worden war. Die Kommission hatte auch insoweit die Beschwerde gegen ei-
138
139
140
141
142
143
Vgl. hierzu R. Alleweldt, Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe, 1996, S. 16 ff. m.w.N.
Zu den Begriffen vgl. A. Casese, Prohibition of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or
Punishment, in: R. St. J. Macdonald / F. Matscher / H. Petzold (Hrsg.), The European System for the
Protection of Human Rights, 1993, S. 225 (229); R. Alleweldt, (Fn. 138), S. 17 ff. m.w.N.
Vgl. hierzu beispielhaft EGMR, Urteil vom 17.12.1996, Ahmed ./. Österreich, RJD 1996, S. 2195 =
InfAulsR 1997, S. 279 = NVwZ 1997, S. 1100.
Application 984/61 (unveröffentlicht), auf die jedoch in der Entscheidung X. ./. Bundesrepublik
Deutschland vom 6.10.1962, Yearbook of the European Convention on Human Rights 4 (1962), S.
256 (260), Bezug genommen wird.
X. ./. Bundesrepublik Deutschland, Entscheidung vom 6.10.1962, Yearbook of the European Convention on Human Rights 4 (1962), S. 256 ff.
Vgl. hierzu auch die Zulässigkeitsentscheidung in der Sache X. ./. Bundesrepublik Deutschland, Application 2396/65, die später aus anderen Gründen gestrichen wurde, in: Council of Europe, Stocktaking on the European Convention on Human Rights – The First Thirty Years (1954-1984), S. 147 f.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
82
nes möglicherweise vorliegenden Rechtsverstoßes gegen Art. 3 EMRK für zulässig erachtet.144
Auch der Gerichtshof erkannte im Jahr 1989 im Fall Soering an, dass eine Auslieferungsentscheidung gegen Art. 3 EMRK verstößt, wenn dem Betroffenen in dem Staat,
an den er ausgeliefert werden soll, eine nach Art. 3 EMRK verbotene Behandlung
droht.145 Im Jahr 1991 stellte er dann erstmalig fest, dass für Ausweisungsentscheidungen grundsätzlich nichts anderes gelten kann. Er wandte dementsprechend die im Fall
Soering entwickelten Prinzipien im Fall Cruz Varas erstmalig auf einen abgewiesenen
Asylbewerber an, der sich gegen eine Abschiebung nach Chile zur Wehr setzte.146 Diese
Rechtsprechung führte der Gerichtshof in seiner Vilvarajah-Entscheidung vom 30. Oktober 1991147 fort.
In seinem Anwendungsbereich ist Art. 3 EMRK teilweise enger, teilweise aber auch
weiter als die Vorschrift des Art. 33 GFK. Weiter ist Art. 3 EMRK insofern, als durch
ihn nicht nur Flüchtlinge im Rechtssinne geschützt werden. Während sich die GFK nur
auf politische Verfolgung bezieht und schon aus diesem Grund keine Gewähr dafür
bieten kann, dass alle unter Menschenrechts- und Menschenwürdegesichtspunkten relevanten Arten der Verfolgung, also auch die nichtpolitisch motivierte Verfolgung, berücksichtigt werden, kann sich auf die EMRK jedermann, unabhängig von seinem
rechtlichen Status, berufen.148. Enger ist der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK jedoch insofern, als seine Tatbestandsmerkmale eine gewisse Mindestschwere des Eingriffs voraussetzen.
3.2.1. Umfang des Non-Refoulement-Gebotes nach der EMRK
Im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Begriffs der unmenschlichen
oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe als zentralem Tatbestandsmerkmal von
144
145
146
147
E 5961/72, Amekrane ./. Vereinigtes Königreich, Yearbook of the European Convention on Human
Rights 14 (1972), S. 356 ff.
EGMR, Soering ./. Vereinigtes Königreich, Ser. A, Nr. 161, § 42 = EuGRZ 1989, S. 314 (322 f.).
EGMR, Urteil vom 20.3.1991, Cruz Varas ./. Schweden, Ser. A, Nr. 201, § 76 = EuGRZ 1991, S. 203.
Im konkreten Fall wurde verneinte der Gerichtshof allerdings eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit
der Begründung, dass der chilenische Beschwerdeführer zum einen widersprüchliche Angaben gemacht habe, zum anderen Flüchtlinge freiwillig nach Chile zurückgekehrt seinen und sich generell die
Situation in Chile im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen verbessert habe.
EGMR, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
83
Art. 3 EMRK hat der EGMR das Kriterium des Minimums an „Schwere“ eingeführt.
Der Gerichtshof fordert in ständiger Rechtsprechung, dass die mit der Strafe oder Behandlung verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen.149 Nicht jede tatbestandsmäßige Menschenrechtsverletzung überschreitet
somit auch die tatbestandlichen Grenzen des Art. 3 EMRK. In den Fällen Cruz-Varas150
und Vilvarajah151 etablierte der Gerichtshof zudem den Grundsatz, dass die Entstehung
eines Schutzanspruchs aus Art. 3 EMRK das Vorliegen stichhaltiger Anhaltspunkte für
die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung voraussetzt. Dabei
muss die betroffene Person darlegen, dass ihre Situation sich aufgrund besonderer Umstände negativ von der anderer Bewohner dieses Staates abhebt; die bloße Feststellung
einer allgemeinen Gewaltsituation im Herkunftsland soll insofern nicht genügen.
Bezüglich der Schutzwirkung des Art. 3 EMRK hat der Gerichtshof stets dessen „absoluten Charakter“152 hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass diese Norm keinem
Einschränkungsvorbehalt unterliegt und damit zu den wenigen Menschenrechten gehört,
die gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK notstandsfest sind.153 In Anlehnung an diese Feststellung legt der EGMR die Schutzwirkung des Art. 3 EMRK extensiv aus. Für diese extensive Auslegung der Schutzwirkung des Art. 3 EMRK sind vier Merkmale charakteristisch:154
-
Einbeziehung nichtstaatlicher Risiken
-
Ausweitung des Begriffs der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder
Strafe
-
Absolutheit des Schutzes aus Art. 3 EMRK auch gegenüber Vorbehalten der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
-
148
149
150
151
152
153
154
Auflockerung der Beweisanforderungen
S. Trechsel, Art. 3 EMRK als Schranke der Ausweisung, in: K. Barwig, G. Brinkmann, u.a. (Hrsg.),
Ausweisung im demokratischen Rechtsstaat, 1996, S. 223 (332).
EGMR, Soering ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 145).
EGMR, Cruz Varas ./. Schweden, (Fn. 146).
EGMR, Vilvarajah u.a. ./.Vereinigtes Königreich, (Fn. 137), § 111.
Kritisch hierzu K. Hailbronner, (Fn. 154), S. 621 f.
EGMR, Urteil vom 15.11.1996, Chahal ./. Vereinigtes Königreich, RJD 1996, S. 1831 = InfAuslR
1997, S. 97 (99) = NVwZ 1997, S. 1093 mit weiteren Hinweisen auf die bisherige Rechtsprechung.
Vgl. hierzu kritisch K. Hailbronner, DÖV 1999, S. 617 (618).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
84
Unter Berufung auf den „absoluten Charakter“ der Schutzgarantie aus Art. 3 EMRK
stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass Art. 3 EMRK auch dann Anwendung finden
kann, wenn die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung im Sinne dieser Vorschrift nicht von
staatlichen Behörden, sondern von Personen ausgeht, die kein öffentliches Amt innehaben („private Dritte“). Einschränkend forderte der Gerichtshof insofern nur die Darlegung, dass das Risiko tatsächlich besteht und dass die Behörden des Aufnahmestaates
nicht in der Lage sind, dem Risiko durch angemessenen Schutz vorzubeugen.155 Die
gegenteilige Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts,156 dass bei nichtstaatlicher Misshandlung ein Abschiebungsschutz aus Art. 3 EMRK nicht in Betracht komme,157 vermag im Hinblick auf die Integrität und Würde des Menschen als zentralem Schutzgut
von Art. 3 EMRK nicht zu überzeugen.158 Anknüpfungspunkt der den Konventionsstaat
treffenden Verantwortlichkeit ist schließlich die Handlung, die die betroffene Person der
Gefahr einer tiefgreifenden Menschenwürdeverletzung aussetzt. Diese Gefahr ist jedoch
bei staatlichen und nichtstaatlichen Maßnahmen dieselbe.159
Dass der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK nicht auf Situationen beschränkt ist, in
denen dem Antragsteller Gefahr durch gezielte Maßnahmen der öffentlichen Gewalt
oder nichtstaatlicher Organisationen des Aufnahmestaates droht, entschied der Gerichtshof im Fall D. v. United Kingdom, wo er die Abschiebung eines an Aids erkrankten Drogenkuriers, der nach Verbüßung einer Haftstrafe in Großbritannien nach St.
Kitts abgeschoben werden sollte, mit der Begründung untersagte, dass der plötzliche
Entzug der medizinischen Behandlung eine dramatische Verschlechterung seines Zustands zur Folge haben könne und ihn psychischem und physischem Leid aussetzen
würde, das als unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK angesehen wer-
155
156
157
158
159
Vgl. zuletzt EGMR, Zulässigkeitsentscheidung vom 7.3.2000, Rs. 43844/98, T. I. ./. Vereinigtes Königreich, InfAuslR 2000, S. 321 ff.; EGMR, Urteil vom 17.12.1996, Ahmed ./. Österreich, (Fn. 140).
Vgl. auch schon den Bericht der Kommission im Fall Altun: „(...) the Commission emphasises that
only the existence of an objective danger to the person to be extradited may be considered. (...) The
Commission moreover has taken account, in cases of expulsion, of a danger not arising out of the
authorities of the State receiving the person concerned (...).“Application 10308/83, Yearbook of the
European Convention on Human Rights 26 (1983), S. 164.
BVerwGE 95, 42 (44 ff.); 101, 328 (331 ff.); 104, 254 (257 ff.); 105, 306 (307 ff.).
Den nach Art. 3 EMRK gebotenen Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung setzt im deutschen Recht
nur § 53 Abs. 6 AuslG um, der jedoch als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist und somit keinen
gleichwertigen Schutz gewähren kann. Vgl. zu dieser Problematik auch J. Henkel, Nichtstaatliche
Verfolgung unter Berücksichtigung von GFK und EMRK, in: K. Barwig, G. Brinkmann, u.a. (Hrsg.),
Neue Regierung – neue Ausländerpolitik?, 1999, S. 423 (439).
R. Marx, InfAuslR 1997, S. 447 ff.; A. Zimmer, ZAR 1998, S. 115 ff.
R. Alleweldt, Ausweisung und Abschiebungsschutz – Novellierungsbedarf im deutschen Ausländerrecht im Hinblick auf die EMRK und das Europäische Fürsorgeabkommen, in: K. Barwig, G. Brinkmann, u.a. (Hrsg.), Neue Regierung – neue Ausländerpolitik?, 1999, S. 275 (277 f.).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
85
den müsse.160 Dem „absoluten Charakter“ des Art. 3 EMRK verhalf der Gerichtshof
auch im Fall Chahal zur Geltung, in dem er der britischen Regierung die Abschiebung
des indischen Staatsbürgers Chahal trotz deren Berufung auf eine terroristische Betätigung des Antragstellers und eine daraus resultierende Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbot.161 Der Fall T. I. / Vereinigtes Königreich gab dem Gerichtshof schließlich
Anlass zu der Feststellung, dass ein Konventionsstaat auch im Rahmen der Anwendung
des Dubliner Übereinkommens einen Flüchtling nicht ohne Prüfung der Relevanz von
Art. 3 EMRK in einen anderen Vertragsstaat abschieben darf.162 Der Gerichtshof hob in
diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor, dass die Vertragsstaaten der EMRK sich
durch die Schaffung von internationalen Institutionen und Übereinkommen nicht von
ihren aus der EMRK resultierenden Verpflichtungen befreien können.163
Noch nicht explizit Stellung genommen hat der EGMR bislang zu der Frage, ob sich aus
Art. 3 EMRK auch eine Verpflichtung ergibt, eine Person, der eine unmenschliche Behandlung droht, an der Grenze nicht zurückzuweisen. Im völkerrechtlichen Schrifttum
ist mittlerweile jedoch überwiegend anerkannt, dass das Refoulement-Verbot aus Art. 3
EMRK auch für die Zurückweisung oder Zurückschiebung an der Grenze gilt, wenn
ansonsten die Person einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt würde.164
Im Schrifttum hat die extensive Auslegung des Schutzbereichs des Art. 3 EMRK überwiegend positive Reaktionen hervorgerufen. Unabhängig von der an der hier zitierten
Rechtsprechung des EGMR geübten Kritik165 und der teilweise deutlich ablehnenden
Haltung des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber der extensiven Auslegung der aus
Art. 3 EMRK resultierenden Schutzgarantie166 ist zusammenfassend festzustellen, dass
die Schutzgarantie des Art. 3 EMRK umfassend angelegt ist und in vielerlei Hinsicht
schon jetzt einen besseren Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gewährt als
das innerstaatliche Recht.
160
161
162
163
164
165
166
EGMR, Urteil vom 2.5.1997, D. ./. Vereinigtes Königreich, RDJ 1997, S. 777 (792 f.).
EGMR, Chahal ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 153).
EGMR, T. I. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 155), S. 323.
EGMR, T. I. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 155), S. 323. Vgl. hierzu auch R. Marx, InfAuslR 2000,
S. 313 (313 f.).
K. Hailbronner, (Fn. 154), S. 623; W. Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, 1982, S. 169 f.; J. A.
Frowein / A. Zimmermann, (Fn. 120), S. 30 f.; A. Zimmermann, (Fn. 1), S. 86. A.A. z.B. C. Gusy,
ZAR 1993, S. 63 (65).
Vgl. hierzu K. Hailbronner, DÖV 1999, S. 617 (620 ff.) m.w.N.; T. Buß, DÖV 1998, S. 323 ff.
Das Bundesverwaltungsgericht spricht von einer „den Vertragsinhalt sprengenden extensiven Auslegung“ durch den EGMR, BVerwGE 105, 187 (192).Vgl. auch BVerwGE 95, 42 (44 ff.); 101, 328
(331 ff.); 104, 254 (257 ff.); 105, 306 (307 ff.) (Ablehnung der Anwendung des Art. 3 EMRK auf
Fälle nichtstaatlicher Verfolgung). Kritisch hierzu J. A. Frowein, DÖV 1998, S. 806 (808 ff.).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
86
3.2.2. Mindeststandard für ein Anerkennungsverfahren nach der EMRK
Wie auf dem Gebiet des Grundrechtsschutzes gilt auch für das Refoulement-Verbot aus
Art. 3 EMRK der Grundsatz, dass der hieraus resultierenden Schutzanspruch nie mehr
wert sein kann als die ihn flankierenden Verfahren zu seiner Durchsetzung. Der Gerichtshof hat deshalb in vielen der oben zitierten Verfahren neben Art. 3 auch Art. 13
EMRK angesprochen,167 der die aus der EMRK erwachsenden verfahrensrechtlichen
Anforderungen normiert:
„Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so
hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen,
selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.“
Die sich aus der EMRK ergebenden verfahrensrechtlichen Pflichten treffen nicht allein
die Organe des Europarats, sondern daneben auch die Organe der Mitgliedstaaten. Die
den Mitgliedstaaten durch Art. 3 EMRK auferlegte Verantwortlichkeit für Handlungen,
durch die die Betroffenen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder
Behandlung ausgesetzt werden, begründet ebenso wie die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur materiellrechtliche, sondern auch verfahrensrechtliche Verpflichtungen.
Der EGMR hat in diesem Zusammenhang die Verpflichtung der Konventionsstaaten
betont, die Vorschriften der EMRK als Schutzgarantien „praktisch wirksam und effektiv“ („effective remedy“) zu gestalten, zu verstehen und anzuwenden.168 Art. 3 und Art.
13 EMRK stellen damit Anforderungen auf, denen auch ein umgestaltetes, möglicherweise rein verwaltungsinternes Kontrollverfahren in Asylfragen genügen müsste.
Art. 3 EMRK begründet zunächst die Pflicht jedes Konventionsstaates, das Vorbringen
von Personen, sie würden im Falle einer Abschiebung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt, sorgfältig und für den Einzelfall zu prüfen.169 Für die
Dauer dieser Prüfung setzt das der Vorschrift des Art. 3 EMRK zugrundeliegende Effektivitätsprinzip zwingend die Aussetzung der Vollstreckung der angegriffenen Maßnahme voraus, da sonst die Gefahr irreparabler Menschenrechtsverletzungen bestünde.
167
168
169
Vgl. z.B. EGMR, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137), §§ 117-127; Urteil vom
24.7.1988, Boyle & Rice ./. Vereinigtes Königreich, Ser. A, Nr. 131 § 52; zuletzt Urteil vom
11.7.2000, Jabari ./. Türkei, Beschwerde Nr. 40035/98, bislang noch nicht veröffentlicht.
EGMR, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137), §§ 117-127; Urteil vom 24.7.1988,
Boyle & Rice ./. Vereinigtes Königreich, Ser. A, Nr. 131 § 52.
T. Einarsen, IJRL 2 (1990), S. 361 (381); R. Alleweldt, (Fn. 138), S. 89.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
87
Es besteht somit ein vorläufiges Aufenthaltsrecht bis zur ersten Entscheidung über die
Begründetheit der Geltendmachung von Art. 3 EMRK.170
Gegen eine negative Entscheidung dieser ersten Verfahrensebene gewährleistet Art. 13
EMRK, dann, wenn das Vorbringen einer Menschenrechtsverletzung zumindest vertretbar (arguable) erscheint,171 des weiteren die Verfügbarkeit einer wirksamen Beschwerdemöglichkeit auf nationaler Ebene zur Verstärkung der Substanz der Rechte und Freiheiten der Konvention.172 In diesem Sinne setzt er die Bereitstellung eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs in Form eines Verfahrens voraus, das dazu bestimmt und geeignet
ist, effektiven Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Hierbei muss es
sich wiederum nicht zwingend um einen gerichtlichen Rechtsbehelf im formellen Sinne
handeln. Auch ein verwaltungsinternes Verfahren kann den aus Art. 13 EMRK erwachsenden Anforderungen genügen.173 Allerdings muss dem Beschwerdeführer rechtliches
Gehör – wenn auch nicht zwingend in Form einer mündlichen Verhandlung – gewährt
werden.174 Voraussetzung einer im Sinne des Art. 13 EMRK wirksamen Beschwerdemöglichkeit ist darüber hinaus, dass die angerufene Instanz eine bindende Entscheidung
fällen kann175 und gegenüber der Entscheidungsinstanz eine ausreichende Unabhängigkeit aufweist.176 Des weiteren ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes
zumindest eine indirekte Pflicht des Staates, sich sorgfältig um die Kenntnis aller bedeutsamen Tatsachen zu bemühen. Bei der Einschätzung des Misshandlungsrisikos sind
nicht nur die dem Staat im maßgeblichen Zeitpunkt bekannten Tatsachen, sondern auch
diejenigen zu berücksichtigen, die er hätte kennen müssen.177 Wirksam im Sinne des
Art. 13 EMRK ist auch das Beschwerdeverfahren schließlich nur dann, wenn es aufschiebende Wirkung entfaltet.178
170
171
172
173
174
175
176
177
178
Ibid.
EGMR, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137), §§ 117-127; Urteil vom 24.7.1988,
Boyle & Rice ./. Vereinigtes Königreich, Ser. A, Nr. 131 § 52.
EGMR, Chahal ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 153), § 145.
EGMR, Klass ./. Deutschland, Ser. A, Nr. 28, § 30; Vilvarajah ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137);
J. A. Frowein, in: Frowein / Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnr. 3.
J. A. Frowein, in: Frowein / Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnr. 4.
EGMR, Boyle and Rice ./. Vereinigtes Königreich (Fn. 168), § 24; J. A. Frowein, in: Frowein / Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnr. 3.
J. A. Frowein, in: Frowein / Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnr. 4.
EGMR, Cruz Varas ./. Schweden, (Fn. 146).
Vgl. schon EKMR, Bericht vom 8.5.1990, Nr. 13163/87, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, §
153.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
88
Bestätigt hat der Gerichtshof diese Grundsätze zuletzt in seinem Urteil im Fall Jabari ./.
Türkei vom 11. Juli 2000179. Mit diesem Urteil hat er Verkürzungen verfahrensbedingter
Aufenthaltszeiten von Asylbewerbern durch Umgestaltung des innerstaatlichen Beschwerdeverfahrens klare Grenzen gesetzt. Er wiederholte dort unter Betonung der besonderen Bedeutung von Art. 3 EMRK als einem der fundamentalsten Werte einer demokratischen Gesellschaft,180 dass der Begriff der wirksamen Beschwerde gemäß Art.
13 EMRK in Anbetracht der Unwiderruflichkeit des Leids, das im Falle der Realisierung der behaupteten Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe entsteht, nicht nur eine unabhängige und sorgfältige Prüfung erfordere, ob stichhaltige Gründe für die Furcht vor einem tatsächlichen Risiko einer Art.
3 EMRK widersprechenden Behandlung bestehen, sondern auch die Möglichkeit der
Aussetzung der Vollstreckung der angegriffenen Maßnahme voraussetze.181
Zusammenfassend lassen sich damit zwei fundamentale Anforderungen des Art. 13
EMRK an das innerstaatliche Verfahren zur Geltendmachung der aus Art. 3 EMRK
resultierenden Rechte feststellen:182
-
Die im innerstaatlichen Verfahren zuständigen Stellen sind zur unabhängigen und
sorgfältigen Prüfung des vorgebrachten Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet.
-
Bis zu einer Entscheidung über die Beschwerde vor der innerstaatlichen Kontrollinstanz muss die Vollstreckung der angegriffenen Maßnahme ausgesetzt werden.
3.2.3. Menschenrechtsbeschwerde vor dem EGMR
Zur Beantwortung der Ausgangsfrage, welchen Nutzen die oben erörterten Verfassungsänderungen und die damit verbundene Umgestaltung des Rechtswegs in Asylangelegenheiten in ein verwaltungsinternes Verfahren für die Verkürzung der verfahrensbedingten Aufenthaltszeiten hätten, genügt ein Blick auf die von Art. 3 und Art. 13
EMRK auch für das deutsche Recht verbindlich aufgestellten Anforderungen jedoch
noch nicht.
179
EGMR, Urteil vom 11.7.2000, Beschwerde Nr. 40035/98, Jabari ./. Türkei, bislang noch nicht veröffentlicht.
180
EGMR, Jabari ./. Türkei, (Fn. 179), § 39.
181
EGMR, Jabari ./. Türkei, (Fn. 179), § 50. Vgl. schon EKMR, Bericht vom 8.5.1990, Nr. 13163/87
u.a., Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, § 153.
182
Vgl. hierzu ausführlich R. Alleweldt, (Fn. 138), S. 75 ff.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
89
Anders als die meisten anderen internationalen Menschenrechtsverbürgungen hat die
EMRK ein eigenes Kontrollsystem etabliert, das Privatpersonen die Möglichkeit eröffnet, ihre in der EMRK garantierten Rechte auch tatsächlich durchzusetzen. Jede Person,
der in einem Konventionsstaat der oben dargestellte Refoulement-Schutz verweigert
wird, kann sich gegen diese Beeinträchtigung unter bestimmten Voraussetzungen im
Wege einer Individualbeschwerde vor dem EGMR wehren.
Für das Kontrollsystem der EMRK gilt gemäß der Wiener Erklärung des EuroparatGipfels 1993 über die Reform des EMRK-Verfahrens seit dem 1. November 1998 nach
dem Protokoll Nr. 11 zur EMRK vom 11. Mai 1995183 eine geänderte Verfahrensstruktur. Nach der Abschaffung der Kommission und der Beschränkung des Aufgabenbereichs des Ministerkomitees auf die Überwachung der Ausführung der Urteile (Art. 46
Abs. 2 EMRK) ist der EGMR das einzige Judikativorgan (Art. 19 EMRK) und das
Kontrollsystem der EMRK damit jetzt endgültig justizförmig ausgestaltet. Vor dem
EGMR, dessen Gerichtsbarkeit sich nach ersatzloser Streichung der alten Fakultativklauseln nunmehr alle Konventionsstaaten automatisch unterwerfen müssen (vgl. Art.
33, 34 EMRK), sind auch nach der neuen Verfahrensstruktur sowohl Staatenbeschwerden als auch Individualbeschwerden zulässig. Anders als die Verfahrensregelung vor
Inkrafttreten des 11. Protokolls zur EMRK ist das Klagerecht und die Parteistellung von
Einzelpersonen vor dem EGMR nunmehr explizit in Art. 34 EMRK verbürgt.184
Der Umfang der judikativen Befugnisse des Gerichtshofes beschränkt sich nach wie vor
auf Feststellungsurteile. Zusätzlich darf der verurteilte Konventionsstaat zur Leistung
von Schadensersatz verpflichtet werden (Art. 41 EMRK). Urteile des EGMR sind gemäß Art. 46 EMRK für den konkreten Fall bindend. Die Frage, ob ihnen darüber hinaus
eine allgemeine Bindungswirkung zukommt, ist umstritten. Während einerseits die Ansicht vertreten wird, die in den Entscheidungen des Gerichtshofs enthaltenen Auslegungen des Konventionsrechts entfalteten erga-omnes-Verbindlichkeit,185 lehnt die Gegenansicht eine solche über den entschiedenen Fall hinausgehende allgemeine Bindungs-
183
184
185
BGBl. 1995 II, S. 578.
Nach der alten Rechtslage war die Stellung von Privatpersonen in der Verfahrensstruktur der EMRK
sehr schlecht ausgestaltet. Sie konnten zwar das Verfahren vor der Kommission anstrengen und waren
dort auch parteifähig; am weiteren Verfahrensgang waren sie indes in keiner Weise mehr beteiligt,
vgl. hierzu V. Schlette, JZ 1999, S. 219 (220 ff.).
J. Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, 1993, S. 350 m.w.N. zum Meinungsstand.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
90
wirkung erga omnes ab.186 Zur Begründung führt die Gegenansicht an, eine Bindung an
Interpretationsentscheidungen internationaler Gerichte im Sinne der stare decisis-Regel
gehöre nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Es sei insofern nur eine „Orientierungswirkung“ für die Gerichte der Konventionsstaaten anzunehmen.187 Die Bindung an die Urteile des EGMR bedeute insbesondere nicht, dass sich die Vertragsstaaten nicht pro futura über eine Auslegung und Anwendung einer Konventionsbestimmung verständigen könnten. Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention188 sehe Vereinbarungen über die Anwendung von vertraglichen Bestimmungen ausdrücklich vor.189
Unabhängig davon, für welche der beiden Ansichten man sich entscheidet, ist jedenfalls
unbestritten, dass dem EGMR eine mit der Wirkung oberster Bundesgerichte auf die
nachgeordneten Gerichte vergleichbare Funktion der grundsätzlichen Klärung von
Rechtsfragen zukommt.190 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung der
EMRK für die Auslegung des Grundgesetzes betont und festgestellt, dass hierbei Inhalt
und Entwicklungsstand der EMRK zu berücksichtigen sind, sofern dies nicht zu einer
Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt191 - was im Bereich des
Asylrechts kaum noch zu befürchten ist. Darüber hinaus kann als gesichert angesehen
werden, dass ein den Auffassungen des EGMR zuwiderhandelnder Konventionsstaat
Gefahr läuft, in einem künftigen Verfahren die Völkerrechtswidrigkeit des Verhaltens
seiner Behörden und Gerichte festgestellt zu finden.192
Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich des Zieles der Verkürzung verfahrensbedingter Aufenthaltszeiten ist das Problem der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass das Verfahren der Individualbeschwerde
vor dem EGMR keinen Suspensiveffekt entfaltet. Von großer praktischer Relevanz ist
186
187
188
189
190
191
192
Siehe z. B. K. Hailbronner, DÖV 1999, S. 617 (623); BVerwGE 104, 254 (256); H. Mosler, Judgments of International Courts and Tribunals, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. III, 1997, S. 31 (35).
G. Ress, Die Einzelfallbezogenheit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, in: Rudolf Bernhardt u.a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit - Menschenrechte, Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 719 (731 f.).
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention – WVK), BGBl. 1985 II, S. 926.
K. Hailbronner, (Fn. 154), S. 623.
G. Ress, (Fn. 187), S. 741.
BVerfGE 74, 359 (370).
Vgl. hierzu ausführlich J. Polakiewicz, (Fn. 185), S. 279 ff. sowie R. Bernhardt, Einwirkungen der
Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen auf das nationale Recht, in: K. Hailbronner u.a. (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, S. 23 (28 f.).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
91
in diesem Zusammenhang jedoch die Vorschrift des Art. 39 VO GH, der folgenden
Wortlaut hat:
„(1) The Chamber or, where appropirate, its President may, at the request of a party or of any other
person concerned, or of its own motion, indicate to the parties any interim measure which it considers should be adopted in the interests of the parties or of the proper conduct of the proceedings
before it.
(2) Notice of these measures shall be given to the Committee of Ministers.
(3) The Chamber may request information from the parties on any matter connected with the implementation of any interim measure it has indicated.“
Art. 39 Abs. 1 VO GH räumt dem Gerichtshof die Möglichkeit ein, in dringenden Fällen, d.h. wenn die gerügte Verletzung der EMRK mit einem nicht wiedergutzumachenden Schaden einherginge, vorsorgliche Maßnahmen anzuordnen. Als dringender Fall in
diesem Sinne gilt auch im neuen Gerichtshof193 vor allem die Abschiebung oder Auslieferung eines Beschwerdeführers in einen Drittstaat, in welchem ihm höchstwahrscheinlich eine nach Art. 3 EMRK verbotene unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung
oder Strafe droht.194 In diesen Fällen hat der Gerichtshof nach Art. 39 Abs. 1 VO GH
die Befugnis, die Regierung des betroffenen Konventionsstaats aufzufordern, den Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme während einer bestimmten Frist aufzuschieben.
Zur Frage der Verbindlichkeit des inhaltlich entsprechenden Art. 36 der früheren Verfahrensordnung der Kommission ist viel geschrieben und gestritten worden. Während
nach einer Ansicht die Befolgung dieses Ersuchens mangels Verbindlichkeit von Art.
36 VO KOM ein bloßer Akt der Courtoisie war,195 ging die Gegenansicht davon aus,
dass vorsorgliche Maßnahmen unter bestimmten Umständen durchaus Verbindlichkeit
beanspruchen könnten.196 Anknüpfungspunkt für die Gegenansicht war Art. 25 VO
KOM (= 34 S. 2 EMRK), demzufolge sich die Vertragsparteien verpflichten, die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts vor dem EGMR nicht zu behindern.
193
194
195
196
Die Regelung des Art. 39 VO GH hat die vor Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls geltenden Art. 36
VO Kommission und Art. 36 VO GH a.F. abgelöst. Nach der alten Verfahrensstruktur war in der ersten Verfahrensphase allein die Kommission zuständig; ihr oblag damit auch die Entscheidung über
den Einsatz von Art. 36 ihrer Verfahrensordnung.
M. E. Villiger, SZIER 1999, S. 79 (87).
So der EGMR zu Art. 36 VO Kommission im Fall Cruz Varas ./. Schweden, (Fn. 146), §§ 90-104
sowie S. Trechsel, (Fn. 148), S. 134 (ebenfalls zu Art. 36 VO Kommission).
Vgl. hierzu die vom Gerichtshof mit 10 zu 9 Stimmen verworfene Ansicht der Kommission in ihrem
Bericht vom 7.6.1990 zum Fall Cruz Varas ./. Schweden, Report Nr. 31, §§ 105 ff.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
92
Die Missachtung einer vorsorglichen Anordnung nach Art. 36 VO KOM sollte hiernach
eine Verletzung von Art. 25 EMRK a.F. (= 34 S. 2 EMRK n.F.) darstellen.197
Unter Geltung des neuen Art. 39 VO GH spricht für die erste Ansicht, dass die EMRK
die aufschiebende Wirkung des Verfahrens der Individualbeschwerde nicht vorsieht und
die Konventionsstaaten auch davon abgesehen haben, einen solchen Suspensiveffekt
anlässlich der Neustrukturierung des Verfahrenssystems durch das 11. Zusatzprotokoll
einzuführen. Für die Verbindlichkeit von vorsorglichen Maßnahmen nach Art. 39 VO
GH spricht dagegen vor allem die Effektivität des Menschenwürdeschutzes: eine Vollziehung des geltend gemachten Unrechts durch Abschiebung oder Auslieferung noch
vor Klärung der Begründetheit der Beschwerde würde die wirksame Geltendmachung
des den Beschwerdeführern durch die EMRK garantierten Rechts auf Individualbeschwerde vor dem EGMR unmöglich machen und zudem die Gefahr irreparabler Menschenrechtsverletzungen mit sich bringen.
Unabhängig davon, welcher Ansicht man in dieser Streitfrage folgt, darf die praktische
Seite des Problems nicht übersehen werden. Auf politischer Ebene sind die Konventionsstaaten als Parteien im Individualbeschwerdeverfahren hinsichtlich der Befolgung
der vom Gerichtshof angeordneten vorsorglichen Maßnahmen einem nicht unerheblichen politischen Druck ausgesetzt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang zunächst
auf Art. 39 Abs. 2 VO GH, der vorsieht, dass jede Anordnung einer vorsorglichen Maßnahme dem Ministerkomitee des Europarates mitgeteilt wird. Angesichts der Öffentlichkeit des Verfahrens nicht zu unterschätzen ist zudem der motivierende Faktor des
Art. 39 Abs. 3 VO GH, demzufolge der Gerichtshof die Parteien jederzeit auffordern
kann, Auskunft über die Durchführung der vorsorglichen Maßnahmen zu geben.198
In der Praxis hat die Anordnung vorsorglicher Maßnahmen in der Praxis bislang nur
äußerst selten zu Schwierigkeiten geführt.
Von der suspendierenden Wirkung einer solchen vorsorglichen Anordnung, von deren
Befolgung durch den Konventionsstaat in der Praxis in aller Regel auszugehen sein
wird, kann der einzelne Beschwerdeführer jedoch nur profitieren, wenn es ihm auch
gelingt, rechtzeitig vor dem Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme sein Anlie-
197
198
EKMR, ibid, § 117 ff. Vgl. auch R. Bernhardt, Interim Measures of Protection under the European
Convention on Human Rights, in: ders. (Hrsg.), Interim Measures Indicated by International Courts,
1994, S. 95 (101 ff.).
Vgl. hierzu M. E. Villiger, (Fn. 194), S. 88.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
93
gen vor den EGMR zu bringen. Hier stellt sich das Problem, dass gemäß Art. 35 Abs. 1
EMRK eine Menschenrechtsbeschwerde „in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts“ erst dann zulässig ist, wenn der innerstaatliche
Rechtsweg erschöpft ist, d.h. der Beschwerdeführer auf nationaler Ebene alle effektiven
Rechtsbehelfe ergriffen hat. Aus diesem Erfordernis erwächst für den Antragsteller die
Gefahr, dass er mangels aufschiebender Wirkung von innerstaatlichen Rechtsbehelfen
gar nicht mehr die Gelegenheit bekommt, vor Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Individualbeschwerde vor dem EGMR zu erheben und deshalb auch eine
vorsorgliche Anordnung nach Art. 39 Abs. 1 VO GH nicht in Betracht kommt.
Dass es den Konventionsstaaten jedoch nicht ohne weiteres möglich ist, durch Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen die aufenthaltsverlängernde
Wirkung des Menschenrechtsbeschwerdeverfahrens vor dem EGMR zu umgehen, zeigt
indes die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der Rechtswegerschöpfung. Der
Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass sich die Zulässigkeitsvoraussetzung der
innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung nicht für eine schematische Anwendung eignet
und keinen absoluten Charakter hat. Vielmehr seien bei der Überprüfung der Voraussetzungen der Rechtswegerschöpfung stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.199 Zweck des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung sei es, den Vertragsstaaten
die Möglichkeit zu geben, den ihnen vorgeworfenen Rechtsverletzungen vorzubeugen
oder abzuhelfen, bevor sie dem Gerichtshof vorgelegt werden. In diesem Sinne sei Art.
35 Abs. 1 EMRK mit einer gewissen Flexibilität und ohne exzessiven Formalismus anzuwenden.200
Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung den Beschwerdeführer nur zur Ausschöpfung aller effektiven innerstaatlichen Rechtsbehelfe verpflichtet. In Abschiebungsfällen sieht der Gerichtshof einen Rechtsbehelf aber nur dann als effektiv an, wenn er formal oder zumindest in der
Rechtspraxis einen Suspensiveffekt entfaltet.201 Des weiteren ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass der innerstaatliche Rechtsweg nicht bereits mit Einlegung der
199
200
201
EGMR, Zulässigkeitsentscheidung vom 28.9.2000, Beschwerde Nr. 51342/99, Kalantari ./. Deutschland, z. Zt. noch nicht veröffentlicht. Vgl. auch schon EGMR, Urteil vom 6.11.1980, Van Oosterwijck
./. Belgien, Ser. A, Nr. 40, § 35.
Siehe nur EGMR, Zulässigkeitsentscheidung im Fall Kalantari ./. Deutschland, (Fn. 199), § 35; Urteil
vom 23.10.1996, Ankerl ./. Schweiz, RJD 1996-V, S. 1665, § 34.
St. Rspr. Vgl. schon EKMR, C. ./. Niederlande, DR 38, 224 (225); siehe zuletzt EGMR, Kalantari ./.
Türkei, § 50. Vgl. auch R. Alleweldt, NVwZ 1996, S. 1074 (1077 f.).
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
94
Beschwerde, sondern erst im Zeitpunkt der Zulässigkeitsentscheidung erschöpft sein
muss.202 Es ist daher möglich, gleichzeitig mit dem Antrag in einem umgestalteten asylrechtlichen Verfahren bereits vorsorglich die Menschenrechtsbeschwerde vor dem
EGMR verbunden mit dem Antrag zu erheben, sofort eine vorsorgliche Maßnahme
nach Art. 39 Abs. 1 VO GH zu erlassen. Falls er es für angebracht hält, kann der Gerichtshof dann sogar schon vor dem Ergehen der Entscheidung des innerstaatlich zuständigen Spruchkörpers mit einer solchen Maßnahme in das Verfahren eingreifen.203
Für die Möglichkeiten des deutschen Gesetzgebers, durch Änderungen des Grundgesetzes Verkürzungen des verfahrensbedingten Aufenthalts von Asylbewerbern zu bewirken, ergeben sich an dieser Stelle erhebliche Einschränkungen. Es ist davon auszugehen, dass die Fälle der Geltendmachung von Art. 3 EMRK im Wege der Individualbeschwerde vor dem EGMR in dem Maße zunehmen, in dem die Attraktivität des nationalen Asylverfahrens als Folge restriktiver Gesetzgebung und Praxis sinkt. Nationale
Bestrebungen, das Asylverfahren und dadurch bedingte Aufenthaltszeiten zu verkürzen,
stoßen dabei an klare Grenzen. In dem oben dargestellten Umfang ist Art. 3 EMRK
durchaus geeignet, ein „Quasi-Asylverfahren“ zu etablieren. Angesichts der auch nach
Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls und der damit bewirkten Verbesserungen der Arbeitsfähigkeit des Gerichtshofes immer noch langen Verfahrensdauer im Individualbeschwerdeverfahren, könnte sich eine Verringerung des auf innerstaatlicher Ebene gewährleisteten Schutzes als äußerst kontraproduktiv erweisen.
3.2.4. Zusammenfassende Betrachtung
Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten, bei ihren Maßnahmen die Gefahr
von Folter und anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Maßnahmen auszuschließen. Er schützt damit nicht vor politischer Verfolgung, die unterhalb dieser Eingriffsschwelle bleibt. Auch begründet Art. 3 EMRK keinen Anspruch auf Asyl204 Während
das Recht auf Asyl in den oben beschriebenen Grenzen auch ein Recht auf Aufenthalt
ist, verhindert ein Schutzanspruch aus Art. 3 EMRK lediglich die Zurückweisung, Zu-
202
203
204
Siehe z.B. EKMR, Bericht v. 8.5.1990, Nr. 13163/87, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, S. 1
f.
Vgl. EKMR, Aylor-Davis ./. Frankreich, DR 76, 164 (166). Hier ersuchte der Kommissionspräsident
für den Fall, dass das letzte innerstaatliche Rechtsmittel keinen Erfolg haben würde, um eine vorläufige Aussetzung der Rückführungsmaßnahme.
EGMR, Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 137), ständige Rechtsprechung.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
95
rückschiebung, Abschiebung oder Auslieferung in den Verfolgerstaat oder einen unsicheren Drittstaat und kann sich nur dann zu einem Aufenthaltsrecht verdichten, wenn es
für den Betroffenen kein sicheres Drittland gibt, das bereit ist, ihn aufzunehmen.
Es wäre dennoch völlig verfehlt, die Bedeutung von Art. 3 EMRK und seine Auswirkungen auf das innerstaatliche Asylverfahrensrecht zu unterschätzen. Zunächst ist festzustellen, dass viele politisch verfolgte Personen gleichzeitig Misshandlungen im Sinne
des Art. 3 EMRK zu befürchten haben; ein Beispiel ist die ungerechtfertigte langjährige
Gefängnisstrafe aus politischen Gründen, die eine unmenschliche Behandlung darstellen
kann.205 Darüber hinaus ist der Gewährleistungsumfang von Art. 3 EMRK in mancher
Hinsicht auch weiter als der Schutzbereich des Asylrechts nach Art. 16 a Abs. 1 GG: In
Ermangelung der Tatbestandsvoraussetzung der „politischen Verfolgung“ schützt er
auch Personen, denen nach deutscher Rechtspraxis kein Asylrecht zusteht, so z.B. von
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bedrohte „normale“ Kriminelle oder
Terroristen. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann der Schutz des Art. 3 EMRK
schließlich auch gegenüber tatbestandlichen Bedrohungen von nichtstaatlicher Seite
geltend gemacht werden.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich durch die Schaffung von § 53 Abs. 4 AuslG, demzufolge ein Ausländer nicht abgeschoben werden darf, wenn sich aus der EMRK ergibt,
dass die Abschiebung unzulässig ist, noch einmal explizit206 zu den Anforderungen von
Art. 3 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR bekannt und auch die deutsche
Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis entspricht im großen und ganzen den hieraus
resultierenden Anforderungen. Dass sich aber auch die Bundesrepublik nicht vor Verletzungen ihrer Pflichten aus der EMRK sicher wähnen sollte, zeigt die Entscheidung
des EGMR vom 7. März 2000,207 in der der EGMR der Bundesrepublik Deutschland im
Hinblick auf den Umgang der deutschen Behörden und Gerichte mit nichtstaatlichen
Risiken bereits eine „offensichtliche Lücke in der Schutzgewährung“ attestiert, die nur
bis zu einem bestimmten Umfang durch die Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG geschlossen werde.
205
206
207
EKMR, Altun ./. Bundesrepublik Deutschland, DR 36, 209 (233); A. ./. Schweiz, DR 46, 257.
Die EMRK und ihre Bestimmungen sind durch das Transformationsgesetz vom 7.8.1952 (BGBl. II, S.
685, 693) zu deutschem innerstaatlichen Recht im Range eines einfachen Bundesgesetzes geworden.
Die Bezugnahme auf die EMRK in § 53 Abs. 4 AuslG hat insofern lediglich klarstellende Wirkung,
vgl. hierzu die Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drs. 11/6321, Art. 53 IV.
EGMR, T. I. ./. Vereinigtes Königreich, (Fn. 155), S. 325.
Völkerrechtliche Mindeststandards für das Asylverfahren
96
Die sich für das innerstaatliche Recht aus der Geltung der EMRK ergebenden Grenzen
sind damit allerdings nicht erschöpft. Hinsichtlich des Ziels der Verkürzung der verfahrensbedingten Aufenthaltszeiten von Asylbewerbern ergeben sich aus den in Art. 3 und
Art. 13 EMRK garantierten Rechten und insbesondere aus der Möglichkeit ihrer Geltendmachung im Wege der Individualbeschwerde vor dem EGMR weitreichende Konsequenzen. Eine Umgestaltung des innerstaatlichen Asylverfahrens hat zunächst die von
Art. 3 und Art. 13 EMRK aufgestellten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu beachten, d.h. insbesondere die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs vorzusehen.
Nicht unterschätzt werden sollten aber vor allem die Aussichten von Privatpersonen,
mittels einer Menschenrechtsbeschwerde vor dem EGMR eine Abschiebung oder Einreiseverweigerung zu verhindern.208 Die weitere Verkürzung des materiell- und verfahrensrechtlichen Schutzstandards in Asylangelegenheiten könnte sich in dieser Hinsicht
als kontraproduktiv erweisen, da damit die betroffenen Personen noch mehr als bisher
auf den Weg der Individualbeschwerde vor dem EGMR gedrängt werden und auf diesem Wege den durch die Umgestaltung des Asylverfahrens „eingesparten“ aufenthaltsverlängernden Effekt in weit höherem Maße erreichen könnten als dies selbst die deutsche Verfahrenspraxis bisher ermöglicht.
Trotz der im deutschen Schrifttum teilweise geäußerten Kritik an der Rechtsprechung
des EGMR209 ist angesichts der durch das 11. Zusatzprotokoll bewirkten Veränderungen in der Verfahrensstruktur, die dem neuen Gerichtshof ein dynamischeres Verfahren
ermöglicht, davon auszugehen, dass sich die Rechtsprechung des EGMR unter dem
Leitstern des Prinzips des effet utile noch weiter entwickelt, hin zu einem „kleinen“
Asylrecht.
Unabhängig von dem oben dargestellten Streit über die allgemeine Verbindlichkeit der
Urteile des EGMR wird man letztlich festzustellen haben, dass die Entwicklung eines
europäischen Grundrechtsraumes nur funktionieren kann, wenn die Entscheidungen des
208
209
Darüber hinaus existieren weitere internationale Verfahren zur Gewährleistung des Menschenrechtsschutzes. So kann nach dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1992 II, S. 1246) Individualbeschwerde zum UN-Ausschuss für Menschenrechte
erhoben werden. Das in der UN-Konvention gegen Folter (BGBl. 1990 II, S. 246) vorgesehene Recht
auf Beschwerde zum UN-Ausschuss gegen die Folter ist bislang von der Bundesrepublik nicht anerkannt worden. Den Entscheidungen beider Ausschüsse kommt indes keine Bindungswirkung zu.
Vgl. hierzu K. Hailbronner, DÖV 1999, S. 617 (620 ff.) m.w.N.; T. Buß, DÖV 1998, S. 323 ff.
Vorgaben für das Asylverfahren aus den Gemeinschaftsgrundrechten
97
EGMR grundsätzlich in den Rechtsordnungen der Konventionsstaaten beachtet werden.210
4. Vorgaben für das Asylverfahren aus den Gemeinschaftsgrundrechten
Vorgaben für die Ausgestaltung des nationalen Asylverfahrens könnten sich schließlich
auch aus den Gemeinschaftsgrundrechten ergeben.211
Auf dem Gipfel in Nizza im Dezember 2000 wurde die auf Initiative der deutschen
Ratspräsidentschaft erarbeitete EU-Charta der Grundrechte im Wege einer gemeinsamen Erklärung von Parlament, Rat und Kommission angenommen und feierlich verkündet. Sinn und Zweck der Charta war es, sichtbar zu machen, dass die Gemeinschaft
sich nicht auf wirtschaftliche Integration und politische Zusammenarbeit beschränkt,
sondern eine Rechtsgemeinschaft bildet, die sich durch die Verwirklichung von Werten
und durch Garantie von Freiheiten auszeichnet.212
Die Grundrechte-Charta sieht in Art. 18 das Recht auf Asyl nach Maßgabe der GFK,
des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie des
EGV vor und stützt sich damit auf Art. 63 EGV, der die Gemeinschaft zur Einhaltung
der GFK verpflichtet. Art. 19 gewährt in seinem Abs. 1 Schutz vor Kollektivausweisungen. Er hat insofern die gleiche Bedeutung und Tragweite wie Art. 4 des Zusatzprotokolls Nr. 4 zur EMRK und soll die gesonderte Prüfung jedes Beschlusses gewährleisten.
Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta garantiert Schutz vor Abschiebung, Ausweisung
oder Auslieferung im Falle drohender Todesstrafe, Folter oder sonstiger unmenschlicher
oder erniedrigender Strafe oder Behandlung und übernimmt damit die oben skizzierte
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK.
Es ist zu betonen, dass die Charta noch nicht formell in die Verträge aufgenommen
worden ist und somit vorläufig noch keinen rechtsverbindlichen Charakter hat. Dennoch
kommt in der Annahmeerklärung der drei Organe auf dem Gipfel von Nizza das politische Bekenntnis der Europäischen Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte zum
Ausdruck. Auf dem Wege der Rechtsprechung des EuGH kann die EU-Charta der
210
211
212
J. Polakiewicz, (Fn. 185), S. 347 ff.; J. A.. Frowein, DÖV 1998, S. 806 (810).
Zu den durch den Amsterdamer Vertrag eingeführten gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzen auf dem
Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts vgl. unten in Teil 3 unter 1.
S. Alber / U. Widmaier, EuGRZ 2000, S. 497 (498).
Vorgaben für das Asylverfahren aus den Gemeinschaftsgrundrechten
98
Grundrechte damit schon jetzt zumindest mittelbare Rechtswirkung entfalten. Der
EuGH entwickelt die Gemeinschaftsgrundrechte in ständiger Rechtsprechung aus den
gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie aus der EMRK
und aus anderen völkerrechtlichen Verträgen über Grund- oder Menschenrechte, denen
die Mitgliedstaaten der EG beigetreten sind. Die in der EU-Charta enumerierten Grundrechte können insofern als Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der
Mitgliedstaaten interpretiert und vom EuGH, im Rahmen der Wahrung des Rechts, die
ihm nach Art. 220 EGV obliegt, herangezogen werden.213 Dass der Grundrechtsschutz
auf EU-Ebene in seinen Wirkungen nicht unterschätzt werden sollte, zeigt dabei nicht
zuletzt das Beispiel der vorbildlosen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 EMRK, wo
der EuGH anlässlich eines Einstellungsverfahrens aus der Achtung des Privatlebens
nach Art. 8 EMRK das Recht einer Person zur Geheimhaltung ihres Gesundheitszustandes entwickelt hat.214
Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung bereits eine umfangreiche Liste von Grundrechten entwickelt, die die Bewertung zulässt, dass der Grundrechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften das mitgliedstaatliche Schutzniveau erreicht hat.215 Spezifisches Strukturmerkmal dieses Grundrechtsschutzes wäre der für die europäische
Rechtsordnung und namentlich für die Grundrechte216 geltende Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts.217 Unabhängig von den in der deutschen Rechtsprechung und im Schrifttum geäußerten Bedenken an einem vollwertigen Grundrechtsschutz in der EU218 gilt im Europarecht der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des
Gemeinschaftsrechts vor mitgliedstaatlichem Recht219 und zwar auch für das mitgliedstaatliche Verfassungsrecht,220 dessen Grundrechte im Kollisionsfall von dem entgegenstehenden Gemeinschaftsrechtsakt verdrängt würden, gegen den dann vor dem EuGH
213
214
215
216
217
218
219
Vgl. auch S. Alber / U. Widmaier, EuGRZ 2000, S. 497 (510).
EuGH, Urteil vom 5.10.1994, Rs. C-404/92, P X ./. Kommission, Slg. 1994, I-4731 (4789) = EuGRZ
1995, S. 231 (247). Vgl. hierzu auch M. Zuleeg, EuGRZ 2000, S. 511 (513).
Vgl. hierzu den Bananenmarkt-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.6.2000, BVerfG, 2
BvL 1/97, Abs. Nr. 61, http://www.bverfg./, (= NJW 2000, S. 3124 ff.).
EuGH, Urteil vom 9.3.1978, Rs. 149/77, Defrenne ./. Sabena, Slg. 1978, S. 1365 (1379) = EuGRZ
1978, S. 358. M. Zuleeg, EuGRZ 2000, S. 511 (513). Vgl. auch I. Pernice, NJW 1990, S. 2409 ff.
EuGH, Urteil vom 9.3.1978, Rs. 106/77, Finanzverwaltung ./. Simmenthal, Slg. 1978, 629 (643) =
EuGRZ 1978, S. 190; Urteil vom 19.6.1990, Rs. C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433 (2473).
Siehe hierzu insbesondere R. Scholz, NJW 1990, S. 941 ff.; ders., DÖV 1998, S. 261 (264 ff.). Vgl.
aber auch J. A.. Frowein, DÖV 1998, S. 806 (806 ff.) sowie W. Graf Vitzthum, JZ 1998, S. 161 ff., die
beide übersteigerten Anforderungen unter Berufung auf die deutsche Verfassung eine deutliche Absage erteilen.
EuGH, Urteil vom 15.7.1964, Rs. 6/64, Costa./.ENEL, Slg. 1964, 1251 (1270 f.).
Vorgaben für das Asylverfahren aus den Gemeinschaftsgrundrechten
99
Rechtsschutz zu suchen wäre.221 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
jüngsten Beschluss diesen Grundsatz wieder anerkannt.222
Die Vorzüge dieses europarechtlichen Grundrechtsschutzes wurden oben bereits skizziert. Angesichts des Grundsatzes der Effektivität des Gemeinschaftsrechts können die
Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Pflichten nicht durch Berufung auf ihre
nationalen Rechtsordnungen entgehen.223 Im Gegenteil: ein Mitgliedstaat, der pflichtwidrig die Entstehung subjektiver Rechte verhindert, macht sich gegenüber dem Betroffenen schadensersatzpflichtig.224
In diesem Zusammenhang können die oben erwähnten Garantien der Art. 18 und 19 der
EU-Charta der Grundrechte nach ihrer feierlichen Verkündung schon vor der formellen
Aufnahme der Charta in die Verträge und ihrer daraus resultierenden Rechtsverbindlichkeit Wirkung entfalten, indem sie vom EuGH zusätzlich zu den bislang benutzten
Erkenntnisquellen für die Gemeinschaftsgrundrechte als Ausdruck einer allgemeinen
Überzeugung der Mitgliedstaaten herangezogen werden.225 Für die EU-Charta der
Grundrechte gilt insofern jedenfalls nichts anderes als für internationale Verträge über
den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren
oder denen sie beigetreten sind. Aus letzteren können sich nämlich nach Ansicht des
EuGH Hinweise ergeben, die im Rahmen der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte zu berücksichtigen sind.226 Die Tatsache, dass der EuGH in der zitierten Entscheidung zwischen bloßer Beteiligung und Beitritt differenziert, zeigt, dass nach seiner
Ansicht völkerrechtliche Verträge schon dann zur Entwicklung und Begründung von
Gemeinschaftsgrundrechten herangezogen werden können, wenn die Mitgliedstaaten
die betreffenden Abkommen zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben.227
220
221
222
223
224
225
226
227
EuGH, Urteil vom 17.12.1970, Rs. 11 /70, Internationale Handelsgesellschaft./.Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, Slg. 1970, 1125 (1135).
Ausführlich hierzu M. Zuleeg, EuGRZ 2000, S. 511 (512).
BVerfG, Bananenmarkt-Beschluss vom 7.6.2000, 2 BvL 1/97, Abs. Nr. 61, http://www.bverfg./, (=
NJW 2000, S. 3124 ff.).
EuGH, Urteil vom 11.6.1991, Rs. C-290/89, Kommission./.Belgien, Slg. 1991, I-2851 (2865).
EuGH, Urteil vom 19.11.1991, Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991, I-5357 (5403) = EuGRZ 1992, S. 60.
A. Weber, Die Europäische Grundrechtscharta – auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung,
NJW 2000, S. 537 (538); M. Zuleeg, EuGRZ 2000, S. 511 (514).
EuGH, Urteil vom 14.5.1974, Rs. 4/73, Nold ./. Kommission, Slg. 1974, 491 (507) = EuGRZ 1974, S.
3 (4).
M. Zuleeg, EuGRZ 2000, S. 511 (514) m.w.N.
Schlussbetrachtung
100
Es ist somit davon auszugehen, dass den oben aufgezeigten völkerrechtlichen Mindeststandards für das Asylverfahren auf dem Umweg über das Gemeinschaftsrecht schon
bald vom EuGH zu noch besserer Wirksamkeit verholfen werden könnte.
5. Schlussbetrachtung
Lässt man die vorstehend untersuchten verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und
europarechtlichen Begrenzungen einer Umgestaltung des Asylgrundrechts und des daraus abgeleiteten Asylverfahrensrechts Revue passieren, so erweisen sich die Handlungsspielräume des verfassungsändernden Gesetzgebers als eher eng gesteckt. Zwar
hat es der verfassungsändernde Gesetzgeber in der Hand, über eine Umwandlung des
bisherigen Individualgrundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie die subjektiv-rechtliche Dimension des verfassungsrechtlich gewährleisteten Asylrechts und die damit verkoppelte Verfassungsbeschwerdefähigkeit des Asylrechts abzuschaffen. Aus Art. 79 Abs. 3 GG ergeben sich insoweit, selbst soweit man das Asylrecht
des Art. 16 a Abs. 1 GG als von einem Menschenwürdekern getragen ansieht, keine
weitreichenden Hindernisse. Rechtspolitisch wäre mit einem derartigen Schritt allerdings nicht allzu viel gewonnen. Die bisher im Schatten des Art. 16 a Abs. 1 GG stehenden grundrechtlichen Auffangpositionen aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG
würden schnell das Feld besetzen, das bislang durch Art. 16 a Abs. 1 GG ausgefüllt
wurde. Zwar reicht der materielle Gewährleistungsgehalt dieser Grundrechtsgewährleistungen inhaltlich noch weniger weit als der Schutzgehalt des sukzessive immer
weiter eingeschränkten Asylgrundrechts. Der materielle Gewährleistungsgehalt des Art.
16 a Abs.1 GG stellt aber unbestrittenermaßen nicht das rechtspolitische Problem dar,
aus dem die Unfähigkeit zu effektiver Steuerung der Zuwanderung im Bereich der Asylbewerber erwächst. Problempunkt der Asylgarantie ist nach allgemeiner Auffassung
eher der unter Ausnutzung der von Art. 16 a Abs. 1 GG vermittelten Verfahrensposition
erlangte unberechtigte Aufenthalt, der sich durch den exzessiven Gebrauch aller zur
Verfügung stehenden Rechtsmittel verlängern lässt. Genau an diesem Punkt würde eine
Herabstufung der Asylgarantie zu einer Einrichtungsgarantie aber nicht sonderlich viel
bewirken, da die zur Verfügung stehenden Auffangpositionen aus Art. 1 Abs. 1 und 2
Abs. 2 S. 1 GG eine dem Asylgrundrecht vergleichbare Verfahrensposition vermitteln
und es im Regelfall der Asylantragstellung nicht allzu schwer wäre, ein eventuelles
Schlussbetrachtung
101
Rechtsmittel in Kategorien des Schutzes von Leib oder Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
oder der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) zu formulieren.
Verstärkt wird dieser Befund noch durch die völkerrechtlichen Vorgaben der Genfer
Flüchtlingskonvention, die allerdings nur den Erfolg des „non-refoulement“ verlangt
und kein bestimmtes Verfahren erfordert, das mit subjektiven Verfahrenspositionen
bewehrt wäre. Anders ist dies unter der Europäischen Menschenrechtskonvention, die
im Gewand der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK einen dem Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weitgehend parallelen Schutz aufrichtet. Da die
Konkretisierung der Garantien der EMRK in den Händen des EGMR verselbständigt
und dynamisiert ist, mit einer starken Ausrichtung an den Leitgedanken des „effet utile“, geht der praktisch sich aus Art. 3 EMRK ergebende Schutzumfang weit über den
Gewährleistungsumfang des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinaus, wie er insbesondere in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seine Ausprägung gefunden hat. Eine
nennenswerte Absenkung der materiellen Schutzstandards des Art. 16 a Abs. 1 GG,
soweit diese überhaupt noch möglich wäre ohne gänzliche Abschaffung des Asylrechts,
wird man unter der Perspektive dieser verfassungsrechtlichen Bindungen für ausgeschlossen halten müssen. Schon jetzt bleiben die materiellen Schutzstandards in bestimmten Bereichen des deutschen Rechts massiv hinter den Anforderungen der EMRK
zurück.
Wenn überhaupt, dann erscheint unter der Zielsetzung einer Rückgewinnung rechtspolitischer Spielräume mit Blick auf eine Verkürzung der Asylverfahren und eine Effektivierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen eine Einschränkung der Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für den Bereich des Asylrechts – und
für bestimmte Fragen des Ausländerrechts – als zielführender denn eine isolierte Einschränkung des Asylgrundrechts. Die Herausnahme asylrechtlicher Entscheidungsverfahren aus dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG würde es dem Gesetzgeber prinzipiell erlauben, mit flexibleren Formen des Rechtsschutzes zu arbeiten. Die denkbaren
Änderungen des Kontrollsystems liefen letztlich auf ein System verwaltungsinterner,
wenn auch unabhängig gestellter (und damit gerichtsähnlicher) Beschwerdeausschüsse
hinaus. Das so zu schaffende ersatzweise Rechtsschutzsystem stünde allerdings – stellt
man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum in seinem Kern für änderungsfest erklärten Menschenwürdekern des „Grundrechtsschutzes durch Verfahren“ in
Rechnung - unter einschränkenden Vorbehalten der „Gleichwertigkeit“ des so gewähr-
Schlussbetrachtung
102
ten Rechtsschutzes. Träger eines derartigen Rechtsschutzes hätte ein nicht weisungsgebundener und organisatorisch unabhängiger Spruchkörper zu sein, dessen Überprüfung
der rechtsgestaltenden Verwaltungsentscheidungen den Forderungen einer „substantiellen Kontrolle“ unter der Gewährleistung einer (wenn auch nur relativen) materiellen
„Richtigkeitsgewähr“ zu stehen hätte. Rechtspolitisch und verfassungsrechtlich würde
sich allerdings die Frage stellen, ob es für die Einrichtung derartiger gerichtsähnlicher
Instanzen – im Vergleich zu der ebenfalls möglichen Einrichtung spezialisierter Asylgerichte – hinreichende sachliche Gründe gibt.
Vergleichbare Anforderungen ergeben sich aus der EMRK. Soweit es um den Schutz
der in der EMRK gewährleisteten Menschenrechte geht, verlangt Art. 13 EMRK ein
adäquates System „wirksamer Beschwerde bei einer nationalen Instanz“. Diese nationale Beschwereinstanz hat nicht notwendig ein Gericht im formellen Sinn zu sein, unterliegt aber vergleichbaren Anforderungen im Blick auf die organisatorische Stellung
wie auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung.
Nur schwer abzuschätzen ist das aus der neueren Rechtsprechung des BVerfG sich ergebende Risiko, dass ein derartiges „adäquates Kontrollsurrogat“ unter dem Gesichtspunkt der gewaltenteiligen Zuweisung gerichtsförmiger Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung mit abschließender Rechtswirkung an die „rechtsprechende Gewalt“ ohne
anschließende Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts anheimfiele. Koppelte man jedoch – was diese Rechtsprechungslinie nahezulegen scheint - ein verwaltungsinternes Überprüfungsverfahren mit der Möglichkeit
eines (wenn auch nur eingeschränkten) verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, dann
wäre der Gewinn an Beschleunigung gegenüber dem bestehenden System wohl kaum
mehr messbar. Wahrscheinlich wäre ein so strukturiertes Kontrollsystem sachadäquater
als das bestehende System eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle ohne
Instanzenzug; größere zeitliche Effizienz wird man sich dagegen von ihm nicht notwendig erwarten können.
Schränkt man die Verfahrensrechte der Betroffenen im nationalen Recht immer weiter
ein, so entsteht ein zunehmendes Risiko, dass angesichts der Ineffizienz nationalen
Rechtsschutzes immer mehr Betroffene den Rechtsweg der Beschwerde zum EGMR
beschreiten. Die Beschwerde im Verfahren der Europäischen Menschenrechtskonvention aber führt de facto in nicht wenigen Fällen zu einer aufschiebenden Wirkung gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Nimmt man die Verfahrensdauer in Straßburg
Schlussbetrachtung
103
in den Blick, so liefe eine zunehmende Inanspruchnahme dieser Möglichkeit auf einen
Pyrrhussieg des deutschen Gesetzgebers hinaus. Die internen Verfahren würden – unter
immer weiterer Aushöhlung jeden Anspruchs auf materielle „Richtigkeitsgewähr“ gestrafft bis hinein in Grenzbereiche, in denen weitere Verfahrensverkürzungen nur
noch mit übermäßigem Aufwand zu erzielen sind. Zugleich würde aber eine zunehmend
größere Zahl von Beschwerdeführern über die Beschwerde an den EGMR einen Verfahrensaufschub über viele Jahre erlangen, was wiederum schnell schulbildend wirken
könnte und zur sowieso schon übermäßig hohen Verfahrenslast des EGMR weiter beizutragen drohte.
104
Teil 3:
Erscheint eine Änderung des Art. 16 a GG im Hinblick auf die fortschreitende europäische Harmonisierung des materiellen Asylrechts und des Asylverfahrensrechts im Hinblick darauf erforderlich, dass Art. 16 a Abs. 5 GG eine Vorbehaltsklausel lediglich für den Fall des Abschlusses völkerrechtlicher Vereinbarungen
über Zuständigkeitsregelungen (Dubliner Übereinkommen) vorsieht?
1. Gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage
Durch den am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag1 wurde das
Schengener System in die Europäische Union überführt und der neue Titel IV „Visa,
Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“ in
den EGV eingefügt. Damit findet für die bislang durch Titel VI EUV a.F. auf die intergouvernementale Zusammenarbeit beschränkten Politikbereiche eine Vergemeinschaftung statt. Der hierdurch bewirkte bedeutende Kompetenzzuwachs auf Seiten der EG
bei gleichzeitigem Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten zeigt sich nicht zuletzt in den
gemeinschaftlichen Handlungsinstrumenten Verordnung, Richtlinie und Entscheidung,
die nunmehr im Unterschied zu den beschränkten Instrumentarien im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit zur Verfügung stehen.2 Dennoch ist zu beachten,
dass die neue Gemeinschaftskompetenz für das Asyl- und Einwanderungsrecht keine
ausschließliche, sondern eine konkurrierende ist, was zur Folge hat, dass nationale Regelungen solange und soweit zulässig bleiben, wie es keine entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gibt. Im Rat gilt noch für fünf Jahre das Einstimmigkeitsprinzip, das nur durch einen einstimmigen Beschluss zugunsten des Mehrheitsprinzips aufgehoben werden kann. Anders als Art. K.1 EUV a.F., der die Asylpolitik als
solche zum Gegenstand des gemeinsamen Interesses erklärte, umfassen schließlich die
1
2
ABl. EG Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 1.
Sonderregelungen gelten für Dänemark, Großbritannien und Irland, die gegen eine Vergemeinschaftung der Materien des Einwanderungs- und Asylrechts waren, die Vergemeinschaftung für die übrigen
Mitgliedstaaten aber zuließen. Einstimmigkeit im Rat erfordert somit lediglich zwölf Stimmen.
Grundsätzlich binden Maßnahmen und Gerichtsentscheidungen in den Bereichen des Titel VI EGV
die genannten Mitgliedstaaten somit nicht. Großbritannien kann jedoch auf Wunsch durch eine „Optin-Mitteilung“ dennoch eine Beteiligung erreichen.
Gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage
105
neu geschaffenen Kompetenzen der Gemeinschaft auch nicht alle Aspekte der jeweiligen Politiken. So fehlen in der Aufzählung des Art. 63 EGV beispielsweise Kompetenzen zur Regelung von Beschäftigungsfragen, für Maßnahmen zur sozialen Integration,3
für Ausweisungsregelungen oder Migrationsvermeidung.4 In den von Art. 63 EGV nicht
erfassten Bereichen kann gemeinschaftsweite Annäherung nur auf völkerrechtlicher
Ebene bzw. über die „implied-powers“-Kompetenz im Sinne des Art. 308 EGV erreicht
werden,5 was verglichen mit den Möglichkeiten der dritten Säule integrationspolitisch
nicht unbedingt einen großen Fortschritt darstellt.6
Trotz der aufgezeigten Kompetenzlücken sind die durch den Amsterdamer Vertrag neu
entstandenen Kompetenzbereiche der Gemeinschaft beachtlich: In der Flüchtlingspolitik
eröffnet der Amsterdamer Vertrag die Befugnis zur Schaffung von Mindestnormen für
die Flüchtlingsanerkennung, für den vorübergehenden Schutz von vertriebenen Personen sowie für Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Lastenverteilung auf
europäischer Ebene.7 Im Bereich der Asylpolitik können Kriterien und Verfahren zur
Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates und Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern beschlossen werden.8
Aufgrund dieses Kompetenzkataloges erlassene Rechtsakte würden alle Charakteristika
des sekundären Gemeinschaftsrechts aufweisen. Für Verordnungen gilt demnach das
Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit sowie das Gebot an die Mitgliedstaaten, die
Wirksamkeit der Verordnung nicht zu beeinträchtigen, Art. 10 EGV. Richtlinien sind
hinsichtlich des in ihnen formulierten Zieles für die Mitgliedstaaten verbindlich, wobei
aus dieser Verbindlichkeit folgt dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie genau und fristgerecht umzusetzen haben, um einer ansonsten ggf. möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmung bzw. einer Schadensersatzpflicht zu entgehen.9 Bezugspunkt der Kompetenzen auf dem Gebiet der Asylpolitik ist der Aufbau eines Raumes von Freiheit, Sicherheit und Recht und zwar unter ausdrücklichem Verweis auf die
3
4
5
6
7
8
Vgl. J. Monar, E.L.Rev. 1998, S. 320 (323).
Vgl. K. Hailbronner, CMLR 1998, S. 1047 (1049).
K. Hailbronner/C. Thiery, EuR 1998, S. 583 (586 f.).
K. Hailbronner, CMLR 1998, S. 1047 (1049).
Art. 63 Nr. 1 c, d; Nr. 2 a, b EGV. Vgl. auch C. Sonntag-Wolgast, Perspektiven eines europäischen
Einwanderungs- und Asylrechts, in: K. Hailbronner / P. Weil (Hrsg.), Von Schengen nach Amsterdam, 1999, S. 15 ff.
Art. 63 Nr. 1 a, b EGV. Der erstgenannte Bereich wird derzeit vom Dubliner Übereinkommen abgedeckt, bedürfte jedoch innerhalb von fünf Jahren (vgl. Art. 61 lit. a EGV) der Ersetzung durch einen
Gemeinschaftsakt.
Gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage
106
GFK und das New Yorker Zusatzprotokoll von 1967 in Art. 63 Ziff. 1 EGV. Dieser
Verweis auf die GFK schließt auch die Befugnis des EuGH zur Interpretation der Bestimmungen der GFK ein und zwar in Zukunft auch mit rechtsverbindlicher Wirkung
für die Mitgliedstaaten.10 Die weitreichenden Konsequenzen einer solchen „harmonisierenden Interpretation“ der GFK manifestieren sich nicht nur in Art. 63 Ziff. 1 lit. c EGV
(„Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als
Flüchtlinge“), sondern auch und vor allem in dem zusammen mit dem Amsterdamer
Vertrag verabschiedeten Asylprotokoll,11 demzufolge alle Mitgliedstaaten als sichere
Herkunftsländer gelten, was Asylverfahren für Bürger aus Mitgliedstaaten praktisch
ausschließt.
Im Anschluss an den Europäischen Rat 1999 in Tampere, wo ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ in Aussicht genommen wurde,12 hat die Kommission mittlerweile
verschiedene Richtlinienvorschläge vorgelegt. Neben einem Vorschlag für eine Richtlinie über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines
Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur angemessenen Verteilung der
daraus entstehenden Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind,13 ist darunter auch ein Richtlinienvorschlag über
Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zu- oder Aberkennung der
Flüchtlingseigenschaft enthalten, der zu einem einheitlichen, einklagbaren Mindestschutzniveau in Europa führen soll, auch wenn die Anerkennungskriterien und Verfahrensregelungen dadurch nicht angeglichen werden.14 Richtlinienvorschläge wurden
schließlich auch zur Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich der Fingerabdrücke
von Asylbewerbern und bestimmten anderen Ausländern15 sowie zur Familienzusammenführung gemacht, wobei der letztere Vorschlag allerdings wegen der in ihm enthaltenen Ausweitung der Möglichkeit des Familiennachzuges in die Kritik geriet.16
9
10
11
12
13
14
15
16
Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 19.11.1991, Verb. Rs. C-6 und 9/90, A. Francovich ./. Italien, Slg.
1991, S. I-5357.
C. Hein, Zum Stand der Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene, in: K. Barwig, G.
Brinkmann, u.a. (Hrsg.), Neue Regierung – neue Ausländerpolitik?, 1999, S. 541 (547).
20. Protokoll zum EGV über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der
EU, BGBl. 1998 II, S. 429, 433. Vgl. hierzu A. Zimmermann, NVwZ 1998, S. 450 (452 f.).
Vgl. hierzu Bulletin BReg. 1999, S. 793, 795.
KOM (00) 303 endg.
KOM (00) 578 endg. vom 20.9.2000.
KOM (99) 260 endg. vom 1.12.1999.
KOM (00) 624 endg. vom 10.10.2000.
Problemstellung
107
2. Problemstellung
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich Art. 16 a Abs. 5 GG zu einer
solchen asylrechtlichen Harmonisierung durch die Gemeinschaft verhält. Art. 16 a Abs.
5 GG lautet:
„Die Absätze 1 bis 4 [des Art. 16 a GG, d. Verf.] stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung
von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.“
Zutreffend weist die Gutachtenfrage insoweit darauf hin, dass die fragliche Bestimmung
– zumindest nach ihrem Wortlaut - lediglich davon spricht, die Abs. 1 bis 4 des Art. 16
a GG stünden völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten zur Regelung der Zuständigkeit für
die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen nicht entgegen, soweit die dort genannten völkerrechtlichen Standards
beachtet werden.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich damit vorliegend zwei Fragen:
Zum einen gilt es zu entscheiden, welchen Regelungsgehalt Art. 16 a Abs. 5 GG seinerseits besitzt, insbesondere ob er abschließend eine europäische Harmonisierung lediglich auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge ermöglichen wollte.
Zum anderen gilt es aber zu untersuchen, wie sich aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts das normative Verhältnis zwischen Art. 16 a Abs. 5 GG einerseits und Art.
23 GG andererseits darstellt, ob also Art. 23 GG jenseits der durch Art. 16 a Abs. 5 GG
in Bezug genommenen völkerrechtlichen Vereinbarungen eine Harmonisierung des
materiellen Asylrechts sowie des Asylverfahrensrechts legitimiert oder ob umgekehrt
Art. 16 a Abs. 5 GG möglicherweise seinerseits eine solche Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft sperrt.
Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG
108
3. Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG
3.1. Entstehungsgeschichte und Bedeutung von Art. 16 a Abs. 5 GG
Absatz 5 von Art. 16 GG war in dem der Norm zugrunde liegenden sogenannten Asylkompromiss vom 6. Dezember 1992 noch nicht enthalten. Er wurde vielmehr erst im
letzten Stadium des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens hinzugefügt und ist schließlich durch das verfassungsändernde Gesetz vom 28. Juni 199317 zusammen mit dem
übrigen Art. 16 a GG neu in das Grundgesetz aufgenommen worden.
Art. 16 a Abs. 5 GG sollte nach der amtlichen Begründung zu dem verfassungsändernden Gesetz18 eine deutsche Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens sowie des Dubliner Übereinkommens mit allen Rechten und Pflichten ermöglichen.
Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.
Denn auch aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts hat der verfassungsändernde
Gesetzgeber mit der Einführung des Art. 16 a Abs. 5 GG
„(...) eine Grundlage geschaffen, um durch völkerrechtliche19 Vereinbarung der Zuständigkeit für
die Prüfung von Asylbegehren und die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen eine
europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen (Art. 16 a Abs. 5
GG).“20
Die in Abs. 5 verankerte völkerrechtliche Öffnungsklausel ermächtigt die Bundesrepublik Deutschland damit, an internationalen Regelungen, die diesem Ziel einer ausgewogeneren Lastenverteilung im Asylbereich Sorge tragen sollen, unter Einhaltung bestimmter Mindeststandards mitzuwirken.21
Zugleich bewirkt Art. 16 a Abs. 5 GG aber einen Vorrang der entsprechenden völkervertraglichen Regelungen vor den übrigen Bestimmungen des Art. 16 a GG22, insbesondere aber dessen Abs. 2, ist also diesen gegenüber lex specialis.23
17
18
19
20
21
22
23
BGBl. 1993 I, S. 1002.
BT-Drs. 12/4152, S. 4.
Hervorhebung durch die Verfasser.
BVerfGE 94, 49 (85).
So etwa statt aller nur A. Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 16a Rdnr. 193.
B. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 16 a Rdnr. 36; H. J. Bonk, in: Sachs, GG, Art. 16 a Rdnr. 111.
BVerfGE 94, 49 ff. [86] speziell für das Verhältnis zu Art. 16 a Abs. 2 GG. Vgl. auch die entsprechende Umsetzung in § 26a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylVfG, die diesem Vorrang auf einfachgesetzlicher
Ebene Rechnung trägt.
Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG
3.2.
109
Art. 16 a Abs. 5 GG und eine Harmonisierung des Asylrechts durch die Europäische Gemeinschaft
Keiner der 1992/93 im Vorfeld der Reform des deutschen Asylrechts unternommenen
Vorschläge hatte vorgesehen, das Grundgesetz um eine ausdrückliche Ermächtigungsklausel zur Harmonisierung des Asylrechts durch die Europäische Gemeinschaft zu ergänzen.24 Vielmehr war stets nur eine Regelung, wie sie nunmehr auch in Art. 16 a Abs.
5 GG enthalten ist, in Aussicht genommen worden, um eine völkerrechtliche Zusammenarbeit auf diesem Felde zu ermöglichen.
Im Gegensatz dazu hatte die Bundesregierung dann im Verlaufe des eigentlichen Gesetzgebungsverfahren, welches später zu der Neufassung des Art. 16 a GG führte, zunächst vorgeschlagen, Art. 16 a Abs. 5 GG um eine Formulierung zu ergänzen, die insoweit explizit eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaft ermöglicht hätte, war damit aber auf den Widerstand der Mehrheit der Bundesländer gestoßen. Art. 16 a Abs. 5 GG sollte nach diesem - allerdings nie formell in das
Gesetzgebungsverfahren eingeführten - Vorschlag wie folgt lauten:
„Die Absätze 1 bis 4 stehen einer Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften und völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten eine Harmonisierung des Asylrechts zum Gegenstand haben oder für die Prüfung von Asylbegehren Zuständigkeitsregelungen treffen.“25
Im Gegensatz zu der endgültigen verabschiedeten Fassung des Art. 16 a Abs. 5 GG26
hätten sich insoweit folglich zwei Abweichungen ergeben:
Zum einen wäre dem Art. 16 a Abs. 5 GG zugleich auch der Charakter einer spezifischen Ermächtigungsklausel zur Übertragung von Hoheitsrechten verliehen worden.
Zum anderen wäre der sachliche Anwendungsbereich des Art. 16 a Abs. 5 GG neben
der (völkerrechtlichen oder gegebenenfalls dann auch gemeinschaftsrechtlichen) Regelung von Zuständigkeitsfragen auch auf die Harmonisierung des materiellen Asylrechts
erstreckt worden.
24
25
Zu diesen Vorschlägen im einzelnen A. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl, S. 23 ff.
Hervorhebungen durch die Verfasser.
Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG
110
Demgegenüber enthält der Wortlaut des Art. 16 a Abs. 5 GG in seiner endgültigen Fassung gerade keine solche Ermächtigung zu einer Übertragung von Hoheitsrechten auf
die Europäische Gemeinschaft mehr,27 da er wie erwähnt lediglich zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge ermächtigt, die zumindest bis zum Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages außerhalb des eigentlichen Gemeinschaftsrechts abgeschlossen werden
konnten.28
Im übrigen lässt sich der soeben erwähnte Vorschlag dahingehend werten, dass auch
von der Seite der Bundesregierung davon ausgegangen worden war, dass Art. 16 a Abs.
5 GG in der Fassung, wie er schließlich seinen Weg in das Grundgesetz gefunden hat,
eine Harmonisierung des Asylrechts durch die Europäische Gemeinschaft gerade nicht
verfassungsrechtlich legitimiert, da ansonsten die beabsichtigte ausdrückliche Bezugnahme auf eine mögliche Harmonisierung durch die Europäische Gemeinschaft überflüssig gewesen wäre. Dies gilt um so mehr, als grundsätzlich davon auszugehen ist,
dass jeder Bestimmung des Grundgesetzes (und ihren einzelnen Teilen) jeweils ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt.
Soweit dieser vorliegend – im Schrifttum wohl überwiegend vertretenen Auffassung29 vereinzelt entgegen gehalten wird, dass der von der Bundesregierung ins Auge gefasste
Zusatz lediglich als deklaratorische Klarstellung gedacht gewesen war,30 wird übersehen, dass zumindest der zweite Teil der Ergänzung („eine Harmonisierung des Asylrechts zum Gegenstand haben oder“) eindeutig eine nicht nur deklaratorische Bedeutung gehabt hätte.
26
27
28
29
30
Wortlaut bereits oben bei 2.
B. Huber, NVwZ 1993, S. 736 (739).
Es kann dabei, weil nicht in den Gegenstand des Gutachtens fallend, vorliegend offen bleiben, ob die
Mitgliedsstaaten auch noch nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts untereinander zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Bereich des Asylrechts befugt sind.
Das gleiche gilt für die umstrittene Frage, ob Art. 16 a Abs. 5 GG auch den Abschluss bi- oder multilateraler völkerrechtlicher Verträge der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, deren Vertragspartner ausschließlich Drittstaaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind.
Wie hier bereits etwa A. Zimmermann, (Fn. 24), S. 382 ff. sowie ders., NVwZ 1998, S. 450 (454 f.);
ferner R. Göbel-Zimmermann, in: Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Bd. 1, Art. 16 a GG, B 1,
Rdnr. 140; F. Schoch, DVBl. 1993, S. 1161 (1167); M. Wollenschläger / A. Schraml, JZ 1994, S. 61
(70); wohl auch K. Hailbronner, ZAR 1993, S. 107 (116): („ Der [...] erreichte Minimalzustand an europäischer Koordinierung wird damit [...] verfassungsrechtlich zementiert. [...] jede weitergehende Asylverfahrensharmonisierung setzt damit eine erneute Verfassungsänderung voraus.“) und ähnlich
ders., Asyl- und Einwanderungsrecht im europäischen Vergleich, S. 134 ff. Anders aber wohl jetzt
ders., Ausländerrecht, Art. 16 a GG, Rdnr. 444 b zum Vorrang von Art. 23 GG.
A. Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 16a Rdnr. 196, Fn. 4.
Regelungsinhalt von Art. 16 a Abs. 5 GG
111
3.3. Zwischenergebnis
Damit bleibt festzuhalten, dass jedenfalls Art. 16 a Abs. 5 GG selbst31 zumindest die
Übertragung der Kompetenz auf die Europäische Gemeinschaft zur Bestimmung von
Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des jeweils für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 63 Nr. 1 lit. a) EGV nicht mehr deckt.
Im übrigen geht die im Amsterdamer Vertrag vorgesehene Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft zur Harmonisierung des Asylrechts aber auch materiell zumindest
teilweise über die Ermächtigung des Art. 16 a Abs. 5 GG hinaus. Insbesondere gilt dies
für das Protokoll zu Asylfragen und der dort getroffenen Festlegung, dass die anderen
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ipso facto sichere Herkunftsstaaten sind, da Art. 16 a
Abs. 5 GG im Gegensatz dazu wie erwähnt lediglich den Abschluss völkerrechtlicher
Verträge nach dem Muster der bisherigen Schengener beziehungsweise Dubliner Abkommen zum Gegenstand hat, die lediglich Zuständigkeitsregelungen und wechselseitige Anerkennungspflichten enthalten sollen.32
Für die derzeitigen Kompetenznormen des Art. 63 Nr. 1 lit. b) – d) sowie des Art. 63
Nr. 2 lit. a) EGV ergeben sich demgegenüber keine Bedenken im Hinblick auf eine
mögliche Unvereinbarkeit mit Art. 16 a Abs. 5 GG. Hintergrund ist die Überlegung,
dass verfassungsrechtliche Funktion des Art. 16 a Abs. 5 GG ja lediglich ist, Schutzbereichsbegrenzungen und Eingriffsrechtfertigungen, welche über die Abs. 1 - 4 des Art.
16 a GG hinausgehen, verfassungsrechtlich zu ermöglichen.33 Die Einführung zusätzlicher Schutzbereichsbegrenzungen und Eingriffsrechtfertigungen aufgrund sekundären
Gemeinschaftsrechts sind aber bei der bloßen Übertragung der Kompetenz zur Regelung von Mindestnormen, wie dies bislang in den soeben genannten Bereichen durch
den Amsterdamer Vertrag erfolgt ist,34 nicht möglich. Denn den einzelnen Mitgliedstaaten ist auch unter der Geltung der derzeitigen Bestimmungen des Amsterdamer
Vertrages zumindest de lege lata jederzeit (noch) die Möglichkeit verblieben, sofern
dies von dem fraglichen Mitgliedstaat gewünscht wird, gegebenenfalls innerhalb seines
nationalen Verantwortungsbereichs nach Maßgabe seines jeweiligen Verfassungsrechts
31
32
33
34
Zur Bedeutung des Art. 23 GG in diesem Kontext näher unten bei 4.
Vgl. dazu auch die Formulierung in der amtlichen Begründung BT-Drs. 12/4152, S. 4, die davon
spricht, dass neben dem Schengener und dem Dubliner Übereinkommen noch "entsprechende Verträge mit anderen Staaten" auf der Grundlage des Art. 16 a Abs. 5 GG abgeschlossen werden können.
So dezidiert B. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 16 a Rdnr. 36.
Näher dazu Brechmann, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 63,
Rdnr. 17 und 21 sowie Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 63, Rdnr. 11 und 19.
Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG
112
großzügiger zu verfahren, als die gemeinschaftsrechtlichen Mindestnormen dies ihm
gebieten.
Anders würde sich demgegenüber die Sachlage darstellen, wenn der Europäischen Gemeinschaft in Zukunft die Kompetenz übertragen werden sollte, abschließende Regelungen im Bereich des Asylrechts und des Asylverfahrensrechts zu erlassen, die zwingend abweichende nationale Regelungen sperren würden.
Die damit gezogene Schlussfolgerung gilt jedoch nur dann, wenn man – wie hier vertreten – zum einen davon ausgeht, dass Art. 16 a Abs. 5 GG selbst keine Ermächtigung
zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft im Bereich der
Asylpolitik enthält. Darüber hinaus ist aber weitere Voraussetzung, dass Art. 16 a Abs.
5 GG zusätzlich auch eine Anwendbarkeit des Art. 23 GG im Bereich des materiellen
Asylrechts und des Asylverfahrensrechts sperrt, also dieser Bestimmung gegenüber eine
abschließende lex specialis darstellt.
4. Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG
4.1. Fragestellung
Im Hinblick auf das Verständnis des Verhältnisses zwischen Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG
einerseits und Art. 16 a Abs. 5 GG sind grundsätzlich zwei Alternativen denkbar:
Entweder man begreift Art. 23 GG als allgemeine Ermächtigungsnorm, die eine Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union selbst dann ohne Textänderung des Grundgesetzes ermöglicht, wenn eine andere Verfassungsnorm - hier also
nach der vorliegend vertretenen Auffassung Art. 16 a Abs. 5 GG - entgegensteht.
Umgekehrt könnte man Art. 16 a Abs. 5 GG aber auch wie erwähnt als lex specialis zu
Art. 23 GG verstehen mit der Folge, dass zuerst oder doch zumindest zeitgleich gemäß
Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG der Wortlaut der erstgenannten Vorschrift geändert beziehungsweise zumindest klargestellt35 werden müsste. Erst in einem zweiten Schritt könnte
dann nach Art. 23 GG eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft auch im Bereich der Asylpolitik und damit eine europäische Harmonisie-
35
Ein Beispiel einer solchen Klarstellung fand sich in dem früheren - im Jahre 1968 aufgehobenen - Art.
142 a GG betreffend die Vereinbarkeit der Verträge über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit dem Grundgesetz.
Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG
113
rung des Asylrechts durch sekundärrechtliche Regelungen der Europäischen Gemeinschaft erfolgen.
4.2. Art. 16 a Abs. 5 GG als lex specialis zu Art. 23 GG
Für erstere Möglichkeit, also für die Auffassung, Art. 23 GG bilde auch im Bereich des
Asylrechts eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage zur Übertragung von Hoheitsrechten jenseits der durch Art. 16 a Abs. 5 GG erfassten Fragen, spricht zunächst der
Wortlaut des Art. 23 GG, der unqualifiziert davon ausgeht, dass der Bund zur Verwirklichung eines vereinten Europas Hoheitsrechte auf die Europäische Gemeinschaft/Europäische Union übertragen kann, ohne dass diese Befugnis in irgendeiner
Form sachlich eingeschränkt wäre.
Auch erscheint es sinnvoller, für die unterschiedlichen Arten von Hoheitsübertragungen
in den einzelnen Sachbereichen ein einheitliches verfassungsrechtliches Regime zur
Anwendung zu bringen, welches auch nach ihrem Wortlaut entgegenstehende Sondernormen, vorliegend also Art. 16 a Abs. 5 GG, derogieren kann, zumal im Einzelfall eine
(behauptete) Unvereinbarkeit mit solchen anderen Verfassungsnormen auch umstritten
sein mag.
Schließlich ermöglichte auch bereits Art. 24 GG eine materielle Änderung des Grundgesetzes, ohne dass es hierzu einer Änderung des Wortlautes der im übrigen tangierten
Bestimmungen der Verfassung bedurfte. Dies muss dann gerade auch für Art. 23 GG
grundsätzlich in einem noch stärkerem Maße gelten, da dort der hoheitsübertragende
Gesetzgeber sogar expressis verbis von den Bindungen des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG freigestellt worden ist.
Dessen ungeachtet ist aber gleichwohl fraglich, ob diese generellen Aussagen auch und
gerade im Verhältnis zu Art. 16 a Abs. 5 GG Geltung beanspruchen können:
Zum einen spricht für einen Vorrang der Beschränkungen für die Übertragung von Hoheitsrechten, wie sie sich nach dem oben Gesagten aus Art. 16 a Abs. 5 GG ergeben,36
zunächst bereits die Entstehungsgeschichte der letztgenannten Norm. Denn der 1993
unternommene Versuch, in Art. 16 a Abs. 5 GG eine ausdrückliche Öffnungsklausel
36
Dazu bereits näher oben unter 3.
Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG
114
zugunsten einer Vergemeinschaftung der Asylpolitik zu inkorporieren,37 konnte überhaupt nur dann Sinn machen, wenn sich eine solche Möglichkeit nicht bereits unmittelbar aus dem zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Art. 23 GG38 ergeben hatte.
Außerdem war schon für Art. 24 GG anerkannt, dass er stets im Zusammenhang mit
den anderen Bestimmungen des Grundgesetzes gelesen werden muss, welche die auswärtigen Angelegenheiten betreffen und ihre Handhabung begrenzen.39 Nun regelt aber
Art. 16 a Abs. 5 GG seinerseits einen spezifischen Teilaspekt der Ausübung der auswärtigen Gewalt und beschränkt den Gesetzgeber im Bereich der Asylpolitik auf den
Abschluss ganz bestimmter völkerrechtlicher Verträge und setzt so ebenfalls - ähnlich
wie dies auch Art. 25 GG im Verhältnis zu Art. 24 Abs. 1 GG tut40 - der Integrationsgewalt Grenzen.
Dieser Überlegung kann auch nicht mit dem Argument begegnet werden, Art. 23 GG
sei insoweit lex specialis zu Art. 16 a Abs. 5 GG. Die Stellung des Art. 16 a Abs. 5 unmittelbar hinter der Grundrechtsverbürgung des Art. 16 a Abs. 1 GG bringt möglicherweise zum Ausdruck, dass die Regelung grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Fragen des Asylrechts durch die spezielle Normierung in Art. 16 a Abs. 5 GG auf bestimmte Formen völkerrechtlicher Verträge beschränkt werden sollte.
Ein solches Verständnis des Art. 16 a Abs. 5 GG, wonach dieser als lex specialis zu Art.
23 GG aufzufassen sei, würde auch im Gesamtgefüge des Grundgesetzes keineswegs
einen Einzelfall darstellen. Insoweit kann nämlich auf Art. 88 GG41 verwiesen werden,
der in seinem Satz 1 die Kompetenz des Bundes zur Errichtung der Bundesbank regelt.
Auch dort hatte der verfassungsändernde Gesetzgeber die Hinzufügung eines Satzes 242
für angezeigt gehalten, wonach die Kompetenzen der Bundesbank auf die Europäische
Zentralbank übertragen werden können, obwohl hier ähnlich wie im Kontext des Art. 16
a Abs. 5 GG hätte argumentiert werden können, eine Änderung beziehungsweise Ergänzung des Wortlauts von Art. 88 GG sei wegen des behaupteten lex specialis-
37
38
39
40
41
42
Dazu bereits näher oben unter 3.1.
Der fragliche Formulierungsvorschlag stammte von Mitte Januar 1993, während Art. 23 GG seinerseits bereits am 22.12.1992 in Kraft getreten war (vgl. BGBl. 1992 I, S. 2086 f.).
H. Mosler, Die Übertragung von Hoheitsrechten, in: J. Isensee / P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, S. 599 (607 f.) im Hinblick auf Art. 59, 25 und 26 GG.
H. Mosler, (Fn. 26), S. 608.
Art. 88 GG a.F. (nunmehr Art. 88 S. 1 GG) lautet: „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank.“
Art. 88 S. 2 GG n.F. lautet: „Ihre Aufgaben und Befugnisse [der Bundesbank, d. Verf.] können im
Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig
ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“
Verhältnis von Art. 16 a Abs. 5 GG zu Art. 23 GG
115
Charakters des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG im Bereich der Übertragung von Hoheitsrechten
auf die Europäische Gemeinschaft ebenfalls entbehrlich.43
4.3. Ergebnis
Nach alledem spricht vieles für die Auffassung, dass Art. 16 a Abs. 5 GG gegenüber der
Übertragung von Hoheitsrechten im Bereich des Asylrechts auf die Europäische Gemeinschaft jedenfalls insoweit eine Sperrwirkung gegenüber Art. 23 GG entfalte, als die
Europäische Gemeinschaft aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts ermächtigt
werden kann, auch solche Regelungen zu treffen, die gegenüber den Grundrechtsverbürgungen des Art. 16 a Abs. 1 – 4 GG, namentlich also im Bereich des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Einschränkungen vorsehen oder solche ermöglichen würden.44
Wenn man jedoch dieser Auffassung nicht folgen sollte und statt dessen im Ergebnis
davon ausgeht, dass Art. 23 GG auch gegenüber der Regelung des Art. 16 a Abs. 5 GG
für den Bereich der Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische
Union eine lex specialis darstellt, so bestünden doch zumindest nach dem oben Gesagten nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die den Ausgang einer etwaigen
verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer in der Zukunft erfolgenden, noch umfassenderen Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft im Bereich des Asylrechts als zumindest offen erscheinen lassen. Zumindest im Sinne einer
Klarstellung sollte daher eine Modifikation des Art. 16 a Abs. 5 GG im Sinne des bereits oben45 erwähnten Vorschlags der Bundesregierung aus dem Jahre 1993 in Betracht
gezogen werden, zumal Art. 16 a Abs. 5 GG seinerseits in den Grenzen des Art. 79 Abs.
3 GG nicht änderungsfest ist.
43
44
45
Vgl. aber auch die Stellungnahme der Bundesregierung in der amtlichen Begründung zu Art. 23, wonach hieraus für die künftige Staatspraxis keine Schlüsse gezogen werden dürfen (BRat-Drs. 501/92,
S. 9 und 28). Ähnlich T. Weikart, NVwZ 1993, S. 834 (838).
Anders aber wohl die Haltung des Abg. Verheugen im Rahmen der Arbeiten der Gemeinsamen Verfassungskommission, 8. Sitzung vom 26. 6. 1993, Sten. Bericht, S. 11: „Der Satz der eingefügt werden soll [gemeint war Art. 88 S. 2 GG, d. Verf.] ist eine Voraussetzung für die Ratifizierung von
Maastricht“; ebenso wohl der Sonderausschuss Europäische Union des Deutschen Bundestages, BTDrs. 12/ 3896, S. 22. Siehe auch den gleichzeitig hinzugefügten Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, wo die Bundesregierung in identischer Weise argumentiert hat (BRat-Drs. 501/92, S. 8).
Ähnlich auch etwa K. Hailbronner, ZAR 1993, S. 107 (116) sowie ders., Asyl- und Einwanderungsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 31 sowie ferner auch F. Schoch, DVBl. 1993, S.
1161 (1167).
Dazu oben unter 3.1.
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG
116
5. Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG
5.1. Allgemeine Fragen
Sofern man zu dem Ergebnis gelangt, dass Art. 23 GG ungeachtet der in Art. 16 a Abs.
5 GG enthaltenen Regelung eine europäische Asylrechtsharmonisierung und damit eine
Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft auch jenseits der
Schaffung bloßer Mindestnormen jedenfalls im Grundsatz verfassungsrechtlich ermöglicht, so stellt sich gleichwohl die Frage, ob sich nicht auch unmittelbar aus Art. 23 GG
zumindest bei Zugrundelegung des gegenwärtigen Art. 16 a GG46 verfassungsrechtliche
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung ergeben können.
Nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG setzt die Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf die Europäische Gemeinschaft voraus, dass diese ihrerseits „einem diesem Grundgesetz im
wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Damit hat der verfassungsändernde Gesetzgeber mutatis mutandis die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 24 Abs. 1 GG in den Verfassungstext aufgenommen. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass auch im Gemeinschaftsbereich ein Maß an Grundrechtsschutz gewährleistet sein muss, welches nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise
dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleich zu achten ist47 und
der den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt.48
5.2. Bedeutung für eine europäische Harmonisierung des Asylrechts durch die Europäische Gemeinschaft
Zwar ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im 94. Band davon ausgegangen, dass das Asylgrundrecht nicht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1
GG gehört und dass mithin der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert wäre,
das Asylgrundrecht als solches aufzuheben.49
Andererseits ist in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang offen geblieben, ob der Bundesgesetzgeber, der Hoheitsrechte auf die Europäische
46
47
48
Zu den Möglichkeiten und Folgen einer Umwandlung des Asylrechts in eine institutionelle Garantie
vgl. näher die Ausführungen oben zu Fragenkomplex 2.
BVerfGE 73, 339 (378, 384) - Solange II.
BVerfGE 89, 155 ff. – Maastricht; zuletzt bestätigt in der Entscheidung des BVerfG vom 7. Juni
2000, 2 BvL 1/97, Abs. Nr. 61, http://www.bverfg./, (= NJW 2000, S. 3124 ff.).
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG
117
Gemeinschaft überträgt, darüber hinaus gehindert ist, den Wesensgehalt eines einzelnen
individuellen Grundrechts – vorliegend des bestehenden Art. 16 a GG - anzutasten.
Würde man diese Frage bejahen, so wäre zu berücksichtigen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1993 zumindest für diejenigen Personen, die nicht gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik
Deutschland einreisen oder für die ein völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 16 a Abs. 5
GG etwas anderes vorsieht, bewusst an der Gewährleistung eines individuellen
Grundrechts und – wenn auch in den Grenzen des Art. 16 a Abs. 3 und 4 GG – an der
Möglichkeit der Erlangung individuellen Rechtsschutzes gegen ablehnende behördliche
Entscheidungen nach Art. 19 Abs. 4 GG festgehalten hat.
Angesichts dieser vielfältigen bereits von der Verfassung selbst vorgegebenen Beschränkungen dürfte dann jedoch davon auszugehen sein, dass weitere Beschränkungen
des fraglichen Grundrechts jenseits dieser Schranken beziehungsweise Schutzbereichsbegrenzungen, wie sie sich bereits unmittelbar aus der Verfassung selbst ergeben50 oder
zu denen der einfache Gesetzgeber ausdrücklich ermächtigt wurde,51 zumindest Gefahr
laufen, den Wesensgehalt des Art. 16 a GG zu tangieren, da andernfalls praktisch kein
Restsubstrat der im Grundsatz fortbestehenden Grundrechtsverbürgung des Art. 16 a
Abs. 1 GG mehr existieren würde.
Damit stellt sich dann aber die Frage, ob auch bei einer umfassenden Übertragung von
Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft bei gleichzeitiger Beibehaltung des
Asylgrundrechts in seiner jetzigen Form die von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG geforderte Sicherstellung des soeben skizzierten Wesensgehalts des Art. 16 a GG gewährleistet ist.
Auszugehen ist dabei von einer Situation in welcher die Europäische Gemeinschaft
möglicherweise in der Zukunft zu einer weiteren Asylrechtsharmonisierung ermächtigt
würde, die über den Erlass bloßer Mindestnormen hinausgehen würde.52
49
50
51
52
Vgl. oben in Teil 2, 2.1.2. BVerfGE 94, 49 (103 f.); kritisch dazu J. A. Frowein / A. Zimmermann, JZ
1996, S. 753 (754 f.).
Dies ist bei Art. 16 a Abs. 2, S. 1, 1. Alt. GG (Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaften) der Fall.
Dies ist im Hinblick auf Art. 16 a Abs. 2, S. 1, 2. Alt. i.V. mit S. 2 GG (Einreise aus einem sonstigen
sicheren Drittstaat) und des Art. 16 a Abs. 3 und 4 GG der Fall.
Zutreffend geht K. Hailbronner, Ausländerrecht, Art. 16 a Rdnr. 444 b davon aus, dass bei dem derzeitigen Stand der Kompetenzübertragung auf die Europäische Gemeinschaft im Bereich der Asylrechtsharmonisierung keine Unterschreitung eines „im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes“ zu befürchten ist, da Art. 63 EGV (derzeit) die Koordinierung lediglich im Wege von Mindestnormen vorsieht.
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG
118
De lege lata stellt Art. 63 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 EUV sicher,
dass Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaften im Bereich der Asylpolitik die
Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention in der Fassung des New Yorker Protokolls
aus dem Jahre 1967 und diejenigen der Europäischen Menschenrechtskonvention beachten müssen. Schon wegen der Beachtung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der
Mitgliedsstaaten ist darüber hinaus davon auszugehen, dass auch weitere Schritte hin zu
einer europäischen Asylrechtsharmonisierung auf der Grundlage dieser völkerrechtlichen Vorgaben erfolgen werden. Grundsätzlich ist ferner auch davon auszugehen, dass
sich der personelle Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention einerseits
und derjenige des Art. 16 a Abs. 1 GG zumindest weitestgehend decken.53
Zu beachten ist aber andererseits auch, dass die Genfer Flüchtlingskonvention keine
Aussagen über die von den Vertragsparteien zu beachtenden Verfahrensgarantien
macht, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft einer Person prüfen.54 Auch die EMRK enthält für den Fall der Berufung auf das in Art. 3 EMRK enthaltene Refoulement-Verbot
bei drohender Folter oder unmenschlicher Behandlung keine Garantie (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutzes. Vielmehr verpflichtet Art. 13 EMRK – wie bereits oben
näher ausgeführt55 - die Konventionsstaaten lediglich dazu, eine Beschwerdeinstanz zu
schaffen, die aber gerade keinen gerichtsförmigen Charakter besitzen muss.
5.3. Ergebnis
Angesichts dieser Divergenz könnte sich in der Zukunft für den Fall der Übertragung
weiterer asylrechtlicher Kompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft das Problem
ergeben, ob nicht jedenfalls dann, wenn in der Zukunft entsprechende gemeinschaftsrechtliche Normen auf der Grundlage geänderter primärrechtlicher Vorgaben zwingend
den Wegfall gerichtlichen Rechtsschutzes vorsehen sollten, der Wesensgehalt der fraglichen Grundrechtsnormen, also des Art. 16 a i.V. mit Art. 19 Abs. 4 GG, berührt wäre.56 Als Folge würde es dann fraglich erscheinen, ob die entsprechende Übertragung
deutscher Hoheitsrechte noch von dem Rechtsanwendungsbefehl des Art. 23 Abs. 1 S. 2
53
54
55
56
Zu problematischen Fällen, in denen der personelle Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention möglicherweise hinter Art. 16 a GG zurückbleibt, näher A. Zimmermann, (Fn. 24), S. 283 ff.
Vgl. dazu die Ausführungen oben in Teil 2 unter 3.1.3.
Vgl. dazu im einzelnen die Ausführungen oben in Teil 2 unter 3.2.2.
Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 2 unter 2.3.
Grenzen für eine europäische Asylrechtsharmonisierung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG
119
GG gedeckt wäre. Zumindest dann aber, wenn der Identitätskern des Art. 79 Abs. 3 GG
berührt wäre, ergäbe sich diese Rechtsfolge.57
57
Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 2 unter 2.1.1.
120
Hamburg/Heidelberg/Frankfurt (Oder) im Februar 2001
Dr. Ralf Alleweldt, LL.M. (EUI)
Prof. Dr. Stefan Oeter
Privatdozent Dr. Andreas Zimmermann, LL.M. (Harvard)
121
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Juli 1993
28.01.2000
10.05.2000
März 1999
März 1999
Bosnien und Herzegowina
Tschetschenien
Sierra Leone
BRep. Jugoslawien
Roma
* nur Erstverfahren
** Stand: 31.12.2000
Serben
Juli 1994
Ruanda
(regelmäßige Statistiken wurden erst
ab August 1999 erstellt)
März 1999
(regelmäßige Statistiken wurden erst
ab August 1999 erstellt)
Mai 1995
Burundi
136
20
964
(Stand: 31.08.1999)
237
(Stand: 31.08.1999)
3.335
16.234
355
212
13.927
anh. Verfahren *
31.08.1999
September 1996
18.05.1999
18.05.1999
Ende d. Entscheidungsstopps
Entscheidungsstopp und Aufhebungen
Beginn d. Entscheidungsstopps
21.08.2000
Land
- Abschrift (gemäß Mitteilung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
- Statistikreferat 213 - vom 22. Januar 2001)
Afghanistan
Anlage 1
** 619
** 10.672
30.640
** 826
** 1.121
30.215
325
131
** 3.506
anh. Verfahren *