Der Weg in die Heroinsucht

Transcription

Der Weg in die Heroinsucht
illu fabienne gutje 11gt <<
text vincent mertens 31gt <<
*Interview:
Der Weg
in die Heroinsucht
*Namen wurden nachträglich geändert.
Düsseldorf, 11.12.2013
Der Bruder meiner Freundin Felicitas namens Marc
ist seit mehr als zehn Jahren schwer heroinabhängig. Seit zwei Wochen ist er mal wieder clean – ob
das nun wieder ein paar Tage dauern wird? Was das
für sie, ihre Familie und Bekannten bedeutet, wird
uns nun Felicitas genauer vor Augen führen...
„Wie lange genau ist Marc schon heroinabhängig?“
„Marc ist seit mittlerweile mehr als zehn Jahren heroinabhängig. Aber das Ganze ging schon viel früher los. Marc ist
mehr als sein halbes Leben drogenabhängig. Er ist mittlerweile 31. Er kennt es kaum anders.“
„Viele Leute würden glauben, das liege an mangelnder Erziehung
der Eltern. Da ich dich aber sehr gut kenne und somit deine Eltern
auch, weiß ich, dass das nicht der Fall ist. Jetzt stelle ich mir die
Frage, wie es denn so weit kommen konnte.“
„Wie ich bereits sagte, nimmt Marc schon sehr lange Drogen.
Es fing erst damit an, dass er regelmäßig kiffte. Nur kiffen
„gab ihm nichts“, er wurde nur müde und er wollte einen
Kick. So kam er dann fast täglich betrunken nach Hause.
Für mich war es sehr schlimm, Marc so zu sehen. Ich mei-
ne, als kleine Schwester macht dir das große Angst, wenn du
gerade mal zehn oder elf Jahre alt bist und dein großer Bruder, der eigentlich immer ein großes Vorbild für dich war,
so besoffen ist, dass er es nicht mehr in sein eigenes Zimmer geschafft hat, und ich ihm helfen muss, damit es Mutter
nicht bemerkt. Die hat es aber immer gemerkt. Ja, und man
könnte schon fast sagen, dass er mit gerade mal 18 Jahren
schon alkoholabhängig war. Kurze Zeit später testete er sich
durch alles durch, was die örtlichen Dealer zu bieten hatten.
Erst Hasch, dann Ecstasy, verschiedenste Schmerzmittel und
Benzodiazepane, Poppers, Kokain und LSD. Marc nahm das
ganze Zeug regelmäßig und blieb dann bei Ecstasy und Kokain. Ecstasy wurde dann jeden Freitag und Samstag zum
Feiern konsumiert, sofern er noch in der Lage zum Feiern
war und Kokain dann täglich. Irgendwann kam er ins Gefängnis.“
„Warum?“
„Marc war schon immer etwas anders als die meisten Jungs.
Er sprühte in seiner Freizeit viel Graffiti. Hier in der Gegend
ist er heute noch in der Graffitiszene ein sehr bekannter
Sprüher. Eines Tages war er mit ein paar Freunden in einer
Abstellanlage der DB. Dort sprühten sie mit drei Leuten einen sogenannten Wholewaggon, sprich der ganze S-Bahn
Waggon wurde mit Farbe überdeckt. Sie wurden auf frischer Tat vom Bundesgrenzschutz erwischt, seine Freunde
konnten flüchten, Marc leider nicht. Er war immer, und ist es
heute noch, ein sehr loyaler Mensch. Für ihn war es selbst-
12
13
verständlich, seine Jungs zu decken. Dieser Vorfall war das
I-Tüpfelchen zur Verhaftung. Er war natürlich schon vorher
bei der Polizei aufgefallen, weil er oft in Autos einbrach und
kleinere Diebstähle beging. Beschaffungskriminalität halt,
irgendwoher musste ja die Kohle für sein Zeug kommen.“
„Was ich von Marc weiß, ist, dass er in meinem Alter oder noch
etwas früher, sehr begabt in Sport und Kunst war und auch in der
Schule gute Noten bekam. Das hat doch unter dem Konsum heftig
gelitten, oder?“
„Ja klar, als er 18 war, meldete er sich von der Schule ab. Eishockey und Skateboarden waren für ihn dann auch gelaufen.“
„Verständlich…Ich frage mich nur, wie Karen und Holger sich fühlten, als sie herausbekamen, dass ihr Sohn auf Heroin war.“
„Für meine Eltern war das noch viel schlimmer als für mich.
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, als Marc nach
Hause kam und gestand, dass er heroinabhängig sei. Klar,
er rückte nicht von alleine mit der Sprache raus. Karen fühlte ihm genauer auf den Zahn, weil er an diesem besagten
Tag kaum gerade stehen konnte, gedanklich dermaßen abwesend war und seine Pupillen so klein, dass man sie kaum
mehr sehen konnte. Ein sehr schreckliches Bild. Was ich
damals noch nicht ahnen konnte, war, dass sich mir dieses
Bild von nun an täglich bieten würde. Meine Mama brach
fast zusammen, und Papa blieb wie versteinert stehen. So
ist es bei Papa heutzutage noch, wenn er über Marc spricht.
Sie zwangen ihn mehrmals, einen Entzug zu machen. Aber
in Deutschland funktioniert das nur, wenn der Süchtige das
auch will. Man kann ihn nicht dazu zwingen, es sei denn, ein
richterlicher Beschluss liegt vor. Der kam dann nach einer
Gerichtsverhandlung vor ca. zwei Jahren. Den Entzug brach
er aber einen Tag vor Ende der Entgiftung ab. Ich glaube,
für meinen Vater ist es noch schlimmer als für meine Mama,
weil er sich immer einen tollen Sohn gewünscht hat. So ist
seine Enttäuschung sehr groß. Die psychischen Folgen sind
bei ihm so heftig, dass er dadurch einen Schlaganfall erlitten
hat. Er konnte sich zum Glück gut erholen.“
„Wir sprechen die ganze Zeit über Marc oder deine Eltern, sag du
doch mal, wie du dich mit der ganzen Situation fühlst.“
„Für mich ist das Ganze natürlich sehr schrecklich. Aber
da ich Marc, seit ich denken kann, fast nur so kenne, ist das
für mich schon leider Normalität. Viele Leute hätten Angst
vor ihm, dass ers Aids habe oder sonst was. Nee, hat er aber
nicht, nur Hepatitis-C halt. Wenn ihn Hero nicht umbringt,
dann spätestens das. Keiner mag mit einem Junkie in Berührung kommen. Mir macht das nichts. Es ist mein Bruder,
und ich liebe ihn. Zudem bin ich Krankenschwester, da bin
ich schon einiges gewohnt. Jedoch macht es mich immer
traurig, ihn so sehen zu müssen. Da ich fast täglich bei meinen Eltern zu Mittag esse und Marc dann auch meistens da
ist, wenn er nicht wieder am Bahnhof bettelt oder zu drauf
ist, kann ich gut sehen, wie er immer kaputter und kaputter
wird. Sein Bein ist komplett kaputt gespritzt, er kann kaum
noch laufen. Vor zwei Monaten sollte es ihm eigentlich
schon abgenommen werden. Sonst haben sich schon alle
Venen zurückgezogen. Das ist auch der Grund dafür, warum
er mittlerweile sein Bein benutzt. Fast täglich verarzte ich
thema
Schulgeflüster 2014
ihn und mache ihm einen neuen Verband. Jedes Mal könnte
ich weinen, wenn ich sehe, wie er sich selber zerstört. Dabei
war er früher mal kein hässlicher Typ…
Das lässt mich immer an die Tierwelt denken. Es gibt kein
Wesen, das so selbstzerstörerisch sein kann wie der Mensch.
Ich meine, Marc ist kein Einzelfall. Wie viele Menschen sind
drogen- oder alkoholabhängig, rauchen oder kiffen? Kein
Wesen sonst fügt sich so einen Schaden zu, selbstverschuldet! Naja, wie dem auch sei, ich bin jeden Tag traurig und
wünsche mir, dass er es endlich diesmal schafft, von dem
Dreck wegzukommen. Manchmal wünsche ich mir, dass er
eher stirbt. Somit muss ich nicht täglich damit rechnen, dass
er an einer Überdosis stirbt. Diesen Vorfall gab es sogar
schon vor knapp drei oder vier Jahren. Er spritzte sich die
übliche Menge Heroin, darauf aber auch Kokain intravenös,
was er vorher nur nasal einnahm, und auf diese Mischung
spritze er sich noch aufgekochte Benzodiazepane. Das war
für seinen geschwächten Körper zu viel. Sein Herz schlug
von Sekunde zu Sekunde langsamer, er schaffte es gerade
noch, den Notarzt zu alarmieren. Die fanden ihn kurze Zeit
später bewusstlos in seiner Wohnung. Ja, sowas macht mich
fertig, jeden Morgen und jeden Abend muss ich an Marc
denken.“
„Wie du bereits sagtest, hat Marc schon große gesundheitliche Probleme. Erläuter das mal näher, und wie steht es um seine Psyche?“
„Ja, Marc verlor ja schon fast sein Bein. Generell hat er viele
offenen Stellen am Körper. Die Organe sind geschwächt und
die Leber sowieso, auf Grund seiner Hepatitis- Erkrankung.
Die Psyche ist noch einigermaßen intakt, soweit man das
überhaupt von einem Suchtkranken behaupten kann. Ich
sehe viele Ex-Junkies oder trockene Alkoholabhängige. Die
reden mit sich selber wirres Zeug, wenn die das überhaupt
noch können. Da ist Marc noch sehr auf der Höhe. Er drückt
sich gut aus und hat noch eine Menge Wissen. Vor ein paar
Tagen war er wieder beim Arzt, um die Methadon-Dosis
(welches ein arzneiliches Ersatzmittel für Heroin ist) zu erhöhen. Man untersuchte sein Herz und es sah nicht gut aus.
Wenn er wieder anfängt zu spritzen, hat er laut Arzt nicht
mehr als ein bis zwei Jahre Lebenserwartung.“
„Wie kam es nun dazu, dass Marc freiwillig aufhören will?“
„Marc ist seit einem Monat aus seiner dritten Haftstrafe entlassen. Als er wieder frei war, übertrieb er es maßlos. Er hatte
die 1000, die er im Knast verdiente, innerhalb von drei Tagen
auf den Kopf gehauen. Seine Freundin, sofern man das überhaupt eine Beziehung zwischen zwei Junkies nennen kann,
verließ ihn. Er merkte nun, dass er vor dem Nichts stand. Aus
eigenem Willen raffte er sich dazu auf, einen Entzug zu machen. Jedoch ohne Hilfe. Er zieht es alleine durch.“
„Ich sprach mit Marc vor ca. einer Woche. Er war eigentlich in einer
guten Verfassung. Das freut mich. Wie siehst du seine Zukunft?“
„Ich habe das Gefühl, dass es bei ihm endlich mal „Klick“ gemacht hat. Ob er es nun auf Dauer durchzieht, kann ich nicht
sagen. Ich möchte mir auch keine Hoffnung machen, sonst
bin ich wieder nur enttäuscht, wenn er wieder drauf ist.“
„Vielen Dank für das Interview. Ich hoffe für dich, deine Eltern und
Marc, dass es dieses Mal klappt!“