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Episode 0
—
Ways Of The Force
von
Jael Brämer
15. Januar 2001
2
Episode 0
Inhaltsverzeichnis
1 Prolog
2 Jedi-Padawan
2.1 Gestae . . . . . . .
2.2 Verhandlungen . .
2.3 Javall und Qui-Gon
2.4 Reesch . . . . . . .
2.5 Bindungen . . . . .
2.6 Vorbereitungen . .
2.7 Überfall . . . . . .
2.8 Kämpfer . . . . . .
2.9 Dunkle Seiten . . .
2.10 Farbenwechsel . . .
2.11 Entscheidungen . .
2.12 Zeremonien . . . .
3 Jedi-Trials
3.1 Coruscant . . . . .
3.2 Obi-Wan . . . . . .
3.3 Yodas Essen . . . .
3.4 Rat-Schläge . . . .
3.5 Die Bibliothek . . .
3.6 Unterricht . . . . .
3.7 Dagobah . . . . . .
3.8 Visionen . . . . . .
3.9 Pathetic Lifeforms
3.10 Vermächtnisse . . .
3.11 Übergangsriten . .
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138
142
4
4 Jedi-Master
4.1 Meister und Schüler .
4.2 Stock und Stein . . .
4.3 Macht-Anwendungen
4.4 Macht-Spiele . . . . .
4.5 Aufbruch . . . . . . .
4.6 Regelwerke . . . . .
4.7 Lektionen . . . . . .
4.8 Einbrüche . . . . . .
4.9 Rückkehr . . . . . .
4.10 Schach . . . . . . . .
4.11 Matt . . . . . . . . .
4.12 Defying . . . . . . .
4.13 Zusammenbrüche . .
4.14 Duell der Ehre . . . .
4.15 Ende und Anfang . .
4.16 Schlachtverlauf . . .
4.17 Ways of the force . .
4.18 medichlorian-count .
4.19 Erschütterungen . . .
4.20 Ameisensuche . . . .
4.21 Pläne . . . . . . . . .
4.22 Schmugglercamp . .
4.23 Barrieren . . . . . .
4.24 Flucht . . . . . . . .
4.25 Verletzungen . . . .
4.26 Bestätigung . . . . .
4.27 Neue Wege . . . . . .
INHALTSVERZEICHNIS
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. 191
. 200
. 204
. 213
. 219
. 225
. 231
. 235
. 243
. 248
. 251
. 259
. 264
. 269
. 273
. 277
. 281
. 288
. 294
. 303
. 310
Kapitel 1
Prolog
Jinn schnappte nach Luft und erwachte. Sie wachte nicht etwa auf und
schnappte dann nach Luft, nein, sie spürte es erst, schnappte nach Luft und
wachte dadurch auf. Das dünne Leinenkleid war schweißgetränkt. Sie hatte
unter ihr Kissen gefasst und spürte nun den Griff der Waffe. Sie lauschte in
die Dämmerung des Morgens, erhob sich und schlich zum Fenster. Nichts wenn man von den üblichen Geräuschen absah: Eine Stadt, die teils gerade schlafen ging, die teils gerade erwachte. Ein Gleiter, eine Patroille, ein
paar Jugendliche, die lachten. Jinn wartete noch ein paar Augenblicke, aber
als sich immer noch nichts Außergewöhnliches regte, trat sie zurück in den
Raum, der gleichzeitig Schlaf-, Wohn- und Arbeitsraum war.
Sie trat an den großen Tisch auf der anderen Seite und machte Licht. Die
altmodische Lampe schuf nur einen kleinen Lichtkegel. Jinn griff nach einem
Band, fasste die Stirnhaare und band sie hinter dem Kopf grob zusammen wenig aufwendig, aber effektiv.
Die Waffe lag jetzt neben dem metallenen Lampenfuß.
Jinn starrte sie an.
Wie lange hatte sie unter dem Kissen gelegen? Sie wusste es nicht einmal
mehr. Sie hatte es vergessen - vergessen wollen.
,,Warum habe ich danach gegriffen?” Sie wollte die Waffe nie mehr in die
Hand nehmen - deshalb hatte sie sie unter den Kissen versteckt, versteckt
und vergessen. ,,Warum?”
Ihr Vater hatte ihr einmal gesagt, ein guter Kämpfer wüsste instinktiv,
wann es Zeit sei, zur Waffe zu greifen. ,,Warum bin ich aufgewacht und habe
gerade Dich genommen? Warum nicht den Blaster auf dem Nachtisch?”
Langsam und zögernd nahm sie den grau-schwarzen Griff in die rechte
Hand. Er war noch warm. Genauso hatte er sich damals angefühlt.
Damals - wie schrecklich das klang. Damals hatte Jinn geglaubt, am Ziel
zu sein. So merkwürdig vertraut lag sie in ihrer Hand nach all der Zeit.
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6
KAPITEL 1. PROLOG
Und doch eine so ferne Welt.
Oder?
Sie wusste tief in sich, dass sie vieles, was sie dort gelernt hatte, hier
anwandte, auch wenn sie nicht diese Waffe am Gürtel ihrer Kleider trug.
Jinn legte sie auf einen Stapel ihrer Bücher und löschte das Licht. Sie
lag kaum auf dem Bett und zog das dünne Laken zu sich, als ihr beinahe
schwarz vor Augen wurde. Ein eiserner Ring presste ihre Brust zusammen.
Dieses Mal wusste sie sofort, was es war. Doch noch nie hatte sie es, hatte sie
SIE so gespürt. Nicht bewusst jedenfalls - das erste Mal hatte sie erst später
erfahren, was das bedeutete... Jetz begriff sie es augenblicklich.
Nein...!!
Sekunden später war es vorbei. Jinn fiel zurück, keuchte, starrte zuerst
minutenlang an die Decke, dann im immer schneller intensiv werdenden Morgenlicht zum Tisch, auf dem ihre Waffe lag. Etwas Furchtbares musste geschehen sein. Ihre Gedanken galten ihrem Lehrer, ihrem Vater, seinem Schüler
- in dieser Reihenfolge. Sie versuchte, sie in Gedanken zu erreichen, aber da
war nichts, nur tiefe Schwärze.
Jinn erhob sich schwerfällig und völlig erschlagen, nahm das unscheinbare
Metallrohr vom Bücherstapel an sich und trat wieder zum Fenster. ,,Was ist
nur passiert?”
7
Einen Tag später erfuhr sie es.
Als Jinn vom Rat zurück kam und die Luftschleuse des alten Hauses
durchschritten hatte, blieb sie wie angewurzelt im großen Raum stehen. Sie
spürte seine Präsenz, bevor sie ihn sah. Sie stellte die Tasche mit den Unterlagen auf dem alten Schachtisch ab und drückte die einfache Holztür zur
Bibliothek vorsichtig mit der linken Hand auf, während sich die rechte um
ihre Waffe schloss.
Er saß hinter ihrem Tisch. Er sah sie eine Zeit lang an und legte dann
den Kopf schief, wie er es oft tat, wenn er überrascht schien, es aber nie war.
,,Ein Feind, glaubst du, ist hier? Du irrst, als Freund ich bin gekommen.”
Jinn hängte die Waffe zurück an den Gürtel, stemmte die Hände in die
Hüften und stellte sich vor den Tisch. Diese ihm so vertraute Bewegungen
versetzten seinem alten Herzen einen Stich - wie ähnlich sie sich waren...
,,Was willst du hier, Yoda?”
Es klang kühler und unfreundlicher, als sie es beabsichtigt hatte.
,,Wütend du noch immer bist - aber gekommen bin ich nicht, um zu
streiten mit dir.” Er erhob sich und kam langsam auf sie zu. ,,Gekommen
bin ich, dir zu geben etwas.” Yoda griff an seinen Gürtel und löste sein
Laserschwert. Er hielt es ihr hin.
Jinn starrte es an. Es war nicht seines. Sie öffnete den Mund, aber sagte
nichts. Yoda sah sie fragend an. ,,Warum deine Waffe trägst du wieder?”
Sie starrte immer noch auf den Griff des Laserschwerts, welches das erste
war, das sie je gesehen hatte in ihrem Leben. ,,Gestern Nacht spürte ich, wie
die MACHT erzitterte um mich herum...”
Yoda nahm ihre Hand und legte das Schert hinein, schloss ihre Finger
darum. Er nickte auf seine langsame Art. ,,Gedacht habe ich es mir, dass
auch du gefühlt hast es.”
Über Jinns Wangen liefen Tränen. Sie wusste es, aber sie musste es noch
von ihm hören.
,,Was ist passiert?”
Der Jedi-Meister legte seine grünliche Hand auf ihre weiße. ,,Gestorben
ist Qui-Gon Jinn, ermordet ist dein Vater, mein Schüler.”
Jinn sank einfach auf den Boden und weinte. Sie presste das Schwert
ihres Vaters an sich und schrie ihren Schmerz heraus. Yoda nahm sie in seine
Arme. Er zog ihren Kopf an seine Schultern und wiegte sie, wie er es getan
hatte, als sie noch das kleine Kind gewesen war, für das er die Verantwortung
übernommen hatte, weil Qui-Gon es nicht durfte. Doch nur ihr Lehrer war er
gewesen... nicht der Vater... Langsam versiegten die Tränen. Er strich durch
ihr langes Haar und formulierte die traditionellen Worte:
,,Eins mit der MACHT er nun ist, kleine Jinn. Es gibt keinen Tod, nur
die MACHT.”
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KAPITEL 1. PROLOG
Es gelang ihm, sie auf ihr Bett zu setzen; sie starrte auf das Schwert ihres
Vaters. Dann sah sie den schweigenden Yoda an. ,,Warum bist du gekommen?
Ich meine, warum nicht sein Schüler, warum nicht Obi-Wan?”
Yoda setzte sich neben sie. ,,Mehrere Gründe gibt es, zu dir zu kommen.
Obi-Wan ist auf Naboo, er wacht an der Seite seines toten Meisters. Heute
Abend wir zu ihm fliegen werden. Du dabei sein musst, ich denke. Qui-Gon
du viel bedeutet hast, vielleicht manchmal zu viel...”
Kapitel 2
Jedi-Padawan
2.1
Gestae
Gestae war nicht gerade ein bemerkenswerter Planet. Qui-Gon fand ihn eher
abstoßend. Ein grellroter Himmel, der durch die Quarzpartikel in der Atmosphäre wohl Charme versprüht hätte, wenn nicht die Wärme gewesen
wäre. Eine Durchschnittstemperatur von 50 Grad war nicht unbedingt das,
was Qui-Gon in Begeisterungsstürme ausbrechen ließ. Eine hohe Vegetation,
Bäume, die Qui-Gon nirgendwo sonst in solcher Dichte gesehen hatte. Regenschauer, die eher Steinschläge waren durch den Quarz. Alles roch nach
feuchtem Stein und Moos - selbst das Essen schmeckte hier nach Sand.
Vierzehn Tage noch, dann würde der Frachter hier Station machen, der
ihn nach Coruscant bringen sollte - zur großen Prüfung. Der Rat der Jedi
hatte ihn gerufen, sie hatten ihn nach mehr als zwanzig Jahren Ausbildung
für würdig gefunden, einer der ihren zu werden. Qui-Gon konnte an kaum
etwas Anderes mehr denken. Ein Jedi zu sein, einer der Ritter, einer derer,
die eigenverantwortlich eine Mission übernehmen durften.
Seit er das erste Mal vor dem Rat gestanden hatte, kaum drei Jahre alt,
allein, das erste Mal ohne seine Eltern überhaupt, seitdem hatte er einer von
ihnen sein wollen.
Er betrachtete sein Spiegelbild in einem der gewölbten Fenster, die allen Häusern hier zu Eigen schienen. Er war groß für einen Menschen aus
den Kolonien. Die wenigen Felder, die häufigen Überfälle durch die wandernden Outlaws in den Randbereichen der Republik ließen nur wenig Nahrung
übrig, so dass die meisten Kinder klein blieben - oder starben. Er hatte Glück
gehabt; da Meister Gordon sein Potential erkannte und Yoda ihn als Padawan akzeptierte, musste er ,,die Kolonie” verlassen. Das bedeutete geregelte
Mahlzeiten, Schlaf, Schule - bis er mit zehn Jahren Yoda begleiten durfte.
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Die meisten seiner Geschwister und Freunde würden kaum etwas davon über
längere Zeit genossen haben.
Qui-Gon war in fast allen Dingen das genaue Gegenteil seines Meisters.
Groß, kräftig, mit vollem Haar und dunklen Augen. Auch vom Temprament
her bildeten sie ein bizarres Team. Beide hatten einen starken Willen - nur
einig waren sie sich selten. Zu Beginn der Ausbildung hatte Yoda mehrmals
die Hoffnung fast aufgegeben, dass der Junge seine Gefühle und Gedanken
in den Griff bekommen würde, aber nach langen Jahren des Trainings war
es Qui-Gon doch gelungen. Angst, Wut, Hass waren ihm fremd geworden,
doch die Leidenschaft aufzugeben und seinen Instinkten nicht jedes Mal zu
folgen, das war ihm nicht gänzlich gelungen. Er bemühte sich, diesen Teil
seiner Persönlichkeit vor Yoda zu verbergen, doch im Grunde wusste er, dass
sowohl sein Meister wie auch in ein paar Tagen der gesamte Rat wissen würde,
dass er nicht der perfekte Jedi war, der er einmal werden wollte.
Seine Kleidung entsprach schon eher dem Codex der Meister: Hohe Stiefel,
eine weiche Hose, ein mehrlagiges Wickelhemd, dass von einer Schärpe, über
der ein Gürtel lag, an dem sein Schwert und ein paar andere Kleinigkeiten
hingen, zusammengehalten wurde. Sein weiter Mantel war noch in jenem
Hellbraun gehalten, dass die Padawan trugen, die Schüler. Mitten im Rat,
mitten im Kreis der versammelten Jedi-Meister, die einen Sitz beanspruchten,
würde sein Meister ihm den dunkelbraunen Mantel der Jedi-Ritter umlegen.
Er würde den dünnen Zopf in seinem Nacken ergreifen und abtrennen, der
ihn als Schüler gekennzeichnet hatte. Und er bekam den dritten Teil seines
Namens. Sein Meister würde ihn wählen, denn er würde die Zukunft sehen
und den Namen danach aussuchen.
Es war kein Wunder, dass Qui-Gon gerade jetzt über sich und seinen Weg
nachdachte. Gestae erinnerte ihn an ,,die Kolonie”. Er dachte nie daran als
,,Zuhause”, auch nicht an den Namen - Kallon -, für ihn war es immer ,,die
Kolonie”. Sein ,,Zuhause” waren die karge Schule auf Coruscant, die harte
Ausbildung, aber auch das Verständnis und die Geborgenheit gewesen, die
er bei Yoda und den anderen Jedi-Meistern erlebt hatte. Sie hatten ihn ernst
genommen und nicht über die seltsame Gabe gelacht, die er besaß: Dinge zu
spüren, die noch in der Zukunft lagen. Sie alle hatten dieselbe Fähigkeit, nur
unterschiedlich ausgeprägt. Und nun war Gestae ,,der Kolonie” so ähnlich,
dass es Qui-Gon schmerzte, hier zu sein. Er hatte immer gedacht, er würde
eines Tages zurückkehren, um zu sehen, was aus seiner Familie geworden war.
Doch dann war er eines Tages neben Yoda zusammengesunken. Er hatte
die MACHT gespürt, so gewaltig wie selten. Yoda hatte es nicht gespürt,
aber er ahnte, was geschehen war. Outlaws hatten das Farm-Dorf auf Kallon
überfallen und Qui-Gons Familie umgebracht. Das hatte er gespürt - den Tod
so vieler Menschen, die er gekannt hatte und die ihm etwas bedeutet hatten.
2.1. GESTAE
11
Damals hatte er beschlossen, seine Haare entgegen des Codes wieder wachsen
zu lassen, in der Art, wie die Kolonisten auf Kallon ihre Haare getragen
hatten - nicht übermäßig lang, aber länger als der Kurzhaarschnitt, den alle
Jedi-Schüler, die er kannte, trugen. Die dunklen Fransen fielen ihm seitdem in
die Stirn, und er trug auch einen kurzen Bart. Yoda runzelte die Stirn, als er
bemerkte, dass Qui-Gon nicht vorhatte, die Haare wieder stärker zu kürzen.
Er sagte, Qui-Gon solle bis zur Prüfung warten, danach könne er sich in allen
Punkten des Codes eine eigene Meinung erlauben, als Padawan obläge es ihm
jedoch, den Codex erst einmal ernst zu nehmen und zu befolgen. Qui-Gon
widersprach nicht, aber er verstieß weiter gegen den Code. Sein Meister gab
ihm Zeit zur Trauer, aber er beobachtete auch, wie sein Schüler mit dem Tod
seiner Familie umging und ob es ein Anzeichen gab, dass er Rache nehmen
wollte. Qui-Gon wusste dies nicht. Aber Yoda erzählte es ihm später, als er
sicher war, dass Qui-Gon diese unvorhergesehene Prüfung bestanden hatte.
Sein Schüler gab sich eher selbst die Schuld, er fragte sich auch, warum die
Dörfer auf Kallon sich nicht gegenseitig geholfen hatten.
Und jetzt stand er auf einem Planeten, der ,,der Kolonie” so ähnlich
war - in gewisser Weise. Es war dasselbe Problem, nur in einem größeren
Maßstab. Die Bewohner Gestaes waren auch Menschen, die hier eine neue
Heimat gesucht hatten. Und nach vielen Jahrzehnten war es ihnen gelungen,
dem unwirtlichem Flecken im All ihren Lebensunterhalt abzutrotzen und ihre Hütten gegen hübsche Häuschen auszutauschen. Sie liebten ihre Welt doch die Bewohner des Nachbarplaneten Reesch wollten sie vertreiben, wollten die Früchte ihrer Arbeit ernten. Beide Planeten gehörten der Republik
nicht an, sie mussten ihre Probleme selbst lösen. Und das sollte hier in der
Hauptsiedlung auf Gestae geschehen.
Qui-Gon fragte sich, ob es eine Lösung geben würde. Hätte es für ,,die
Kolonie” eine Lösung gegeben? Hätte man sich mit den Outlaws einigen
können? Er würde es nie erfahren... Er starrte noch immer in die Glasscheibe. Dahinter bewegte sich etwas. Qui-Gon zuckte zusammen. Er sah einen
alten Mann, der nun ihn anstarrte. Wie lange schon? Jetzt lächelte der Alte
und winkte ihn herein. Qui-Gon wollte den Kopf schütteln, aber es war ihm
peinlich, dass es so ausgesehen hatte, als starre er den Mann an. Langsam
ging er um das niedrige Haus herum und trat durch die Luftschleuse, die den
Quarzstaub draußen halten sollte.
Die Luft im Inneren war gefiltert und befeuchtet. Qui-Gon sog sie tief in
seine maltretierten Lungen. Dann erst sah er sich neugierig um. Der Besitzer
des Hauses schien zu den ältesten Kolonisten zu gehören - er hatte es derweil zu einem gewissen Lebensstandard gebracht. Die Klimakontrolle an sich
zeigte dies, aber auch die Einrichtung. Eine dunkle Stimme erklang aus dem
angrenzenden Raum.
12
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
,,Kommen Sie. Kommen Sie hier nach hinten.”
Qui-Gon schüttelte vorsichtig den Quarz von Umhang und Stiefeln und
schritt langsam über den mit bunten, kühlen Steinplatten ausgelegten Fußboden. Der zweite Raum überraschte ihn: Der Fußboden sah genauso aus,
aber entgegen der gediegenen und vollständigen Einrichtung des Empfangsraums gab es hier nur drei wesentliche Möbelstücke: Ein breites bequemes
Bett, einen großen Tisch und einen bequemen Stuhl. Den Rest des Raumes
nahmen Bücher ein. Unzählige Bücher.
Qui-Gon kannte Bücher. Es gab einen Raum unterhalb des Saals des JediCouncils, des Hohen Rates der großen Meister, in dem die alten Schriften
aufbewahrt wurden; die Schriften, die die alten Mythen und Verheißungen
enthielten, die jeder Jedi kannte, aber an die kaum jemand noch glaubte.
Bevor er mit Yoda das erste Mal Coruscant verlassen hatte, waren sie dort
gewesen. Yoda hatte ihm einen der schweren Bände in die kleinen Hände
gelegt, und Qui-Gon hatte ein paar der Seiten umgeschlagen. Für einen Jungen, der fast sein ganzes Leben nur mit kleinen Computerpads und ähnlichen
Dingen gelebt hatte, war es seltsam gewesen, Buchstaben auf einer rauhen
und so empfindlichen Materie zu sehen. Und hier gab es nun so viele Bücher,
dass sie alle Wände des Raums bedeckten, mehr als die Hälfte des Fußbodens
und den halben Tisch. Die andere Hälfte des Tisches nahmen eine altmodische Lampe und ein Computerterminal ein, beides seit Jahren veraltet, aber
funktionstüchtig.
Der Alte saß in dem Stuhl und löschte den Bildschirm. Dann schlug er
eines der Bücher zu und legte es auf einen großen Stapel. Als er aufstand,
bemerkte Qui-Gon, dass der Alte fast so groß war wie er selbst. Er kam um
den Schreibtisch herum und streckte ihm seine rechte Hand entgegen.
,,Willkommen in meinem bescheidenen Haus. Ich bin Jarann.”
Der Padawan nahm die Hand und drückte sie. Der Griff des Alten war
stark und fester als der seine. ,,Qui-Gon.”
Jarann ließ die Hand nicht los. ,,Ich freue mich, dass Ihr den Weg hierher
gefunden habt, junger Jedi-Ritter.”
Qui-Gon stutzte einen Augenblick und überlegte, woher Jarann wissen
konnte, dass er ein Jedi war. Aber wahrscheinlich war er vor seinem Kolonistendasein weit herum gekommen - die Buchrücken in vielen verschiedenen
Schriften und Sprachen deuteten auf diese Möglichkeit hin. Er schüttelte den
Kopf. ,,Ich bin nur ein Schüler.”
Jarann löste den Griff und klappte einen Hocker auf, den er neben seinen
eigenen Stuhl stellte. Er bat Qui-Gon stumm, Platz zu nehmen. ,,Ja, aber
ein bescheidener, wie ich sehe. Verzeiht den Fehler, aber ich wollte Euch nur
ehren. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass Ihr hier seid.”
,,Das ist Zufall.”
2.1. GESTAE
13
Jarann lächelte. ,,Du als Jedi redest von Zufall?” Er schmunzelte breiter,
als er bemerkte, dass sein Gast tief errötete. ,,Nun, ich bin kein Jedi, aber
ich weiß, dass es in den Händen der MACHT liegt, Lösungen für ein Problem
aufzuzeigen. Und Du bist die Lösung für meines - oder besser, für das aller
Kolonisten hier auf Gestae!”
Qui-Gon erschauderte. War es kein Zufall gewesen, dass er gerade vor
dem Fenster dieses seltsamen Raumes stehen geblieben war, um sich selbst
zu betrachten? Waren seine Erinnerungen an ,,die Kolonie” und das Schicksal seiner Familie nicht zufällig gewesen? Er war verunsichert. So hatte er
die MACHT noch nie zuvor erfahren - nicht bewusst zumindest. Er stützte
die Hände auf seine Knie und sah den Alten erwartungsvoll an. ,,Welches
Problem? Reesch?”
Jarann nickte. ,,Ja. Wir müssen zu einer Übereinkunft kommen - und das
bald. Ein Scheitern der Konferenz würde Krieg bedeuten zwischen unseren
beiden Welten. Einen Krieg, den unsere Kultur und unser Volk kaum überleben dürften.” Der Alte erhob sich langsam. ,,Wir haben so lange gebraucht,
um hier zu überleben zu können, dass fast eine ganze Generation darüber
gestorben ist. Auch meine Kinder. Nur die Enkel und wenige Alte sind noch
übrig - zu jung oder zu alt die meisten, um zu kämpfen. Wenn die Kinder
und jungen Leute nun sterben werden gegen die Reesch, dann wird all dies
hier untergehen.” Er deutete auf seine Bibliothek. ,,Erst seit wenigen Jahren
lernen unsere Kinder erst wieder lesen und schreiben, bevor sie arbeiten.”
Er umklammert die Tischkante. ,,Ich werde nicht zulassen, dass dieser neue
Anfang zerstört wird! Deshalb sitze ich den einen Tag mit unseren Gegnern
an einem Tisch und versuche den anderen Tag hier eine Lösung für das Dilemma zu finden.” Grimmig und entschlossen sah er den jungen Mann an.
,,Wirst Du mir helfen, mit den Reesch zu einer Vereinbarung zu kommen?”
Qui-Gon holte tief Luft. ,,Ich weiß nicht, was Ihr von mir erwartet. Ich
kann die Reesch nicht zu einem Vertrag zwingen, und selbst wenn meine
Kontrolle der MACHT so groß wäre: Der Vertrag würde nicht halten.”
Jarann lächelte. ,,Du sollst morgen früh nur zu der nächsten Runde stoßen, die im Rat Gestaes anberaumt ist. Und vergessen, dass wir uns gesehen
haben.” Er umrundete den Tisch ein weiteres Mal.
Qui-Gon erhob sich empört. ,,Ich werde nicht versteckt für Euch arbeiten!
Ganz abgesehen, dass ich es selbst nicht wollte - es verstößt gegen unsere
Regeln, die Gerechtigkeit verlangen.”
Der Alte schmunzelte. ,,Du sollst nicht gegen den Codex der Jedi verstoßen und zu Gunsten einer Seite votieren - Du sollst der Vermittler sein!” Der
junge Mann entspannte sich. Er begriff, worauf Jarann hinaus wollte. ,,Denn
wir brauchen einen.” Es klang resigniert. ,,Keiner hört dem anderen richtig
zu. Weder die Reesch uns, noch meine Leute ihnen. Zu viele Tote, zu viel
14
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Hass, zu viel Angst, zu viel Wut... Aber Du bist unbeteiligt, Du könntest
uns allen - uns und den Reesch - helfen, eine gerechte und stabile Lösung zu
finden. Allein Deine Präsenz als Jedi würde beide Parteien endlich zwingen,
einander zu respektieren.”
Nachdenklich ging Qui-Gon zum Fenster und starrte durch die gewölbte
Scheibe. Eine Gruppe Kinder rannte lachend vorüber. Nun sah er, was der
Alte gesehen hatte: Die Zuknuft, die es noch gab für Gestae und die er
vielleicht retten konnte - womöglich retten musste? Aber durfte er so einfach
als ,,Jedi” handeln, sein Amt, seine Person einbringen in diesen Konflikt?
,,Gibt es hier eine Komstation? Ich muss zuerst mit dem Rat auf Coruscant reden.” Und mit Yoda, sollte ich ihn finden, und dem Kanzler des
Senats, fügte er in Gedanken hinzu.
Der Alte schüttelte den Kopf. ,,Nein. Wir haben hier auf Gestae kein
Kommunikationssystem, welches auch nur annähernd so weit reichen würde.
Die einzige Verbindung zur Republik ist der Frachter, der einmal im Monat
unseren Planeten anfliegt.”
‘Und mit dem ich diesen Ort in ein paar Tagen wieder verlassen werde...‘
Qui-Gon legte seine kräftigen Hände auf das Fensterbord. ,,Solange kann ich
wohl nicht warten mit meiner Entscheidung; ich muss sie jetzt fällen, nicht
wahr?” Er beobachtete Jaranns Spiegelbild auf dem Fensterglas. Der alte
Mann sah ihn erwartungsvoll, hoffnungsvoll an. Qui-Gon senkte den Blick.
,,Ohne die Einwilligung meines Meisters oder des Rates darf ich Euch
nicht helfen. Es ist gegen unseren Codex. Wie ich schon sagte, ich bin kein
vollausgebildeter Jedi, ich bin nur ein Padawan.”
,,Aber Du bist hier! Nicht Dein Meister und nicht der Rat, der uns nicht
einmal anhören würde, da wir nominell nicht einmal zur Republik gehören.
Nur Du kannst uns helfen! Und wenn Du uns helfen willst, dann musst Du
es jetzt tun, nicht in ein paar Wochen, wenn Du vielleicht die Erlaubnis
eingeholt hast.”
Jarann flehte nicht, er sprach nur aus, was Qui-Gon wusste - was er fühlte.
Er wusste nicht nur auf der rationalen Ebene, dass der Alte Recht hatte, er
fühlte es auch instinktiv. Er spürte Jaranns Blick im Nacken, doch er war
nun lang genug ein Jedi, um sich im Ernstfall nicht ablenken zu lassen. Er
schloss die Augen und ignorierte die Umwelt - Geräusche, Gerüche, alles.
Dann brachte er auch seine eigenen Gedanken zum Schweigen. Er wollte die
MACHT hören.
Und es gelang ihm.
Das erste Mal in seine Leben ließ er sich vollkommen in die Stille fallen,
die den mächtigen Visionen der MACHT vorausging, - das erste Mal ohne
die Gewissheit zu haben, dass Yoda ihn halten und auffangen würde, dass
er ihm helfen oder ihm die Botschaft entschlüsseln würde. Jetzt gab es kein
2.1. GESTAE
15
Sicherheitsnetz mehr. Dieses Mal musste er die Vision allein durchstehen.
Er wusste, dass er damit wieder gegen den Code verstieß, denn kein Padawan durfte diesen Schritt wagen; nur ein vollausgebildeter Jedi.
Die Zukunft war ungewiss, er sah Tote und Lebende sich überlagern, und
sie alle trugen die Gesichter seiner ermordeten Familie. Er sah seinen Vater
in der Kleidung des Alten, sterbend neben dem Baum, den er am ersten Tag
in ,,der Kolonie” gepflanzt hatte, der aber nun im purpurnen Sand dieses
Planeten hier wuchs. Er sah seinen zwei Jahre älteren Bruder, wie er mit
anderen Kindern von Gestae durch den roten Quarzstaub lief, und er sah
ihn fallen, getroffen, tödlich verwundet. Qui-Gon wusste nicht genau, wie
,,die Kolonie” vernichtet worden war, er war nie dorthin zurückgekehrt; aber
er hatte genügend andere Orte gesehen, die von Outlaws oder Raumpiraten
überfallen worden waren, um sich ein Bild machen zu können. Das hatte ihn
gelehrt, dass es nichts Heiligeres gab als das Leben.
Er hatte genug Leichen gesehen
Und er wollte nicht noch mehr sehen.
Die Bilder veränderten sich. Er sah Gestaes Hauptstadt und dann den
großen Markt vor dem Ratsgebäude. Er sah Jarann lächeln, er sah zwei Gestalten, einen Menschen und einen Reesch, die etwas austauschten, er sah
beide Gruppen miteinander feiern und tanzen...
Qui-Gon holte tief Luft und kehrte in die Gegenwart zurück. Er blickte
auf. Nur sich selbst sah er noch im Glas. Doch er spürte die MACHT noch
immer, obwohl er sicher war, zurück in die Wirklichkeit gekommen zu sein.
Ihm fröstelte, und er zog den Umhang enger um sich.
Jahre lang, fast zwei Jahrzehnte hatte er davon geträumt, sich eines Tages
der MACHT mit seinem ganzen Ich zu stellen. Doch immer musste er erleben, dass Yoda und die anderen Jedi-Meister ihn belächelten; so, als wüsste
er nicht, was er sich da wünschte. Jetzt begriff er. Dies war nicht das Ende
des Weges, dies war erst der Anfang einer völlig neuen Erfahrungswelt. Nun
verstand er, warum es einige Jedi gab, die sich in das alte Refugium des Ordens auf Coruscant zurückzogen, um jahrelang, manchmal ihr ganzes Leben
lang, über diese Erfahrung zu meditieren und die MACHT weiter zu erforschen. Und er begriff den Sinn der jahrelangen Ausbildung und der Aufgabe,
sich seiner Gefühle bewusst zu werden, um sie zu kontrollieren.
Wie leicht wäre es gewesen, seiner nagenden Schuld nachzugeben, das
Schwert zu ergreifen und auf Seiten Gestaes gegen die Reesch in den Kampf
zu ziehen, um das zu rächen, was andere Raumpiraten seiner Familie und
ihm angetan hatten. Wie schwer würde es sein, an einem Tisch zu sitzen und
Kompromisse zu finden. Wie schwer würde der Weg des Friedens und einer
annähernd gerechten Lösung sein.
Doch Qui-Gon wusste, welcher Weg der seine war.
16
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Was er nicht wusste, war, wie er Yoda und viel mehr noch dem Rat, dem
Kanzler, dem die Jedi unterstellt waren, und dem Senat der Republik den
erneuten Bruch des Codes und die jetzt noch unweigerlich folgenden, noch
schwereren Brüche erklären sollte. Er ahnte, dass wenn nicht schon Yoda,
so doch der Rat seine Entscheidung und sein Vorgehen zutiefst missbilligen
würde. Doch trotzdem musste er seinem Instinkt folgen und selbst gegen
die elementarsten Regeln zwischen Meister und Schüler verstoßen. Er wusste
einfach, dass es richtig war. Über seine Zukunft würde er sich an Bord des
Frachters nach Coruscant Gedanken machen; jetzt zählte nur das Hier und
Jetzt.
Jarann wartete noch immer auf die Antwort des jungen Mannes. Der
Jedi-Padawan starrte geraume Zeit auf das Glas des Fensters. Dann schien
er in sich zu versinken. Nach langer Zeit schlang er die Arme um sich und
starrte weiter in die langsam untergehende Sonne über Gestae. Als er sich
nun umwandte, hatte Jarann alle Mühe, seine Überraschung zu verbergen.
Qui-Gon trat auf ihn zu und streckte ihm stumm die rechte Hand entgegen
- er würde helfen und die Rolle des Vermittlers übernehmen. Äußerlich hatte
der junge Mann sich nicht verändert, doch Jarann hatte nicht das Gefühl,
demselben Menschen die Hand zu reichen wie noch vor einer Stunde. Dieses
Mal war der Griff des Jedis fester als der seine. Und als Qui-Gon sein Haus
durch die Luftschleuse verließ, glaubte Jarann, noch etwas Anderes sei mit
ihm hinaus gegangen.
In der violetten Abenddämmerung verharrte Qui-Gon einen Augenblick
vor dem Haus des Alten. Er fragte sich, wo Yoda in diesem Moment war.
Als der Rat ihn rief, schickte sein Meister ihn allein zurück in die Republik.
Er sagte, dies sei bereits der erste Teil der Prüfung: Die erste Reise allein
in seinem Leben als Padawan. Zwar war er auch während seiner Ausbildung
mehrmals von seinem Meister getrennt gewesen - ein paar Stunden, ein paar
Tage vielleicht - aber er hatte immer genau gewusst, was Yoda, der Rat oder
die Mission von ihm erwarteten. Dieses Mal war es anders. Yoda hatte sich
nicht einmal verabschiedet, war einfach ohne ein weiteres Wort gegangen.
Qui-Gon hatte zuerst nicht einmal gewusst, wie er auf dem schnellsten Weg
nach Coruscant kommen sollte. Nicht, dass es schwierig gewesen war, ein
Raumschiff zu finden, dass ihn in Richtung des Zentrums der Republik bringen würde, aber Qui-Gon hatte nicht gewusst, dass die Prüfung so beginnen
würde. Er fragte sich nun seit Tagen, die er hier auf Gestae festsaß, was der
Rat von ihm erwartete und wie er überhaupt wusste, was er tat, wo er war.
Doch jetzt wünschte er sich nichts mehr, als dass weder Yoda noch der
Rat wussten, was er hier tat. Er bschloss, seine Probleme nacheinander anzugehen: Zuerst Gestae und die Verhandlungen mit den Reesch, dann die Reise
nach Coruscant, dann seine Verteidigung vor Yoda und dem Rat. Es hatte
2.2. VERHANDLUNGEN
17
wenig Sinn und noch weniger Nutzen, sich jetzt mit der Zukunft zu quälen,
es lenkte nur die Konzentraton von den wesentlichen Dingen und Aufgaben
der Gegenwart ab.
Qui-Gon zog sich zurück in die kleine Gaststube und bereitete den nächsten
Tag vor, bevor er in tiefen Schlaf fiel.
2.2
Verhandlungen
Der Rat Gestaes war nicht das älteste Gebäude der größten Siedlung auf
dem Quarzplaneten, aber das erhabenste. Gemeinsam hatten die Kolonisten
es gebaut aus dem gewöhnlichen, roten und dem selteneren weißen Quarzsteinen, geometrisch gemustert. Auch hier gab es die gewölbten Scheiben,
die nur einen Sinn hatten: Sand, Staub und Quarz abperlen zu lassen. Kurz
nach der Morgendämmerung stiegen die Vertreter Gestaes und Reeschs die
wenigen Stufen hinauf und begaben sich zum wiederholten Mal in den Saal,
in dem die Gestae normalerweise feierten oder ihre Wahlen abhielten.
Überrascht blieben beide Gruppen stehen.
Qui-Gon hatte den frühen Morgen genutzt, um die Tische zu einem fast
kreisförmigen Vieleck in der Mitte zusammen zu schieben. Er selbst stand
hinten im Saal, verdeckt durch die langen Schatten des Zwielichts, und beobachtete genau, wie sich die Kontrahenten um den Tisch verteilten. Noch
immer saßen sie sich am Ende in zwei Parteien gegenüber. Als alle Platz
genommen hatten, trat er in das gerade den Raum durchflutende Licht der
purpurnen Sonne.
Selbst Jarann erstarrte.
Der Jedi - und als solchen erkannten ihn alle Anwesenden sofort - trat
an den einzigen freien Platz zwischen den Versammelten, schlug die Kaputze
seines Umhangs zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Das purpurne Licht hüllte ihn in eine Aura der Macht und verlieh ihm mit Hilfe
seiner Körpergröße ein imposantes Erscheinungsbild, das die Kontrahenten
verstummen ließ.
,,Ich bin Qui-Gon von Kallon, und ich werde ab heute dieser Runde vorstehen.”
Er brauchte einen halben Tag, bis sich die Runde auf eine Geschäftsordnung geeinigt hatte. In dieser Zeit, in der beide Gruppen noch immer
teilweise wild miteinander stritten und beinahe aufeinander losgingen, wäre
er nicht frühzeitig dazwischen gegangen, machte er sich ein Bild vom Stand
der Dinge einerseits und den Delegationsmitgliedern andererseits.
Die Gestae arbeiteten als Team. Jarann war entgegen seinen Erwartungen nicht der Sprecher, sondern ein kaum erwachsen zu nennender, rotblon-
18
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
der Mensch namens Jegoll. Qui-Gon dachte zuerst, er wäre vielleicht zu hitzig, aber er vertrat seinen Standpunkt und den seiner Kollegen solange kühl
und distanziert, bis er persönlich angegriffen wurde - eine Schwäche, die die
Reesch auch schnell erkannt haben mussten, denn sie griffen permanent darauf zurück. Qui-Gon setzte dem ein Ende. Jarann war der Rechtsgelehrte und
im wahrsten Sinne des Wortes der Alte der Gruppe. Die anderen drei Mitglieder waren Frauen. Eine ältere namens Jana vertrat zwei andere Siedlungen
auf der Nordhalbkugel des Planeten, eine junge Frau mit einer tiefen Narbe
über der rechten Wange, die auf den Namen Jenna hörte, mehrere Dörfer der
Südhalbkugel. Die dritte, Jelli, vertrat die Interessen der Handelsvereinigung
des Planeten. Qui-Gon schätzte sie nicht ganz auf Jaranns Alter.
Häufig vertagten die Gestae eine Frage und besprachen sich leise.
Als Qui-Gon ihren Standpunkt und ihre Sichtweise des Konflikts hören
wollte, berichtete Jenna von zahllosen Überfällen auf die einzelnen Siedlungen
und von einzelnen, entführten Bewohnern. Ein Entrüstungssturm entbrannte
auf der anderen Seite des Tisches, den der junge Jedi kaum abwürgen konnte.
Jenna und Jelli waren nach Qui-Gons Ansicht darauf aus, diese Überfälle
zu unterbinden. Das war ihr einziges Ziel. Der junge Jegoll wollte von den
Reesch am liebsten gar nichts wissen. Er wollte, dass sie seine Heimat in
Ruhe ließen und verschwanden. Jana schien eher ihm nahe zu stehen als
den beiden anderen Frauen. Jarann dagegen äußerte sich überhaupt nicht zu
dieser Frage. Qui-Gon vermutete, dass er einen eigenen Plan hegte, diesen
nur nicht durchsetzen konnte.
Die Reesch entsprachen überhaupt nicht dem, was der junge Mann erwartet hatte. Normalerweise zeichneten sich herumstrolchende Outlaws und
andere Räubergrupppierungen durch eine ausgesprochene Heterogenität aus:
Viele verschiedene Rassen, viele Sprachen, zu viel Temprament, zu wenig Verstand. Schneller mit dem Blaster als mit dem Denken - zusammengehalten
nur durch den Wunsch nach Reichtum oder Rache.
Diese drei Männer waren anders. Der Sprecher war etwa doppelt so alt wie
der junge Jedi und damit halb so alt wie Jarann und hieß Carnet. Genau wie
bei den anderen waren die meisten seiner Vorfahren Menschen gewesen, aber
der beinerne Höcker über der Nase und der fehlende fünfte Finger an beiden Händen deuteten auf die Verschmelzung mit einem anderen humanoiden
Volk hin. Allerdings zeigten alle drei Männer dieselben Merkmale, also keine
willkürlich zusammengewürfelte Gruppe. Je genauer er die drei beobachtete,
desto sicherer war Qui-Gon, dass alle Reesch diesen ähnlich sahen, dass sie
vielleicht ein eigenes Volk bildeten. Das passte nicht in das Bild, welches die
Gestae von ihren Kontrahenten hatten - absolut nicht.
Carnet war der Sprecher, sein Berater saß rechts von ihm und war erheblich älter. Das war kein Kämpfer. Selbst Yoda mit seinen über achthun-
2.2. VERHANDLUNGEN
19
dert Jahren sah kämpferischer aus. Callens glich vielmehr Jarann. Ein stiller
Mann, der nur ab und an wohlüberlegte, sehr logische Einwürfe machte.
Der dritte Reesch war in etwa in Qui-Gons Alter. Sein schwarzes Haar
fiel zu einem dicken Zopf geflochten über den Rücken. Wenn hier einer ein
Raumpirat war, dann höchstens dieser Carnell. Durchtrainiert, mit klarem
Blick, einen Dolch im Stiefel und einen Blaster im Gürtel, war er der einzige,
der hier eine Waffe trug - sah man von Qui-Gons eigenem Laserschwert ab.
Aber er zog sie nicht, er griff nicht einmal danach, auch wenn man ab und
an Wut in seinen Zügen sehen konnte. Er hatte sich unter Kontrolle, auch
wenn seine wenigen Bemerkungen meistens kränkend und bissig waren.
Qui-Gon hörte von ihnen nicht viel mehr als immer nur die Beteuerung,
dass sie nichts mit den Überfällen und erst recht nichts mit den Entführungen
zu tun hätten. Allerdings erhoben sie in kleinen Randbemerkungen immer
wieder Anspruch auf diesen Planeten, etwas, was ihre Gegenspieler strikt
zurückwiesen.
Aber etwas stimmte nicht. Nicht nur, dass diese Männer so gar nicht wie
Outlaws aussahen, sie verbargen etwas vor den Gestae. Qui-Gon konnte es
fühlen. Sie hatten Angst. Es war nicht die Angst vor ihm. Bei den beiden
älteren Männern war sie ausgeprägter als bei Carnell. Aber so sehr der junge
Jedi sich auch bemühte, er konnte nicht genau ergründen, wovor sie Angst
hatten.
Am nächsten Morgen traf Qui-Gon sich allein mit den Reesch. Er wollte
sich noch einmal deren Standpunkt und Wünsche erklären lassen. Am Nachmittag hatte er denselben Termin mit der Delegation von Gestae. Das erste
Treffen fand wieder im Saal statt.
,,Was wollt ihr hier?”
Carnet hatte sich lässig an einen der Tische gelehnt. Er stieß die Luft
entrüstet aus. ,,Das müsstet Ihr doch derweil wissen: Wir wollen diesen Planeten!”
,,Warum?”
,,Weil er uns gefällt.”
Qui-Gon musterte ihn eingehend. Carnet log nicht, aber er sagte auch
nicht die Wahrheit. Er spürte es. Ein eigenartiges Gefühl. ,,Es gibt bestimmt
einen anderen, unbewohnten Planeten...”
Der alte Callens fiel ihm ins Wort. ,,Nein, es muss Gestae sein.”
,,Warum?”
Die drei sahen sich stumm an. Aber sie antworteten nicht. Qui-Gon fühlte
wieder die Angst. Und er wusste immer noch nicht warum. Er beschloss,
vorerst das Thema zu wechseln. ,,Jenna hat behauptet, ihr hättet mehrere
Döfer überfallen und deren Bewohner als Sklaven mitgenommen.”
Carnell schnaubte entrüstet. ,,Sie lügt.”
20
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Qui-Gon verschränkte die Arme. ,,Nun, da sie eine Überlebende eines
dieser Überfälle ist, spricht doch einiges dafür, ihr zu glauben.”
Carnell trat auf ihn zu. ,,Es mag einen Überfall gegeben haben, aber wir
waren es nicht! Ich kann dieses Geschwätz nicht mehr hören!” Er starrte den
Jedi böse an. Qui-Gon spürte, dass er etwas verbarg, aber er log nicht.
,,Ich habe Euren Gleiter im Hangar gesehen, Carnell, er wäre ideal für
solche Überfälle, wie Jenna sie beschrieben hat. Kein Wunder, dass sie Euch
verdächtigt: Ihr wollt den Gestae ihre Heimat wegnehmen, ihr kommt zu
den Verhandlungen mit Waffen, ihr habt die nötige Ausrüstung für solche
Raubzüge.”
Der alte Callens zog Carnell ein Stück zurück und funkelte Qui-Gon an.
,,Und trotzdem waren wir es nicht! Wir wollen einen Vertrag und keinen
Krieg! Wir brauchen auch keine Sklaven!”
In seinem Inneren lächelte der junge Jedi. Na also, ein Fortschritt. Zumindest der Alte war wie Jarann an einer Übereinkunft interessiert. Es fragte
sich nur worüber, denn die Gestae würden den Planeten sicherlich nicht aufgeben. Wo war der Kompromiss? Er wünschte, er wüsste endlich, warum die
Reesch so erpicht auf diese sandige Ödnis waren. Doch in einem war er sich
sicher: Carnell und Callens sagten in einem Punkt die Wahrheit - sie waren
nicht an den Überfällen beteiligt.
,,Na schön, ich glaube Euch. Aber es würde uns und vor allem mir weiterhelfen, wenn ich wüsste, warum es unbedingt Gestae sein muss!”
Doch die Reesch schwiegen ihn wieder an.
Die Verhandlungen mit den Gestae fanden in Jaranns Haus statt, genauer, in seinem Arbeitszimmer. Die bequemen Sessel aus dem Empfangsraum
waren herüber geschleppt worden und umstanden den Schreibtisch, hinter
dem nun Qui-Gon saß und nicht der Alte. Der junge Jedi beschloss, die Karten offen auf den Tisch zu legen.
,,Ich glaube nicht, dass es uns gelingen wird, die Reesch gänzlich davon
abzuhalten, nach Gestae zu kommen. Ich weiß den Grund noch nicht, aber
es scheint ihnen so viel an diesem Projekt zu liegen, dass sie alles dafür
riskieren.”
Jarann biss sich auf die Unterlippe. ,,Du meinst also, wenn wir nicht
gehen, werden sie uns alle töten und sich Gestae mit Gewalt nehmen.”
Qui-Gon erhob sich und versteckte die Hände in den weiten Ärmeln seines Umhangs. Er schaute den alten Mann nicht an, als er ihm antwortete.
,,Nein. Ich kann Euch nicht sagen warum, aber ich fühle, dass das nicht das
eigentliche Ziel dieser Delegation ist. Sie wollen einen Vertrag, sie wollen hier
leben, aber ich glaube einfach nicht, dass sie Krieg wollen - dass sie Eurern
Tod wollen.”
Jenna lehnte sich im Sessel zurück. ,,Und die Überfälle?”
2.2. VERHANDLUNGEN
21
Qui-Gon wusste, dass dies der schwierigste Teil dieser Unterhaltung werden würde. Er sah sie an, legte all seine Erfahrung, all sein Vertrauen in die
MACHT in die nächsten Worte - er nutzte die MACHT, um diese Frau zu
überzeugen. ,,Sie waren es nicht.” Als Jenna widersprechen wollte, schnitt er
ihr das Wort ab. ,,Ich weiß, dass diese Delegation nichts mit den Übergriffen zu tun hat, Jenna. Carnet und Callens lügen in diesem Punkt nicht. Bei
Carnell bin ich mir nicht so sicher, aber er gehört nicht zu den Angreifern!
Vielleicht weiß er, wer sie sind, aber er ist keiner von ihnen.
Callens will einen Vertrag mit Euch. Aber ich weiß nicht, welchen Inhalt
er haben soll. Carnet ist überzeugt, dass diese Verhandlungen der richtige
Weg sind, aber er ist es leid, über die Überfälle zu reden - seine Geduld ist
am Ende. Und sie haben alle Angst.”
Jelli lachte erstaunt. ,,Sie haben Angst? Vor uns??”
Qui-Gon nickte.
Jarann schüttelte den Kopf. ,,Das ist allerdings eine Überraschung...”
Der junge Jedi stützte sich mit den Händen auf der Schreibtischplatte ab.
,,In der Tat. Ich habe es schon gestern gespürt, aber heute Morgen war ihre
Angst geradezu greifbar. Sie haben große Angst.... zu versagen - wobei auch
immer.” Er seufzte und schüttelte den Kopf. ,,Ich komme nicht weiter bei
ihnen, denn ich besitze nicht ihr Vertrauen. Wir müssen unbedingt Vertauen
zwischen allen Beteiligten aufbauen! Versteht Ihr das?”
Jarann schien zu lächeln, Jelli dachte einen Augenblick nach, doch dann
überwogen die Erfahrungen einer Handeltreibenden - sie wusste, dass nur
Vertrauen zum Abschluss eines Geschäfts führte. Jegoll musterte Jana und
Jenna. Jana nickte zögernd, doch Jenna blieb stumm. Sie spürte die Blicke
der anderen Gestae auf sich. Sie musste an ihre Tochter denken, die bei dem
letzten Überfall verschleppt worden war. Zumindest wollte Jenna glauben,
dass Jenkill noch lebte, ihre Leiche hatten sie im halb verbrannten Dorf nicht
gefunden. Sie musste einfach noch leben. Sollte sie nun den mutmaßlichen
Tätern vertrauen? Tränen liefen über ihre Wangen. Flehend sah sie Jarann
an, ,,Ich kann das nicht!”
Der Alte stand auf und reichte ihr sein Taschentuch. Er wartete, bis die
Tränen versiegt waren. ,,Jenna, du weißt, dass wir einstimmig entscheiden
sollten. Du kannst aus dem Gremium ausscheiden, aber was würde das für
einen Eindruck auf die Reesch machen? Wenn Jenkill noch lebt, hilfst du
ihr am besten, wenn wir endlich herausfinden, wer für die Überfälle verantwortlich ist. Wir haben nur vermutet, dass es die Reesch sind. Wir wissen es
nicht! Sie sind die einzigen Outlaws, die wir seit den ersten Übergriffen zu
Gesicht bekommen haben, aber sie müssen nicht die Täter sein.”
Qui-Gon sah Jenna fest an, er verstand den Schmerz, aber er konnte
ihn nicht lindern. Er konnte nur erklären, was er gesehen hatte. ,,Meiner
22
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Einschätzung nach sind die Reesch keine Outlaws. Ihr habt sie eingeladen zu
Verhandlungen, sie sind gekommen - ohne gleich eine Falle zu wittern oder
Euch eine zu stellen, wenn ich mich nicht irre. Sie wollen etwas, aber sie
wollen nicht unbedingt darum kämpfen.”
Jarann seufzte. ,,Ich vertraue Qui-Gon. Er ist auf dem richtigen Weg,
Jenna. Willst du ihm nicht auch eine Chance geben?”
Die junge Frau holte tief Luft und nickte dann ergeben. Der junge Jedi
atmete erleichtert aus. ,,Gut. Wir werden morgen früh zum Hangar gehen und
uns das Schiff der Reesch ansehen. Ihr werdet in ihrer Gegenwart ausdrücklich
feststellen, dass es kein Schiff Eurer Angreifer ist - egal wie es aussieht; egal,
ob sie tatsächlich unschuldig sind oder ob Euch Zweifel daran kommen!” Er
sah Jenna durchdringend an. Sie nickte zaghaft. ,,Damit habt Ihr dann die
Delegation von Euren Vorwürfen entlastet. Ich hoffe, ich dringe dann auch
zu den wahren Motiven der drei Reesch durch!”
2.3
Javall und Qui-Gon
Als die Delegationsmitglieder Jaranns Haus verließen, hielt der Alte den Jedi
zurück. Er lächelte glücklich. ,,Danke. Du leistet hervorragende Arbeit, junger
Padawan! Dein Meister wäre bestimmt stolz auf dich!”
Qui-Gon verzog das Gesicht. ,,Er wird mir das Fell über die Ohren ziehen,
sollte ich je nach Coruscant kommen... Ich breche gerade so ziemlich jede
Regel, die er mich jemals gelehrt hat. Ich darf gar nicht darüber nachdenken!”
Jarann seufzte. ,,Du kannst trotzdem stolz auf dich sein.”
Vor ihnen erklang das saugende Geräusch der Luftschleuse. Qui-Gon sah
noch immer Jarann an, der sich aber zur Tür gewandt hatte und nun breit
lächelte. Er ging mit geöffneten Armen auf den Gast zu.
,,Javall! Da bist du ja endlich! Wolltest du uns verhungern lassen?”
Der junge Jedi drehte sich ebenfalls um.
Im schwindenden Licht des Nachmittags stand ihm eine junge Frau gegenüber. Sie hatte einen großen Korb auf dem Boden abgestellt und schälte
sich aus einem dünnen, weiten Umhang, der über und über mit feinem Quarzstaub bedeckt war. Vorsichtig hängte sie ihn neben der Schleuse über einen
Haken. Ihr Kleid war weit und weiß, um die Hitze abzuhalten und den Wasserverlust möglichst niedrig zu halten. Doch darunter konnte man eine makellose Figur erahnen. Ihr langes weißblondes Haar fiel offen über die Schultern,
nur die Stirn- und vorderen Seitenhaare hatte sie zu einem dünnen Zopf am
Hinterkopf zusammengebunden. So konnten sie ihr nicht ins Gesicht fallen.
Sie hielt sich gerade und war fast so groß wie Qui-Gon und Jarann. Sie umarmte den alten Mann vorsichtig und ließ sich dann von ihm zu dem jungen
2.3. JAVALL UND QUI-GON
23
Jedi führen.
,,Dies ist meine einzige Enkeltochter, Javall. Javall, dies ist Qui-Gon, der
Jedi, der uns bei den Verhandlungen hilft. Ich habe dir gestern Abend von
ihm erzählt.”
Unbefangen reichte sie ihm ihre Hand. Qui-Gon zögerte unmerklich, nahm
sie aber dann vorsichtig in die seine.
Er konnte selbst Jahre später nie beschreiben, was in diesem kurzen Augenblick geschah. Er konnte es weder Yoda erklären noch Obi-Wan noch
Jinn, und erst recht nicht sich selbst. Vor zwei Tagen hatte er geglaubt, dass
kein Erlebnis ihn stärker beeindrucken könnte, als eine Begegnung mit der
lebendigen MACHT, aber dies war - er wusste nicht, was es war, aber es war
mindestens genauso stark.
Als er Javalls Hand fasste, begriff er, dass dies seine Frau war, die Frau,
auf die er unbewusst sein ganzes Leben gewartet hatte. Er schenkte ihr sein
bezaubernstes Lächeln, und Javall erwiderte es. Er gab noch ein bisschen
mehr seinen Instinkten nach und zog die schmalen Finger an seine Lippen,
berührte sie leicht. In seinen fast schwarzen Augen leuchtete der Schalk. Javall
lachte.
,,Aber du hast mir nicht erzählt, wie jung und gutaussehend dieser Jedi
ist! Was bist du doch für ein alter Halunke.” Ihre melodische Stimme schlug
ihn in Bann. Vorsichtig geleitete er sie zu einem der Sessel, holte sich selbst
einen zweiten aus dem Arbeitszimmer ihres Großvaters.
Jarann beobachtete die beiden jungen Leute, legte den Kopf zur Seite und
hob dann den Korb mit den Lebensmitteln hoch. ,,Das ‘alter‘ lass weg, aber
ich freue mich, dass ihr einander sympatisch findet...” Schweigend verließ er
den Raum, um in der Küche ein Abendessen für drei zusammenzustellen Qui-Gon würde bestimmt so lange bleiben. Jarann konnte man nichts vormachen. Zwar war er kein Jedi, und er hatte auch die Erschütterung der
MACHT nicht gespürt wie Qui-Gon, als der junge Mann und seine Enkelin
sich berührten, aber er hatte Augen im Kopf und viele Jahre Erfahrung mit
solch banalen Dingen wie der Liebe.
Qui-Gon blieb tatsächlich zu einem reichhaltigen Abendessen. So erfuhr
er, dass Javall jeden Abend hierher kam, ihrem Großvater die Lebensmittel
vorbeibrachte, ihm Gesellschaft leistete, ihn mit Klatsch und Tratsch versorgte, einfach für ihn da war. Nach dem Essen spielten sie gewöhnlich an
einem runden Bord Schach.
,,Kennt Ihr das Spiel, Qui-Gon?”
Sie stellte das Brett auf den niedrigen Tisch zwischen den Sesseln. Der
junge Jedi nickte gedankenverloren und folgte mit den Augen mehr ihren
Bewegungen als dem ersten Zug des Alten. Javall verschwand in der kleinen
Küche, und Qui-Gon lauschte den Geklapper des Geschirrs, als wäre es eine
24
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Symphonie. Jarann lächelte amüsiert und schlug den jungen Mann beinahe
in wenigen Zügen. Der Jedi runzelte die Stirn, als er endlich die raffinierte
Falle erkannte und daran ging, das Spiel umzudrehen. Doch der alte Mann
hatte dreimal so viel Erfahrung wie er. Er hatte keine Chance mehr.
Javall kam zurück und trug ein Tablett mit dampfenden Tassen. Sie reichte jedem eine und setzte sich dann ebenfalls. Sie analysierte die Konstellation
auf dem Brett und konnte ihm auf Anhieb sagen, wo er den entscheidenden
Fehler gemacht hatte. Sie deutete auf die Figuren. ,,Du hast die Deckung
der Dame vergessen! Damit hat Jarann dir ein großes Loch in die Verteidigung des Außenrings reißen können. Dumme Sache.” Sie runzelte die Stirn.
,,Du wolltest den König decken, nicht wahr?” Sie verschob geschickt ein paar
Figuren.
Auch Qui-Gon beugte sich jetzt wieder über das Brett. ,,Ich habe nur
nach den Regeln gespielt: Lass einen Herrscher nicht im Regen stehen...”
Jarann erhob sich langsam und ging in sein Arbeitszimmer, leise schloss
er die Tür. Die beiden jungen Leute bemerkten es nicht einmal. Gleichzeitig
griffen sie nach dem Turm, mit dem er in einem Zug seine Dame entblößt und
Jaranns Angriff abgewehrt hatte. ,,Opfere nie deine Dame für ein Prinzip.
Nur die erste Regel von vielen, die ich von Jarann gelernt habe!”
Ihre Finger berührten sich. Javall hielt die Figur fest, Qui-Gon schloss
seine Hand sanft um die ihre. Sie hob den Blick und sah ihn an. Sie glaubte
in seinen schwarzen Augen zu ertrinken. Dabei waren sie in Wirlichkeit dunkelblau, nur die Pupille war im Zwielicht so groß, dass sie fast die gesamte Iris
verdeckte. Qui-Gon sah in ihre hellblauen. Eine Haarsträhne hatte sich aus
dem kleinen Zopf gelöst und viel ihr ins Gesicht. Er strich sie sanft zurück.
Javall setzte die Figuren zurück und erhob sich. Ihre Knie zitterten. ,,Ich
muss gehen.”
Er stand ebenfalls auf und holte ihren Umhang, half ihr hinein. Vorsichtig,
so als wäre Javall aus Glas, drappierte er die Kapuze über ihr Haar. Sie
wandte sich um und sah, dass er ebenfalls in seinen Mantel schlüpfte. Sie
strich die weiten Falten über seiner Brust glatt, stieß gegen das Laserschwert.
,,Was ist das?”
Er löste es vom Gürtel und gab es ihr. ,,Die einzige Waffe, die ein Jedi
braucht und trägt.” Er trat hinter sie, so dass sie ihn nicht verletzen konnte.
,,Halte sie von dir weg und berühr den roten Knopf.” Sie spürte das Vibrieren und starrte dann fasziniert in das grüne Licht der aufflammenden
Schneide. Als sie das Schwert bewegen wollte, musste sie die zweite Hand zu
Hilfe nehmen. Qui-Gon fasste um sie herum und half ihr, ein paar einfache,
grundlegende Bewegungen auszuführen.
Sie ließ den Griff los, wandte sich halb um und lachte. ,,Du meine Güte,
ist das schwer zu führen. Wie lange hast du geübt?”
2.3. JAVALL UND QUI-GON
25
Qui-Gon deaktivierte das Schwert und hängte es zurück an den Gürtel.
,,Zwanzig Jahre. Angefangen hat es mit einfachen Stockkämpfen, mit sieben
habe ich das erste richtige Schwert in die Hand genommen. Und ich lerne im
Grunde immer noch.”
Sie öffnete die Tür, und gemeinsam traten sie in die warme Nacht. ,,Ein
Mann deiner Größe müsste doch Vorteile haben in einem Kampf mit dieser
Waffe.”
Er lachte unvermittelt, legte einen Arm um ihre Schulter. ,,Oh, ich habe
meinen hohen Wuchs bislang immer als Nachteil erlebt.” Er schmunzelte, als
er sich an seine Ausbildung erinnerte. ,,Die meisten Gefechte, die ich verloren
habe, gingen gegen einen Jedi-Meister, der nur ein Viertel so groß ist wie ich.
Meine Größe nutzte mir überhaupt nichts. Er wusste immer, welchen Schlag
ich als nächstes setzen wollte.”
,,Wie das?”
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie gingen langsamer, denn schon
an der nächsten Tür würde der kurze Gang beendet sein.
,,Die MACHT. Er konnte sie nutzen, um meine Strategie zu unterlaufen.
Das muss ich noch lernen. Weißt du, manchmal gelingt es mir, aber eben nicht
immer. Ich lasse mich ablenken, oder ich will zu weit in die Zukunft sehen
und vergesse darüber das Nächstliegende... Aber meistens ist es umgekehrt:
Ich denke nur einen Schritt voraus, und mir entgeht die geniale Strategie
meines Gegners. Ich kann keine zwanzig Züge im Voraus denken - deshalb
versage ich auch beim Schachspiel. Mein Meister meint, ich renne immer los,
bevor ich weiß, wohin der Weg führt. Er lässt mich regelmäßig ins offene
Messer laufen!” Sie blieben vor ihrer Haustür stehen. Er sah sie an. ,,Er ist
ein weiser Mann...”
Die Haarsträhne war wieder über ihr Gesicht gerutscht. Er strich sie wieder unter die Kapuze. Dann glitt seine Hand über ihre Wange. Sie hielt sie
dort fest. Qui-Gon spürte wieder, wie ihn etwas durchdrang, was er bis heute
Abend nicht gekannt hatte. Er beugte sich die wenigen Zentimeter herab und
küsste sie vorsichtig. Beinahe gewann er den Eindruck, ihre Gedanken lesen
zu können. Bat sie ihn wirklich, morgen Abend wieder zum Abendessen zu
kommen? Er war nicht sicher, aber er hielt es für möglich.
Widerstrebend ließ er sie nach einer Ewigkeit los. Javall verschwand im
Haus. Qui-Gon brauchte lange, bis er in seinem kleinen Gästezimmer angekommen war. Der Planet bei Nacht erschien ihm auf einmal wunderschön.
Die MACHT verließ ihn nicht. Qui-Gon verursachte dies ab und an ein
wenig Unbehagen. Er hatte Schwierigkeiten einzuschlafen - und das lag nicht
nur an Javalls Bild, das ihm nicht aus dem Kopf ging. Er spürte, wie die Dinge
sich veränderten, wie sie im Fluss waren. Sicher hatte er in seiner Ausbildung
häufig Gelegenheit gehabt, sich mit der MACHT vertraut zu machen. Aber
26
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
immer waren Yoda oder ein anderer Jedi-Meister dabei gewesen. Fast immer.
Die jetzigen Erfahrungen erinnerten ihn an die Zeit in ,,der Kolonie”.
Dort war er mit der MACHT und seiner Gabe, sie zu spüren, allein gewesen.
Am Anfang hatte er gedacht, er würde einfach nur träumen oder ab und an
ein ,,Deja vu” erleben - und nur wenige ,,Träume” waren klar und deutlich.
So erzählte er seinem Vater davon, dass die Outlaws die äußeren Viehweiden
überfallen würden. Er hatte ihm geschildert, wie sie sogar bis zum Haupthaus
vordringen würden und die neue Scheune in Brand setzen konnten. Sein Vater
hatte gelacht, und Qui-Gon entdeckte, dass er deutlich fühlen, fast hören
konnte, wie sein Vater ihn in Gedanken einen Fantasten nannte - doch genau
das, was Qui-Gon gesehen hatte, war am Nachmittag passiert. Er selbst hatte
furchtbare Panik bekommen und sich mit seinen Geschwistern in der Küche
unter dem Tisch versteckt, während seine Eltern, sein Onkel und die anderen
Bewohner des kleinen Dorfes ihre Häuser verteidigten und schließlich die
Outlaws vertreiben konnten.
Er hatte gehört, wie seine Eltern sich in der folgenden Nacht über ihn
unterhielten. Seine Mutter war in sein Zimmer gekommen und hatte ihm
viele Fragen gestellt. Er spürte ihre Besorgnis, aber auch die Tatsache, dass
sie ihn ganz anders ansah als bislang in seinem Leben. Immer wieder hatte
sie mit ihrem Mann Blicke ausgetauscht. Qui-Gon verstand es nicht, so sehr
er auch versuchte, ihre Gedanken zu erraten.
Am nächsten Morgen hatte seine Mutter ein paar seiner Kleidungsstücke
in einen Leinenbeutel gepackt, sein Stofftier oben drauf gelegt und ein Bild,
das seine Familie zeigte. Dann hatte sie ihn geküsst und lange angesehen.
Sein Vater war mit ihm in den größten Ort auf dem Planeten gefahren. Sie
waren an Bord eines Raumfrachters gegangen und nach Coruscant geflogen.
Qui-Gon faszinierte die riesige Stadt, die beinahe den gesamten Planeten einnahm. Irgendwo waren sie gelandet, und dann hatte er vor dem Rat der Jedi
gestanden. Zuerst hatte sein Vater die Geschichte mit dem Überfall erzählt,
dann hatte er selbst noch einmal alles wiederholen müssen. Eine junge Frau
hatte ihm Blut abgenommen, und er hatte wieder jede Menge Fragen beantworten müssen. Er konnte sich kaum mehr an ihren Inhalt erinnern. Nur
daran, dass sie ihn baten Bilder zu sehen, die verdeckt waren. Er hatte einfach die Augen geschlossen und sich auf die Gedanken des Sevit konzentriert,
der das Display in der Hand hielt. Die ersten Bilder sah er klar und deutlich,
dann wurden sie immer verschwommener, bis er sie kaum noch erahnen konnte. Dann durfte er gehen. Das Einzige, was er wirklich begriffen hatte, war,
dass diese Männer und Frauen in den altmodischen, sand- und erdfarbenen
Gewändern ihn ernst nahmen. Und dass er einer von ihnen werden wollte,
obwohl er nicht sagen konnte, warum dem so war.
Sein Vater zeigte ihm ein wenig von Coruscant, das alte Senatsgebäude,
2.3. JAVALL UND QUI-GON
27
den Zoo, und dann kauften sie Geschenke für ihre Familie. Am anderen Morgen war sein Vater beim Frühstück sehr ernst gewesen.
,,Der Rat hat nach dir geschickt, Qui. Und du sollst allein kommen.”
Er hatte die Tasse Milch abgestellt und seinen Vater mit großen Augen
angesehen. ,,Allein?”
Er nickte und hob seinen Sohn auf seinen Schoß. Qui-Gon konnte sich
nicht erinnern, dass sein Vater das je zuvor getan hatte. ,,Ja, allein.” Er
strich ihm die langen Fransenhaare aus der Stirn. ,,Ich denke, das bedeutet,
dass sie dich akzeptiert haben, obwohl sie nur selten Kinder in deinem Alter
noch als Schüler aufnehmen.”
Qui-Gon hatte den Kopf schief gelegt und die Augenbrauen hochgezogen.
,,Als Schüler?”
Sein Vater nickte, und Qui-Gon spürte seine Traurigkeit - aber auch einen
Hauch von Stolz. ,,Ich denke, sie werden Dir eine Ausbildung zum Jedi-Ritter
anbieten. Und wenn du Ja sagst, werden wir uns für eine lange Zeit nicht
mehr sehen, für eine sehr lange Zeit. Aber sie werden dir helfen, mit deiner
Gabe umzugehen, sie haben sehr viel Erfahrung damit. Ich kann das nicht.
Aber entscheiden musst du.”
Er merkte, wie sein Sohn zusammenzuckte.
,,Wirst du es mir denn erlauben?”
Sein Vater nickte. ,,Ja, sonst wären wir gar nicht hier.” Er merkte, dass
sein kaum vierjähriger Sohn nicht begriff, dass er vielleicht zum ersten Mal
in seinem Leben eine eigene Entscheidung treffen durfte, die so weitreichende
Konsequenzen haben würde. ,,Mochtest du die Jedi?” Qui-Gon hatte seinen
Vater lange angesehen, dann hatte er stumm genickt. ,,Und, möchtest du
einer von ihnen werden?”
Dieses Mal hatte die Pause noch länger gedauert. Qui-Gon rutschte vom
Knie seines Vaters herab und ging zum Panoramafenster des Hotelzimmers
hoch über den Straßen der zentralen Stadt der Republik. Er sah hinaus in
den roten Sonnenaufgang und sah den Jedi-Tempel. Er stemmte die Hände
in die Hüften, wie er es noch so oft in seinem Leben tun sollte. Dann blickte
er kühn über die linke Schulter zurück. ,,Mehr als alles andere auf der Welt!!”
Sein Vater hatte nachdenklich genickt und war aufgestanden. ,,Dann lassen wir die Meister lieber nicht warten.”
Sein Vater hatte ihn bis zu den Türen gebracht, die in den runden Saal
des Hohen Rats führten. Hier hatte er Qui-Gon die Leinentasche in die Hand
gedrückt, ihn auf die Stirn geküsst und sich verabschiedet. Sie hatten sich
nie wieder gesehen. Und er selbst hatte sich nach ein paar Monaten kaum
noch an die Gesichter seiner Eltern und Geschwister erinnern können. Bis
die MACHT ihm jetzt zur Hilfe gekommen war.
Qui-Gon versuchte sich zu erinnern, wie er in ,,der Kolonie” mit seiner
28
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Gabe und der MACHT umgegangen war, aber er begriff sehr schnell, dass
das kein sinnvoller Vergleich zu seiner jetzigen Situation war. Damals hatte
er ab und an versucht, mit Hilfe seines größeren Wissens seine Eltern oder
Geschwister zu manipulieren. Meistens war das schief gegangen. Im Laufe
seiner Ausbildung hatte er zwar gelernt, wie man die meisten Lebewesen
der Galaxis mit Hilfe der MACHT lenken konnte - zumindest für ein paar
Augenblicke und ohne, dass sie es merkten -, aber er hatte auch gelernt, nach
welchen ethischen Maßstäben dies einem Jedi nur erlaubt war. Persönlicher
Vorteil, Hass, Rache, all dies verbat sich quasi von selbst. Qui-Gon verstand
das Prinzip, das dahinter steckte, aber er fand es nach wie vor schwierig,
konkret nach einem Codex zu entscheiden, was erlaubt war und was zu weit
ging. Durfte er zum Beispiel die MACHT nutzen, um diesen Konflikt auf
Gestae zu lösen? Er war sich nicht sicher. Und er scheute, sich noch einmal
der MACHT zu stellen, um Klarheit zu gewinnen. Er wollte den Code nicht
schon wieder brechen. Vielleicht würden der Rat und Yoda es nicht merken,
dass er dies bereits vor drei Tagen einmal getan hatte.
2.4
Reesch
Die Gestae machten ihre Sache am nächsten Morgen gut. Und die Reesch
glaubten ihnen, dass sie sie nicht mehr der Überfälle und Entführungen
verdächtigten, auch wenn Jenna skeptisch zu scheinen blieb. Aber Qui-Gon
kam trotzdem nicht weiter, weil die Reesch ihm nicht vertrauten. Doch im
Laufe des Tages gewann er den Eindruck, dass der junge Carnell das Hauptproblem darstellte. Qui-Gon war sich sicher, wenn er den jungen Krieger
überzeugen konnte, würde er auch die anderen beiden auf seine Seite ziehen
können.
Nachdem die große Verhandlungsrunde einmal mehr ohne greifbare Ergebnisse auseinander gegangen war - aber zumindest schrie man sich nicht
mehr ununterbrochen an -, suchte er an diesem Nachmittag Carnell in dem
Hangar, in dem das schlanke Schiff der Reesch stand. Ohne Furcht, und die
Hände in den weiten Ärmeln seines Mantels verborgen, trat er die Rampe
hinauf und fand den Weg ins Cockpit des Gleiters. Carnell saß vor einer Konsole und starrte auf das flimmernde Display. Qui-Gon hörte eine Stimme, in
der Verzweiflung und Trauer schwang, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Als er noch einen Schritt näher trat, fuhr Carnell herum. Seine rechte
Hand flog zum Dolch, er zog ihn, sprang auf und starrte den Jedi wütend an.
,,Was macht Ihr hier??”
Qui-Gon widerstand der Versuchung, sein Schwert zu ziehen. ,,Verzeiht
mein Eindringen. Ich wollte Euch auch nicht erschrecken.”
2.4. REESCH
29
Carnell musterte ihn lange und steckte dann den Dolch zurück in den
Gürtel. Aber er entspannte sich nicht. Er sprach jedes einzelne Wort überdeutlich aus. ,,Was – macht - Ihr – hier?”
Qui-Gon setzte sich langsam in den Sitz des Co-Piloten. Er wartete, bis
auch Carnell sich wieder niedergelassen hatte. ,,Ich habe dich gesucht.”
Der Reesch schnaubte. ,,Gut, du hast mich gefunden, Jedi!”
Qui-Gon warf einen Blick auf das Display. Ein kleiner, braun-schwarzer
Planet war jetzt darauf zu sehen. Seine Atmosphäre schien an den Polen zu
glühen. ,,Ist das deine Heimat? Die Heimat der Reesch?”
Carnell warf einen Blick zurück und löschte den Bildschirm. Er wollte
nicht antworten, aber der Blick des Jedi war durchdringend, und er spürte,
dass jener nicht gehen würde, bevor er nicht eine Antwort erhalten haben
würde, die ihn wenigstens halbwegs befriedigte.
Qui-Gon wartete. Vielleicht war das das Geheimnis der MACHT, die er
nun so überaus deutlich spüren konnte: Sie gab ihm die Fähigkeiten, die
Situation so gut zu durchschauen, dass er warten konnte, bis sich die Gelegenheit ergab, wirklich etwas Entscheidendes für Gleichheit, Gerechtigkeit
und Frieden zu erreichen.
Carnell knickte ein. ,,Ja, das ist Reesch.”
,,Und wer war die Frau?”
Der junge Mann lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und musterte den Jedi wieder. Die Frage schien ihm unverfänglich. ,,Meine ältere
Schwester.”
,,Ich konnte sie nicht verstehen, aber sie klang besorgt.”
,,Wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.”
Qui-Gon beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Er sah
Carnell geradewegs in die Augen. ,,Du sagst nicht die Wahrheit, Carnell!”
Die Nervösität kehrte in die Bewegungen des Reesch zurück. ,,Und wenn
schon, dies geht dich nichts an.”
,,Warum nur werde ich dann das Gefühl nicht los, dass es mit den Verhandlungen hier zusammenhängt? Du machst dir Sorgen, dein Vater und der
alte Callens ebenfalls. Und ihr habt Angst, dass die Verhandlungen scheitern
könnten.”
Carnell verschränkte die Arme vor der Brust. Ein überdeutliches Zeichen
der Abwehr. Der Jedi hatte in‘s Schwarze getroffen. ,,Wenn die Verhandlungen scheitern, nehmen wir uns, was wir bauchen, eben mit Gewalt!”
Qui-Gon zog die Augenbrauen zusammen. Er war nicht sicher, ob er den
jungen Mann jetzt nicht missverstand, aber er hakte sofort nach. ,,Ihr braucht
Gestae? Wozu?” Der Reesch zuckte zusammen, aber er zog es nun vor, verbissen zu schweigen. Der Vermittler rieb sich die Nasenwurzel und versuchte
30
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
es auf eine andere Art und Weise. ,,Du bist ein ausgebildeter Kämpfer. So
etwas wie ein.... professioneller Krieger, nicht wahr?”
Carnell war nach wie vor auf der Hut, aber er entspannte sich etwas. ,,Ja.”
,,Dann hast du sicherlich auch die wichtigste Regel in jedem Kampf verinnerlicht.” Er fixierte den Blick des anderen. ,,Kämpfe nur, wenn es sich nicht
mehr vermeiden lässt.” Der junge Reesch war mehr als überrascht, als er die
ungeheure Sicherheit in den Augen seines Gegenübers sah. Er wurde sich bewusst, dass er den Jedi gewaltig unterschätzt hatte. Weil er noch so jung war,
hatte er ihn nicht wirklich ernst genommen. Doch in den im Dämmerlicht
des Cockpits fast schwarzen Augen des Menschen konnte er erkennen, dass
der sehr genau wusste, wovon er sprach - und dass er nicht eher locker lassen
würde, bis er Carnell überzeugt haben würde und dieser nachgab. Doch er
schwieg weiter. ,,Du provozierst den Kampf mit den Gestae. Darüber musst
du dir im Klaren sein. Wir können den Krieg nur vermeiden, wenn auch ihr
zu Kompromissen bereit seid. Und um diese zu finden, muss ich genügend
über eure Situation wissen.”
Qui-Gon forschte im Blick des jungen Reesch, und er bemerkte die Unsicherheit. ,,Aber ich weiß bislang gar nichts, nur dass ihr unbedingt hierher
kommen wollt. Und die Gestae werden diesen Planeten nicht kampflos aufgeben. Sie haben die älteren Rechte, dass weißt doch auch du!” Er wartete
wieder ein paar Sekunden, aber der junge Mann zog sich weiter hinter den
Schild tiefsten Schweigens zurück. Und trotzdem spürte Qui-Gon, dass er
ihm langsam näher kam. ,,Ihr könntet jeden anderen unbesiedelten Planeten bekommen. Stellt einen Antrag an den Senat der Republik - es würde
ein paar Monate dauern, aber es würde sich eine Lösung finden. Oder sucht
selbst nach einem kolonisierbaren und unbewohnten Mond... warum muss es
unbedingt dieser öde Sandhaufen sein?”
Carnell schnaufte verächtlich - und Qui-Gon spürte, wie der junge Mann
verzweifelte. Der Reesch drehte sich mit dem Pilotensitz weg und starrte
durch das vordere Fenster und das offene Hangartor über die sich hinter
der Siedlung erstreckende Steinwald-Landschaft - rote, weil von einer dicken
Quarzschicht bedeckte, Baumwipfel, die ein so enges und dichtes Dach bildeten, dass darunter wie unter einer Folie eine ertragreiche Landwirtschaft
entwickelt werden konnte. Er schwieg noch immer, aber der junge Jedi übte
sich in Geduld. Als er gerade so weit war, wieder zu gehen, als er sich schon
seufzend erhoben hatte, hörte er Carnells leise Stimme.
,,In ein paar Monaten wird niemand von meinen Leuten mehr am Leben
sein, wenn wir Gestae nicht bekommen...”
Qui-Gon verharrte. Er wog die Worte vorsichtig ab und versuchte das
Puzzle aus einzelnen Informationen in seinem Geist zusammenzusetzen. Er
erinnerte sich an das Bild des Planeten Reeschs auf dem Display. Behutsam
2.4. REESCH
31
setzte er sich wieder. Auch er senkte seine tiefe Stimme zu einem verhaltenen
Flüstern. ,,Deine Heimat.... stirbt?”
Carnell nickte leicht. ,,Und wir mit ihr...” Noch immer sah er Qui-Gon
nicht an, denn er wollte seine Niederlage gegenüber dem Jedi nicht auch
noch eingestehen. Aber er erzählte ihm nun alles: Wie die Atmosphäre sich
vor über einem Jahr aufzulösen begann, wie immer mehr Reesch zunächst unerklärliche Hautverbrennungen erlitten, wenn sie ihre Häuser verließen. Wie
die erste Ernte komplett ausfiel, wie der Hunger Einzug hielt auf Reesch. Wie
das Licht immer greller wurde und einige der wenigen Wissenschaftler ihrer
eher kriegerischen Kultur erblindeten, als sie die Ursachen ergründen wollten für all die Katastrophen. Wie zuerst einige der Kinder starben, dann die
Alten und Kranken. Seine Mutter und die kleine Schwester - und heute sein
kleiner Bruder. Wie sie endlich herausfanden, dass der Stern ihres Systems
seine Korona ausdehnte, und wie sie einsehen mussten, dass es keine Rettung
für ihre Heimat geben würde.
Einige Reesch verließen das System auf der Suche nach einer nahen Ersatzheimat, wohin sie die wenigen hunderttausend Überlebenden, die es jetzt
noch gab, evakuieren könnten. Und sie fanden Gestae. Nicht gerade die
Traumwelt, aber nah genug, die Reste ihres Volkes dorthin zu retten. Carnet
war als oberster, gewählter Patriarch beauftragt worden, ihnen diese Welt zu
sichern. Erst am Ende seiner Erzählung drehte Carnell sich wieder um.
,,Alle anderen bewohnbaren Welten sind so weit von uns entfernt, dass
wir selbst von den wenigen Reesch, die jetzt noch leben, nur ein Drittel
oder höchstens die Hälfte dorthin bringen könnten, bevor die Atmosphäre
sich völlig aufgelöst hat...” Er sah Qui-Gon verzweifelt an. ,,Männer wie
ich sind daran schuld! Jahrhunderte lang haben wir den alten Ehren- und
Kämpferkodex tradiert, haben die Wissenschaften nie ernst genug genommen
- mit dem Ergebnis, dass wir nicht wussten, wie nah die Vernichtung war.
Und genügend Raumschiffe haben wir auch nie entwickelt. Wir waren und
sind einfach nicht vorbereitet!”
Qui-Gon legte ihm eine Hand auf die Schulter und nickte stumm. Er begriff das Ausmaß der Tragödie. ,,Ich danke dir für deine Ehrlichkeit, Carnell.
Und ich verspreche dir, dass ich eine Lösung finden werde - dass ich sie schnell
finden werde!” Er stand auf und ging Richtung Tür und Rampe, blieb aber
im Durchgang noch einmal stehen. ,,Wie viele seid ihr noch auf Reesch?”
Der junge Mann blickte ihn resigniert an. ,,Als wir vor eineinhalb Wochen
unsere Heimat verließen noch circa zwei Millionen; jetzt dürften es schon
erheblich weniger sein...”
Der Jedi nickte und verließ das Schiff. Carnell sah durch das seitliche
Cockpitfenster, wie der Vermittler mit wehendem Mantel durch den Hangar
eilte.
32
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Jarann hatte eine Verabredung mit einem Schachpartner vorgetäuscht
und so die beiden jungen Leute allein gelassen. Qui-Gon und Javall saßen
sich am Küchentisch im Haus ihres Großvaters gegenüber. Den ganzen Nachmittag hatte er sich überlegt, wie er die junge Frau unauffällig wiedertreffen
könnte. Doch dann hatte er einfach beschlossen, etwas später als geplant zu
Jarann zu gehen, um ihm von der Tragödie der Reesch zu berichten, so dass
sich das Abendessen nahtlos an das Treffen anschließen konnte.
Sie war so schweigsam, dass der junge Jedi befürchtete, einen Fehler gemacht zu haben, als er sie gestern Abend zum Abschied geküsst hatte. Doch
als sie sich beim Schachspiel gegenübersaßen und er immer wieder wie durch
Zufall ihre Hand streifte, fühlte er, dass sie nur das Schicksal der Reesch
beschäftigte. Sie spielten die Partie zu Ende, und sie ließ sich wieder von ihm
nach Hause bringen. Dieses Mal aber bat sie ihn zu einem Kaffee hinein.
Ihre Wohnung war nur ein kleines Zimmer, in dem man nicht einmal
richtig kochen konnte. Sie hängte ihren Umhang über einen Haken an der
Innenseite der Tür. Dann bemerkte sie seinen erstaunten Blick. ,,Ich weiß,
bei meinem Großvater ist es gemütlicher, aber ich muss auch mal was Anderes
sehen als seine verstaubten Bücher - und Ansichten!” Sie räumte eine Menge
Krimskrams von ihrem einzigen Stuhl und bot ihn ihm an. Qui-Gon setzte
sich, während sie den Kaffee aufsetzte.
,,Was machst du eigentlich den ganzen Tag über?” Er schlug die Beine
übereinander und schaute ihr zufrieden zu.
Javall stellte zwei große Tassen bereit und suchte nach Löffeln. ,,Ich arbeite in den Plantagen. Hier gibt es so gut wie keine Jahreszeiten - wir ernten
und säen das ganze Jahr hindurch.” Sie verteilte die dampfende Flüssigkeit
in die Tassen und setzte sich ihm gegenüber auf ihr Bett.
,,Habt ihr den ganzen Planeten landwirtschaftlich erschlossen?”
,,Nein, nicht einmal die Hälfte. Aber weite Gebiete sind Wüste. Nur unter
den Bäumen kann man wirklich effizient arbeiten - sie halten den Quarz ab.”
Jetzt musterte sie ihn. ,,Du denkst an dasselbe wie mein Großvater.” Sie
stellte die Tasse neben sich und lehnte sich zurück. ,,Du glaubst, wir und die
Reesch könnten hier gemeinsam leben.”
Qui-Gon nickte langsam. ,,Ja.”
Sie dachte darüber nach, schüttelte dann aber bestimmt den Kopf. ,,Eine
schöne Idee, aber nicht auf Gestae zu verwirklichen.”
,,Warum nicht?”
,,Wir haben fast dreißig Jahre gebraucht, um halbwegs genügend Land
zu kultivieren, damit wir hier überleben können. Da ist nicht viel Spielraum
für Gastfreundschaft.”
Qui-Gon stützte seine Unterarme auf die Schenkel und rührte nachdenklich in der Tasse. Der Kaffee roch verführerisch. Langsam nahm er einen
2.4. REESCH
33
Schluck. ,,Es werden auch nicht viele sein - fünfhunderttausend, vielleicht
ein paar mehr, aber ich fürchte eher weniger... Aber sie sind ein hartes Leben
gewohnt. Sie würden sich bestimmt nicht beklagen, egal wie schwer es werden
würde.”
,,Fünfhunderttausend?? Unmöglich! Selbst einunderttausend wären schon
zu viel für uns... Kann man ihrem Planeten denn nicht helfen?”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. ,,Nein, ihr Stern wird zur Nova. Das, was
Carnell mir erzählt hat, deutet eindeutig darauf hin. Wenn sie auf Reesch
bleiben, werden sie alle sterben.” Er sah sie an. ,,Oder sie entschließen sich
doch noch, euch eure Heimat mit Gewalt zu nehmen.”
Javall schwieg eine ganze Weile, dann stand sie auf und trat an das
gewölbte Fenster. Lange starrte sie in die violette Nacht.
,,Ich bewundere dich.” Er spürte, wie er errötete. ,,Mein Großvater hat
mir erzählt, dass du freiwillig und unter Missachtung des Codes der Jedi so
viel Jinn übernommen hast.”
,,Jinn?”
,,Es gibt in der republikanischen Sprache kein exaktes Wort dafür. Man
könnte Verantwortung sagen oder Aufgabe, aber es heißt auch so viel wie
Unterpfand. Es ist ein Sammelbegriff für all das, was der Führer eines Volkes
auf sich nehmen muss. Das Wort stammt aus der Zeit, als es mit der Demokratie in meiner Kultur noch nicht weit her war. Heute übernehmen viele
gemeinsam das Jinn. Sie helfen einander tragen. Aber du trägst es hier ganz
allein. Du willst unbedingt eine friedliche Lösung finden, wo es keine geben
wird. Und du setzt deine Zukunft dafür auf‘s Spiel. Woher nimmst du die
Kraft dazu? Aus der MACHT?”
Er stand auf und trat hinter sie. Gestae hatte keinen Mond, aber der feine
Quarz in der Atmosphäre zauberte das violett-schwarze Nachtgleißen in den
Himmel. Er umfasste ihre Schultern, und sie lehnte sich erschöpft an ihn.
,,Teilweise. Aber die MACHT ist viel mehr. Manchmal sehe ich Dinge, die
den anderen entgehen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Reesch Angst
hatten. Ich sehe einen Gegenstand, etwa eine deiner Tassen, fallen, bevor du
dagegen stößt. Deshalb kann ich sie rechtzeitig auffangen. Das macht vielen
Menschen Angst. Manchmal sehe ich sehr viel mehr - ganze Bilder, Visionen. Die Meister unterscheiden zwischen beiden, einmal der gegenwärtigen,
lebendigen MACHT, die in jedem Einzelnen lebt und wirkt, und der immerwährenden, die alle Dinge der Welt zusammenhält und den Blick in die
Zukunft ermöglicht. Ich habe nur wenige Erfahrungen mit der letzteren. Ich
kann nicht weit in die Zukunft blicken.”
Seine Wange berührte ihr Haar, sie wandte den Kopf und sah in seine
Augen. ,,Bist du traurig darüber?”
Er schüttelte leicht den Kopf. ,,Nein. Jeder Jedi ist anders begabt - man-
34
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
che sagen von mir, ich wäre ein Kämpfer. Und mir gefällt es, im Hier und
Jetzt zu leben.” Er lächelte melancholisch. ,,Es lehrt mich, das ich meine
Probleme hier und jetzt lösen muss...”
Sie wusste, dass er in diesem Moment nicht nur an die Reesch dachte.
,,Was wirst du tun, wenn ein Vertrag tatsächlich zu Stande kommt? Oder
wenn es Krieg gibt?”
Die Angst vor seiner Antwort schürrte ihr die Kehle zu.
Qui-Gon starrte wieder durch das gewölbte Fenster. ,,Ich muss mich vor
dem Rat und meinem Meister verantworten. Das bin ich ihnen und mir schuldig.” Er umfasste sie ganz mit seinen kräftigen Armen. ,,Ich sollte also besser
Erfolg haben. Auch aus einem anderen Grund...” Sie drehte sich um und sah
zu ihm auf. ,,Manchmal begegne ich Personen, in denen ich ein Stück der
Zukunft erkenne. Bei dir war es so.” Er fasste unter ihr Kinn. ,,Ich möchte
dich nicht sterben sehen.”
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Qui-Gon schloss
die Augen und lies sich aus der Spannung zwischen ihnen in die gestrige
Vertrautheit gleiten. Als ihre Lippen sich voneinander lösten, verbarg er sein
Gesicht in ihrem vollen Haar. Er mochte den Duft, strich es aber dann leicht
zurück, küsste sie auf den Hals und fühlte, wie sie erschauderte. Er wich
zurück, aber ihre Augen sagten ihm, dass sie sich nichts Anderes erträumt
hatte. Unendlich schien der nächste Kuss zu dauern. Als er sich sanft zurückzog, strich sie sein nun zerzaustes Haar glatt. ,,Was wirst du tun, wenn der
Rat mit allem, was du hier getan hast, einverstanden sein wird?”
Er nahm ihr blasses Gesicht in beide Hände und küsste ihre Stirn. ,,Ich
beende Ausbildung und Prüfung, und dann komme ich zurück hierher... oder
du begleitest mich nach Coruscant! Wenn du das möchtest...”
Sie hielt seine Hände fest. ,,Ja, ich will.”
2.5
Bindungen
Am nächsten Morgen aber stellte sich heraus, dass alle Mitglieder der Delegation der Gestae Javalls pessimistische Ansichten teilten, womit Qui-Gons
Erfolgsaussichten gering waren. Auch am Verhandlungstisch vertraten sie,
wenn auch schon etwas zurückhaltender, diese Meinung weiter. Die Reesch
dagegen waren selbstverständlich erleichtert und hoch erfreut von der Aussicht, dass es möglich schien, nach Gestae zu kommen. Der junge Jedi hatte
alle Mühe, ihre Begeisterung zu bremsen. Er wandte sich noch ein weiteres
Mal an die Gestae.
,,Was bräuchtet ihr, um es möglich zu machen?”
2.5. BINDUNGEN
35
Jenna verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich abweisend
gegen die Stuhllehne. ,,Ein Wunder der Götter!”
Qui-Gon sah sie durchdringend an. Noch immer begegnete sie den Reesch
mit nichts als Abneigung. ,,Wo liegt das eigentliche Problem?”
Jegoll seufzte resigniert. ,,Die Lebensmittel. Wir können eine so große
Menge an zusätzlichen Leuten nicht ernähren.”
Qui-Gon spürte, dass noch mehr im Raum lag. ,,Gut, nehmen wir an, ich
löse dieses Problem, gibt es dann noch weitere?”
Es gab sie - und sie waren mannigfaltig. Wie der Vermittler vermutet
hatte, war das Ernährungsproblem nur ein wichtiger, vielleicht elementarer
Punkt gewesen, aber es gab weitere, die die Gestae geregelt wissen wollten. Er
merkte schnell, dass nun sie Angst hatten. Es lebten nur wenige Zehntausend
von ihnen, die Reesch würden bei Verwirklichung des Planes die Mehrheit der
Bevölkerung stellen. Und so fürchteten sie nun um ihre Kultur, ihre Rechte,
ihr Leben sogar.
Qui-Gon ließ sich jedes Detail erklären, obwohl er meistens wusste, worum
es den Gestae ging und was eigentlich wichtig war. Aber so gab er den Reesch
die Möglichkeit, sich beim Zuhören die Position der anderen zu Eigen zu machen und sich die Bedenken anzuhören. Dann versuchte der junge Vermittler,
die vielen Einzelprobleme in größere Grupen zu sortieren.
Callens kniff die Augen zusammen. Er begriff, dass der Jedi das große
Problem ihre Einwanderung nach Gestae in viele kleine zerteilen wollte, die
man nacheinander lösen konnte. Er hatte derweil so lange wahrhaftig zugehört, dass er die Delegation der Einwohner recht gut einschätzen konnte.
Er wandte sich an Jarann.
,,Ihr seid Rechtsexperte, ich ebenfalls - ihr und ich, wir sollten uns zusammensetzen und versuchen, unsere unterschiedlichen Gesetzescodixes zu
vereinheitlichen. Jegoll und Carnet sollten einen allgemeinen Mantelvertrag
ausarbeiten.”
Jarann nickte und blickte seinen Delegationsleiter fragend an. Jegoll zögerte noch einen Augenblick und nickte schließlich ebenfalls. Er hatte schweren
Herzens akzeptiert, dass sie sich mit den Reesch einigen mussten. Oder die
Reesch würden sich nehmen, worauf sie glaubten, nicht verzichten zu können,
um zu überleben - soweit glaubte er, Qui-Gon Recht geben zu müssen. Doch
er erhob sich und brachte den letzten Einwand hervor, auf den der junge
Jedi schon die ganze Zeit gewartet hatte. ,,Wer garantiert die Einhaltung des
Vertrages?”
Tiefes Schweigen senkte sich über den Verhandlungstisch. Jegoll setzte
sich wieder. Dann lehnte Qui-Gon sich zurück und verschränkte die Arme
vor der Brust. Er sah zuerst Jegoll an und dann Carnet. ,,Habt ihr vor, in
eurem Mantelvertrag eine paritätisch besetzte Regierung festzulegen?”
36
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Die beiden Verhandlungsführer sahen sich an, dann nickten sie zögernd.
Carnet antwortete. ,,Das klingt vernünftig. Wir Reesch haben noch nicht
lange eine Demokratie, aber lange genug, damit die Mehrheit der Bevölkerung
eine solche Regelung akzeptieren wird.”
Qui-Gon gestattete sich ein leichtes Lächeln. ,,Nun, damit würdet ihr die
Bedingungen für eine Aufnahme in die Republik erfüllen.” Ein Raunen ging
durch die Versammelten. ,,Gestae ist als Kolonie schon länger assoziiertes
Mitglied. Es gab Handelsverträge, ihr habt Transitvereinbarungen. Ihr könntet einen neuen Antrag auf stimmberechtigten Eintritt in den Senat und die
restlichen Institutionen der Republik stellen. In Folge der neuen Umstände
bin ich überzeugt, dass der Oberste Kanzler dem Rat der Jedi beipflichten und die Mehrheit des Senats zustimmen wird. Damit wäre auch eine
Möglichkeit gegeben, dass die Republik euch alle in der Anfangsphase mit
Lebensmitteln und vielleicht auch anderen Dingen unterstützt.”
Er ließ den Vorschlag auf sie wirken. Wann er in der letzten Nacht auf
diese Idee gekommen war, wusste er nicht zu sagen. Vielleicht, als er sich
mit einem langen Kuss von Javall veranschiedet hatte und mit Bedauern
an das Eintreffen des Frachters nach Coruscant hatte denken müssen. Er
konnte den Erfolg des Plans nicht garantieren, aber wenn er den Rat der
Jedi überzeugen konnte, dass es richtig gewesen war, sich hier zu engagieren,
dann hatte der Antrag im Senat gute Chancen - kaum etwas, was der Rat
empfahl und unterstützte, wurde abgelehnt. Fast jede Welt der Republik
hatte in ihrer Geschichte einmal auf die Hilfe der Jedi zurückgreifen müssen.
So wussten sie, dass das oberste Gremium des Ordens nur gerechten und gut
durchdachten Vorschlägen seine Zustimmung gab.
Sowohl die Reesch als auch die Gestae diskutierten eine Weile untereinander, dann fingen sie an, Stühle zu rücken und sich in kleinen Gruppen
zusammenzufinden, die über Einzelheiten zu debattieren anfingen. Und QuiGon spürte, dass er den wichtigsten Schritt geschafft hatte: Sie redeten jetzt
miteinander und sie redeten über einen gemeinsamen Plan - und sie würden
miteinander Übersiedlungsplan, Gesetz und Politisches System und den Antrag an den Senat ausarbeiten. Seine Aufgabe war bis auf die Überbringung
der Verträge und Anträge nach Coruscant getan.
Er blieb im Saal, doch nach einigen Stunden entschuldigte er sich - die
Anwesenden bemerkten es nur am Rande. Er lächelte, als er die Stufen des
Ratsgebäudes hinabeilte. Er ging rasch durch die Straßen der Siedlung und
erreichte den roten Wald. Hier gab es mehrere Plantagen, die mit niedrigen
Zäunen umfriedet waren. Die Abgrenzung diente nicht dazu, Tiere fernzuhalten, sondern sie sollte die Bewohner des Planeten nur daran erinnern, dass
dahinter ihre Lebensmittel wuchsen. Qui-Gon fand das Eingangstor eines der
größeren Betriebe und suchte sich einen schattigen Platz in der Nähe. Als die
2.5. BINDUNGEN
37
heiße Sonne sich langsam dem Horizont näherte, verließen die Gestae ihren
Arbeitsplatz. Als er Javalls Gestalt entdeckte, erhob er sich und ging auf die
junge Frau zu. Zärtlich küsste er sie.
Sie lachte. ,,Hast du keine Angst, dass man dir vorwirft, für eine Seite
Partei zu ergreifen?”
Er musste ebenfalls lächeln. ,,Du solltest Politikerin werden, Javall! Aber
nein, ich werde jedem sagen, den unsere Beziehung stört, dass ich dich mit
nach Coruscant nehmen werde.”
Sie legte ihm ihre Arme um den Hals und ließ sich von ihm herumwirbeln.
Dann zog sie ihn in Richtung der anderen Plantagen. ,,Komm, ich möchte
dir etwas zeigen!”
Der Weg wurde immer unebener, je weiter sie sich von der Stadt entfernten. Bald war es nur noch eine Schneise zwischen den Bäumen. Die Dämmerung ließ die Schatten über ihnen wachsen, und der Quarz knirschte unter ihren Schuhen. Als die letzten Geräusche der Siedlung hinter ihnen verstummt
waren, erreichten sie eine Lichtung. In der Mitte standen drei Bäume. Javall
führte ihn in den kleinen Raum zwischen ihnen.
,,Dies wäre ein heiliger Platz für mein Volk - wenn wir noch an die alten
Götter glauben würden.” Sie gluckste leise. ,,Na ja, vielleicht tun wir es sogar
noch, ganz tief in uns, begraben unter all dem scheußlichen Sand hier...” Er
lachte leise. Sie berührte dem dicksten der drei Baumstämme. ,,Wie haben
sie aus der Heimat als kleine Setzlinge mitgebracht. Dies ist der Baum des Lebens - er repräsentiert alle Pflanzen und das Wasser, das wir zum Überleben
brauchen.” Sie ging zu einem verknoteten Stamm, der nicht zu wissen schien,
wohin er eigentlich wachsen wollte. ,,Dies ist der Baum der Freundschaft man geht hierher, um sich zu streiten oder sich auszusöhnen.”
Qui-Gon lachte leise. ,,Um sich zu streiten?”
Sie lachte ebenfalls. ,,Ja. In Gegenwart dieser Bäume überlegt man es sich
dreimal, ob man jemanden beleidigt oder verletzt - sie sind unbestechliche
Zeugen. Unsere Vorfahren haben geglaubt, dass in ihnen Götter wohnen, die
bei einem Bruch der Verträge oder Versprechen über den Schuldigen richten
würden. Wer hier lügt, bereut es sein Leben lang.”
Javall strich über die borkige Rinde. ,,Alle unsere Kinder glauben das
noch heute. Sie lernen dadurch, wie wichtig Aufrichtigkeit ist und Zuverlässigkeit. Wir Erwachsene kommen häufig nur noch einmal im Jahr hierher, am
Farbenwechselfest, um uns an die Legenden zu erinnern. Vielleicht sollten
wir es öfter tun!”
Qui-Gon ging zum dritten Baum, der schlanker und fragiler war als die
anderen beiden, dafür die schönsten und regelmäßigsten Blätter aufwies. Sein
Stamm war glatt. ,,Und wofür steht dieser?”
Sie umfasste seine Taille von hinten, schmiegte sich an ihn. Ihre Stimme
38
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
wurde leise und zärtlich. ,,Für die ewige Liebe zwischen zwei Partnern, die
eine Bindung eingehen. Und seinetwegen sind wir hier.”
Er wandte sich um. Sie sah ihn fragend an. ,,In meinem Volk ist es üblich,
hierher zu gehen, wenn man seinen Partner glaubt gefunden zu haben.”
Er nickte ihr zu. ,,Gibt es ein Ritual?”
Sie nickte still und langte in das Blätterwerk der tief herabhängen Zweige
des Liebesbaumes und pflückte ein Blatt, bedeutete Qui-Gon, es ihr gleich zu
tun. Sie nahm seine Hand und legte ihre linke Handfläche gegen seine rechte.
Die vom rotem Quarz gefärbten Blätter lagen eingeschlossen dazwischen.
Dann griff in ihren Umhängebeutel, nahm ein schmales, zusammengelegtes,
beiges Seidenband heraus. Langsam und vorsichtig wickelte sie das Band um
ihre ausgestreckten Finger und dann um die Handgelenke. Das Ende hing
zum Schluss zwischen ihren Armen herab.
Qui-Gon spürte, wie sich Schweiß zwischen ihren Händen sammelte. Sein
Herz raste, er spürte die MACHT zwischen ihnen beiden, wie sich ein Band
zwischen ihnen spann, so stark, wie die Verbindung nicht einmal zu seinem
Meister war. Auch Javall fühlte es. Überrascht erkannte sie, dass sie seine
Gedanken hören konnte.
Der Schweiß ist das Wesentliche, Qui, er wird den feinen Quarz lösen und
unsere Handflächen färben... Geduld...
Er lächelte und berührte mit der freien Hand ihr Gesicht. Wie gern er sie
so fühlte. Die Dämmerung tauchte sie wie in rotes Gold.
Jetzt... wir müssen beide eine heftige Bewegung zurück machen - hält
das Band, sind wir füreinander bestimmt und müssen nach den Traditionen
meines Volkes heiraten, bevor die Farbe auf den Handflächen wieder verblasst
ist...
Er zog den Arm zurück, sie ebenfalls, aber die komplizierte Bindung
hielt... Die gestörte Bewegung veranlasste sie, einander in die Arme zu fallen.
Er fing sie mit dem freien Arm auf. Sie lachte glücklich.
Er musste das Band abwickeln, dass sie geknüpft hatte. Als sie die Handflächen voneinander lösten, hatten sie beide ein Blattherz darauf memoriert,
entstanden aus den beiden schräg übereinanderliegen, ovalen Blättern. QuiGon lächelte.
Wie schnell wird es denn verblassen?
Sie küsste ihn.
Innerhalb von zwei Wochen.
Er fasste unter ihr Kinn, sah in ihre lächelnden Augen.
Warum so lange warten?
Er legte das Band vorsichtig zusammen.
Was geschieht damit?
Sie nahm es aus seinen warmen Händen und verstaute es in ihrem Beutel.
2.6. VORBEREITUNGEN
39
Jeder Gestae trägt zu seiner Hochzeit eine über den Schultern liegende,
nach vorn und hinten bis zu den Oberschenkeln fallende, doppelte Schärpe.
Das Band wird auf den Innenkanten aufgenäht, von der Braut.
Sie strich vorsichtig über seine beige Jedi-Tunika.
Ich werde einen Leinenstoff in derselben Farbe färben, du kannst die
Schärpe dann darüber tragen.
Es wird mir eine Ehre sein...
Sie schmiegte sich in seine Arme. Er lehnte sich mit dem Rücken an den
glatten Baumstamm.
Gibt es auch eine Tradition, was der Bräutigam seiner Braut schenkt?
Er spürte sie leise lachen, aber sie antwortete nicht. Er fühlte, dass es ihr
aus irgendeinem Grund.... peinlich... war. Er sah zu ihr herab.
Nicht lügen, Javall, denk an die Bäume über uns!
Das Lachen verstärkte sich. Sie drückte seine Hände.
Wir waren mal ein sehr... züchtiges... Volk. Aus dieser Zeit stammt der
Brauch, der Frau eine Waffe zu schenken, damit sie sich gegen andere zudringliche Männer verteidigen kann...
Qui-Gon küsste amüsiert ihren Nacken. Er wusste, was seine Gabe sein
würde.
2.6
Vorbereitungen
Von Jarann erfuhr Qui-Gon, dass in fünf Tagen das traditionelle Fest auf der
Lichtung der drei Bäume stattfinden sollte. Der Wechsel der Jahreszeiten
zeigte sich auf Gestae nur im Farbenspiel des Quarzes, verursacht durch den
sich verändernden Einfallswinkel der Sonnenstrahlen: Ende der Woche würde
das Purpurrot in einen Blauviolettton wechseln. Dem Jedi kamen drei, wie
er fand, hervorragende Gedanken:
,,Last uns dort und dann den Vertrag unterschreiben, zumindest den Mantelvertrag und den Senatsantrag! Und wir pflanzen einen vierten Baum, einen
von der Heimatwelt der Reesch - als Baum der Einigung.”
Den Alten von dieser Symbolik zu überzeugen, war nicht schwer. Auch
die anderen Delegationsmitglieder waren begeistert.
Aber der dritte Wunsch ließ Jarann lange schweigen. Der junge Jedi trug
ihn abends privat in dessen Arbeitszimmer vor.
,,Du willst Javall so schnell heiraten?”
Qui-Gon schluckte. Er wusste, dass er dem alten Mann damit das letzte
ihm verbliebene Familienmitglied nahm. Bekümmert senkte er den Blick. Der
alte Mann ergriff seine rechte Hand und drehte die Handfläche ins Licht der
Schreibtischlampe, sah das Bindungsmal. Nachdenklich nickte er.
40
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
,,Da ist noch mehr zwischen euch beiden als zwischen normalen Menschen,
nicht wahr?”
Qui-Gon nickte zögernd. ,,Ich denke, Javall spürt die MACHT...”
Jarann nickte langsam, lächelte verschämt. ,,Ja, ich weiß...” Er ignorierte
Qui-Gons konsternierten Blick, stand von seinem Schreibtisch auf und nahm
von einem der Regale ein altes Bild herab, reichte es seinem Gast. Der junge
Mann sah auf ein Hochzeitsfoto. Der Bräutigam war offensichtlich Jarann die traditionelle Schärpe über der Brust zusammenhaltend, aber die Frau...
sie trug über einem weißen Seidenkleid den Mantel der Jedi... In der Hand
hielt sie ein Lichtschwert. Jarann seufzte.
,,Kathrin brauchte keine Waffe von mir... sie hatte ihre eigene. Sie verließ
die Republik, sie verließ den Tempel, um mit mir hierher zu kommen. Sie
starb bei der Geburt meines nun auch bereits verstorbenen Sohnes. Janal
hatte die Gabe nicht, aber ich wusste immer, dass Javall sie hatte... aber sie
war das einzige, was mir geblieben war, wie hätte ich sie weggeben können??”
Qui-Gon verstand den alten Mann. Er gab ihm das Foto zurück. Jarann
sah den jungen Jedi fragend an. Der erwiderte den Blick fest.
,,Es ist wie ein unsichtbares Band zwischen uns. Wenn ich sie berühre,
kann ich ihre Gedanken hören... Jetzt spüre ich, wie sie sich in der Küche
bewegt, Kaffee aufbrüht.” Er senkte den Kopf, starrte aus seine gefärbte
Handfläche. ,,Kommt mit uns nach Coruscant...”
Jarann schüttelte den Kopf, legte eine Hand auf Qui-Gons Schulter. ,,Nein.
Du wirst dem Rat schon deine Heirat erklären müssen - und genug anderes,
wenn ich mich nicht irre! Außerdem, ich gehöre hierher. Meine Heimat ist
hier, meine Erinnerungen sind hier.” Er sah in die Richtung der Tür, durch
die seine Enkelin bald mit einem Tablett kommen würde, auf dem drei dampfende Tassen stehen würden. ,,Ich habe ihr eine Zukunft als Jedi vorenthalten, aber ich werde ihrem Glück an deiner Seite nicht im Weg stehen! Du
bedeutest ihr so viel...”
Qui-Gon starrte noch immer seine Hand an. ,,Ich würde mein Leben für
sie geben.”
Jarann lächelte. ,,Ja, ich weiß...”
Javall brachte ihnen den Kaffee. Ihr Großvater reichte dem Jedi die erste Tasse und stellte seine auf einen der Bücherstapel auf dem Schreibtisch.
Javall lehnte das Tablett gegen eine der Seitenwände des Tisches und setzte
sich in den dritten Sessel im Raum. Jarann ging um den Schreibtisch herum
und zog eine der Schubladen auf. Er holte ein in Seidenpapier gewickeltes
Päckchen heraus. Er nahm seiner Enkelin den Kaffee aus der Hand und legte
das Päckchen in ihren Schoß. Vorsichtig schlug sie das Papier zur Seite. Heraus fiel ein Kleid aus corellianischer Seide, weiß, etwas altmodisch vielleicht,
aber zeitlos schön. Die Säume waren mit den traditionellen Seidenbändern
2.6. VORBEREITUNGEN
41
eingefasst, es wurde auf dem Rücken geschnürrt, fiel dann in weiten Wellen
herab. Der weite Ausschnitt war mit winzigen Perlen eingefasst.
,,Alle Frauen unserer Familie haben es auf ihrer Hochzeit getragen - und
es würde mich sehr glücklich machen, dich in fünf Tagen darin neben Qui-Gon
stehen zu sehen...”
Javall legte das Kleid vorsichtig über die Rückenlehne des Sessels und
umarmte ihren Großvater. ,,Ich kann mir keine größere Ehre vorstellen.” Hieß
diese Gabe doch, dass er ihre Wahl des Partners akzeptierte.
In jedem Jahr hatte es aufregende Tage vor dem Farbenwechselfest gegeben, aber dieses Jahr würden die Vorbereitungen noch hektischer, noch
umfangreicher, aber auch noch schöner werden.
Carnell war mit dem Gleiter der Delegation nach Reesch zurückgekehrt
- er würde den Setzling für den Einheitsbaum mit zurückbringen. Und ihm
würden die ersten Reesch folgen. Dementsprechend wuchsen im sandigen, der
Wüste schon zugehörigen Teil rund um die Hauptsiedlung des Planeten Notunterkünfte. Zelte, einfache Hütten und dergleichen hatten die Gestae noch
aus ihrer Anfangszeit auf dem Planeten, die erst eineinhalb Generationen
zurücklag. Der junge Reesch hatte den Vorschlag gemacht, die Schiffe seines
Volkes, wenn erst einmal die letzten Überlebenden auf Gestae eingetroffen
sein würden, für öffentliche Zwecke wie Krankensstationen, Kommunikation
und dergleichen zu nutzen.
Daneben begannen die Gestae bereits, die vorhandenen Plantagen zu vergrößern. Auch wenn Hilfe aus der Republik kommen würde - eine Zeit lang
zu Beginn und auch auf längere Sicht würden sie selbst die Neuankömmlinge ernähren müssen. Je eher sie zusätzliche Nahrungsmittel würden ernten
können, desto besser.
Jeden Abend aber zogen Männer und Frauen zum großen, mit rotbraunem
Gras bedeckten Platz der drei Bäume. Auch hier entstanden Zelte, aber dies
waren die Festzelte und Stände einer fröhlichen Feier: Bunt, hoch, weit, luftig,
damit sie Platz und Schatten für viele Menschen und Reesch bieten konnten.
Die Kinder hatten Girlanden gebastelt, die nun zwischen die Äste der Bäume
und die Zeltstagen gespannt wurden, die die Männer gemeinsam in den harten
Boden rammten.
Und jeden Abend holte Qui-Gon seine Liebste von dort ab. Noch immer
saß er im Ratsgebäude der Siedlung, um auftretende Konflikte beilegen zu
können, aber im Grunde hatte er sich selbst überflüssig gemacht. In der quasi
freien Zeit suchte er in den Geschäften der Siedlung alle Utensilien für ein
zweites Lichtschwert zusammen. Das würde sein Geschenk an seine Braut
sein. Er baute sein eigenes Schwert auseinander und entnahm den kleinsten
der drei Kristalle, die es gemeinsam erlaubten, die Lichtsäule in Intensität
und Länge stufenlos zu regeln. Bis zu seiner Rückkehr in den Tempel würden
42
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
die beiden verbleibenden genügen. Und Javall sollte zuerst mit einer einfachen
Klinge trainieren können.
So saß er den halben Tag an einem Tisch in einer der Ecken des Saales und
lauschte den zügig vorangehenden Verhandlungen, löste für Jarann und Callens ein juristisches Problem, zeigte ihnen einen Kompromiss, den sie in ihrer
Hektik vor dem Farbenfest zu übersehen drohten, doch die meiste Zeit feilte
er an seinem Geschenk. Er wollte nicht nur ein funktionierendes Schwert,
er wollte auch einen Griff, der ästhetisch seiner zukünftigen Besitzerin entsprach. Er wählte ein schlankes Rohr als Gehäuse und fräste Griffmulden für
ihre Hand hinein, die er dann silbern lackierte. Wo der Handballen liegen
würde, verstaute er die Energiezellen, alle einzeln angeschlossen, so dass der
Ausfall selbst beinaher aller das Schwert nicht untauglich machen würde.
Qui-Gon wusste, dass er fünf Tage Zeit hatte, wozu also Eile? Er hatte sein
Schwert schon in weniger als einer Stunde auseinandergenommen, gereinigt
und wieder zusammengesetzt. Die Konstruktion des ersten Lichtschwerts war
am schwierigsten gewesen, jedes weitere, jeder Umbau erschien ihm weniger
kompliziert. Yoda hatte ihm nie dabei geholfen, dieses Wissen musste sich
jeder Padawan selbst erarbeiten, schließlich musste das Schwert genau auf die
persönlichen Bedürfnisse seines Trägers abgestimmt werden - und das konnte für einen vollausgebildeten Jedi kein anderer übernehmen. Einiges lernte
man in den Elektronik- und Physikkursen, einiges im Geologieunterricht, einiges in der Geometrie. Immer war das Wesentliche im Unterricht etwas ganz
Anderes gewesen, aber mit den Jahren hatte man die Elemente dann beisammen, um beginnen zu können. Er erinnerte sich noch genau, wie er mit neun,
er wohnte noch bei Yoda in der Wohnung, mitten in der Nacht begriffen
hatte, dass es einen Versuch wert war, und leise aufgestanden war. Er hatte
das Pad mit den Winkelberechnungen vom Vormittag herausgesucht, hatte
das Windlicht angezündet, es gegen Yodas Schlafstelle mit seinem Geologiebuch abgeschirmt, um den Meister nicht zu wecken, und hatte angefangen zu
zeichnen. Die ganze Nacht hatte er versucht herauszufinden, wie man einen
Kristall schleifen musste, damit sich das Licht einer Energiezelle zu jenem
gleißenden, stabilen Strahl vereinigte, den er im Trainigssaal so oft an Schulter, Beinen oder Armen zu spüren bekam, wenn er sich nicht konzentrierte.
Yoda hätte ihn nie ernstlich verletzt, er stellte seine Klinge immer so niedrig
in ihrer Intensität ein, dass sein hitzköpfiger Schüler ruhig mit voller Wucht
hineinlaufen konnte, ohne sich ernsthaft zu gefährden. Aber Qui-Gon bekam
oft genug einen Schlag ab, dessen Wirkung für den Rest des Tages anhielt:
Ein Stechen an der getroffenen Stelle, dass ihn schmerzhaft daran erinnerte,
was es hieß, die Konzentration auf die MACHT zu verlieren.
So saß er in jener Nacht mit schmerzendem Nacken - diesen Stoß hat
er einfach nicht kommen sehen vor Freude über einen gelungenen Strate-
2.6. VORBEREITUNGEN
43
giezug gegen seinen Meister - über seinen Aufzeichnungen und fügte sein
Wissen zusammen. Doch sicher war er nicht. Yoda fand ihn an jenem Morgen, eingeschlafen über den Büchern und Pads, das Windlicht erloschen, alle
Muskeln steif und verkrampft. Doch der alte Meister kannte kein Erbarmen.
Er schickte Qui-Gon zuerst in den Unterricht und jagte ihn danach durch die
Trainingshalle. Als sein Schüler glaubte, dass er beim Abendessen im Speisesaal vor Müdigkeit vom Stuhl fallen würde, gab Yoda ein Essen bei sich aus.
Der Eintopf war gut, und neben Qui-Gons Teller lag ein Rohjuwell. Fragend
sah er seinen Meister an, doch der lächelte nur.
Qui-Gon überschlief die Sache, doch am nächsten Abend begann er vorsichtig, die gezeichneten Pläne in die Realität umzusetzen - was sich als
weitaus schwieriger erwies, als er angenommen hatte. Fast ein halbes Jahr
brauchte er, bis er mit seiner Arbeit zufrieden war. Aber nie war er stolzer
gewesen als an dem Tag, an dem er in der Trainingshalle nicht eines der
Schwerter nehmen musste, dass an die jüngeren Schüler ausgegeben wurde,
sondern sein eigenes vom Gürtel lösen konnte. Er hatte es in die rechte Hand
genommen, hatte sich tief vor Yoda verbeugt und die Klinge gezündet. Das
leuchtende Grün erschien ihm wunderbar. Und noch schöner war es zu sehen,
wie der alte Jedi den Kopf vor ihm in Respekt gesenkt hatte, als sein Schwert
den Belastungstest im Kampf bestanden hatte. Yoda hatte kein Wort dazu
gesagt, aber Qui-Gon hatte aus der Einladung zu einem weiteren Festessen
an diesem Abend geschlossen, dass er auf dem Weg zum Jedi einen großen
Schritt getan hatte.
Ein paar Tage später nur hatte Yoda vor dem Rat die Wahl Qui-Gons
zu seinem Padawan ein zweites Mal bestätigt, wie es in diesem Alter üblich
war. Noch einmal hatte er dem nun schon größer als er selbst gewachsenen
Jungen die Hände auf die Schultern gelegt - sein Schüler musste sich dazu in
Demut vor ihm hinknien - und damit bekundet, dass er den Menschen von
nun an zu seinen Missionen mitnehmen würde.
Der junge Jedi seufzte bei der Erinnerung an diese Zeit und setzte den
kleinen Kristall vorsichtig in die Halterung von Javalls Schwert. Damals, so
schien es ihm nun, fingen ihre Meinungsverschiedenheiten an. Was immer
Yoda auch sagte, verkündete, meinte - Qui-Gon war - grundsätzlich und aus
Prinzip, wie es schien - anderer Ansicht. Nicht, dass er sich damit zu Anfang
durchsetzen konnte. Yoda hörte ihm zu, er diskutierte mit ihm über seine
Sicht der Dinge, und ab und an revidierte er auch seinen Plan geringfügig
nach ihren Gesprächen. Aber er erwartete auch Respekt von seinem Schüler
- und auf ihren Missionen auch Gehorsam, wenn er sich für einen Plan entschieden hatte. Und damit hatte Qui-Gon als Jugendlicher zunehmend ein
Problem.
Yoda ging es zwar mit den Jahren auf die Nerven - und er gewöhnte
44
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
sich nie wirklich daran -, dass jede zweite Bemerkung seines Schülers mit
,,aber” begann, doch unerträglich wurde es, als Qui-Gon begann, gegen den
ausdrücklichen Willen seines Meisters zu handeln. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten: Hier ließ er eine Bemerkung fallen, wo er hätte schweigen sollen,
dort setzte er sich für etwas ein, was Yoda für absolut nebensächlich hielt.
Zur Katastrophe kam es auf Tallios III...
Meister Yoda sollte in einem sozialen und politischen Konflikt zwischen
zwei Bevölkerungsgruppen in einer der zahlreichen Städte vermitteln - auf
einem Planeten, der insgesamt nahe vor einem Bürgerkrieg stand. Die Verhandlungen zogen sich über Tage, dann über Wochen hin. Qui-Gon langweilte
sich. Viel sagen durfte er nicht im Raum, er sollte nur zuhören und lernen wahnsinnig aufregend nach zwölf Wochen für einen Vierzehnjährigen. Zuerst
entwarf er wilde Zeichnungen auf seinem Pad. Dann baute er in Gedanken
ein Lichtschwert mit drei statt mit zwei Kristallen und notierte die Baupläne,
schließlich fing er an, mit offenen Augen zu träumen oder zu meditieren - den
Bezug zum zu diskutierenden Problem der Tallioser hatte er längst verloren.
Eines Morgens, er sollte für Yoda und sich ein paar Lebensmittel kaufen,
sah er, wie ein Mädchen verprügelt wurde. Ohne lange nachzudenken, verprügelte er seinerseits den Angreifer und half der Kleinen nach Hause - und
hatte damit, ohne es zu wissen oder zu wollen gegen den Jedi-Codex und Yodas ausdrückliches Verbot, Partei für eine Seite der Streitenden genommen.
Im ausbrechenden, bewaffneten Konflikt starben mehr als einhundert Zivilisten, darunter elf Kinder, bevor der Jedi-Meister die beiden Seiten wieder an
den Verhandlungstisch zurückbrachte.
Yodas Urteil über seinen Schüler war hart, aber gerecht gewesen. Er war
nicht wütend, er war nur maßlos enttäuscht. Doch seine kalte Stimme und der
endlos ruhige Tonfall waren schlimmer, als hätte er den Jungen angeschrieen
oder gar verprügelt.
,,Noch ein einziges Mal Du meine Befehle missachten wirst, Qui-Gon von
Kallon, und Du kannst wieder werden ein Farmer! Für leichtfertige Wesen
wie Dich es gibt keinen Platz bei den Jedi!”
Er hatte Qui-Gon in die Leichenhalle der Hauptstadt gezerrt, und sein
Schüler hatte in jedes einzelne Gesicht der Toten sehen müssen - auch und
gerade der Kinder. Jeden Namen hatte er ausprechen müssen... Er erinnerte
sich noch heute an den des kleinen Mädchens, das - Ironie des Schicksals zu den ersten Opfern der gewaltätigen Auseinandersetzungen gehört hatte.
Er hatte ihr helfen wollen, doch am Ende hatte er nur ihr Leben vernichtet.
Qui-Gon war in Tränen ausgebrochen, als er sie dort liegen sah, aber sein
Meister war unerbittlich geblieben und hatte mit ihm die ganze, lange Reihe
der Leichen bis zum Ende abgeschritten. Dann hatte er den Teenager einfach
in dem kalten Gewölbe stehen gelassen. Da sein Schüler aus begreiflichen
2.6. VORBEREITUNGEN
45
Gründen am Verhandlungstisch nicht mehr erwünscht war, musste Qui-Gon
die restlichen Wochen eingesperrt in einem kleinen, tristen Hotelzimmer verbringen, wo es nichts zu tun gab, als an die vielen Toten auf seinem Gewissen
zu denken.
Erst auf dem Heimflug sprach Yoda wieder mit ihm. Wo immer er auch
die Zutaten her hatte, er brachte seinem völlig übernächtigten Schüler eine
große Schüssel Schokoladenpudding mit Sahne - etwas, wofür Qui-Gon alles
stehen und liegen ließ auf Coruscant. Der alte Jedi wusste, dass der Junge fast
gar nicht mehr schlief, und wenn, dann gequält von furchtbaren Alpträumen.
Er setzte sich neben seinen so ungewöhnlich stillen Padawan.
,,Du Deine Lektion gelernt hast, ich hoffe.”
Er hielt ihm die Schüssel und den Löffel hin, doch Qui-Gon zögerte.
,,Niemals Du darfst Deinen Instinkten nachgeben, ohne zu denken! Spüren
die MACHT Du tust so stark, warum Du sie nicht nutzt, ich frage Dich!?
SIE Dir gesagt hätte, dass Helfen hier falsch war! Und -” Er hob das Kinn
des Jungen an und zwang ihn, ihm in die grünen Augen zu blicken. ,, - nicht
allen, die Hilfe brauchen, Du wirst helfen können in deinem Leben. Niemand
das kann, Qui-Gon!”
Sein Padawan nahm den Pudding und tauchte den Löffel hinein. ,,Schickt
ihr mich jetzt weg, Meister?”
Yoda hielt den Kopf schräg. ,,Wenn noch einmal Du meine Worte nicht
befolgst und Leben vernichtest ohne Grund - Ja!” Dann lächelte er aufmunternd. ,,Aber ich denke, Du das nie wieder tun wirst - das tote Mädchen Dich
immer davon abhalten wird!”
Qui-Gon war wieder in Tränen ausgebrochen. Und Yoda hatte ihn endlich
getröstet. Gemeinsam hatten sie die Schockoladencreme gegessen, und der
alte Meister hatte seinen Schüler gelehrt, wie er mit Hilfe der Meditation über
die schrecklichen Träume hinwegkommen würde, nach noch vielen Wochen
Übung...
Er hatte die Lektion nie vergessen. Ein paar Wochen lang hatte er nicht
einmal mehr Widerworte gegeben, doch sein Eigensinn setzte sich letztlich
doch wieder durch. Doch nun versuchte er, die lebendige MACHT mit Yodas
Hilfe besser für diesen Zusammenhang zu nutzen. Er überlegte zweimal, ehe
er einem Fremden half, er überdachte erst die Konsequenzen, wenn er eine
Regel des Codes brach. So auch jetzt, als er ein Lichtschwert für eine Frau zusammensetzte, die keine ausgebildete Jedi war. Aber er würde sie ausbilden,
soweit es noch möglich war. Viele Erwachsene, sie meisten nur wenig sensitiv
für die MACHT, aber begabt genug, um im Alltag damit Schwierigkeiten zu
haben, kamen nach Coruscant in den Tempel, um sich helfen zu lassen, die
Meditation zu erlernen oder nur feststellen zu lassen, dass sie nicht verrückt
waren, wie ihre Nachbarn es hartnäckig behaupteten. So gut wie nieman-
46
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
dem wurde eine Ausbildung zum Jedi in Javalls Alter noch erlaubt, doch die
Meister würden ihr helfen können, auch, um etwa mit dem starken mentalen
Band fertig zu werden, dass sie beide bereits verband.
Jeden Abend, wenn sie sich trafen und berührten, wurde das Band fester.
Qui-Gon spürte sie, auch wenn er sie noch nicht sah, fühlte ihre warme Freude, wenn sie ihn vor der Plantage im Schatten eines der mit Quarz bedeckten
Bäume entdeckte - und wenn sie ihn berührte, glaubte er, in eine flauschige
Decke gewickelt zu werden. Es entstand eine Vertrautheit zwischen ihnen,
die so völlig anders war als sein tiefes Verhältnis zu seinem Meister. War dies
das uralte Konzept der Liebe? Er wusste es nicht, er wusste nur, dass er froh
war, Javall gefunden zu haben, um es zu erleben.
Sie gingen unter den Bäumen der Plantage Arm in Arm spazieren oder
halfen bei den Vorbereitungen zum Farbenfest. Dann aßen sie bei Jarann im
Haus, spielten Schach - das hieß, Javall erklärte ihm, wie gute Strategien
abliefen und worauf er zu achten hatte, und Qui-Gon verlor trotzdem jedes
Mal, da er viel zu abgelenkt durch ihren Anblick war. Dann brachte er sie
nach Hause, doch vor der Hochzeit durfte er nicht mehr zu ihr hineinkommen. Schließlich lag ihr Geschenk auf ihrem einzigen Stuhl und harrte der
Fertigstellung. Außerdem sollte die Trennung das Verlangen steigern, erklärte
sie grinsend - und Qui-Gon spürte jeden Abend mehr, dass zumindest dieser
Teil des Rituals über eine gefühlsmäßig reale Grundlage verfügte.
Er küsste sie zärtlich, und sie legten ihre gefärbten Handflächen übereinander. Ein tägliches Ritual, das Qui-Gon nicht vorhatte, nach der Trauung
aufzugeben.
Morgen...
2.7
Überfall
Qui-Gon betrachtete sich in der polierten Metallfläche, die einen echten Spiegel ersetzte in seinen Quartier. Er hatte seine Hose und die beiden weiten
Jedi-Tuniken aus dem naturbelassenen Leinentuch waschen und stärken lassen, das Band geplättet, das die Wickellagen zusammenhielt, die unteren
Enden der Ärmel sorgfältiger als sonst um die Handgelenke eingebunden,
selbst die alten Stiefel auf Hochglanz poliert.
Werde ich jetzt etwa eitel?
Nun, was konnte es schaden, zu einem so wichtigen Ereignis wie dem
Abschluss der Verhandlungen am heutigen Nachmittag - und zur eigenen
Hochzeit am Abend - saubere Kleidung zu tragen und sich von seiner besten
Seite zu zeigen? Der lange Padawanzopf, eng geflochten und in unregelmäßigen Abständen mit bunten Fäden nach Ausbildungsabschnitten unterteilt,
2.7. ÜBERFALL
47
lag über seiner rechten Schulter. Er warf ihn zurück, sicher, dass er nun gerade von seinem Nacken aus über den Rücken herabfallen würde. Auf dem
Weg hierher hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, ihn endlich los zu
sein. Endlich das Haar kämmen zu können, ohne mit den Kammzinken jedes
dritte Mal darin hängenzubleiben, endlich nicht mehr die Gefahr, ihn mit
dem eigenen Schwert beim Training oder Kampf abzusäbeln und sich danach
dem Gespött der anderen Schüler ausgeliefert zu sehen! Zweimal war ihm das
als Junge passiert - und nur, weil seine Haare so beängstigend schnell wuchsen, bemerkte man das eigentlich viel jüngere Alter der Strähnen heute nicht
mehr... Aber er konnte sich noch sehr genau an Mace‘ breites Grinsen und
die bissigen Kommentare der anderen Schüler erinnern. Danke, nie wieder hoffentlich!
Nur - Javall mochte den Zopf... Sie spielte gern damit, wenn er ihm beim
Schachspiel über die Schulter hing oder wenn sie in der Plantage auf einem umgestürztem Baum saßen und den Sternenhimmel beobachteten. Ihn
abzutrennen würde ihr nicht gefallen, gar nicht gefallen, wie er sie kannte.
Aber das war nun einmal der letzte Teil des Rituals, das ihn zum Jedi-Ritter
machen würde.
Endlich ein Jedi zu sein...
Aber zuerst einmal würde er ein Ehemann werden... er spürte wieder das
seltsame Ziehen im Magen. Er lächelte sich verlegen zu und strich sich ein
bisschen nervös durch das noch nasse, schwarze Haar. Es gab die Legende,
dass jeder Bräutigam sich am Tag vor der Hochzeit schlecht fühlte - war da
etwa etwas dran?
Je näher der Abend kam, desto unsicherer wurde er. Nicht, dass er an
Javall oder ihrer Liebe zueinander zweifelte, aber überstürzten sie es nicht?
Sie kannten sich keine zwei Wochen. Er wusste kaum etwas über sie, ihre
Träume, ihre eigenen Ziele - so bereitwillig wollte sie alles hier aufgeben für
ein Leben an seiner Seite auf Coruscant. Betrog er sie nicht um ihre Zukunft,
indem er ihre Bereitschaft, sich seinen Zielen unterzuordnen, so bereitwillig
ausnutzte? Er wusste um die MACHT und ihre Möglichkeiten, er konnte
spüren, dass SIE es war, die einen Teil ihrer so tiefen Beziehung ausmachte.
Ihre Begegnung war kein Zufall gewesen. ,,Meiner Erfahrung nach gibt es so
etwas wie Glück nicht!” - Gordons Bemerkung nach einem von Seiten des
Fechtlehrers verlorenen Kampf, den Qui-Gon mit einem Schulterzucken und
dem Hinweis auf einmaliges ,,Glück” quittiert hatte, ging ihm seit jenem
Abend bei Jarann nicht mehr aus dem Kopf.
Aber wusste Javall das alles auch? Wusste sie, dass es die MACHT war,
die in ihr wirksam war? Wusste sie, dass sie eine Jedi hätte werden können?
Qui-Gon war sich nach dem Gespräch mit Jarann nicht sicher. Aber er wagte
nicht, es anzusprechen, da er das Verhältnis zwischen Großvater und Enkelin
48
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
nicht belasten oder gar zerstören wollte. Doch er hatte das unangenehme
Gefühl, mit falschen Karten zu spielen...
Er nahm seinen ebenfalls selten so sauberen Mantel vom Bett und schlüpfte hinein, strich die herabfallenden Falten glatt, hängte das wieder funktionsfähige und polierte Lichtschwert an seinen Gürtel. Sein Geschenk an seine
Braut steckte er unter dem Mantel im Rücken in den Gürtel - sie sollte es
nicht vor der Zeremonie entdecken können. Dann ging er langsam zum Ratsgebäude hinüber.
Auch die Gestae trugen bereits ihre Feiertagskleidung: Bodenlange, sehr
weite Gewänder in den Farben des Quarzes - die Männer ein kräftiges Rot,
die Frauen ein tiefes Blau. Jarann und die anderen Unterhändler hatten die
bunten Schärpen ihres Status darüber gelegt und hielten die ihrigen Teile der
Verträge in den Händen.
Carnell war spät am vergangenen Abend mit dem ersten Convoy von
Reesch zurückgekehrt. Es waren vor allem die Alten, Kinder und Kranken
gewesen, die er zuerst hatte evakuieren lassen. Er hoffte, dass die gesunden,
erwachsenen Reesch solange auf dem sterbenden Planeten aushalten konnten, bis die Transportschiffe zurückkehren konnten. Und er hatte den Baum
mitgebracht: Ein fremdartiges Gewächs, korkenzieherartig gedreht, mit samtenen, blutorangenen Blättern - eine der wenigen Spezies, die jetzt überhaupt
noch auf Reesch existierten und die deshalb geeignet schien, der Hitze auf
Gestae gewachsen zu sein.
Qui-Gon nahm den jungen Reesch zur Seite. Er sah übermüdet und abgespannt aus. Der Jedi ahnte, worauf das zurückzuführen war. ,,Wie schlimm
ist es?”
Carnell verzog das Gesicht und umklammerte den Baum fester. Er senkte Blick und Stimme. ,,Schlimm... Wir verbrennen die Leichen schon nicht
mehr, die Arbeit wird uns unser Stern in ein paar Tagen abnehmen... Es
gibt kaum noch genug Wasser zum Trinken...” Er schüttelte den Kopf. ,,Viel
Hilfe werden wir von der Republik nicht brauchen: Wir sind nur noch knapp
fünfhunderttausend...”
Qui-Gon spürte die Bitterkeit und... er fasste nach dem Arm des jungen
Mannes. ,,Deine Familie...!?”
Carnell sah ihn schmerzerfüllt an, nickte mit Tränen in den Augen. Dann
schluckte er, griff seinerseits nach dem Vermittler. ,,Mein Vater weiß es noch
nicht. Ich... ich sage es ihm nach der Feier... Ich weiß nicht, wie er auf Mutters
Tod reagieren wird - und der Frieden ist so wichtig, nichts darf ihn mehr
gefährden, auch nicht unsere privaten Tragödien.”
Welch weiten Weg hatte der Reesch in den vergangenen Tagen zurückgelegt! Aus einem hitzköpfigen, jugendlichen Krieger war nach und nach am
Verhandlungstisch und während der Reise nach und von Reesch ein erwachse-
2.7. ÜBERFALL
49
ner, überlegt handelnder Mann geworden. Qui-Gon spürte, wie die MACHT
nach ihm griff - jener Teilder MACHT, den er sonst nur schwer erreichen
konnte. Er sah Carnell im Staatsornat, sah ihn im Senat der Republik sprechen, als ältereren, weißhaarigen Mann, an seiner Seite eine junge Frau, die
ihn von Frisur und Gestalt ein wenig an Javall erinnerte, aber ihre Haare waren weder weißblond noch grau, - das ergab keinen Sinn... Die Vision
löste sich genauso schnell auf, wie sie gekommen war. Der Reesch starrte ihn
verunsichert an.
Der junge Jedi sammelte sich und verdrängte das Unwohlsein, das die
MACHT in ihm hinterlassen hatte, versuchte dem Trauernden Trost zu spenden durch seine Berührung, und Carnell sah ihn dankbar an. Er verstand die
Geste. Dann ging er auf Jarann und Jegoll zu, überreichte ihnen den Setzling.
Die Delegierten beider Gruppen ließen sich bunt gemischt um den vieleckigen Tisch in der Mitte des Saales nieder. Zwei mit farbiger Tinte - rot-blau
der Gestae und schwarz-blutorange der Reesch - beschriebene Urkunden lagen im Mittelfeld. Sowohl Jegoll als auch Carnet sprachen eine Zeit lang als
oberste Vertreter ihrer Völker - Qui-Gon schätzte, sie probten ihre Reden,
die sie am Abend während des Festes halten wollten. Er konnte sich nur mit
Mühe ein Schmunzeln verkneifen, während er in Gedanken bei seinen Worten
zu Javall während der Trauung war. Wo war sie nun? Schon auf der Festwiese? Wahrscheinlich... umringt von ihren Freundinnen und ein paar älteren
Frauen, die sie für die Zeremonie zurecht machen würden. In allen Kulturen
schien es dieses altertümliche Ritual zu geben, dass die erfahrerenen Frauen
die Braut vor der Trauung mehr verrückt machen mussten als ihr zu helfen...
Er konnte Javalls Unwohlsein dabei fast greifen.
Die beiden Männer waren zum Ende gekommen - endlich. Qui-Gon erhob
sich und stellte zwei uralte Tintenfässer auf den Tisch. Der Augenblick der
Unterschrift unter den Mantelvertrag war gekommen.
Jegoll schritt um den Tisch herum, tauchte die Feder in das Fass mit der
roten Tinte, setzte an...
Draußen hörten sie einige dumpfe Geräusche.
Qui-Gon fuhr herum und starrte aus dem breiten Panoramafenster, die
rechte Hand auf dem Griff seines Lichtschwerts.
Carnell war instinktiv aufgesprungen, hatte den Dolch gezogen.
Jarann lauschte angestrengt. Er kannte das Geräusch... Dann sah der
Alte, wie der junge Jedi neben ihm totenblass wurde.
Qui-Gon hörte den Hilfeschrei als einziger... Javall...
Er stürzte aus dem Saal, die breite Treppe herab. Er merkte kaum, dass
alle versammelten Deligierten ihm nachrannten. Jeder hatte einen anderen
Grund - doch alle auch denselben: Das Geräusch stammte von Laserkanonen,
solchen, wie sie die auch die Gleiter der Reesch trugen. Und die der Outlaws,
50
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
die die Gestae in den letzten Wochen heimgesucht hatten!
Auf halbem Wege zur Festwiese kam ihnen Jenna entgegen. Blut lief über
ihr Gesicht aus einer Wunde an der Schläfe. Hasserfüllt griff sie Carnell an.
,,Ich wusste es von Anfang an! Ihr habt uns von vornherein belogen! Ich habe
die Schiffe genau gesehen dieses Mal! Es sind eure Leute, die uns überfallen
haben!”
Qui-Gon erstarrte und hielt die aufgebrachte Frau dann an den Handgelenken fest, bevor sie dem Reesch die gelben Augen auskratzen konnte. Er
schüttelte sie leicht, damit sie zur Vernunft kam. ,,Bist du sicher, Jenna??”
Sie schnaufte, machte sich los und berührte die Wunde mit den Fingerspitzen, starrte auf das Blut. ,,Ganz sicher! Kommt mit zur Wiese und seht
euch an, was sie getan haben!”
Der Jedi nickte, sie mussten es sehen, egal, ob Jennas Vorwürfe stimmten
oder nicht. Als sie die Wiese erreichten, ließ er Jarann und Jegoll, Carnet und
Callens eine Absperrung organisieren, die die schnell zusammenlaufenden
Reesch und Gestae zurückhalten sollte. Erschüttert sah er sich um.
Wer immer die Angreifer gewesen waren - sie waren gründlich in ihrer
Zerstörungswut gewesen: Einige der Festzelte waren zusammengestürzt, aber
der größte Teil brannte nach dem Laserbeschuss. Eine Gruppe älterer Frauen
kniete beisammen, der Jedi lief zu ihnen hinüber - und kam zu spät. Jana, die
Vertreterin der Siedlungen auf der Nordhalbkugel, lag in ihrer Mitte. Er ließ
sich ebenfalls nieder, berührte die Halsschlagader, aber der Blasterschuss, der
sie am Kopf gestreift hatte, war tödlich gewesen. Für einen kurzen Augenblick
schloss er die Augen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
,,Gibt es noch mehr Verletzte? Noch mehr...Opfer?”
Er sah in die Gesichter der ihn umringenden Frauen. Jemand schüttelte
den Kopf. Also trog ihn das weiter bestehende Band zu Javall nicht... Aber
wo war sie dann? Er stand auf, warf einen Blick über die Lichtung, ohne sie
ausmachen zu können. Angst um seine zukünftige Frau griff nach ihm. Langsam ging er zurück zu den übrigen Deligierten, die Augen auf den weichen
Boden gerichtet. Qui-Gon fand dort die Spuren von schweren Stiefeln, wie
Carnell als Krieger sie trug.
Er spürte, wie kalte Wut in ihm aufstieg - hatte er sich so sehr in dem
jungen Mann getäuscht? Bevor er ihn erreichte, schloss er noch einmal die
Augen und konzentrierte sich auf die negativen Gefühle in sich, bekämpfte sie
mit tiefer Konzentration. Mit Angst, Wut und Hass würde er nichts erreichen,
außer sein Selbst an die dunkle Seite der MACHT zu verlieren - Yodas ewige
Mahnung klang in ihm nach.
Jenna kam ihm entgegen, ein Tuch gegen ihre Stirn drückend. ,,Wir hätten
ihnen niemals vertrauen dürfen! Niemals!”
Qui-Gon holte tief Luft, spürte, wie die Angst um Javall ihm das Herz
2.7. ÜBERFALL
51
zusammenpresste. ,,Was ist passiert? Wo ist Javall??”
Sie erstarrte und erinnerte sich an die bevorstehende Hochzeit. Dann
nahm sie die Hand herunter, blickte verlegen auf das Blut. ,,Sie haben uns
erst beschossen, sind dann gelandet und haben sie mitgenommen - mit einigen
anderen. Genauso wie es bei uns im Dorf war! Ich sagte doch, sie wollen
Sklaven!”
Carnell war auf Hörweite herangekommen. Er schien ebenso entsetzt zu
sein, wie die anderen Gestae und Reesch, aber der Jedi spürte auch, dass er
nicht so überrascht war, wie er sich gab - oder zumindest auf einer anderen
Ebene als Qui-Gon selbst. Er sah den jungen Krieger fragend an. Er musste
Jennas letzten Satz gehört haben, und nur er konnte eine Antwort geben zumindest hoffte Yodas Padawan das.
Carnell schüttelte den Kopf. ,,Niemand von uns will Sklaven...”
Qui-Gons Blick wurde kalt und hart wie Eis. Jeder konnte die Enttäuschung
und verhaltene Wut in seinen erstarrten Zügen sehen.
,,Aber es waren Eure Leute?”
Die unterschwellige Verachtung in seiner Stimme traf den Reesch wie ein
Schlag. Er wusste, dass nun er das Vertrauen des Jedi verspielt hatte. Jenna
nahm ihm die Antwort ab. ,,Es war derselbe Typ Gleiter - ich konnte sogar
das Familienwappen erkennen: Es war seine Familie!!”
Qui-Gon ließ den angehaltenen Atem schnaubend entweichen. Er wandte
sich ab, um den Reesch nicht auf der Stelle niederzuschlagen. Nur mit Mühe
gelang es ihm, die Angst um Javall und die Wut auf den jungen Mann niederzuringen, sie unter Kontrolle zu halten. Er sah die brennenden Zelte...
zerstört... zerstört wie die Zukunft der beiden Völker, wie vielleicht seine eigene mit Javall... Und doch hatte es hier genug Leid gegeben, Janas sinnloser
Tod war schlimm genug. Der Frieden musste gerettet werden, es musste sich
ein Weg finden. Meister Yoda hatte immer einen Weg gefunden, um sein Ziel
zu erreichen... Qui-Gon überlegte, wo er den entscheidenden Fehler gemacht
hatte. Er hätte diese Entwicklung hier voraussehen müssen - zumindest in
Betracht ziehen hätte er sie müssen! Er hatte es nicht gespürt... Er seufzte.
Er wünschte, er hätte wenigstens ein bisschen mehr von Yodas Gabe, die
Zukunft in ihren Möglichkeiten zu durchdringen. Er musste sich auf seine
Beobachtungen verlassen, und die hatten ihn getrogen.
Oder?
Er erinnerte sich, dass er zu Beginn misstrauisch gegenüber dem jungen
Kriger gewesen war, ihn wirklich fast für einen Outlaw gehalten hatte. Doch
diese Ahnung hatte er... verdrängt? Qui-Gon schloss die Augen und versuchte, diese Eindrücke zurückzuholen. Nein... Carnell war kein Outlaw... aber er
wusste, wer sie waren... Vielleicht wusste er auch noch mehr. Er drehte sich
um und sah den Reesch wieder an.
52
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
,,Wenn sie keine Sklaven wollen, warum haben sie dann die Frauen und
Kinder mitgenommen? Wozu?”
Carnell senkte den Blick. ,,Als Geiseln, vermute ich...”
Qui-Gon begriff. ,,Sie sind... gegen den Vertrag?”
Der junge Reesch zuckte mit den Schultern. ,,Nicht direkt, aber sie glauben nicht, dass es uns zum Vorteil gereichen wird. Sie hatten Angst, die
Verhandlungen könnten zu lange dauern - nicht ganz zu Unrecht, wie es
scheint!”
Der junge Jedi sah ihn weiterhin an. ,,Teilst du ihre Meinung?”
Carnell schwieg einen Augenblick. Dann schüttelte er resigniert den Kopf.
,,Nein.” Er holte tief Luft und hielt den harten Augen des Menschen stand.
,,Nein, ich bin für diesen Vertrag. Auch wenn er wohl kaum noch eine Chance hat...” Er sah zurück zu den Gestae, die in kleinen Gruppen beisammen
standen und ihre Verletzten versorgten, die Hilfe der ebenfalls herbeigeeilten Reesch aber kalt ablehnten - auch Qui-Gon spürte, wie die Gefahr des
bewaffneten Konflikts immer größer wurde. Seine Unruhe vertiefte sich. Er
hatte noch immer die linke Hand auf dem Griff seines Lichtschwertes liegen.
Und er fühlte Javalls Angst in sich, neben der seinen.
,,Vielleicht können wir Vertrag und Frieden noch retten - ich werde nur
zuerst die Geiseln befreien müssen...”
Er ließ Jenna und Carnell stehen und ging zu Jarann und Jegoll hinüber,
die ebenfalls über dassselbe Problem diskutierten. Doch der Reesch folgte
ihm fast augenblicklich, und als der Jedi seinen angesichts der Tatsache der
ungeklärten Größe der Gruppe der Angreifer geradezu wahnwitzigen Plan
erklärte, bot er überraschend seine Hilfe an. ,,Lasst mich mitgehen, QuiGon!”
Der Mensch sah ihn hart an. Carnell meinte es ehrlich, aber er verbarg
noch immer etwas vor ihm. Ihm lag viel an diesem Frieden und Vertrag, aber
da gab es auch noch eine andere Loyalität, die er bislang nicht offenbahrt
hatte. Offensichtlich war er aber überzeugt, das Problem zusammen mit ihm
lösen zu können - möglicherweise wusste er, wie vielen Reesch sie zu zweit
gegenüberstehen würden. Und die Teilnahme des Reesch hätte einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Aspekt: Sie würde das Vertrauen des Jedi in
die hier anwesenden Reesch demostrieren, das die Gestae verloren hatten...
Qui-Gon nickte knapp.
Carnell eilte zu einigen seiner Landsleute, um sich für die Aufgabe ausrüsten
zu können. Jegoll hielt Qui-Gon fest, als dieser ihm folgen wollte. ,,Warum
nehmt ihr ihn mit? Er könnte euch hinterrücks töten!”
,,Vielleicht - aber das ist nicht sicher!”
,,Aber warum vertraut ihr ihm!?”
Qui-Gon sah nun den Führer der Gestae hart an. ,,Weil ihr es nicht tut!”
2.8. KÄMPFER
53
Er wandte sich ab und starrte auf den Waldrand, zu dem das gedehnte
Band zu seiner Braut ihn rief.
2.8
Kämpfer
Sie brachen sofort auf. Kaum hatten sie den Waldrand jedoch hinter sich
gelassen und waren außer Sicht- und Hörweite der anderen Menschen und
Reesch, als Qui-Gon stehen blieb. Er sah Carnell durchdringend an.
,,Jetzt will ich den Rest hören! Die Wahrheit - und nichts als die Wahrheit!”
Der Reesch sah ihn lange an. Er erinnerte sich an ihr Gespräch im Gleiter.
Qui-Gon nahm die Schärfe, aber nicht die Intensität aus seiner Stimme.
,,Die Wahrheit ist nie verkehrt, und ich muss wissen, was du weißt. Nur so
können wir hier noch etwas erreichen!”
Resigniert seufzte der junge Krieger. ,,Jenna hat Recht - der Anführer
ist jemand aus meiner Familie... beziehungsweise - sie sind genau genommen
alle aus unserem Clan.”
,,Wer?”
,,Cathbad. Er ist... mein älterer Bruder.”
,,Weiß euer Vater davon?”
Carnell wandte sich ab und schüttelte den Kopf. ,,Nein. Er denkt, Cathbad ist nach wie vor auf der Suche nach einem weiteren Planeten wie Gestae...
Niemand außer mir weiß, wo mein Bruder in Wirklichkeit ist. Er sollte uns
den Rücken freihalten, er sollte einen weiteren Lösungsweg offenhalten, aber
er geht nun seine eigenen Wege.”
Qui-Gon runzelte die Stirn. ,,Weiß er, dass der Rest eurer Familie...”
,,...tot ist?” Der junge Krieger nickte. ,,Ja. Ich habe es ihm mitgeteilt auf
demWeg hierher.” Er sah den Jedi wieder an. ,,Das war ein Fehler, fürchte
ich. Cathbad hat das Gespräch überraschend beendet. Deshalb will ich auch
nicht, dass mein Vater vom Tod unserer Mutter und seiner Schwester erfährt
- er könnte vielleicht genauso unüberlegt handeln.”
Der Mensch schlüpfte aus seinem weiten Mantel. ,,Nun, wenn dein Bruder
diesen Überfall als Rache oder Vergeltung ansieht, hat er mehr als ‘unüberlegt‘ gehandelt! Was bezweckt er damit?”
,,Das darfst du mich nicht fragen. Ich gebe zu, bevor du die Vermittlung
übernommen hast, war ich auch nicht von einer friedlichen Lösung überzeugt.
Ich dachte nicht, dass das funktionieren würde - aber das ist vielleicht auch
in meiner Erziehung begründet.”
Qui-Gon rollte den Mantel sorgfältig vom unteren Saum bis zur Kapuze
zusammen und band ihn mit den Ärmeln über den Hüften fest. So würde
54
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
er wesentlich schneller - und lautloser - unter den Bäumen vorankommen.
Sein Lichtschwert löste er vom Gürtel und stellte es nun auf Bereitschaft.
Er wünschte tief in einem Inneren, Yoda wäre hier, oder zumindest Mace
oder ein anderer Jedi. Es hätte den Vorteil, dass sie sich nahezu blind aufeinander verlassen konnten, wenn es denn zum Kampf kam, womit Qui-Gon
derweil rechnete. Carnell dagegen kannte er nicht. Er wusste nicht, wie der
junge Reesch sich in typischen Situationen, die er mit Yoda hunderte Male
durchgesprochen, trainiert und auch erlebt hatte, verhalten würde.
Das stark gedehnte Band zu Javall zeigte ihm, dass sie noch weit genug entfernt waren, um die Unterhaltung fortzuführen. Je mehr er über den
jungen Krieger erfuhr, desto besser würde er seine Reaktionen einschätzen
können. ,,Dein Bruder ist ebenfalls ein ausgebildeter Kämpfer?”
Carnell nickte. ,,Ja, aber nicht wie ich. Es ist Tradition, dass ein Sohn
in der klassischen Weise wie seit Jahrhunderten unterrichtet wird, einer aber
mindestens auch in allem, was die moderne Kriegsführung ausmacht. Cathbad war zu letzterem bestimmt. Ich nicht.” Er griff instinktiv nach dem
Blaster, der nun über seiner linken Hüfte hing. ,,Ich kann schießen damit,
aber nicht besonders gut.”
Qui-Gon seufzte. ,,Nun, dann haben wir wenigstens etwas gemeinsam - ich
kann auch schießen, aber ein Lichtschwert ist mir, ehrlich gestanden, lieber!”
Der junge Reesch musterte den Jedi wiederholt. Der schnelle Marsch schien den Menschen nicht sonderlich anzustrengen, obwohl sie nun schon eine
ganze Weile bergan stiegen. ,,Warum kämpft ihr eigentlich mit solch altmodischen Waffen? Wären moderne Präzisionsgewehre in Kombination mit einem
wirksamen Schutzschild nicht sinnvoller?”
Qui-Gon lächelte für einen Augenblick. Jeder Padawan stellte irgendwann
während seiner Ausbildung seinem Meister dieselbe Frage. ,,Es gibt mehrere
Gründe. Den ersten kannst du sicherlich verstehen.”
Carnell verzog das Gesicht. ,,Tradition!”
Der Jedi nickte. ,,Ja. Seit fast zweitausend Jahren tragen die Jedi diese
Waffe. Und sie hat uns selten im Stich gelassen. Der zweite Grund hängt
mit den Grundsätzen zusammen, die wir - solange wir Mitglieder des Ordens
sind - immer befolgen: Das Schwert ist primär eine Verteidigungswaffe - ich
kann Blasterschüsse damit abwehren, aber ich kann nicht selbst schießen.
Ich kann die Energieladung zurück zum Angreifer lenken, wenn mir keine
andere Wahl gelassen wird, aber ich kann ihn nicht ohne sein Zutun derart
attackieren oder töten.”
,,Aber du kannst jemanden damit im Zweikampf töten.”
Der Mensch nickte. ,,Ja, wenn ich muss. Wir bemühen uns allerdings in
solchen Fällen, den Gegner nur soweit zu verletzen, dass er kampfunfähig
ist.”
2.8. KÄMPFER
55
,,Stimmt es, dass ihr nie angreift?”
,,Der Codex sieht es so vor: Wir sollen Leben, Gerechtigkeit und Frieden
verteidigen. Und wir verteidigen die, die sich nicht selbst verteidigen können
- etwa nun die Frauen und Kinder, die keine Ausbildung als Krieger genossen
haben! Aber wir eröffnen in der Regel nicht selbst den bewaffneten Konflikt
- jeder Jedi ist vor allem erst einmal Diplomat und erst danach ein Krieger.”
,,Aber mit dieser defensiven Haltung setzt ihr euch in jedem Konflikt
tödlichen Gefahren aus - was ist, wenn ihr eine Bedrohung zu spät erkennt?”
Sein Begleiter legte den Kopf ein wenig schief. ,,Es kann vorkommen,
doch im Normalfall schützt uns die MACHT davor: Es bilden sich Falten in
ihr, Wellen, schwer zu beschreibende Muster, die mir anzeigen, dass jemand
einen Hinterhalt plant, dass mich jemnd verfolgt oder dass jemand den Blaster zieht.” Er schüttelte den Kopf über den Versuch, diese Empfindungen
äquivalent nachzuzeichnen. ,,Diese Wahrnehmung habe ich immer schon besessen, allerdings kann man dies auch bis zu einem gewissen Grad trainieren.
Und man muss vor allen Dingen lernen, die einzelnen Verzerrungen in der
MACHT richtig zu interpretieren.”
Er blieb einen Augenblick stehen und griff mit Hilfe der MACHT hinaus.
Javall...
Das Echo war stärker. Sie hatten sich dem versteckten Lager der Reesch
schon weit genähert. Sie umgingen im Unterholz eine Lichtung und drangen
noch tiefer in den Wald ein. Schließlich blieb Qui-Gon stehen und sah seinen
Begleiter fragend an.
,,Wie viele werden es sein, was schätzt du?”
Carnell kniff die Lippen zusammen. ,,Zwölf - maximal, ich rechne eher
nur mit acht. Cathbad hat drei eigene Gleiter, aber einen davon haben wir
für die Reise hierher benutzt. Vielleicht hat aber einer seiner Anhänger...”
Qui-Gon nickte. ,,Also mindestens acht, denn mehr als vier Reesch können
nicht mitfliegen?”
Carnell nickte. ,,Ja. Sie können mit den Geiseln nicht von hier weg!”
,,Also brauchen sie ein Lager... und bei der Menge der verschleppten Personen ein ziemlich weites. Sie brauchen Schutz vor Quarz und Sonne, Wasser
und Nahrungsmittel.”
,,Letztere haben sie durch die Überfälle erbeutet!”
Der junge Jedi nickte. Die Bäume würden bei geeigneter Auswahl des
Lagerorts als ein provisorisches Zeltdach Schutz vor den steinhaltigen Regensgüssen bieten. Aber das Wasserproblem blieb. Als sie über die Ansiedlungsgebiete für die Reesch im Ratsgebäude diskutiert hatten, war es ebenfalls Thema gewesen. Qui-Gon erinnerte sich an eine Karte der näheren Umgebung, auf der auch die Wasserstellen verzeichnet gewesen waren. Er ahnte,
welchen Platz Cathbad sich ausgesucht haben dürfte.
56
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
,,Ich denke, ich weiß, wo sie sind... Und das ergibt einen Vorteil für uns!
Wie groß sind die Intervalle, in denen Wachen Bericht erstatten in deinem
Volk?”
Carnell kniff die gelblichen Augen zusammen. ,,Hhm... ich weiß es nicht
genau. Alle halbe Stunde vielleicht... Wieso?”
,,Wenn sie zu acht sind und die Lichtung gewählt haben, die die günstigsten Bedingungen bietet, was Wasser, Start- und Landemöglichkeiten angeht,
haben sie zu wenige Männer, um einen geschlossenen Wächterring aufrecht
zu erhalten: Die Wachen können sich nicht sehen, und wenn wir Glück haben,
auch nicht hören!”
Er sah dem jungen Krieger an, dass dieser begriff. ,,Wenn wir die letzte Meldung abwarten, bleiben uns vielleicht an die dreißig Minuten bis zur
nächsten, um so viele wie möglich von ihnen unauffällig zu überrumpeln!”
Qui-Gon nickte und lächelte grimmig. ,,Je mehr, desto besser!” Er blieb
nun in immer kürzeren Abständen stehen, um mit Hilfe der MACHT festzustellen, ob sie sich dem erwarteten Wächterkranz näherten. ,,Erzähl mir mehr
über deinen älteren Bruder und seine Anhänger. Wie wurden sie ausgebildet,
wie werden sie kämpfen?”
,,Wir alle besuchen die ersten Jahre dieselben Schule, aber dann trennen
sich die Wege sehr schnell. Mit fünf fangen wir an, uns in Selbstverteidigung
zu üben. Dann lernen wir mit einem Blaster umzugehen - ich habe dann
die traditionellen Waffen gewählt: Pfeil und Bogen, ein Langschwert, Seil,
Stock - die Liste ist relativ lang. Es gibt nur eine traditionelle Waffe, die wir
alle behrrschen: den Zeremoniendolch. Genauso, wie wir alle eine moderne
benutzen.”
Sein Begleiter nickte. ,,Den Blaster.”
Carnell nickte. ,,Der Rest der Ausblidung ist für alle ähnlich: Strategie,
Taktik, Logistik.” Er seufzte. ,,Wie ich schon einmal sagte: Wir sind ein
ziemlich kriegerisches Volk geblieben, trotz Demokratie und Hyperantrieb
immer auf die Tradition bedacht! Egalität hat einen großen Wert in unserer
Gesellschaft: Jeder muss seinen Beitrag zur Verteidigung leisten, auch unsere
Frauen. Wir machen in der Ausbildung keinen Unterschied zwischen den
Geschlechtern. Cathbad allerdings...” Er zögerte.
Qui-Gon ahnte die Antwort. ,,Dein Vater hat ihn zum nächsten Familenoberhaupt bestimmt, nicht wahr?” Carnell nickte leicht. ,,Und Cathbad
ist ein hevorragender Krieger?”
Wieder nickte der jüngere Bruder. ,,Und ein begnadeter Stratege. Eines
darfst du nie vergessen: Er hat immer mehr als einen Plan. Wenn der ursprüngliche nicht funktioniert, hat er immer einen Ausweg eingebaut - du
darfst ihn nie unterschätzen!”
,,Ich muss noch etwas wissen, Carnell.” Der Jedi blickte ihn ernst an. ,,Wo
2.8. KÄMPFER
57
seid ihr verletztlich? Wo muss ich einen Reesch treffen, um ihm kampfunfähig
zu machen, aber nicht zu töten?”
Carnell nickte nachdenklich. ,,Wir unterscheiden uns zwar etwas von den
üblichen Humanoiden, aber eines haben wir mit ihnen gemeinsam: Wenn
die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrochen wird, verlieren wir relativ
schnell das Bewusstsein - und sogar für länger als ihr Menschen. Wenn wir die
Wächter von hinten erwischen können und diesen Punkt,” er fuhr mit dem
Daumen über den rechten Halsmuskelstrang, ,,erwischen, haben sie wahrscheinlich nicht einmal mehr die Chance zu schreien! Die Luftröhre verläuft
im Inneren des Muskels. Also so fest drücken, wie Du kannst!”
Qui-Gon trat hinter ihn und legte den Arm vorsichtig um Carnells Hals.
Der junge Krieger führte seine Hand an den wunden Punkt, und der Jedi
presste zu. Als er spürte, wie der Reesch sich wehrte, begriff er das Problem: Der die Luftröhre umgebende Muskel konnte unter Spannung dem
Druck einer menschlichen Hand mühelos standhalten - das Opfer musste
wirklich überrascht werden! Carnell wandte sich um und legte seine linke
Hand über den unteren Bauch. ,,Hier sitzt unser Herz - wenn Du sie nicht
sofort kampfunfähig machen kannst, Qui-Gon, dann töte sie!” Als er die
Abwehr in den Zügen des Jedi sah, bekam seine Stimme einen drängenden
Unterton. ,,Sie werden nicht zögern, Dich zu töten - Cathbad hat nun nichts
mehr zu verlieren, und Du als Jedi und Vermittler stehst ihm nur im Wege!”
Sein Begleiter nickte nachdenklich. ,,Ich werde daran denken!” Dann sah
er auf den Holster des Blasters, der über dem linken Bein hing. ,,Du bist
Linkshänder?”
Carnell nickte. ,,Mein Bruder weiß das natürlich, aber die anderen vielleicht nicht!”
Langsam und bedacht, nun keinen Laut mehr im Unterholz zu machen,
schlichen sie weiter. Nach einer weiteren Viertelstunde blieb Qui-Gon abrupt
hinter einem umgestürzten Baum hocken. Er schloss die Augen und flüsterte
dann nur noch. ,,Ein einzelner Reesch - etwa zehn Meter vor uns.”
Sein Mitstreiter nickte und bedeutet mit zwei Handbewegungen, dass er
den Wächter von links, Qui-Gon ihn von rechts umgehen sollte. Der Jedi hielt
ihn fest. ,,Wir warten. Wir warten, bis die Ablösung oder der nächste Bericht fällig war! Ich kann spüren, wenn ein weiterer Reesch sich ihm nähert!”
Carnell nickte.
Sie brauchten nicht lange zu warten, ihre Vermutung war korrekt gewesen:
Ein anderer Reesch näherte sich von links, blieb einen Augenblick bei dem
Wächter, entfernte sich an die Richtung, in der die beiden den nächsten
Wächter vermuteten. Vorsichtig trennten sie sich und näherten sich ihrem
Gegner von entgegengesetzten Seiten. Als Qui-Gon den jungen Krieger hinter
dem Wächter spürte, zündete er sein Lichtschwert. Allein der zischende Laut
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
lenkte die Aufmerksamkeit des Reesch in seine Richtung. Mit einem Sprung
war Carnell hinter ihm. Und während sein Gegner noch in das glühende
grüne Licht der Klinge starrte und seinen Blaster ruckartig hob und auf
den Jedi zielte, hatte der junge Krieger den schwachen Punkt erwischt und
brutal zusammengepresst. Augenblicke später sank der Wächter bewusstlos
zu Boden. Qui-Gon half ihm, den Mann mit dessen Gürtel zu fesseln und mit
einem Stück Kleidungsstoff zu knebeln.
Dann huschten sie lautlos auf dem Trampelpfad hinter dem anderen
Reesch her, der sie zum nächsten Wächter führte. Als der Meldegänger so
weit entfernt war, dass Qui-Gon ihn kaum noch erahnen konnte, teilten sie
sich wieder und überwältigten auch den zweiten Reesch auf dieselbe Weise. Der Jedi schätzte die Entfernung zwischen den beiden Wächtern. Sein
Stimme war kaum ein Flüstern.
,,Wenn sie zu acht sind, kann nur einer, vielleicht Cathbad selbst, bei den
Geiseln sein. Oder sie decken nicht den gesamten Außenkreis ab.”
Carnell verzog das Gesicht. ,,Selbst wenn sie die Geiseln fesseln, einen
einzigen Mann allein zurückzulassen birgt großes Gefahrenpotential in sich,
und mein Bruder ist nicht leichtsinnig! Gehen wir lieber von zwölf Gegnern
aus!”
Qui-Gon nickte, und sie schlichen weiter. Auch der nächste Wachposten
ließ sich überrumpeln. Vorsichtig folgten die dem Trampelpfad weiter, doch
dann blieb der Jedi auf einmal stehen. Seine Augen weiteten sich. ,,Er kommt
zurück! Schnell, ins Unterholz!” Sie verbargen sich, einer rechts, einer links
vom Pfad, im Gestrüpp und warteten. Keine Minute verstrich und der Meldegänger - oder der nächste Wachposten? - erschien zwischen den Bäumen.
Aufmerksam sah er sich um. Der Mensch versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Manche Spezies reagierten auf die Gegenwart eines
trainierten Jedi, andere Personen spürten, wenn ein Jedi ihre Sphäre berührte. Vielleicht hatte Qui-Gons wiederholter Kontakt den Reesch misstrauisch
gemacht. Er wusste zu wenig über Carnells Volk, um sich seiner selbst hundertprozentig sicher zu sein. Der Reesch blickte zurück in die Richtung, in
der der bewusstlose Wächter lag. Einen Augenblick starrte er noch in das
dichte Unterholz, dann wandte er sich wieder der anderen Seite des Pfades
zu.
Qui-Gon wollte schon erleichtert aufatmen, als der Reesch sich wieder
umwandte und zurückrief: ,,Cawatz?”
Er erwartete eine Antwort, die nicht möglich war...
Carnell erhob sich im Unterholz auf der anderen Seite. Er sprach in einer
tiefen Tonlage, damit seine Stimme nicht weit durch den Wald hallte. ,,Nein,
Collel, ich bin es.”
Der andere Reesch fuhr überrascht herum und richtete den Blaster auf
2.8. KÄMPFER
59
Qui-Gons Gefährten. Er erkannte den Reesch. ,,Carnell!!”
Der nickte.
Lautlos erhob sich Qui-Gon und näherte sich dem Meldegänger. Es war
ein Risiko, aber er hängte das Laserschwert an den Gürtel und hob vorsichtig
die Arme, um seinen Hals zu erreichen.
,,Was machst Du hier?”
,,Ich will zu meinem Bruder!”
Qui-Gon sprang und erwischte den Reesch - doch er rutschte auf der hornigen Haut seines Gegners ab. Bis er den Griff ansetzen konnte, hatte Collel
die Halsmuskeln angespannt. Er hob den Blaster und zielte auf Carnell, doch
der hatte seine Waffe hinter dem hüfthohen Gestrüpp verborgen bereitgehalten. Er zielte und schoss. Qui-Gon fühlte, wie das Leben aus dem Reesch
wich, wie ein Stein sank Collel zu Boden, Blut lief in einem dicken Strom aus
seinem Bauch auf das unter ihm liegende Laub und Gras. Wütend starrte
der Jedi seinen Mitstreiter an. ,,War das wirklich nötig?”
Carnell schnaubte leise. ,,Ich sagte bereits, dass sie nicht lange zögern
werden, uns zu töten. Wenn du ihn richtig erwischt hättest, wäre ich nicht
gezwungen gewesen, ihn zu erschießen!” Er kniete nieder, entnahm dem Blaster die Energiezelle und warf sie weit ins Unterholz, die Waffe in eine andere
Richtung. Dann hob er die linke Hand und schloss vorsichtig die gelbbraunen
Augen des Toten, in denen noch der Unglaube über Carnells Schuss schimmerte. ,,Wir haben schon als Kleinkinder zusammen gespielt... Er war mein
Freund...” Er sah den Menschen grimmig an. ,,Der Preis für diesen Frieden
steigt allmählich in schwindelerregende, astronomische Höhen, Jedi!!”
Qui-Gon wusste nicht, was er sagen sollte. Schweigend sah er zu, wie
Carnell unter dern Lederpanzer des Toten griff und ein Amulett hervorholte.
Er nahm es Collel ab und streifte es sich selbst über den Kopf. ,,Es tut mir
leid!”
,,Mir auch...” Carnell ließ das Amulett unter seinen eigenen Panzer gleiten. Er sah die Bestürzung des Jedi und lächelte grimmig. ,,Ich wusste, dass
einige meiner Freunde hierbei sterben würden - aber ich hatte gehofft, dass
nicht unbedingt Collel der erste sein würde, den ich töten muss...” Er seufzte. ,,Ich bin nur froh, dass meine Schwester auf Reesch umgekommen ist.
Ich denke nicht, dass ich es fertiggebracht hätte, ihr zu sagen, dass ich ihren
Mann getötet habe...”
Er starrte noch ein paar Sekunden in das Gesicht des Toten und holte
dann tief Luft, wandte sich zu Qui-Gon um, der noch immer die letzten
Informationen verdaute. ,,Für Trauer und Entsetzen ist nun kaum der richtige
Zeitpunkt - wir müssen weiter!”
Er hatte Recht - der Tod des Meldegängers würde schnell bemerkt werden.
Wahrscheinlich war der nächste Posten schon jetzt in Alarmbereitschaft, da
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Collel überfällig war. Außerdem war der Blasterschuss möglicherweise im
Lager, aber sehr wahrscheinlich vom nächsten Wachposten gehört worden.
Schnell und lautlos glitten sie durchs Unterholz. Und mussten feststellen,
dass ihre Befürchtungen Realität wurden. Im Umkreis, wo der nächste Posten
hätte sein sollen, war niemand mehr. Dafür spürte Qui-Gon aus dem Rund,
das sie bislang entlang geschlichen waren, mehrere Personen kommen. Sie
waren noch zu weit entfernt, als dass es ihm möglich gewesen wäre, ihre
genaue Anzahl festzustellen. Aber sie kamen unaufhaltsam näher. Die beiden
Männer blieben hinter einem hohen Gesträuch knien. Schließlich seufzte QuiGon.
,,Sie sind zu sechst, besorgt, aber nicht übermäßig überrascht...”
Carnell verzog das Gesicht. ,,Ich sagte ja schon, mein Bruder ist nicht
dumm. Er hat bestimmt erwartet, dass irgendwann jemand versuchen wird,
die Geiseln zu befreien.” Er sah den Jedi durchdringend an. ,,Sie werden
nicht lange zögern, uns zu töten, wenn sie erfahren, dass Collel tot ist. Wenn
du zögerst, Qui-Gon, ist das eventuell dein Todesurteil!”
Der Mensch nickte nachdenklich, auch wenn er im Innersten nicht von
Carnells Argumentation überzeugt war. Er nahm sein Lichtschwert in die
rechte Hand und überquerte den schmalen Trampelpfad vor ihnen. Der Reesch
blieb hinter ihm zurück. Schweigend warteten sie auf die Geiselnehmer.
Die Sechs kamen nicht geschlossen über den Pfad - offenbar ahnten sie
den Hinterhalt. Nur zwei bewegten sich vorsichtig zwischen Qui-Gon und
Carnell, die anderen spürte der junge Jedi neben sich, andere rechts von
seinem Begleiter. Wenn einer der Geiselnehmer sie entdeckte, waren sie nun
einerseits quasi umzingelt, andererseits voneinander isoliert.
Der Mensch war sich noch immer nicht sicher, ob sein Griff in die MACHT
Collels Aufmerksamkeit erregt hatte oder ob die Reesch überhaupt empfänglich für diese Art der Beeinflussung waren, aber er schloss die Augen und
konzentrierte sich auf den Gegner, der ihm am nächsten war. Die MACHT
durchlief ihn wie ein Fluss, dann spürte er das Bewusstsein des Reesch, schickte eine Welle mit einer einfachen Botschaft aus.
Und sein Gegner reagierte!
Er fuhr herum und starrte in Qui-Gons Richtung, ganz so, als hätte dieser ihn wirklich berührt. Doch natürlich konnte er niemanden sehen - nur
undurchdringlich scheinendes Blätterwerk. Einen Augenblick fixierte er die
Lücken zwischen den Bäumen, dann setzte er seinen Weg durch das Unterholz
fort. Qui-Gon schickte eine zweite Erschütterung.
Der Krieger zog seinen Blaster und kämpfte sich alarmiert durch das
dichte Gesträuch zu seiner Linken. Als er direkt vor Qui-Gon war, zündete
dieser sein Schwert und schlug in einem kurzen Bogen den Blaster in zwei
Teile, traf mit der linken Hand und der MACHT seinen Gegner am Hals. Der
2.8. KÄMPFER
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Reesch sackt bewusstlos zu Boden. Ohne zu zögern fesselte der junge Jedi
ihn und knebelte ihn. Dann lauschte er wieder in die Ruhe um sich. Gut keiner der anderen Fünf war aufmerksam geworden. Und er hatte nun den
Rücken frei, soweit man das in dieser Situation überhaupt behaupten konnte.
Lautlos näherte er sich einem weiteren Reesch, der sich in der Zwischenzeit rechts von ihm vorbei gearbeitet hatte. Er berührte den Verstand seines
Gegners, als sie nur noch ein halber Meter trennte, und brachte ihn so dazu,
sich im richtigen Moment umzuwenden - der Blaster fiel in zwei Teile auseinander - und Qui-Gon richtete die Spitze seines Lichtschwerts auf die Brust
des Reesch.
,,Keinen Laut!” Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber von
tödlicher Entschlossenheit. Der Krieger starrte ihn mit brodelndem Hass in
den gelben Augen an. Qui-Gon bedeutete ihm, sich umzudrehen. Der Reesch
gehorchte, doch als der Jedi ihn fesseln wollte, griff sein Gegner über die
Schulter und fasste nach seiner Tunika. Qui-Gon reagierte, aber der andere
war ihm an Körperkraft überlegen. Einige Sekunden rangen sie, doch dann
warf der Reesch ihn über die Schulter und stieß mit dem schweren Stiefel sein
Lichtschwert aus seiner Hand. Der Jedi sah durch die MACHT Bruchteile
von Sekunden, bevor es wirklich geschah, wie sein Gegner den Dolch zog und
zustach - er warf sich zur Seite und umklammerte die Beine des Reesch. Der
andere ging ebenfalls zu Boden, stieß dabei einen Kampfschrei aus.
Irgendwo auf einer zweiten Ebene bedauerte Qui-Gon einen kurzen Augenblick, dass damit ihr Überraschungsmoment unwiederbringlich dahin war
- doch gleichzeitig versuchte er, die Arme des Reesch festzuhalten. Aber der
Mann war hervorragend ausgebildet und konnte sich ihm entwinden.
Qui-Gon spürte, wie ein zweiter Mann sich ihnen näherte. Er seufzte
innerlich und griff mit der MACHT nach seinem Lichtschwert, dass nur einen
Meter weit fort geflogen war. Noch einmal rollte er sich zur Seite, als der
Reesch sich nun auf ihn stürzen wollte. Dann hielt er seine Waffe wieder in
der Hand, zündete sie und schlug nach dem Hals des Angreifers. Sekunden
später war der Reesch tot. Qui-Gon fühlte den dritten Krieger von hinten
nahen, sprang hinter einen Baum und ließ den Reesch mit den Beinen in
seine Klinge laufen. Der Gegner stolperte vor Schmerz schreiend, und der
junge Jedi schlug ihm mit dem Schwertgriff über den Hinterkopf. Auch dieser
Geiselnehmer sank bewusstlos zu Boden. Qui-Gon fesselte und knebelte ihn
hastig und suchte mit Hilfe der MACHT nach Carnell...
Er spürte noch immer zwei Reesch, war sich aber sicher, dass der eine
sein Begleiter war. Doch Carnell befand sich in tödlicher Gefahr... Hinter ihm
näherte sich langsam der letzte ihrer Gegner, und sein Freund schien keine
Ahnung zu haben, dass Cathbads Männer ihn zu Beginn umkreist hatten.
Qui-Gon rannte durch das Unterholz auf Carnell zu und wünschte nichts
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
mehr, als dass der junge Mann ein Jedi wäre - dann hätte er ihn mühelos
und vor allem lautlos warnen können. So blieb ihm nur der Ruf durch den
Wald: ,,Carnell, hinter dir!”
Der Krieger war bereits bei den sich nähernden Geräuschen halb hinter
seiner Deckung aufgestanden, als er seinen Gefährten erkannt hatte - und er
bot so ein ideales Ziel...
Durch den Ruf des Jedi wandte er sich um und bot dem Schützen nur
das Profil, aber der Schuss traf ihn trotzdem mit voller Wucht.
Carnell schrie und schoss gleichzeitig im Reflex den Angreifer nieder, griff
dann nach dem rechten Arm, ließ den Blaster fallen. Als Qui-Gon ihn erreichte, kniete er am Boden und starrte auf den abgerissenen Armstumpf.
Blut lief in einem einzigen, heftigen Strom über seine Seite. Der junge Jedi
verschwendete keine Zeit. Er nahm seinen Gürtel und hoffte, dass das Blutgefäßsystem der Reesch ähnlich arbeitete wie das menschliche: Er band die
klaffende Wunde ab. Dann zündete er sein Lichtschwert. Erwartungsvoll und
fragend sah er seinen Gefährten an. Er brauchte die Zustimmung des Verletzten. Carnell starrte noch immer benommen auf das abgetrennte Glied auf
dem Boden - und ihm wurde klar, dass hier mitten im Wald an eine Rettung
der Hand nicht zu denken war: Entweder verblutete er vorher, oder die Hand
starb auf dem Weg zurück zur Siedlung ohne Kühlung ab - wahrscheinlich
war eine Kombination von beiden Möglichkeiten, wenn er zögerte. Er stieß
die nächsten Worte zwischen den Zähnen hervor.
,,Fangt an - tut, was nötig ist!”
Qui-Gon schob ihm ein Aststück zwischen die Zähne und verschloss die
blutende Wunde schnell mit der Klinge seines Schwertes. Carnell verlor stöhnend
das Bewusstsein, als die gleißende Klinge den Stumpf zischend versiegelte.
Schnell und vorsichtig löste der Jedi den Gürtel, versicherte sich, dass die
Brandstelle den Blutfluss tatsächlich eingedämmt hatte. Dann hob er den
Blaster auf, steckte ihn in seine Schärpe, legte den Gürtel wieder um und
hängte das Lichtschwert daran. Vorsichtig nahm er seinen Gefährten in die
Arme und bewegte sich durch das Unterholz in Richtung Camp. Kurz vor
der eigentlichen Lichtung blieb er keuchend stehen, bettete den Verletzten
unter einem Baum auf einen Haufen Quarz und Laub. Er löste den Mantel
über seinen Hüften und breitete ihn über Carnell. Der junge Reesch schlug
zitternd die Augen auf. Qui-Gon legte ihm den Blaster unter die linke Hand.
,,Wie viele hast Du erwischt?”
Der Verletzte umkrallte die Waffe. Seine Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern. ,,Zwei...”
,,War dein Bruder unter ihnen?”
Er schüttelte den Kopf.
Qui-Gon lächelte grimmig. Also zwölf Reesch - oder sogar mehr, denn
2.9. DUNKLE SEITEN
63
neun hatten sie nun erwischt. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, schloss
die Augen. Carnell spürte, wie der Jedi ihm einen Teil der Schmerzen nahm
und ihm Kraft gab. Heftig atmend starrte der Mensch ihn an. ,,Die Erleichterung wird nicht lange anhalten, befürchte ich.” Er legte seine rechte Hand auf
Carnells Linke, unter ihren neun Fingern der Blaster. ,,Halt mir den Rücken
frei!”
Der Reesch nickte ihm zu und griff nach der Hand des Jedi. Sein Blick
war trotz der Schmerzen fest. ,,Möge die MACHT mit dir sein!”
Qui-Gon neigte den Kopf in Respekt vor dem jungen Krieger und erhob
sich. ,,Und mit dir!”
2.9
Dunkle Seiten
Javall spürte, dass Qui-Gon auf der Suche war. Und je mehr Zeit verstrich,
desto näher kam er ihr und den anderen Geiseln. Auf der einen Seite stimmte
sie das froh, aber auf der anderen versuchte sie nun verzweifelt, dies vor
Cathbad zu verbergen. Er musterte sie öfter, als ihr lieb war. Warum auch
immer - vielleicht weil sie sich von ihm nicht wirklich einschüchtern ließ ? -,
er hatte sie in seiner Nähe behalten seitdem er sie vom Festplatz mitgezerrt
hatte. Seine mehr braunen als gelben Augen bohrten sich in ihre Seele. Sie
starrte an ihm vorbei, konzentrierte sich auf das immer stärker vibrierende
Band zwischen sich und dem jungen Jedi.
Qui-Gon erreichte den Rand der Lichtung. Leise schlich er im dürren
Unterholz in Richtung der drei zusammenstehenden Gleiter. Jetzt konnte er
sich nur noch auf seine Augen verlassen, denn er wusste seit dem Kampf,
dass die Reesch es spürten, wenn ein Jedi mit Hilfe der MACHT nach ihnen
suchte.
Die gleißende Sonne hatte beinahe den höchsten Stand erreicht. Qui-Gon
blieb im Schatten eines der Bäume hocken und beobachtete die kaum mehr
zehn Meter entfernten Gleiter. Wenn seine und Carnells Überlegungen richtig
waren, hatte er es nur noch mit drei Reesch zu tun - nur noch... Er wartete.
Javall saß auf einer umgestürzten Frachtkiste im nun extrem schmalen
Schatten des hinteren Gleiters. Mittagszeit... Die Reesch hatten ihr wie allen
anderen Geiseln die Hände zusammengebunden und um die Fußgelenke ein
zwar lose sitzendes, aber eine wirkungsvolle Gehbehinderung abgebendes Seil
gelegt. Sie musterte den Anführer der dezimierten Gruppe.
Cathbad trug dasselbe fettige, schwarze Haar wie sein jüngerer Bruder,
doch seines war kurz geschnitten, kaum länger als ein Fingernagel ihrer Hand.
Ein silbernes Band lag zu einer Kordel gedreht über seiner Stirn, auf dem Hinterkopf verknotet. Wie alle Reesch, die sie in diesem Lager gesehen hatte, trug
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
er einen ledernen Overall, über dem eine Art Kettenhemd lag, zusammengehalten durch einen aus kunstvoll bearbeiteten schmalen Platten bestehenden
Gürtel. Einen Blaster über der rechten Hüfte, einen zweiten, leichteren an den
linken Unterarm gebunden, schritt er mit hinter dem Rücken verschränkten
Händen im grellen Licht auf und ab.
Er wartete auf die Rückkehr des Spähtrupps. Javall spürte, dass Qui noch
lebte, aber er war beunruhigt - irgendetwas war schief gegangen, sie konnte
es fühlen...
,,Es läuft wohl nicht alles nach Plan, was?”
Cathbad wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu.
,,Der Verlust eines oder zweier Wachposten war durchaus im Bereich des
Wahrscheinlichen!”
Javall schnaubte. ,,Sie haben also allen Ernstes den Tod eines ihrer Kameraden von vornherein in Kauf genommen? Unglaublich!”
Cathbad lächelte verzerrt. ,,Ich habe damit gerechnet, nicht mehr, nicht
weniger. Geplant habe ich es nicht!” Er starrte in den Himmel, versuchte
anhand des Sonnenlaufs abzuschätzen, wie lange der Trupp schon fort war
- definitiv zu lange, als dass alles in Ordnung war. Mehrere Blasterschüsse
waren aus dem Wald über die Lichtung gehallt. Cathbad fixierte den Waldsaum, so, als könne er auf diese Weise dafür sorgen, dass seine Männer endlich
zurückkamen. ,,Mach schon, Collel!”
Die junge Frau lächelte süffisant. ,,Er wird nicht kommen...”
Der Reesch drehte sich wieder zu ihr um - genau das hatte Javall mit ihrer
spitzen Bemerkung erreichen wollen. Je weniger er den Waldsaum beobachtete, desto größer die Chance, dass Qui-Gon unentdeckt näher herankam.
,,Woher willst du das wissen?”
,,Er ist zu lange überfällig! In den letzten sechs Stunden war er nie derart unzuverlässig. Er ist tot!SSie lächelte schief. ,,Vielleicht hast du deinen
Gegner unterschätzt!?”
Er sah wieder zurück zum Waldsaum. ,,Vielleicht...” Er stemmte die
Hände in die Hüften und dachte nach. ,,Ich könnte wetten, es ist der Jedi!” Wieder dachte er nach, trat dann auf Javall zu. Er griff unter ihr Kinn,
zwang sie, in seine gelblich braunen Augen zu sehen. Es gelang ihr nicht,
ihre Angst um Qui-Gon aus ihrem Blick zu verdrängen. Der Reesch lächelte
grimmig. ,,Jaaaa... es ist der Jedi - und er kommt wegen dir, junge Dame!”
Er griff in den rechten Stiefel, zog einen kunstvoll verzierten Dolch hervor,
durchschnitt ihre Fußfesseln und zerrte sie hoch. ,,Nun, dann wollen wir mal
dafür sorgen, dass er nicht umsonst gekommen ist!” Er riss sie mit sich in die
Deckung zwischen den beiden anderen Gleitern, presste ihr eine Hand über
den Mund, zog mit der anderen den Blaster, nicht, ohne vorher den Dolch
wieder gut versteckt zu haben.
2.9. DUNKLE SEITEN
65
Qui-Gon hatte einen der verbliebenen Reesch von hinten außer Gefecht
setzen können. Aber er wusste nicht, wo die letzten beiden waren. Die drei
Gleiter standen zu einem Dreieck formiert nahe des Randes der Lichtung, die
sich am Heck befindenden Türen einander zugewandt, in ihrer Mitte einen
aus allen drei Schiffen gut überschaubaren Platz bildend. Er hatte den dritten
Mann außerhalb des linken Fliegers betäubt und unter der Landestütze, so
gut es möglich war, versteckt. Doch die anderen beiden hielten sich womöglich
innerhalb der Gleiter auf - höchstwahrscheinlich mit mehr als einer Geisel.
Er hatte noch immer nicht herausgefunden, wo sich die verschleppten Gestae
eigentlich befanden. Und ihre Entführer waren gewarnt... Das ergab ein sehr
großes Risiko, für ihn selbst genauso wie für die Geiseln.
Vorsichtig schlich er um die nächste Ecke, spähte über den brütend heißen
Platz. Nichts...
,,Hey!”
Er fuhr herum, zündete im gleichen Augenblick sein Lichtschwert.
,,Hier drüben, Jedi!!”
Ihm gefror das Blut in den Adern.
Fünfzig Schritte entfernt stand - unverkennbar Carnells Bruder - ein einzelner Reesch, die Mündung seines Blaster gegen Javalls Schläfe gepresst.
,,Deaktivier dein Zauberschwert und wirf es hier rüber!”
Qui-Gon senkte die Klinge nicht. Er starrte den Reesch an, versuchte ihn
mit Hilfe der MACHT zu beeinflussen. Doch der Anführer schnaubte. ,,Tu
es - oder sie stirbt!” Er krümmte den Finger über dem Abzug.
Der junge Mann presste die Lippen aufeinander und berührte den roten
Schalter seiner eleganten Waffe. Die Angst um Javalls Sicherheit ließ ihn
vorerst nachgeben. Sorgfältig zielend warf er den schlanken Griff direkt vor
Cathbads Füße. Ohne dass der Reesch ihn dazu auffordern musste, hob er
beide Arme, legte die Hände hinter seinem Kopf übereinander. ,,Lass die
Frau gehen, Cathbad.”
Der Reesch schnaubte verächtlich. ,,Du musst mich für sehr töricht halten!”
Qui-Gon ging vorsichtig einen Schritt auf seinen Gegner zu, ließ ihn nicht
aus den Augen. ,,In der Tat, das tue ich.” Er bemerkte das Stutzen seines
Gegenübers. Ruhig redete er weiter, noch einen Schritt vorwärts gehend.
,,Inwiefern?”
Noch ein Schritt.
,,Du riskierst die sichere Rettung der Reste deines Volkes.”
Cathbad schnaubte. ,,Es gibt keine Lösung außer dieser! Wir werden diesen Planeten bekommen, so viel steht fest!”
Ein weiterer Schritt.
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
,,Deine sinnlose und unnütze Aktion hat die Unterzeichnung eines Vertrages, der ein Asyl deiner Leute hier garantiert hätte, verhindert! Deinetwegen
werden weitere Mitglieder deiner Familie auf Reesch sterben!”
Einen Augenblick schien er den Anführer mit seinen Worten zu erreichen,
doch dann sah er, wie sich der Griff um Javalls Schultern verstärkte. ,,Ich
glaube dir kein Wort, Jedi! Es wird nie einen Vertrag geben, der uns eine
lebenswerte Zukunft sichern könnte. Wie sollen wir unsere Kultur bewahren,
wenn wir diese Wüste hier mit solchen Gestalten wie ihr teilen sollen?!”
Wieder ein Schritt näher an Javall und sein Lichtschwert heran. Qui-Gon
irritierte der dunkle Hass, der ihm von Cathbad entgegenwallte. Wie sehr
dieser Mann sich von seinem jüngeren Bruder unterschied! Noch ein Schritt.
,,Der Vertrag war gut. Er hätte euch allen eine Zukunft eröffnet. Lass sie
und die anderen Frauen und Kinder gehen, dann sehen wir weiter.”
Er setzte noch einen Schritt weiter, doch nun hatte der Reesch ihn durchschaut. Ruckartig richtete er den Blaster auf Qui-Gon. Javall zog scharf die
Luft ein, wehrte sich gegen den harten Griff des Anführers. ,,Nicht schlecht,
Jedi, aber jetzt bleibst du besser stehen!” Cathbad zielte wieder auf Javall.
,,Oder deine kleine Freundin hat kein Gesicht mehr!”
Qui-Gon spürte kalte Wut in sich. Seine Wangenmuskeln malten, als er
knapp drei Meter vor Cathbad stehen blieb. Vorsichtig öffnete er die rechte
Hand hinter seinem Kopf... langsam hob er die linke, machte eine abwehrende
Geste, um Cathbad einerseits zu täuschen, andererseits azulenken. ,,Schon
gut, ich bleibe hier stehen.”
Der Reesch spürte wieder, dass der Jedi die MACHT zu irgendetwas nutzte, doch er ahnte nicht wozu. Qui-Gon senkte die rechte Hand noch etwas
weiter die Wirbelsäule entlang nach unten.
Später konnte er nie genau sagen, in welcher Reihenfolge die Dinge abgelaufen waren, doch in dem Augenblick, in dem er Javalls Laserschwert mit
Hilfe der MACHT aus seiner Bauchschärpe gezogen hatte und in der Hand
hielt, versuchte die junge Frau sich auf einmal mit aller Kraft aus Cathbads
Arm zu drehen. Er spürte ein helles Auflodern ihrer Angst in sich. Über
ihr Band sah er den zweiten Reesch durch ihre Augen. Während Cathbad
fluchte und versuchte, die menschliche Frau wieder vor die Blastermündung
zu zerren, fuhr Qui-Gon herum, zündete die schwachgrüne Klinge - doch zu
spät...
Der erste Schuss traf in mitten in die rechte Schulter. Javall und ihr
Geliebter schrien gleichzeitig auf. Der Jedi konnte das Schwert gerade noch
in die linke Hand wechseln, bevor der zweite Reesch ein weiteres Mal schoss.
Doch dieses Mal gelang es dem Jedi, den tödlichen Strahlenblitz abzulenken,
so abzulenken, dass er den Angreifer dort traf, wo nach Carnells Angaben das
Herz des Kriegers saß. Die Energie fraß sich durch Kettenhemd und Leder,
2.9. DUNKLE SEITEN
67
der Reesch fiel sterbend zu Boden.
Javall versuchte noch immer, gegen Cathbad die Oberhand zu gewinnen,
doch es war ein ungleicher Kampf. Der Reesch schlug ihr mit dem Blaster
quer über das Gesicht, sie stürzte halb hinter ihm in den Sand.
So wie sie seinen Schmerz gespürt hatte, fühlte er ihren. Rasent vor Wut
wandte der junge Jedi sich um, holte aus.
Cathbad schoss auf ihn.
Qui-Gon lenkte den Energiestrahl geschickt ab, umfasste den kurzen Schwertgriff mit beiden Händen, ignorierte den wütenden Schmerz in der verletzten
Schulter. Weit holte er aus und schlug zu.
Der Reesch duckte sich unter dem Hieb fort, aber mit Hilfe der MACHT
schlug der Jedi ihm den Blaster aus der Hand. Doch nur Bruchteile von
Sekunden später hatte der Krieger den Armblaster gezogen und versuchte
wiederholt, dieses Mal auf die junge Frau, zu schießen. Qui-Gon sprang auf
ihn zu, trat ihm die Waffe brutal aus der Hand. Der Reesch stürzte über
Javall und starrte den Jedi überrascht an. Der holte wieder weit mit dem
Lichtschwert aus, bereit, Cathbad den Kopf vom Körper zu trennen. Die
MACHT durchlief ihn wie heißes Feuer - und dann mit einem Mal eisig
kalt...
Überrascht hielt Qui-Gon inne.
So hatte er die MACHT noch nie gespürt. Alles in ihm schrie danach, den
Reesch nun zu töten. Doch er hörte auf einmal die Stimme seines Meisters
in sich, so, als wäre Yoda nun hier und stände neben ihm: ,,Angst führt zu
Wut, Wut führt zu Hass, und Hass zu unendlichem Leid!”
Qui-Gon erkannte schlagartig, wie weit er auf diesem Weg zur dunklen
Seite der MACHT schon gegangen war: Erst Angst, dann Wut, jetzt Hass...
Der Hass auf den Anführer hatte es ihm ermöglicht, trotz der schweren Verletzung Cathbad niederzuringen. Das Schwert noch immer zum tödlichen Hieb
erhoben, starrte er in die aufgerissenen Augen des Reesch, sah den Tod darin, die Angst des Mannes vor dem Sterben. Die Erkenntnis, Ursache dieser
Angst zu sein, traf ihn wie ein Fausthieb. Noch immer bereit, den mächtigen
Gefühlen in sich nachzugeben, versuchte er nun doch, sie zu bekämpfen, sich
klarzumachen, woher die Angst gekommen war...
Er sah Javall halb unter dem Krieger liegen...
Beinahe hätte er sie verloren...
Nur wenige Sekunden später fiel das Gebäude aus Angst, Wut und Hass
in ihm zusammen - und mit ihm seine Kraft. Es gelang ihm gerade noch, das
Laserschwert zu deaktivieren, bevor der Griff ihm aus der mit einem Male
tauben Hand fiel. Der volle Schmerz der Schusswunde traf ihn. Er war nicht
vorbereitet darauf, er war zu verwirrt über seine Gefühle, zu erschöpft nach
dem Kampf, um sich auf die erlernten Techniken der Jedi zu besinnen, die
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KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
es ihm erlaubt hätten, die Waffe weiter zu führen.
Javall, die noch immer halb unter, halb hinter Cathbad lag, sah die
Qual in Qui-Gons Augen aufleuchten, ihre Verbindung zu ihm war durch
die körperliche Nähe so stark, dass auch sie seinen Schmerz fühlte. Sie sah
den Schwertgriff fallen, bevor es geschah, sie sah auch schemenhaft, wie ihr
Geliebter vor Pein zusammensank - und in tödliche Gefahr geriet.
Cathbad griff in den rechten Stiefel, und Javall erinnerte sich an die zeremonielle Klinge. Sie wusste, dass sie nicht die Kraft hatte, ihn aufzuhalten,
wenn sie ihm nur mit gefesselten Händen in den Arm fiel. Ein paar Sekunden
Aufschub würden Qui-Gon nicht helfen. Dann glitt ihr Blick auf die im Quarz
und Laub liegenden Schwerter ihres Geliebten. Ihr Hände lagen frei neben
Cathbads Seite. Javall schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Band
zwischen ihnen und die ihr so fremde MACHT dahinter. Der Reesch stemmte
sich hoch, um zuzustechen, und gab ihren Unterkörper damit ebenfalls frei.
Sie spürte das noch warme und feuchte Metall eines der Schwerter unter ihren Fingern, sah auf, aktivierte die Klinge und schlug im aller Gewalt nach
Cathbad.
Carnells Bruder stürzte neben den beiden Menschen wieder zu Boden.
Überrascht griff er an seinen Hals, starrte er erst die junge Frau an, die sich
schwankend erhob und heftig atmete. Dann sah er auf das bläulich-violette
Blut, welches in einem dünnen Strom über seine Hand lief. Javall starrte
zurück, unfähig, noch einmal zuzuschlagen, unfähig, den Blick abzuwenden.
Dann brachen die gelblich braunen Augen des Reesch, und er fiel ihr zu Füßen
- tot.
Javall legte das Schwert vorsichtig auf den Boden, durchtrennte über der
Schneide ihre groben Fesseln, deaktivierte es dann. Sie kniete neben ihrem in
sich zusammengesunkenen Geliebten nieder. Die ganze rechte Schulter schien
schwarz und verbrannt zu sein. Die Energie des Schusses hatte den Stoff der
Tuniken mit dem Fleisch verschmolzen. Blut sickerte langsam, aber stetig in
das beige Leinen, der rechte Ärmel war durchtränkt und rot gefärbt, hing
nass und schwer über den Unterarm herab. Sie berührte vorsichtig Qui-Gons
Gesicht. Doch er schien sie kaum wahrzunehmen, versuchte nur, der Schmerzen Herr zu werden. Sie löste behutsam den harten Griff, mit dem er seinen
rechten Arm umklammert hielt, öffnete den Gürtel und das Wickelband behutsam. Dann nahm sie den Saum der beiden Tuniken in ihre Hände.
,,Es wird furchtbar weh tun, Qui...”
Ihre Stimme zitterte.
Er sah sie an und begriff, was sie vorhatte. Er nickte.
,,Ich weiß...”
Er biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und ließ sich in die Tiefe der Meditation fallen. Javall wartete, bis das Echo seiner Gedanken kaum
2.9. DUNKLE SEITEN
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mehr hörbar war, bis sie spürte, dass er ganz und gar in sich und der MACHT
ruhte, dann presste ihrerseits die Lippen aufeinander, holte tief Luft und riss
den Stoff beiseite. Qui-Gons kaum erstickter Schrei hallte über die Lichtung,
und sie fühlte den grausamen Schmerz in sich, der nun in seiner Schulter
wütete, doch die Wucht ihrer Bewegung hatte die verkohlten Stofffetzen mit
aus der schrecklichen Wunde entfernt. Frisches Blut lief über seinen Arm herab. Sie stand auf, raffte die obere Lage des verschmutzten Brautkleides hoch
und riss den mittleren der seidenen Unterröcke heraus. Geschickt zerteilte
sie ihn, presste die eine Hälfte auf die Wunde, fertigte aus der anderen einen
provisorischen Verband und eine Schlinge.
Auf einmal spürte sie seine Gedanken wieder.
Alles in Ordnung...?
Sie hielt inne und sah ihn an. Der Schmerz hatte seine Züge verhärtet,
aber in seinen Augen sah sie nur die Sorge um sie und seine Liebe.
Das sollte ich wohl lieber dich fragen, Liebster!
Er lächelte verzerrt. Vorsichtig zog er die zerrissene Tunika über die verbundene Schulter. Mochte sie auch halb verbrannt und blutdurchtränkt sein
auf dieser Seite, sie würde doch helfen, die Wunde auf dem Rückweg vor
Schmutz und Quarz zu schützen. Javall streifte ihm die improvisierte Schlinge über den Kopf und legte den tauben Arm hinein. Sie wusste, dass er eine
andere Antwort hören wollte.
Vorsichtig tastete sie über ihr Gesicht, doch der Blaster schien nichts
ernstlich verletzt zu haben.
,,Mir ist nichts passiert... auch den anderen Frauen und Kindern nicht!
Sie haben nur Angst, sind verstört...”
,,Wo sind sie?”
,,Hinter den Gleitern der Reesch im Unterholz am Waldrand - hier draußen wäre es auf Dauer zu heiß gewesen.”
Qui-Gon erhob sich langsam. Er sah auf das kleinere Schwert hinab. Javall
bückte sich und hob es auf, hielt es ihm hin. Er lächelte mühsam und schüttelte den Kopf. Ës ist eigentlich deines! Mein Hochzeitsgeschenk... ,,Er seufzte
und sah über die Lichtung zurück, erinnerte sich schlagartig an den ebenfalls
verletzten Carnell. Äber das wird ja nun noch ein bisschen dauern... Behalt
es trotzdem.” Wieder ein leichtes Lächeln auf seinen vom Schmerz harten
Zügen. ,,Man kann ja nie wissen, was noch alles passieren wird. Vielleicht
brauchst du es ja noch einmal!”
Javall wollte ihn begleiten, doch er schüttelte den Kopf. ,,Kümmer dich
bitte um die anderen Geiseln. Wir sollten so schnell wie möglich hier weg!”
Langsam und schwankend ging er zurück zu der Stelle im Unterholz, an
der er Carnell zurückgelassen hatte. Der junge Reesch sah nicht viel besser
aus als der erschöpfte Jedi. Qui-Gon hatte Mühe, ihn zu den Gleitern zu
70
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
bringen. An Bord des Familienflaggschiffes verlor der Krieger wieder das Bewusstsein. Auch der junge Mensch schien sich kaum mehr auf den Beinen
halten zu können.
Sein Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. ,,Hol die kleine Jenkill...”
Javall nickte - eine hervorragende Idee. Sie schloss die Gleitertür, als das
kleine Mädchen an Bord war, und startete den Flieger. Unsicher starrte sie
auf die Bedienungselemente. ,,Ich kann nicht fliegen...”
Qui-Gon schien zu lächeln, sank in den Co-Pilotensitz. ,,Schlechter als ich
im Augenblick wirst du dich bestimmt nicht anstellen!”
Er strich über die Kontrollen, versuchte herauszufinden, wie das kleine
Schiff gesteuert wurde. Endlich gelag es ihm, den Gleiter in die Luft zu bringen und über die mit dichtem Quarzsand bedeckten Baumwipfel zu steigen.
,,Fliegen ist nicht schwer. Steuer einfach die Siedlung am Horizont an. Ich
werde wieder den Landeanflug übernehmen...”
Javall zögerte, doch dann stieß sie vorsichtig den Hebel nach vorn. QuiGon schloss die Augen und versuchte für ein paar Minuten, Kraft durch
Meditation und Konzentration auf die lebendige MACHT zu gewinnen. Er
konnte den rechten Arm kaum spüren. Vorsichtig tastete er mit seinem Geist
über die Verletzung. ,,Die MACHT und der Schmerz - deine Freunde sie
sind - spüre den Schmerz, er dir sagt, was nicht in Ordnung ist!” Er spürte
den Schmerz - ein bisschen weniger deutlich hätte aber auch genügt, seiner
Ansicht nach. Er würde den rechten Arm brauchen; vorsichtig bekämpfte
er die Taubheit in den Fingern. Dann ließ er den Gleiter auf der Festwiese
sinken...
Qui-Gon sank in sich zusammen, brauchte ein paar Minuten, um den verletzten Arm wieder in der Schlinge abzulegen und sich ohne zu schwanken
zu erheben. Javall war mit dem kleinen Mädchen auf den Schultern hinausgelaufen, Jenna schloss ihre Tochter weinend in ihre Arme. Jaranns Enkelin
konnte den zusammenlaufenden Reesch und Gestae von der gelungenen Befreiung berichten. Carnet drängte sich schließlich an ihr vorbei und kniete
neben Carnell nieder. Der junge Krieger war noch immer bewusstlos.
Qui-Gon legte dem Reesch seine linke Hand auf die Schulter. ,,Ohne ihn
hätte ich es nie geschafft...”
Carnet sah nach langen Minuten auf. ,,Dass ihr mit diesem Schiff zurückkommt, sagt mir, dass es mein Sohn Cathbad war, richtig?”
Der junge Jedi nickte stumm.
,,Wo ist er?”
Qui-Gon senkte den Blick. ,,Er hatte nicht so viel Glück wie Carnell...”
Carnets Blick blieb scheinbar unberührt. ,,Meine Frage war, wo er ist,
nicht, ob er noch lebt! Keiner dieser Männer wird den heutigen Tag überleben
- sie werden alle sterben, denn für Verrat und Illoyalität gibt es nur eine
2.10. FARBENWECHSEL
71
Strafe!”
,,Wir haben seinen Leichnam auf der Lichtung zurückgelassen...”
,,Auch Collel?”
,,Ja.”
Carnet hob seinen nun einzigen Sohn vorsichtig auf seine Arme, nickte dem Jedi mit den Tränen kämpfend zu. ,,Wenn ihr die anderen Geiseln
hierher gebracht habt, bringt ihr die Leichen der Verräter mit zurück?”
Qui-Gon nickte ihm still zu. Er würde dafür sorgen.
Der alte Reesch nickte auch ihm in Respekt zu. ,,Danke.” Er sah auf das
blasse Gesicht seines Sohnes hinab. ,,Hat er Collel getötet - und Cathbad?”
,,Seinen Freund und Schwager ja, aber nicht seinen Bruder - das waren
Javall und ich...” Noch immer sah Carnet in das blasse Gesicht, das von den
offen herabhängenden, langen schwarzen Haaren gerahmt wurde. ,,Ich hätte
es nicht gekonnt... das muss er geahnt haben, sonst hätte er mir erzählt, was
Cathbad plante...”
Er schüttelte den Kopf und brachte seinen Sohn fort zu einem der Ärzte
der Gestae.
2.10
Farbenwechsel
Carnet ging ruhelos im kalten Korridor auf und ab. Seine schweren Stiefel erzeugten ein regelmäßiges, klackendes Geräusch auf dem aus roten und weißen,
polierten Quarzplatten bestehenden Boden. Fünf Schritte in die eine Richtung bis zu einem herabgelassenen, ursprünglich zu einen Shuttle gehörenden
Schott, eine rasche Kehrtwendung, fünf Schritte zurück bis zur Luftschleuse,
hinter der der sterile Bereich lag, dann wieder eine Kehrtwendung. Der alte
Reesch hielt die Hände unter seinem Umhang hinter dem Rücken verschränkt,
damit das Zittern seiner Finger ihn nicht verriet.
Mit ihm warteten drei andere: Callens, der junge Jedi und eine junge,
menschliche Frau in einem verschmutzten, halb zerrissenen Kleid.
Callens bemühte sich, seinen Freund nicht übermäßig anzustarren, aber
die Sorge um sein einziges, überlebendes Kind verlieh dem gewählten Anführer
der Reesch eine starke Aura. Neben dem alten Berater saß der Jedi, eingewickelt in seinen von Carnells Blut ruinierten Mantel. Er war ungewöhnlich
blass, hatte Schweiß auf der Stirn, seine Haare klebten an den Schläfen. Er
saß, den rechten Arm mit dem linken umklammernd, auf der Bank, den Kopf
an die sich hinter ihm befindende Wand gelehnt. Callens war nicht sicher, ob
der Jedi meditierte, doch er schien zumindest mit seinen Gedanken weit fort
zu sein.
72
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Ganz am Ende des Korridors, gleich neben dem Schott zu den anderen
kleinen Räumen des Krankenhauses, saß Javall vornüber gebeugt, die Arme
auf die Oberschenkel gestützt, den Blick auf den Boden gerichtet, ab und an
aber zwischen Carnet, Callens und Qui-Gon hin und her schauend.
Das Band der lebendigen MACHT zwischen ihnen hatte sich wieder gefestigt - sie spürte ihren Liebsten, fühlte, wie er gegen das Wundfieber kämpfte.
Verzweifelt versuchte er, den Schmerz zu isolieren und aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Wenn es ihm für kurze Zeit gelang, griff er in die MACHT
und versuchte, den bewusstlosen Carnell, um den sich einer der beiden Ärzte
der Stadt hinter der Luftschleuse bemühte, in dessen Agonie zu erreichen.
Doch jedes Mal, wenn er beinahe durch die schwere Tiefe gedrungen war,
zerstörte der Wundschmerz seine Konzentration und Bemühungen. Javall
fühlte, sah beinahe das Flackern in Qui-Gons Aura, wenn der Jedi durch
die Pein in die Realität zurückgezerrt wurde. Doch sie wusste, dass er seine
eigene, schwere Verwundung verschwiegen hatte, damit einer der Ärzte sich
um Carnell, der andere sich um die Kinder und anderen Frauen kümmern
konnte. Seine Schulter musste dringend versorgt werden, doch sie ahnte, dass
der stolze Mensch erst dann an sich selbst denken würde, wenn er sicher war,
dass der bewusstlose Reesch außer Lebensgefahr war.
Javall schloss ihre Augen und senkte den Kopf tief über die Knie. So
sehr wie noch nie konzentrierte sie sich auf das beängstigende Band zu ihrem
Liebsten. Langsam wanderte sie zu Qui-Gons Präsenz. Nur ihre Gedanken
formten eine Hand, mit der sie über seine verletzte Seele strich. Qui-Gon reagierte überrascht, wies sie aber nicht zurück. Zitternd holte er Luft, schirmte
den Teil seines Geistes, in dem der Schmerz wütete, vor ihr ab. Doch es gelang
ihm auf Dauer nicht komplett. Javalls Präsentz schlüpfte durch einen der sich
bildenden Risse und teilte seine Qual. Instinktiv wollte sie sich zurückziehen,
doch dann bezwang sie den Drang und formte eine zweite Hand. Vorsichtig
umschloss sie den Schmerz, webte ein Netz darüber, blockierte ihn schließlich.
Sofort begriff der junge Jedi, was sie tat, was ihr Ziel war. Stumm dankte
er ihr und überließ Javall die Blockade der Pein. Er selbst griff in die MACHT
und suchte Carnells Bewusstsein. Der junge Reesch kämpfte noch immer um
sein Leben, aber der Funke in ihm war stark. Qui-Gon brauchte ihn nur kurz
zu berühren, ihm die Kinder und Frauen zu zeigen, ihm zu verstehen zu
geben, dass sie gemeinsam erfolgreich gewesen waren, dass der junge Krieger
nicht versagt hatte. Langsam tauchte der Reesch aus dem Koma auf.
Qui-Gon zog sich behutsam zurück. Er richtete sich vorsichtig auf, öffnete
die Augen und sah Javall an, nickte ihr stumm zu. Auch die junge Frau
hatte den Kopf gehoben und blickte herüber. Ein Lächeln lag in ihrem Blick.
Vorsichtig löste sie ihren Griff, unendlich langsam, damit ihr Liebster nicht
einen erneuten Schock bekam durch die Wucht der Schmerzen.
2.10. FARBENWECHSEL
73
Durch die Luftschleuse trat der hagere, alte Arzt, sich die Hände an seinem Kittel abwischend. Carnet war mit drei Schritten bei ihm. Der alte Mann
lächelte aufmunternd. ,,Er wird es schaffen, und er ist wieder bei Bewusstsein. Er will euch sehen!” Carnet drängte an dem müden Menschen vorbei.
Der Arzt wandte sich an Qui-Gon. ,,Dass der junge Mann noch lebt, verdankt er euch, junger Jedi. Hättet ihr den Stumpf nicht verschlossen, wäre
er verblutet.”
Qui-Gon nickte bescheiden, und der Arzt kehrte zurück in den sterilen
Bereich, um seinen Patienten vor dessen überfürsorglichen Vater zu schützen.
Callens folgte ihm. Der junge Jedi holte tief Luft, erhob sich zögernd. Schlagartig fühlte er, wie sein Kreislauf zusammensackte. Er schwankte, griff nach
der Wand, fühlte dann aber kühle Seide unter seinen Fingern. Ein Teil seines
Gewichts ruhte nun auf Javalls Schulter.
,,Jetzt brauchst du dringend einen Arzt, Qui!”
Er schüttelte den Kopf. Langsam ging er in Richtung Ausgang. ,,Nein...
dass Carnell und die Kinder versorgt werden, ist... wichtiger...” Allein schon
das Sprechen fiel ihm schwer. Er machte noch einen Schritt, musste sich aber
in Javalls Schulter krallen, um das Gleichgewicht zu halten. Sie kniff die
Lippen zusammen.
,,Also gut, keinen Arzt! Aber du brauchst Ruhe, einen Verband, ein paar
Stunden Schlaf...”
Sie hielt ihn energisch fest, und ihre Stimme duldete keinen Widerspruch.
Qui-Gon holte mehrere Male tief Luft und lächelte dann verzerrt. Er nickte
und legte seinen linken Arm um ihre Schulter. Langsam geleitete Javall ihn
die Treppe hinauf in Richtung des Ausgangs des kleinen Krankenhauses,
das eher eine um den OP-Bereich erweiterte, einfache Arztpraxis war. Im
Erdgeschoss half sie ihrem Liebsten noch einmal in einen Stuhl, ließ sich dann
genügend Verbandszeug, desinfiziernde Salbe und Jod sowie sterile Tücher
geben, um seine Wunde versorgen zu können. Dann machten die beiden sich
langsam auf den Weg zu Javalls Zuhause.
Als sie vor die Tür des Krankenhauses traten, tauchten die letzten Strahlen der Sonne die von feinem Quarz-Partilkeln erfüllte Luft über Gestae in
ihren purpurnen Glanz. Javall blieb stehen. Voller Ehrfurcht sah sie in den
dunkelroten Sonnenuntergang.
,,Schau ihn dir noch einmal an, Qui - morgen wird er blau sein!”
Er starrte benommen in das blendende, rote Licht, während sie vorsichtig
seinen Mantel über seiner Brust schloss, um die Schusswunde vor dem durch
eine kräftige Brise aufgewirbelten Quarz zu schützen. Er lächelte über ihre
Fürsorge und ging gemächlich neben ihr her. In ihrer kleinen Wohung angekommen, nahm Javall ihm die schwere Robe ab. Qui-Gon hielt noch immer
den rechten Arm mit dem linken ruhig, trotz der provisorischen Schlinge.
74
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Während sie in der winzigen Küche warmes Wasser in eine Schüssel füllte,
sank er müde auf ihr Bett - denn auf dem einzigen Stuhl lag seine Hochzeitsschärpe. Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sie sah.
Javall wusch sich die Hände, während er langsam den einfachen Knoten öffnete, der die lange Bauchschärpe zusammen gehalten hatte. Ungelenk, darauf
bedacht, die verletzte Schulter nicht zu bewegen, streifte er die Tuniken ab.
Die junge Frau löste den provisorischen Verband, der fast komplett durchgeblutet war, und säuberte zuerst mit einem weichen Tuch und warmen Wasser,
dann mit Hilfe eines sterilen Tuchs und der Jodtinktur die Wunde.
Qui-Gon stöhnte, sank in sich zusammen. Javall konzentrierte sich wieder
auf ihr Band und versuchte erneut, ihm wenigstens einen Teil der Schmerzen
zu nehmen. Er sah sie an und schüttelte schweigend den Kopf. Noch vorsichtiger verteilte sie die Salbe auf den Wundrändern, eine schmerzstillende
schließlich auf dem verbrannten Fleisch. Sie wechselte das Wasser und wusch
langsam seinen blutverschmierten Rücken und Arm. Dann bedeckte sie die
Wunde mit einem keimfreien Tuch und legte einen elastischen Verband um
die Schulter. Qui-Gon hielt ihre Hände fest.
Sie spürte ihn, fühlte seine Präsenz stark wie selten zuvor. Er dankte ihr
stumm, aber er ließ sie nicht los. Er nutzte die MACHT, um die Schüssel,
das nun fleckige Tuch und die Reste des Verbandszeugs von ihrem Schoß zu
heben und auf den chaotisch organisierten Tisch zu legen. Sie sah auf, direkt
in seine tiefen, blauen Augen. Zärtlich strich er mit seiner linken Hand durch
ihr halb aufgelöstes Haar. Mit Hilfe der MACHT löschte er das grelle Licht.
Überrascht fuhr Javall zusammen. Qui-Gon berührte ihr Gesicht - eine
Geste, die er so über alles liebte.
Hätte es Cathbad nicht gegeben, wären wir nun bereits Mann und Frau...
Sie schluckte, aber er fühlte in ihrem Inneren, wie sie gleichzeitig lächeln
musste. Durch das hohe Fenster strömte das purpurne Leuchten des feinen
Quarzstaubes hinein, tauchte sie beide in eine rote Aura, noch immer lag
seine Hand auf ihrer Wange, rührte sich nicht.
Ich werde nichts tun, was Du nicht willst...
Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Sie blickte ihn unverwandt an.
Wenn ich gehen soll, Javall, genügt ein Wort von Dir, und ich gehe...
Jetzt umspielte das Lächeln auch ihre Lippen.
Ich möchte nicht, dass du gehst, Qui!
Obwohl seine rechte Schulter rebellierte, nahm er ihr Gesicht nun in beide
Hände und begann sie zu küssen. Während Javall ihn umarmte - vorsichtig
und sanft, immer darauf bedacht, die Wunde nicht zu berühren -, wanderten seine warmen Hände über ihren Hals zum Nacken. Langsam zog er die
Schleife aus den beiden Seidenkordeln auf, lockerte die Verschnürung. Sei-
2.10. FARBENWECHSEL
75
ne Finger glitten über den hauchdünnen Stoff, zuerst über ihren geraden
Rücken, dann ihre schlanken Seiten, schließlich lagen seine Hände wieder auf
ihren Schultern. Er fühlte, wie Javall erschauderte.
Qui-Gon selbst spürte, wie die Bindung zwischen ihnen eine neue Dimension erreichte. Wieder, aber sehr viel stärker als zuvor, wurde er gewahr, dass
sie nicht allein waren, sondern dass die lebendige MACHT ein Teil ihrer Verbindung war. Noch immer lagen seine Lippen auf den ihren, als er sich der
MACHT öffnete. Wie ein gewaltiger, entfesselter Fluss strömt sie durch ihn,
spülte jeden Gedanken fort, selbst den pochenden Schmerz in der verletzten Schulter. Er wurde gewahr, wie Javall unter der Gewalt des Eindrucks
zurückwich. Behutsam errichtete er einen durchlässigen, mentalen Schild, so
dass sie sich langsam an dieses neue Gefühl gewöhnen konnte. Vorsichtig erkundete sie den Fluss an Leben, ließ sich schließlich bereitwillig fallen - und
Qui-Gon fühlte sich tief geehrt durch ihr schier grenzenloses Vertrauen.
Lächelnd nutzte er die MACHT, um ihr Kleid von ihren Schultern rutschen zu lassen. Der durch heftige Böen auf- und durcheinander gewirbelte
Quarz malte wilde, teils dunkelrote, teils violette, teils blaue Muster auf ihre
weiße Haut. Zärtlich fuhr er sie nach, küsste immer wieder ihren Hals und
ihre Schultern. Amüsiert fühlte er, wie ihr ihre Erregung peinlich war, bis sie
erkannte, dass er ebenso stark auf die körperliche Nähe reagierte wie sie. Sie
sanken zurück auf ihr Bett, schlüpften unter die kühlen Laken.
Qui-Gon hatte im Tempel viele Gerüchte über Liebe und körperliche Nähe
unter Jedi gehört. Selbst, wenn der Partner nicht machtsensitiv war, behaupteten einige der alten Mythologien und noch mehr hartnäckige Gerüchte unter den pupertierenden Schülern, dass es eine intensivere Erfahrung sei als
zwischen nicht mit der MACHT vertrauten Menschen. Doch zwischen zwei
Jedi sei es... unbeschreiblich. Qui-Gon verstand dies jetzt auf einer anderen
Ebene, er wusste, dass er und Javall nun Teil etwas ganz Besonderem waren.
Sie teilten nicht nur ihre Lust und Leidenschaft miteinander, nein, die
teilten auch ihr Wesen. Das Band der MACHT schwang zwischen ihnen,
dann mit ihnen, am Ende wickelte die Kraft allen Lebens sie ein in einen
warmen, pulsierenden Kokon.
Javalls Gedanken lagen offen vor ihm, er sah ihren Traum, ihm auf Coruscant ein Zuhause zu schaffen, seine Kinder zu bekommen, eine Heimat zu
finden, in der sie Teil seines Lebens sein konnte. Ihm eine Zufluchststätte in
seinem Kampf für die Republik zu sein, ein Hort des Friedens, wenn er ihn
brauchte.
In seinem Inneren sah sie, dass er sie als Partner gewinnen wollte, ihr die
MACHT nahebringen wollte, mit ihr in einem Team arbeiten wollte.
Qui-Gon wusste so wenig wie Javall am anderen Morgen, wie er aus seiner
Hose geschlüpft war, wie ihr Kleid zu Boden gesunken war, es war zu wun-
76
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
derbar und ergreifend, als dass er noch weiter darüber nachgedacht hätte.
Es gab nur noch das Farb- und Musterspiel des wirhelnden Quarzes auf ihren aneinander geschmiegten Körpern, immer neue Formen, eine stumme
Musik, die sie forttrug. Er war abwartend und auffordernd zugleich, ließ ihr
Zeit, sich an die widerstrebenden Gefühle und Erfahrungen zu gewöhnen.
Seine Sicherheit gab ihr die Kraft, ihre anfängliche Angst zu überwinden
und sich fallen zu lassen in die MACHT zwischen ihnen und in die Ekstase
ihrer Berührungen. Ihre Körper verschmolzen zu einem. Eine unermeßliche
Woge von Gefühlen und Leidenschaft riss sie fort, und die Zeit schien still zu
stehen. Dann wechselte das Farbspiel über Gestae von Rot zu Blau...
Er erwachte und spürte ihren Kopf auf seiner linken Schulter ruhen. Es
musste nach Mitternacht sein - das Licht hatte nun gänzlich einen bläulichen
Schimmer angenommen. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht,
zog das Laken über ihren Körpern zurecht, so dass sie nicht fror. Ihre linke
Hand ruhte auf seiner Brust, er legte seine Finger über ihre, betrachtete ihre
entspannten, glücklichen Züge.
Mann und Frau... oft genug hatte er das Gesetzeswerk der Gestae in
den letzten Tagen gelesen, um zu wissen, dass sie das nun waren. In ihren
Moral- und Ehevorstellungen waren diese Menschen seltsam altmodisch wer mit einer Frau schlief, der wurde ihr Ehemann, egal ob mit oder ohne
vorangehende Zeremonie. Nun, irgendwann in den nächsten Tagen, wenn die
Aufregung sich gelegt hatte, würde er ihr auch seinen Namen geben. Nichts
würde sie beide und das Band zwischen ihnen mehr trennen können.
Glücklich legte er seinen Arm um ihre Schultern, küsste sie behutsam auf
die Stirn. Dann schloss er die Augen und ließ sich mit Hilfe Meister Yodas
Heiltrance-Techniken in den tiefen Schlaf der Genesung fallen.
Als die Sonne violett leuchtend aufging, wachte Javall automatisch auf.
Vorsichtig schlüpfte sie aus Qui-Gons Arm und deckte ihn wieder zu. Er hatte noch immer leichtes Fieber, aber sein Atem ging tief und gleichmäßig. Sie
hob ihrer beider Kleidung auf und stopfte sie in der Küche in den Waschautomaten. Als ihr Blick dabei auf Qui-Gons verbrannte Tuniken fiel, schüttelte
sie resigniert den Kopf. Da würde auch Waschen nichts helfen. Sie stellte
die Wäsche an und suchte nach zwei weiteren beigen Stoffstücken. Mit einer
Tasse heißem Kaffee neben sich nähte sie zwei neue Wickelhemden für ihren
Geliebten, länger und aus dünnerem Stoff als seine alten. Am Ende nähte
sie auf die Innenränder der äußeren Tunika die Reste des Satinbandes, dass
schon seine Überschärpe zierte. Sie breitete seine Kleidung über den Stuhl,
zog ihr einfaches weißes Kleid an, erinnerte sich resigniert an das kaum mehr
zu flickende Brautgewand, nahm das Bündel, das ihr Hochzeitskleid enthielt,
mit sich und verließ das Zimmer, um bei Jarann nach dem Rechten zu sehen.
Als Qui-Gon endlich wieder aufwachte, stand die Sonne schon tief über
2.11. ENTSCHEIDUNGEN
77
den Hausdächern. Er schlug das Laken zurück, tastete vorsichtig über den
Verband, aber die Blutung schien halbwegs gestoppt. Das Schmerzmittel
wirkte nicht mehr, aber das Brennen und Pochen hielt sich in Grenzen und
ließ sich nun allein mit den Techniken des Jedi-Tempels unterdrücken. Er
erhob sich vorsichtig, und sein Blick fiel auf den Stapel frischer Kleidung.
Gerührt strich er über den Leinenstoff und die Borde. Langsam schlüpfte er
in die saubere Hose und die neuen Tuniken. Einer Eingebung folgend legte
er auch die Hochzeitsschärpe darüber und wickelte dann die Bauchschärpe
fest. Über den Kopf streifte er die Schlinge und bettete den rechten Arm hinein. Ungelenkt wollte er die Robe über seine Schultern legen, aber schließlich
musste er dazu die MACHT zu Hilfe nehmen.
Kaum hatte er das Haus verlassen, in dem Javalls Zimmer lag, entdeckte
ihn Jarann. Der alte Mann sah blass und übernächtigt aus. Qui-Gon ging
ihm entgegen.
,,Schlechte Neuigkeiten?”
Jarann nickte ernst. ,,Schlecht ist gar kein Ausdruck!” Er seufzte. ,,Carnet
beschuldigt Javall, seinen Sohn getötet zu haben... Er sagt, er könne keinen
Vertrag unterzeichnen mit den Mördern seines Kindes...”
Qui-Gon schloss die Augen. Nahmen die Probleme denn nie ein Ende? Er
zog den Mantel enger um sich und folgte dem Alten zum Ratsgebäude.
2.11
Entscheidungen
Qui-Gon spürte die angespannte Athmosphäre bereits, als er durch die Bogentür trat und sich im Versammlungssaal des Ratsgebäudes umsah. Zwar
standen Reesch und Gestae noch beieinander, aber der junge Jedi spürte
sofort, dass hier ein Problem erwachsen war, das er nicht mit einfachen Verhandlungen würde lösen können. Der morgentliche Eklat erschütterte alle
Anwesenden - außer einem.
Carnet stand isoliert vor dem großen Fenster Richtung Marktplatz, über
dessen leergefegtes Pflaster er einfach nur starrte. Noch immer blass und
übernächtigt, hatte er seine Arme vor der Brust verschränkt, abwehrbereit
gegen jede Annäherung.
Andere Reesch umringten den Jedi, auch Jegoll und Jenna, doch Qui-Gon
hatte schon durch Jaranns kurzem Kommentar das Problem erkannt, welches
es zu lösen galt. Trotzdem hörte er geduldig den Berichten der einzelnen Anwesenden zu, immer in der Hoffnung, dass diese eindringlichen, verzweifelten
Worte auch den sturen Anführer der Reesch erreichen mochten. Doch Carnet rührte sich nicht, zeigte keine einzige Reaktion. Schließlich trat der junge
Jedi allein an seine Seite, doch der ältere Mann sah ihn nicht einmal an. Qui-
78
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Gon fühlte, wie die Angst um sein Volk und die nun einsetzende Erkenntnis
bis auf den jüngsten Sohn alle Familienmitglieder trotz aller Kompromisse
verloren zu haben, den gewählten Führer der Reesch aller Hoffnung beraubt
hatte. Der stolze Krieger hatte sich auf den Minimalkonsens seiner Gesellschaft zurückgezogen: Seine Ehre und die unabänderliche Tradition, die ihm
seine Handlungen vorschrieb.
,,Gehen wir auf dem Platz dort unten ein wenig spazieren...”
Qui-Gon wartete so lange, bis Carnet endlich nachgab und an seiner
Seite das laute Ratsgebäude verließ. Langsam schritten sie durch den nun
bläulich schimmernden Sand über die quadratischen Sandsteinplatten. Der
rauhe Abendwind wehte ihnen Mantel und Umhang um die Beine.
,,Ich hätte nicht gedacht, dass ihr mich hintergeht, Carnet.” Der Reesch
starrte ihn kurz an, verletzt, doch dann zog er sich weiter hinter die eisige
Mauer des Schweigens zurück, die ihm als einziges Schicherheit zu verheißen
schien. ,,Ich habe euch nicht gesagt, wer euren Sohn tötete, damit ihr diese
Information benutzt, um eure Bedingungen durchzudrücken!”
Carnet blieb stehen und starrte zu der niedrigen Gebirgskette hinüber, in
deren Wäldern sich das Geiseldrama abgespielt hatte. Auch Qui-Gon blieb
stehen, presste die Lippen zusammen und stemmte die Hände in die Hüften.
Seine Stimme wurde schneidend kalt.
,,Ihr seid der gewählte Führer eures Vokes - zumindest der wenigen, die
noch übrig sind! Ihr habt die Verantwortung für ihre Zukunft übernommen
mit diesem Amt. Springt über euren Schatten und gebt ihnen eine Chance
auf ein neues Leben! Unterzeichnet diesen Vertrag!”
Carnet starrte weiter über die blauschimmernden, so unendlich weit entfernt liegenden Baumwipfel, so als finde er eine Antwort in diesem Anblick.
Dann senkte er den Kopf. Seine Stimme war nur ein ersticktes Flüstern. ,,Ich
kann es nicht, Qui-Gon. Wenn ich das tue, was ihr von mir erwartet, verrate
ich mein Volk ebenso wie jetzt - nur auf eine noch schändlichere Weise. Der
Vertrag, die Gemeinschaft, die euch vorschwebte, würde hier nie entstehen!
Nie...”
,,Warum nicht?”
,,Ich würde, schlösse ich mit Jarann als Zeugen und Mitverfasser des Vertrages dieses Abkommen, unsere Ehre verraten und verkaufen - keiner der
Krieger und keine der Kämpferinnen von Reesch könnten diese Vereinbarung
akzeptieren, da sie mit einer Mörderin paktieren würden.” Qui-Gon setzte zu
einer scharfen Antwort an, doch Carnet schnitt ihm barsch das Wort ab. ,,Ich
weiß, dass ihr dafür den Begriff Notwehr habt in eurer Kultur, aber wir haben
ihn nicht! Hättet ihr meinen Sohn getötet, wäre es ein fairer Kampf gewesen,
aber diese Frau, sie hat Cathbad von hinten erschlagen - hinterrücks, wie
ein Meuchelmörder. Es gibt keinen ehrloseren Tod, keine niederträchtigere
2.11. ENTSCHEIDUNGEN
79
Tat in meiner Gesellschaft.” Er schüttelte den Kopf. ,,Ich weiß, dass dieser
Verräter, der mein Sohn war, andernfalls euch getötet hätte und die junge
Frau wohl auch - aber das ändert nichts daran, dass es ein feiger, hinterhältiger Mord war in den Augen der meisten Reesch. Glaubt nicht, dass mir dies
leicht fällt, ich weiß, wie viele noch sterben werden, weil... weil es unsere Ehre
uns gebieten wird!”
Qui-Gon schwieg eine lange Zeit. Seine Antwort klang selbst in seinen
Ohren nicht gerade überzeugend. ,,Wenn ihr das Prinzip der Notwehr verstanden habt, dann werden eure Leute es auch verstehen lernen...”
Carnet schnaubte. ,,Das hieße, unsere Kultur aufzugeben, genau das zu
tun, was Cathbad nach eurem Bericht euch und mir vorwarf! Nein!” Er sah
den Jedi hart an. ,,Unser Einigungsvertrag sieht diese Art der Notwehr nicht
vor!”
Er schien genug gesagt zu haben, ging zurück in Richtung des Ratsgebäudes. Langsam, entmutig und verzweifelt folgte der junge Mensch ihm.
Er zermartete sich das Gehirn, um eine Lösung für dieses Dilemma zu finden.
Warum nur hatte er Cathbad nicht selbst getötet...!! Er hielt Carnet auf der
obersten Stufe der Treppe zum Saal am Umhang fest.
,,Was ist, wenn ich mit Javall in drei Tagen diesen Planeten verlasse? Sie
wird nie wieder hierher zurückkommen, das garantiere ich euch!”
,,Nein. Sie würde ohne Sühne weiterleben.”
,,Ihre Heimat nie wiederzusehen ist nicht Sühne genug für euch?”
Carnet starrte den Jedi trotzig und wütend an. ,,Ich kann unsere Traditionen nicht umwerfen! Nein, es ist nicht Sühne genug!!” Er riss sich gewaltsam
los und stürzte in den Saal, nur um dort am anderen Ende wieder über
den Platz zu schauen. Qui-Gon folgte ihm, ebenfalls erregt, doch gleichzeitig
bemüht, Wut und Ärger unter Kontrolle zu halten. Ohne Rücksicht darauf,
dass alle Anwesenden ihn hören konnten rief er hinter dem Anführer der
Reesch her.
,,Euretwegen und eures halsstarrigen Verständnisses zu eurer Ehre wegen
werden Tausende von Reesch sterben müssen! Wegen einer Frau, die nichts
anderes tat, als ihr Leben zu verteidigen!?”
Carnet fuhr wutentbrannt und bloßgestellt herum - seine gelben Augen
funkelten im Zorn. Nun wurde er persönlich. ,,Haltet mich nicht für dumm,
Jedi!” Er schlug den Umhang zur Seite. ,,Wärt ihr bereit, ihr Leben zu opfern,
um den Vertrag zu retten?” Er griff in den Stiefel und zog die rituelle Klinge.
Er schritt quer durch den Saal, warf den Dolch in die Höhe, fing ihn geschickt
so auf, dass der Griff nun gegen Qui-Gon gewandt war, er selbst die Schneide
zwischen den Fingern hielt. ,,Geht hin! Tötet sie damit! Dann ist der Ehre
und Sühne genug getan. Dann kann ich den Vertrag unterschreiben!!”
Jarann stöhnte, Qui-Gon starrte auf den kunstvoll verzierten Griff zwi-
80
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
schen sich und Carnet. Zuerst glaubte er an einen Witz, einen grausamen
Scherz des Reesch, der offensichtlich von seiner Beziehung zu der jungen
Frau wusste. Doch dann sah er die tödliche Entschlossenheit in den Augen
des alten Mannes. Der Anführer der Reesch meinte, was er sagte - und ein
kurzer Blick in die Gesichter der anderen anwesenden Reesch genügte, um
dem Jedi klarzumachen, dass sie ähnlich ihrem Führer empfanden. Der Ehre
musste genüge getan werden und Sühne musste geleistet werden - so oder so.
Qui-Gon sah Jarann an. Der alte Mann schluckte, klammerte sich an
eine Stuhllehne, setzte sich erschüttert. Dann schloss er ergeben die Augen
und nickte deutlich. ,,Ich...” Er sank in sich zusammen, seine Stimme brach.
Er schüttelte resigniert den Kopf, überließ Qui-Gon die Entscheidung. Der
junge Jedi starrte wieder auf die Klinge. Er wusste, Javall würde zustimmen
- er kannte sie zu gut, um zu wissen, dass sie sich für diese Übereinkuft
töten lassen würde. Aber er konnte es nicht. Er würde sie nie mit diesem
Dolch - oder jeder anderen Waffe - töten können. Es war gegen seine Ehre,
eine wehrlose Frau, eine Unschuldige niederzustrecken, nur weil es politischen
Zielen dienen mochte. Und Carnet wusste das. Für einen Augenblick sahen
die beiden Männer sich in die Augen, Qui-Gon sah das Lächeln im Blick des
Reesch. Der wusste genau, dass er gewonnen hatte.
,,Geht! Tötet sie!”
Er rammte Qui-Gon den Griff gegen die Brust.
,,Nein!!”
Alle Anwesenden fuhren herum. Carnell stand in der Bogentür, stützte
sich erschöpft mit dem linken Arm am Türpfosten ab. Er war leichenblass,
schwitzte von der Anstrengung, vom Krankenhaus hierher zu gelangen.
,,Nein, Vater!” Langsam und schwankend, noch immer nach Atem ringend
ging er auf die beiden zu, schlug seinem Vater den Dolch aus der Hand.
Schüttelte den Kopf. ,,Es gibt noch einen anderen Weg! Tritt die Führung
unseres Clans an mich ab!”
Carnet sah seinen Sohn verwirrt an. ,,Carnell, was...”
,,Tu es einfach! Ich verspreche dir, ich werde nicht gegen die Traditionen verstoßen, doch meinen... diesen Vorschlag darf ich nur als Clanführer
unterbreiten!”
Der alte Reesch starrte den jungen verunsichert an. Carnell fieberte, er
konnte sich kaum auf den Beinen halten. Und sein Vater hatte nicht die geringste Ahnung, was im Kopf des Jüngsten und einzigen Überlebenden seiner
Familie vorging. Er grunzte und öffnete die Spange, die seine Familienschärpe
zusammenhielt, legte sie über Carnells Brust. Sein Sohn nickte ihm knapp
zu, ging zu dem noch immer verstörten Jarann hinüber, kniete vor dem alten
Gestae nieder.
,,Ich bitte euch, mir euer Mündel als Harapak zu überlassen. Gebt mir
2.11. ENTSCHEIDUNGEN
81
Javall zur Frau, die nie von mir geschieden werden darf, zur Sühne einer
Blutschuld, die anders nicht bezahlt werden kann! Ich werde sie versorgen,
kleiden, es wird ihr an nichts fehlen, doch sie wird mein Haus nie verlassen
dürfen, um einem anderen Mann anzugehören - damit sie an meiner Seite
ihre Schuld sühnen kann. Sie soll die Schuld für immer in den Augen des
Mannes sehen, dessen Bruder sie tötete.”
Es waren rituelle Worte, das spürte Jarann wohl. Er sah in den fiebrig
glänzenden Augen des jungen Reesch, dass dieser sie nicht so hart meinte,
wie er sie aussprach. Carnell wollte nur eines, nämlich das Leben seiner Enkelin retten, damit ihr Tod nicht den Vertrag und die neue Gemeinschaft
aus Reesch und Gestae überschatten musste. Dafür nahm er in Kauf, eine
Fremde zu heiraten, die er nicht einmal kannte und von der er sich niemals
würde scheiden lassen können. Der alte Mann zögerte nur noch einen kurzen
Augenblick und reichte Carnell dann die Hand. Er willigte in diese politische
Ehe ein.
Die anwesenden Reesch fingen leise, dann immer lauter werdend, an zu
applaudieren. Zögernd fielen die Gestae ein. Nur Qui-Gon und Carnet standen noch immer - der eine überrascht, der andere fassungslos über diese
Wendung - starr nebeneinander. Schließlich ging der Reesch zu seinem Sohn
und legte ihm eine Hand auf die Schulter, erwies ihm seinen Respekt.
Jarann erhob sich langsam und ging zu Qui-Gon hinüber, der noch immer
wie betäubt zwischen den immer lauter sich unterhaltenden Versammelten
stand. Der alte Mann hob den Zeremoniendolch auf, drehte ihn bedächtig
zwischen seinen Händen. Er wusste, was er dem jungen Jedi genommen hatte,
aber wie hätte er sich anders entscheiden sollen? Auch Qui-Gons Augen waren
nach wie vor auf die scharfe Klinge der Waffe gerichtet. Mechanisch griff er
nach dem Dolch, und einen kurzen Augenblick glaubte Jarann, der junge
Mann wolle sich selbst hinein stürzen - doch der Jedi steckte die Stichwaffe
nur langsam in seinen Gürtel. Der Alte sah die Hochzeitsschärpe, die seine
Enkelin genäht hatte, schluckte wieder. Er legte eine Hand auf Qui-Gons
unverletzte Schulter, wie um ihn zu trösten.
,,Wer sagt es ihr? Du oder ich?”
Der junge Jedi sah ihn an, zögerte. In seine Augen stiegen Tränen. Dann
seufzte er und nickte. ,,Sie ist bei dir zuhause, nicht?” Jarann nickte. ,,Ich
sage es ihr.” Er blickte zu Carnell hinüber. ,,Aber zuerst muss ich mit...” Es
fiel ihm so unglaublich schwer, aber er musste es einmal aussprechen, um es
wirklich glauben zu können. ,,...mit ihrem zukünftigen Mann reden...”
Wie in Trance ging er hinüber zu Carnell und bat den jungen Reesch, ihn
zu begleiten. Als sie das Gebäude verlassen hatten, stöhnte Carnell. ,,Danke,
mein Freund, dass du mich vor der gratulierungssüchtigen Meute gerettet
hast! Das vergesse ich dir nie...” Jetzt setzte er sich erschöpft auf die oberste
82
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Stufe. Der junge Jedi ließ sich neben ihm nieder. Es fiel ihm schwer, die
richtigen Worte zu finden.
,,Javall, sie...” Er blickte den Reesch von der Seite an.
Carnell schien leicht zu lächeln. ,,Sag mir, ist sie eine so junge, hübsche
Frau, wie alle es mir gerade erzählt haben?”
Qui-Gon berührte vorsichtig den verbundenen Armstumpf seines Freundes. ,,Sie ist hübsch, Carnell, und sie ist eine wunderbare junge Frau, aber...”
Er brachte den jungen Reesch mit Hilfe der MACHT dazu, ihm endlich in
die Augen zu schauen. ,,... aber sie ist keine Jungfrau mehr!”
Fassungslosigkeit grub sich in die erschöpften Züge des Reesch. ,,Aber
wie...?” Er schüttelte den Kopf. ,,Ich war der festen Überzeugng, auch die
Gestae gingen in die Ehe, ohne vorher...”
Qui-Gon nickte und rang um Worte. ,,Ja...” Seine Stimme war rau. ,,Trotzdem ist Javall nicht unberührt...”
,,Wie... ich meine... wer?”
Er sah den Jedi verzweifelt an. Dann sah er seinerseits die Verzweiflung
in den tiefblauen Augen seines Freundes. ,,Ist es so wichtig, Carnell, dass du
es weißt?”
Nach langem Zögern schüttelte er den Kopf. ,,Aber etwas Anderes ist
wichtig, Qui-Gon: Wer außer uns... dreien... weiß es noch?”
,,Niemand.” Qui-Gon nahm die linke, unversehrte Hand des Reesch in die
seinen. ,,Und ich schwöre dir, dass es von mir auch niemand erfahren wird!”
Carnell sah auf ihre Hände herab und schwieg. Dann nickte er ergeben.
,,Ich verstehe...” Spontan umarmte er seinen Freund. Qui-Gon war so überrascht, dass er die Umarmung erst nach einigen Sekunden vorsichtig erwiderte. Jetzt war die Stimme des Reesch rau. ,,Und ich verspreche Dir, dass ich
sie immer ehren werde. Sie wird alles haben, was ich ihr geben kann - und ich
werde ihre Ehre bis zum letzten verteidigen, so als wäre sie in keiner Weise
ehrlos gewesen... Sie wird nie eine Harapak in meinen Augen sein!”
Er erhob sich und holte tief Luft. Er sah auf den noch immer in sich
zusammengesunkenen Jedi herab. ,,Du sagst es ihr, nicht wahr?” Qui-Gon
sah auf, nickte stumm. Carnell seufzte. ,,Eine Stunde. Ich komme in einer
Stunde, um sie laut der Tradition der Reesch in mein Haus zu holen...”
Der Mensch erhob sich und ging über den Marktplatz in Richtung Jaranns
Haus, lief schließlich dorthin. Eine Stunde noch, noch eine Stunde, die allein
ihnen gehörte...
Javall spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, sie hatte Qui-Gons Entsetzen gefühlt, als Carnet ihn vor die Wahl ihres Todes oder des der Reesch
gestellt hatte. Sie wusste nicht, was ihren Liebsten erst entsetzt und dann in
dumpfe Lethargie hatte gleiten lassen, aber sie spürte, wie er litt.
2.11. ENTSCHEIDUNGEN
83
Dann kam er durch die Luftschleuse, blass, unfähig etwas zu sagen. Javall
ging einfach zu ihm, er umarmte sie stürmisch, verbarg sein Gesicht an ihrer
Schulter, presste sie an sich. Eine Flut von Bildern, Gedanken und Gefühlen
brach über sie hinein, er nutzte ihr gemeinsames Band in der MACHT, um
ihr die komplexe Situation zu erklären - und das Entsetzen packte auch sie.
Nein...
Er ließ sie los, sah sie gramerfüllt an.
Wie konntest du dem zustimmen??
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er brachte keinen Ton
heraus.
Javall, ich...
Sie starrte ihn ungläubig an.
Wie konntest du unsere Liebe so verraten!?
Er packte nach ihren Armen, zwang sie, ihn anzusehen. In seinen wunderbaren, dunklen Augen sah sie, wie sehr er sie noch immer liebte, wie sehr er
litt unter dem Gedanken, sie in den Armen eines anderen sehen zu müssen.
Ich hatte keine Wahl, Javall, es war der einzige Ausweg, sowohl dein Leben
als auch das der Reesch zu retten...
Sie sah ihn weiterhin an. Ganz langsam begriff sie, was wirklich hinter
dieser Vereinbarung steckte. Qui-Gon sah ihre Tränen, wischte sie vorsichtig
mit den Fingern der rechten Hand von ihren Wangen.
Sag, Liebste, könntest du noch glücklich sein mit mir, wenn dafür Tausende sterben müssten?
Sie schluckte und schaute unvermittelt hinüber zu ihrem Schachspiel.
Langsam löste sie sich aus seinem Arm und ging hinüber, ergriff die blaue
Dame, umkrallte sie heftig.
Also opferst du deine Dame und unsere Liebe für ein Prinzip...
Er schwieg, denn er wusste keine Antwort darauf. Aber ihre Resignation
und ihr bedingungsloses Verständnis für seine Ideale als Jedi brachen ihm
das Herz. Er spürte, wie nun auch Tränen über seine Wangen liefen. Sie
schluchzte. Qui-Gon ging zu ihr hinüber. Vorsichtig berührte er sie an den
Schultern.
Ich werde dich immer lieben, egal wo ich sein werde, egal wo du sein wirst!
Sie wandte sich um.
Aber wir werden nie wieder wie letzte Nacht beisammen sein...
Er schüttelte den Kopf.
Nein...
Er hob ihr Kinn sanft an, berührte mit der rechten Hand, obwohl seine
Schulter schmerzte, ihre Wange wie so oft in den letzten Tagen. Sie erzitterte
unter der so vertrauten Zärtlichkeit.
Aber die Erinnerung daran kann uns niemand nehmen...
84
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Er schloss die Augen und küsste sie zum Abschied.
Halt mich fest, Qui-Gon, nur noch dieses eine Mal!
Seine Hand rutschte in ihren Nacken, er presste sie an sich. Die unendliche
Trauer überwältigte sie beide. Erst als Qui-Gon Carnell nahen spürte, lösten
sie sich voneinander...
Qui-Gon ging in die Bibliothek, um nicht sehen zu müssen, wie der Reesch
Javall mit sich zu seiner Unterkunft nahm, wo sie bis zu ihrer Hochzeit
am nächsten Tag bleiben würde. Aber schließlich stand er doch hinter dem
gewölbten Fenster und sah, dass Carnell einen kostbaren Umhang über ihre
hängenden Schultern gelegt hatte, ihr seinen unversehrten linken Arm anbot.
Ohne zu zögern nahm sie ihn, die vollendete Diplomatin. Sie würde ihre Aufgabe erfüllen, ehrenhaft und so gut sie es vermochte, dessen war er sicher.
Nun musste er nur noch seine zu Ende bringen und die beiden morgen Abend
in einer noch aus den Traditionen der Gestae und Reesch zu entwickelnden
Zeremonie zu Mann und Frau verbinden...
Mit der rechten Hand umklammerte er die blaue Schachfigur.
2.12
Zeremonien
Es sollte ein fröhliches Fest werden - und alle, Gestae wie Reesch, wollten
dazu beitragen, dass es eines wurde. Der große Platz vor dem Ratsgebäude
wurde dieses Mal geschmückt, auch wenn der kleine Baum der Einigkeit wie
geplant auf der Lichtung gepflanzt wurde. Bunte Bänder und Fahnen der
Gestae, große Feuerschalen und Wandbehänge mit Bildern der Geschichte
der Reesch hingen an den Hauswänden nebeneinander. Qui-Gon sah, wie die
Kinder beider Gruppen begannen, miteinander zu spielen. Einen Augenblick
verharrte er und sah den Kleinen beim Fangen zu. Er sollte sich freuen für
diese Kinder, aber trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht wirklich.
Seine Robe lag über seinen Schultern, der rechte Arm frisch verbunden
im Krankenhaus in der Schlinge aus Javalls Hochzeitskleid.
Sie würde das Gewand ihrer Familie heute Abend nicht tragen...
Qui-Gon wusste nicht genau, ob das allein ihre Entscheidung gewesen war
oder ob sie es Carnell zuliebe tat. Die Kriegerinnen der Reesch hatte ihr ein
hautenges Gewand aus schwarzem Cannon-Leder geschneidert, darüber lag
ein farbenfroher Mantel in den Farben des Quarzes von Gestae, Carnell hatte
sich genauso gekleidet. Wie alles andere an diesem Abend ein Kompromiss.
Gemeinsam kamen sie die Stufen zum Eingang des Ratsgebäudes hinauf.
Das lange blonde Haar trug sie wie am ersten Abend, als er sie kennengelernt hatte: Ein kleiner Zopf aus Seiten- und Stirnhaaren auf dem Hinterkopf
zusammengebunden. Doch über ihre Stirn hatte Carnell ihr die kunstvolle,
2.12. ZEREMONIEN
85
silberne Kordel gelegt, die zuvor sein Bruder getragen hatte. Er selbst trug
das Gegenstück als nunmehriger Anführer seines Clans, dazu die kunstvolle
Schärpe über dem Lederzeug und unter dem wehenden Umhang.
Um sie herum an den Treppenrändern standen Javalls Feundinnen, Carnells Gefährten und Freunde, Jarann und Carnet oben neben Qui-Gon am
Ende des Aufstiegs.
Auf der vorletzten Stufe blieb der blasse Reesch stehen und wandte sich
seiner Braut zu. Qui-Gon rollte den Hochzeitsvertrag auf und verlas ihn laut.
Er hatte die rituelle Aufgabe, beide an ihrer Pflichten als Eheleute zu erinnern: Loyalität, Aufrichtigkeit, Hingabe. Am Ende musste er zuerst Carnell,
dann Javall fragen, ob sie den Bedingungen zustimmten. Carnell löste den
Blick von seiner Braut und sah Qui-Gon offen an. Er nickte und stimmte zu.
Dann nahm er mit seiner linken Hand Javalls rechte.
,,Ich werde Dich ehren und lieben wie eine Schwester unseres Clans! Sei
willkommen in meiner Familie, sei willkommen in der Tradition meines Hauses, bleibe für ewig im Herzen unseres Clans!”
Ein Raunen lief durch die Menge.
Carnell hielt sein Versprechen und gab jedem Anwesenden mit diesen
Worten zu verstehen, dass er diese Frau nicht als ehrlos betrachtete.
Qui-Gon richtete dieselben Worte an Javall.
Sie sah ihn nicht an.
Stattdessen starrte sie auf ihre Hand, die in Carnells lag.
Der junge Jedi spürte, dass sie ihn noch immer heiraten wollte. Ein Wort
von ihm würde genügen... Doch er sagte es nicht. Er fühlte ihre Verzweiflung,
doch dann stimmte sie mit täuschend fester Stimme dem Ehevertrag zu, hob
den Blick und sah Carnell offen an.
Der junge Reesch sah die Tränen in ihren hellen Augen. Er drückte ihre
Hand.
Sie unterzeichneten den Ehevertrag, und Qui-Gon setzte seinen Namen
unter die Carnets und Jaranns als Zeuge. Javall rollte die Urkunde zusammen
und gab sie ihrem Mann, der steckte sie in seinen Gürtel, löste seinen Zeremoniendolch aus dem Stiefel. Wie es die Traditionen der Gestae verlangten,
reichte er seiner Frau eine Waffe. Sie verneigte sich andeutungsweise vor ihm
in Dankbarkeit, der kostbare Dolch hing an ihrer Seite - neben dem Griff des
Lichtschwerts, das Qui-Gon für sie konstruiert hatte.
Jarann lächelte.
Ganz langsam beugte sich Carnell herab und küsste Javall...
Der junge Jedi schloss die Augen.
Reesch und Gestae jubelten, Musik begann zu spielen. Das junge Paar
schritt langsam die Treppe herab und durfte den Tanz eröffnen.
86
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
Qui-Gon sah, wie ihre bunten Umhänge miteinander verschmolzen, Blau
und Rot verschwommen vor seinen Augen. Er wandte sich ab, bereit zu gehen - möglichst weit von der Tanzfläche entfernt - in die Richtung seiner
Unterkunft. Der Fachter würde morgen früh hier eintreffen, er musste noch
packen...
Auf Coruscant hatte er gerne an den Bällen im Tempel teilgenommen
und mit anderen Jedi - vornehmlich weiblichen - getanzt oder bei Festen am
Ende vieler erfolgreicher Missionen ausgelassen mitgefeiert, aber dieses Mal
nicht. Die fröhliche Musik tat ihm mehr als nur weh. Noch immer spürte er
das Band zwischen sich und Javall. Sie war traurig wie er - aber sie musste
es verbergen. Aber er fühlte, dass sie den jungen Carnell zumindest mochte.
Nun, das war mehr, als bei so manchen anderen arangierten Ehen herauskam.
Noch immer stand er oben auf der Treppe, unfähig fortzugehen, unfähig
den Blick von seiner Geliebten abzuwenden, und sah sie tanzen. Langsamer,
behutsamer als die anderen Anwesenden, jeder darauf bedacht, sich und den
anderen nicht zu blamieren.
Stunden später stand er noch immer an derselben Stelle. Jemand hatte
ihm im Vorübergehen ein Glas in die Hand gedrückt, unberührt stellte er es
nun auf die Geländerbrüstung. Nur noch wenige Reeesch und Gestae waren
jetzt, weit nach Mitternacht noch hier. Die meisten hatten Carnell und Javall
zu deren Haus begleitet, dass in aller Eile am Vormittag errichtet worden war.
Jarann und Carnet als Zeugen waren dem Paar vorausgeschritten, Qui-Gon
dagegen war nicht mitgegangen.
Nun kam Jarann ihm entgegen. Der Alte trug ein kleines Päckchen in
der Hand, stieg langsam die Treppenstufen hinauf. Lange starrte er neben
Qui-Gon schweigend über den Platz.
,,Ich wünschte, ich hätte euch meine Enkelin nie vorgestellt...”
Der junge Jedi seufzte.
Dann schüttelte er den Kopf.
,,Nein, Jarann, ich bin froh, dass ihr es getan habt - und ich wäre sehr
stolz gewesen, euer Schwiegersohn zu sein. Aber manchmal sind die Wege
der MACHT schwer zu verstehen und noch härter zu akzeptieren.” Er nickte
nachdenklich. ,,Ich hatte eine Vision, als ihr mich um Hilfe batet - heute
Abend hat sie sich erfüllt... Ich hoffe nur, die beiden schaffen die Aufgabe,
die ihnen aufgebürdet wurde.”
Jarann lächelte. ,,Keine Sorge, sie sind schon dabei, sie gemeinsam anzugehen! Vor seinem Haus kündigte dein Freund an, er werde für das Amt des
Präsidenten von Gestareesch kandidieren. Ich wette, er gewinnt die Wahl und er wird Javall die Chance geben, eine First Lady zu sein, an die man
sich noch lange erinnern wird!”
Qui-Gon nickte ergeben. Carnell konnte die Wahl gewinnen. Er und seine
2.12. ZEREMONIEN
87
Frau würden wie ein Symbol, vielleicht sogar wie das Maskottchen für den
Frieden zwischen beiden Völkern sein. Solange ihre Ehe hielt - und nach den
Traditionen der Reesch musste diese Ehe ewig halten -, würde die Gemeinschaft funktionieren. Und wenn das junge Paar seine politischen Talente vereint nutzte, würde es auch ein gutes Regierungsprogramm aufstellen können.
Er seufzte und stellte sich endlich der Erkenntnis, dass das Leben weitergehen würde, dass auch sein Leben weitergehen würde, es musste weitergehen.
Er musste nach Coruscant zurück, um den Aufnahmeantrag an die Republik
zu überbringen... und um Meister Yoda in die grünen Augen zu sehen...
,,Sie wird morgen früh nicht kommen können... aber sie bestand darauf,
dass ich dir dies noch gebe...”
Jarann hielt ihm das Päckchen hin.
Zögernd nahm Qui-Gon es an.
Langsam schlug er das dünne Papier zurück.
Schweigend starrte er auf ein Holobild Javalls. Sie stand an derselben
Stelle wie er gerade, die Sonne und der Quarz hatten das lange, offene Haar
purpurn gefärbt. Er kannte das Bild, es hatte auf Jaranns Schreibtisch gestanden. Sanft strich er mit den Fingern über den polierten Chromrahmen.
Erst nach vielen Minuten bemerkte er, dass der alte Mann längst gegangen
war.
Qui-Gon stieg auf das Dach des Ratsgebäudes, setzte sich und hing weiter seinen Gedanken nach, malte unsinnige Figuren in den blauschimmernden
Sand neben sich, nahm nach und nach Abschied von diesem grausamen Planeten.
Als der Frachter am nächsten Morgen Gestareesch hinter sich ließ, blickte
der junge Jedi nicht zurück. Er setzte sich in seiner winzigen Kabine an den
Klapptisch, reinigte sein Lichtschwert vom feinen Quarz und überlegte, wie er
Yoda und dem Rat seine eigenmächtige Handlungen erklären sollte. Irgendwie
hegte er den Verdacht, dass die der Wahrheit entsprechende Begründung, es
sei der Wille der MACHT gewesen, nicht ganz ausreichen würde, um ihm
den Hals zu retten.
Der Rat legte viel Wert auf die Traditionen der Jedi, die in vielen Jahrhunderten gewachsen waren. Qui-Gon hatte sich schon früher an diesem Konzept
gestoßen, er empfand es an sich als sehr eng und der komplexen Wirklichkeit, wie er sie erfuhr mit seiner besonderen Gabe, die lebendige MACHT
zu spüren, zu wenig gerecht werdend. Doch als Padawan hatte er nur selten
eine Chance, diese Erkenntnisse dem Rat zu vermitteln. Yoda ließ ihn ab und
an - auch nach einigen seiner Rebellionsversuche gegen den Codex - darüber
berichten, aber Qui-Gon wusste, dass die generelle Einstellung des Rates in
dieser Sache konservativ war.
Sie würden es auf alle Fälle missbilligen, dass er sich den einzelnen Facet-
88
KAPITEL 2. JEDI-PADAWAN
ten der MACHT derart eigenmächtig gestellt hatte. Dass er das Vertrauen
seines Meisters missbraucht hatte und die Grenzen, die sein Status als Padawan ihm auferlegte, auf dieser Reise so weit überschritten hatte.
Und Qui-Gon wusste nicht so recht, wie er sich verteidigen sollte - der
Zweck durfte niemals die Mittel heiligen, nicht bei einem Jedi.
Kapitel 3
Jedi-Trials
3.1
Coruscant
Coruscant...
Der ganze Planet war eine einzige, große Stadt – beinahe zumindest. An
den Polen gab es noch ausgedehnte Schneegebiete. Unerschrockene Bewohner
des hellen Zentrums der Republik nutzten ihren Urlaub, um dort Ski zu fahren. Doch ansonsten sah man vom Frachter aus nur Lichterketten in Geraden
und konzentrischen Kreisen, die atemberaubend schön in der Dunkelheit des
Alls leuchteten. Eine braun-gold-marmorierte Kugel des Lebens. Langsam
sank der Frachter und ordnete sich in eines der Bänder ein, in denen die
vielen Transporter den Planeten umkreisten und mit allem versorgten, was
nicht mehr produzierbar war auf Coruscant: Wasser, Luft, Nahrungsmittel,
Medikamente, Möbel, Kleidung, Erze, neue Bewohner...
Qui-Gon verschlug der Anblick seines Heimatplaneten wie bei jeder Rückkehr den Atem. Fast ehrfürchtig starrte er hinab, begrüßte jeden der hunderte
von Metern hohen Türme in seinem Inneren mit Staunen und stiller Freude.
Dann machte sein Herz einen Sprung. Hinter einer weiteren Biegung tauchte
der Jedi-Tempel auf:
Fünf weiße Türmchen – fragil wirkend zwischen den anderen hohen Gebäuden
der Hauptstadt – umgeben von wenigen Kuppeldächern, die den Boden zwischen den Türmen wie ein altertümliches Waschbrett aussehen ließen. QuiGon sah in der einen Turmspitze den Sitzungssaal des Hohen Rates, dann
senkte sich der Gleiter herab. Der Pilot hatte es sich nicht nehmen lassen, den
Jedi bis sprichwörtlich vor die Haustür zu bringen. Der junge Mann bedankte
sich freundlich und griff nach seiner leichten Leinentasche. Langsam schritt
er die Rampe herab, blieb aber dann lange vor dem großen Eingangsportal
stehen.
89
90
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Über der Tür stand in wenigen verschnörkelten Buchstaben ein kleiner
Spruch. Qui-Gon war er das erste Mal aufgefallen, als er mit Yoda von ihrer
ersten gemeinsamen Reise zurückgekommen war. Der alte Jedi-Meister hatte
ihm gesagt, was die Worte bedeuteten, aber er hatte ihn nie die Sprache gelehrt, ihn auch nie dazu aufgefordert, sie zu lernen. Im Gegenteil, an jenem
Tag hatte er seinem Padawan eine wichtige Lektion erteilt: Nicht die Sprache
war wesentlich, sondern die Lehre. Für Yoda bedeuteten die Worte eine Aufforderung zur Meditation, Qui-Gon hatte aus den Buchstaben gelernt, dass
er seinen eigenen Weg gehen musste, dass er ihn mit und in der MACHT
finden musste und dass es nicht Yodas Weg sein musste.
Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, blieb er kurz hier stehen und dachte
über den Weg, der hinter ihm lag, einen Augenblick nach. Doch dieses Mal
schüttelte er den Kopf. Er hatte schon zwölf Tage Flug hinter sich, während
der er an nicht viel Anderes hatte denken können. Dieses Mal war der Spruch
bedeutungslos.
Über dem Portal stand geschrieben:
Erkenne Dich selbst.
Qui-Gon schritt den dunklen Gang entlang und drückte leise die Tür zu
seinem Zimmer auf. Es war nicht groß und sehr schlicht eingerichtet. Ein
übergroßes Bett, ein winziger Schrank, in den er nun seine abgewetzte Robe
hing, ein Stuhl vor einem großen Schreibtisch, auf dem aber kaum etwas lag –
nur eine Nachricht auf einem Datenpad, dass der Rat ihn morgen früh sprechen wollte. Woher auch immer sie wussten, dass er heute zurückgekommen
war... Ein Regal an der Wand zu Yodas nebenan liegender Wohung, auf dem
ein paar ungelesene Bücher standen und ein Foto seiner ermordeten Familie, vervollständigte die Einrichtung. Daneben ein Tresorfach, in das er nun
sein Lichtschwert schob. Er drückte die Tür nachdenklich zu und hängte den
polierten Holobildrahmen darüber.
Das Band zu Javall existierte noch immer.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Es war durch die enorme Entfernung zwischen ihnen unendlich gedehnt
worden, er konnte kaum ihre Präsenz mehr spüren, von Gefühlen oder gar
einzelnen Gedanken ganz zu schweigen, aber es war noch da. Zuerst hatte er
nach einem Weg gesucht, es aufzulösen. Aber dann war ihm klar geworden,
dass er damit das eigentliche Problem, den Verlust, der ihm so weh tat, nur
verdrängt hätte.
Er legte die Leinentasche auf den Schreibtisch, sah durch das große Fenster hinaus über Coruscant. In ein paar Minuten würde die Sonne untergehen.
Er nahm seine Robe, schlüpfte wieder hinein und verließ raschen Schrittes
sein Zimmer. Minuten später stand er auf einem weiten Balkon in der Nähe
des Ratszimmers. Die Sonne berührte rotgolden den Horizont. Qui-Gon starr-
3.1. CORUSCANT
91
te in das atemberaubend schöne Licht, legte beide Hände auf die Brüstung
und schloss schließlich die Augen. Für einen kurzen Augenblick fühlte er die
MACHT um sich herum, spürte er den Frieden, die Ausgeglichenheit, die sie
ihm verhieß. Er wollte sich ihr hingeben, einmal mehr den Codex brechen.
Er hoffte, in der MACHT einen Weg zu finden, um...
Jemand berührte ihn.
Der Mensch erschrak und fuhr herum. Auf seiner rechten Hand lag eine
grüne mit nur drei Fingern. Ein kleiner, alter Jedi, in eine noch abgerissenere Kutte, als Qui-Gon sie trug, gehüllt, saß auf der Brüstung, hielt einen
knotigen Stock über den Knien und musterte den jungen Mann.
,,Zurück du bist, Qui-Gon.”
Der junge Jedi legte die Hände übereinander und verbeugte sich tief vor
seinem Meister. Seine Stimme war rau. ,,Ja, Meister Yoda. Ich...” Er senkte
verlegen den Blick. ,,Ich wäre noch zu euch gekommen. Entschuldigt, dass
ich zuerst hierher ging, anstatt euch zu begrüßen...”
Yoda legte den Kopf schief und sah seinen Schüler durchdringend an.
,,Dafür du dich nicht zu entschuldigen brauchst, Qui-Gon!” Prüfend lag sein
Blick weiterhin auf ihm. Doch der junge Jedi neigte nur noch einmal den
Kopf.
,,Wie du hierher gekommen bist?”
Qui-Gon hielt den grünen Augen stand. ,,Über Gestae – ein kleiner Planet
im Outerrim.”
Lächelte Yoda etwa? Er war sich nicht sicher. Der alte Jedi-Meister kaute
eine Zeit lang auf seinem Stock herum. ,,Eine lange und interessante Reise
das gewesen ist, ich denke.”
Sein Schüler wandte den Blick über die im Gold der untertauchenden
Sonne funkelnde Stadt. Langsam nickte er. ,,Ja, das, sozusagen, kann man
so sagen.” Dann schwieg er.
Yoda wartete noch eine ganze Weile, aber letztendlich seufzte er lautlos.
Langsam glitt er von der Brüstung herab und trottete gemächlich zur breiten Türöffnung. Dort wandte er sich noch einmal um. Seine spitzen Ohren
senkten sich ein Stück weit. ,,Dann du morgen wirst dem Rat zu erzählen
haben eine Geschichte über diese Reise. Deine Geschichte du erzählen wirst,
Qui-Gon!”
Tiefblauer Schatten der aufziehenden Nacht fiel über den jungen Jedi. Er
schloss die Augen, wandte sich aber dann doch um. ,,Master, ich...”
Zu spät – Yoda war fort.
Qui-Gon winkelte den rechten Arm vorsichtig an und hielt ihn mit dem
linken fest, überlegte, wie er sich vor dem Rat verteidigen sollte, wenn er es
schon Meister Yoda gegenüber nicht vermochte. Zwar hatte er auch schon
früher den Codex der Jedi gebrochen, aber immer hatte Yoda das zwischen
92
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
ihnen zur Sprache gebracht, er hatte daraufhin sein Handeln begründet, sie
hatten darüber noch eine Zeit lang gestritten – und sein Meister hatte es
entweder akzeptiert oder ihn gerügt.
Doch dieses Mal musste er es quasi beichten...
Er fühlte, dass er das nicht fertigbrachte, dass er Yoda nie so bloßstellen konnte vor dem Rest des Rates. Die anderen Jedi würden es dem alten
Meister anlasten, dass dessen halsstarriger Schüler den Code in solch wesentlichen Punkten mit den Füßen trat. Sein Versagen gegenüber den Jahrtausende alten Traditionen der Ausbildung von Jedi-Rittern würde auf Yoda
zurückfallen...
Er schluckte und schloss die Augen.
Nein... er würde es dem Rat nicht erzählen, nicht diesen Teil, nicht seine Erfahrungen mit der MACHT. Mochten sie urteilen über den Vertrag
zwischen Gestae und Reesch, mochten die ihn als Vermittler und Kämpfer
beurteilen, aber nicht als Yodas ungehorsamen Padawan...
Er fühlte sich besser, als er diese Entscheidung getroffen hatte. Er würde
schon die Kraft finden, seine seit der ersten Vision auf Gestae immerwährende
Verbindung zur MACHT vor dem Rat zu unterdrücken, er hatte es auf der
Suche nach Javall für eine Zeit lang geschafft, um die Reesch nicht über sein
Kommen vorzuwarnen – warum sollte er nicht auch die Meister des JediOrdens täuschen können?
3.2
Obi-Wan
Qui-Gon trat schweißgebadet durch die hohen Türen der Ratskammer und
hörte erleichtert, wie die Flügel sich hinter ihm schlossen. Er hatte nicht
geahnt, dass es ihn so viel Kraft kosten würde zu verbergen, dass er sich in
die MACHT versenkt hatte, bevor der Rat ihn dazu aufgefordert hatte. Sie
hatten es nicht bemerkt - zumindest hatte er den Eindruck gwonnen.
Der junge Jedi holte tief Luft und starrte durch die großen Scheiben in die
grelle Mittagssonne über Coruscant. Jetzt konnte er nur noch warten. Warten
auf die Entscheidung des Rates. Warten auf das Urteil... Es sah nicht gut aus.
Gordons Abneigung ihm gegenüber hatte er deutlich spüren können. Und der
große Sevit war der Vorsitzende des Rates, er gab die erste Einschätzung ab
- oft war sie identisch mit der endgültigen Entscheidung des Councils, viel
zu oft für Qui-Gons Geschmack.
Die schmale Rampe, an deren Ende er stand, lud trotz mehrerer Bänke
und Sessel nicht dazu ein, weiter hier zu verweilen. Er folgte der Neigung
abwärts und gelangte so in einen vewinkelten Korridor, der fort vom Ratszimmer zu den übrigen Räumlichkeiten des Jedi-Tempels führte. Qui-Gon
3.2. OBI-WAN
93
beschloss, ein Stockwerk tiefer in die alte Bibliothek zu gehen. Dort würde
er wahrscheinlich allein sein. Und das war im Augenblick alles, was er wollte.
Einen Moment Ruhe, ein paar Minuten, um an Javall zu denken, ein paar
Minuten für all die Aspekte, die er soeben für mehrere Stunden vollkommen
aus seinem Geist hatte ausschließen müssen.
Als er um die nächste Kurve bog, prallte er zurück. Ein kleiner Junge
hatte ihn beinahe umgerannt. Er trat einen Schritt zurück, verärgert, konsterniert.
Auch der Junge wich zurück, als er sah, wie der Ältere missbilligend die
Augenbrauen zusammenzog. Er rieb sich vorsichtig die Nase, die er sich an
Qui-Gons Knie gestoßen hatte.
,,Das ist hier ist kein Spielplatz, kleiner Mann. Was rennst du hier wie
ein wild gewordenes Tier durch die Gegend? Hast du den Verstand verloren?
Du musst besser aufpassen, hast du denn keine Augen im Kopf?”
Der Junge wich nicht weiter zurück, blickte den älteren Jedi aber misstrauisch an. Er zog nun ebenfalls die Augenbrauen zusammen. ,,Du warst
hinter der Ecke, ich konnte dich nicht sehen. Außerdem habe ich nicht damit
gerechnet, hier jemandem zu begegnen!”
Er klang trotzig. Qui-Gon verschränkte die Arme vor der Brust. Er musterte den Jungen eingehend. Er trug nicht die Kleidung eines Padawan, und
er hatte auch noch einen Haarschnitt, der nicht dem Codex entsprach. Aber
das hieß nur, dass er noch keinem der Meister zugeteilt worden war. Wahrscheinlich war er aber schon länger hier im Orden: Er wusste vielleicht, dass
es hier zum Ratszimmer ging, und er hatte dann nicht ganz Unrecht mit
seiner Behauptung, dass hier nur wenige Jedi anzutreffen waren. Trotzdem
reizte er Qui-Gon zum Widerspruch.
,,Du willst ein Jedi werden?”
,,Ja. Wozu sollte ich sonst hier sein?”
Der Ältere ging in die Hocke. ,,Dann solltest du dich mit der MACHT
vertraut gemacht haben.” Der Junge erstarrte in seinen Bewegungen. Seine
rechte Hand ruhte auf dem Nasenrücken, er sah aus, als würde er fortlaufen
wollen. Dann sanken seine Arme resigniert zurück. ,,Meister Yoda hat es mir
vor ein paar Tagen erklärt. Er sagte, es gäbe mehrere Dimensionen. Ich bin
nicht sicher, ob ich das alles verstanden habe...”
Qui-Gon musste wider Willen lächeln. Er erinnerte sich an seine erste
Unterweisung durch Yoda. ,,Das ist nicht schlimm. Ich habe einiges von dem,
was sie mir in deinem Alter erzählt haben, auch nicht sofort verstanden.” Er
blickte dem Jungen in die hellen Augen. ,,Aber du weißt, was die lebendige
Seite der MACHT ist?” Der Junge nickte zögernd. ,,Dann versuche, sie zu
nutzen! Du kannst fühlen, ob hinter der nächsten Kurve jemand steht oder
dir entgegen geht.”
94
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Der Junge schaute ihn skeptisch an. ,,Ich dachte, man nutzt die MACHT
nur für Frieden und Gerechtigkeit.”
Qui-Gon lachte leise. ,,Aber dazu musst du dir der MACHT erst bewusst
werden. Du musst sie erst in kleinen Dingen beherrschen lernen, bevor du dich
an die großen Aufgaben wagen darfst.” Es klang am Ende des Satzes seltsam
resigniert, und der Ältere erhob sich und strich seinen abgewetzten Mantel
glatt. Den rechten Arm aber bewegte er kaum dabei, er lag angewinkelt vor
seiner Hüfte - so, als wolle er ihn instinktiv schützen. Der Junge registrierte
dies, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. ,,Ich gehe zurück hinter
die Ecke. Versuche einmal festzustellen, wann ich wieder auftauchen werde!”
Als er wieder zurückkam, starrte der Junge ihn verwirrt an. ,,Ich habe
gar nichts gemerkt. Da ist nichts!” Sie probierten es wieder, doch der Jüngere
schüttelte wieder den Kopf.
Nachdenklich hockte Qui-Gon sich wieder hin. Er nahm die Hände des
Jungen in die seinen und sah ihm konzentriert in die Augen. Er spürte, wie
dem kleinen Kerl unbehaglich wurde. Die MACHT war stark in ihm, aber er
spürte sie wirklich nicht, jedenfalls nicht jenen lebendigen Teil, der Qui-Gon
so vertraut war. ,,Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt. Du musst fühlen
- nicht denken!”
Noch einmal verschwand er hinter der Kurve - und diesmal hörte er den
Jungen nach Luft schnappen. ,,Es funktioniert, Meister! Ich kann Euch geradezu sehen!!”
Qui-Gon blickte um die Ecke und hörte, wie der Junge lachte. Es wurde
ihm warm um‘s Herz, aber er wusste, was er zu tun hatte. Noch einmal
kniete er nieder. ,,Ich bin kein Meister, noch nicht... und erst recht bin ich
nicht dein Meister! Du darfst mich nie wieder so nennen!” Es klang härter
und unfreundlicher, als er es beabsichtigt hatte - und das strahlende Lächeln
des Jungen verschwand schlagartig.
,,Du bist noch ein Padawan?”
Qui-Gon nickte. ,,Ja... noch...”
Der Junge hörte wieder die Resignation in der Stimme des älteren Jedi.
Er hörte einen stillen, tiefen Kummer - so als meinte das ,,noch” des Älteren
etwas anderes als seines. Er wünschte sich, er könnte dem Mann genauso
helfen, wie der ihm geholfen hatte. Er trat auf ihn zu und legte den Kopf
schief. ,,Du wirst bestimmt ein Jedi-Meister! Und du wirst ein guter Lehrer
werden, dessen bin ich sicher!”
,,Ich wünschte, dem wäre so.”
Der Kleine verstärkte die Neigung des Kopfes und kniff die Lippen hart
zusammen. ,,Es wird so sein! Ich weiß es!”
Damit ging er den Gang weiter in Richtung des Ratszimmers. Qui-Gon
folgte ihm. ,,Du willst zum Rat?”
3.2. OBI-WAN
95
Sie hatten die Rampe erreicht und setzten sich auf die gepolsterte Bank
gegenüber dem großen Panoramafenster. Der Junge nickte, verzog dann das
Gesicht. ,,Ja, sie wollen mich sehen.” Er seufzte leise. ,,Ich schätze, sie wollen,
dass ich ihnen sage, wen ich gern zum Meister hätte.” Dieses Mal klang er
resigniert.
Qui-Gon legt ihm die linke Hand auf die Schulter. ,,Sie werden alles tun,
um dir deinen Wunsch zu erfüllen, wenn es möglich ist.”
Der Junge sah ihn traurig an. ,,Aber ich habe gar keinen Wunsch! Das
ist es ja! Ich weiß nicht, wen ich wählen soll...”
Bevor Qui-Gon einen Vorschlag machen konnte, öffneten sich die Türflügel
zum Ratszimmer, und die Mitglieder des Councils schritten an ihnen vorbei.
Qui-Gon und der Junge erhoben sich und verneigten sich vor den Meistern.
Gordon blieb einen Augenblick vor ihnen stehen. Er nickte Qui-Gon kühl
zu und sah dann den Jungen an. ,,Es tut mir leid, aber ich fürchte, wir
werden deinen Fall auf morgen verschieben müssen!” Wieder ein ärgerlicher
Blick in Qui-Gons Richtung. ,,Eine unangenehme Sache ist uns dazwischen
geraten, die wir noch dazu mit dem Obersten Kanzler besprechen müssen.
Komm morgen früh nach dem Frühstück zu uns. Dann sehen wir weiter!” Er
würdigte Qui-Gon keines Blickes mehr und schritt davon.
Der Junge holte tief Luft und ließ sie dann erleichtert entweichen. Dann
sah er Qui-Gon grinsend an. ,,Der mag dich wohl nicht, was?” Qui-Gon hob
die Augenbrauen und zuckte resigniert mit den Schultern. Das Grinsen vertiefte sich auf den Zügen den Jüngeren. Dann wandte er ab und lief die
Rampe hinab.
Eine Ahnung durchzuckte Qui-Gon. Er rief dem Jungen nach: ,,Wie heißt
du?”
Der Junge schaute über die Schulter zurück und blieb stehen. ,,Obi-Wan.
Und du?”
,,Ich bin Qui-Gon.”
Obi-Wan lächelte noch einmal zaghaft - und für einen kurzen Augenblick
sah Qui-Gon die Zukunft des Jungen, seltsam verschränkt mit der von Menschen und anderen Lebewesen, die er gar nicht kannte - ein großer Jedi, aber
um welchen Preis... Ein alter Mann, der für die Zukunft leben musste, der
um der Hoffnung willen sterben musste... Der Junge verschwand hinter der
ersten Kurve. Qui-Gon schaute ihm nach, schloss verwirrt von der mächtigen
Vision, für die er sonst so wenig Gespür hatte, die Augen. Er bemerkte nicht,
dass jemand neben ihn getreten war.
,,In die Zukunft du schaust?”
Yoda stützte sich auf seinen knotigen Stock und schaute erst dem Jungen
nach und musterte dann seinen Schüler. Sie waren nun allein vor dem leeren
Ratszimmer, der alte Meister war der letzte gewesen, der den runden Raum
96
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
verlassen hatte. Allein durch die Kraft seines Geistes schloss er die mächtigen
Türflügel hinter sich. Und noch immer sah der Alte ihn an. Er erwartete eine
Antwort, die Qui-Gon ihm nicht geben wollte. Wenn er Yodas Frage mit Ja
beantwortete, gäbe er damit zu, sich der MACHT gestellt zu haben und sie
nun nutzen zu können und dies auch ab und an zu tun. Sein Lehrer war nicht
dumm, er würde die richtigen Schlüsse ziehen. Aber er wollte seinen Meister
auch nicht belügen, also schwieg er.
Yoda wandte sich ab und sah über das in der Mittagssonne funkelnde
Coruscant. Qui-Gon wusste, dass er seinen Meister enttäuscht hatte - und
das schmerzte am stärksten. Yoda sprach es aus. ,,Vertrauen du tust mir
nicht.” Der alte Lehrer blickte ihn wieder an. Traurig? Oder nur enttäuscht?
Oder... belustigt? Yodas Mimik war wie immer schwer einzuschätzen. Dann
schüttelte er den Kopf. ,,Entschieden der Rat hat nicht. Aber bald er wird.”
Er blickte auf den rechten Arm seines Schülers, den der noch immer in einer
angewinkelten Position vor dem Bauch hielt. ,,Blass du bist und verletzt.
Essen musst du. Kommen musst du heute Abend zu mir, um zu essen!”
Es klang so hart, dass Qui-Gon nur nicken konnte. Yoda ließ ihn allein
vor dem Ratszimmer stehn.
Der junge Jedi starrte minutenlang in die gleißende Sonne über der endlosen Stadt, bis er fast blind war und Tränen seine Augen zu füllen begannen.
Dann ging er wirklich in die alte Bibliothek. Er starrte auf die Buchrücken,
nahm, ohne auf den Titel zu achten, einen Band heraus, legte den schweren
Umhang über die Sessellehne und setzte sich an einen der alten Tische. Doch
er las keine einzige Seite. Tränen liefen über seine Wangen. Er legte die Arme
über die alten, papiernen Seiten, verbarg sein Gesicht in den Falten seiner
Ärmel und ließ der Verzweiflung ihren Lauf.
Erst hatte er Javall verloren, und jetzt hatte er Yoda verletzt und von sich
gestoßen. Der Rat hieß den ausgehandelten Vertrag für Gestae und den Aufnahmeantrag an den Senat der Republik offensichtlich nicht gut und würde
ihn zwar dem Kanzler unterbreiten, aber nicht gebührend unterstützen. Javall würde vielleicht sterben, wenn der Senat die Aufnahme Gestaes in die
Republik ablehnte... Und wenn nicht ein Wunder geschah, würde er selbst
den Rest seines eigenen Lebens auch noch verlieren, wenn der Rat ihn aus
dem Orden ausschloss.
Seine ganze Welt brach über ihm zusammen.
3.3
Yodas Essen
Yodas Wohnung lag in der Spitze eines der vier Außentürme des Jedi-Tempels.
Seit über 800 Jahren lebte er hier - genügend Zeit, um dem Quartier eine
3.3. YODAS ESSEN
97
ganz persöhnliche Note zu geben. Qui-Gon stand vor der niedrigen Tür und
erinnerte sich an seinen ersten Besuch hier. Damals war er noch dem kleinen
Jungen ähnlich gewesen, den sein Vater hier zurückgelassen hatte. Er hatte
hoch erhobenen Hauptes durch die Tür gehen können.
Es war der Abend nach seiner Wahl gewesen. Er hatte nicht lange überlegen müssen - und er hatte das Glück gehabt, dass Yoda keinen anderen
Padawan zu diesem Zeitpunkt ausbildete. Er hatte den alten und kleinen
Jedi-Meister schon bei seinem zweiten Besuch im Rat gemocht, als ein wesentlich jüngerer - und freundlicherer - Gordon ihn im Namen des Rats in den
Jedi-Orden aufgenommen hatte. Vielleicht hatte der Junge aus ,,der Kolonie”
den alten Meister symphathisch gefunden, weil Yoda genauso klein war, wie
Qui-Gon sich in dem riesigen Komplex des Jedi-Tempels fühlte. Wer hatte ahnen können, dass aus dem schmächtigen, blassen Jungen einmal ein Schrank
von Mann werden würde? Der junge Jedi musste unwillkürlich lächeln.
Dann hörte er die Stimme seines Meisters aus dem Inneren der Wohnung.
,,Draußen du essen willst?”
Qui-Gon schloss für einen kurzen Augenblick müde die Augen und wappnete sich für einen schwierigen Abend. Yoda lud nie jemanden ohne Hintergedanken zum Essen ein. Schon die erste Einladung vor mehr als zwanzig Jahren hatte ihn auf harte Proben gestellt. Er hatte den ganzen Abend
schweigen müssen, was einem knapp vier Jahre alten, neugierigen und vor der
ersten Nacht ohne seine Eltern doch etwas heimwehkranken Jungen furchtbar
schwer fiel. Und am Ende erst hatte Yoda seine Wahl akzeptiert. Er hatte ihm
ein Bündel mit Kleidungsstücken gegeben, im Nacken ein paar Haarsträhnen
zu einem kleinen Zopf zusammengeflochten und ihm eigenhändig den Rest
seiner dunklen Fransen gekürzt. Aber er hatte nichts gesagt, als Qui-Gon
mitten in der Nacht aus seinem Bett in das seines Meisters geklettert war
und erst dort einschlafen konnte. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, hatte Yoda sich am anderen Morgen im Rat hinter ihn gestellt, seine beiden
Hände auf seine Schultern gelegt und vor den anderen Meistern erklärt, ihn
zum Padawan zu nehmen.
Aber wenn es in den folgenden Jahren ein Festessen bei seinem Meister
gegeben hatte, hieß das, dass er schwere Entscheidungen treffen musste - oder
Yoda sie bereits für ihn gefällt hatte...
Oder dass er einen schweren Fehler begangen hatte, den Yoda ihm dann
haarklein auseinander nahm...
Der junge Jedi ging in die Hocke und zwängte sich durch die kleine
Tür. Der Raum dahinter war zwar etwas höher, aber viel Platz blieb Yodas
Schüler nicht. Qui-Gon nahm seinen Stammplatz neben einem der niedrigen
Tische ein, der nun für zwei gedeckt war. Ein altmodisches Windlicht brannte
flackernd. Ein Festessen - er spürte die Verzweiflung in sich. Noch einmal alles
98
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
erzählen? Noch einmal die Kraft finden, Javall zu verheimlichen...? Er kniete
sich hin und versuchte zu meditieren, den Schmerz in Schulter und Geist zu
verdrängen, die Ruhe wiederzufinden, wie sein Meister es ihn gelehrt hatte.
‘Aus der MACHT einem Jedi die Kraft zufließt...‘ Jetzt endlich ergaben die
Worte einen Sinn.
Yoda stand hinter dem Vorhang, der seine kleine Küche vom Hauptraum
abtrennte. Er konnte die Unruhe seines Schülers geradezu greifen, seine Müdigkeit, seinen ungewohnten Argwohn gegen den eigenen Lehrer. Er spähte um
die Ecke und sah Qui-Gon mit hängenden Schultern am anderen Ende des
Raumes knien, tief in Trance. Dann veränderte sich etwas - und der alte Meister lächelte tief in sich. Er hatte richtig vermutet. Er verteilte das Essen in
zwei seiner einfachen Schälchen. Langsam ging er zu seinem Schüler hinüber.
Qui-Gon nahm ihm die Schalen ab und verneigte sich dann vor ihm.
Yoda begann zu essen, sein Schüler starrte dagegen teilnahmslos in die volle
Schüssel vor sich. Dann hob er an, etwas zu sagen. Der Meister schnitt ihm
das Wort ab. ,,Zeit zu essen es ist für den Jedi jetzt!” Sein Tonfall duldete
keinen Widerspruch. Qui-Gon schwieg, senkte den Blick, aber er aß noch
immer nicht. Yoda stellte die Schüssel zurück auf den Tisch und legte seine
dreifingrige Hand auf die seines Schülers. Jetzt gab er seiner Stimme einen
behutsamen Klang. ,,Gewusst du immer hast, wann Zeit zu reden ist, wann
Zeit zu schweigen. Doch heute du denselben Fehler gleich zweimal gemacht
hast.” Qui-Gon sah fragend auf. Yodas Elfenohren neigten sich nach unten.
Ein Zeichen für Nachdenklichkeit und leisen Spott. ,,Reden du hättest vor
dem Rat sollen - Schweigen du musst nun und zuerst essen.” Yoda sah und
spürte die tiefe Erschöpfung seines Padawans. ,,Und jetzt wirklich essen du
solltest. Eine lange Nacht ich sehe vor uns!”
Qui-Gon holte tief Luft und folgte der Aufforderung schweigend. Das
Gericht war fantastisch - kein Vergleich zu der nahrhaften, aber doch kargen
Kost im Orden. Wenigstens ein Trost. Er hatte den Tag über den hektischen
und lauten Speisesaal gemieden - und er war hungrig.
Yoda schien nur mit dem Essen beschäftigt zu sein, doch er bemerkte,
dass Qui-Gon sich langsam entspannte. Es wurde Zeit, über die Wahrheit zu
reden.
,,Schlecht deine Verteidigung heute war.”
Sein Schüler setzte die Schüssel auf den niedrigen Tisch zurück und legte
die Hände auf die Oberschenkel. Yoda spürte, wie er sein Inneres verschloss,
aber er war nicht ausgeruht wie am Morgen im Rat. Yoda wusste, dass es ihm
jetzt auf Dauer nicht gelingen würde, seinem Lehrer Widerstand zu leisten.
Noch hatte er nicht die Erfahrung eines Meisters.
,,Es war die bestmögliche Verteidigung.”
Nun stellte auch Yoda die Schale fort. ,,Nein.” Er sah Qui-Gon durch-
3.3. YODAS ESSEN
99
dringend an. ,,Die bestmögliche die Wahrheit gewesen wäre!”
,,Ich habe die Wahrheit gesagt.”
Yoda legte den Kopf schief, seine Ohren veränderten ihre Stellung. ,,Vielleicht - aber ehrlich du bist nicht gewesen.”
Qui-Gon fühlte sich in einem tiefen Sumpf gefangen. Es senkte den Kopf.
Warum nur war er überhaupt hierher gekommen?
Sein Meister spürte die aufsteigende Panik, die Entscheidung, die der
junge Jedi fällen musste. Aber er durfte ihm nicht helfen - Qui-Gon musste
den Weg selbst finden und beschreiten, den er heute Morgen gemieden hatte.
Yoda wünschte nichts mehr, als dass sein Schüler die Kraft finden würde,
seinen Fehler zu sehen - und einzugestehen, wenigstens hier.
Qui-Gon starrte verloren auf den Tisch. Er begriff, dass sein Lehrer wusste, dass er den Code sehr viel weiter missachtet hatte, als er vor dem Rat
zugegeben hatte. Doch wenn Yoda es gespürt hatte, dann die anderen Mitglieder des Councils ebenfalls. Also sahen sie jetzt in ihm den Lügner, den
Feigling, der nicht zu seinen Taten und Motiven stand. Mochte er auch nicht
gelogen haben, die halbe Wahrheit war nicht besser als eine Lüge. Was hatte
er Carnell gesagt? Die Wahrheit könne nie verkehrt sein? Jetzt hatte er sich
in derselben Schlinge verheddert wie der junge Reesch - tödlich verheddert.
Er sah nicht auf und schlüpfte aus seinem abgetragenen Schülermantel.
Langsam, wieder gegen die Tränen ankämpfend, legte er ihn zusammen rituell, wie es ein Schüler für seinen verstorbenen Meister getan hätte. Dann
griff er an seinen Gürtel, löste das Laserschwert und legte es oben auf das
Stoffbündel.
Beides reichte er Yoda.
In seiner Stimme schwebten seine Tränen mit, sein unendliches Entsetzen
und seine tiefe Trauer über sein Versagen. ,,Es tut mir leid, Meister Yoda.”
Der begriff die Geste, doch er nahm die Gabe nicht an. Qui-Gon legte
Mantel und Schwert zwischen die beiden Schalen auf den niedrigen Tisch.
Yoda legte den Kopf schräg.
,,Leid tun dir nicht helfen wird, Qui-Gon!” Hart klang es, doch dann
wurde die Stimme leise und verständnisvoll. ,,Die Wahrheit helfen würde.
Meister Gordons Frage Du morgen noch beantworten wirst müssen im Rat!
Die Frage, warum Du hast zugestimmt, zu sein der Vermittler.”
Qui-Gon zögerte noch einmal, doch dann wurde ihm bewusst, dass es
sowieso egal war, ob er es Meister Yoda nun erzählte oder nicht. Er hatte
versagt, und eine zweite Chance würde er nicht bekommen. Es war vorbei - warum also noch drumherum reden. Leise, stockend zuerst, dann immer sicherer werdend, erzählte er von seinen Begegnungen mit der MACHT.
Mit der immerwährenden zu Beginn seines Aufenthaltes auf Gestae, mit der
dunklen Seite, als er Cathbad fast getötet hätte. Aber Javall ließ er aus. Er
100
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
brauchte ihre tragische Beziehung nicht beschreiben. Es hatte genug andere
Geiseln gegeben, er konnte sie erwähnen, ohne sie hervorzuheben.
Yoda ließ ihn reden, hörte aufmerksam zu. Dann stellte er eine einzige
Frage. ,,Warum Du nicht getötet den Reesch?”
Qui-Gon blickte ihn an, das erste Mal, seit er den Status des Jedi-Padawan
aufgegeben hatte. Er schien verwirrt, dachte angestrengt darüber nach. ,,Etwas war.... falsch...” Er schüttelte den Kopf. ,,Ich kann es nicht erklären!”
Sein Meister kniff die Augen zusammen. ,,Versuchen Du musst.”
Qui-Gon schloss die Augen und versuchte, sich genau zu erinnern. ,,Da
war etwas Anderes als sonst, wenn wir beide gegeneinander oder bei einem
Auftrag gekämpft haben. Es war da, es war in mir, aber ich kann es nicht
anders beschreiben als in Gefühlen: Ich habe meine verletzte Schulter nicht
gespürt, es war, als wäre ich nicht angeschossen worden...” Er sah Yoda
wieder an. ,,Ich war nur wütend, zornig, ich wollte ihn nur töten. Und das ist
mir bewusst geworden, als ich zum tödlichen Hieb ausholte. Es war so einfach
- aber auf einmal wurde mir klar, dass es falsch war. Es war nicht der Weg,
den ich mein Leben lang gehen wollte. Ich habe dann nur noch versucht, die
Wut zu verarbeiten, meinen Zorn zu begraben. Und dann war es vorbei. Ich
konnte mein Schwert kaum halten vor Schmerzen, und wenn die junge Frau
nicht gewesen wäre, hätte der Reesch mich getötet.”
Instinktiv hatte er nach der verletzten Schulter gegriffen, als müsse er
sie noch immer schützen. Aber Yoda schien zu lächeln. Er erhob sich und
wanderte, wie immer auf seinen Gimerstock gestützt, in seinem Heim hin und
her. ,,Zwei Teile der Prüfung, ich denke, Du bestanden hast - nur verkehrt die
Reihenfolge war!” Er kicherte leise. Nun war wirklich Spott in seiner Stimme.
,,Immer Du eine Ausnahme brauchst - nie die Regeln Du einhalten kannst!
Erst Angst, dann dunkle Seite der MACHT, dann ein Auftrag allein. Warum
Du nur so ungeduldig? Denken, Qui-Gon, nicht nur fühlen! Deine Ungeduld
Dich noch töten wird, eines Tages...” Yoda schloss die Augen, verscheuchte
dann die undeutliche Vision. Jetzt war nicht die Zeit für die Zukunft, jetzt
ging es um Qui-Gons Gegenwart. ,,Die Reihenfolge Du völlig verdreht hast,
Qui-Gon!” Dann verschwand der leise Ärger gänzlich aus der Stimme des
alten Jedi. ,,Aber Du Aufgabe auf Gestae gut gelöst hast. Erstaunt der Rat
war über Deine Leistung. Rat, Kanzler und der ganze Senat dem Vertrag
zugestimmt haben heute Nachmittag. Gestareesch wird Teil der Republik
sein.”
Der junge Mann sah Yoda überrascht an. Damit hatte er nicht gerechnet,
nicht nach Gordons eisigen Worten heute Morgen. Doch dann begriff er, dass
der Vorsitzende des Rates sein Verhalten vor dem Council missbilligt hatte,
nicht sein Verhalten auf dem Quarzplaneten. Dann seufzte er. ,,Und trotzdem
habe ich am Ende versagt...”
3.3. YODAS ESSEN
101
Yoda verzog das Gesicht. ,,Deiner Angst Du Dich nicht gestellt hast, und
nur Du beantworten kannst, wovor Du Angst hattest heute Morgen. Nun es
zu spät ist. Morgen Du keine Angst mehr haben wirst, denn wissen tust Du
nun, dass Du Erfolg hattest. Aber Du Dich beim Rat entschuldigen musst.
Auch den anderen Elf Du die Wahrheit erzählen musst.” Der alte Meister
trat an den Tisch, hob Umhang und Schwert auf und hielt sie dem jungen
Jedi hin. ,,Du noch immer aufgeben willst?”
Qui-Gon zögerte. ,,Du sagtest, es sei zu spät...”
Yoda schien zu lächeln. ,,Morgen wir werden sehen weiter. Deiner Angst
Du Dich noch stellen musst, aber es immer mehr als einen Weg in der Prüfung
gibt. Vielleicht Du nur den schwersten gewählt.”
Er legte ihm die Sachen in den Schoß. Der junge Jedi sank in sich zusammen und presste Umhang und Schwert an sich vor Erleichterung. Yoda
berührte ihn vorsichtig an der linken Schulter. ,,Arzt Doronn schon schlafen
jetzt wird, aber wenn Du ausziehen Deine Tuniken wirst, sehen werde ich
nach Deiner Schulter.”
Qui-Gon nickte müde. Vorsichtig schälte er sich aus den Sachen. Yoda bemerkte die Seidenborde auf der weiten Tunika, aber seinen fragenden Blick
sah sein Schüler nicht. Der alte Meister beschloss, dass es für heute genug
Fragen gewesen waren. Für seine Neugier war auch noch in ein paar Tagen
Zeit. Qui-Gons Verband war halb durchgeblutet. Yoda schüttelte den Kopf.
,,Leichtsinnig Du auch noch immer bist!” Vorsichtig säuberte er die Blasterwunde, holte eine schmerstillende Salbe und verteilte sie behutsam über dem
geschwollenen Fleisch. Er spürte, wie Qui-Gon immer wieder vor Schmerz zusammenzuckte und sich verkrampfte. ,,Recht geschieht Dir! Warum Du nicht
gehen zu Doronn? Oder schon auf Gestae zu einem Arzt?!”
Qui-Gon schwieg. Wie sollte er Yoda erklären, dass der Schmerz in der
Schulter ihn davon abgehalten hatte, andauernd an Javall zu denken? Aber
sein Meister beließ es bei der milden Rüge. Und darüber war der junge Jedi
mehr als froh. Er holte tief Luft und spürte, wie Yoda vorsichtig seine nicht
verletzte Schulter und den verkrampften Nacken massierte. Und er spürte,
wie der alte Jedi ihm einen großen Teil seiner eigenen Kraft, Ruhe und Ausdauer gab, um den morgigen Tag durchstehen zu können. Dankbar sah er
sich um.
Yodas Blick schien tief in ihn zu reichen. ,,Lernen Du musst noch viel über
die MACHT, junger Padawan, lernen noch viel über das Leben und den Tod.
Doch nicht von mir, das Du nur allein mit der MACHT kannst lernen. Nur
ein letzter Rat noch: Morgen unterwirf Dich dem Code! Widersetze Dich
nicht dem Urteil des Rates, lerne, die Geduld zu nutzen!”
Qui-Gon nickte nachdenklich. Wie oft hatte sein Meister ihm das schon
geraten? Er wusste es nicht. Yoda kannte seine beiden Schwächen wie kein
102
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
anderes Mitglied der Jedi. Qui-Gon hoffte, dass er wenigstens dieses eine Mal
seinen Lehrer nicht enttäuschen würde.
3.4
Rat-Schläge
Geduld war nie Qui-Gons Stärke gewesen - und sie war es auch jetzt nicht.
Das eigentliche Gespräch vor dem Rat war nicht so schlecht gelaufen, wie er
befürchtet hatte. Der große Sevit war zwar nach wie vor kühl und distanziert,
aber die anderen zehn Mitglieder des Rates schienen sowohl seine Entschuldigung anzunehmen als auch Yodas Einschätzung zu teilen, was seinen weiteren
Weg im Orden betraf. Gordon allerdings hatte er nicht überzeugen können.
Der Vorsitzende des Rates lehnte noch immer regungslos in seinem maßgeschneiderten Sessel, das geteilte Kinn auf den oberen der beiden rechten
Arme gestützt, die beiden unteren Hände locker auf den Armlehnen ruhend,
den oberen linken Arm lässig im Schoß. Mit nur zwei Fingern pro Hand oder war Klauen der passendere Begriff ? - konnte er sein Laserschwert kaum
in der klassischen Weise ruhig halten, aber im Kampf war er so dermaßen
beweglich und geschickt wie kein anderer Jedi vor ihm. Er hatte einen völlig
neuen Kampfstil entwickelt, bei dem die Klinge nie ruhte, sondern teils wie
ein altmodischer Propeller rotierte, teils in Doppelachten wirbelte - letzteres auf so engem Raum, dass das Schwert zwar ruhend aussah, es aber in
Wirklichkeit nicht war... Eine Tatsache und ab und an ein Vorteil, den viele
Gegner gehörig unterschätzt hatten.
Viele angehende und auch schon ausgebildete Jedi kamen seitdem zu Gordon, um diese Technik zu erlernen - auch Qui-Gon hatte viele Stunden mit
ihm trainiert, und deswegen konnte er den aufmerksamen Gesichtsausdruck
des Sevit richtig einschätzen:
Gordon schien eingelullt zu sein, ermüdet durch die lange Verteidigungsrede des Padawan, der hier so verzweifelt um seine Zukunft kämpfte. Doch
Qui-Gon wusste es besser, wusste, dass der Meister immer dann am gefährlichsten war, wenn er schon besiegt schien. Der junge Jedi suchte Yodas Blick.
Doch das älteste Mitglied des Hohen Rates hatte die Augen geschlossen. QuiGon fielen seine Ratschläge vom vergangenen Abend ein.
Geduld. Achtung. Unterwerfung...
Der Padawa biss in Gedanken die Zähne zusammen, holte tief Luft, sah
Gordon in die gelblichen Augen.
,,Ich habe den Codex gebrochen - wahrscheinlich gibt es keine einzige
Regel, die ich in den letzten zwanzig Jahren nicht irgendwann einmal verletzt
habe. Aber ich habe das Prinzip der Jedi nicht verraten - nicht wissendlich
jedenfalls -, außer dieses eine Mal, als ich Euch belog. Aber ich kann es nicht
3.4. RAT-SCHLÄGE
103
ungeschehen machen - ich kann mich nur entschuldigen und es bereuen.”
Jetzt sah Yoda ihn durchdringend an. Er spürte den Blick, auch wenn
er weiterhin Gordons kalten Augen standhielt. Qui-Gon griff nach den verschlissenen Seiten seines Mantels, kniete in der Mitte des kostbaren Mosaiks
nieder, bedeckte mit dem durchscheinendem hellbraunen Stoff seine Knie und
senkte den Kopf so tief er es vermochte. Sein nunmehr kinnlanges Haar fiel
ihm ins Gesicht, nahm ihm die Sicht, doch Qui-Gon wagte nicht, es zurückzustreichen, um nicht den offensichtlichen Bruch mit den Traditionen der
Ausbildung zwischen Padawan und Meister, den er seit Jahren praktizierte,
noch mehr zu betonen.
,,Ich lege meine Zukunft in die Hände dieses Rates und vertraue auf seine
Weisheit über mein Leben hier im Orden gerecht zu entscheiden. Ich werde
Euer Urteil akzeptieren, wie immer es auch ausfallen wird...”
Seine tiefe Stimme versagte.
Die Blicke aller zwölf Ratsmitglieder waren auf ihn gerichtet. Sie sahen
nicht einander an, um zu einer Entscheidung zu kommen, sie blickten auf
den jungen Jedi, der sich ihnen vorbehaltlos auslieferte und anvertraute.
Und tief im Inneren lächelten zwei der erfahrensten Meister unter ihnen.
Durch die breiten Panoramafenster tauchte die goldrot untergehende Sonne Mosaik und Padawan in majestätischen Glanz. Sekundenlang dauerte das
Farbspiel nach der langen Dämmerung nur - dann wurde es für wenige Millisekunden dunkel im Saal. Die feinen Sensoren registrierten den Helligkeitsabfall, und die gedämpfte, künstliche Beleuchtung erglomm im Rund.
Für Qui-Gon dehnten sich diese Sekunden der Stille zu einer Ewigkeit.
Er hörte nur das stete Summen der unzähligen Frachter, die auch den JediTempel zu jeder Tages- und Nachtzeit umflogen. Er sah das verwirrende
Farbspiel auf dem Boden, die Dunkelheit, die langen Schatten, die sich auf
einmal bildeten. Als die letzten Strahlen der Farbenpracht erloschen waren,
erlosch auch seine Hoffnung; er schloss die Augen, kämpfte seine Trauer nieder. Aber er war unfähig, sich zu erheben und den Raum zu verlassen.
Dann hörte er Gordons kalte Stimme.
,,Du kannst gehen, Qui-Gon, der Rat wird Dir seine Entscheidung mitteilen, wenn er sie getroffen hat.”
Qui-Gon sah überrascht auf, starrte den Sevit an. Ein kaltes Lächeln
umspielte die Lippen des Ratsvorsitzenden. Er legte nun beide obere Hände
gefaltet in den Schoß und nickte dem jungen Jedi äußerst knapp zu.
,,Möge die MACHT mit Dir sein.”
Qui-Gon begriff, dass es besser war, kein Wort mehr zu sagen, keine Frage
mehr zu stellen. Er erhob sich langsam, versteckte seine zitternden Hände in
den weiten Ärmeln seiner Robe, verneigte sich tief vor Gordon und Yoda und
verließ den Saal.
104
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Obi-Wan trat vorsichtig durch die Luftschleuse und blickte aufmerksam
um sich. Nein. Niemand war hier - der Trick mit dem ,,Fühlen statt Denken” schien auch durch eine Wand und nicht nur um eine Ecke herum zu
funktionieren - Meister Qui-Gon sei Dank!
Er hatte nicht vergessen, was der ältere Padawan ihm zum Thema ,,Meister” gesagt hatte, aber er bedachte ihn in Gedanken trotzdem mit diesem
Titel. Egal, wer sein wirklicher Meister werden würde, es würde immer QuiGon bleiben, der ihm als erster etwas Praktisches beigebracht hatte, was er
nicht schon vorher gewusst hatte. Yodas Unterricht zählte nicht - der theoretisierte nur alles, bis Obi-Wan der Schädel brummte... Derweil hatte er in
Erfahrung gebracht, dass Qui-Gon Yodas Padawan war - wie hatte der ältere
Jedi es nur zwanzig oder mehr Jahre tagein tagaus mit diesem Lehrer aushalten können? Vor allem, wie hatte Qui-Gon diesen Gnom freiwillig wählen
können...? Obi-Wan schüttelte innerlich den Kopf. Allein schon die Grammatik des alten Jedi war grauselig genug, jede Stunde, die der kleine Junge in
seiner Gegenwart verbringen musste, zur Qual zu machen. Und Yoda schien
ein perverses Vergnügen daran zu finden, ihn nach dem normalen Unterricht
dazubehalten, um ihn immer und immer wieder dasselbe zu fragen oder ihm
etwas über die verschiedenen Dimensionen der MACHT zu erzählen.
Er ging an der Wand entlang nach links, bemüht, auf keine der zahllosen Ranken und Wurzeln zu treten. Das Arboretum des Jedi-Tempels war
groß - groß genug, um sich darin zu verlaufen, wie Obi-Wan hatte feststellen
müssen. Fast jede bedeutende Spezies der Welten der Republik exisitierte
hier. Es gab verschiedene Klimazonen, die durch leichte Kraftfelder voneinander getrennt wurden, die ein Lebewesen nichtpflanzlichen Charakters aber
ohne Nebenwirkungen durchschreiten konnte. Das riesige Gewächshaus, wie
es die anderen Schüler häufig relativ respektlos nannten, diente dem Unterricht ebenso wie als Grundlage vieler Missionsvorbereitungen.
Obi-Wan aber kam aus einem anderen Grund hierher. Er folgte der Wand
bis zum ersten Kraftfeld und dann dem rosa schimmernden Energiefeld Richtung Mitte des riesigen Kuppelsaales bis zu einer kleinen Lichtung. Hier waren es nur noch ein paar Meter durch dichtes Gambaholz - und er stand vor
einem Arisp-Baum. Obi-Wan berührte vorsichtig den samtigen Stamm. Arispen waren warm. Der kleine Junge fühlte das Leben in dem dicken, weichen
Stamm. Er liebte diesen Baum über alles.
Auf seiner Heimatwelt hatte jede Familie einen ganz besonderen Baum
gehabt, einen Sorgenbaum. Man ging zu ihm, wenn man Sorgen hatte, erzählte diese dem Baum, schrie ihn an, schlug vielleicht sogar mit den Händen auf
ihn ein, und alles kam in Ordnung - oder es wurde zumindest etwas leichter,
die Sorgen zu ertragen... Er konnte sich an seinen Sorgenbaum nicht erinnern.
Aber er wusste, dass es ihn gegeben hatte. So wie es eine Familie gegeben
3.4. RAT-SCHLÄGE
105
hatte, an die er sich bis auf eine Ausnahme nicht erinnern konnte. Dass es
Krieg gegeben hatte, dass er sich erinnern sollte, aber es nicht konnte. Und er
wusste, dass das das Problem war. Deshalb rief der Rat ihn nun doch nicht
- oder erfand Ausreden ohne Ende, warum er nicht bereit sei, ein richtiger
Padawan zu werden.
Er konnte sich nicht erinnern, was er getan hatte, was an jenem Nachmittag auf dem Marktplatz geschehen war. Was er über seine Heimat wusste,
war aus Büchern und Filmen zusammengesetzt - er hatte keine Erinnerungen
daran, wie sie vor dem Krieg ausgesehen hatte.
Krieg... Es war nur eine einzige Schlacht gewesen - sagten die Geschichtsdaten. Ein Geplänkel am Rande der Republik, ein Überfall von außen, ein
kurzes Gefecht, kaum von Wert für die Geschichtsschreibung. Wer würde sich
in zehn Jahren noch daran erinnern, wer erinnerte sich jetzt noch daran??
Aber von ihm erwarteten sie es...
Obi-Wan spürte die Tränen, die über seine Wangen liefen. Wenn es ihm
nicht bald gelang, sich zu erinnern, würden sie ihn fortschicken, genauso wie
sie Owen fortgegegeben hatten...
Er legte das heiße Gesicht an den Stamm des Baumes, umfasste ihn mit
beiden Armen und weinte. Die Arispe gab leicht nach. Obi-Wan rutschte
herab und fühlte sich geborgen im Arm eines fremden Baumes - er musste
wider Willen lächeln. Langsam stand er auf und strich die nasse Erde von
seiner Kleidung, schaute ehrfürchtig in das hohe Blätterdach.
Wie lange mochte der Baum schon hier wachsen? Er hatte noch nie einen
solch dicken Stamm in Natura gesehen. Er wusste, dass die Sith vor fast
tausend Jahren den alten und ersten Jedi-Tempel verbrannt hatten. War der
Baum so alt? Oder vielleicht sogar noch älter? Hatte er vielleicht die Vernichtung allein überlebt, so wie Obi-Wan fast allein auf einem Platz bedeckt
mit Leichen überlebt hatte...?
,,Er ist neunhundertdreiundsiebzig Jahre alt.”
Obi-Wan fuhr erschrocken herum.
Hinter ihm stand ein alter Mann. Er trug eine fleckige Lederhose, ein
altmodisches T-Shirt und einen dicken Pulli über den Schultern, die Ärmel
über der Brust verknotet. In der rechten Hand hielt er einen Eimer, aus
dem verdorrte Ranken schauten, in der linken eine große Schere. Er legte die
Schere in den Eimer und setzte diesen ab, vergrub die Hände in den Taschen
der alten Hose.
,,Er ist der älteste Baum hier - und der schönste, wenn Du mich fragst.”
Obi-Wan nickte langsam. ,,Ja, das finde ich auch.”
Der Alte kam näher und reichte ihm eine Hand. ,,Ich bin Benjamin, aber
Du darfst Ben sagen.”
Der Junge zögerte merklich, aber dann gab er dem Alten seine Rechte.
106
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
,,Obi-Wan...”
Ben lächelte verschmitzt. ,,Ja, ich weiß!”
Der Junge zog sich in sein Schneckenhaus zurück. Der Alte seufzte. ,,Sei
nicht so überrascht und misstrauisch! Wenn schon ein kleiner Mensch hier
mein Gambaholz mindestens einmal in der Woche niedertrampelt, dann will
ich wenigstens wissen, wer das ist!”
Betreten starrte Obi-Wan zurück in die Richtung des Kraftfeldes - er
hatte das Gambaholz niedergetreten, aber es richtete sich schon langsam
wieder auf. Trotzdem senkte er den Blick. ,,Es tut mir leid...”
Ben strich durch das rotblonde Haar des Kindes. ,,Hey, schon gut.” Hatte
der Junge denn gar keinen Humor? ,,Davon stirbt es nicht, aber du solltest
demnächst den Pfad dort drüben benutzen! Ich werde dir zeigen, wie man
vom Haupttor hierher kommt.”
Er hob den Eimer wieder an. Obi-Wan folgte ihm langsam und prägte
sich den Weg ein. Am Haupttor blieben sie stehen. Ben forderte ihn auf, den
Weg allein zurück zur Arispe zu finden. Obi-Wan gelang es.
Ben lächelte.
Der Junge sah ihn noch einmal kritisch an. Der Alte hatte leuchtende
grüne Augen, die so gar nicht zu den schlohweißen Haaren passen wollten.
Auch sein Bart war mehr als nur grau, aber kurz und gepflegt. ,,Bist Du hier
der Gärtner?”
Ben lächelte breiter. ,,Na, sagen wir, ich kümmere mich ein wenig um die
Pflanzen und Tiere hier - wenn das deiner Vorstellung von einem Gärtner
entspricht, bin ich einer.” Was für eine seltsame Antwort. Obi-Wan dachte
darüber nach. Da er keine Lösung fand, wandte er sich ab. ,,Wo willst du
hin?”
,,Ich muss gehen. Ich habe noch etwas vor.”
,,Das bezweifle ich!” Obi-Wan erstarrte. Dann sah er den Alten misstrauisch an. Ben lachte. ,,Oh, du musst wirklich noch viel lernen.” Er kniete
sich vor dem Jungen hin und schmunzelte breit. ,,Du bist offensichtlich kein
Padawan, so wie du aussiehst. Und die Schule ist seit dreieinhalb Stunden
vorbei. Und da keiner der Meister auf dich wartet, kannst du nur n deine
Klasse gehen, um deine Hausaufgaben zu machen, oder in den Schlafsaal.
Scheint mir wenig aufregend zu sein.”
Obi-Wan senkte den Blick. Das war zu viel. Er entwandt sich dem sanften
Griff des Alten und rannte davon - weinend. Nun hatte er auch noch seinen
Baum verloren, denn hierhin, zu diesem alten Gärtner Ben, wollte er nie
wieder zurückkehren. Er wollte nicht noch mehr Fragen beantworten müssen,
solange er keine Antworten wusste.
3.5. DIE BIBLIOTHEK
3.5
107
Die Bibliothek
Qui-Gon schlug das alte Buch mit den uralten Prophezeihungen zu. Auserwählte, empfangen durch die MACHT, der eine, der der MACHT das
Gleichgewicht bringt... - was für ein Schwachsinn! Wer glaubte denn an solche Dinge? Einer plötzlichen Eingebung folgend, hob er den Band hoch und
knallte ihn auf die Tischplatte. Dann erst ließ er die angehaltene Luft entweichen. Und mit der Luft entwich die Wut - oder war es nur blinde Frustration?
Er war sich seiner Gefühle nicht mehr sicher. Er stand aus dem bequemen
Sessel auf und ging um das Bücherregal herum.
Dahinter lag das einzige große Panoramafenster der Bibliothek - so von
Regalrückwänden abgeschirmt, dass das grelle Licht des coruscantschen Zentralgestirns das empfindliche Material der Bücher nicht erreichen konnte egal ob Papier, Termalfolie oder was immer die zahllosen Kulturen, die etwas zum Glauben der Jedi beigetragen hatten, auch verwendet hatten in
grauer Vorzeit, um ihre Lehren zu konservieren. Das dadurch entstandene
Zwielicht wurde von der künstlichen Beleuchtung nur unvollkommen ergänzt
- offensichtlich war das Absicht, denn Qui-Gon kannte genug vollkommen
fensterlose Räume im Tempel, die perfekt ausgeleuchtet waren. Das Zwielicht gab dem großen, verwinkelten Raum die Atmosphäre einer Grotte oder
eines Heiligtums.
Aber Qui-Gon erschien es zunehmend als Gefängnis.
Eines von vielen.
Neben seinem eigenen Zimmer neben Yodas Wohnung.
Neben dem lauten Esssaal.
Neben diesem ganzen Tempel-Komplex.
Selbst neben den Trainingshallen.
Die ersten Tage hatte es genügend Abwechslung in seinem Leben gegeben. Er war doch noch zu Doronn gegangen, da die Schulter nicht heilen
wollte. Der Corellianer war ein sehr erfahrener Arzt - und er sparte nicht an
Vorwürfen. Er hatte seine eigene Ausbildung zum Jedi aufgegeben, als er mit
seinem Meister in einen Kampf geriet und entdeckte, dass er ein weitaus besserer Sanitäter als Kämpfer war: Er konnte mit seinem Schwert Meister Kann
Dar nicht gegen die Übermacht von zehn Terroristen helfen, aber er konnte
ihm das Leben retten, als ein Schuss die Halsschlagader seines Lehrers traf.
Kann Dar war nicht begeistert gewesen, seinen Schüler an die medizinische
Fakultät Coruscants zu verlieren, aber er setzte sich dafür ein, dass Doronn
nach seinem Studium in den Orden zurückkehren durfte.
Qui-Gon musterte den humanoiden Arzt jetzt unter einem ganz anderen
Gesichtspunkt als bei früheren, unfreiwilligen Besuchen im Krankenrevier.
,,War es schwer, außerhalb des Tempels zu leben?”
108
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Doronn wusch sich die Hände und musterte den verletzten Padawan im
Spiegel. Qui-Gon nachdenklich? Das war etwas Neues! ,,Es war.... ungewohnt.” Er trocknete sich die Hände ab und nahm eine Schale, in der er
verschiedene Substanzen verrührte. ,,Ich bin das erste Mal Vorurteilen begegnet. Ich musste lernen, wie die anderen Mitglieder der Republik die Welt
sehen und beurteilen. Und sie mögen Corellianer nicht sonderlich, wenn ich
mich nicht irre.”
Doronn nahm einen Schwamm und tauchte ihn in die flüssige, giftgrüne
Paste. Qui-Gon fragte sich, warum Medizin immer so grässlich aussehen musste. ,,Du meinst, wir leben hier in einem Elfenbeinturm?”
Der Arzt schüttelte den Kopf. ,,Nein. Nicht wirklich jedenfalls. Aber weil
fast alle von uns von ihren Familien getrennt werden, bevor sie eine Chance
haben, sich überhaupt an sie zu erinnern, wachsen wir hier gemeinsam mit so
vielen fremden Rassen auf, dass wir kaum eine Chance haben, Vorurteile zu
entwickeln. Vielfalt, Andersartigkeit ist für uns völlig normal. Und wir haben
eine eigene Kultur, die aber unsere Individualität nur überdeckt und nicht
unterdrückt. Diese Vorteile haben die meisten Lebewesen in der Republik von
Zuhause aus nicht!” Er verteilte die Tinktur vorsichtig auf der offenen Wunde.
Die desinfizierende Wirkung trat sofort ein - und Qui-Gon konnte einen Schrei
nur mit Mühe und relativ unvollkommen unterdrücken. Er starrte den Arzt
wütend an. Doronn reagierte nicht darauf. ,,Du kannst von Glück reden,
dass sich die Fleischwunde nicht entzündet hat, Qui-Gon. Das nächste Mal
kommst Du sofort zu mir - haben wir uns verstanden?”
Er verband die Schulter fachmännisch und half dem Padawan in dessen Tuniken. Qui-Gon zuckte mit der unverletzten Schulter. ,,Wenn es ein
nächstes Mal geben wird...”
Doronn blickte ihn lange an. ,,Hast du wieder mal den Codex missachtet?”
Qui-Gon nickte ernst. ,,Schlimmer: Ich habe noch dazu den Rat belogen.”
Der Arzt nickte nachdenklich. ,,Das war nicht klug von dir. Aber du warst
schon immer unübertroffen darin, dich in Schwierigkeiten zu bringen!”
Der junge Jedi verzog das Gesicht und verließ das Behandlungszimmer was gab es darauf auch schon zu sagen? Er hatte in seinem Zimmer das neue
Lichtschwert überarbeitet und damit ein wenig trainiert, als die Schulter es
wieder erlaubte - zu diesem Zeitpunkt waren schon zwei Wochen vergangen,
seit er vor dem Rat gestanden hatte. Und der Rat rief ihn nicht.
Was konnte nur so lange dauern?
Worüber debattierten sie nur so lange?
Qui-Gon verstand es nicht, nicht im Geringsten.
Dazu kam noch, dass Meister Yoda ihm aus dem Weg ging. Sie wohnten
nebeneinander, seitdem Qui-Gon zehn war und er beim besten Willen nicht
mehr in der kleinen Wohnung seines Lehrers schlafen konnte. Es verstieß
3.5. DIE BIBLIOTHEK
109
gegen den Codex, dass ein Padawan ein eigenes Zimmer bewohnte, aber Yoda
weigerte sich, seine Wohnung für mindestens zehn oder sogar fünfzehn Jahre
zu verlassen, nur weil sein Schüler ihm buchstäblich über den Kopf wuchs.
So richteten sie eine Verbindungstür zwischen beiden Zimmern ein, die nie
geschlossen gewesen war - bis jetzt. Am Abend nach der Ratssitzung hatte
Qui-Gon den kleinen Durchgang verschlossen vorgefunden. Und das war er
bis jetzt auch geblieben.
Yoda schien ihn auch sonst zu meiden. Nicht einmal zum Essen trafen
sie sich mehr im großen Speisesaal - gegen ein ungeschriebenes Gesetz der
Jedi, dass Meister und Schüler gemeinsam dort aßen, wenn sie auf Coruscant
weilten. Wo und wann immer Yoda auch essen mochte in den letzten Wochen,
er schloss Qui-Gon davon aus. Und sein Padawan spürte die neugierigen
Blicke in seinem Rücken, wenn er allein im Speisesaal erschien. Er spürte
die unausgesprochenen Fragen, die Gerüchte, die wieder einmal über den
halsstarrigsten aller Schüler im Umlauf waren. Ohne Yodas Rückendeckung
war er auf einmal völlig isoliert... Konnte es außerhalb des Ordens denn noch
schlimmer werden?
So sehr ihm ein Nein auf der Zunge lag, er wusste, dass er lieber die Verachtung und den Spott hier ertragen würde, als diesen Ort zu verlassen, der
seine einzige Heimat war, die einzige, die er sich noch dazu nach dem Gespräch mit Doronn wirklich vorstellen konnte. Doch die wenigen Mahlzeiten
genügten völlig, seine Leidensfähigkeit unter Beweis zu stellen. Nach ein paar
Tagen begann er, die belebten Bereiche des Jedi-Tempels zu meiden. Er zog
sich zuerst in sein Zimmer zurück, starrte die kleine Tür zu Yodas Wohnung
an, versucht, sie nur mit Hilfe der MACHT aufzustemmen. Aber das wagte
er dann doch nicht.
Schließlich fiel ihm die Decke auf den Kopf, und er begann, die Vormittage
mit leichtem Training zu verbringen. Jeder, der einen Fechtpartner sucht,
fand ihn in ihm. Auch einige seiner Freunde kamen vorbei. Mace, der vor
ihm die Ausbildung abgeschlossen hatte und nun einen zweiten Namen Windu - und einen eigenen Schüler hatte, legte ihm einfach die linke Hand
auf die Schulter und schwieg ganz einfach. Dieser stille Trost war für den
Padawan schöner als jedes Wort es hätte sein können. Bei mehr als einem
Auftrag hatten sie nebeneinander gestanden, als Diplomaten, als Vermittler,
manchmal auch als Kämpfer.
Mace hatte seinen dunkelbraunen Umhang abgelegt, sein Lichtschwert
vom Gürtel gelöst und gezündet. Vorsichtig hatte er - mit viel Rücksicht
auf Qui-Gons noch nicht vollkommen ausgeheilte Verletzung - das Training
begonnen. Und mit den Stunden gewann der Jüngere die Beweglichkeit seiner
steifen Schulter zurück.
Die Nachmittage, wenn Mace seinen Schüler nach dem Klassenunterricht
110
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
durch die Übungshallen scheuchte, verbrachte Qui-Gon in der alten Bibliothek. Nur selten störte ihn hier jemand. Und meistens waren es dann ältere
Jedi, die sich aus dem aktiven Dienst an der Republik längst zurückgezogen
hatten. Einige wurden Lehrer wie Yoda, andere zogen es vor, den alten Meditationswegen zu folgen, um irgendwann eins mit der MACHT zu werden.
Einige studierten wie Yodas halsstarriger Schüler die alten Prophezeiungen
und ergingen sich in regelmäßigen Disputen darüber - ohne sich je einig zu
werden über deren Bedeutungen.
Aber sie taten dies freiwillig, während Qui-Gon mehr und mehr das
Gefühl beschlich, hierher für den Rest seines Lebens verbannt zu sein. Ein
Padawan, der den Codex immer nur missachtet hatte, verdammt dazu, den
Rest seiner Tage damit zu verbringen, die alten Interpretationen des Codes
zu lesen - gäbe es ein subtileres Urteil? Und ab und an überfiel ihn die Frustration über die Tatenlosigkeit, zu der er verbannt war. Geduld... Geduld
mit dem Rat, der entweder keine Entscheidung fällen konnte oder der sie
nicht fällen wollte. Geduld, um nicht in Yodas Wohnung zu stürmen und ihn
auszufragen. Geduld, die Qui-Gon kaum mehr aufzubringen im Stande war.
Doch je länger die quälende Ungewissheit andauerte, je öfter er hier in der
alten Bibliothek saß und alte verstaubte Bücher las, desto mehr wuchs in ihm
der Verdacht, dass dies kein Zufall war. Wollte ihn der Rat mit Gewalt Geduld
lehren? Er starrte über das gleißende Coruscant. Früher Nachmittag, noch
mindestens vier Stunden, bis er sich den bohrenden Blicken im Speisesaal
stellen musste - noch vier Stunden Hoffnung. Und dann eine lange Nacht der
Meditation oder der quälenden Träume von Javall.
Er konnte noch immer kaum an sie denken, ohne in Tränen ausbrechen
zu wollen. Der Schmerz schien immer gewaltiger zu werden, je länger die
überstürzte und überraschende Trennung andauerte. Er trug sein Haar nun
so, wie sie es getan hatte: Die langen Ponyfransen auf dem Hinterkopf zusammengefasst in einem dünnen Zopf. Es sah noch etwas seltsam und befremdlich aus - seine Nackenhaare waren nicht auf eine Länge getrimmt -,
aber das Band hielt die Haare aus dem Gesicht, wenn er trainierte oder las.
Er seufzte lautlos und ging zurück in den hinteren Teil der Bibliothek.
Und blieb überrascht stehen.
An seinem Tisch saß ein Junge. Er hatte eine Menge Pads um sich verteilt,
murmelte einen Text vor sich hin, schien ihn wohl auswendig zu lernen. QuiGon erkannte ihn an den rotschimmernden Haaren. Und weil er die Vision
über die merkwürdige Zukunft des Jungen nicht vergessen hatte.
,,Hallo, Obi-Wan.”
Der Junge fuhr herum und sah ihn - ängstlich ? - an. Als er Qui-Gon
jedoch erkannte, erschien ein Lächeln auf seinen dünnen Lippen. ,,Oh, hallo
M...” Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an die Lektion vom letzten
3.5. DIE BIBLIOTHEK
111
Mal, biss sich auf die Lippen. ,,Hallo!”
Qui-Gon setzte sich wieder in seinen Sessel und griff nach dem zugeschlagenen Buch.
,,Arbeitest du für die Schule? Ein Referat?”
Obi-Wan schüttelte zögernd den Kopf. ,,Nein, ich...” Er schien verlegen
zu sein. ,,Ach, was soll‘s, du erfährst es ja doch irgendwann: Ich mache nur
meine Hausaufgaben hier.”
Qui-Gon zog die Augenbrauen zusammen, über seiner Nase erschien eine
tiefe Falte. ,,Hier? Warum nicht in deiner Klasse? Ich habe sie immer da
gemacht - wenn ich sie denn überhaupt mal gemacht habe!”
Na wenigstens brachte er den Kleinen mit der letzten Bemerkung wieder zum Lächeln. Aber er schien ihm nicht wirklich zu glauben. ,,Du warst
bestimmt ein Superschüler!”
Qui-Gon verzog das Gesicht. ,,Nicht wirklich, wenn ich ehrlich sein soll.
Ich habe Yoda ziemlich zur Verzweiflung gebracht mit meinen schlechten
Noten. Er hat mich mit zehn den gesamten Codex sage und schreibe fünf Mal
abschreiben lassen - mit der Hand!” Qui-Gon zuckte mit den Schultern. ,,Ich
konnte ihn trotzdem nicht auswendig, und ich habe mir nach dem fünften
Mal geschworen, dass ich ihn auch nie auswendig lernen werde...” Das erste
Mal in seinem Leben überlegte er nun, ob es nicht doch sinnvoll gewesen
wäre, die unzähligen Regeln und Weisheiten memoriert zu haben.
Jetzt zog Obi-Wan die Stirn kraus. ,,Na, wenn du so ungern lernst, was
machst du dann hier?”
Jetzt schien ihm der ältere Jedi verlegen zu sein. Doch auch Qui-Gon
beschloss, dem Jungen nichts vorzumachen. ,,Ich warte. Ich warte auf die
Entscheidung des Rates über meine Zukunft.”
Obi-Wan legte das Pad überrascht auf den edlen Holztisch. ,,Oh. Dann
sind wir schon zu zweit!”
Qui-Gon sah überrascht aus. ,,Ich denke, sie haben dich gerufen?”
Obi-Wan verzog den Mund. ,,Ja. Mit demselben Ergebnis wie immer bis
jetzt: Ich bin noch nicht so weit, sagen sie. Nicht bereit, ein Padawan zu
werden...”
,,Nicht bereit...?”
Der Junge schien verbittert, so als verstehe er die Entscheidungen des
Rates ebenso wenig, wie Qui-Gon sie im Augenblick verstand. Der Ältere
verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. ,,Wir könnten tatsächlich einen
Verein aufmachen, Obi-Wan! Der Rat macht es uns beiden wohl nicht einfach
und stellt unsere Geduld auf eine harte Probe.”
Er stand auf und ging um den Tisch herum, schaute dem Jungen über
die Schultern. ,,Was lernst du denn auswendig?”
Obi-Wan errötete. ,,Den Code...”
112
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Jetzt musste Qui-Gon lachen. ,,Oh, ich glaube, aus dir wird ein sehr viel
weiserer Jedi werden als aus mir!” Er strich dem Kleinen über‘s Haar und
stellte dann sein Buch zurück in‘s Regal. Dann wandte er sich zur Tür. Hinter
ihm erklang die dünne Stimme des Jungen.
,,Ach, bleibt doch hier, Meister Qui-Gon - ich wollte euch nicht vertreiben...”
Die formelle Anrede rührte ihn zutiefst. Er sah sich um und sah den
flehenden Blick des Jungen. In den hellen Augen stand etwas, was Qui-Gon
noch nie bei einem Schüler des Ordens so deutlich gesehen hatte: Angst.
Wovor hatte ein so kleiner Junge nur solche Angst? Dann begriff er. Er hatte
vor demselben Angst wie er selbst - vor der erdrückenden Einsamkeit, die den
Ausgestoßenen traf. Die Jedi waren wahrscheinlich alles, was dem Jungen
geblieben war als Familie, und sie weigerten sich, ihn zu einem der ihren zu
machen. Qui-Gon war nun lange genug selbst allein und stand vor demselben
tiefen Abgrund, um zu wissen, was der Junge durchmachte. Und wenn es für
ihn selbst als fast vollständig ausgebildeten Jedi schon so grausam war, wie
schlimm musste es dann für den Jungen sein?
Er ging zurück zum Tisch und lächelte ihm aufrichtig zu. ,,Ich lasse dich
nicht allein, Obi-Wan. Versprochen!” Er nahm ihm das Pad aus der Hand.
,,Komm, ich frage dich ab. Meister Yoda wird überrascht sein, wenn einer
seiner Schüler im Kurs über den Codex ihn tatsächlich auswendig kann...”
3.6
Unterricht
Sie verabredeten sich nicht, aber sie stellten nach und nach ihrer beider Leben aufeinander ein. Beide hätten sie es abgestritten, hätte man sie darauf
angesprochen, doch tief im Inneren wussten sie beide, dass sie es taten, dass
sie einander brauchten.
Qui-Gon brach das Training so frühzeitig am Morgen ab, dass er noch
duschen und die innere Tunika wechseln konnte, bevor er zum Mittagessen
in Richtung Speisesaal ging - allerdings nun mit einem kleinen Umweg, der
ihn nahe der Unterrichtsräume der Anfängerklassen vorbeiführte. Er durfte
Obi-Wan nicht direkt dort abholen, wie es die offiziellen Meister taten, durfte
ihn nicht einmal begrüßen, aber es brauchte nicht viel Übung, um den Kleinen
hinter der nächsten Ecke zu spüren. Es gelang ihm immer, den Jungen vor
dem Saal zu erwischen und es so einzurichten, dass er hinter oder vor ihm
in der langen Schlange stand. Mit einem Augenzwinkern reichte er ihm dann
eines der Tabletts, an die der knapp Fünfjährige sowieso kaum heranreichte.
Zusammen essen durften sie nicht, aber sie saßen meistens am selben
langen Tisch, nicht nach der traditionellen Art einander direkt gegenüber,
3.6. UNTERRICHT
113
sondern immer durch ein paar Jedi rechts und links getrennt. Doch ab und
an konnten sie sich ein Grinsen in Richtung des anderen nicht verkneifen.
Qui-Gon brachte ihre beiden Tabletts und die einiger anderer am Ende allein
zurück - was hatte er schon Wichtigeres zu tun? - und verschaffte Obi-Wan
somit ein paar Minuten Luft, in denen der Junge scheinbar allein den Saal in
Richtung der Klassenräume verließ - nur um kurz nach dem älteren Padawan
in der Bibliothek mit seinen Hausaufgaben aufzutauchen.
Sie saßen an getrennten Tischen, einander kaum ansehend, der eine in die
vier Grundrechenarten, seine erste Fremdsprache oder den Codex vertieft,
der andere in eine Interpretation des letzteren oder eine alte Mythologie oder
eine Philosophiegeschichte. Sie sagten oft stundenlang kein Wort, sie sahen
einander nur ab und an an, seufzten gleichzeitig, nahmen dann, dankbar,
dass der andere da war, ihre Aufgaben wieder auf. Manchmal hob Qui-Gon
ruckartig den Kopf. Er bedeutete dann Obi-Wan, sich auf denjenigen zu
konzentrieren, der in wenigen Sekunden die Bibliothek betreten würde. Es
war ein Spiel, dass sie spielten - aber es war äußerst effektiv. Der Junge schrieb
den Namen oder eine herausstechende Eigenschaft auf sein Pad, wenn er den
Jedi nicht kannte. Die Tür öffnete sich, und der eintretende, zumeist alte Jedi
fand nur zwei Schüler vor, die sich kaum zu kennen schienen und ihn und
einander nicht beachteten.
War der Störenfried gegangen, schob Obi-Wan schweigend das Pad auf
dem Boden über den Gang, und Qui-Gon sah nach, ob die Vermutung des
Jungen richtig gewesen war. Und der Kleine wurde mit den Wochen immer
treffsicherer in seinen Blicken durch die geschlossene Tür - und lernte den
halben Orden mit Namen kennen und die MACHT besser zu nutzen.
Manchmal verstand Obi-Wan etwas im Codex nicht. Dann schrieb er
die Frage ebenfalls auf das Pad und legte es im Vorbeigehen auf Qui-Gons
Tisch, bevor er die Bibliothek für ein paar Minuten Richtung Toilette verließ.
Kam er zurück, fand er immer eine Erklärung unter seiner Frage. Waren sie
am späten Nachmittag sicher, dass die alten Meister sich zu einem heißen
Tee in den Wintergarten des Tempels zurückgezogen hatten, fragte Qui-Gon
das Gelernte ab, oder sie diskutierten ein Problem leise ausführlich aus. Der
Junge besaß ein phantastisches Gedächtnis für die Regeln. Brauchte er eine
Referenz, konnte er sie ohne Mühe hersagen, während Qui-Gon nicht einmal
gewusst hätte, wo auf insgesamt 2550 Seiten Codex er hätte suchen sollen.
Aber der Kleine begriff häufig nicht, worum es eigentlich in dem Regelwerk
ging. Er verstand den höheren Sinn, das Ziel dahinter nicht. Obi-Wan wiederum wunderte sich, dass jemand, der offensichtlich nicht eine einzige Seite des
alten Werkes auswendig kannte, so eindrucksvolle Beispiele erzählen konnte,
so exellente Denkaufgaben entwickeln konnte. Manchmal erkannte er durch
eine der kleinen Geschichten etwas, dass weiter ging als die Worte auf dem
114
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Pad, manchmal aber verwirrten ihn die Ausführungen des Älteren nur. Dann
schüttelte er den Kopf und stützte das Kinn in die rechte Hand, sah ihn mit
großen, hellgrünen Augen entgeistert oder verständnislos an. Qui-Gon verwuselte ihm dann regelmäßig das lange rote Haar. Er würde es schon verstehen
- irgendwann einmal...
Eines Nachmittages legte Qui-Gon das Pad vor sich auf den Tisch und
schob es, ohne es zu berühren, nur mit Hilfe der MACHT zu Obi-Wan
hinüber. Der Junge schaute ihn stirnrunzelnd an. Qui-Gon erklärte ihm leise, wie man sich auf diesen Aspekt der MACHT konzentrieren konnte. Sie
gingen zum großen Panoramafenster, und der ältere Jedi zeigte dem jüngeren, wie die traditionelle Meditationshaltung aussah, wie man die Umwelt
ausschloss, wie man die eigenen Gedanken unter Kontrolle halten konnte nach jahrelanger Übung. Qui-Gon wusste sehr wohl, dass er das alles dem
Jungen gar nicht zeigen durfte. Aber er war seit seiner einzigen Vision nach
Gestae, der über diesen Jungen, fest davon überzeugt, dass aus Obi-Wan ein
Jedi werden würde. Was konnte es schaden, dem Jungen die Grundfähigkeiten beizubringen, bevor er einem anderen als Padawan zugeteilt würde? Er
war bereits älter als alle anderen Schüler im Orden, er musste anfangen zu
lernen. Und wenn es stimmte, was Qui-Gon in seiner Zukunft gesehen hatte,
musste er vortrefflich vorbereitet werden.
Von ihm würde das Schicksal der Jedi einmal abhängen.
Am Abend verließen sie den verstaubten Raum nacheinander, der Junge
ging zuerst, während Qui-Gon noch seine Bücher forträumte, und sie saßen
wieder halb getrennt, halb gemeinsam im Esssaal. Dann mussten sie sich
wirklich trennen. Qui-Gon spürte dann am stärksten die Angst des Jungen.
Er war sicherlich der Älteste in einem der großen Schlafsäale der Kleinsten
im Orden.
Einer, den keiner haben wollte.
Ließen die anderen es ihn spüren? Die kleineren Kinder bestimmt nicht,
sie waren zu jung, um es zu bemerken. Aber die Gleichaltrigen morgens im
Gruppen-Unterricht taten es bestimmt. Kein Meister würde es ihnen durchgehen lassen, aber ohne eigenen Lehrer konnte er an vielen ihrer Erfahrungen - wie dem Beginn des Trainings, dass einmal zum Besitz eines Laserschwerts führen würde - nicht teilhaben. Qui-Gon selbst hatte so viel nachholen müssen in seinen ersten beiden Jahren im Orden, weil er im Grunde
zu alt gewesen war, als die Jedi ihn aufgenommen hatten, dass er selbst nur
wenige Freundschaften hatte schließen können. Er wusste, wie es war, immer
neugierig oder auch mal ein wenig abschätzend beobachtet zu werden, sich
immer wieder beweisen zu müssen, immer der einzige zu sein, der noch nicht
wusste, was allen anderen längst klar war, immer der Außenseiter zu sein,
weil die anderen sich schon viel länger kannten.
3.6. UNTERRICHT
115
Armer Obi-Wan, er versäumte etwas, dass nur schwer nachzuholen war.
Wahrscheinlich würde aus ihm ein genauso sturer Einzelgänger werden, wie
man es bereits Qui-Gon nachsagte und vorwarf.
Der Ältere ging langsam zu seinem Zimmer zurück. Die Tür zu Yodas
Wohnung war noch immer verschlossen, aber seltsam, seit er gemeinsam mit
Obi-Wan in der Bibliothek saß - und das nun auch bereits seit über zwölf
Wochen - war es nicht mehr ganz so schlimm zu warten. Manchmal dachte er
den ganzen Tag nicht daran - erst die Stille der Abenddämmerung erinnerte
ihn wieder an sein Versagen. Und nun brach er schon wieder den Code... um
einem kleinen Jungen - und vielleicht auch sich selbst - zu helfen, mit der
Einsamkeit fertigzuwerden.
Zu gerne wäre er durch die Tür zu Yoda gegangen - doch nicht mehr,
um nur über sich zu reden, sondern um zu erfahren, was der Rat gegen den
kleinen Jungen einzuwenden hatte. Er war ein hervorragender Schüler, er
spürte die MACHT, auch wenn er sich häufig und leicht ablenken ließ, er war
intelligent und, wie Qui-Gon fand, auch nett. Was hatten sie nur gegen ihn?
Doch warum fällte der Rat auch noch immer kein Urteil über seine eigene
Zukunft? Über ein dreiviertel Jahr war derweil vergangen, und er hatte Yoda
seitdem nur einmal bei einer Trauerfeier unten in der großen Halle des Tempels gesehen - unnahbar weit fort als Mitglied des Councils rund um einen
getöteten Jedi versammelt.
Qui-Gon seufzte und streifte die Tuniken ab, schlüfte aus Stiefeln und
Hose, kroch unter die warme Decke. Was nützte das Grübeln?
Am nächsten Tag konnte Obi-Wan nicht nach dem Mittagessen in die
Bibliothek gehen. Der Rat stellte ihn wieder einmal vor die Frage, was auf
jenem so weit entfernten Marktplatz geschehen sei. Er starrte Gordon trotzig
an und schwieg.
Der Sevit musterte ihn lange.
,,Wie bist du dorthin gelangt?”
Der Junge kniff die Lippen zusammen.
Der Vorsitzende beugte sich vor, stützte sich auf alle seine vier Arme.
,,Was genau hast du dann dort getan? Was hast du gesehen? Was ist dort
passiert?”
Obi-Wan antwortete wieder nicht. Begriffen sie denn nicht, dass er es
ihnen nicht sagen konnte, weil er es nicht wusste? Wie oft noch wollten sie
ihm immer wieder dieselben Fragen stellen?
Gordon lehnte sich zurück. Er wechselte das Thema. Vielleicht gelangte
man ja auf anderem Wege endlich zum Ziel. ,,Du bist ein guter Schüler,
Obi-Wan. Fleißig, ehrlich...”
Wieder schien er eine Antwort zu erwarten.
,,Wie alt bist du jetzt?”
116
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Obi-Wan schluckte, das hatte ja irgendwann zum Thema werden müssen.
,,In drei Wochen werde ich Fünf...” Seine Stimme begann zu zittern.
,,Du weißt, was der Code gebietet, wenn du Fünf bist?”
Er nickte. Er wusste, dass er dann den Orden verlassen musste, wenn
er keinen Meister hatte. Wenn niemand ihn zum Schüler haben wollte... Er
ballte die Hände zu Fäusten.
Gordon und Yoda tauschten einen vielsagenden Blick. ,,Angst du hast?”
Obi-Wan starrte den Ältesten des Rates an. Seine Augen waren Antwort
genug. ,,Wovor?”
Wussten sie das denn nicht? Wie konnten sie nicht wissen, dass er nicht
verlieren wollte, was er hier gefunden hatte? Sie wussten doch sonst immer
alles, was er dachte! Warum fragten sie ihn nicht, wen er wählen wollte? Jetzt,
wo er endlich eine Antwort hatte? Warum wollten sie immer nur Antworten,
die er nicht geben konnte? Er sah Yoda in die tiefen, grünen Augen. Aber
er konnte nichts darin lesen. Vielleicht machte er sich nur Illusionen. Dieser
Rat entschied über so viele Schicksale, was sollte ihn seines kümmern. Er
öffnete den Mund, um ihnen einmal so richtig die Meinung zu sagen. Doch
dann ballte er wieder nur die Hände und wandte sich ab. Weinend lief er auf
die hohen Türen zu. Yoda öffnete sie ihm, er lief hinaus.
Gordon schüttelte den Kopf. ,,Er wird nie bereit sein!”
Yoda schaute dem Kleinen nach. ,,Drei Wochen Zeit er noch hat... Solange
du noch Geduld haben solltest!”
Gordon grunzte. ,,Drei Wochen oder drei Jahrzehnte - das wird keinen
Unterschied machen. Er vertraut keinem hier. Wie sollen wir ihn da ausbilden?”
Obi-Wan wusste nicht wohin.
Er stand vor der Bibliothek, aber er traute sich nicht hinein. Auf den
wenigen Metern bis zur Tür war ihm durchaus klar geworden, was er soeben
getan hatte. Wie sehr er den Rat missachtet hatte, indem er ohne formelle
Entlassung einfach fortgelaufen war. Wie sollte er nun Qui-Gon gegenübertreten? Er spürte die Sorgen, die der ältere Jedi sich um ihn machte, er konnte
ihn hinter der Tür sitzen sehen. Aber er traute sich nicht hinein, nicht nach
seinem peinlichen Auftritt von vorhin. Nach all ihren Diskussionen über den
Codex - wie sollte er ihm das erklären?
Er schluckte und rannte fort.
Er wusste nicht, ob Ben im Gewächshaus war, und dieses Mal war es ihm
völlig egal. Er rannte den Pfad entlang, und warf sich unter den geliebten
Baum. Er weinte, weil er wusste, dass es vorbei war. In drei Wochen würden
sie ihn wegschicken. Irgendwohin, zu irgendwelchen Menschen, die ein Kind
wollten, die er aber gar nicht kannte und zu denen er nicht wollte. Er würde
Meister Qui-Gon nie wiedersehen. Er würde nie ein Jedi werden...
3.6. UNTERRICHT
117
Er weinte und weinte.
Als ihn jemand berührte, schreckte er zusammen. Neben ihm kniete Ben.
Er wischte sich die Tränen von den Wangen. ,,Geh weg! Ich will allein sein...”
Der Alte zog ein großes Taschentuch aus der Hose und hielt es ihm hin.
Zögernd griff der Junge zu und schneuzte sich. Dann gab er das Taschentuch
zurück. Ben musste lächeln und steckte es kommentarlos ein.
,,Ich glaube nicht, dass Du wirklich allein sein willst. Ich glaube eher, dass
du schon viel zu lange allein bist!” Der Junge starrte ihn misstrauisch an.
,,Hast du denn keinen Freund, dem du dich anvertrauen kannst?”
Der Blick des Jungen sprach Bände. Noch während Ben eine Lösung
suchte, spürte er sie nahen. Er rückte zur Seite und gab so den Blick auf den
Pfad frei. Ein anderer Jedi kam langsam zu ihnen. Der Gärtner lächelte. ,,Ich
glaube, du hast doch einen Freund. Ich schlage vor, du erzählst ihm alles! Zu
zweit finden sich einfacher Lösungen für jedes Problem...”
Ben erhob sich und ging dem anderen entgegen. Qui-Gon erwiderte das
Lächeln des Alten und verneigte sich vor ihm auf die traditionelle Weise.
Dann verließ der Gärtner den Blickkreis der beiden.
Qui-Gon setzte sich schweigend neben den Jungen. Er sagte nichts. ObiWan starrte noch immer dem Alten hinterher. ,,Ist Ben auch ein Jedi?”
,,Ja. Er ist sogar ein Meister.”
,,Ein Meister?”
,,Ja. Ein sehr weiser sogar. Ich habe viel von ihm gelernt.”
,,Warum ist er dann hier? Ich meine, was macht er hier?”
Obi-Wan rückte näher. Qui-Gon legte ihm vorsichtig einen Arm um die
Schulter.
,,Er kümmert sich um halb verwelkte oder todgegossene Pflänzchen, die
andere Jedi ihm aus der ganzen Galaxis mitbringen. Er hat bislang jedes
gerettet und ihm hier den Platz gesucht, der ihm entspricht. Und er muss dich
sehr gern haben, wenn er dir erlaubt, seinen Lieblingsbaum zu berühren.”
Der Junge schwieg, dann kroch er auf den Schoß des Älteren und versteckte das Gesicht im Mantel. Er weinte wieder. Qui-Gon strich durch sein
Haar. Weinen half die Trauer zu verarbeiten. Er wünschte, er selbst hätte
weinen können auf dem Weg von Gestae zurück in den Tempel.
,,Was ist los, Obi-Wan?”
Er schluchzte. ,,Bald werde ich Fünf... und dann schicken sie mich weg.
Aber ich will nicht weg! Ich kann mich nur nicht erinnern...”
Qui-Gon hielt ihn fest im Arm, strich vorsichtig über den Rücken des
Jungen.
,,Woran kannst du dich nicht erinnern?”
,,An meine Eltern, an mein Zuhause, wie ich mit Owen aus dem Krankenhaus auf den Marktplatz gekommen bin...” Er stockte und Qui-Gon spürte,
118
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
wie er sich noch mehr verkrampfte. Da war noch etwas. Etwas, dass noch
viel schlimmer war als der Verlust der Eltern. Aber er konnte nur warten. Er
musste Geduld haben, Geduld, dass der Junge von sich aus den Mut finden
würde zu reden.
Obi-Wan rückte ein Stück zurück und sah Yodas Padawan mit angstvollen
Augen an. ,,Ich weiß es doch nicht, Qui-Gon, ich weiß nicht, warum...” Tränen
liefen noch immer über seine Wangen. ,,Meisterin Do-Rail-Lith hat mich
gefunden. Ich weiß nicht, warum da ein toter Jedi über mir lag und ich sein
Lichtschwert in der Hand hatte, unter mir meinen Bruder. Ich weiß es nicht!
Ich weiß es wirklich nicht! Du musst mir glauben.”
Qui-Gon begriff. Der Rat wusste nicht, ob der Junge einen Jedi mit dessen
eigener Waffe getötet hatte oder ob nicht. Es musste Meister L‘tath gewesen
sein. Er konnte sich an den Vorfall gut erinnern. Und der Rat war nun offensichtlich immer noch nicht sicher, was genau damals geschehen war. Hätte er
genau gewusst, dass der Junge schuld am Tod des Meister hatte, wäre ObiWan nie nach Coruscant gebracht worden. Wer einen Jedi tötete, für den gab
es keinen Platz im Orden - niemals. Aber der Junge hatte das Lichtschwert
L‘taths in seinen Händen gehabt - und der Meister war durch einen Hieb mit
einer solchen Waffe getötet worden...
Der Ältere konnte sich an die Unruhe erinnern, die es im Orden gegeben
hatte, als die Meisterin Do-Rail-Lith ihren alten Lehrer nach Hause gebracht
hatte. Nach dem Bericht, den sie abgab, passte der Winkel des tödlichen
Hiebs nie und nimmer zu der Stellung, in der Obi-Wan unter der Leiche
gelegen hatte. Und wer nahm im Ernst an, dass ein Dreijähriger einen wenn
auch siebzigjährigen, so doch noch erstaunlich rüstigen Jedi überwältigen
und töten könnte? Ein Dreijähriger, der noch dazu ein Neugeborenes unter
seinem Ponchu verborgen hatte - seinen Bruder. Do-Rail-Lith nahm sogar an,
dass der sterbende Jedi die beiden Kinder mit seinem Körper hatte decken
wollen.
Doch wovor?
Und warum hatte Obi-Wan dann das Schwert des Meisters in den Händen
gehalten? So fest umklammert gehalten, dass die Meisterin es ihm nur nach
langem Zureden hatte fortnehmen können?
Qui-Gon sah die tiefe Angst des Jungen vor diesen beiden Fragen in dessen hellen Augen. Wie oft mochte er sie schon gehört haben? Wie oft hatten
sie ihn vor den Rat zitiert? Zu oft vielleicht. Wahrscheinlich wusste er nicht
einmal, was Qui-Gon durch die wenigen Gerüchte und ein oder zwei Gespräche mit Yoda und Do-Rail-Lith über den Fall wusste: Nämlich, dass er
es nicht gewesen sein konnte. Dass der Rat nicht einen Schuldigen, sondern
eine Erklärung für den Tod eines verdienten Meisters aus seinen Reihen suchte. Der Junge mochte den Eindruck gewonnen haben, dass das, woran ihm
3.6. UNTERRICHT
119
die Erinnerung fehlte, so schrecklich sein musste, dass es besser war, sich nie
mehr zu erinnern.
Fest griff er nach den zitternden Schultern des Kleinen und hielt ihn fest.
,,Ich glaube dir nicht nur, Obi-Wan, dass du nicht schuld an Meister L‘taths
Tod bist, ich weiß es, Obi-Wan!” Er sah ihn ernst und fest an. ,,Hörst du?
Du bist nicht schuld an seinem Tod! Und der Rat weiß das auch!”
Der Junge schüttelte den Kopf. ,,Aber warum stellen sie dann immer
wieder dieselben Fragen, wenn sie es wissen? Sie müssen doch auch wissen,
dass ich mich an nichts erinnern kann, was damals passiert ist!”
Tränen füllten die hellen Augen, rannen über die eingefallenen Wangen.
Qui-Gon zog den Jungen an sich und hielt ihn fest. ,,Hast du es ihnen so
deutlich gesagt?”
Er spürte wie Obi-Wan schnaufte. ,,Sie wissen es doch sowieso, sie wissen
doch immer alles, was ich denke! Sie wissen, wann ich Angst habe, sie wissen,
wann ich wütend bin - sie wissen alles!”
Fast hätte Qui-Gon gelacht. Nur mit Mühe konnte er es verhindern. Er
war froh, dass der Junge nun sein Gesicht nicht sehen konnte, auf dem
ein Lächeln lag. ,,Ach, Obi-Wan! Sie können vielleicht erspüren, wie deine
Gefühle aussehen, aber deine Gedanken könnte nur jemand lesen, der dich
sehr gut und sehr lange kennt. Dazu ist sehr viel gegenseitiges Wissen notwendig.” Oder ein so starkes Band durch die MACHT, wie es zwischen mir
und Javall entstand. ,,Yoda weiß manchmal, was ich denke, aber nur, wenn
ich es zulasse...” Zumindest hoffe ich das. ,,Hast du es ihnen gesagt, dass du
dich nicht erinnern kannst?”
Nun schaute Obi-Wan ihn zögernd an. Dann schüttelte er schnell den
Kopf. ,,Ich... ich glaube nicht... Meister...”
,,Dann solltest du das tun, wenn sie dich das nächste Mal rufen!”
Er nickte zögernd. Und wieder liefen Tränen über seine Wangen - aber
diesmal waren es Tränen der Erleichterung. Für Obi-Wan gab es einen, wenn
auch schmalen, Silberstreif der Hoffnung am Horizont ihrer Einsamkeit. Er
schmiegte sich an Qui-Gon, der ihn vorsichtig bequem auf seinen Beinen
zurechtrückte. Diese Tränen spülten einen großen Teil des angestauten Kummers fort. Der Kleine wurde zusehends ruhiger. Vorsichtig strich der Ältere über den roten Haarschopf an seiner Schulter, dann fühlte er, dass der
Griff der kleinen Arme um seinen Hals lockerer wurde. Ein wenig überrascht
musste er feststellen, dass der Junge vor Erleichterung und Erschöpfung auf
seinem Schoß eingeschlafen war.
Vorsichtig stand er auf, trug seinen Freund durch das Gewächshaus. Als
er die Luftschleuse hinter sich gelassen hatte und langsam durch die bereits
abgedunkelten Korridore ging, wurde ihm klar, dass er jetzt ein neues Problem hatte. Er wusste nicht, in welchem der Säale Obi-Wan schlief. Entweder,
120
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
er fand nun jemanden, der es wusste, oder er weckte den Kleinen. Das erste
war ihm nicht vergönnt, das zweite wollte er nicht.
Ergo blieb ihm nur eine dritte Möglichkeit.
Und damit wieder ein Bruch des dem Jungen so heiligen Codex...
Er brachte Obi-Wan in sein Zimmer; etwas, was nur ein Meister mit seinem Padawan teilen sollte. Vorsichtig legte er ihn auf sein eigenes Bett, zog
ihm die Schuhe und die Leinentunika aus, breitete die Decke über ihn. Der
Junge rollte sich instinktiv zusammen und umklammerte das dicke Kissen.
Qui-Gon strich ihm das Haar aus der Stirn, und für einen kurzen Augenblick gestattete er sich den Traum, ein Stück Familie zu haben, den Jungen
als Padawan zu wählen. Dann schalt er sich einen Fantasten - er war selbst
noch Schüler! Noch dazu einer, der seine Ausbildug vielleicht nie abschließen
können würde.
Er trat an das Fenster seines Zimmers und starrte in den von unzähligen
Fliegern in gleißenden Bändern durchzogenen Himmel über Coruscant. Er
sollte sich freuen, dass es für Obi-Wan eine Zukunft im Jedi-Tempel geben
würde, aber er spürte nur den Verlust, wenn er den Jungen nun an einen
Meister des Ordens verlieren würde. Wie egoistisch von mir...
Er seufzte und zog den von Obi-Wans Tränen durchweichten Mantel aus,
formte daraus ein Kissen. Eine Decke würde er nicht brauchen - es war warm
genug in seinem Quartier. Er legte sich vor seinem niedrigen Bett auf den
Boden.
Eine Hand des Kleinen rutschte herab, lag neben der seinen. Vorsichtig
legte Qui-Gon seine Finger über die des Jungen. Für einen winzigen Augeblick glaubte er, Obi-Wan leise und zufrieden im Schlaf seufzen zu hören...
3.7
Dagobah
Qui-Gon hörte das Klopfen und schlug die Augen auf. Von der Morgendämmerung über Coruscant war noch nichts zu sehen. Er blickte zu seinem kleinen
Gast hinüber, aber Obi-Wan schlief tief und fest, das Gesicht zur Wand gedreht.
Wieder ein Klopfen, jetzt energischer. Qui-Gon erhob sich stöhnend - so
bequem war der Fußboden nun doch nicht - und schlüpfte in den Mantel.
Er spürte Yodas Präsenz deutlich hinter der Zimmertür. Warum kam sein
Meister nicht einfach von seiner nebenan liegenden Wohnung herein?
Qui-Gon öffnete die Tür, blieb aber im Rahmen stehen und verdeckte so
seinem Lehrer den Blick in das Zimmer und vor allem auf das Bett. Stumm
verneigte er sich.
Yoda sah ihn stirnrunzelnd an. Einen kleinen Augenblick befürchtete der
3.7. DAGOBAH
121
Padawan, dass sein Meister darauf bestehen würde, in sein Quartier einzutreten, doch der alte Jedi senkte nur die Ohren, wie immer, wenn er seinen
Schüler belächelte. ,,Deine Sachen nimm und komm. Der Rat entschieden
hat: Die Prüfung abschließen Du darfst!”
Sein Lehrer wandte sich um und schlurfte auf den Gimmerstock gestützt
zu seiner eigenen Wohnung hinüber. Qui-Gon schloss die Tür und ging zu
seinem Regal. Er legte den Allzweckgürtel über das breite Stoffband, das
seine Tuniken zusamenhielt und wandte sich dann zu Javalls Holobild. Er
strich zärtlich über den polierten Chromrahmen, stellte sich vor, ihr Gesicht
auf diese Art und Weise zu berühren und klappte den Rahmen dann beiseite.
Dahinter wurde die Tresortür aus Durastahl sichtbar. Er gab den Code ein,
der das Sicherheitsfach öffnete, und nahm sein Lichtschwert heraus, hängte
es an den Gürtel. Er schloss das Fach. Dann fasste er seine Stirnhaare nach
hinten zusammen. Sein letzter Blick fiel auf Javalls Bild.
,,Wer ist sie? Sie ist wunderschön...!”
Er zuckte zusammen und wandte sich um. Obi-Wan stand neben ihm und
starrte das Holobild an, dass die junge Frau mit wehendem Haar unter der
purpurnen Sonne Gestaes zeigte.
,,Jemand, der mir sehr viel bedeutet.”
Der Junge gab sich damit zufrieden und berührte dann das Schwert des
Älteren.
,,Gehst du weg?”
Qui-Gon hörte das Zittern in der Stimme. Er kniete sich vor Obi-Wan
hin und sah ihn lächelnd an. ,,Ja. Aber ich hoffe nicht für lange.”
Trotzig sah der Junge ihn an. ,,Ich will nicht, dass du weggehst!”
Er seufzte tief, wurde ernst. ,,Ich möchte dich auch nicht verlassen, aber
die Wege eines Jedi sind nie die seinen, sondern immer die unserer Gemeinschaft, immer die der MACHT! Wenn die MACHT Dich ruft, musst Du
gehen, egal, wo sie Dich hinführt, egal, wen Du zurücklässt, egal, ob es Dich
vielleicht sogar das Leben kosten wird.” Er wusste, wie leer und hohl das
für den Kleinen klingen musste. Wie lange hatte er gebraucht, um es zu begreifen - erst auf Gestae war es ihm vollständig bewusst geworden. Er gab
dem Jungen eine weitere Erklärung, eine, die dem Fünfjährigen näherliegen
sollte. ,,Der Rat hat beschlossen, dass ich die Prüfung beenden darf und dass
es jetzt sein soll.”
Obi-Wan senkte den Blick. Er wusste, dass der Ältere Recht hatte. ,,Wird
der Rat auch mir noch eine Chance geben?”
Qui-Gon strich sanft über die Wange des Jungen. ,,Ich weiß es nicht, aber
ich hoffe es. Aber eines weiß ich: Ich komme zurück nach Coruscant, und ich
werde dich nicht im Stich lassen! Ich verspreche es dir!”
122
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Obi-Wan nahm den Älteren in die Arme. Er unterdrückte die aufsteigenden Tränen, er wollte, dass der Jedi stolz auf ihn war. Er wollte, dass dieser
wusste, dass er verstanden hatte, was er ihm erklärt hatte. Qui-Gon erwiderte die Umarmung. ,,Erzähle dem Rat, was du mir erzählt hast. Sag ihm, dass
du dich nicht erinnern kannst!” Der Junge nickte schüchtern. ,,Du schaffst
das!”
Obi-Wan nickte tapfer.
Yodas Stimme ertönte aus dem Nebenraum. ,,Nicht ewig ich warten werde, Qui-Gon!”
Überrascht bemerkte dessen Schüler, dass die Zwischentür offenstand.
Wie lange schon? Er wusste es nicht. Wie viel ihrer Unterhaltung hatte sein
Lehrer mitbekommen? Nun, jetzt ließ es sich nicht mehr ändern. Er seufzte
lautlos und strich seinem Freund über den roten Schopf. Dann erhob sich
Qui-Gon und ging auf den Flur, um auf Yoda zu warten.
An Meister Yodas langsame Gangart war Qui-Gon seit Jahren gewohnt.
An die Stille zwischen ihnen auch. Und doch war es diesmal anders. Sein
Lehrer, der es vorhin noch so eilig gehabt hatte, schien auf vielen Umwegen
durch den halben Tempel wandern zu wollen. Sein Schüler hatte keine Ahnung, wohin sie eigentlich unterwegs waren. Yoda schien kein Ziel zu haben.
Doch er hatte eines.
Nach fast zwei Stunden standen sie vor einem kleinen Raumgleiter. Yoda
setzte sich auf den Sitz des Co-Piloten. Qui-Gon runzelte die Stirn. ,,Ich soll
fliegen?” Er war kein guter Pilot. Er konnte fliegen, aber das wie strotzte jeder
näheren Beschreibung. Er erinnerte sich mit Grausen an den Unterricht vor
gut zehn Jahren: Erst war ihm andauernd übel geworden, später dann seinen
Fluglehrern - wobei es egal war, ob sie im Simulator oder einem richtigen
Gleiter saßen. War Yoda deswegen so lange durch den Jedi-Tempel spaziert,
damit sein Frühstück nicht mehr der Gefahr ausgesetzt war, sich ein zweites
Mal zwischen seinen Zähnen einzufinden? Wahrscheinlich...
Qui-Gon seufzte und ließ sich im Pilotensessel nieder, strich über die
Bereitschaftskontrollen. Ein schneller Check der wichtigsten Systeme verriet
ihm, was er nicht anders erwartet hatte: Dank vortrefflicher Wartung war das
Schiff einsatzbereit, voll ausgerüstet und betankt. Er aktivierte das Haupttriebwerk.
Das einsetzende Vibrieren fühlte er deutlich unter den Fingerkuppen. Er
ließ das Schiff aufsteigen und erwartete, dass es sich wie üblich zu einer Seite neigen würde, weil er das Gleichgewicht einfach nicht aufrecht erhalten
konnte, doch dieses Mal blieb es in perfekter Balance über dem Hangarboden schweben. Er drückte die Funktaste, warf einen Blick auf den Statusbildschirm, der ihm auch die Kennung der Raumfähre anzeigte.
,,Hier T-H-X 11 38. Erbitten Startfreigabe.”
3.7. DAGOBAH
123
Eine melodische Frauenstimme erklang aus dem Lautprecher über ihm,
der Bildschirm zeigte eine junge Jedi, die ihn anlächelte. ,,Startfreigabe erteilt, T-H-X 11 38, Hangarschild geöffnet, gute Reise und möge die MACHT
mit Euch sein!”
Qui-Gon bedankte sich nickend. Vorsichtig drückte er den Schubregler
neben sich nach vorn. Der Gleiter beschrieb zu seiner eigenen Überraschung
eine leichte Kurve, als er auf die Hangaröffnung zuschoss. Der junge Jedi
korrigierte sie leicht, brachte dem Gleiter erst in den dichten Flugverkehr
über Corusant, dann in den Orbit. Hier sah er Yoda fragend an. Der alte
Jedi hatte sich in seinen Mantel gehüllt und die Augen geschlossen.
,,Dagobah...”
Qui-Gon zog die Augenbrauen zusammen, so dass eine steile Falte entstand. Doch Yoda schien nichts mehr sagen zu wollen. Sein Padawan verzog
den Mund und rief eine Sternkarte ab. Nach vielen Minuten erfolglosen Suchens, hörte er Yodas Stimme - so leise, dass er nicht sicher war, ob der
Meister tatsächlich sprach oder er nur die Gedanken des Alten hörte. ,,Vertraue der MACHT, Qui-Gon!”
Er schloss ebenfalls die Augen und beschleunigte, und der Gleiter sprang
zu den Sternen...
Obi-Wan lauschte in die Dunkelheit. Ein langer, einsamer Tag lag hinter
ihm. Eine einsame Nacht vor ihm. Als er sicher war, dass die Nachtwache
den Saal wieder verlassen hatte, um in den anderen Schlafräumen nach dem
Rechten zu sehen, schlug er leise die Decke zurück. Er nahm sein Kissen,
knüllte es zusammen und stopfte es so unter das Federbett, dass es vom
Gang so aussehen musste, als läge er nach wie vor an seinem Platz. Dann
nahm er seine Kleider vom Stuhl und schlich aus dem kalten Saal.
Er brauchte nicht lange bis zu Qui-Gons Zimmer. Und kein Jedi schloss
seine Räume ab im Tempel - das gab es nicht. Nur die für kleine Kinder
gefährlichen Lichtschwerter wurden verschlossen gehalten. Der Junge öffnete
die Tür und huschte hinein. Er legte seine Sachen auf den Schreibtischstuhl
und schlüpfte unter die Decke in Qui-Gons Bett. Er wusste nicht warum,
aber hier war er allein weit weniger einsam als in dem Saal mit neunzehn
anderen Kindern. Minuten später war er eingeschlafen.
Dagobah.
Für die Sensoren war er... unsichtbar?
Aber der Planet war da, definitiv.
Aber Qui-Gon bekam keine Werte, zumindest keine, die irgendeinen Sinn
ergaben. Der ganze, kleine Planet war von dichten Wolken umgeben, es schien
keine Lücke zu existieren. Er umrundete ihn zweimal, doch nichts änderte
sich. Er sah Yoda an, doch der schlief noch immer. Einen Augenblick zögerte
er, aber was immer sein Meister hier wollte, sie würden landen müssen...
124
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Er verließ den Orbit, begann einen langsamen Sinkflug. Die Instrumente
spielten weiter verrückt. Qui-Gon schüttelte den Kopf. Er hatte ein verdammt
mieses Gefühl bei der Sache!
Die Sinkgeschwindigkeit nahm immer weiter zu, obwohl er den Schub
gleichmäßig zurückgenommen hatte. Verrückt... Er sah auf den Schirm vor
sich, doch die Wolken waren so dicht, dass er außer undurchdringlichem Weiß
nichts mehr erkennen konnte. Als die Sensoren immer noch nichts registrierten, erkannte er, dass er so nicht weiterkommen würde. Es kostete ihn sehr
viel Überwindung, aber er schloss die Augen und ließ die MACHT durch
sich hindurchströmen. Im gleichen Augenblick wurde der Gleiter langsamer.
Wie von selbst, doch in Wirklichkeit noch immer durch Qui-Gons Hände
gesteuert, setzte die Raumfähre schließlich auf.
Yoda erhob sich und sah seinen Schüler an. ,,Fliegen du endlich gelernt
hast. Diese Hoffnung ich schon aufgegeben hatte...” Er ging zur seitlichen
Tür der Fähre und öffnete sie. Ohne auf Qui-Gon zu warten, ging er die
schmale Rampe hinab.
Sein Schüler blieb überrascht am unteren Ende stehen.
Und er hatte gedacht, Gestae wäre der Höhepunkt aller unwirtlichen Planeten.
Dieser übertraf seine schlimmsten Alpträume...
Instinktiv zog er die Seiten des Mantels zusammen, versteckte die Hände
in den langen Ärmeln. Dichter Nebel wallte über den matschigen bis sumpfigen Boden. Er reichte beinahe bis zu Yodas Schultern. Leichter Nieselregen
fiel auf sie beide herab. Langsam und zögernd folgte er seinem Meister, der
ein genaues Ziel zu haben schien. Unbeirrt watschelte er durch Sumpf und
Feuchtigkeit, unbekümmert, dass er mindestens ebenso nass war wie sein
junger Schüler. Qui-Gon zog die Kapuze über den Kopf, aber das nützte auf
Dauer auch nicht viel.
Yoda folgte einem kaum sichtbaren Pfad, der unter hohen Wurzeln herführte. Doch selbst Qui-Gon musste sich nicht ducken, als er sie passierte. Über
ihm ragten knorrige und mossbewachsene Stämme auf, er hörte ein klagendes
Gekreische. Vögel? Oder andere Tiere? Er gestand sich selbst ein, dass er lieber nicht wissen wollte, was ein solch schauerliches Geräusch hervorbringen
konnte...
Fast wäre er in Yoda hineingelaufen.
Sein Meister seufzte und wandte sich um.
,,Am Ziel du bist.”
Er ging zu einer dicken, aber niedrigen Wurzel und setzte sich darauf.
Qui-Gon ließ sich neben ihm nieder, sah sich aufmerksam um. Dann spürte
er es, spürte er SIE. Wie eine eiskalte Flutwelle lief sie über ihn hinweg, griff
nach seinem Herzen, seiner Seele. Er spürte Gefahr, tausendfachen Tod, und
3.8. VISIONEN
125
eine Macht, die unvorstellbar war. Er kannte das Gefühl, er hatte es gehabt,
als er Cathbad beinahe erschlagen hätte. Doch er hatte sich der dunklen
Seite der MACHT bereits gestellt, warum empfand er SIE immer noch als so
bedrohlich?
,,Angst du hast. Deine Angst du noch erkennen und damit besiegen du
musst.”
Qui-Gon konnte den Ort lokalisieren, von dem die Gefahr über ihn hinwegstrich. Eine Wurzelformation formte ein finsteres Tor. Der Rest des Baumes verlor sich teils im Dunkeln, teils in einem düsteren Teich. Instinktiv
erhob er sich. Er ging ein paar Schritte auf das Wurzeltor zu, schlug die nasse Kapuze zurück, um besser sehen zu können. Dann blickte er noch einmal
über die Schulter Yoda an. Der alte Meister saß, vornüber auf seinen knotigen
Stock gestützt, noch immer auf der Wurzel.
,,Hineingehen du musst, Qui-Gon.”
Sein Schüler spürte die eisige Kälte. Es war nicht der Regen, denn auf
Dagobah war es trotz des furchtbaren Wetters relativ warm. Es war diese war Höhle überhaupt der richtige Begriff für den dunklen Ort?
,,Was ist dort?”
,,Das, was du mitnimmst, Qui-Gon, nicht mehr, nicht weniger.”
Wieder strich die Kälte durch ihn. Der Regen lief über sein Gesicht, die
langen Haare klebten, der Mantel hing schwer wie Blei an ihm herab. Dann
griff der junge Jedi nach seinem Laserschwert. Yodas Stimme hielt ihn zurück.
,,Nicht brauchen wirst du es...”
Qui-Gon sah nicht zurück, aber er hängte den Griffzylinder zurück an
seinen Gürtel. Er stemmte die Hände in die Hüften, starrte das Dunkle weiter
an. Dann warf er das nasse Haar energisch zurück und ging auf die Finsternis
zu. Die Kälte und das Böse mit ihr nahmen mit jedem Schritt in seinem
Inneren zu...
3.8
Visionen
Obi-Wan löschte sein Mathematikpad und verstaute es im Fach unter der
Tischplatte. Die anderen Schüler hatten längst den Raum verlassen und nach
ihnen Meisterin Qui‘Ra. Die anderen konnten es nicht erwarten, in die Ferien
zu gehen - endlich ein paar Wochen nur mit ihren Meistern zusammen zu
sein, endlich nur Training in der großen Halle ohne Schulaufgaben im Nacken,
vielleicht sogar ein kleines Abenteuer auf einem weit weit entfernten Planeten,
auf dem man die Hilfe eines erfahrenen Jedi brauchte, der seinen Padawan
mitnahm.
Obi-Wan blinzelte die Tränen fort.
126
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Er wusste nicht genau, was er in den kommenden eineinhalb Wochen tun
sollte. Eineinhalb Wochen nur noch. Zehn kleine Kerben in die Holzplatte
seines Schultisches noch, zehn Nächte noch in Qui-Gons Bett...
Vierzehn Tage war Qui-Gon nun schon fort. Nicht einmal hatte er sich
gemeldet. Obi-Wan vermutete, dass der junge Jedi vielleicht keine Gelegenheit hatte, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, aber er war so einsam
ohne seinen Freund und Lehrer. Und je näher sein Geburtstag kam, desto
verzweifelter wurde er. Noch immer rief der Rat ihn nicht. Im Gesicht eines
jeden Meisters und jeder Meisterin, die er kannte, suchte er nach der Antwort auf seine Frage, ob er doch noch ein Padawan werden würde. Aber die
meisten älteren Jedi übersahen ihn einfach.
Obi-Wan hob resigniert noch einmal die Tischplatte an und nahm seine
Sachen heraus. Meisterin Qui‘Ra hatte ihm erlaubt, die Mathematiksachen
mitzunehmen, wenn er den Tempel verließ... Wie weh hatten diese Worte
ihm getan! Sie ging einfach davon aus, dass er nach den Ferien nicht mehr
ihr Schüler sein würde. Als sie ihm seine Hausaufgaben zurückgegeben hatte,
waren die schlichten Worte gefallen, nebenbei, einfach so. Dann hatte sie
sein Entsetzen bemerkt, als er erkannte, dass niemand ihn wählen würde.
Sie hatte ihm über die roten Haare gestrichen und ihm gesagt, wie sehr sie
es bedauerte, einen so begabten Mathematiker zu verlieren. Obi-Wan hatte
all seinen Stolz heruntergeschluckt und sie gebeten, ihn zum Padawan zu
nehmen. Aber die Meisterin hatte den Kopf geschüttelt. Sie hatte bereits
eine Schülerin. Dann hatte sie in ihre Tache gegriffen und ihm ein Datenpad
geschenkt: das mathematische Wissen der Republik... Mathematik könne er
an jedem Ort studieren, nicht nur im Jedi-Tempel.
Er holte zitternd Luft und strich traurig über die Holzplatte, legte dann
die Pads aufeinander und verließ den Raum.
Qui-Gon tastete sich geradezu durch die Dunkelheit. Nur die MACHT
erlaubte ihm, hier überhaupt einen Schritt vorwärts zu kommen. Nur durch
SIE erkannte er Felsvorsprünge, Wurzeln, Wasserrinnen und ähnliche Fallstricke. Dabei durchlief sie ihn eiskalt und in immer stärkeren Wellen.
Er zog seine nasse Robe enger um sich, obwohl er wusste, dass ihn diese nicht vor der Eiseskälte schützen konnte. Dann sah er einen schwachen
Lichtschein. Langsam lenkte er seine Schritte in diese Richtung. Es war ein
seltsames Licht - war das bläuliche Schimmern überhaupt Licht? Sicherlich
aber keines einer natürlichen Quelle. Qui-Gon betrachtete seine Hände im
Schein, ging sicherer weiter. Er duckte sich unter einer Wurzel und ein wenig
Mauerwerk - wie kam das in das Innere eines Baunes? - hindurch, trat so in
einen weiten Raum - und erstarrte.
Obi-Wan saß mit unterschlagenen Beinen auf Qui-Gons Bett und schaute über das nächtliche Coruscant. Niemand schien ihn je im Schlafsaal zu
3.8. VISIONEN
127
vermissen. Zuerst hatte er furchtbare Angst gehabt, jemand könne herausfinden, wo er seine Nächte in Wirklichkeit verbrachte, aber derweil vermutete
er, dass es den für die Kleinsten des Ordens Verantwortlichen einfach egal
war, was er machte. Sie hatten ihn aufgegeben. Als er die heißen Tränen
wieder spürte, setzte er sich auf und nahm die Meditationshaltung ein, die
Qui-Gon ihm gezeigt hatte. Auf der weichen Matratze war das gar nicht so
einfach, er konnte das Gleichgewicht aber schließlich trotz aller Widrigkeiten
halten. Er schloss die Augen und versuchte, in seinem Inneren zu lauschen,
seine Gedanken deutlich zu hören, um sich ihrer bewusst zu werden - so, wie
Qui-Gon es ihn gelehrt hatte in der Bibliothek.
Obi-Wan...
Qui-Gon blieb wie angewurzelt stehen.
Er konnte nicht glauben, was er vor sich sah.
Es ist nur eine Vision...
Er versuchte, es sich so lange einzureden, bis das Bild verschwand, aber
es gelang ihm nicht.
Zuerst sah er die Kinder. Seinen älteren Bruder, seine Schwester, seinen Cousin... Obi-Wan... ein kleines Mädchen mit aschblondem, fast grauem
Haar... Dann blickte er den Erwachsenen in’s Gesicht. Seine Mutter, müde,
aber glücklich über die eigene Farm am Rande der Repunlik, Jarann, seinen
Vater, der ihn stolz ansah für einen kurzen Augenblick, Meister Benjamin,
sein Lehrer Yoda, Mace, und so viele andere... sogar Javall... Sie alle tanzten
zu einer Musik, die er nicht hören konnte.
Langsam und verunsichert ging er auf den bunten Reigen zu.
Obi-Wan erstarrte innerlich.
Er kannte die Stimme. Er erkannte sie.
Mom...
Er bekämpfte den Drang, die Augen zu öffnen und fortzulaufen - so hatten
die Probleme hier im Tempel angefangen.
Dann sah er sie, erst verschwommen, dann immer klarer. Ein langer,
weißer Flur mit unendlich vielen Türen. Sie trug nur ihr altes Nachthemd,
ein Bündel auf den Armen...
Mom...
Er wollte zu ihr hinlaufen, sie in den Arm nehmen. Aber etwas hinderte
ihn daran. Diese Aura hatte er noch nie zuvor bei ihr gespürt. Sie war so
blass... und sie hatte Angst, er konnte es spüren, auch wenn sie sich solche
Mühe gab, es vor ihm zu verbergen. Er wusste immer, was sie dachte, wo sie
war...
Er hörte die Gleiter über dem Krankenhaus, er hörte die Plasmabomben
fallen, ein seltsames Geräusch, ein Pfeifen, dann eine Druckwelle, Fensterglas
splitterte.
128
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Sie zog ihn unter einen Türrahmen. Putz fiel von der Decke, zerbröckelte
vor ihren Füßen. Sie kniete vor ihm nieder, legte ihm das Bündel in den Arm.
Sie wollte, dass er mit seinem Bruder das Krankenhaus verließ. Aber er wollte
sie nicht zurücklassen. Sie drängte ihn, versprach, ihm nachzukommen, wenn
es ihr besser ginge. Er glaube ihr nicht. Dann ertönte das Pfeifen direkt über
ihnen. Sie riss ihn mit sich in Richtung des Treppenhauses, stieß ihn durch
die Flügeltür. Er stolperte, beinahe wäre Owen seinen zitternden Armen entglitten. Das letzte, was er sah, war, wie sie im Türrahmen zusammensank...
Lauf, Obi-Wan, lauf doch!
Ihre Stimme überschlug sich, dann traf eine Bombe den Dachstuhl.
Die Druckwelle schleuderte ihn die ersten Stufen hinab. Es kam einem
Wunder gleich, dass weder ihm noch Owen etwas passierte. Er rappelte sich
auf und stürzte die restlichen Stockwerke hinab ins Freie - über ihm brach
das halbe Haus zusammen. Er lief weiter.
Lauf, Obi-Wan...
Er lief auf den Marktplatz der Stadt hinaus und erstarrte erneut.
Qui-Gon wurde von den Tanzenden eingeschlossen. Sie umringten ihn, er
hörte ihre Stimmen, ganz leise, so, als wären sie in Wirklichkeit weit entfernt.
Sie lachten und forderten ihn auf mitzufeiern. Zögernd ließ er sich darauf ein.
Doch dann drehte er sich mit ihnen in diesem bunten und fröhlichen Reigen
des Lebens.
Die Kälte war längst gewichen aus der dunklen Höhle.
Um ihn herum kämpften Menschen gegen die Angreifer. Obi-Wan konnte durch den Schutt und aufgewirbelten Staub kaum etwas Genaues sehen.
Neben ihm schrie jemand, fiel vor seine Füße. Ein Mensch? Einer der Invasoren? Wer waren die? Was wollten die nur? Er zog seinen Poncho über Owens
runzeliges Gesicht, machte ein paar Schritte über den Platz. Dann begann er
zu laufen...
Um ihn herum stürzten Menschen, starben... immer mehr Leichen musste
er umrunden. Er begriff nur so viel, dass die Bewohner der Stadt sehr viel
schneller starben als die Angeifer. Angst und die Anstrengung trieben ihm
den Schweiß ins Gesicht. Er rannte noch immer zwischen den Angreifern quer
über den Platz.
Dann stand er auf einmal vor einem.
Obi-Wan gefror das Blut in den Adern. Das waren die Geister seiner
Alpträume... Wie silberne Heuschrecken auf zwei Beinen, wie Dämonen aus
der Finsternis... Er schrie... Die schreckliche Heuschrecke zielte mit einem
Blaster auf ihn. Obi-Wan presste Owen an sich, schloss voller Angst die
Augen.
Nichts geschah...
3.8. VISIONEN
129
Zitternd und zögernd öffnete er erst ein Auge, dann auch das andere und
riss dann beide mit Erstaunen auf.
Qui-Gon sah ihn als erster...
Er kam aus dem Dunkel, gekleidet in tiefes Schwarz.
Der Jedi löste sich aus dem Reigen und starrte ihn an. Er spürte Wut,
Hass, Gewalt, eine schier unvorstellbare Skrupellosigkeit... Eisige Kälte umfloss den dunklen Krieger, dessen Gesicht eine große Kapuze verdeckte.
Qui-Gons Freunde und Familie wichen zurück.
Er selbst ging einen Schritt auf den Fremden zu.
Der zündete eine seltsame Laserklinge: Rot und zweischneidig. Langsam
schritt er auf Qui-Gon und dessen Kreis zu. Der junge Jedi spürte den Tod,
das grausame Lachen des Kriegers hallte durch die Höhle. Eisige Angst duchfuhr Qui-Gon. Diese finstere Gestalt wollte nur eines:
Alle Anwesenden töten.
Ein alter Mann in einem schwarzen, weiten Mantel deckte Obi-Wan. Er
schlug mit einer hellblau leuchtenden Lichtklinge nach den seltsamen, metallenen Heuschrecken, die sich ihnen von allen Seiten näherten, wehrte sie ab,
schlug ihnen nacheinander den langnasigen Kopf ab.
Bleib hinter mir, Kleiner!
Obi-Wan gehorchte der eindringlichen Stimme in seinen Gedanken, obwohl er damals nicht wusste, dass es ein Jedi-Meister war, der ihm zu Hilfe
gekommen war. Zitternd kniete er zwischen den sich auftürmenden Metallarmen und -beinen nieder.
Dann sah er ihn.
Er trug auch einen schwazen Kaputzenmantel, aber aus leichterem Stoff,
die Haube tief ins Gesicht gezogen. Zuerst dachte Obi-Wan, er käme, um
seinem Beschützer zu helfen, doch dann sah er, wie die Klingen der beiden
Krieger sich kreuzten, Rot gegen Hellblau. Sein Helfer wich immer weiter
zurück, Obi-Wan mit ihm. Dann stolperte der Jedi über eine Leiche am
Boden, konnte den Sturz kaum abfangen. Der dunkle Kämpfer nutzte den
Vorteil sofort. Seine tiefrote Klinge fuhr über Nacken und Schultern des taumelnden Jedi, der daraufhin stöhnend zusammenbrach. Der dunkle Krieger
stieß seine Klinge in den Rücken des Fallenden.
Der Jedi-Meister machte mit letzter Kraft einen Schritt zur Seite und riss
Obi-Wan bewusst mit zu Boden. Sein weiter Mantel fiel über die Beine des
Jungen. Schwer atmend blieben sie liegen.
Obi-Wan spürte die Kraft des Alten versiegen. Er starb...
Qui-Gon starrte auf die zweischneidige Klinge...
Nein...!!!
Er ging noch einen Schritt auf den Angreifer zu.
130
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Der alte Jedi berührte Obi-Wans Wange. Er schien zu lächeln. Dann
drückte er ihm das Lichtschwert in die Hand.
Verlier es nicht...
Er konnte nur nicken - dann erloschen die Gedanken im Geist des Jedi. Dessen volles Gewicht fiel auf den kleinen Jungen, der bald darauf das
Bewusstsein verlor...
Der gesichtslose Angreifer wirbelte seine Klinge über dem Kopf, Qui-Gon
griff nach seinem Schwert. Er sah kurz zurück zu seinen Freunden.
Lauft - so lauft doch!
Er sah, wie sie zum Ausgang drängten.
Nein, du wirst sie nicht töten! Nur über meine Leiche!
Er hielt das Lichtschwert in beiden Händen, als er begriff, was hier geschah
-er hatte Angst um seine Familie...
Der dunkle Krieger kam näher und lachte ihn aus. Qui-Gon ließ das
Schwert fallen und breitete die Arme aus.
Er spürte kaum, wie die rote Klinge ihn durchbohrte. Er fühlte nur, wie
die MACHT, die helle Seite der MACHT, ihn mit sich zog. Er ließ sich fallen
und verlor augenblicklich das Bewusstsein.
Obi-Wan kam schreiend zu sich.
Was für ein Alptraum!
Er war schweißnass, alle Laken hatte er durchwühlt in der Nacht, alles in
Qui-Gons Bett klebte und war klatsch nass. Er zitterte.
Aber er konnte sich erinnern.
Die Erinnerung war schrecklich, aber er froh, dass er sie wiederhatte...
3.9
Pathetic Lifeforms
Das erste, was Qui-Gon spürte, war eine wohlige Wärme, die ihn einhüllte.
Sie weckte Reminiszenzen an sein Quartier auf Coruscant, aber Sekunden
später erinnerte er sich, wo er sich wirklich befand. Er schlug die Augen
auf und erhob sich ächzend. Seine Muskeln schmerzten, aber er konnte seine
Umgebung erkennen. Gemächlich klopfte er vetrocknetes Laub - wo kam es in
dieser Höhle eigentlich her ? - und verkrustete Erde von seinem ramponierten
Mantel. Sein Lichtschwert lag vor seinen Füßen - und direkt daneben lag ein
Bündel Fell.
Qui-Gon kniete nieder, befestigte den Griff seiner Waffe am Gürtel und
streckte vorsichtig seine Finger nach dem Fellball aus. Durch die MACHT
spürte er bereits, dass das, was immer es auch war, lebte - und litt. Ganz
langsam und sanft legte er seine linke Handfläche auf den Körper. Das Wesen maunzte kläglich. Es hob seinen Kopf und sah den jungen Menschen aus
3.9. PATHETIC LIFEFORMS
131
großen, funkelnden Augen, deren Farbe Qui-Gon nicht im Dämmerlicht erkennen konnte, an. Er spürte, wie sehr das Lebewesen Schmerzen litt. Behutsam hob er es auf und entdeckte, dass das rechte Hinterbein verdreht war. Er
zog seine Robe aus, legte das zitternde Wesen vorsichtig darauf und zündete sein Lichtschwert. Im Licht der Klinge suchte er nach mehreren harten
Aststücken, riss dann den letzten Saum von einem der Ärmel seines Mantels
ab. Mit Hilfe der MACHT flüsterte er beruhigende Worte zu dem schwachen
Bewusstsein der verletzten Kreatur und schiente schnell das gebrochene Bein.
Das Wesen fiepte und zerkratzte ihm mit seinen scharfen Krallen die Hände.
Doch Qui-Gon strich nur wieder sanft und beruhigend über den zitternden
Körper unter dem verdreckten Fell, spürte die Rippen. Wahrscheinlich lag
das arme Ding bereits einige Zeit verletzt und zunehmend hungrig hier. Er
breitete die Kapuze seiner Robe als Decke über seinen Pflegefall und hob das
leichte Bündel hoch. Mit der leuchtenden Klinge in der Hand suchte er den
Ausgang.
Meister Yoda saß noch immer auf der riesigen Baumwurzel, noch immer
nachdenklich an seinem Gimmerstock kauend. Qui-Gon wurde sich bewusst,
dass er nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung hatte, wie lange er in
der dunklen Höhle gewesen war. Aber die Tatsache, dass nicht nur seine
schulterlangen Haare, sondern auch die schwere Robe und seine übrige Kleidung trocken waren, ließ auf eine längere Zeitspanne schließen. Yoda glitt von
der Wurzel herab und schlurfte auf Qui-Gon zu. Lange musterte er seinen
Schüler.
,,Wie du dich fühlst?”
Der jüngere Jedi verlagerte den Griff um seine Robe und runzelte die
Stirn. ,,Ich weiß nicht recht. Ich habe weder Hunger noch bin ich müde. Ich...
ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr.”
Irrte er sich, oder lächelte Yoda? Der alte Meister sah zum Höhleneingang
hinüber, dann musterte er wiederum Qui-Gon. ,,Entspannt du bist, ruhig du
bist - ich denke, gut das ist!”
Er drehte sich um und stakste zurück in Richtung des Gleiters. Langsam
folgte sein Schüler ihm. Kurz vor der Rampe wandte der alte Meister sich
erst wieder um. Er blickte auf das Stoffbündel in Qui-Gons Armen.
,,Du sie mitnehmen willst?” Sein Schüler blickte auf seinen kleinen Pflegefall herab, glaubte aber, sein Lehrer meine nur seine arg ramponierte Robe.
Er nickte energisch. Yoda zuckte nur mit der linken Schulter. ,,Deine Entscheidung dies ist.” Er machte eine bedeutungsvolle Pause. ,,Nun dies deine
Entscheidung ist!”
Gemächlich stakste er die Rampe hinauf. Ein klein wenig überrascht und
verunsichert folgte sein Schüler ihm. Innerlich hatte er sich auf eine lange
Diskussion mit seinem Meister gefasst gemacht. Im hinteren Teil des Gleiters
132
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
bettete Qui-Gon seinen kranken Gast auf eine der schmalen Liegen, stopfte
zwei Kissen um das noch immer wimmernde Wesen, damit das geschiente
Bein nicht verrutschen konnte bei Start und Flug. Beruhigend strich er noch
einmal über das reudige Fell. ,,Schon gut, ich komme ja später wieder. Du
wirst sehen, es wird alles gut!”
Das kleine Fellknäuel schaute ihn aus tiefen schwarzen Augen an, QuiGon fuhr über den kleinen Kopf, machte sich dann auf den Weg in‘s Cockpit.
Yoda saß bereits auf dem Pilotensitz, sein Schüler half ihm bei den Startvorbereitungen, und der alte Meister brachte den Flieger elegant in die Luft.
Ruhig hob der Gleiter ab und wirbelte den lichten Nebel auf. Der junge Jedi blickte zurück auf den Planeten. Nun schien Dagobah wie viele andere
bewohnbare Himmelskörper zu sein: Marmoriert, da von Wolkenwirbeln umgeben, grüne und grün-blaue Flecken, die einander abwechselten, wo Landmassen und Ozeane einander trafen. Die lückenlose Wolkendecke hatte sich
aufgelöst - oder hatte es sie nur in seiner Einbildung gegeben?
Als Yoda die Sprungkoordinaten eingegeben hatte und der kleine Gleiter
zu den Sternen sprang, erhob der jüngere Jedi sich und opferte in der winzigen Kombüsennische seine Ration an corellianischer Milch, um einen dünnen
Brei anzurühren. Außerdem nahm er ein dünnes Handtuch und tauchte es
in warmes Wasser. Vorsichtig setzte er das Fellknäuel auf seine Knie, rieb es
noch behutsamer mit dem warmen Tuch ab.
Zu seiner Überraschung war das dichte Fell von einem tiefem Schwarz,
das violett schimmerte, wenn man darüber strich. Auf Coruscant würde er
es bürsten, um den letzten Rest Dreck, Filz und Ungeziefer daraus zu entfernen. Langsam flößte er dem kleinen Wesen die Hälfte des Breis ein. Es
war halb verhungert, aber viel zu schwach, um mehr verkraften zu können.
Qui-Gon hielt es in seiner Robe weiterhin warm, spürte schließlich, wie sein
kleiner Pflegefall in einen tiefen Schlaf der völligen Erschöpfung fiel. Vorsichtig tastete er mit Hilfe der MACHT nach dem kaum mehr vorhandenem
Bewusstsein. Wie schwierig es war, einem solch kleinen Wesen ein bisschen
Kraft zu geben, welche Herausforderung, ihm zu helfen. Langsam ließ er den
Schlaf in eine Heiltrance hinübergleiten.
Qui-Gon bemerkte nicht, dass Meister Yoda in der Tür zum Cockpit stand
und ihm zuschaute. Was hatte sein Schüler nicht schon für bemitleidenswerte
Kreaturen in den Tempel geschleppt - Müllratten mit gebrochenen Ohren,
eine Glasschlange mit zerquetschtem Schwanz, ein auf den Müll geworfenes
Karrabäumchen - Yoda glaubte sich zu erinnern, dass Meister Benjamin beinahe ein Opfer der ausgewachsen über zehn Meter hohen, fleischfressenden
Pflanze geworden war, bevor sich ein Botschafter ihrer Heimatwelt derart für
das Monstrum interessiert hatte, dass der Rat der Jedi spontan beschlossen
hatte, diese zweifelhafte Errungenschaft des Arboretums der Gesandtschaft
3.9. PATHETIC LIFEFORMS
133
als Gastgeschenk zu überlassen... Aber der absolute Höhepunkt war der verletzte Mynock gewesen, der zum Dank für all die Mühe, die Qui-Gon mit
seinem eingerissenen Flügel gehabt hatte, alle Gummischläuche im Tempel
zernagt hatte. Yoda hatte seinen Schüler eigenhändig die Überschwemmung
in der Wäscherei beseitigen lassen - von der Neuinstallation der Abwasserschläuche ganz zu schweigen... Aber wenigstens schien sein neuster Fund wo las er diese jämmerlichen Gestalten nur immer auf ? - keinen derartigen
Ärger zu verheißen.
Der alte Jedi-Meister setzte sich neben Qui-Gon auf die niedrige Pritsche
und strich seinerseits über das seidige Fell der Kranken. Überrascht sah er
seinen Schüler an. ,,Eine Merryth das ist!”
Der junge Jedi sah seinen Meister fragend an. ,,Eine Merryth?”
,,Katzen sie sind in ihrem ersten Leben. Stark in der MACHT viele von
ihnen sind. Aber eine Jedi es noch nicht gab unter ihnen...”
,,Ihr erstes Leben? Haben sie denn mehrere?”
Yoda legte den Kopf schief. ,,So es heißt. Gesehen ich habe nur eine in
meinem Leben bislang. Sehr zurückgezogen sie leben, Einsamkeit sie lieben,
heißt es.” Er sah Qui-Gon durchdringend an. ,,Du sie gehen lassen musst,
wenn sie gesund ist! Sie sonst wohl sterben würde!”
Sein Schüler nickte. ,,Ich habe sie immer gehen lassen. Es wird in diesem
Fall nicht anders sein!”
Der alte Jedi-Meister nickte, schlurfte in seine Kabinenhälfte hinüber und
begann die alltägliche Meditation. Qui-Gon erhob sich ebenfalls, streifte die
Robe über, zog die große Kapuze über den Kopf und kniete neben Meister
Yoda nieder. Durch die körperliche Nähe spürte er intensiv das Trainingsband
zu dem alten Jedi. Wie oft hatte Yoda ihm in den letzten zwanzig Jahren
darüber geholfen, die Konzentration auf die MACHT nicht zu verlieren, ihn
in einer Heiltrance unterstützt, ihn auf einer kurzen Reise durch seine verworrenen Gedanken und Erfahrungswelten begleitet, für ihn Struktur in das
Chaos gebracht, ihn mit der Welt der MACHT vertraut gemacht. Nun nutzte
Qui-Gon das stabile Band zwischen ihnen, um dem Meister zu danken. Dann
brachte er seine Gedanken zum Schweigen, horchte in das ihn umgebende,
unsichtbare Universum.
Die MACHT umfloss ihn. Ein heller, ruhiger Strom, ein Reservoir an
Kraft, Energie, an Leben. Qui-Gon ließ SIE eine Zeit lang an sich vorüberfließen, so, wie er es jahrelang als Padawan getan hatte. Er analysierte die
Strukturen, er sah die verschiedenen Muster, er spürte Meister Yoda neben
sich, die leichten, kontrollierten Wellen, die seine Präsenz in der MACHT
schuf. Der junge Jedi hörte der MACHT zu. Langsam - beinahe wie unbewusst - glitt er in SIE hinein, wurde eins mit IHR. Er suchte Reminiszenzen
an seine Vision auf Dagobah, er wollte so gern wissen, was dort in der Höhle
134
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
passiert war, aber da war einfach - nichts.
Ein leerer Punkt in seinem Bewusstsein, ausgelöscht, getilgt, und er konnte sich nur fragen warum.
Was nur sollte er dem Rat in ein paar Tagen darüber erzählen?
Am besten die Wahrheit, wie er es Obi-Wan geraten hatte...
Obi-Wan!
Qui-Gon durchfuhr tiefe Scham. Der Junge hatte bald Geburtstag, und
er hatte noch nicht einmal mit Yoda über die Zukunft des Kleinen geredet, geschweige denn mit dem Rat. Er wollte ihm so gern helfen, er hatte
versprochen zu helfen.
Er tauchte aus der Meditation auf, um diesen Kampf zu beginnen - er
kannte die Meinung des Rates nur zu gut, um zu wissen, dass dies ein erbitterter Kampf werden konnte, - und runzelte überrascht die Stirn. Irgendetwas
stimmte nicht, irgendetwas hatte sich verändert. Eine Zeit lang wusste er
nicht, was es war, aber dann bemerkte er, dass das Trainigsband zu seinem
Meister nicht länger existierte - der alte Jedi hatte es, als Qui-Gon sich in
die MACHT versenkt hatte, aufgelöst. Er sah hinüber, und Yoda erwiderte
seinen Blick.
,,Du es nicht länger brauchst, Qui-Gon. Deine Ausbildung, beendet sie ist
- eins mit der MACHT du gewesen bist!” Yoda erhob sich und ging zurück
in die Richtung des kleinen Cockpits. In der Tür wandte er sich zu seinem
erstaunten Schüler um. ,,Der Rat über deine Zukunft noch entscheiden muss,
aber ich denke, du deine Prüfung bestanden hast.”
Er verließ die Kabine und schloss die Tür hinter sich. Auch ihn berührte
das Fehlen des engen Kontaktes, auch er musste erst wieder damit umgehen
lernen.
Sommer über Coruscant bedeutete heiße Winde rund um die Spitzen des
Jedi-Tempels. Kaum jemand verließ freiwillig die klimatisierten Bereiche. Die
jungen Schüler waren froh, dass das Training in die frühen Morgenstunden
verlegt wurde, in denen die große Halle noch kein brütend heißer Backofen
war wie am Nachmittag und Abend. Nur ein paar von ihren Heimatwelten
heißes und trockenes Klima gewöhnte Jedi ließen sich auf den Terassen und
den geschwungenen Balkonen blicken.
Gordon genoss den dieses Jahr noch extrem warmen Sommer. Er saß
in der prallen Sonne, hatte aber trotz der Hitze noch seine weite Robe an,
breitete langsam die Seiten über seine Beine. Der Sevit schloss seine gelben
Augen, lehnte sich gegen die weiße Wand hinter sich. Morgen würde sein
Lehrer Yoda zurückkehren. Das hieß, dass übermorgen der Rat wieder tagen
würde. Viele Entscheidungen würde er nicht mehr mittragen...
Er spürte, wie jemand auf der anderen Seite den Balkon betrat. Er erkannte ihn zuerst nicht. Welch erschütternde Traurigkeit umgab den Fremden. Als
3.9. PATHETIC LIFEFORMS
135
hätte er einen großen Verlust erlitten - nein, als wüsste er, dass der Verlust
unausweichlich war. Und wie wenig war er darauf vorbereitet...
Der Sevit tastete weiter in die MACHT, um den Jedi besser zu verstehen,
vielleicht, um ihm zu helfen. Der Fremde ging zum Balkongeländer und legte
seine Hände darauf, setzte sich dann auf die Brüstung, im Schneidersitz, so,
als wolle er dort meditieren! Meister Gordon runzelte die schuppige Stirn.
Welche Extravaganz... und welches Selbstbewusstsein!
Die MACHT war stark in diesem unglücklichen Jedi. Sie umfloss ihn wie
ein gewaltiger Fluss; nur zweimal in seinem bisherigen Leben hatte er dies so
deutlich bei einem Jedi wahrgenommen.
Nach dem obligatorischen Jahr der Meditation und des Studiums, als Yoda seinen Padawanzopf abgetrennt hatte, hatte er einen Schüler gewählt. Ein
kleiner, aufgeweckter Dreijähriger in bunten, ausgefallenen Kleidern, der von
dem kleinen Planeten Naboo stammte, hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
Yoda hatte sich nicht eingemischt, aber er war auch nicht begeistert von
Gordons Wahl gewesen. Der alte Jedi hatte dem Council zuvor geraten, den
Jungen abzulehnen - zu ungewiss seine Zukunft war. Doch Gordon wollte ihn
unbedingt ausbilden, hatte Yoda mit Engelszungen überredet, ihnen beiden
eine Chance zu geben. Schließlich hatte er den alten Jedi überzeugt.
Der zweite Junge mit einer solch starken Aura war nicht im Tempel aufgewachsen. Knapp vierjährig stand er, hager, fast schon unterernährt und mit
wirren schwarzen Haaren vor ihm und dem Rest des Rates und trotze ihm
und seinen Fragen, besaß die Frechheit, den Vorsitzenden des Jedi-Councils
zu fragen, warum er jedes Detail seiner Geschichte noch einmal erzählen solle.
Ob der große Sevit ein so schlechtes Gedächtnis von einem Tag zum anderen
habe!?
Gordon musste lächeln über den kleinen Qui-Gon. Aber das durfte der
Junge damals genauso wenig merken wie heute. Der Wunsch des kleinen Kolonistenkindes ein Jedi zu werden, war so ausgeprägt, dass der große Sevit
- gerade zum Vorsitzenden des Rates gewählt - es kaum verstehen konnte.
Dabei hatte der Junge im Gegensatz zu vielen anderen seiner Altersgenossen
überhaupt keine Ahnung, was ein Jedi war, was die Ausbildung für ihn bedeuten würde, welch hartes Leben ihm abverlangt werden würde. Instinktiv
wusste er nur, dass er hier im Tempel seine wahre Heimat gefunden hatte.
Wie gern hätte er den Kleinen selbst zum Padawan genommen, aber noch
immer war damals Pal sein Schüler gewesen. Yoda hatte ihn daran erinnert,
dass man nicht einen Padawan zugunsten eines anderen aufgeben durfte. Die
Wahl band den Meister bis zur Prüfung oder dem Zeitpunkt, an dem der
Schüler aufgab. Gordon hatte seine vier Hände zu Fäusten geballt und die
Entscheidung seines ehemaligen Lehrers, Qui-Gon selbst auszubilden, akzeptiert. Nun, zwanzig Jahre später, fragte er sich nur noch, warum Pal ihn vor
136
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
fünf Sommern verlassen hatte... ohne einen Grund zu nennen, war er kurz vor
seiner Prüfung spurlos verschwunden. Ob er nach Hause zurückgekehrt war?
Gordon war sich immer noch nicht im Klaren, ob er es überhaupt wirklich
wissen wollte.
Einen kurzen Augenblick hoffte er, der fremde Jedi, der dort auf dem
Geländer meditierte, sei sein ehemaliger Schüler. Er hob die Lider - und sah
einen kleinen Jungen, den er nur zu gut kannte. Der Versager... Er schämte
sich für diesen Gedanken, aber genau das war der Eindruck gewesen, den der
kleine rothaarige Obi-Wan immer auf ihn gemacht hatte im Ratszimmer: Der
geborene Versager.
Und nun saß dieser Junge in perfekter Haltung auf einem schmalen Geländer
und meditierte wie ein erwachsener Jedi, ließ die MACHT um sich fließen,
bereit, sich ihr zu stellen...
Er war bereit...
Nein, mehr als bereit war er. Irgendjemand hatte ihm die Grundelemente
aus der Ausbildung eines Jedi-Padawan bereits beigebracht. Und er war sehr
erfolgreich dabei gewesen. Doch Gordon konnte sich beim besten Willen nicht
daran erinnern, dass einer der anderen Meister Interesse an dem ängstlichen
Jungen gezeigt hätte. Wer also hatte Obi-Wan ausgebildet, ohne ihn dem
Code entsprechend zum Padawan zu nehmen?
Wer ignorierte einfach so den Codex?
Gordon verzog das Gesicht bei diesem Gedanken. Langsam und lautlos
erhob er sich und verließ die Terasse, um den Jungen nicht zu stören. Zwei
wichtige Entscheidungen würde der Rat noch unter seinem Vorsitz fällen...
Qui-Gon saß neben Yoda und hatte seine Hände auf den Kontrollen des
Gleiters ruhen. Auf seinem Schoß lag die schwarze Merryth und schlief. Ihr
komplizierter Bruch heilte, aber der junge Jedi hielt es für besser, wenn das
Bein noch ein paar Tage geschient blieb. Am zweiten Tag ihrer langen Rückreise hatte er eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Die Merryth war nicht
nur machtsensitiv in dem Sinne, dass er sie beeinflussen konnte, sie konnte
auch mit ihm über die MACHT kommunizieren.
Sie - Qui-Gon war sich derweil sicher, dass es ein weibliches Wesen war hatte mit Amüsement seine Überraschung über diesen Fakt registriert.
Warum nur glauben humanoide Spezies immer, nur sie allein wären intelligent - ein Wunder, dass ich nicht in deinem Kochtopf gelandet bin!
Er hatte die Augenbrauen konsterniert in die Höhe gezogen und sich wortlos mit einer Verbeugung entschuldigt. Die Merryth hatte die Entschuldigung
angenommen, sich Wärme suchend an ihn geschmiegt.
Hast du einen Namen?
Ja. Aber du musst mir einen neuen geben!
Warum?
3.9. PATHETIC LIFEFORMS
137
Du hast mir mein Leben gerettet - ohne dich wäre ich auf Dagobah verhungert. Der Rest dieses Lebens gehört dir!
Er hatte den Kopf geschüttelt.
Ich kann das nicht akzeptieren. Ich habe dir nicht das Leben gerettet,
damit du es bei mir verlierst. Ich weiß, dass Merrythkatzen nicht in Gefangenschaft oder in enger Gemeinschaft mit anderen Lebewesen überleben
können...
Die Merryth tat daraufhin etwas, was er nicht erwartet hatte: Sie lachte.
Fast schon verschämt sah sie ihn aus schwarzen, nun hell und wach glänzenden Augen an.
Das ist nur eine kunstvolle Legende, damit wir unsere Unabhngigkeit
wahren können. Und ich werde bei dir bleiben, Qui-Gon! Nichts kann mich
davon abbringen.
Er schüttelte amüsiert den Kopf.
Eine Legende - selbst mein Master hat es euch geglaubt!
Bitte verrate es ihm nicht - er würde eine Jedi aus mir machen wollen.
Qui-Gon nickte stumm. Die Merryth rieb ihren Kopf an seinen Händen.
Aber ich brauche nun noch immer einen Namen!
Er sah sie lange an.
Tarah...
Sie schnurrte zufrieden.
Qui-Gon wünschte, er könne mit sich selbst auch so zufrieden sein. Noch
immer hatte er nicht mit Yoda über sein dringenstes Problem geredet. Er
schob die Hände in die Ärmel seiner Robe und sah den alten Meister an, eine
stumme Aufforderung, ein Gespräch zu beginnen.
,,Dich etwas bedrückt, Qui-Gon?”
Er nickte.
,,Ja. Ich habe eine Frage an euch als Ältesten des Rates...” Yoda musterte
seinen Schüler eine Zeit lang, dann nickte er. ,,Was wird aus dem jungen ObiWan?”
Der alte Jedi stützte das Kinn auf seine linke Hand und kniff die Augen
zusammen. ,,Der Rat noch nicht entschieden hat. Aber bald er wird, bald er
muss!”
Qui-Gon holte tief Luft. ,,Und ihr? Habt ihr schon eine Entscheidung
getroffen?”
Yoda starrte aus dem Frontfenster des Gleiters. ,,Entschieden ich habe...”
Er machte eine lange Pause. ,,Ausgebildet er wird nicht.”
Qui-Gons war es, als setzte sein Herz für einen kurzen Augenblick aus.
Kraftlos sanken seine Hände in seinen Schoß. ,,Nicht!?” Es war wie ein Aufschrei aus seinem Innersten. Sein Meister wandte sich ihm wieder zu. ,,Warum
nicht?”
138
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
,,Zu alt er ist.”
,,Das war ich auch! Und ihr habt mich trotzdem zum Padawan genommen!”
Yoda kniff die Augen zusammen, senkte die Ohren. ,,Zu früh er gesehen
hat das Böse, die Grausamkeit der Welt außerhalb des Tempels. Viel zu früh
die dunkle Seite der MACHT er gespürt hat!”
,,War es bei mir nicht ähnlich?”
Yoda nickte nachdenklich. ,,Vielleicht... aber große Angst Obi-Wan hat,
große Angst ich spüre in ihm.” Sein Blick reichte tief in Qui-Gons Seele auch ohne das Band in der MACHT war er seinem Schüler näher als jedem
anderen Jedi. ,,Und du sie spürst auch in ihm, wenn ehrlich du bist!”
Der junge Jedi senkte den Kopf, starrte auf seine Hände, auf die schlafende
Merryth, die unter ihnen lag. Konnte Yoda so einfach den Traum eines kleinen
Jungen sterben lassen? Wusste er nicht, dass er Obi-Wan mit diesem Urteil
vernichtete? Dass er ihn aufgab wegen etwas, was der Kleine nicht selbst zu
verantworten hatte? Qui-Gon blickte auf, Yoda sah den Kampfgeist seines
Schülers in dessen Augen blitzen.
,,Ja, er hat Angst, aber er hat nur Angst davor, den Orden verlassen zu
müssen! Wenn er einen Meister bekäme, würde auch die Angst vergehen. Wir
sind seine Familie. Er hat nur noch uns!”
Er hielt Yodas hartem Blick stand. Der alte Jedi wandte den Blick wieder
aus dem Gleiter hinaus. ,,Vielleicht... aber das nicht deine Entscheidung ist,
Qui-Gon, dieses Urteil der Rat fällen muss!”
Der junge Jedi spürte, dass für Yoda damit alles gesagt war. Er kannte
seinen Meister zu gut, um noch weitere Einwände vorzubringen.
Vor ihnen tauchte die schimmernde Kugel Coruscants auf.
3.10
Vermächtnisse
Der Balkon schien zur Meditation regelrecht einzuladen...
Gordon konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Vielleicht gab es ja sogar
einen inoffiziellen Zeitplan unter den Schülern des Ordens, wann wer hier
seine Zeit verbringen durfte. Nun, ihm hatten sie das nicht mitgeteilt, er hatte
den Balkon erst vor wenigen Tagen entdeckt. Nun stand er im Durchgang und
beobachtete innerhalb einer Woche den zweiten Padawan bei gymnastischen
Übungen auf dem schmalen Balkongeländer.
Diesem Schüler fiel es wesentlich schwerer, auf der kleinen flachen Säulenspitze Platz zu nehmen, er war nur etwa einen Kopf kleiner als der Sevit. Auch
dieser Padawan wählte den Schneidersitz, seine Robe hing hinter ihm herab, seine Hände ruhten auf seinen Knien. Die untergehende Sonne wärmte
3.10. VERMÄCHTNISSE
139
ihn, sein langes Haar wehte im langsam abkühlenden Wind. Offensichtlich
saß er schon länger dort, denn auf seiner markanten Nase zeigten sich leichte
Ansätze eines Sonnenbrands.
Der Meister fühlte, wie der junge Jedi um eine Entscheidung rang. Der
Mensch spürte einem Konflikt zwischen den Strukturen seines Lebens und
seinen Instinkten nach. Er versuchte, mit Hilfe der MACHT zu einem Ausgleich zu kommen. Gordon wusste, dass es ihm nicht gelingen würde. Zu
oft hatte er selbst vor demselben Problem gestanden - und letzendlich kapituliert. Auch der Mensch gab seine Meditation endlich auf, auch er musste
sich der Erkenntnis stellen, dass auch im Einklang mit der MACHT nicht
alle Probleme im Handumdrehen eine Klärung erfuhren. Er ließ sich auf den
Boden des Balkons zurückgleiten und starrte über das im Sonnenuntergang
funkelnde Coruscant.
Der alte Sevit trat an seine Seite. ,,Guten Abend, Qui-Gon.” Der junge
Jedi verneigte sich vor ihm. ,,Du machst dir Gedanken über die morgige
Ratssitzung?”
Qui-Gon verzog das Gesicht. ,,Auf eine gewisse Art und Weise ja. Aber
nicht so, wie ihr vielleicht denkt, Meister.”
Gordon schlug den samtschwarzen Umhang zurück, stützte sich mit den
oberen Armen auf dem Geländer ab. ,,Du solltest dir keine Sorgen machen,
nicht alle von uns erinnern sich an ihre große Vision aus der Prüfung. Einige
haben danach auch nie wieder eine, einige erst kurz vor ihrem Tod eine
weitere.” Er wartete, ob Qui-Gon etwas dazu sagen wollte, aber der junge
Mann schwieg. ,,Nicht alle Jedi können die Visionen in der MACHT ihr
ganzes Leben lang nutzen, wie Meister Yoda das vermag. Manche von uns
müssen ihren Instinkten vertrauen, den immer neuen Erfahrungen mit der
lebendigen MACHT.” Gordon legte eine seiner Hände auf Qui-Gons linke.
,,Ich wünschte, ich hätte dir meinen Umgang, mein Leben in der MACHT
öfter zeigen können...”
Qui-Gon begriff in diesem Moment, wie sehr der Sevit sich gewünscht hatte, er wäre sein Schüler geworden und nicht Yodas. Ob es ihn sehr gekränkt
hatte, dass er den kleinen, grünhäutigen Meister im Rat gewählt hatte und
nicht ihn? Zögernd sah er in die gelben Augen des alten Meisters. Der Sevit
lächelte ihn an. ,,Es war offensichtlich nicht der Wille der MACHT, dass du
mein Padawan wurdest. Es fiel mir damals sehr schwer, dass zu akzeptieren.
Aber ich war sehr stolz und glücklich, als du mich batest, dir beim Training
mit Lichtschwert zu helfen.”
Verlegen blickte der junge Jedi auf ihre übereinander liegenden Hände.
Die beiden kantigen Finger des Sevit waren eisig kalt. ,,Ich habe sehr viel
von euch gelernt, Meister Gordon.”
Der Meister verstärkte den Griff um die menschliche Hand. ,,Das will
140
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
ich doch sehr hoffen, denn du hast dir den Ruf erworben, einer der besten
Fechter zu sein, den der Tempel je gesehen hat. Und du warst auch in anderer
Hinsicht ein wirklich guter Schüler, Qui-Gon - nicht nur für Meister Yoda.
Bewahr dir deinen eigenen Willen und gib nicht zu oft nach...” Er sah über
die dunkelviolett schimmernde Stadt hinaus. ,,Kapituliert nicht, gib niemals
auf, unabhängig zu denken! Lauf nicht in dieselbe Falle wie ich damals!” Er
rang noch einen kurzen Augenblick mit sich, doch dann gab er seinen letzten
Ratschlag doch weiter, auch wenn er das eigentliche Problem des Padawan
gar nicht kannte. ,,Fühlen, Qui-Gon, nicht denken. Manchmal ist der Wille
der MACHT so stark, dass du intuitiv wissen wirst, was zu tun ist. Vertraue
der MACHT, sie wird dich sicher leiten in solchen Fällen!”
Qui-Gon betrat sein Zimmer und blieb konsterniert gleich hinter der Tür
stehen. Entgegen seinen Erwartungen war er nicht allein im Raum. Zuerst
dachte, er würde die Präsenz seines Meisters spüren, doch dann hörte er
Yoda nebenan in dessen Wohnung herumschlurfen. Qui-Gon ließ das Licht
deaktiviert und schritt im Dunkeln auf den Eindringling zu.
Der lag offensichtlich in seinem Bett...
Und Qui-Gon stolperte über etwas, das vor dem Bett auf dem Boden lag.
Beinahe wäre die kleine Merryth seinen Armen entglitten. Er fluchte leise,
schaltete die kleine Schreibtischlampe an. Ihr winziger Lichtkreis fiel unter
anderem auf eine der leichten Leinentaschen des Tempels. Jemand hatte seine
Sachen zusammengepackt, um den Orden zu verlassen. Der junge Jedi schloss
traurig die Augen, er musste nicht länger fragen, wer da zwischen seinen
Kissen lag.
Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und zog die dünne Decke über
die schmalen Schultern des kleinen Jungen. Die Merryth sprang vorsichtig,
das kaum verheilte Bein noch nicht völlig belastend, auf die Unterlage. QuiGon berührte die feuchte Wange des Jungen. Obi-Wan hatte sich in einen
unruhigen Schlaf geweint. Tarah stiefelte über die Seite des Schlafenden und
begutachtete den kleinen Menschen eindringlich.
Ist er verletzt, dass er so leidet?
Qui-Gon schüttelte den Kopf.
Nein, zumindest nicht äußerlich. Seine Seele weint...
Warum?
Er stopfte vorsichtig die Decke um Obi-Wan fest. Dann stellte er die
Leinentasche beiseite, löschte das Licht und streckte sich einmal mehr auf
dem Boden aus. Die Merryth sprang auf seinen Bauch. Lächelnd teilte er
seine Robe mit ihr.
Der Hohe Rat der Jedi wird ihm die Ausbildung im Tempel verweigern.
Und er spürt das drohende Urteil bereits.
Tarah kuschelte sich in eine Stofffalte und schien zu grunzen.
3.10. VERMÄCHTNISSE
141
Wenn er das spürt, muss er ein starkes Band zur MACHT haben - wie
können sie ihm da die Ausbildung verweigern?
Qui-Gon strich über ihr seidiges Fell, die Merryth begann wie eine echte
Katze zu schnurren.
Ich weiß es nicht. Yoda befürchtet, er könne seine Angst nicht überwinden.
Und du glaubst, er könnte es schaffen?
Ja.
Also teilst du die Meinung des Rates nicht?
Qui-Gon stimmte stumm zu.
Wirst du das Urteil dennoch akzeptieren?
Er schwieg. Denn das war genau die Frage, die er sich seit Stunden stellte.
Viel war nicht mehr zu tun, und Gordon war froh darüber. Zeitweise
schien es ihm, als hielten ihn nur noch diese beiden Aufgaben hier. Er musste
unwillkürlich lächeln bei dem Gedanken. Langsam schritt er neben Yoda den
Gang entlang zum Ratszimmer. Keiner von beiden hätte sagen können, wer
sich hier dem Schritttempo des anderen anpasste. Beide schienen mit ihren
Gedanken unendlich weit fort zu sein.
Dann eröffnete Gordon das Gespräch.
,,Warum bin ich damals in den Rat gewählt worden?”
,,Eine seltsame Frage das ist - warum du sie stellst?”
Gordon raffte den weiten Umhang energisch um sich, er fror. ,,Um meine
letzte Aufgabe erfüllen zu können, muss ich es wissen. Wie soll ich sonst
einen Nachfolger vorschlagen können?”
Yoda nickte kaum merklich. Auch er hatte längst bemerkt, wie alt und
krank sein Schüler in den letzten Wochen ausgesehen hatte. Mit seinen 800
Jahren, die er im Jedi-Tempel lebte, hatte er bislang jeden seiner Schüler
überlebt, aber an die Tatsache an sich gewöhnte er sich nie. ,,Dein Gespür
für die lebendige MACHT es war und dein Vertrauen auf sie, als Pal du
wähltest zum Padawan. Manchmal der Rat jemanden braucht, der seinen
Instinkten mehr als seiner Logik traut.”
Gordon verbarg sein Lächeln vor Yoda - zumindest glaubte er dies. ,,Ich
werde daran denken, wenn ich meinen Nachfolger vorschlage!”
Der kleine Jedi-Meister öffnete vor ihnen die Torflügel zum Saal. Gerade
ging die Sonne über Coruscant auf. ,,Was du noch auf die Tagesordnung
gesetzt hast?”
Dieses Mal verbarg der Sevit sein schelmisches Grinsen nicht vor seinem
alten Lehrer. Während er sich erschöpft in seinen Sessel sinken ließ, sagte er:
,,Nichts Besonderes, mein Meister, nur - mein Vermächtnis und die Zukunft
des Ordens und der Republik, wenn ich meiner Vision nach heute Nacht
glauben darf, meiner einzigen Vision seit Dagobah.”
142
3.11
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Übergangsriten
Das warme Nachmittagslicht fiel in den rundum durch Panoramafenster quasi öffentlich gehaltenen Saal des Jedi-Rates. Die Haare des kleinen Jungen
schimmerten zwischen dunkelrot und mittelblond, je nachdem, wie er den
Kopf bei seinem Bericht bewegte.
Qui-Gon stand neben der hohen Doppeltür und hörte wie die Mitglieder
des Councils gleichfalls fasziniert der Erzählung über Meister L‘taths Tod
zu. Obi-Wan trug sie gefasst und detailreich vor, aber zur Aufklärung des
Massakers unter der Stadtbevölkerung würde er nicht viel beitragen können.
Rote Kristalle waren im Jedi-Tempel seit vielen Jahrhunderten eher unüblich
für Lichtschwerter, aber auch nicht ganz verschwunden, und den Angreifer
konnte er nicht wirklich beschreiben - was sagte ein schwarze Robe schon
aus? Viele Meister wählten dunkle Farbtöne für ihre weiten Kapuzenmäntel,
wenn auch selten wie Gordon Schwarz, da dies die Sith vor tausend Jahren
zu ihrem Markenzeichen gemacht hatten in ihrem Kampf gegen die Jedi.
Doch dass der sterbende L‘Tath noch bemerkt hatte, dass Obi-Wan machtsensitiv war, sprach für den Kleinen. Qui-Gon nahm sich vor, auf jeden Fall
dafür zu sorgen, dass der Junge sein Versprchen, auf das Lichtschwert des
Toten aufzupassen, halten konnte. Die Meisterin Do-Rail-Lith mochte es als
Erinnerung und in der Schülertradition der Jedi an sich genommen haben,
aber für Obi-Wan war es weit wichtiger, sein Wort halten und den schlanken
Griff in seinen Händen fühlen zu können.
Der Kleine besaß eine gute Beobachtungsgabe. Qui-Gon sah mehr als ein
Mitglied des Rates schmunzeln, als er ausführlich die Kampfdroiden beschrieb
- auch aus der Sicht eines nun Fünfjährigen waren sie die gestaltgewordene
Lamia.
Nichts war bei den Nachforschungen der Jedi über den Käufer und Besitzer der Armee herausgekommen - fast jede große Organisation der Republik
besaß Sicherheitspersonal und Raumgleiter mit der Fähigkeit, kleine Plasmabomben zu tragen, in der Stärke der kleinen Streitmacht, die Obi-Wans
Heimatstadt angegriffen hatte. Hunderte von Einzelpersonen und Firmen
hatten in den Monaten vor dem anscheinend völlig sinnlosen Überfall Droiden bei den Herstellern gekauft. Unmöglich festzustellen, woher diese nun
kamen, trotz der Nummerierungen und sonstigen Kennzeichen. Solche Einzelheiten wiesen die damaligen Akten nicht nach, eine Lücke, die der Senat
nun geschlossen hatte mit einem neuen Gesetz -zu spät für die Familie des
kleinen Jungen, viele andere Stadtbewohner und den alten Jedi-Meister.
Obi-Wan stand aufrecht, ordentlich in frisch gewaschene Kleider gehüllt
vor dem Rat und schloss seine Erzählung mit einem einfachen Satz ab:
3.11. ÜBERGANGSRITEN
143
,,Ich möchte ein Jedi werden, um andere gegen solch finstere Krieger zu
verteidigen!”
Qui-Gon hielt den Atem an.
Der Vorsitzende Gordon sagte kein Wort dazu, auch kein anderer der
anwesenden Jedi. Yodas Gesicht blieb eine starre Maske. Seine Stimme war
kaum bis zur Tür zu hören. ,,Dein Wunsch, er allein nicht genügt!”
Sein Schüler wusste, was der alte Jedi damit sagen wollte. Auch Obi-Wan
kannte die Bedeutung. Nicht nur der Schüler musste wählen, auch der Lehrer,
aber keiner der Meister hatte ihn gewählt. Er schluckte und starrte einen kurzen Augenblick auf das bunte Mosaik, auf dem er stand. Nach all den Tränen
der vergangenen Tage wollte er wenigstens hier wie ein wahrer Jedi der Wahrheit ins Gesicht sehen. Als er aufblickte, sah er für einen flüchtigen Moment,
wie ein Lächeln über Meister Gordons ungewohnt blasse Züge huschte. Dann
hörte er ein Raunen unter den um ihn sitzenden und stehenden Jedi. Bevor
er sich umwenden konnte, spürte er eine vertraute Hand auf seiner rechten
Schulter. Qui-Gon...
Doch der große Mann sagte zunächst nichts. Er gab Obi-Wan nur stumm
zu verstehen, bei ihm zu bleiben, während er selbst auf das Urteil des Rates
über sein Schicksal wartete.
Qui-Gon schlüpfte aus seinem abgetragenen Mantel und faltete die hellbraune Robe sorgfältig zusammen, legte sie vor die Füße seines Lehrers und
kniete nieder. Yoda erhob sich langsam.
,,Dich in den Rang eines Jedi-Ritters zu erheben, der Rat beschlossen hat
- Qui-Gon Jinn.”
Der junge Jedi sog tief die Luft in seine Lungen. Nur sein gesenkter Kopf
verhinderte, dass alle Anwesenden die fahle Blässe sehen konnten, die sich
über sein Züge legte. Wie nur kam Meister Yoda dazu, ihm ausgerechnet
diesen dritten Namen zu geben? Kannte er die Sprache der Kolonisten auf
Gestae? Wusste er vielleicht sogar, wer Qui-Gon die Bedeutung dieses Wortes
erklärt hatte? Jinn... Verantwortung - wofür? Unterpfand - wozu? Aufgabe welcher Art? Was hatte Yoda in seiner Zukunft gesehen? Unendliche Assoziationen huschten in rascher Folge durch Qui-Gons Gedanken.
Der alte Jedi-Meister trat währenddessen hinter seinen Schüler, der nervös
die Augen schloss. Yoda griff in sein langes Haar. Einen bangen Augenblick
befürchtete Qui-Gon, sein Meister könne vielleicht doch nicht der Versuchung
widerstehen, ein klein wenig Vergeltung zu üben für all den Widerstand seines Padawan gegen den Codex, und würde ihm mit seinem Lichtschwert ein
letztes Mal die lange Mähne kürzen. Doch der alte Jedi schmunzelte nur
über Qui-Gons Befürchtungen. Vorsichtig schob er den Haarschopf beiseite
und nahm den dünnen Padawanzopf in seine Hand, trennte ihn ab. Dann
hüllte er seinen Padawan in eine neue, dunkelbraune Robe.
144
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
Erleichtert schlüpfte Qui-Gon in die weiten Ärmel seines neuen Mantels.
Als Yoda wieder vor ihm stand, neigte er noch einmal tief seinen Kopf, ein
letztes Mal als Schüler sozusagen - von heute an durfte seine Verbeugung
geringfügig weniger tief ausfallen als zuvor.
Meister Gordons schuppige Lippen umspielte ein süffisantes Lächeln bei
seinen nächsten Worten. ,,Der Rat hat auch beschlossen, dass ihr euch, nach
dem Jahr der Ruhe, dem aktiven Dienst an der Republik widmen dürft, wenn
es dann euer Wunsch sein sollte, Qui-Gon Jinn.”
Der Angesprochene erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften.
Yoda kniff alarmiert die Augen zusammen. ,,Ich wähle eine andere Aufgabe
für die allernächste Zeit. Ich möchte mich dem Unterricht widmen.” Gordons Miene blieb unbewegt, doch Obi-Wan sah, wie es um die Mundwinkel
des Vorsitzenden wieder zuckte. ,,Und - bei allem gehörigen Respekt - ich
habe gerade ein Jahr der Meditation und der Studien über meine ersten Begegnungen mit der MACHT hinter mir und...” Er holte tief Luft. ,,... und
über meine Vision auf Dagobah kann ich nicht meditieren - mir fehlt jede
Erinnerung daran! Ich ziehe eine andere Aufgabe vor.”
Er trat hinter Obi-Wan und machte Anstalten, seine Hände auf die Schultern des Jungen zu legen. Ein immer lauter werdendes Flüstern durchzog den
Saal. Trotzdem blieb er bei seinem Vorhaben. ,,Ich nehme Obi-Wan zu meinem Padawan-Schüler.”
Er spürte Yodas Widerspruch, bevor ein Wort fiel, auch den anderer Ratsmitglieder. Doch dann geschah etwas, womit er nicht im Traume gerechnet
hatte.
Meister Gordon erhob sich schwerfällig und trat auf ihn zu. Das Gemurmel
im Saal verstummte augenblicklich. Doch statt harscher Worte, begann der
Sevit zu lächeln. Er legte eine seiner Hände auf Qui-Gons Schulter. ,,Euer
Mut, dem Rat die Stirn zu bieten, ehrt euch. Doch eine solche Entscheidung
könnt ihr nur als Jedi-Meister gegen das Votum eures Lehrers treffen. Und
noch seid ihr kein Meister. So waren eure Worte vorlaut, wenn auch nur...”
Das Lächeln vertiefte sich. ,,... etwas.”
Der Sevit schritt langsam um ihn herum. ,,Eins mit der MACHT werde ich bald werden. Und meine letzte Aufgabe wird es sein, einen Nachfolger vorzuschlagen für meinen Platz im Rat.” Gordon fixierte jeden einzelnen Jedi-Meister in der Runde, jeden der Anwesenden, die hinter den zwölf
maßgeschneiderten Sesseln standen. Als er Yodas Blick begegnete, seufzte er
innerlich. Nein, dieses Mal würde er nicht nachgeben, dieses Mal würde er
dem Willen der MACHT bedingungslos folgen. ,,Niemand unter den Meistern
und Jedi-Rittern meiner Generation hat ein solch starkes Band zu lebendigen
MACHT gezeigt wie ich, so sagte man mir - und niemand unter den neuen Jedi zeigt diese Eigenschaft so wie dieser.” Er legte seine beiden unteren
3.11. ÜBERGANGSRITEN
145
Hände auf Qui-Gons Schultern, löste mit den oberen die Kordel, die seinen
schwarzen Samtumhang, das Symbol seiner Meisterwürde, festhielt. ,,Darum
ist meine Wahl und die Wahl der MACHT eindeutig.” Qui-Gon spürte, wie
ein Zittern durch Gordons Körper lief. Er starb... die MACHT rief bereits
nach ihm... Erschüttert schloss er die Augen. ,,Ich erhebe euch zum JediMeister, billige die Wahl eures Schülers und schlage Master Qui-Gon Jinn
für den Sitz im Rat der Jedi vor.”
Der Angesprochene fühlte, wie die Hände auf seinen Schultern ihre Substanz verloren, als Gordon sich der MACHT hingab, wie sie sich auflösten.
Der schwere Umhang aber blieb zurück. Sanft glitt er über Qui-Gon und
Obi-Wan, eine letzte Welle der Präsenz des Meisters lief mit der MACHT
durch den Saal, hüllte sie beide gemeinsam in den Stoff ein... berührte Yoda und zeigte ihm die letzte Vision Gordons über einen codexverachtenden
Meister und einen codexfanatischen Padawan, die einander verdienten - und
brauchten - Yoda begann im Inneren zu kichern, als er die tiefe Ironie der
Wege der MACHT sah, die sein alter Schüler hier vor ihm erkannt hatte.
Vielleicht würde Obi-Wan Qui-Gon lehren, was er nicht vermocht hatte
in einundzwanzig Jahren hartem Training...
Vielleicht würde die Verantwortung eines Ratssitzes Qui-Gons aufmüpfigen Geist binden, wie sie Gordon gezähmt hatte in all den Jahren...
Yodas Lächeln wuchs in die Breite, als er sich respektvoll vor seinem neuen Ratskollegen verneigte. Ungläubig und noch immer tief von Gordons Tod
berührt und aufgewühlt sah Qui-Gon Jinn beinahe fassungslos, wie die anderen zehn Ratsmitglieder sich dem Urteil ihres Ältesten anschlossen. Indem
er sich für Obi-Wan einsetzte, hatte er nicht nur ein letztes Mal gegen Yodas ausdrücklichen Willen gehandelt, nicht nur den Codex ein weiteres Mal
gebrochen - er hatte sich auch den Titel eines Meisters verdient. Verwirrt
verneigte er sich vor seinem Lehrer und dessen Kollegen.
Dann kniete er nieder und sah in die strahlenden Augen seine nunmehrigen Schülers. Obi-Wan fiel ihm unter dem schweren Samtstoff um den Hals.
Sein Glück hüllte Qui-Gon wie eine weitere, kostbarere Robe ein. Er hob den
Jungen hoch und lachte.
,,Ich sagte doch, ich lasse dich niemals im Stich, Obi-Wan!”
Der Junge verstärkte seine Umarmung und flüsterte ergriffen zurück.
,,Und ich glaube es euch, mein Meister...”
Wie erfürchtig und vertrauensvoll er den Titel aussprach. Qui-Gon hielt
den Jungen weiter fest, fühlte sich ebenso geborgen, wie der neuste Padawan des Ordens. Er begriff den Sinn des gerade wachsenden Bandes in der
MACHT zwischen ihnen. Sie beide würden miteinander lernen, wie es der
Codex vorsah zwischen Meister und Schüler.
Über der großen Kuppel des Saales donnerte es. Erleichterte Seufzer er-
146
KAPITEL 3. JEDI-TRIALS
klangen im Rund, die Aufmerksamkeit der Jedi richtete sich von Qui-Gon
fort zu den großen Panoramafenstern. Die zentrale Wetterkontrolle Coruscants hatte endlich ein Erbarmen mit den leidgeprüften Bewohnern der zentralen Welt der Republik und ließ es regnen. Schwere Tropfen prasselten
gegen die Scheiben und wuschen Staub und Vogeldreck fort, ein angenehmer
Wind wehte durch die offenen Türen hinein. Qui-Gon bahnte sich einen Weg
durch die ihn umringenden Freunde zu seinem Lieblingsplatz, dem Balkon.
In der Türöffnung legte er Gordons Umhang - er durfte sich nun einen weiteren Mantel aus dem Stoff schneidern - vorsichtig zu Boden, Tarah setzte sich
darauf und versicherte ihm, dass niemand in seine Nähe kommen würde. QuiGon lachte, denn er hatte die Merryth durchschaut. Sie spekulierte auf ein
Nachmittagsschläfchen im warmen Samt, während die Jedi den ihr suspekten
Regen feierten.
Der junge Meister und sein Padawan traten auf ihren Balkon. Qui-Gon
breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Binnen einer Minute
war er trotz der neuen Robe bis auf die Haut nass, doch er genoss jeden
Augenblick seines neuen Lebens - und Obi-Wan ging es ebenso.
Kapitel 4
Jedi-Master
4.1
Meister und Schüler
Yoda stand auf sienen Gimmerstab gestützt im Durchgang zwischen Balkon
und Tempelinnerem, direkt neben der Merryth, die sich genüsslich auf dem
Samtumhang des verstorbenen Sevit ausstreckte und krallte. Der alte Meister
schüttelte den Kopf über den Übermut seiner beiden Zöglinge Qui-Gon und
Obi-Wan im Regen. Und Tarah wurde unvorsichtig.
Nur ein Irrer erkennt einen Irren!
Yoda runzelte die Stirn und sah sich um, um den Kommentar einem Jedi
zuzuordnen, doch die anderen diskutierten noch immer im Saal die Ereignisse
des aufregendsten Tages in diesem Jahr im Tempel. Dann sah er auf die
Merryth herab und hob die Ohren.
Du glaubst auch, mir etwas vorspielen zu können, was?
Tarah legte verschämt die Ohren an. Sie begriff, dass der alte Jedi nur
die Sätze verdrehte, weil er wollte, dass man ihm ganz genau zuhörte und
intensiv über seine Lehren nachdachte.
Genau wie die beiden Irren da draußen... als wüsste ich nicht, wie lange
sie schon Meister and Schüler sind...
Yoda kicherte, und Tarah sah ihn respektvoll an. Wie schwer mochte es
ihm gefallen sein, Qui-Gon all das zu verheimlichen, was die MACHT ihm
gezeigt hatte, um ihm die Meisterwürde schenken lassen zu können.
Nur einen Schüler wird er ausbilden. Ich hoffe, dieser wird eines Tages
erkennen, welche Ehre es war, Master Qui-Gons Padawan zu sein... Einen
anderen Jungen hatte ich gesehen, unklar, undeutlich, weit in der Zukunft.
Aber Qui-Gon war schon immer ungeduldig, immer er seinen Weg schneller
geht, als gut ist für ihn...
Der heftige Regenschauer hatte die Luft über dem Tempel wie über der
147
148
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Stadt gereinigt und wenigstens etwas abgekühlt. Qui-Gon trat aus der kleinen Nasszelle seines Zimmers und fasste das nasse Haar wieder am Hinterkopf
zusammen, schlüpfte in seine Kleidung. Obi-Wan hatte sich ebenfalls trockengelegt, stand am Fenster und starrte hinab. Unten, am Fuße des Hügels, den
die unteren Etagen des Tempels völlig umhüllt hatten, bauten Leute kleine
Stände und Fahrgeschäfte auf. Jedi‘s Festival...
,,Warum findet dieses Fest in jeden Sommer statt, Meister?”
Qui-Gon trat neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. ,,Die Botschaften der einzelnen Mitglieder der Republik richten es aus. Sie bedanken
sich auf diese Weise auf einem sehr persönlichen Wege für die Hilfe der JediRitter bei ihren Problemen.” Er fragte sich, ob auch Gestareesch einen Stand
haben würde dieses Jahr. ,,Manche Welten beteiligen sich nur einmal nach
einer akuten Krise, manche tun es über Jahrzehnte. Eigentlich hätten sie alle
das gar nicht nötig, denn mit ihren Steuern an die Republik finanzieren sie
schon unseren Tempel und unser Leben hier. Aber die Markonianer meinten
vor vielen Jahrhunderten, dass Geld ein unvollkommender Dank sei - sie wollten den damaligen Jedi die Freude wiedergeben, die diese ihnen geschenkt
hatten durch eine beigelegte Regierungskrise... Andere Welten schlossen sich
ihnen an. So ist das Fest einmal entstanden.”
Obi-Wan schaute seinen Meister mit bittenden Augen an. ,,Gehen wir
auch hin?”
Er spürte das Zögern des älteren Jedi deutlich, er sah den raschen Blick
seines Lehrers auf den Boden, fühlte eine plötzlich aufwallende Trauer, die
Qui-Gon aber schnell unterdrückte. Sein Meister mochte keine Festlichkeiten, warum auch immer. Doch dann lächelte er. ,,Natürlich nehmen wir daran teil.” Er ging in die Hocke und zupfte an Obi-Wans Leinentunika. ,,Du
brauchst doch neue Sachen, einen Mantel, Stiefel und so vieles andere, jetzt,
wo du ein Jedi-Padawan bist!”
,,Und das bekomme ich auf dem Festival?”
Qui-Gon nickte. ,,Den Stoff wenigstens. Wir werden gemeinsam schauen,
was es für Möglichkeiten gibt. Dann zeige ich dir, wie man näht. Jeder Jedi
ist für seine Tuniken selbst zuständig - nur den Mantel nähe ich dir. Das ist
mein Privileg!”
Obi-Wan strich über die Seidenborde an Qui-Gons Tunika. ,,Ich möchte
genauso eine wie ihr sie tragt, Meister.”
Der ältere Jedi hielt seine kleine Hand fest, sein Blick war sehr ernst.
,,Nein.” Als er die maßlose Enttäuschung im Blick seines Schülers bemerkte,
seufzte er innerlich. ,,Du musst deinen eigenen Stil finden.” Doch der Junge
verstand nicht, was er ihm damit sagen wollte. Qui-Gon setzte sich auf die
Kante des neuen, zweiten Bettes in ihrem Zimmer, zog Obi-Wan auf seine
Knie. ,,Du warst schon sehr oft im Rat. Hast du bemerkt, dass alle Jedi
4.1. MEISTER UND SCHÜLER
149
unterschiedliche Gewänder tragen?”
Der Kleine nickte. ,,Aber sie sind sich alle sehr ähnlich... irgendwie...”
Qui-Gon schmunzelte. ,,Da hast du Recht, denn wir bemühen uns, die
einfachste Kleidung unserer Heimatplaneten mit den Traditionsfarben der
Jedi - weiß, beige und braun - zu kombinieren. Nur die schwere Robe tragen
wir fast alle.”
,,Dann hat diese Borde eine bestimmte Bedeutung für euch?”
Sein Meister nickte, aber Obi-Wan fühlte, dass er nicht weiter darüber
reden wollte. Der Junge starrte verlegen auf seine Hände. ,,Ich weiß aber
nicht mehr, was meine Eltern sonst trugen.”
Seufenz erhob Qui-Gon sich, musterte die einfache Leinentunika, die ObiWan trug und die seiner eigenen wirklich sehr ähnlich sah. ,,Also schön,
kopiere vorerst meine Tuniken! Aber ohne die Borde, verstanden? Wir werden schon noch herausfinden, was die Menschen auf deinem Heimatplaneten
anhatten...”
Als die Abenddämmerung sich über die Hauptstadt senkte, begann Jedi‘s
Festival mit einem bunten Feuerwerk über den Dächern. Schon Monate vor
dem Fest begannen die Chemie-Lehrer des Tempels mit ihren Vorbereitungen, und jeder der jüngeren Schüler des Ordens - und auch noch so mancher
gestandene Jedi-Meister - versuchte, sich bei den Mixturen für besonders farbenprächtige Lichtkugeln hervorzutun. Auch dieses Jahr erglühte der Himmel
unter den violetten, roten, silbernen und goldenen Farbkugeln und -regen, die
über den weißen Türmen emporschossen und dann verglühten.
Obi-Wan saß auf Qui-Gons Schultern und beobachtetete mit weit aufgerissenen Augen das Schauspiel. Sein Meister freute sich über die kindliche
Faszination seines Schülers. Er entdeckte, dass er durch Obi-Wans Standpunkt noch einmal völlig neu über viele liebgewonnene Details seines Lebens
nachdachte. So wie er sich mit dem Jungen für das Farbenspiel am Himmel begeistern konnte, so neugierig schlenderte er später mit seinem Schüler
zwischen den Ständen herum, immer wieder überrascht über die Vielfalt der
Kleinigkeiten, die die anderen Völker der Republik den Jedi schenken wollten.
Schnell fanden sie ein Paar Stiefel - Obi-Wan würde sowieso alle halbe Jahre ein Paar neue brauchen, solange er noch wuchs. Auch ein Allzweckgürtel und die dazugehörigen kleinen Proviant- und Werkzeugtaschen
aus weichem Leder waren rasch erstanden. Nur mit dem Stoff für Robe, Hose
und Tuniken ließ der Junge sich Zeit. Prüfend schritt er von Stand zu Stand,
befühlte unendlich viele Ballen Stoff - zumindest kam es Qui-Gon so vor - und
gebärdete sich wie ein Profi in solchen Dingen. Schließlich überzeugte sein
Meister ihn von einem hellbraunen Stoff, der an dünnen Filz erinnerte, für
seine erste Robe. Obi-Wan selbst strich schließlich fasziniert über einen zwar
an Frottee erinnernden, weißen Ballen gewirkter Ware, die aber so leicht
150
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
war, dass er erschrocken die Hand zurückzog. Die junge Frau hinter dem
Stand lächelte ihm auffordernd zu und wickelte einige Meter ab. Noch immer
zögernd fasste der Junge wieder nach dem Tuch und legte es über seinen Unterarm. Qui-Gon lächelte. Er wusste vor seinem Padawan, dass dieser seine
Wahl bereits getroffen hatte. Er ließ sich den gesamten Ballen einpacken und
begann dann seinerseits mit einer intensiven Suche zwischen den Ständen.
,,Was braucht ihr, Meister?”
,,Ach, nichts Besonderes, ich meine nur, du solltest unbedingt etwas probieren!”
Er schleuste seinen Padawan zwischen den anderen Jedi durch zu einer
gläsernen Kugel. Dort ließ er sich aus dem Inneren zwei Waffeln, gefüllt mit
brauner Creme, reichen. Eine gab er an Obi-Wan weiter.
,,Nedanische Schockoladencreme.” Qui-Gon tauchte grinsend einen Finger in die Creme und genoss mit geschlossenen Augen den schweren Mouse
auf der Zunge. ,,Ich sterbe für nedanische Schockoladencreme...”
Sein Padawan zog irritiert beide Brauen in die Höhe und kostete misstrauisch mit dem kleinen Löffel die schaumige Masse. Entsetzt starrte er
seinen Meister an. ,,Das Zeug ist ja süß!!”
Qui-Gon runzelte nun seinerseits die Stirn. ,,Natürlich ist es süß! Was
hast du denn gedacht!?”
Obi-Wan schaute ihn hilflos an. Zögernd probierte er noch einen Löffel,
ließ den Schaum langsam auf der Zunge zergehen. Dann grinste er. ,,Das gibt
es bestimmt nie im Tempel zum Nachtisch! Viel zu ungesund... dürfen wir
das überhaupt essen??”
Qui-Gon schnaubte überrascht. ,,Warum sollten wir es denn nicht essen
dürfen?”
,,Ist der Codex nicht gegen zu viel Annehmlichkeiten im Leben eines
Jedi?”
Qui-Gon lehrte die Waffel und genoss dann sichtlich das zarte Gebäck.
,,Es kann nicht zu viel Annehmlichkeit bedeuten, einmal oder zweimal im
Jahr diese Creme zu essen...” Er sah, dass Obi-Wan nicht ganz überzeugt
war und ein weiteres Argument erwartete. Er seufzte innerlich. Was fand
der Junge nur an dem Einhalten der ganzen Regeln? Warum konnte er nicht
mal fünfe gerade sein lassen - nicht mal hier und jetzt? ,,Und - wenn es dich
beruhigt, junger Padawan - selbst Yoda hat schon diese Creme gegessen!”
Von den pädagogischen Zwecken erzählte er aber vorerst seinem Schüler
nichts. Gehorsam aß Obi-Wan nun seine Creme zuende, doch er genoss sie
nicht wirklich. Qui-Gon war sich nicht sicher, dass der Junge diese Lektion
gelernt hatte, zumindest nicht so, wie der junge Meister sie gemeint hatte.
Und schon wenige Meter weiter wurde seine Vermutung bestätigt.
Ein großes Karussel drehte sich in immer weiteren Bögen und Kreisen
4.1. MEISTER UND SCHÜLER
151
vor ihnen. Fasziniert schaute Obi-Wan einige Minuten dem Wechsel von Farben und Bewegungen zu, hörte die laute Musik, die noch lauteren Schreie
der Fahrgäste. Sein Meister wartete darauf, dass der Junge ihn bat, einmal
mitfahren zu dürfen, aber diese Frage kam nicht. Im Gegenteil, mit derselben Überraschung, mit der er die Schockoladencreme als etwas Angenehmes
entdeckt hatte, starrte er Meisterin Do-Rail-Lith und Mace Windu hinterher, die Arm in Arm mit ihren Schülern die Stufen hinaufliefen und für sich
und ihre beiden Zöglinge Plätze in einer der farbenfrohen Gondeln suchten.
Qui-Gon fühlte über ihr Trainigsband, dass sein Junge nicht glauben konnte,
dass Jedi-Ritter Karussel fuhren...
Nachdenklich legte er seine freie Hand auf die Schulter des Kleinen.
,,Komm!”
Obi-Wan wollte zurück in Richtung des Tempeleingangs, doch sein Meister zog ihn in Richtung der anderen Jedi. Mace und Do-Rail rückten zusammen, Qui-Gon klemmte ihren mit Errungenschaften vollgestopfen Leinenbeutel zwischen seine Beine und hob den entsetzten und noch mehr verwirrten
Obi-Wan auf seine Knie. Die Bügel schlosen sich über ihnen.
Der Junge klammerte sich an die Metallstange. ,,Was passiert jetzt?”
,,Ich weiß nicht genau...” Sein Padawan schaute ihn mit aufgerissenen
Augen an. Qui-Gon lächelte schelmisch. ,,Das hier ist eine Mischung aus
achtundneunzig Prozent Aufregung und zwei Prozent Angst vor dem Ungewissen - vielleicht sind es auch achtundneunzig Prozent Angst und zwei
Prozent Aufregung, das lässt sich nicht so genau trennen. Aber genau das
macht dieses Erlebnis so intensiv!!”
Sein Schüler starrte ihn noch immer entsetzt an. ,,Schau in die Augen
des kleinen Pi...” Er weis auf Mace Windus Schüler, einen Zabrak, er noch
viel jünger als Obi-Wan war und auf den Knien seines Meisters saß, sich
verzweifelt mit seinen kleinen Fingern an der Stange festklammerte. ,,...oder
in Mace Gesicht oder in das der Meisterin!” Sein Schüler sah in ihnen die
gleiche Aufregung, die er im Inneren seines Lehrers fühlte.
Wie verwirrend - warum setzten sich diese Jedi freiwillig einer Situation aus, in der sie Angst verspürten? Qui-Gon legte seine Arme um seinen
Schüler, als das Karussel anfuhr, gab ihm damit zusätzlichen Halt. Do-RailLith legte ihrerseits einen Arm um das dunkelhäutige Mädchen im Teenageralter neben sich, auf deren Haut sich die typisch bläulichen Spuren einer
Tholotfrau zeigten. Adi legte den Kopf an die Schulter ihrer Meisterin und
lachte, als ihre Gondel in die Schwerelosigkeit fiel. Offensichtlich genoss sie
das Spektakel. Qui-Gon flüsterte seinem Padawan die Antwort auf dessen
unausgesprochene Frage ins Ohr.
,,Wir tun es, weil es irrational ist, wie wir uns immer wieder davon überzeugen müssen, dass wir keineAngst zu haben brauchen - aber das wichtigste
152
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
ist, das wir es tun, weil es ein Riesenspaß ist!”
Obi-Wan sah eine Wand aus grellen Farben auf sich zuwirbeln, dann sauste die Gondel im freien Fall hindurch. Er schrie. Dann fing die komplizierte
Apperatur den Druck ab und sie drehten sich in eine ganz andere Richtung. Er wurde gegen seinen Lehrer gepresst, fühlte, wie Qui-Gon sich gegen
die Schwerkraft stemmte, es genoss, gleich darauf wieder zu fallen, dann im
großem Schwung emporgetragen zu werden, so, als würden sie fliegen. Wieder
rasten sie auf die Farben und die Musik zu. Obi-Wan starrte in das blendende
Licht und fühlte die Leichtigkeit einen Augenblick lang, als der freie Fall sie
wieder hatte.
Qui-Gon spürte die Veränderung vor seinem Padawan. Instinktiv löste er
die Hände des Jungen von der Metallstange - der Bügel würde sie von selbst
in den Sitzen halten - und breitete die Arme aus. Obi-Wan jauchzte, als sie
wieder vornüber kippten. Und dieses Mal war es nicht vor Angst, sondern
aus Freude über das kurze Gefühl des Fliegens.
Als die Runde vorüber war, sah der Junge ihn zuerst schuldbewusst an - er
schämte sich doch wohl nicht etwa, Spaß gehabt zu haben? Doch dann brach
es aus ihm heraus. ,,Es war einfach wunderbar... können wir das nochmal
machen?”
Sein Lehrer lachte. ,,So oft du willst, kleiner Padawan!”
Zehn Runden später bereute Qui-Gon dieses Versprechen... Auf dem nächsten
Festival würde er aber zumindest erst nach dem Karusselbesuch zur Schockoladencreme greifen - man lernte nie aus...
Schweigend stand Obi-Wan in seinen neuen Tuniken vor dem Spiegel und
starrte sich an. Alles war in jenem reinen Weiß des Frotteestoffs gehalten, der
dünne Gürtel und die dunklen Stiefel bildeten einen schönen Kontrast dazu ebenso wie das rotschimmernde lange Haar. Nachdenklich zog der Junge an
einer der fransigen Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen.
,,Stimmt etwas nicht?” Qui-Gon fühlte, dass den Jungen sein eigenes
Spiegelbild nicht gefiel.
Sein Schüler wagte einen unsicheren Blick in seine Richtung. Dann biss
er sich für ein paar Augenblicke auf die Lippen. ,,Darf ich euch eine Frage
stellen, Meister?”
Qui-Gon ging in die Hocke und kniff konsterniert die Augen zusammen.
,,Aber natürlich! Du darfst mich alles fragen! Wenn nicht mich, wen denn
dann?”
Obi-Wan warf noch einen Blick in den Spiegel, senkte dann den Kopf.
Noch immer war er zutiefst verunsichert über ihr neues, offizielles Verhältnis
als Meister und Schüler. Schweren Herzens musste Qui-Gon sich eingestehen,
dass ihre vorherige Freundschaft unter dem Trainingsbund litt. Der Junge
konnte einfach keinen gleichberechtigten Lerner mehr in ihm sehen. Seine
4.1. MEISTER UND SCHÜLER
153
Stimme war kaum zu hören.
,,Wann bekomme ich einen Padawanzopf...?”
Nur mit Mühe konnte Qui-Gon seine Überraschung verbergen. Er holte
tief Luft und strich durch das Haar des Jungen. Dann stand er auf und
wandte sich zum Fenster ihres Zimmers. Nachdenklich biss nun er sich auf
die Lippen. Wie sollte er das einem Fünfjährigen klarmachen? Nun versuchen
konnte er es zumindest.
,,Ich halte nichts davon, Obi-Wan! Welchen Sinn soll der Zopf denn deiner
Meinung heute noch haben?”
Die Stimme des Jungen zitterte, als er vorsichtig wiederholte, was er aus
dem Codex und dessen Kommentaren auswendig gelernt hatte - zusammen
mit seinem jetzigen Meister in den langen Tagen in der Bibliothek des Ordens.
,,Der Zopf ist das Zeichen meines Respekts vor euch - nur ihr dürft ihn
flechten und lösen, nur ihr ihn eines Tages, wenn ich ein Jedi-Ritter sein
werde, abtrennen...” Seine Stimme wurde immer leiser. Verunsichert sah er
auf Qui-Gons Rücken. Sein Meister schien ebenfalls verunsichert zu sein.
,,Denkst du, dass dein Respekt vor mir tatsächlich etwas mit diesem Zopf
zu tun hat?” Obi-Wan biss sich auf die Lippen und schwieg. Qui-Gon verschränkt die Arme vor der Brust. ,,Der Zopf ist doch nur ein Symbol. Er soll
dich an den Resepkt erinnern - denkst du wirklich, du brauchst ihn dazu?
Respekt, der nur an Symbolen und Regeln hängt, ist nichts wert, Obi-Wan.
Du solltest Respekt zeigen, weil du mich wirklich respektierst, nicht weil der
Codex es dir gebietet!”
Er drehte sich um und sah den Jungen fragend an. Sein Padawan nickte nachdenklich, senkte den Blick. Qui-Gon wartete geduldig auf die Entscheidung seines Schülers. Doch als dieser den Kopf wieder hob, liefen zwei
Tränen über seine blassenWangen. Der junge Meister fühlte eine Welle der
Enttäuschung und Trauer, die durch die MACHT von Obi-Wan zu ihm getragen wurde. Er spürte, dass der Junge ihn verstanden hatte - aber dass er
den Padawanzopf trotzdem wollte, wenn auch aus ganz anderen Gründen,
als denen, die er vorgegeben hatte. Er hatte sich all die Monate hinter dem
Codex versteckt, um sich vor den Grausamkeiten zu schützen, die ihn als
Außenseiter unerbittlich getroffen hatten. Und er würde sich weiter dahinter
verstecken, wenn Qui-Gon ihm nicht helfen konnte, sich von dem Trauma zu
lösen.
,,Ich möchte nicht mehr anders sein als die anderen Schüler in meiner
Klasse, Master... Ich möchte einer von ihnen sein, ein Jedi-Padawan wie die
anderen.”
Obi-Wan fühlte, dass seine Tränen auch Qui-Gon traurig machten. Schnell
versuchte er sie wegzuwischen. Doch sein Meister kam auf ihn zu und nahm
ihn in den Arm. ,,Schon okay, Obi-Wan, es ist schon okay...” Er verwuselte
154
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
ihm die langen Haare. ,,Du sollst deinen Zopf haben! Wo soll ich ihn flechten?”
Der Junge griff nach den Strähnen über seinem rechtenOhr. Vorsichtig
strich Qui-Gon die anderen Haare zurück und flocht einen dünnen Strang,
den er am unteren Ende mit einem roten Faden umwickelte. Dann schnitt er
den Rest der Strähnen entsprechend des Codex rappelkurz. Obi-Wans Tränen
waren versiegt. Er umarmte Qui-Gon. ,,Danke, Master...”
Erleichtert nahm der Junge seine Schulpads von ihrem gemeinsamen Schreibtisch und wollte zur Tür hinaus.
,,Hey!” In der Tür hielt Qui-Gons Stimme ihn auf. ,,Hast du nicht was
vegessen, Padawan?!”
Er half dem Kleinen in dessen nagelneuen hellbraunen Mantel. Obi-Wan
legte die Hände übereinander und verbeugte sich tief und respektvoll vor
seinem Meister. Der zog ihm die Kapuze lächelnd ins Gesicht. ,,Ab mit dir!”
Obi-Wan lief den Gang entlang zum ersten Mathematikunterricht nach
denFerien und freute sich bereits im Vorfeld über Meisterin Qui‘Ras überraschtes Gesicht.
Qui-Gon sah ihm seufzend nach. Aus dem kleinen Codexfanatiker einen
unabhängig denkenden Jedi zu machen, würde eine weitaus schwierigere Aufgabe werden, als er sich hatte träumen lassen...
4.2
Stock und Stein
Obi-Wan betrat leise und ehrfürchtig die Kuppelhalle. Kaum hatte er die
Schwelle überschritten, flammten die Strahler in den Ecken des Saals auf Sensoren hatten seine Anwesenheit aus der Mischung von Atem, Körperwärme
und Bewegung ermittelt. Das grellweiße Licht blendete den Jungen für einen
kurzen Augenblick, doch dann sah er sich neugierig um.
Er war das erste Mal hier.
Nur ein Padawan mit seinem Lehrer durfte in den hohen Trainigssaal, der
architektonisch genau über jener großen Halle angelegt war, in der Meister
L‘Tath nach seinem überraschenden Tod verbrannt worden war. Tagsüber
fiel warmes, durch rauchige oder farbige Gläser gefiltertes Sonnenlicht in den
Raum, doch nun, am frühen Abend, musste man auf künstliche Beleuchtung
zurückgreifen. Rundherum an den Wänden gab es ab der halben Saalhöhe
bis zur Decke hinaufreichende Tribünen, auf denen bei so manchen Trainingskämpfen andere Jedi-Ritter oder -Schüler Platz nehmen konnten, um
den besonderen Stil oder die ausgeprägte Konzentration eines der ihren auf
die MACHT beobachten zu können. An einer der Wände waren große Spiegel
angebracht.
4.2. STOCK UND STEIN
155
Qui-Gon hatte ihn vorausgeschickt, ihm seinen Zugangscode genannt, und
Obi-Wan hatte sich augenblicklich auf den Weg gemacht. Er wusste nicht,
dass sein Meister gemeinsam mit Yoda hinter der durchsichtigen Spiegelwand
stand und seine Reaktion auf den Raum beobachtete.
Qui-Gons Mund bildete einen harten Strich, schließlich schüttelte er den
Kopf. ,,Ist das wirklich nötig, mein Meister?”
Yodas Ohren richteten sich auf. ,,Ja. Das erste Mal hier zu sein, für jeden
Padawan dies ein großer Augenblick ist. Nicht nur Obi-Wan lernt in diesem
Moment über sich selbst, auch Du noch viel über deinen Schüler zu lernen
hast - und über dich selbst!”
,,Ich hätte es trotzdem schöner gefunden, wenn es sein privates Erlebnis
geblieben wäre... Ich komme mir vor wie ein Spanner!”
Yoda kicherte. ,,Du dich daran gewöhnen wirst - glaube mir!”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. Nein, daran würde er sich nie gewöhnen.
Er wandte sich ab, um Obi-Wan wenigstens so ein bisschen Privatsphäre zu
lassen, ging unruhig auf und ab.
Der alte Meister senkte die spitzen, elfenhaften Ohren. ,,Es noch irgendetwas im Codex geben wird, das du nicht ändern willst, Qui-Gon?”
Zuerst schien er gekränkt zu sein, doch dann huschte ein Lächeln über die
Züge des Menschen, als er Yodas tiefsinnigen Spott erkannte. ,,Na ja, vielleicht könnten wir mal in der nächsten Ratssitzung über die Farben unserer
Kleidung diskutieren... Beige ist ja so öde mit der Zeit!” Er blickte hinüber
zur Spiegelwand und sah, wie Obi-Wan das grelle Licht dämmte und dann
langsam zur Mitte des Saales wanderte.
Sein alter Lehrer schmunzelte. ,,Du überlegst, wer damals dir zugesehen
hat?” Die Überraschung in den Zügen seines Schülers bestätigte die Vermutung. ,,Gordon und ich, sonst niemand. Zielstrebig du zur Mitte gegangen
bist. Gewusst du hast sofort, wozu der Saal dient, gewusst du hast, dass du
hierher gehörst.” Yoda berührte ihn vorsichtig. ,,Meister Gordon weiser gewesen ist als ich - ich nicht sofort erkannte mit Rat, dass im Kämpfer auch
ein Diplomat steckte. Große Vorbehalte ich gegen dich hatte zu Beginn. Hier
ich gelernt habe, hinter deine Kämpfernatur zu sehen... Mein kleiner, halsstarriger Padawan nicht zur Wand ging, um ein Schwert zu holen, er sich in
die Mitte des Raumes setzte und über seine Form meditierte. Sehr überrascht
ich war!”
Qui-Gon versteckte innerlich bewegt die Hände in den Ärmeln seiner neuen, samtschwarzen Robe. Der schwere Stoff fiel elegant über seinr großen Gestalt herab. Er hatte damals einfach seinen Instinkten nachgegeben, hatte
die MACHT im Raum spüren wollen, hatte erleben wollen, was ein ausgebildeter Jedi in diesem Saal fühlte. Da er nicht wusste, wie man kämpfte, hatte
er einfach im Schneidersitz Platz genommen und der Ruhe um sich herum
156
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
zugehört. Nicht einen Augenblick war er auf den Gedanken gekommen, dass
jemand ihn beobachten könnte. Er schwor sich, dass auch Obi-Wan bis zu
seiner Prüfung nie erfahren sollte, dass er jetzt nicht allein in der alten Halle
war...
Der Junge stand nun direkt unter dem runden Abschlusstein der hohen
Kuppel. Wieder drehte er sich langsam um die eigene Achse, musterte den alten, hölzernen Wandschrank, in dem die Trainingswaffen aufgehoben wurden,
bewunderte die uralten Schriftzeichen, die mit winzigen Mosaiksteinchen in
die zwei ansonsten frei verbliebenden Wände unterhalb der Tribünen eingelassen waren:
Peace over anger.
Honor over hate.
Strength over fear.
Er verstand die Worte nicht, da er diese alte Sprache nicht beherrschte,
aber er spürte die Aura des Ortes. Verstohlen sah er kurz zurück zur Tür,
die zu den Dusch- und Umkleideräumen führte, horchte, ob sein Meister
eventuell schon gekommen war. Doch als er nichts wahrnahm, griff er unter
die innere seiner neuen Tuniken.
Qui-Gon erkannte selbst über die Entfernung und die getrübte, abgedunkelte Sicht durch den Spiegel und das gedämpfte Licht in der Halle, was sein
Padawan nun in seinen kleinen Händen hielt. Das kunstvoll gedrehte und
mit Schildplatt besetzte Rohr hatte die Meisterin Do-Rail-Lith seinem jungen Schüler nach der offiziellen Zeremonie im Rat überreicht. In Respekt vor
ihrem neuen Kollegen und dessen Jungen hatte sie den Kopf geneigt und
Obi-Wan das Vermächtnis ihres Lehrers überlassen. Der kleine Mensch hatte
den Schwertgriff an sich gedrückt und ihr mit heiserer Stimme gedankt. Nun
hielt er das schlanke Rohr mit beiden Händen von sich fort und berührte den
kleinen roten Knopf.
Zischend durchschnitt die hellblaue Klinge die Luft.
Vorsichtig bewegte Obi-Wan das Lichtschwert durch die Luft, hob und
senkte die Klinge, wie er es bei den erfahrenen Jedi-Rittern ab und an gesehen haben mochte - oder wie er es sich in seiner kindlichen Phantasie
vorstellte. Am Ende wagte er es, mit einer Hand in elegantem Schwung eine Kreisbewegung über seinem Kopf auszuführen. Der Griff entglitt seinen
schweißnassen Fingern, flog quer durch den Saal. Die Klinge deaktivierte sich
automatisch, das Rohr polterte über den Boden. Voller Panik sah Obi-Wan
sich um, lief dann hinüber und hob die Waffe des verstorbenen Jedi-Meisters
beschämt auf, wischte sie vorsichtig ab und verstaute sie wieder unter seinen
Tuniken.
Fasziniert hatte Qui-Gon dem Ganzen zugeschaut. Vielleicht hatte Yoda
Recht, vielleicht weckte der Saal verborgene Charakterzüge in den jungen
4.2. STOCK UND STEIN
157
Schülern, die ihn zum ersten Mal betraten. Er hätte jedenfalls vor diesem
Abend nicht damit gerechnet, dass Obi-Wan derart geschickt und instinktiv
richtig mit der Waffe der Jedi umzugehen verstand. Nur wenige Mitglieder
des Ordens waren derart zweiseitig begabt, dass sie sowohl gute Theoretiker
waren - Qui-Gon erinnerte sich mit Grausen an die komplizierten mathematischen Therme auf Obi-Wans Pad, dass er heute Mittag auf seinem Schreibtisch gefunden hatte - als auch begnadete Kämpfer. Der junge Meister hatte
viele Jahre mit der Theorie und klassischen Bildung eines Jedi-Ritters gerungen, dafür war er einer der besten Fechter, den der Orden je hervorgebracht
hatte - wenn er Meister Gordons Worten trauen durfte. Sein Schüler jedoch
schien gleichmäßig begabt zu sein, schien entgegen Qui-Gons Erwartungennicht nur ein Meister im Umgang mit dem Codex, sondern auch ein Meister
im Umgang mit dem Lichtschwert werden zu können. Stille Freude mischte
sich unter die Überraschung, gefolgt von Begeisterung. Er würde mit dem
Anfangsunterricht nicht lange warten.
Der Meister wandte sich um und suchte Yodas Blick, wollte sehen, was
der alte Jedi zu diesem begabten Schüler meinte. Doch sein Lehrer war schon
lange fort, hatte Qui-Gon und Obi-Wan bewusst allein gelassen mit ihren
Entdeckungen, hatte ihnen die schmerzlich vermisste Privatsphäre zurückgegeben. Qui-Gon machte sich kopfschüttelnd auf den Weg in die Trainingshalle.
Meister und Schüler warteten hinter der Flurecke, bis der letzte, erwachsene Padawan den Umkleideraum verlassen hatte. Meister Sas verschloss den
Eingang zur großen Trainingshalle und verschwand ebenfalls in Richtung seiner Unterkunft.
Qui-Gon schlich hinüber und gab seinerseits den sechsstelligen Code ein,
drückte die Tür auf, Obi-Wan huschte unter seinem ausgestreckten Arm hindurch. Hinter ihnen fiel die Tür leise in‘s Schloss. Sie hängten ihre Roben
über zwei Haken, schüpften aus Bauchschärpe, dem Überwurf und der äußeren Tunika, Qui-Gon band sein langes Haar im Nacken zusammen. Wenig
später standen sie in der großen Halle.
Jeden Morgen verbrachte der Junge weiterhin in den Klassenräumen
des Tempels, am frühen Nachmittag besuchte er hier mit anderen jüngeren Schülern den Anfängerfechtkurs bei Meisterin Chila-San. Sie übte mit
ihnen einfache Grundzüge mit Hilfe von langen Stangen, sie mussten Gleichgewichtsübungen absolvieren, mit der Zeit immer längere Stockkämpfe überstehen. Doch nach dem Abendessen und dem unter Meister Sas‘ Aufsicht
stattfindenden Meisterkurs kehrte er noch einmal mit Qui-Gon hierher zurück
- wenn sein Lehrer nicht im Rat festsaß. Mit auf niedrigste Intensität geschalteten Klingen führte der Meister seinen jungen Schüler in die Handhabung
seines Lichtschwertes ein.
158
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Obi-Wan war nicht so recht wohl bei der Sache. Einerseits freute er sich
über das Vertrauen seines Lehrers in seine Fähigkeiten. Doch andererseits
belastete ihn das Wissen, dass keiner seiner Schulkameraden bislang ein echtes Schwert in den Händen gehalten hatte. Erst in zwei oder drei Jahren
würden sie in einen Kurs unter Meister Yoda wechseln, der ihnen das beibrachte, was Obi-Wan nun schon von seinem Meister lernte. Die Sorgfalt,
die Qui-Gon noch dazu aufwandte, um ihre Anwesenheit im Saal nach dem
offiziellen Trainingsschluss zu vertuschen, zeigte dem Jungen, dass sie ganz
offensichtlich den Codex brachen.
Betreten blickte er auf das Lichtschwert L‘Taths in seinen Händen.
,,Stimmt etwas nicht, Padawan?”
Schuldbewusst, ahnend, dass Qui-Gon seine Bedenken über ihr derweil
recht festes Trainingsband in der MACHT gespürt hatte, schaute Obi-Wan
ihn an. ,,Meister, warum sind wir hier?”
Der ältere Jedi seufzte. Einen Augenblick war er versucht, die Frage seines
Zöglings bewusst falsch zu verstehen und sich mit der kargen Bemerkung
‘weil wir trainieren wollen‘ herauszureden. Doch er wusste, dass er damit
dem Problem nur kurzfristig ausweichen konnte.
,,Du bist ein sehr begabter Kämpfer, Obi-Wan. Es wäre eine Schande,
noch länger mit dem Training zu zögern!”
,,Warum machen wir das dann heimlich? Warum versteckt ihr meinen
Lerneifer vor den anderen Jedi? Warum selbst vor Meister Sas?”
,,Der gute Sas würde es verstehen - er war selbst so ein Wunderkind -,
aber bei den anderen, allen voran bei Yoda, bin ich nicht so sicher!”
,,Ich stimme euch zu, Meister Yoda würde es nicht gefallen, wenn er
wüsste, was wir hier treiben.”
Qui-Gon schmunzelte. ,,Nun, er muss es nicht erfahren!”
Obi-Wan kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor der
Brust. ,,Mir gefällt es nicht!”
Sein Meister lächelte sanft, wohl wissend, dass er am Ende doch gewinnen
würde - sie würden weiter trainieren, schon allein, weil Obi-Wan viel zu fasziniert vom Umgang mit der eleganten Waffe der Jedi-Ritter war und nur sein
Glaube an den Codex ihm Gewissensbisse bereitete. Ohne auf die patzige
letzte Bemerkung seines Padawan einzugehen, zündete er seine grüne Klinge, bewegte sie in den ihm so vertrauten und seinem Schüler noch so neuen
rituellen Übungen um sich herum, stellte Körper und Geist auf die bevorstehende Trainigseinheit ein. Innerlich weiterhin lächelnd sah er im Spiegel,
wie Obi-Wan nach ein paar Sekunden seine Bedenken über Bord warf und
ebenfalls sein Schwert aktivierte, die Bewegungen seines Meisters neben sich
nachahmte und schließlich perfekt wiederholte. Je größer mit den Wochen das
Repertoire des Jungen an Zügen wurde, desto länger wurde der Schattentanz
4.2. STOCK UND STEIN
159
zu Beginn ihres heimlichen Trainings. Qui-Gon fühlte, wie die MACHT ihr
gemeinsamer Partner wurde. Obi-Wan lernte in der allmorgentlichen Mediation immer tiefer die Konzentration auf das magische Feld kennen, das alles
Lebendige und Tote des Universums verband. Manchmal nun fand er den
Zugang zur MACHT auch während dieser gemeinsamen Stunde am Abend dann pulsierte die MACHT zwischen ihnen, hüllte sie in einen schützenden
Kokon, verband sie zu einem Team.
Der Junge spürte es auch. Und deshalb kam er immer wieder mit hierher, um anzuwenden, was er bei Meisterin Chila-San gelernt hatte. Außerdem fühlte er, wie glücklich Qui-Gon in dieser Stunde, die nur ihnen beiden
gehörte, war. Wie viel es seinem Meister bedeutete, nicht nur seine Ausbildung zu überwachen und zu koordinieren, sondern auch ein wichtiger Bestandteil derselben zu sein. Wie oft verpasste er etwas, weil er im Rat festsaß,
wie oft musste Obi-Wan auf irgendeinen Ausflug in ein Museum auf Coruscant oder zu Ähnlichem allein gehen, weil sein Lehrer eine wichtige Ratsversammlung nicht vorzeitig verlassen konnte. Keiner von beiden beklagte sich
laut darüber, doch sie litten beide darunter. Um so kostbaren wurde ihnen
im Laufe der Monate diese gestohlene Stunde am Abend, in der sie sich nur
aufeinander und die MACHT konzentrieren mussten.
Qui-Gon erwachte, als die ersten zaghaften Strahlen der Sonne in sein
Zimmer fielen. Leise schlug er die Decke zurück und sah zum Bett seines
Schülers hinüber. Obi-Wan lag, noch immer wie früher das dicke Kissen
mit beiden Armen umschlingend, zusammengerollt und mit dem Gesicht zur
Wand tief schlafend da. Sein Zopf lugte unter dem Kopf hervor, er war ein
ganzes Stück gewachsen, musste dringend neu geflochten werden. Warum nur
konnte er den Jungen nicht dazu bwegen, dies selbst zu tun? Wem würde es
auffallen? Aber nein, der Kleine bestand darauf, das nur Qui-Gon den dünnen
Zopf lösen und flechten durfte...
Der Meister schlüpfte in seinen Morgenmantel und ging zum Fenster.
Auf dem Schreibtisch davor bedeckte ein großes Tuch die neuste Bastelarbeit seines Padawan. Bislang hatte Qui-Gon seine Neugier bezähmt und die
Privatsphäre seines Schülers geachtet. Doch heute musste er wissen, ob er
mit seiner Vermutung in dieser Beziehung richtig lag. Vorsichtig hob eine
Ecke des Tuchs an und schaute darunter, lächelte.
Er hatte sich nicht getäuscht.
Obi-Wan hatte angefangen, sein eigenes Lichtschwert zu bauen... QuiGon strich vorsichtig über den langen, schlanken Griff dieser ersten Waffe,
die sein Padawan konstruierte. Er hatte sich fast vollständig am Griffrohr
seines Meisters orientiert, dieselbe schwarz-silberne Optik gewählt. Qui-Gon
wusste, dass sein Schüler damit einmal mehr dem Codex folgte und seinen
Respekt vor seinem Lehrer bewies - warum nur tat er sich selbst so schwer
160
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
damit, diese feinsinnigen Beweise der Loyalität zu akzeptieren? Denn wenn
er ehrlich war, hätte er sich über ein kreatives Design mehr gefreut.
Behutsam ließ der junge Meister das Tuch zurückgleiten und ging zurück
zu seinem Bett, griff unter sein eigenes Kopfkissen. Noch immer jedes Geräusch
vermeidend, legte er sein Geburtstagsgeschenk unter dem Tuch neben den
fast fertigen Schwertgriff seines Jungen. Dann schlüpfte er wieder unter die
noch warme Decke, bereit zu warten, bis sein Padawan gedachte aufzuwachen.
Obi-Wan schlüpfte in die neue Robe - seine erste war schon seit einigen
Monaten viel zu kurz geworden -, kniete neben Qui-Gon nieder und zog
die weite Kapuze über seinen kurzgeschorenen Schopf. Langsam legte er die
Hände auf die Knie, schloss die Augen.
Dies war eine besondere Meditation.
Heute würde er sich nicht auf die MACHT konzentrieren, sondern über
sich selbst nachdenken und auf das vergangene Jahr zurückblicken - auf all
die kleinen Missgeschicke, freudigen Ereignisse, Erfolge und Katastrophen,
die er an Qui-Gons Seite im Tempel erlebt hatte.
Sein Meister kniete neben ihm- ohne ein Wort hatte er seine allmorgentliche Meditation begonnen, nachdem er Obi-Wan die neue Robe über die
schmalen Schultern gelegt hatte. Er vertraute darauf, dass sein Padawan
nicht vergaß, worauf es heute ankam. In rascher Folge sah der junge Jedi
nun Bilder vor seinem inneren Auge, fühlte Freude und Scham noch einmal.
Dann spürte er überrascht, dass die Bilder sich wandelten. Es war, als beobachte er sich selbst aus der Distanz. Angst griff nach seinem Herzen, doch
er rang sie nieder, ließ sich zögernd auf dieses Erlebnis ein. Langsam verstand er - er nahm in diesen Augenblicken die Perspektive seines Lehrers ein.
Wo er nur Versagen gespürt hatte, hatte Qui-Gon auch Erkenntnis, Reife,
Wachstum des Jungen gesehen. Wo Obi-Wan sich schuldig fühlte, trug sein
Lehrer so manches Mal ein gewisses Maß an Schuld mit. Wo der junge Jedi
nur frustriert über seine wiederholten Fehler gewesen war, hatte der ältere
die kleinsten Fortschritte beobachtet und sich an diesen gefreut. Gemeinsam
hatten sie gelernt, gemeinsam einander gelehrt
Obi-Wan holte tief Luft und sah zur Seite.
Qui-Gon saß noch immer in perfekter Haltung neben ihm, das warme
Licht der Morgendämmerung ließ den Samt seiner Robe schimmern. Einen
Augenblick zögerte der Junge noch, doch dann schob er seine Kapuze zurück
und erhob sich. Er trat vor seinen Lehrer, der nun auch aufsah und ihn
anlächelte. Obi-Wan spürte den Stolz seines Meisters und dankte ihm stumm
über ihr durch die körperliche Nähe mächtiges Band für dieses Geschenk,
seine Gedanken geteilt haben zu dürfen. Qui-Gon senkte vor ihm den Kopf,
erhob sich, hängte seine schwere Robe in den kleinen Schrank. Dann ging er
4.3. MACHT-ANWENDUNGEN
161
in die Hocke, um unter der zusammengefalteten, dunkelbraunen Robe, die
Yoda ihm geschnekt hatte, etwas zu suchen.
Obi-Wan ging zum Schreibtisch und warf einen raschen Blick unter das
große Tuch auf sein Lichtschwert - er wollte nur sichergehen, dass noch alles an seinem Platz lag. Doch sofort bemerkte er den seltenen Stein neben
dem noch offenen Griff. Vorsichtig nahm er ihn in seine rechte Hand , sah
fasziniert und ergriffen auf den mittelgroßen, selbst ungeschliffen bereits funkelnden Kristall. Freudige Erregung durchlief ihn, vorsichtig legte er den
Kristall schon einmal so - ungeschliffen und unpoliert - in den Griff auf dem
Schreibtisch. Dann wandte er sich um, seine Stimme war brüchig.
,,Danke, Meister!”
Qui-Gon beugte sich herab und strich durch das stoppelige Haar seines
Padawan. ,,Du hast ihn Dir verdient! Und das hier auch!” Er zog hinter
dem Rücken ein kleines Päckchen hervor. ,,Meinen Glückwunsch zum achten
Geburtstag!”
Obi-Wan öffnete das zweite Geschenk und lächelte begeistert. In seinen
Händen hielt er nicht nur ein neues Buch von einem der bedeutensten Mathematiker der Republik - Qui-Gon hatte Qui‘Ra um Rat gefragt, bevor in
den Buchladen gegangen war -, sondern auch zwei Eintrittskarten für ein Baseballspiel im nächsten Monat. Was immer auch der Junge an diesem Spiel
mit einem viel zu kleinen Ball fand, sein Meister hatte wohl bemerkt, dass
Obi-Wan jeden Bericht über die laufende galaktische Meisterschaft begierig
verschlang. Während Qui-Gon lieber nach Nachrichten aus den Randbereichen der Republik schaute, sah sein Padawan zuerst den Sportteil diverser
Zeitungen durch.
Obi-Wan legte die Geschenke auf den Tisch und umarmte seinen Meister
fest. Dann löste Qui-Gon den kleinen Zopf und flocht ihn neu, fügte knapp
unter dem Haaransatz ein neues, farbiges Band hinzu. Es war ein lichtblauer
Faden, die Farbe, in der demnächst Obi-Wans Lichtschwert erstrahlen würde.
4.3
Macht-Anwendungen
Obi-Wan hörte das Summen seiner eigenen Klinge und versuchte, auch QuiGons Klinge zu hören. Doch das Geräusch seines Schwertes machte dies
unmöglich. Er zuckte zusammen, als die Klingenspitze seines Meisters - so
niedrig wie möglich eingestellt - ihn an der Nasenspitzen kitzelte. Er sprang
zurück und schlug mit einer geschmeidigen Drehwegung zu. Doch er verfehlte
die grünfunkelnde Schneide um Meter.
,,Fühlen, Obi-Wan, nicht denken! Vertraue deinen Instinkten!”
162
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Er biss die Zähne zusammen, tastete nach der breiten Augenbinde. ,,Das
ist nicht fair, Meister! Ich sehe überhaupt nichts! Wie soll ich da kämpfen?”
Er hörte Qui-Gon leise lachen. ,,Du musst die MACHT fühlen, junger
Padawan! Konzentrier dich auf das hier und jetzt.” Sein Stimme wurde sanft
und ernst. ,,Vertrau der MACHT, du kannst es, ich weiß es. Beweis es mir!”
Obi-Wan nahm die lange trainierte Grundstellung ein, breitbeinig, leicht
im Knie, die Klinge halb senkrecht vor sich. Wieder spürte er das energetische
Kitzeln, nur dieses Mal am Kinn. Heute Abend noch würde nun auch diese
Stelle taub sein... und wieder gelang es ihm weder, seinen Lehrer abzuhalten, noch nachträglich mit einem Hieb zu erwischen. Wütend und frustriert
riss Obi-Wan seine Augenbinde herab und warf sie von sich. Er deaktvierte das Lichtschwert und kämpfte einen Augenblick nur mit seinen starken
Emotionen.
,,Das geht nicht, Meister!”
Qui-Gon sagte nichts, deaktivierte seinerseits seine grüne Klinge. Langsam schritt er an seinem störrischen Schüler vorbei und hob das Leinenband
auf, nahm sich selbst damit die Sicht. ,,Jetzt greif mich an!”
Obi-Wan zögerte. Sein Meister wandte ihm den Rücken zu, hatte sein
Schwert nicht mal in den Händen, geschweige denn aktiviert, es hing an seinem Gürtel, seine Hände ruhten neben seinen Oberschenkeln. Doch dann
zündete der junge Jedi doch seine Klinge. Leise umrundete er seinen anscheinend völlig entspannten Lehrer, holte dann weit aus und zielte auf den Hals.
Nur Bruchteile von Sekunden später rief Qui-Gon allein mit der MACHT
sein Schwert in seine Hände, blockte den Hieb ab, vollführte eine Drehung
aus dem Unterarm, die Obi-Wan dessen Schwert aus den Händen riss. Der
schlanke Metallgriff flog quer durch den Saal und polterte dann auf den Boden... wieder einmal...
Qui-Gon löste die Binde und musste sich ein Lachen verkneifen, als er ObiWans fassungsloses Gesicht sah. Sein Schüler starrte noch immer auf seine
eigenen, nun leeren Hände. Dann sah er hinüber zu seinem ersten selbstgebauten Schwertgriff, schüttelte den Kopf und seufzte. ,,Das glaube ich einfach
nicht...”
Sein Meister wurde ernst. Er erinnerte sich nur zu gut an die Lektion,
die er hier in diesem Saal vor mehr als zwanzig Jahren durch Meister Yoda
erteilt bekommen hatte. Er holte Obi-Wans Schwert und gab es dem Padawan
zurück. ,,Und genau deshalb versagst du!”
Resigniert starrte Obi-Wan auf den Boden vor sich. Qui-Gon seufzte leise.
,,Komm, gehen wir duschen und dann schlafen - wir haben genug trainiert
für heute. Es gibt sicherlich genug, worüber du morgen früh in der Meditation nachdenken kannst!” Er wandte sich ab und schritt in Richtung der
Umkleideräume und Duschen. Doch dann in der Tür hörte er die Stimme
4.3. MACHT-ANWENDUNGEN
163
seines Padawan.
,,Nur noch einen Versuch, bitte! Versucht doch nur noch einmal, mich zu
berühren, Meister!”
Obi-Wan stand, wieder mit verbundenen Augen, in der Mitte des Kuppelsaals, die hellblaue Klinge vor sich. Qui-Gon lächelte. Mochte er auch noch
so schnell zu entmutigen und aus dem Konzept zu bringen sein, er gab doch
nie wirklich auf, dieser Junge. Der Meister aktivierte seinerseits sein Schwert
und umrundete seinen Padawan mehrere Male, spürte, wie die Konzentration des Schülers fester wurde, wie Obi-Wan tatsächlich ein wenig in die
MACHT eindrang. Aus dem Handgelenk vollführte er eine Drehung, täuschte einen Schlag gegen den Kopf des Jungen vor - und Obi-Wan reagierte
richtig, riss die Klinge hoch - und im nächsten Moment nach unten, denn
Qui-Gon wechselte die Schlagrichtung und zielte auf seine Beine. Die beiden
Klingen prallten gegeneinander, es knisterte laut, mit aller Kraft stemmte
sich Obi-Wan gegen den Druck seines Lehrers.
Qui-Gons Lächeln vertiefte sich, und er löste mit der freien Hand die
Binde über Obi-Wans Augen, die ihn, als sie nun die ineinander verhakten
Klingen sahen, strahlend anblickten. Er stupste seinen Padwan an der tauben
Nasenspitze. ,,Siehst du, ich wusste, dass du es kannst! Wir werden das in
Zukunft intensiv üben, bis es dir in Fleisch und Blut übergegangen ist, auch
die MACHT im Kampf zu nutzen.”
Sie deaktivierten die Klingen und verneigten sich zum Abschluss des Trainings voreinander in neuem Respekt.
Unter der Dusche genoss Qui-Gon das warme Wasser, dass die verspannten Muskeln schon ein wenig lockerte. Welch ein Luxus im Gegensatz zum
grundsätzlich eiskalten Wasser aus der kleinen Dusche in seinem Quartier Obi-Wan würde es Verweichlichung nennen, dass er die Wärme so genoss,
dessen war Qui-Gon sich ziemlich sicher... Den Rest an Muskelkater würde
eine Übung aus Meister Yodas Repertoire an Entspannungstechniken vertreiben.
Nach noch ein paar Sekunden öffnete er wieder die Augen und drehte den
Hahn ab.
Heute Abend aber schien sein Schüler auch einmal das warme Wasser zu
genießen, auch er stand noch unter der Brause und ließ sich das Nass über
Schultern und Gesicht perlen. Qui-Gon nahm ihre beiden Handtücher vom
Haken und wickelte sich in das in Übergröße. Als er seinem prustenden Padawan das andere zuwarf und dieser sich umdrehte, um das Wasser abzustellen,
wurde der Blick des Meisters ernst. Er kniete nieder und tastete über den
Rücken des Jungen. Sofort wich Obi-Wan zurück, teils aus Schmerz, teils aus
Scham.
,,Wie ist das passiert? Ich war mir nicht bewusst, dich dermaßen schwer
164
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
beim Trainig getroffen zu haben!”
Obi-Wan schlang das Handtuch über seinen Rücken und verbarg darunter
mehrere blaue, grüne und gelbe Flecken. ,,Das habt ihr auch nicht, Meister...”
,,Wie bist du dann dazu gekommen?”
Obi-Wan mied seinen Blick. ,,Ich bin gestürzt...”
Qui-Gon schüttelte denKopf, was für eine durchsichtige, alberne Lüge! Er
ahnte die Wahrheit. ,,Über wen bist du denn gefallen?”
Die Art, wie Obi-Wan sich in das Handtuch krallte und erblasste, bestätigte den Verdacht, dass er sich - offensichtlich auch noch mehrere Male - mit
einem anderen Padawan ernstlich geprügelt hatte. Und dass er ganz genau
wusste, dass dies absolut gegen den Codex verstieß - und er dieses Mal auch
bei seinem liberalen Meister nicht auf Nachsicht zählen durfte. Qui-Gon griff
unter das Kinn seines Jungen. ,,Wer ist es?”
Obi-Wan wich seinem Blick aus. Qui-Gon spürte, dass er es auf keinen
Fall sagen wollte, warumauch immer nicht. Der Junge schluckte und biss
sich auf die Lippen, rang sich dann zu einem Versprechen durch. ,,Es wird
nie wieder vorkommen, Meister. Ich verspreche es euch!”
Qui-Gon nutzte die MACHT, um seinen Schüler zu zwingen, ihm in die
blauen, nun harten Augen zu schauen. Seine Worte waren hart wie Stahl,
obwohl er deutlich sah, dass dem Jungen das Versprechen ernst war. ,,Das
will ich auch sehr hoffen! Jedi-Ritter prügeln sich nicht, Obi-Wan, wir tragen
unsere Konflikte wie intelligente Wesen aus - niemals mit der Waffe in der
Hand oder der Faust gegeneinander! Wenn jemand nicht deiner Meinung ist,
musst du ihn mit Argumenten überzeugen, nicht mit Schlägen. Und -” Er
machte eine bedeutungsvolle Pause, damit sein Schüler die Wichtigkeit der
nächsten Aussage begriff. ,,Manchmal bleibt es bei verschiedenen Standpunkten! Vergiss nie: Mit jedem Jedi, kommt etwas Einmaliges und Besonderes in
den Tempel - wie mit dir, so auch mit deinem... Gegner. Vielleicht ist das,
was dich so in Rage bringt an ihm, genau sein Beitrag zu unserer Kultur.
Bemühe dich, ihn so zu akzeptieren,wie er ist - und geh ihm aus dem Weg,
wenn du ihn dann immer noch nicht leiden kannst!”
Zaghaft nickte der Junge. Er wusste, dass er einen schweren Fehler begangen hatte, als er der nagenden Wut und dem Zorn auf seinen Widersacher
nachgegeben hatte. Er hatte es schon gewusst, als es gerade erst passiert war.
Da war wieder diese Kälte gewesen, diese furchtbare Kälte in ihm...
Aber warum musste der Zabrak Peh auch immer so hinterhältige Bemerkungen fallen lassen... Warum nur schaffte er es immer wieder, dass der
zwei Jahre ältere Obi-Wan sich wie ein Versager fühlte, wie ein lediglich
Geduldeter in seinem Zuhause. Warum nur ärgerte, verletzte ihn die immer
wiederkehrende Bemerkung so, er sei nur deshalb ein Padawan, weil Qui-Gon
sich über das Urteil der Rates hinweg gesetzt hätte. Vielleicht weil es wahr
4.3. MACHT-ANWENDUNGEN
165
war? Weil er tief in sich wusste, dass Peh mit seiner bissigen Behauptung, er
würde am Ende die Prüfung sowieso nicht bestehen, Recht haben könnte...?
Obi-Wan wusste es nicht genau, aber er würde morgen früh auch darüber
nachdenken. Er musste es tun, um sein Versprechen gegenüber Qui-Gon und
sich selbst einhalten zu können.
Sein Meister sah, dass er diese Lektion gelernt hatte, rubbelte ihm den
Rücken vorsichtig trocken. ,,Schaun wir mal, ob ich nicht eine Salbe gegen
diese Prellungen finde!”
Stunden später lag Obi-Wan noch immer wach in seinem Bett und starrte
an die Decke, auf die die Coruscant umfliegenden Frachter bunte Lichter
malten. Er konnte nicht schlafen, zu viele Gedanken gingen ihm durch den
Kopf, zu viele Fragen.
,,Möchtest du mir etwas erzählen, Obi-Wan, oder mich etwas fragen?” Er
fuhr zusammen, denn er hatte gar nicht bemerkt, dass sein Meister aufgestanden war und sich an seine Seite gesetzt hatte. Er zögerte. Qui-Gon strich
ihm durch die kurzen Haare. ,,Es gibt keine dummen Fragen, Padawan, nur
dumme Antworten!”
,,Habt ihr euch nie geprügelt als Junge?”
Qui-Gons Hand blieb auf der Stirn seines Schülers liegen. Obi-Wan spürte,
wie eine Welle aus Scham und Trauer seinen Meister durchlief. Mochte es
auch keine dummen Fragen geben, so gab es doch unbequeme. Er wusste
augenblicklich durch ihr Band in der MACHT, dass sein Meister nicht gern
über das Folgende redete - und das tat ihm leid und beschämte ihn. Qui-Gon
streichelte über seine nach wie vor blasse Wange.
,,Es ist schon in Ordnung, Obi-Wan.” Der ältere Jedi holte tief Luft. ,,Du
hast Recht, ich habe mich auch einmal geprügelt, aber da war ich schon wesentlich älter als Du jetzt. Und ich habe es bitterlich bereut...” Leise erzählte
er seinem Schüler von Tallia und seinem missglückten Versuch dem kleinen
Mädchen auf Tallios III mit Hilfe seiner Fäuste zu helfen.
,,Und Yoda hat euch nicht fortgeschickt?”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. ,,Genau so wenig, wie ich dich aufgeben
würde deshalb!” Der Junge griff dankbar nach der Hand seines Meisters.
,,Menschen machen Fehler, Obi-Wan, und wir beide mögen Jedi sein, aber
wir sind auch Menschen - also?”
Er erwartete, dass sein Padawan den angefangenen Satz beendete. ,,Ergo
machen auch Jedi Fehler...”
Qui-Gon nickte. ,,Aber du solltest dir angewöhnen, jeden Fehler nur einmal zu machen!”
Obi-Wan presste die Hand seines Meisters gegen seine Wange. Der fühlte
die Tränen mit seinem Handrücken - und in der MACHT die Scham des
Jungen. ,,Ich habe euch enttäuscht, nicht wahr Meister?”
166
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Qui-Gon beugte sich über das im Dunkeln liegende Gesicht seines jungen
Schülers. ,,Nein, Obi-Wan, du hast mich nicht enttäuscht. Aber du würdest
mich enttäuschen, wenn du dich noch einmal mit jemandem so schlägst!”
Er gab ihm einen Gutenachtkuss auf die Stirn und deckte ihn sorgfältig zu.
,,Versuch nun zu schlafen, Padawan!”
Obi-Wan schlenderte vor den hohen Türen zum Ratszimmer auf und ab.
Ab und zu warf er einen Blick auf den Stand der Sonne - lange durfte er nicht
mehr warten, wenn er nicht das Abendessen verpassen wollte. Er unternahm
einen letzten Versuch, seinen Meister zu erreichen.
Er legte beide Hände auf die schwere Tür, schloss die Augen. Mit Hilfe
der MACHT suchte er Qui-Gons Präsenz im runden Saal. Da... ganz nah und
doch so fern spürte er seine tief in der MACHT ruhende Gegenwart...
Die Antwort war niederschmetternd. Sie würden auch heute nicht zusammen essen - wie schon die ganze letzte Woche nicht. Obi-Wan löste den
Kontakt und wandte sich ab. Er hatte gefühlt, wie sehr Qui-Gon diese Tatsache bedauerte, wie sehr auch sein Meister ihre gemeinsamen Stunden am
Abend vermisste. Wie sehr er es hasste, im Rat festzusitzen.
Vorsichtig balancierte er sein Tablett durch die Stuhlreihen zu einem
Tisch fast am Eingang zum Esssaal - der Tisch, an dem auch die anderen
Schüler saßen, deren Meister nach wie vor in der Ratsversammlung waren:
Mace‘ Padawan Peh, Do-Rail-Liths Schülerin Adi, der schon wesentlich ältere
Ki-Adi, dessen Meister verstorben war und der nun seine Ausbildung unter
Yodas Aufsicht beendete und kurz vor der Abschlussprüfung stand, Yaddles
noch sehr junge Lernerin Jiv-Neah, die verstohlen das Abendessen - ihres
in Form eines dunkelbraunen Breis - durchrührte und nicht zugeben wollte, dass sie die meisten der Witze der Älteren nicht verstand. Obi-Wan sah
schon von weitem, dass nur der Stuhl gegenüber Peh noch frei war. Einen
Augenblick blieb er stehen und überlegte, ob er nicht das Abendessen ganz
ausfallen lassen sollte. Dann ging er langsam zu einem der anderen Tische.
Der Zabrak sah auf. ,,Ui, der Meisterschüler geruht nicht einmal mehr,
sich zu uns zu gesellen! Ich wette, er hat Angst vor mir...” Er grinste breit
und zeigte seine ungepflegten Zähne dabei.
Obi-Wan biss die Zähne zusammen und näherte sich an dem Tisch. ,,Ich
habe keine Angst vor dir!” Langsam setzte er sich dem anderen Jungen gegenüber, stellte das Tablett vor sich.
,,So? Warum bist du dann wütend auf mich? So wütend, dass du mich andauernd angreifst? Erinnern wir uns an Lektion eins im Tempel:” Er machte
gekonnt Yodas Stimme nach. ,,Angst führt zu Wut, Wut führt zu Hass - und
den Rest kennen wir ja!” Er schaute triumphierend in die Runde.
Obi-Wan sah auf sein Abendbrot und errötete - selbst Peh hatte sein
Versagen richtig gedeutet und nutzte sein Wissen nun gnadenlos aus, um
4.3. MACHT-ANWENDUNGEN
167
ihn weiter zu drangsalieren. Und er würde garantiert nicht aufhören, bis er
die gewünschte Reaktion erzielt hatte. Qui-Gons Schüler holte tief Luft und
goss die corellianische Milch in seinen Becher, schaufelte energisch drei Löffel
Kakao hinein. Nein, er würde sich dieses Mal nicht provozieren lassen. Peh
legte es doch genau darauf an: Ihn noch einmal zu demütigen, dieses Mal vor
allen anderen Jedi des Ordens...
,,Als du mich geschlagen hast, hast du allen gezeigt, dass du es nicht wert
bist, ein Padawan zu sein!”
Obi-Wan umkrallte seinen Becher, ganz langsam rührte er die Milch um.
Einen Augenblick war er versucht, Peh zu glauben, schloss traurig die Augen;
doch dann erinnerte er sich an die Worte seines Lehrers in der vergangenen
Nacht. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, sah sein Gegenüber
direkt an.
,,Wer aus seinen Fehlern nicht lernt, Peh, der ist es nicht wert, ein JediPadawan zu heißen!” Ganz ruhig legte er seine Hände rechts und links neben
das Tablett. ,,Es war falsch, sich zu prügeln. Es war schon falsch, dass ich dich
überhaupt verprügeln wollte!” Jeder der anderen Schüler am Tisch konnte
sehen, wie schwer ihm dieses Eingeständnis fiel, aber Obi-Wan hielt dem triumphierenden Blick aus den gelben, von roten Kränzen umgebenden Augen
des Zabrak stand. ,,Ich habe meine Lektion gelernt - du auch?!”
Peh kniff seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Er sprang auf
und stieß dabei - mit voller Absicht - mit Hilfe der MACHT Obi-Wans Kakao
um. Die braune Flüssigkeit ergoss sich über die weiße Kleidung des Padawan.
Auch er sprang auf, starrte Peh wütend an. Dann sah er auf seine zu Fäsuten
geballte Hände. Er schloss die Augen und entspannte sich, öffnete die Finger.
Ganz langsam stellte er den Becher wieder auf, wischte sich demonstrativ
ruhig die verschüttete Milch von den Tuniken und seiner Hose.
Als der Zabrak bemerkte, dass er den Menschen wirklich nicht provozieren konnte, wandte er sich um und verließ den Saal. Obi-Wan starrte ihm
mit zitternden Lippen nach. Dann schaute er resigniert auf seine ruinierte
Kleidung. ,,Wie soll ich das Qui-Gon erklären? Er wird mir nie glauben...”
Er spürte eine warme Hand auf seiner Schulter, neben ihm stand Ki-Adi.
Der große Cereaner lächelte ihm zu. ,,Er muss es nicht erfahren! Komm, wir
waschen die Sachen, bevor die Ratssitzung vorbei ist und Meister Jinn dich
zu sehen bekommt!” Erleichtert folgte Obi-Wan dem älteren Padawan zu
dessen kleinem Zimmer. Ki-Adi sah ihn respektvoll an. ,,Du hast dich tapfer
geschlagen!”
Obi-Wan senkte den Blick. ,,Lass uns über etwas Anderes reden - nicht
über die Schlägerei gestern in der Umkleide...”
Ki-Adi grinste. ,,Ich meinte eigentlich die Schlacht, die du soeben im
Speisesaal gewonnen hast! Es braucht viel Mut, einen Fehler vor allen so
168
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
offen zuzugeben. Bewahre dir diesen Mut, Obi-Wan!”
Der Junge zögerte einen Augenblick. ,,Glaubst du, ich werde die große
Prüfung durch den Rat bestehen...?”
Der Cereaner zögerte merklich. Dann verzog er das Gesicht. ,,Das weiß ich
nicht.” Er reichte Obi-Wans Kleidung einem der vielen Haushaltsdroiden des
Tempels. ,,Aber wenn es dich irgendwie tröstet: Ich habe die gleichen Sorgen
- niemand versagt gerne, nochdazu bei etwas, das er nicht kennt! Ich weiß
nicht sehr viel über die Prüfung, es scheint das bestgehüteste Geheimnis
der Jedi zu sein... Aber man hört Gerüchte, dass man sich seiner tiefsten
Angst stellen muss. Man muss ihr einmal wirklich in‘s Gesicht sehen und sie
besiegen... jedenfalls glaube ich das...” Er lächelte dem Jungen zu. ,,Vielleicht
hast du heute ja schon einen Teil bestanden!”
Obi-Wan sagte nichts. Aber tief in sich wusste er, dass er nicht nur Angst
hatte zu versagen.
4.4
Macht-Spiele
Das war nicht fair...
Obi-Wan umkrallte das Datenpad und starrte auf die leere Anzeige. Dann
sah er Meisterin Qui‘Ra in die Augen.
,,Ich habe die Hausaufgaben gemacht, wirklich!”
Er wusste, wie hohl das nun zum dritten Mal hintereinander klang. Aber
er hatte die Aufgaben gelöst - und auch all die, die zur letzten und vorletzten Stunde wie von Geisterhand von seinem Pad verschwunden waren.
Die halbe Nacht hatte er dazu gebraucht, er hatte nicht mit Qui-Gon in der
Halle trainieren können, und das am letzten Abend, bevor sein Meister zu
einer dringenden Mission aufgebrochen war... und jetzt hatte er wieder keine
Ergebnisse.
Qui‘Ra spürte, dass der Junge nicht log, aber sein Pad war definitiv
leer. Das ergab keinen Sinn! Sie musterte ihn streng. ,,Wenn dein Master
zurück ist, werde ich ein ernstes Gespräch mit ihm über deine Arbeitshaltung führen!”
Obi-Wans Wnagenmuskeln malten, nur mit Mühe konnte er sich eine
bissige Bemerkung verkneifen. Das fehlte noch! Qui‘Ra spürte seine Wut und
seine Frustration, hob beide Brauen und wandte sich den anderen Schülern
zu. Qui-Gons Padawan hob den Pultdeckel an und feuerte das defekte Pad
in das Fach darunter. Den ganzen Rest der Stunde überlegte er, welcher Art
die Fehlfunktion an diesem Pad sein konnte, aber ihm fiel nichts mehr ein.
Schon beim ersten Mal hatte er die Elektronik untersucht, das Display, den
Speicher, und er hatte nichts Verdächtiges oder Außergewöhnliches gefunden.
4.4. MACHT-SPIELE
169
Es ergab einfach keinen Sinn! Daten löschten sich doch nicht selbstständig!
An diesem Nachmittag zog er die unterste Schublade von Qui-Gons Schreibtisch auf und holte einen Stapel altmodisches Papier heraus. Nun gut, wenn
das Pad nicht wollte, dann eben per Hand! An diesem Abend tat ihm zwar das
Handgelenk weh vom ungewohnten Schreiben auf dieser rauhen Oberfläche,
aber wenigstens würden diese Ergebnisse die nächste Mathematikstunde erleben. Siegesgewiss verstaute er den Papierstapel am späten Abend in seinem
Schulpult.
Als er am nächsten Morgen den Raum betrat, traute er seinen Augen
nicht. Mitten auf seinem Pult lag ein Haufen Asche... fein säuberlich zu einem
runden Haufen gekehrt. Schlagartig begriff er, dass er nicht das Opfer eines
mysteriösen Elektronikversagens gewesen war, sondern Opfer eines gezielten
Anschlags... eines Anschlags auf seine Hausaufgaben. Das ergab noch weniger
Sinn!
Benommen starrte erauf den Aschehaufen.
,,Was ist das?”
Er hatte gar nicht gehört, dass Meisterin Qui‘Ra und die anderen Schüler
den Raum betreten hatten. Er schluckte. ,,Das waren sie...”
,,Das waren was?”
,,Meine Hausaufgaben...”
,,Kaum wiederzuerkennen...”
Der Sarkasmus traf ihn im Mark. Die Unterhaltung mit Qui-Gon war
nun wohl endgültig nicht mehr zu vermeiden. Er unternahm einen letzten
Versuch.
,,Ich war’s nicht, ich habe die Papierseiten einfach heute Nacht hier hingelegt!”
,,Du glaubst also, Papier entzündet sich von selbst?”
,,Nein.”
,,Willst du etwa sagen, ein Jedi hätte deine Hausaufgaben bewusst vernichtet?”
Der junge Mensch starrte Peh an, von dem diese letzte Bemerkung gekommen war. Herausfordernd blickte der Zabrak ihn an. Von einem Augenblick
auf den anderen war Obi-Wan sich hundertprozentig sicher, den Täter zu
kennen. Aber was würde es nützen, ihn nun hier und jetzt anzuklagen? Seine
Mathemathiklehrerin würde ihm nie glauben. Niemand hier in der Klasse
wusste von dem Streit mit Peh im letzten Jahr, und sein Meister war nicht
anwesend, um ihn zu decken. Sehr schlau eingefädelt von diesem... diesem
Mistkerl! Rache war offensichtlich tatsächlich ein Gericht, das am besten kalt
serviert wurde.
Meisterin Qui‘Ra erwartete noch eine Antwort von ihm. Er holte tief Luft.
,,Nein. Ein Jedi würde so etwas niemals tun!” Er warf noch einen letzten Blick
170
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
auf Peh, dann sah er seine Lehrerin offen an. Er hoffte, sie verstand, dass er
mit den Jedi auch sich selbst gemeint hatte.
Dieser Winter auf Coruscant war trübsinnig.
Ernsthafte Ausfälle in der Technik der zentralen Umweltkontrolle sorgten für teilweise tagelangen Regen, Temperaturen weit unter den normalen
Umständen und ab und an für Hagel und Graupel, dichten Nebel und andere
Unannehmlichkeiten, die teilweise sogar den Flugverkehr über dem Zentralplaneten der Republik lahmlegten. Der Senat verhandelte seit drei Monaten
über eine Etataufstockung zugunsten der Infrastrukturen des Planeten, doch
der Haushalt war auch ohne diesen Posten mehr als nur angespannt. Ein
Kompromiss war noch nicht in Sicht. Und solange es kein Geld gab, nicht einmal eine Bewilligung oder auch nur Zusicherung an Mitteln, solange würden
alle Bewohner Coruscants weiterhin unter dem maroden Wetterkontrollsystem leiden müssen.
Qui-Gon war seit drei Tagen zurück, eine erfolgreiche Mission mehr auf
seinem Konto. Auch die Merryth war mit zurückgekehrt und genoss nun
die wohlige Wärme an der Stelle im Fußboden, an der ein Heißwasserrohr
durch die Decke lief. Obi-Wan hatte seinem Meister sofort von der Geschichte
mit seinen Hausaufgaben berichtet, bevor er die Sache aus einem anderen
Blickwinkel zu Ohren bekam. Qui-Gon hatte auch Qui‘Ra zugehört, dann
hatt e er seinen Padawan noch einmal das Ganze erzählen lassen.
,,Du denkst, jemand spielt dir einen Streich?”
Obi-Wan biss sich auf die Lippe. ,,Das ist mehr als ein Streich, Meister.
Das ist Rache!”
Qui-Gon versteckte die Hände in den Ärmeln seiner Robe. ,,Rache ist
ein hartes und gewaltiges Wort, Obi-Wan. Wenn du es benutzt, wenn du
es wirklich so nennen willst, was dir wiederfahren ist, dann musst du auch
wissen, dass niemand sich ohne Grund rächt. Rache hat immer einen Anlass
- niemand rächt sich an einem Unschuldigen!”
Sein Padawan verstand seine Aussageabsicht. Der Junge sank auf sein
Bett und stützte den Kopf in die Hand. ,,Es ist Peh... Er will, dass ich
wütend werde. Weil er es nicht mehr mit Beleidigungen schafft, hat er sich
auf andere Dinge verlegt.”
Er fühlte mehr als er sah, wie sein Meister die Brauen hob. ,,Kannst du
das beweisen?”
Obi-Wan schüttelte den Kopf. ,,Nein. Das kann ich nicht! Es ist nur die
einzige logische Vermutung!”
,,Dann sei vorsichtig mit solchen Verdächtigungen. Solange du keine Beweise hast, richtest du mit solchen Vermutungen nur Unheil an. Ich hoffe, du
hast sie nicht vor deiner Klasse geäußert?”
Sein Schüler schüttelte resigniert den Kopf.
4.4. MACHT-SPIELE
171
Wie sollte er seinen Verdacht beweisen?
Doch wie auch immer, Peh würde nicht ungestraft davonkommen - dieses
Mal nicht!
Am nächsten Mittag stand Qui-Gon vor dem Klassenraum, als Obi-Wan
diesen nach der letzten Schulstunde verließ. Er lächelte schelmisch,
,,Komm, ich möchte dir etwas zeigen!” Er reichte ihm seine Robe. ,,Hier,
du wirst sie heute brauchen!”
,,Meister, ich..” Obi-Wan zögerte. Qui-Gon sah ihn ungeduldig an. ,,Ich
muss zum Fechtkurs bei Meister Yoda. Er wird sehr ungehalten sein, wenn
ich zum Training zu spät komme!”
Qui-Gon grinste von einem Ohr zum anderen. ,,Wir gehen auch zum Training - zu einem ganz besonderen Training, würde ich meinen - und es sollte
mich stark wundern, wenn Meister Yoda nicht ebenfalls seinen Unterricht
dort abhalten wird!”
Nur mühsam konnte Obi-Wan mit den langen Schritten seines Meister
mithalten, er fühlte die anhaltende Belustigung des älteren Jedi deutlich.
Hastig schlüpfte der Junge in die weite Robe und folgte seinem Lehrer zur
Hangarplattform des Tempels. Kaum hatten sie die letzte Ecke vor dem offenen Tor umrundet, blies ihm eiskalter Wind in‘s Gesicht - und irgendetwas
Anderes. Obi-Wan erstarrte regelrecht. Ein seltsames weißes Zeugs wirbelte
in der Luft, sank unaufhörlich zu Boden und bedeckte letzteren mit einer
mindestens kniehohen Schicht. Er versuchte, etwas davon zu fangen, aber es
gelang ihm nicht.
Qui-Gon beugte sich herab und griff in die weiße Masse. Dann drehte er
sich blitzschnell um und warf.
Splash.
Obi-Wan stand mit offenem Mund da, eiskaltes Wasser rann über sein
Gesicht und unter seine dicken Wintertuniken. Er fasste an seine Wangen
und starrte auf die Reste der eiskalten und nun durch seine Körperwärme
schnell schmelzenden Masse. Nicht zu Eis, aber doch irgendwie gefrorenes
Wasser -faszinierend...
,,Das ist Schnee, Obi-Wan! Dachte ich‘s mir doch, dass du das noch nie
zuvor gesehen hattest!”
Dichte Flocken hatten sich in Qui-Gons Haar und auf seiner Robe gesammelt, er schüttelte sie ab und zog aus seinen Ärmeln zwei Paar Handschuhe
hervor, reichte eines seinem Padawan. ,,Hier, probier es hiermit. Sonst erfrieren dir die Finger!” Dann deutete er durch die weiße Wand des fallenden
Schnees über das Hangardeck. ,,Komm, suchen wir Mace und die anderen,
der Krieg tobt bestimmt schon!”
Obi-Wan zog seine Robe enger um sich, schlüpfte hastig in die Handschuhe. ,,Was für ein Krieg, Meister?” Seit wann war Qui-Gon begierig auf einen
172
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Kampf außerhalb der Trainingshalle?
Qui-Gon grinste wieder breit. ,,Die Schlacht des Jahres - was sage ich - des
Jahrzehnts! Denn wie oft schneit es mal hier auf Coruscant??” Er stemmte
die Hände in die Hüften, als vor ihm im Schnee zwei Gruppen von Jedi
auftauchten. ,,Es ist eine Schneeballschlacht... der Krieg schlechthin! Alles,
was du über Strategie und Taktik, ja selbst über Logistik wissen musst,
kannst du hier schon einmal live erleben - von einem gewissen Standpunkt
aus.” Ein Krieg mit pädagogischem Wert, na super! Obi-Wan sah, dass sich
die Jedi gegenseitig mit dem weißen Zeugs bewarfen - und es gar nicht so
schrecklich wie er fanden, dass sie ab und an dabei auch getroffen wurden.
Er entdeckte Peh und Mace auf der einen Seite, Adi und Do-Rail auf der
anderen, dann glaubte er, auch Meister Benjamin und den Fechtmeister Sas
sowie Qui‘Ra ausmachen zu können. Qui-Gon zögerte einen Augenblick, dann
sah er auf Obi-Wan herab und deutete nach links. ,,Komm, helfen wir deinem
speziellen Freund - Mace und Peh haben ja kaum eine Chance gegen die
Übermacht da drüben!”
Er gesellte sich neben seinen Freund und begann, massenhaft kleine Schneebälle
zu formen und damit auf Benjamin oder die anderen nun auf einmal gegnerischen Jedi zu werfen. Obi-Wan zögerte. Erstens verstand er den Sinn dieser
Schneeballschlacht noch immer nicht, zweitens wollte er Peh nicht wirklich
helfen - auch wenn ihm durchaus bewusst war, warum Qui-Gon diese Seite
gewählt hatte. Obi-Wan hasste solche pädagogischen Maßnahmen. Lustlos
gesellte er sich an die Flanke seines Meisters, peinlich darauf bedacht seinem
Widersacher nicht zu nahe zu kommen. Noch lustloser begann auch er kleine
weiße Bälle herzustellen - was für ein Schwachsinn.
Splash!
Adi traf ihn mitten im Gesicht. Qui-Gon beugte sich herab. ,,Ducken,
Obi-Wan - du kannst die Bälle durch die MACHT fliegen sehen!”
Splash!
Jemand - Qui‘Ra hörten sie von der anderen Seite aus herzhaft lachen
- hatte seinen Meister im ungeschützten Nacken getroffen. Qui-Gon griff zu
einem seiner Bälle, machte eine weite Drehung und zielte - auf der anderen
Seite kreischte jemand. ,,Treffer!” Erst jetzt schüttelte er den Schnee durch
die Kutte und zog sich zum Schutz die Kapuze über den Schopf.
Splash!
Qui‘Ra hatte ihn mitten im Gesicht erwischt. ,,Ich glaube es ja nicht! Da
bettelt jemand um Schläge! Na warte...” Er vergaß seinen derweil konsterniert
im Schnee hockenden Padawan und konzentrierte sich darauf, sich einerseits
nicht noch ein weiteres Mal eine Blöße in diesem noch immer ungleichen
Kampf zu geben und nicht von der Mathelehrerin seines Schülers noch einmal
getroffen zu werden. Andererseits formte er geduckt Schneebälle und warf sie
4.4. MACHT-SPIELE
173
pausenlos hinüber.
Splash!
Obi-Wan wischte sich den Schnee aus dem Gesicht - trotz derHandschuhe
und der warmen Robe war ihm derweil bitter kalt. Er steckte die Hände
zu Fäusten geballt in die Achselhöhlen und versuchte, sich hinter Qui-Gon
unauffällig zu verstecken. Dann musste er auf einmal lachen.
Durch den hohen Schnee bewegten sich vom Tempeleingang aus zwei
Ohrspitzen und ein knorriges Stockende wie ein Periskop auf die beiden gegeneinander kämpfenden Parteien zu. Zwischen den beiden Lagern war der
Schnee derweil halb niedergetrampelt, halb zu Schneebällen verarbeitet, so
dass Yoda hier zu einem größeren Teil sichtbar wurde. Auf seinem Kopf saß
eine blau-weiß gestreifte Zipfelmütze, deren Bommel über seinen Rücken fiel.
Über seiner üblichen Kutte trug er heute noch zusätzlich eine dickere Robe.
Seelenruhig stapfte er zwischen den ihn umfliegenden Bällen entlang, wehrte ab und an einen dreisten Wurf mit Hilfe der MACHT ab. Dann gewann
man den Eindruck, eine der nassen Kugeln zerplatze an einem unsichtbaren
Kraftfeld.
Yoda hatte das schlimmse Kampfgetümmel hinter sich gelassen, wandte
sich um und beobachtete eine kurze Weile die hin und her fliegenden Schneegeschosse.
Splash!
Einer der Schneebälle traf seinen Kopf. Obi-Wan hielt die Luft an.
Yoda starrte konsterniert zu Meister Benjamin hinüber, watschelt e dann
seelenruhig an die Seite Qui-Gons, deponierte seinen Stock wie eine Fahnenstange aufrecht in einer Schneeverwehung, stülpte seine Zipfelmütze darüber
und begann seinerseits, Schneebälle mit erstaunlicher Treffsicherheit hinüber
zu werfen. Die Lautstärke des Kreischens auf der anderen Seite nahm zu,
obwohl sich Ki-Adi zu den Gegnern gesellt hatte.
Splash!
Wieder hatte jemand Obi-Wan getroffen.
Yoda wandte sich halb um, gleichzeitig wieder in den Schnee fassend.
,,Warum du dich nicht wehrst, Padawan?”
Obi-Wan zuckte mit den Schultern. ,,Was macht das für einen Sinn hier?”
Der alte Meister runzelte die Stirn, sah Qui-Gon an. ,,Er die Regeln des
Spiels nicht verstanden hat?”
Splash!
Qui-Gon schüttelte grinsend den Schnee aus den Haaren, visierte Adi
sicher an und traf. Dann erst beantwortete er die Frage seines Meisters. ,,Es
ist erschreckend, aber er hat noch nicht einmal verstanden, dass es ein Spiel
ist!”
Splash!
174
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Yoda schüttelte den Schnee aus seinem rechtenOhr, versuchte mit Hilfe
der MACHT diesen speziellen Gegner ausfindig zu machen.
Splash!
Noch ein Ball landete in Obi-Wans Augen. Frustriert wischte er sich mit
dem Ärmel der halb durchweichten Kutte über das gerötete Gesicht. Was
sollte daran Spaß machen? Nichtsdestotrotz ging er nun zwischen seinem
Meister und seinem Fechtlehrer in die Knie, wenn auch mehr, um Qui-Gon
nicht noch weiter zu blamieren, als dass er verstanden hätte, worum es hier
eigentlich ging!
Yoda zeigte ihm die besondere Jedi-Technik, harte und flugfähige Bällchen zu formen. Und Obi-Wan musste feststellen, dass das Ganze viel komplizierter war, als es aussah. Die ersten beiden Bälle flogen kaum bis zu ihren
Gegnern hinüber und zerfielen, bevor sie ihr Ziel trafen.
Splash!
Selbst durch das dichte Schneetreiben sah Obi-Wan Adis hämisches Grinsen - und sie holte schon wieder aus, um ihn zu bewerfen. Doch dieses Mal
gelang es ihm, dem nassen Geschoss rechtzeitig auszuweichen. ,,Na warte!”
Er nahm zwei Handvoll Schnee, presste sie energisch zusammen, richtete sich auf, zielte und warf. Erstaunt wischte das Tholotmädchen sich den
Schnee aus dem Gesicht, musste dann aber schallend lachen: Ihre Kampfgenossen hatten den armen Obi-Wan mit gleich mehreren Salven eingedeckt.
Qui-Gons Padawan sah aus wie ein wandelnder Schneemann. Yoda zog ihn
in Deckung.
,,Ducken, Obi-Wan, ganz schnell ducken du dich musst!”
Yoda zeigte es ihm ein paar Mal.
Auch Qui-Gon schien die Technik gut zu beherrschen. Obi-Wan formte
eine ganze Batterie Schneebälle, während er zunächst die beiden Meister beim
Schneeballweitwurf beobachtete, dann probierte er es selbst noch einmal und - es machte tatsächlich Spaß... irgendwie... wenn man denn traf...
Splash!
Obi-Wan vergaß den pädagogischen Sinn dieser Schlacht, er vergaß den
verhassten Verbündeten neben Mace, selbst die Tatsache, dass er das Ganze
nach wie vor für Schwachsinn hielt... Er konzentrierte sich bald so sehr auf das
Herstellen und Werfen von Schneebällen, dass er kaum noch merkte, wenn
ihn ein Gegner erwischte.
Splash!
Ducken, zielen, werfen, wieder ducken.
Splash!
Mit einem Mal fühlte er eine warme Hand auf der Schulter.
Neben ihm kniete Qui-Gon und sah ihn ernst an.
4.5. AUFBRUCH
175
,,Hast du jetzt gelernt, was Spaß ist? Und dass auch Jedi-Ritter Spaß
haben können und wollen?”
Obi-Wan sah in die großen blauen Augen. Er nickte. Qui-Gon lachte und Obi-Wan griff hinter sich, bombadierte seinen Meister mit seinen letzten Schneebällen. Auch auf der anderen Seite des Schlachtfeldes fielen die
Verbündeten derweil übereinander her. Lachend zogen die Jedi schließlich
nass und durchgefroren zurück zum Hangartor. Kurz davor blickte Obi-Wan
nach oben. Yoda blieb neben ihm stehen, nickte ihm zu. Seine Stimme war
nur ein Flüstern.
,,Tu es, Padawan! Vertraue deinen Instinkten!”
Obi-Wan schloss die Augen, konzentrierte sich auf die MACHT - und über
Qui-Gon ging eine mittlere Schneelawine herunter, als er unter dem schrägen
Dach des Hangareingangs entlangschritt.
Der Schnee rutschte unter seine Tuniken, Mace hielt sich den Bauch vor
Lachen. Im nächstenAugenblick seifte Qui-Gon ihn mit einer Riesenhandvoll Schnee ein. Er selbst spuckte noch immer Reste des weißen Zeugs und
schüttelte dann die letzten Flocken aus seiner Kleidung. Dann hob er ObiWan hoch und wirbelte ihn herum.
,,Komm, gehen wir heißen Kakao kochen!” Er sah die anderen Anwesenden grinsend an. ,,Ihr habt eine Viertelstunde um euch trocken zulegen, dann
erwarte ich euch zu Kaffee, Kakao und Kuchen im Wintergarten!”
Er zwinkerte Obi-Wan zu. ,,Wer zuerst unter der warmen Dusche ist, hat
gewonnen!” Im nächsten Augenblick stürzten beide inRichtung des großen
Trainigssaals, gefolgt von den anderen Jedi - heute hatte niemand Lust auf
eiskaltes Wasser. Nur Yoda folgte ihnen gemächlicher, die blau-weiß gestreifte
Zipfelmütze noch immer über das Stockende gestülpt.
4.5
Aufbruch
Qui-Gon hob beide Augenbrauen.
Als Yoda ihn zu sich rief, rechnete er mit einer weiteren Mission. Noch
immer schickte der Oberste Kanzler viele seine Aufträge über den alten Meister an ihn. Qui-Gon wartete sehnsüchtig auf einen neuen Amtsinhaber, der
nicht das Padawan-Meister-Verhältnis noch aus eigener Anschauung kannte und ihn endlich als vollwertigen Jedi ansah. Doch tief in seinem Inneren
wusste er, dass er für so einige Würdenträger der Republik - und eine ganze
Reihe Jedi - sein Leben lang Yodas Schüler bleiben würde.
Doch nun las er sicherheitshalber noch einmal den kurzen Text auf dem
Pad.
176
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Dann sah er Yoda schief grinsend an. ,,Wem gilt die Lektion, die ihr
Urlaub nennt, mein Meister? Mir? Oder nur Obi-Wan?”
Der alte Jedi senkte die Ohren. Er sagte nichts, doch sein Blick war
Antwort genug. Qui-Gon war sich bewusst, dass er dieses Angebot einfach
ablehnen konnte. Er konnte seinen Schüler allein schicken, wie es die Notiz
auf dem Pad vorsah. Doch die Lektion galt nicht Obi-Wan allein, wenn er
den Urlaub in der alten Zivilisation auf dem Planeten Tschiwile akzeptierte,
darüber war sich der Jedi klar. Ein Padawan lernte nie allein, auch sein Lehrer
musste lernen. Und was Qui-Gon über Tschiwile wusste, verriet ihm, dass er
diese Lektion nicht besonders schätzen würde. Einen Augenblick musterte er
Yoda noch, dann legte er das Pad zurück und versteckte die Hände in den
weiten Ärmeln der Samtrobe - eine derweil leicht variierte Geste: Der schwere
Stoff nötigte den Menschen, die Ärmel beim Hineinfahren leicht anzuheben,
ein Bewegungsmuster, dass Qui-Gon nie wieder aufgeben würde.
,,Ein Frage habe ich noch, mein Meister.” Yoda nickte schweigend. ,,Warum
habt ihr mich während der Ausbildung niemals nach Tschiwile geschickt?”
Yoda legte einen Finger über seine Lippen, nickte nachdenklich. ,,Du
damals nicht bereit warst, diese Lektion zu lernen. Was Obi-Wan noch lernen
muss, du wiederum schon wusstest.” Er nickte nachdenklich. ,,Nun aber auch
du bereit bist, ich denke.”
Qui-Gon seufzte innerlich und verneigte sich vor seinem Meister. Wieder
einmal musste er dessen Urteil blind vertrauen.
Tschiwile - Planet der Gesetze, der Kasten und Juristen. Der Alptraum
des liberalen Flügels des Senats, Qui-Gons persönlicher Alptraum dem Hörensagen nach, das Nirvana eines jeden Paragraphenhengstes. Eine Zivilisation,
die nie ihren Planeten verließ, nicht einmal einen Sitz im Senat akzeptierte.
Männer und Frauen, die immer in dem Dorf, in dem Stand, in der Klasse blieben, die ihnen die Geburt beschert hatte. Nie hatten sie die Jedi um
Hilfe gebeten. Nichts hatte sich in etlichen tausend Jahren Geschichte auf
dieser Welt verändert - sie kannten nicht einmal Worte für Fortschritt und
Geschichtsschreibung in ihrer Sprache. Das einzige, was ihre Kultur ausmachte, war ein starres Regelwerk, das allein mündlich weitergereicht wurde von
Generation zu Generation. Und doch nahmen sie bereitwillig alle Reisenden
bei sich auf - so lange diese sich an die Regeln der von ihnen ausgewählten,
gastgebenden Kaste hielten.
Was sollte Obi-Wan dort lernen?
Noch mehr Regeln?
Und was erwartete Qui-Gon dort?
Eine noch härtere Geduldsprobe als vor vier Jahren, als er auf die Entscheidung des Rates hatte warten müssen?
Manchmal verstand er die Wege der MACHT nicht...
4.5. AUFBRUCH
177
Oder verstand er nur Meister Yodas Wege nicht?
Obi-Wan freute sich auf den Urlaub, denn er ahnte die Hintergedanken des
uralten Jedi nicht. Begeistert stopfte er ein Mathematikbuch zwischen seine
sauberen Tuniken in die Reisetasche, legte den Allzweckgürtel über seine
Bauchschärpe, verstaute allerhand Ausrüstungsgegenstände in den kleinen
Ledertaschen, hängte zum Schluss sein Lichtschwert daneben.
Qui-Gon nahm nur wenige Dinge mit. Ein altes Buch aus der Bibliothek
des Ordens - seit jenem Studienjahr hatte er die Bücher doch ein klein bisschen lieb gewonnen und zog sich desöfteren in den Raum zurück, um zu
lesen -, seinen eigenen Gürtel samt Schwert, ein einfaches, bodenlanges, aber
strahlendblaues Gewand. Obi-Wan berührte den dünnen, aber sehr schweren
Stoff.
,,Wozu ist das, Meister?”
,,Es ist den Gewändern nachempfunden, die die Mönche auf Tschiwile
tragen. Ich werde es, bevor wir den Planeten betreten, überziehen. Ich werde
meinen Urlaub in einem der vielen Klöster verbringen.”
Obi-Wan schaute verlegen zu seiner dicken Tasche zurück. ,,Werden wir
den Urlaub denn nicht zusammen verbringen?”
Sein Meister verzog das Gesicht. ,,Wenn du das wirklich möchtest, können
wir das tun. Aber Tschiwile bietet dir so viele Möglichkeiten, deine eigenen
Erfahrungen zu machen, dass du diese Gelegenheit besser nutzen solltest!”
Der Junge überlegte eine ganze Weile. Dann nickte er. ,,Aber zuerst
möchte ich ein paar Tage mit euch im Kloster bleiben!”
Qui-Gon gab auf. Er nickte und legte das Gewand über seinen Arm,
klemmte das Buch unter die Achsel und verließ ihr Quartier. Der kleine Gleiter, der ihnen zur Verfügung stand, trug noch immer dieselbe Kennung. QuiGon ließ sich in den Copilotensitz fallen. Zögernd trat Obi-Wan näher. Sein
Meister lächelte ihm aufmunternd zu. ,,Nun kannst du zeigen, was du im
Unterricht gelernt hast: Heute wirst du mal fliegen.”
Obi-Wan setzte sich vorsichtig und berührte die Statuskontrollen. Der
Bildschirm zur Anflugkontrolle des Jedi-Tempels flackerte kurz und wurde
dann klar. ,,T H X 11 38 erbittet Startfreigabe...” Seine Stimme war zittrig,
als er nun zum ersten Mal diese Worte selbst formulierte. Doch der Kontroler
schien es nicht zu bemerken. Er verabschiedete sie, wie er alle ausgehenden
Flüge verabschiedete. Elegant flog der Padawan den Gleiter in den Orbit,
setzte einen Kurs nach Tschiwile. Sieben Tage würde die Reise dauern...
Fasziniert starrte Obi-Wan seinen Meister an. Qui-Gon war kaum wiederzuerkennen. Sein langes Haar war nun nach Art der Tanjara-Mönche zu
einem geflochtenen Zopf zusammengefasst, er trug nur das schwere, lichtblaue
Gewand mit kunstvoll gekordelten, purpurroten Säumen. In den Haaransatz
hatte sein Lehrer komplizierte Muster gezeichnet - einige in blau, andere in
178
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
rot - auch hier leuchtende, kostbare Farben, die nun anzeigten, dass er sich
im Kloster auf die Initiation vorbereiten wolle.
Sein Schüler sah nicht weniger seltsam aus. Auch Obi-Wan trug dasselbe Gewand, das sie in einem der vielen Geschäfte im Raumhafen Tschiwiles
erstanden hatten. Fast jede Kaste unterhielt Kontakte zu den Händlern, alles Außenwelter, die den interessierten Touristen halfen, die geeignete Kaste
für einen Urlaub oder den Rest ihres Lebens zu finden. Qui-Gon hatte das
komplexe, traditionelle Muster auch auf Obi-Wans Stirn gemalt. Stundenlang hatten sie in einem Nachbau einer Tanjara-Kapelle gesessen, hatten
zuerst nur den von einer Speicherscheibe kommenden Gesängen der Mönche
gelauscht, dann die ihnen noch immer größtenteils unverständlichen Töne,
Silben und Worte nachgeahmt. Schließlich hatte Qui-Gon - halb in Trance, wie es seinem Schüler schien - den hauchfeinen Pinsel genommen und
die uralten Ranken auf ihrer beider Haut gebannt. Obi-Wan hatte am Ende
das Haar seines Meisters so geflochten, wie die Mönche und ihre Schüler es
auf den vielen zweifarbigen Gemälden trugen, die die Wände des ansonsten
schlichten Raums schmückten.
Kaum hatte er diese Arbeit nun beendet, trat ein wahrer Tanjara in die
nachgebaute Kapelle. Auch er trug sein weißes Haar in demselben Stil und
auch dasselbe, blaue Gewand. Er musterte die beiden Neuankömmlinge eingehend. Dann nickte er ihnen zu. Qui-Gon und Obi-Wan knieten schweigend
nieder. Der Mönch selbst sang nun eine fremdartige Weise, legte seine vom
Alter fleckigen Hände auf ihre Köpfe. Dann drehte er sich um und verließ
den Raum.
,,Hech ma - kommen!”
Obi-Wan wollte etwas sagen, doch Qui-Gon presste eine Hand über seinen
Mund.
Nicht, Padawan! Initiaten dürfen nicht in Gegenwart eines Lehrers reden!
Der Mönch erstarrte und fuhr herum. Seine Augen fixierten Qui-Gon, und
wenn Blicke hätten töten können, wäre es um den Jedi-Meister geschehen
gewesen.
,,Nes ra to! Ma bo ne rach jeKALLA! Te djara jen rien ma! - Wie können
wagen, Fremder! Niemand benutzen die MACHT hier! Schweigen in ihr, oder
verlassen!”
Qui-Gon konnte dem stechenden Blick nur mit Mühe Stand halten. Dann
nickte er knapp. Der Mönch fixierte ihn weiter - warum nur fühlte er sich
auf einmal wieder so hilflos wie bei Yodas häufigen Standpauken während
seiner Jugend? Dann wanderte der linke Mundwinkel des alten Mannes in
die Höhe, Krähenfüßchen zeigten sich um seine Augen - er lachte Qui-Gon
stumm aus.
,,Hech ma! Ra lehn... ra lehn twen! - Kommen! Du lernen werden... viel
4.5. AUFBRUCH
179
du lernen werden!”
Der Mönch legte für sein weit fortgeschrittenes Alter ein ziemliches Tempo
vor. Drei Stunden Fußmarsch und sehr viel Schweiß später sahen sie das
Kloster vor sich. Umgeben von mehreren Dörfern lag es in und um einen
Tafelberg, der offensichtlich auch als Steinbruch diente. Die meisten Räume
der Mönche lagen in den tiefen Stollen des Berges - ein ewig kaltes und
feuchtes Zuhause. Durch das fast völlig dunkle Labyrinth der schroffen Gänge
geleitete der Alte sie zu einer kleinen Kammer, in der zwei Haufen Stroh
lagen. Er lachte wieder lautlos über seine beiden Gäste. ,,Bo ma zjen!”
Hinter ihm fiel die grobe Brettertür in‘s Schloss. Obi-Wan tastete in der
Finsternis nach seinem Meister. ,,Schon gut, Obi-Wan, hier drinnen dürfen
wir reden, wenn wir allein sind... Täusche ich mich, oder gibt es hier vielleicht
doch eine Lampe oder wenigstens eine Kerze?”
Sie fanden keine. Auch ein Versuch, die Tür zu öffnen, um das schwache Flurlicht zur Orientierung zu nutzen, schlug fehl - offensichtlich wurden
Schüler hier wie Gefangene behandelt. Resigniert ließ Obi-Wan sich auf den
Strohhaufen sinken.
,,Euer Geschmack, was Urlaub betrifft, Meister, ist... merkwürdig...”
Qui-Gon antwortete nicht. Was sollte er auch dazu sagen - dass er sich
die falsche Kaste ausgesucht hatte? Dass es eigentlich gar nicht seine Idee
gewesen war, hierher zu kommen? Dass Meister Yoda an allem schuld war?
Er musste selbst lächeln bei dem Gedanken. Wie hatte er diesem... diesem
Alptraum nur zustimmen können?
Der Junge konnte ihn nicht spüren, denn weder er selbst wagte es, die
MACHT zu berühren, noch sein Meister - nicht nach dieser harschen Mahnung des alten Mönchs, das ja nie wieder während ihres Aufenthaltes hier zu
versuchen.
,,Meister? Seid ihr noch hier?”
,,Natürlich Padawan. Ich sitze dir direkt gegenüber auf dem zweiten Haufen Stroh. Wo sollte ich sonst sein?”
Obi-Wan sagte nichts dazu. Denn in der Tat war seine Frage kindisch
gewesen, aber diese Stille, dieses so fragile, kaum noch wahrnehmbare Band
zwischen ihnen, dies und die undurchdringliche Dunkelheit waren ihm nun
unheimlich. Fast war es so, als existiere die Verbindung zu seinem Lehrer
nicht mehr.
,,Was werden wir hier machen?”
,,Ich weiß es nicht ganz genau, aber im Allgemeinen arbeiten die meisten
Mönche die meisten Jahre ihres Lebens in den Steinbrüchen. Einige sind
hervorragende Künstler, aber die meisten sind gewöhnliche Steinmetze. Es
ist eine harte Arbeit, ein sehr hartes Leben, das sie führen. Sie verbringen den
Tag im Berg, die halben Nächte im Gebet, in ihren Tänzen und Gesängen.
180
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Sie kennen nur ein Fest - das des Kreislaufs. In dieser einen Nacht in ihrem
Leben gehören sie nicht ihrem Orden, sondern einer Frau, die ihnen ein Kind
für ihre Gemeinschaft schenken soll.”
Eine Weile schwieg sein junger Schüler, doch dann machte er eine bedeutsame Bemerkung. ,,Sie sind uns in einigen Punkten doch sehr ähnlich, nicht
wahr? Sie weihen ihr Leben einer Sache, die Außenstehende kaum verstehen
werden, sie geben alles auf, um ein hartes Leben zu führen ohne größeren
Lohn, als vielleicht die Erfüllung ihrer Ideale zu erleben!”
Qui-Gon überlegte eine Weile, bevor er antwortete. ,,Das mag so aussehen, Obi-Wan, aber eines darfst du dabei nicht übersehen: Wir Jedi haben
unser Leben gewählt, du und ich besonders als kleine Kinder, auch wenn
uns wohl kaum bewusst war, welch schwierigen Weg wir da gewählt haben!
Alle anderen wählen das Leben als Jedi, weil sie den Orden nicht verlassen bedenke: Jeder Padawan kann, ohne eine Angabe von Gründen, den Tempel
jederzeit verlassen. Auch wenn es nur selten geschieht, es ist uns jederzeit
möglich zu gehen. Diese Chance haben die Tanjara nicht! Sie werden in diesen Orden hineingeboren und sterben darin. Sie können kein anderes Leben
wählen, selbst wenn sie wollten. Das ist ein bedeutender Unterschied zwischen unseren Welten, Obi-Wan!” Er ließ die Worte eine Zeit lang wirken.
,,Ich möchte, dass du darüber nachdenkst, wenn du morgen oder in einem
Monat vielleicht entscheidest, eine andere Kaste zu wählen! Denke daran,
dass dies den normalen Jungen hier niemals möglich sein wird!”
Der Junge senkte den Blick, auch wenn er wusste, dass sein Meister ihn
sowieso nicht sehen konnte. ,,Ich... es tut mir leid, dass es mir hier nicht
gefällt, aber... ich verstehe, Meister.”
Qui-Gon lachte leise. ,,Es war ja auch meine Idee, hier zu bleiben - du
musst deinen eigenen Weg auf Tschiwile gehen!”
,,Wie lange werden wie hier bleiben?”
Sein Meister schwieg wieder für eine ganze Weile. ,,Ich weiß es nicht,
Padawan. Das hängt von vielen Dingen ab...”
Obi-Wan hörte am Tonfall, dass sein Lehrer ihm keine weitere Antwort
geben würde, aber er ahnte nicht, dass Qui-Gon keine Antwort auf diese
Frage hatte. Yoda würde sie zurückrufen - wenn er sicher war, dass sie beide
ihre Lektion gelernt hatten...
4.6
Regelwerke
Obi-Wan stieg aus dem Schienentransporter. Noch nie hatte er sich so einsam
gefühlt... Vor und hinter ihm drängten andere Menschen aus dem Gefährt,
das ihn in den letzten drei Tagen quer über den großen Kontinent gebracht
4.6. REGELWERKE
181
hatte. Bauern mit kleinen Bündeln, Fischer mit Netzballen, reisende Händler,
die sich peinlich bedacht fern von anderen Reisenden hielten. Doch sie alle
schienen froh, wieder hier zu sein.
Er wusste nun sehr viel mehr über diesen Planeten als bei seiner Ankunft
im Tanjara-Kloster. Obwohl er weder die Mönche noch ihr Zuhause mochte,
war er fast zwei Monate bei Qui-Gon geblieben, bis er sich zu einer neuen
Wahl - seiner Wahl - durchgerungen hatte. Den Rest dieses Urlaubes, wie
lang er auch andauern würde, wollte er in einem der Dörfer hier an der
Küste verbringen. Drei Tage war er nun entfernt von seinem Lehrer - doch
es hätten auch drei Lichtjahre sein können.
Qui-Gon war zurückgeblieben, was Obi-Wan nicht im Geringsten verstand. Redlich hatte er sich bemüht, die vielen tausend ungeschriebenen Regeln, die das Leben der Tanjara ordneten, zu erlernen, doch ohne ein Buch,
ohne Worte, nur in das tödliche Schweigen gehüllt, schien es ihm unmöglich
zu sein. Am meisten aber setzte ihm Unerbittlichkeit der Mönche zu. Einmal durch den Alten und seine Handauflegung in den Orden aufgenommen,
trafen die unerfahrenen Jedi die gleichen Strafen wie andere Mitglieder, obwohl sie die Regeln nicht kennen konnten. Qui-Gon schien das nichts auszumachen. Geduldig ließ er sich vom Abendessen ausschließen, ertrug durchwachte Nächte, lag stundenlang in einem eisigkalten Raum ausgestreckt auf
dem Boden oder wiederholte im harschen Wind auf dem Plateau knieend
des nachts Gesänge, deren Worte sie kaum verstanden und deren Bedeutung meistens ebenso im Dunkeln blieben wie der Sinn dieser Strafen und
Auflagen. Tagsüber arbeitete der ältere der beiden Jedi im Steinbruch, wo
Obi-Wan zwar aufgrund seines mathematischen Wissens bald in einer Art
Ingenieursbüro eingesetzt wurde, aber sein Meister oft genug erschöpft über
einem gebrochenem Felsblock zusammensank. Der junge Jedi verstand nicht,
warum Qui-Gon das alles ohne Murren ertrug und nicht ebenfalls den Urlaubsort wechselte.
Er selbst hatte nicht allein gehen wollen, doch die verstreichenden Wochen
machten ihm brutal klar, dass er entweder in dem Kloster wahnsinnig werden
konnte oder er das Wagnis einer Reise allein eingehen musste. Schließlich
beugte er sich dem Vorschlag seines Lehrers und ging eigene Wege.
Nun stand er hier, sein Lichtschwert, Mathebuch und seine warme Robe in
ein kleines Bündel geschnürt unter dem Arm, ansonsten in die Kleider eines
Fischerjungen gehüllt, eine langebeinige, abgewetzte Lederhose und einen
weiten Kapuzenpullover. Er konnte das Meer bereits riechen - ein salziger
Geruch. Verloren sah er sich um.
,,Du Jedi?”
Er fuhr herum. Ein anderer Junge, nur ein odeer zwei Jahre älter als er
selbst, stand hinter ihm. Zögernd nickte Obi-Wan. ,,Ja.”
182
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Der Junge schlug ihm auf die Schulter. ,,Telkom, dritter Sohn des Ersten
der Fischer. Kommen. Leben in erstem Haus! Gefallen, denken!”
Sie gingen eine geflasterte Straße entlang bis zu einem hinter den Deich
geschmiegten kleinen Dorf. Eines der größeren Häuser war ihr Ziel. Das
Fundament war aus grobenSteinen zusammengesetzt, wie sie im Steinbruch
des Klosters als Nebenprodukt anfielen, die Wände bestanden ab Hüfthöhe
aus mit Lehm und Kalk verschmiertem Astflechtwerk. Hohe, windgebeugte Bäume und Hecken schufen einen fast windstillen Innenhof, in dem zwei
Frauen Wäsche über eine lange Leine legten. Sie nickten den beiden Jungen
freundlich zu. Telkom stellte Obi-Wan vor und erklärte ihm, dass dies seine
Mutter und Großmutter seien. Die anderen vier Männe r und drei Frauen
der Familie wären auf See - dort, wo auch sie beide ab morgen beinahe jeden
Tag sein würden. Dann zeigte er Obi-Wan dessen Schlafstelle: Ein einfaches
Bettgestell unter dem Strohdach, doch durch ein rundes Fenster im Giebel
konnte man über das wehende Sumpfkorn rund um das Dorf sehen.
,,Habt ihr öfter Gäste, dass ich ein eigenes Bett habe?”
Ein Schatten fiel über Telkoms Gesicht. Er schüttelte den Kopf. ,,Nein.
Tarjas Bett. Sie... sie tot. Keine Fragen stellen den anderen, bitte! Nicht reden
über Tote, nur trauern - Regel!”
Der junge Jedi nickte.
Telkom zeigte ihm rasch den Rest des Hofes und erklärte ihm, wie er sich
beim Abendtisch verhalten solle. Obi-Wan erkannte einige der Regeln wieder.
Auch die Fischer und Sumpflandbauern lebten nach dem uralten Code der
Tschiwili, aber hier wurde ihm wenigstens erklärt, was er nicht wissen konnte
- auch wenn diese Menschen an sich nicht viel zu reden schienen.
Der Großvater betrat als letzter den großen Raum im Erdgeschoss und
setzte sich im Schneidersitz an das eine Kopfende der niedrigen Tafel. Alle
anderen Familienmitglieder traten heran, verneigten sich dann vor ihm, setzten sich erst danach. Eine Schüssel mit Sumpfkörnern wurde herumgereicht.
Alle nahmen eine Handvoll der klebrigen Masse und rollten kleine Kugeln davon, reichten jeweils eine zurück an den Hausherrn. Geschickt und unauffällig
zeigte Telkom Obi-Wan, wie das ging. Auch der Jedi reichte seine schönste
Kugel schließlich weiter.
Der Alte nickte ihm zu, aß zuerst die Kugel des neuen Hausmitgliedes.
Die ganze Mahlzeit verlief schweigend. Am Ende erhob sich die Großmutter als erste und hob damit die Gemeinschaft auf. Alle brachten ihre einfachen
Holzschalen in den Hof, wo Telkom sie in einen großen Eimer stapelte. Er
zog Obi-Wan mit sich. ,,Ab morgen dies Aufgabe!” Er zeigte auf die Brust
des fremden Jungen. Dann liefen sie über den hohen Deich.
Fasziniert blieb der junge Jedi auf der Krone stehen. Er sah das erste
Mal das Meer so nah. Salziger Wind strich durch seinen Bürstenhaarschnitt.
4.6. REGELWERKE
183
Unten am Deichfuß begann ein breiter Sand- und Kiesstreifen. Telkom lief
darüber zu einer Grube, säuberte dort im sich sammelnden Meerwasser die
Schüsseln, rieb sie mit Sand trocken. Obi-Wan half ihm, starrte aber immer
wieder über die wilde, mit Schaumkrönchen überzogene See. Purpurfarben
ging die Sonne über dem grünen Wasser unter. Alles drängte ihn, hier zu
warten, bis der Stern gänzlich hinter dem Horizont verschwunden war. Doch
Telkom zog ihn zurück. ,,Kommen - niemals bleiben nachts draußen - Regel!”
Resigniert sammelte Obi-Wan die letzten Teller ein und folgte seinem
Freund über den Deich, aber nicht, ohne noch einen sehnsüchtigen Blick
über das Meer zu werfen.
Die nächsten beiden Tage verbrachten die beiden Jungenauf den Booten der Familie. Bis auf die Großmutter, die die kleinsten Kinder betreute,
und Telkoms Mutter, deren rechtes Knie seit einem Sturz auf den glitschigen
Planken steif war, mussten alle Mitglieder des Hauses helfen. Netzte mussten
geknüpft, gereinigt, ausgebssert werden, Fische zum Trocknen auf Leinen
gezogen, Muscheln gekocht, Algen sortiert, Treibgut gesichtet werden. Das
Ganze geschah in mieste Zeit schweigend, nur von kurzen, harten Befehlen
durchbrochen, aber manchmal stimmte der Großvater von seinem Platz unter dem Hauptmast aus eine traurige Weise an, in die die anderen Männer
und Frauen nach und nach einfielen. Telkom schlich sich an Obi-Wan heran.
,,Tarja - das Trauer um Tarja!”
Am späten Nachmittag kamen sie erst zurück. Jetzt musste der Fang noch
geborgen, die Netze zum Trocknen aufgespannt werden. Und dann flüchteten
bereits alle Fischer der Siedlung über den Deich zurück in das sichere Dorf.
Diese Menschen fürchteten die Dunkelheit. Auch ohne die Hilfe der MACHT
konnte Obi-Wan dies deutlich spüren. Aber er wusste nicht, wovor sie Angst
hatten. Und eines hatte er bereits gelernt: Fragen hörten die Tschiwili nicht
gern.
Einen Tag hatte jedes Familienmitglied im Wechsel frei. Nur Obi-Wan
und Telkom durften zusammen der Arbeit fern bleiben. Zuerst erkundeten
sie das Dorf. Telkoms Vater nannte sich nicht umsonst Erster der Fischer. Er
besaß die besten Boote und das größte Haus, kannte die besten Fischgründe,
wie sein Sohn dem Jedi versicherte. Händler kamen einmal im Monat in das
Dorf und kauften den Fang und die anderen Waren der Dorfbewohner auf.
Niemand aus den Fischer- und Bauernfamilien unterhielt sich mit ihnen außer
den Clanoberhäuptern, die die Geschäfte machten - und selbst da blieben die
Gespräche meist auf ein paar Zeichen und noch weniger Worte beschränkt.
Der Code untersagte Kontakte zu einem anderen Stand fast völlig.
,,Jeder seinen Platz!” erklärte es Telkom ihm, doch er brauchte noch
weniger Worte dafür. Wie immer nickte Obi-Wan nachdenklich. Das ganze
Regular der Fischer und Bauern ergab ein komplexes System, welches ihr
184
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
gesamtes Leben umspannte. Von der Geburt bis zu ihrem Tod waren alle
Belange festgesetzt und gaben den Erwachsenen eine Welt der Harmoie und
Sicherheit. Welch ein Unterschied zu Qui-Gons Lehre, dass ein Jedi sich auf
nichts wirklich verlassen könne in seinen Missionen - bis auf denUmstand,
dass alles sich verändere, jederzeit... There‘s nothing steady just the change.
In der Mitte des Handelsplatzes stand ein mannshoher Pfahl. Telkom sah
ihn nie an, stets wandte er den Blick zur Seite, ging nie quer über den Platz,
immer am Häuserrand drumherum, wenn sie das Dorf durchliefen. Als ObiWan die ihm logisch erscheinende Abkürzungen wählen wollte, zerrte Telkom
ihn zurück. Entgeistert starrte er den Jedi an. ,,Nein! Kommen hier lang.”
Obi-Wan runzelte die Stirn. ,,Warum? Das ist doch ein Umweg!”
,,Umweg? Umweg, wenn vermeiden Tod?”
Er schüttelte den Kopf. ,,Ich werde bestimmt nicht sterben, wenn ich quer
über diesen Platz gehe!”
Telkom öffnete denMund, schloss ihn dann wieder, wollte ihn weiterziehen. Doch Obi-Wan wehrte sich. Entschlossen ging er ein paar Schritte auf
den Pfahl zu. Die Stimme seines Freundes gellte über den Platz.
,,Nein!” Er riss ihn um, keuchend hielt er ihn am Boden fest. ,,Nicht
gehen! Regel! Sterben, wenn brechen!”
Obi-Wan blieb entsetzt liegen. Er war nicht sicher, ob er das richtig verstanden hatte. ,,Du meinst, wer über denPlatz läuft, wird getötet?”
Telkom stand langsam auf, zog Obi-Wan auf die Füße und schob ihn
hastig wieder an den Rand, nickte erleichtert, dass Obi-Wan verstand. ,,Regeln brechen, hier sterben am Pfahl - über Platz gehen vogelfrei. Sich stellen
außerhalb des Codes! Kein Leben geben außerhalb des Codes.”
Der junge Jedi stützte sich am nächstbesten Haus ab, starrte zu dem
Pfahl hinüber. Er schluckte, als er an die vielen, heimlichen Spaziergänge
dachte, die er nachts am Strand unternommen hatte, nachdem er sich leise
aus demHaus geschlichen hatte. Offensichtlich hatte er jedes einzelne Mal
mit seinem Leben gespielt. ,,Gilt das auch für Kinder und Jugendliche?”
Telkom nickte. ,,Wenn Initiation vobei, ja. Seit Wintersturm offiziell Mann”
Er deutete auf sich selbst - und dann auf seinen Freuns ,,Bald auch! Lernen
schnell Regeln!”
Er grinste breit, als hätte er nur einen Scherz gemacht. Am westlichen
Ausgang des Platzes drehte sich Obi-Wan noch einmal um, starrte den Pfahl
wiederholt an. Die brennende Frage lag auf seiner Zunge, was mit ihm geschehen würde, sollte er nach der Initiation noch eine winzige der umfangreichen
Regeln brechen. Doch die Tschiwili mochten keine Fragen, Telkom war da
keine Ausnahme. Und er wollte, wenn er ehrlich war, gar nicht wissen, was
ihn hier gegebenenfalls erwarten würde...
Der Sommer neigte sich an der Küste des Kontinents dem Ende entgegen.
4.6. REGELWERKE
185
Die Sumpfhirse wehte reif im ewigen Wind, in den Bäumen, die den Hof des
ersten Fischers umgaben, leuchteten verschiedene Fruchtsorten, die letzten
Fischströme waren nach Norden weitergezogen, der warmen Meeresströmung
und den Algen folgend - die Boote wurden hinter den Deich gezogen, überholt
und wetterfest verpackt vor den Winterstürmen.
Dann - bereits in den immer kürzer werdenden Tagen - begann die Hirseernte. Von Sonnenaufgang bis –untergang war das ganze Dorf auf den Feldern. Mit altertümlichen Sicheln schnitten alle das hohe Getreide. Obi-Wan
hätte sich beinahe böse in den Arm geschnitten, bevor er die Technik perfekt
erlernt hatte.
Rotglühend verschwand die Sonne hinter dem Deich, Obi-Wan blickte
schwitzend auf und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel trocken. Dann
hielt er überrumpelt inne.
Fast ein dreiviertel Jahr hatte er die MACHT nicht mehr gespürt - er hatte die Warnung des Mönchs nicht vergessen. Obwohl es ihm am Anfang so
unendlich schwer fiel, hatte er es doch geschafft, SIE nicht mehr zu berühren,
das Band zu Qui-Gon nicht zu nutzen, auch wenn ihn dies plötzlich so unendlich einsam machte auf dieser Welt. Doch dieses Mal kam SIE zu ihm.
Nichts in seinem Leben im Tempel hatte ihn darauf vorbereitet. Wie eine eisige Welle überspülte SIE ihn. Er fuhr herum, im gleichen Augenblick liefen
die ersten Menschen schreiend an ihm vorbei in Richtung des Dorfes. ObiWan spürte ihre Panik und Angst, aber er konnte nicht ausmachen, wovor sie
alle wegliefen. Dann hörte er aus der Dämmerung am nächsten Waldrand ein
düsteres Brüllen. Alle Sinne geschärft starrte er weiter hinüber. Irgendetwas
bewegte sich im Schatten der wingebeugten Bäume. Er schätzte, dass es ein
Tier war.
Dann riss Telkom ihn beinahe um. ,,Hech ma!! Kommen!! Ocsis!” Er
wollte den jungen Jedi mit sich zerren, doch Obi-Wan blieb wie ein Fels
stehen, die MACHT hielt ihn auf. Instinktiv griff er unter seinen weiten
Pullover in den Hosenbund, zog sein Lichtschwert hervor. Telkom starrte den
Metallgriff verwirrt an. Die Neugier besiegte die Angst für einen Augenblick.
,,Was?”
Obi-Wan deckte seinen Freund und wartete auf das seltsame Wesen. ,,Keine Angst, Telkom, es ist nur mein Laserschwert, die Waffe eines Jedi-Ritters.”
Das Tier kam langsam näher. Die letzten Mitglieder aus Telkoms Familie
hasteten an ihnen vorbei, rissen den Jungen mit, doch Obi-Wan blieb zurück,
zündete die Klinge. Er hörte den Ruf seines Freundes kaum. ,,Nein. Regel:
Fischer nicht kämpfen, Obi-Wan...”
Der Ocsis war ein Raubtier. Lange, sehnige Beine trugen einen eher mageren Körper, die großen Augen wiesen auf die Nachtaktivität der Riesenkatze
hin. Deshalb also verließen die Fischer und Sumpfbauern in der Dunkel-
186
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
heit niemals ihre sicheren Häusern. In wenigen geschmeidigen Sätzen hatte
das Tier den Padawan erreicht. Obi-Wan griff instinktiv in die Wellen der
MACHT, die ihn umgaben, versuchte, das Wesen so zur Umkehr zu bewegen,
doch er hatte noch viel zu wenig Erfahrung, um einen derart unstrukturierten Geist gezielt berühren zu können. Er erreichte nur, dass der Ocsis ihn
ansprang. Keine Sekunde zu früh erschütterte die dem Angriff vorauslaufende Welle der MACHT den Jungen, er duckte sich unter den Krallen weg,
stieß seine Klinge nach oben - zischend dberührte das Licht den Bauch des
Raubtieres. Der Ocsis heulte auf, wandte sich um und wollte sich trotz der
schweren Verletzung auf den Menschen stürzen. Obi-Wan jedoch schlug mit
seinem Schwert quer über den massigen Kopf des Tieres. Trotzdem erwischte
ihn eine der krallenbewehrten Pranken am rechten Unterarm. Er schrie vor
Schmerz...
Qui-Gon fuhr aus seinem unruhigen Schlaf auf.
Einen Augenblick war desorientiert in der völligen Finsternis um sich herum, doch dann begriff er. Nicht ein Schrei in dieser Welt hatte ihn geweckt
- ein Jedi rief in der MACHT um Hilfe... Doch auf Tschiwile sollte es nur
einen anderen Angehörigen seines Ordens geben: Obi-Wan. Qui-Gon erhob
sich und ging ruhelos in seiner kleinen Zelle auf und ab. Derweil kannte er
den kalten, finsteren Raum so genau, dass er ohne sich zu verletzten darin
wandeln konnte. Er wusste, dass es keinen Sinn machte, gegen die schwere
Tür zu hämmern. Niemand würde ihm öffnen. Und wie sollte er den Mönchen
erklären, noch dazu ohne Worte, dass nicht er die MACHT genutzt hatte,
sondern DIESE ihn rief? Doch er war sich auch der Unsinnigkeit seiner Wanderung im Dunklen bewusst. Er ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte
seinem Padawan nicht helfen, auch nicht, indem er hier stundenlang auf und
ab lief. Die Regeln der Mönche bandenauch ihn.
Zähneknirschend widerstand er der Vesuchung, sich in die MACHT gleiten zu lassen, um herauszufinden, was mit Obi-Wan geschah. Er hatte keine
Angst vor der darauf unweigerlich folgenden Strafe - man konnte jede Strafe ertragen, wenn man ihr in‘s Gesicht sah und sie akzeptierte -, er wollte
einfach nicht mutwillig eine der vielen Regeln brechen.
Er war sich bewusst, dass er einfach nur etwas beweisen wollte. Er wollte
sich und Yoda beweisen, dass er sich einem Codex unterordnen konnte - egal
wie unsinnig dieser auch war. Er würde sich solange demütigen lassen, bis er
die Initiation erreicht hatte. Und dann würde er einfach nach Hause gehen.
Er würde Yoda in die Augen sehen und irgendwann einmal mehr mit ihm
über den Codex der Jedi streiten - doch dieses Mal dann in dem Bewusstsein,
dass er wusste, was es bedeutete, einem Code bedingungslos zu folgen, die
eigene Persönlichkeit aufzugeben, sich zu beugen, egal, wie hoch der Preis
dafür war.
4.6. REGELWERKE
187
Doch nun übefielen ihn Zweifel.
Was war, wenn der Preis Obi-Wans Leben war?
Qui-Gon war sich sicher, dass ihn ein Hilferuf seines Padawan aus dem
Schlaf gerissen hatte. Und wenn der Junge so deutlich über die MACHT zu
ihm durchdringen konnte, hieß das, dass er entweder noch größere Fähigkeiten besaß, als Qui-Gon sie bislang schon erkannt hatte, oder dass er in großer
Gefahr schwebte, womöglicher in tödlicher Gefahr.
Noch immer pulsierte das Trainigsband zwischen ihnen, doch so schwach,
dass Qui-Gon nicht einmal erahnen konnte, wie es um seinen Padawan stand.
Wenn das Band zerfaserte, weil der Junge starb, dann würde es zu spät sein,
um ihm zu Hilfe zu eilen. Der Jedi-Meister tastete unter das zerlegene Stroh
und fühlte schließlich den Griff seines Lichtschwerts unter seinen Fingern. Er
presste das schlichte Metallrohr an sich. Dann lehnte er sich gegen die kalte
und feuchte Steinwand hinter sich, schloss die Augen und konzentrierte sich
auf das schwache Band zu seinem Schüler.
Beim ersten Zeichen von weiterer Gefahr oder gar Tod würde er die Klinge
zünden und diese Tür in Stücke schneiden. Egal, was der Codex der Mönche
dazu sagte.
Das Leben seines Padawan zählte mehr als der Versuch, sich selbst etwas
zu beweisen!
Der Schmerz lenkte Obi-Wan für mehrere Sekunden ab.
Heftig atmend griff er nach dem Unterarm, sah durch den zerrissenen
Stoff des Pullovers blutige Hautfetzen. Fast hätte er das letzte Aufbäumen
des sterbenden Ocsis nicht rechtzeitig genug bemerkt und wäre unter einem
zweiten, letzten Hieb begraben worden. Doch die MACHT ließ ihn nicht im
Stich. Er wirbelte einmal um die eigene Achse, fasste mit beiden Händen
nach seinem Schwertgriff und trennte den Kopf des Tieres von den massigen
Schultern.
Keuchend deaktivierte er die Klinge, lauschte zum Waldrand - vielleicht
jagten Ocsis‘ nicht allein? Doch dort rührte sich nichts. Erleichtert holte
er noch einmal tief Luft. In der immer schneller aufkommenden Dunkelheit
konnte er den toten Ocsis bald kaum mehr erkennen. Er wandte sich um,
sah hinüber zum Dorf. Niemanden konnte er sehen. Langsam, den Stoff des
Pullover über die tiefen Kratzer im Unterarm pressend, ging er zurück zu
den geduckten Häusern.
Auf der Schwelle saß Telkom, die Tür hinter sich nur angelehnt. Als er
Obi-Wan zwischen den Hecken hervortreten sah, seufzte er erleichtert.
,,Hech ma! Nicht kämpfen - sehr weise!”
Der junge Jedi erstarrte. Er sah Telkom ernst an. ,,Ich habe gekämpft!”
Der Tschiwili erstarrte ebenfalls und riss die Augen auf. ,,Und ich habe den
Ocsis getötet. Er liegt mitten auf dem Feld... Wir sind nun sicher!”
188
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Telkom zog ihn ein paar Schritte fort von der offenen Tür. Er senkt die
Stimme. Immer wieder sah er sich hastig um. ,,Fischer nicht kämpfen - Regel!” Verzweiflung klang in den Worten mit. Er hielt Obi-Wan an dessen
Schultern fest. ,,Fischer nicht gegen Ocsis kämpfen, wichtige Regel, ObiWan!”
,,Ja...” Er wollte nicht zustimmen, aber was sollte er anderes sagen? Diese
Welt kannte kein Nein gegenüber ihrem Codex. Aber auch ohne die MACHT
hätte er den Ocsis getötet, dessen war er sich völlig sicher. Die MACHT hatte
ihn daran gehindert, einfach der wilden Flucht zu folgen, doch er spürte auch
jetzt, ohne die Verbindung zu IHR, dass es richtig gewesen war, das Dorf und
seine Bewohner vor dem Raubtier zu beschützen. Und doch widersprach es
dem Codex der Tschiwili. Obi-Wan versuchte das Knäuel aus widerstrebenden Gedanken in seinem Kopf zu entwirren. Doch er fand den Ausweg nicht.
Er senkte schuldbewusst den Blick vor Telkom.
Der junge Fischer seufzte.
,,Hech ma, Obi-Wan, Verband brauchen. Mich reden lassen vor Hausvater!
Ich erlären, was passieren draußen!”
Telkom schleuste seinen Freund in die vergleichsweise winzige Küchennische. Dort goss der junge Fischer Wasser über ein Tuch, und Obi-Wan wusch
die drei tiefen Striemen aus. Die Großmutter schlurfte hinter ihnen her und
besah sich die schmerzenden Wunden.
,,Ocsis...?”
Fragend sah sie ihn an, Qui-Gons Padawan nickte still. Sie runzelte die
Stirn und schüttelte dann den Kopf. Schweigend holte sie eine rostrote Salbe
und verteilte eine Handvoll davon auf Obi-Wans Unterarm. Der Junge verzog
das Gesicht. Die alte Frau verband die Wunde fachgerecht. Dann strich sie
ihm vorsichtig durch die Haare. ,,Tapfer gewesen, tapfer nun sein...”
Sie gingen zurück in den Hauptraum. Am Kopfende des Hauses saß das
greise Familienoberhaupt und sah sie beide durchdringend an. Langsam gingen die beiden Freunde zu Telkoms Großvater hinüber. Der junge Fischer
berichtet in knappen Worten, was sein Freund getan hatte. Der alte Mann
musterte den Jedi eingehend.
,,Wissen was Strafe für Regelbruch?”
Obi-Wan blickte kurz zu Boden, dann sah er den Konsequenzen in‘s Gesicht. ,,Ja... der Pfahl...” Seine Lippen zitterten. Was immer ihn dort erwartete, er wusste es nicht genau, und das machte ihm mehr Angst als der
mögliche Tod...
Telkoms Großvater sah in den hellen Augen des Jungen, dass dieser sich
wirklich bewusst war, was er getan hatte. Er nickte knapp - doch seine Antwort fiel anders aus, als Obi-Wan befürchtet hatte.
,,Nicht wissen, Fischer nicht kämpfen?”
4.6. REGELWERKE
189
Er wusste nicht genau, was er antworten sollte. Telkom hatte es ihm
vor dem Kampf gesagt, aber er hatte es ignoriert. Er hatte vor demKampf
gewusst, dass er eine Regel brach, wenn er den Ocsis tötete. ,,Telkom sagte
es mir, als ich das Schwert schon gezogen hatte...”
Der Alte musterte ihn noch einmal, dann streckte er die rechte Hand aus.
Obi-Wan legte seine Waffe vorsichtig hinein, das Familienoberhaupt betrachtete sie gründlich und lange mit halb gesenkten Lidern. ,,Jedi... Jedi kämpfen
oft?”
Obi-Wan sah ihn aufrichtig an. ,,Viel öfter, als uns lieb ist. Aber eigentlich
vermeiden wir es.”
,,Warum gekämpft heute? Vermeiden möglich gewesen!”
,,Menschenleben waren in Gefahr - in solchen Fällen gebietet unser Codex
uns, diese zu verteidgen! Nichts steht höher als das Leben...”
Wieder kniff der Alte die Augen zusammen. ,,Nur ein Leben in Gefahr
gewesen, weil in Gefahr gebracht durch Regelbruch.” Er deutete auch ObiWans Brust.
Der junge Jedi schüttelte energisch den Kopf. ,,Nein! Ihr alle wart ebenso
in Gefahr. Wer weiß, wen der Ocsis noch angefallen hätte. E s hätte viele
Tote hier geben können - und wenn nicht heute, dann beim nächsten Mal!”
Die Lippen des Alten bildeten nur noch einen dünnen Strich. Obi-Wan
spürte instinktiv, dass er zu weit gegangen war. Der eisige und harte Tonfall
bestätigte seine Einschätzung. ,,Urteil du nicht fällen! Urteil über Regeln
nie wieder fällen!” Er machte eine lange Pause. ,,Nun wissen, Fischer nicht
kämpfen. Regel bewahren, Obi-Wan, oder gehen!”
Er sah den jungen Jedi durchdringend an, bis dieser zögernd nickte und
dann zu Boden blickte. Der Alte nickte nachdenklich. Dann erhob er sich,
legte den Metallgriff auf das höchste Bord an der langen Wand der Hütte.
Qui-Gons Padawan verstand die Geste.
Sein Codex galt hier nicht...
Die beiden Freunde saßen am nächsten freien Nachmittag auf der Deichkrone und schauten über das schäumende Meer. Der erste anbrechende Wintersturm ließ sie zittern, aber hier konnten sie wenisgtens ungestört reden.
Hier gab es keine Ohren, die gespitzt ihren Fragen, Sorgen und Antworten
lauschten.
Obi-Wan konnte seine Neugier nicht länger zügeln.
,,Warum kämpft ihr nicht?”
Telkom starrte über das dunkle Meer. Er zuckte mit den Schultern. ,,Tschenjas kämpfen, kommen zu jagen die Ocsis jedes Frühjahr - Regel!”
Der junge Jedi zog seine Robe enger um sich. Wenigstens sie durfte er
nun in der kühleren Jahreszeit tragen. ,,Es gibt also Berufsjäger?” Telkom
190
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
nickte. ,,Aber warum habt ihr dann solche Angst, in der Dunkelheit das Haus
zu verlassen?”
,,Ocsis nachts jagen. Manche kommen in Dörfer!”
,,Auch wenn die Jäger sie jagen?”
Telkom zuckte mit den Schultern. ,,Meistens nur Herbst und Winter. Denken Hunger.”
Obi-Wan verstand es immer noch nicht. ,,Aber warum sind die Jäger dann
nicht immer hier?”
,,Nicht wissen. Tschenjas nur im Frühling jagen - Regel!”
,,Na gut, aber warum wehrt ihr euch dann nicht? Warum erschlagt ihr
diese Biester nicht selbst mit euren Fischerstangen, wenn die Tschenja nicht
hier sind?”
Telkom sah ihn mit großen Augen an. ,,Fischer nicht jagen - Regel!”
Obi-Wan starrte zurück. ,,Aber warum denn nicht!?”
Sein Freund lächelte verzerrt. ,,Kein Warum, Obi-Wan. Einfach Regel!”
Der junge Jedi fröstelte, und das nicht nur wegen des heftigen und kalten
Windes, und umklammerte seine angewinkelten Beine. ,,Aber diese Regel
ist unsinnig - sie kostet so viele von euch das Leben! Warum ändert ihr sie
nicht?”
Überraschung zeigte sich auf Telkoms Zügen. ,,Regel ändern?”
Obi-Wan nickte. ,,Ja, Regeln kann man ändern...”
Sein Freund schüttelte ungläubig den Kopf. ,,Nein. Lieber sterben, als
Regel ändern...” Er stand auf und wandte sich zum Gehen. ,,Wenn Zeit zu
sterben, sterben - Regel!”
Obi-Wan schloss die Augen, senkte die Stirn auf seine Knie. Ihm war
entsetzlich kalt, aber er wollte noch einige Zeit allein über das Geschehene
nachdenken.
Telkoms Antworten führten Obi-Wanletztendlich zu einer weiteren Erkenntnis:
Diese Welt kannte nicht nur kein Nein gegenüber ihrem Codex, sie kannte
nicht einmal ein Aber...
Wenig später lag der junge Jedi auf seinem Bett, presste das dünne Kissen
gegen seine Brust und starrte gegen das Strohdach, beobachtete das Lichtspiel, welches die drei Frühwintermonde durch das Giebelfenster dorthin zauerten, lauschte dem Rauschen des Meeres. Er hatte bislang diese Zeit immer
geliebt, wie oft war er aufgestanden, um das Meer zu besuchen... doch das
war nicht weniger schlimm, als das, was er auf dem Feld getan hatte. Aber
beide Male hatte er nicht das Gefühl gehabt, eine Regel zu brechen. Eine tiefe
Unsicherheit ergriff ihn. Im Tempel hatten Regeln immer einen Sinn ergeben,
er hatte sich im komplizerten Flechtwerk des jahrtausende alten Codex der
Jedi immer geborgen, sicher, gerecht behandelt gefühlt - er verstand den Sinn
4.7. LEKTIONEN
191
der Verflichtungen, der vielen Verbote und Anweisungen. Doch hier hinterließ das System an Geboten in ihm nur Verwirrung, Unzufriedenheit, ja fast
schon Ärger.
Obi-Wan seufzte lautlos. Er wünschte, sein Meister wäre jetzt hier - oder
er könnte es wenigstens wagen, zu meditieren. Qui-Gon könnte ihm bestimmt
erklären, was er nicht durchschaute.
Doch tief in sich kannte Obi-Wan die Antwort seines Lehrers bereits...
4.7
Lektionen
Die Wintermonate bildeten eine bizarre Ruheperiode im Leben der Fischer.
Einerseits gab es nur wenig zu tun, andererseits ging man sich geflissentlich
aus dem Wege, um es nicht zu ernstem Streit in den engen Wohnbereichen
kommen zu lassen. Viele der Dorfbewohner unternahmen weite Spaziergänge
über die braunen Felder oder am Starnd entlang, meist zu zweit, auf denen die
Regeln wiederholt und erklärt wurden, soweit es zu Konfliktfällen im Laufe
des Sommers gekommen war. Der Großvater lehrte die Enkel und auch noch
seine Söhne, die Großmutter die weiblichen Familienmitglieder. Und ObiWan war wie selbstverständlich ein Teil der Gruppe. Niemand schien nach
ein paar Tagen mehr an seine eklatante Verletzung der Regeln zu denken
oder sie ihm vorzuhalten.
Zuerst hatte ihm diese Haltung der Tschiwili gefallen, doch je länger er
allein mit seinem inneren Konflikt war, desto beunruhigender fand er die
Situaton. Sie alle, vom Famlienoberhaupt bis zu Telkom, schienen einfach
anzunehmen, er habe sich ihrem Code nun endgültig untergeordnet, er habe
diese Lektion ein für alle Mal gelernt. Obi-Wan war sich da nicht so sicher...
Je länger er hier lebte, desto mehr unsinnige Regeln entdeckte er: Warum
etwa bestimmte der Großvater bis zu seinem Tod über das gesamte Leben und Sterben - seiner Familie, warum durften die erwachsenen Mitglieder des
Hauses ihre Entscheidungen nicht selbst fällen? Jede Nacht stand Qui-Gons
Padawan leise auf, setzte sich in das runde Giebelfenster und starrte über die
abgeernteten Felder oder zum Deich. Jede Nacht grübelte er über den Code
der Tschiwili nach - aber er wusste, dass er sich unterordnen musste. Nicht
nur, weil dies eine Grundlage seines ,,Urlaubs” hier war, sondern weil er als
Jedi auch die Gesetze eines jeden Volkes zu akzeptieren hatte: Nur, wenn
man ihn um Hilfe bat, wenn jemand sich selbst verändern wollte, durfte er
seine Sichtweise der Dinge, die Sichtweise der Jedi einbringen. Er wusste,
er konnte einfach gehen, vielleicht als Helfer eines der fahrenden Händler,
die ab und an in‘s Dorf kamen. Aber er wusste auch, dass er damit nur vor
dem eigentlichen Problem fortlief. Denn dieser Code würde ihn weiterhin
192
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
verfolgen, und solange er noch auf diesem Planeten verweilte, würde er sich
unterordnen müssen. Auf die eine oder andere Weise...
Jemand legte eine Hand auf seine linke Schulter.
Obi-Wan fuhr herum.
Hinter ihm stand Telkom, vollständig angekleidet. Über dem linken Arm
lagen Obi-Wans Pullover und seine Hose. Schweigend bedeutete er dem Jedi
sich anzukleiden. Ohne einen Laut zu verursachen, schlichen sie sich aus dem
Haus. Hinter der Scheune, zwischen den kahlen Obstbäumen und der dichten
Hecke zu den Feldern, blieb Telkom stehen. Er flüsterte nur.
,,Lange nachgedacht - vielleicht recht haben, Jedi!” Obi-Wan verstand
nicht sofort. Telkom sah ihn ernst an. ,,Zeigen, wie kämpfen. Entschieden zu
schützen Familie in Herbst und Winter!”
Obi-Wan zögerte. Telkom berührte ihn wiederholt. ,,Nicht fürchten: ObiWan keine Regel brechen, noch nicht vollzogen die Initiation.”
,,Aber du würdest eine Regel brechen - und wer weiß, was dein Großvater
tun wird, wenn er es herausfindet!”
Telkom lächelte ganz leicht, das dreifache Mondlicht schimmerte auf seinen kantigen Gesichtszügen. ,,Er nicht erfahren - vertrauen mir!”
Fast jede Nacht schlichen die beiden Jungen sich von nun an aus dem
Haus und in den Obstgarten. Am Strand hatte Obi-Wan ihnen aus dem in
den Winterstürmen angespülten Treibgut zwei lange, kräftige Stöcke gesucht
und zurechtgehauen. Mit ihnen trainierten sie nun stundenlang. Telkom war
dabei ein guter Schüler. Er war durch die Arbeit auf den Booten und Feldern
kräftig gebaut, und als Fischer hatte er auch hervorragende Reflexe. Und
waren die Tschiwili auch keine Jedi - die MACHT spürten sie, wenn auch
nicht so deutlich wie Obi-Wan. Qui-Gons Padawan konnte Telkom nicht sehr
viel über das geheimnisvolle Kraftfeld zwischen allen Dingen des Universums
beibringen - er war ja selbst noch ein Schüler und noch lange nicht genügend
vertraut mit der MACHT, um ein Lehrer zu sein -, aber er war durch Qui-Gon
und Yoda‘s Unterricht schon ein beachtlicher Fechter geworden.
Das Frühjahr kündigte sich mit dem Erscheinen des vierten Mondes über
dem Horizont von Tschiwile an. Zuerst wurden die Felder bestellt, dann liefen
auch die Boote wieder aus - und trotzdem fanden die beiden Jungen noch
Zeit, ihre Fechtübungen im Geheimen fortzuführen.
Drei Nächte kniete Qui-Gon nun bereits in der kalten und feuchten Grotte, wiederholte die ihm nun in Fleisch und Blut übergegangenen Verse und
starrte auf die rot-blauen Ornamente, die Boden und Wände des Heiligtumes
verzierten.
Er hatte nicht das Gefühl, Fortschritte zu machen. Einige andere Gäste,
die nach ihm in das Kloster gekommen waren, hatten derweil das Ritual
der Initiation hinter sich gelassen, aber Qui-Gon war noch nicht einmal auf-
4.7. LEKTIONEN
193
gefordert worden, sich darauf vorzubereiten. Er fühlte sich wie der letzte
Versager... Was auch immer er lernen sollte, bevor die Mönche ihn wirklich
als einen der ihren akzeptierten, er war sich nicht einmal mehr sicher, dass
er es überhaupt lernen konnte.
Auf einem dreibeinigen Ständer saß eine flache Schale, in der exotisches
Öl brannte. Der Duft vernebelte die Sinne. Qui-Gon hatte schreckliche Kopfschmerzen. Er hasste dieses Räucherwerk, trotzdem bat er jedesmal darum,
bevor er sich hier niederließ, denn es gehörte zu diesem täglichen Ritual eines
jeden Initiaten. Doch auch nach einem Dreivierteljahr hatte er keine Ahnung,
wozu dieser Duft eigentlich gut war.
Resigniert fragte er sich, ob er es überhaupt noch wissen wollte.
Er starrte in die flackernde Flamme.
Müde sank er in sich zusammen und gab die streng festgelegte Haltung
auf. Er holte tief Luft und erhob sich. Langsam und steif schritt er auf das
Dreibein zu. Er hielt eine Hand in die lodernde Flamme, solange, bis der
brennende Schmerz ihm die Tränen in die Augen trieb. Er schüttelte den
Kopf. Warum konnte er so einfach einen Grund nennen, weshalb er sich selbst
mutwillig verbrannte - nämlich weil er spüren wollte, dass er überhaupt noch
fühlte und eigene Entscheidungen trffen konnte -, aber warum erkannte er
den Sinn hinter dem Code der Tschiwili nicht?
Sein Gedanken drehten sich im Kreis und das seit mehreren Wochen.
Dabei kannte er die Antwort bereits.
Dieser ganze Code war sinnlos - zumindest für ihn - und das hatte er von
Anfang an gewusst. Er hatte mehrere ausführliche Berichte anderer Jedi über
Tschiwile gelesen, er hatte das Regelwerk zwar nicht gekannt, bevor er auch
nur einen Fuß in das Kloster gesetzt hatte, aber die Sinnlosigkeit des Systems
hatten viele Besucher des Planeten vor ihm beschrieben. Warum ärgerte es
ihn dann so? Warum konnte er sich trotz aller Vorsätze nicht damit abfinden?
Warum suchte er noch immer jede Nacht auf seinem harten Lager nach einem
tieferen Sinn hinter dem komplexen Regelsystem der Tanjara-Mönche?!
Seine verbrannte Haut warf kleine Bläschen. Qui-Gon wusste warum. Es
gab einen Grund für dieses Phänomen. Deshalb konnte er den Schmerz auf
dem Handrücken akzeptieren. Ernüchtert schloss er seine Augen. Er erkannte,
dass er sich selbst betrog, seit Monaten schon. Er spielte Theater, er beugte
sich nur scheinbar dem Code der Tanjara. Innerlich lehnte er das Regelwerk
ab, genauso, wie er viele Teile seines eigenen Codex ablehnte und mit seinen Hinweisen auf die tiefer reichenden Grundsätzen der Jedi und der sehr
subjektiven Entschuldigung ,,Es war der Wille der MACHT” hinwegfegte.
Die Mönche mochten ihn durchschaut haben, vielleicht schon, bevor er überhaupt das Kloster betreten hatte. Er erinnerte sich genau an das Lächeln des
Alten, der ihn damals im Raumhafen abgeholt hatte.
194
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Er würde nie die Initiation erreichen.
Er hatte versagt.
Diese Lektion würde er nie lernen - auch nicht in tausend Jahren.
Was immer Yoda ihm hatte hier beibringen wollen, er hatte es nicht
verstanden.
Qui-Gon streifte das leuchtend blaue Gewand über den Kopf und legte
es rituell - aber nach Art der Jedi und nicht nach Art der Tanjara - zusammen. Dann löschte er das Duftfeuer und wollte die nun schummrige Grotte
verlassen, als eine Stimme ihn zurückhielt. Er erstarrte.
,,Initiaiton erreicht, Meister Jedi.”
Er fuhr hreum und gewahrte, wie der alte Mönch aus dem Dunkel trat
und ihn lange musterte. Nur zu genau wurde sich der Jedi seiner unvollständigen Keidung bewusst. Wie sehr musste das den Tanjara beleidigen.
Doch auf einmal war ihm auch dies egal. Der Alte lächelte wieder mit einem
Mundwinkel. ,,Lange gebraucht, sehr lange. Sehr hart gewesen zu dir selbst!”
Qui-Gon verschränkte die Arme vor der nackten Brust. ,,Es tut mir leid,
aber ich verstehe es immer noch nicht! Warum habe ich die Initiation in dem
Moment erreicht, wo ich aufgebe? Was ist überhaupt ihr Inhalt?”
Der Mönch griff nach Qui-Gons verbrannter Hand und betrachtete sie.
,,Gewusst warum verbrennen Haut?” Der Jedi nickte. ,,Deshalb akzeptiert
Folgen!” Er sah dem Menschen in die blauen Augen. ,,Nicht gewusst warum
Tanjara folgen Regel! Deshalb nicht akzeptieren Inhalt, deshalb nicht können
sein Teil der Tanjara! Form ohne Inhalt sinnlos für Jedi.”
Er berührte sanft das Gesicht des Gastes. ,,Manche wissen müssen, warum
etwas tun. Auch wissen sollten, dass sie wissen müssen, warum etwas tun Werte und Normen kennen müssen. Für dich noch sehr wichtig werden...
Heute ersten Schritt hinter deine Fassade gemacht.” Sein Lächeln vertiefte
sich, gewann an Wärme. Er ging zurück in die Dunkelheit, kam mit Qui-Gons
Tuniken und seiner Robe über dem Arm zurück - der Jedi fand nie heraus,
wer sie aus seinem Gleiter geholt hatte -, kleidete ihn an. ,,Kein guter Tanjara
geworden - aber guter Jedi, denken!”
Am nächsten Morgen stand Qui-Gon ein letztes Mal auf dem Plateau des
Klosterbergs. Der warme Sommerwind wehte ihm das nun wieder halboffene
lange Haar in die Augen und die Robe um die Beine. Die eine Hand durch den
herabfallenden Ärmel halb verdeckt, die andere, sorgfältig verbunden, über
dem Schwertgriff am Gürtel liegend, betrachtete er die aufgehende Sonne
und meditierte - eins mit der lebendigen MACHT - über die Worte des alten
Tanjara.
Am vergangenen Abend hatte er das Ritual der Initiation abgelehnt, obwohl es ihm zugestanden hätte. Er brauchte es nicht mehr. Je länger er über
die Weisheit des Mönchs nachdachte, desto mehr neigte er dazu, ihm Recht zu
4.7. LEKTIONEN
195
geben. Er hatte sich nie wirklich gefragt, warum er gewisse Regeln ablehnte,
warum andere nicht. Er hatte bedingungslos der MACHT vertraut, wissend,
dass diese ihn nicht im Stich lassen würde. Nun - durch den angeordneten
Besuch auf dieser Welt - hatte Yoda dafür gesorgt, dass er für eine lange Zeit
von dieser Basis abgeschnitten war. Hier hatte er sein eigenes Wertesystem
aus den Gefühlen und Instinkten herausschälen müssen, die ihn sein Leben
lang geleitet hatten.
Leben, Frieden, Freiheit , Gerechtigkeit - die Grundideale der Jedi waren
nur ein Teil seiner Motivation, sie ließen sich beliebig vermehren, wie er nun
erkannte. Über allem aber brauchte er zusätzlich noch ein Ziel, auf das er
hinarbeitete. Mochten auch andere Jedi seine Ziele nicht teilen oder sogar gar
nicht erst erkennen, Qui-Gon erkannte in der ihn seit Monaten zum ersten
Mal wieder richtig wärmenden Sonne, dass er diese Ziele hatte und dass
sie ihn trieben, immer wieder in den Kampf gegen die dunklen Seiten der
MACHT zu ziehen...
Die Sommermonde wurden mit einem Fest begrüßt, welches gleichzeitig
der Jahresbeginn für den Kalender der Tschiwili war. Tage vorher wurde
von den Frauen gebacken, Fisch über aromatischen Hölzern geräuchert, das
Haus für das neue Jahr gereinigt, während die Männer die hohen Deiche
untersuchten und instand setzten. Wer es sich leisten konnte, erwarb von
den Händlern Stoff und nähte sich neue Kleider für den nächsten Herbst
und Winter. Obi-Wan und Telkom erstanden ein paar Meter farbiges Band,
mit dem sie die Mitte ihrer Kampfstöcke umwickelten. Sie hatten sie wie
eine Trophäe von außen über den Eingang des Hauses gehängt. Niemand
hatte Veradcht geschöpft, denn alle Fischer hatten irgendein undefinierbares
Kunstwerk über der Tür hängen, dass die totbringenden Winde abhalten
sollte - Regel...
Die beiden Jungen waren die ersten der Familie, die nach dem Fest in
der Abenddämmerung nach einem Wettlauf das Haus erreichten. Sich die
schmerzenden Seiten halten, lachten sie, denn ein Sieger stand wieder einmal
nicht fest: Beide hatten sie gleichzeitig die schwere Holztür berührt. Vom
anderen Ende des Hofes hörten sie die Rufe von Telkoms kleinster Schwester,
die auf ihren kurzen Beinen vor der Großmutter und Mutter hertrippelte.
Dieses Mal spürte Telkom die Gefahr zusammen mit dem jungen Jedi.
Etwas knurrte über ihnen... Der Fischer sah hinauf und sah im Zwielicht
eine Ocsis auf dem Strohdach lauernd, offensichtlich nur auf eines seiner
Familienmitglieder wartend, um seinen Hunger zu stillen. Obi-Wan tastete
instinktiv nach seinem Lichtschwert, doch das lag noch immer auf dem Bord
im Inneren des Hauses...
Doch Telkom hatte bereits reagiert. Einen unendlich langen Augenblick
hatte er seine kleine Schwester, die direkt in das Aktionsfeld des Raubtieres
196
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
lief, angesehen, dann hatte er über die Tür gelangt und seinen Stock ergriffen.
Die Ocsis sprang, als auch Obi-Wan nach seiner Schlagwaffe tastete. Telkom
schrie, brachte seine Schwester damit zum Stehen und lenkte die Raubkatze
einen Moment lang ab. Mit einer kreisenden Drehbewegung brachte er seinen
Stock zwischen sich und die Ocsis, traf hart und sicher den Kopf des Tieres.
Die Katze jaulte und wich zurück, setzte dann zum Sprung an.
Nun traf Obi-Wan das gefährliche Tier, und dann noch ein Schlag seines
Freundes. Die Ocsis sank auf die Pfoten, jaulte kläglich. Telkom brachte sie
mit einem nochmaligen Schlag um, indem er den Kopf zerschmetterte. Der
junge Jedi atmete einmal tief durch und sah dann mit einem Lächeln auf den
Lippen seinen Freund an, doch der Fischer lächlte nicht zurück. Er starrte
blass über den Hof.
Seine ganze Familie starrte ihn an wie einen bösen Geist.
Schlagartig wurde auch Obi-Wan klar, was sie soeben getan hatten. Er
wollte etas sagen, doch Telkom trat allein vor seinen Großvater, legte seinen
Stab vor ihm nieder und kniete mit gesenktem Kopf. Er redete hastig und
leise, und bis auf die Tatsache, dass ein paar Mal sein Name fiel, verstand
Obi-Wan kein Wort. Das Familienoberhaupt verzog keine Miene, sagte nichts.
Der Vater des Jungen und einer der Onkel ergirffen ihn und brachten ihn fort.
Der junge Jedi ahnte wohin. Er warf seinen eigenen Stock beiseite und ging
auf den alten Fischer zu.
,,Ich bin schuld. Tötet mich, nicht ihn! Ich habe ihn überredet zu kämpfen,
ich habe es ihm beigebracht!”
Der Alte sah ihn verächtlich an. ,,Nicht denken ich nicht sehen, was hier
geschehen! Telkom wird sterben, wie Regel vorsehen.” Er ließ diese harten
Worte lange auf Obi-Wan einwirken, sah, wie der junge Mensch erblasste.
,,Du...” Wut und Zorn verdunkelte die Stimme des Fischers.,,Du missbrauchen Vertrauen. Verlassen Dorf! Sofort!”
Ohne ein weiteres Wort ließ er Obi-Wan stehen. Der junge Jedi spürte,
wie Tränen über seine Wangen liefen. Er versuchte es ein letztes Mal. ,,Wie
könnt ihr so etwas tun? Warum liefert ihr euren Sohn einem ehrlosen Tod
aus, wo er nur versuchte, die Familie zu beschützen? Ohne ihn wäre eure
jüngste Tochter nun tot, und ihr vielleicht auch! Es war richtig, was er getan
hat! Das müsst ihr doch in euch spüren!”
Der Alte sah ihn über seine gebeugten Schultern durchdringend an. Er
kniff die Augen zusammen. ,,Regel bestimmen, was richtig, was falsch, nicht
junger Jedi!”
Obi-Wan starrte unerbittlich zurück. ,,Dann ist diese Regel eben falsch!
Und falsche Regeln sollte man nicht beachten!”
Telkoms Großvater schnaubte verächtlich. ,,Keine falschen Regeln geben,
nicht bei uns!”
4.7. LEKTIONEN
197
Obi-Wan wollte noch etwas erwidern, aber er konnte nicht, die Tränen
schnürten seinen Hals zu. Hilflos sah er, wie der Rest von Telkoms Familie
schweigend das Haus betrat. Hinter ihnen schlug die Tür zu.
,,Komm, Obi-Wan...”
Er fuhr herum.
Hinter ihm stand Meister Qui-Gon, ernst, aber nicht wütend, wie der
Junge zuerst befürchtete. Der ältere Jedi kniete nieder und sah seinen Schüler
an. ,,Es ist Zeit für uns zu gehen!”
Sein Padawan schüttelte den Kopf. ,,Nein... ich kann jetzt nicht gehen...”
Qui-Gon senkte den Blick. ,,Aber du kannst für deinen Freund nichts
mehr tun.”
,,Können wir Telkom nicht Asyl gewähren?”
Der Jedi-Meister wusste kaum, wie er seinem Schüler dies erklären sollte. Aber er musste ihm die letzte Hoffung nehmen, oder er würde ihn nur
belügen. Langsam schüttelte er den Kopf. ,,Tschiwile ist nicht Mitglied der
Republik. Somit hat es seine eigene Gerichtsbarkeit, die nicht den Statuten
der Republik unterstellt ist. Was immer sie tun, es geht uns nichts an und wir
dürfen sie nicht daran hindern. Und ich bezweifele, dass Telkom uns um Asyl
bitten würde - er kennt kein Wort für dieses Konzept, er kennt nicht einmal
das Konzept selbst!” Er spürte Obi-Wans Entsetzen deutlich. Er wünschte nichts sehnlicher als es ihm leichter machen zu können. ,,Wir sind nur
geduldete Gäste hier, Padawan, Gäste, die man soeben aufgefordert hat zu
gehen.”
Der Junge bekämpfte seine Tränen energisch und sah dann seinen Meister
fest an. ,,Nein! Ich bleibe - ich bleibe bei Telkom, bis...” Er schaute zu Boden.
,,...bis es vorbei ist.”
Qui-Gon senkte den Kopf in Respekt vor seinem Schüler.
Qui-Gon hörte Obi-Wan weinen - und es zerriss ihm das Herz. Tapfer
hatte der Junge - wieder in seine weißen Tuniken, die warme Hose und seine
Robe gehüllt - vor seiem Meister gestanden, als sie Telkom getötet hatten.
Tapfer hatte er sich durch die finsteren Blicke im Dorf nicht einschüchtern
lassen, hatte die drei Tage Fahrt zum Raumhafen durchgestanden, hatte den
Gleiter geholfen startklar zu machen, hatte sogar eine Zeit lang zu Beginn das
Steuer übernommen. Doch jetzt brach die eiserne Fassade mehr und mehr
zusammen. Qui-Gon ahnte nun, was in Yoda auf Tallios III vorgegangen war,
als er selbst an seinen Idealen fast zerbrochen wäre, die ihn geradewegs in
eine für die kleine Tallia tödliche Katastrophe geführt hatten. Aber er war
ein Teenager gewesen, ein Hitzkopf, der mehr dem Herzen folgte als dem
Verstand. Er hatte diese Lektion dringend lernen müssen, und er hatte sie
am Ende verkraften können, auch wenn sein Versagen ihn noch heute ab und
an in seinen Träumen einholte - doch dieser Padawan war noch ein Kind...
198
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Drei Nächte ließ Obi-Wan seiner Trauer um Telkom nun schon freien
Lauf, wenn er glaubte, dass sein Meister schlief. Und Qui-Gon lag flach und
gleichmäßig atmend auf seiner Liege, lauschte und kam beinahe um vor Pein
und Sorge. Doch nun hielt er es nicht länger aus. Was immer auch Yoda dem
Kleinen für eine Lektion angedacht haben mochte - es war grausam, dem
Jungen nun jede Hilfe in seinem Konflikt und Schmerz verweigern zu sollen.
Qui-Gon schlug die dünne Decke zurück und setzte sich auf Obi-Wans
Kojenrand. Vorsichtig berührte er den roten Haarschopf.
Obi-Wan...
Er rief ihn durch die MACHT. Sein Schüler verstummte schlagartig. Er
versuchte verzweifelt, die Tränen abzuwischen und seine Trauer einzukapseln,
aber Qui-Gon hinderte ihn daran, indem er seine Hände festhielt und die
MACHT nutzte, um ihn zu berühren und in der Flucht aus Scham und
Trauer aufzuhalten. Obi-Wan zitterte.
Ich allein bin schuld, Meister... Ich hätte die Regeln nicht brechen dürfen...
Qui-Gon streichelte die nasse Wange seines Schülers, wie er es so oft
schon getan hatte. Er verstand Yodas Lektion noch immer nicht. Das konnte
er doch nicht im Sinn gehabt haben...
Du hast die Regeln nicht gebrochen, denn du warst ihnen nicht unterstellt,
noch nicht. Erinnere dich, es geschah vor deiner Initiation! Du wusstest nicht,
was genau die Konsequenzen sein würden.
Er fühlte, wie Obi-Wan sich versteifte. Der Junge glühte vor Scham und
Wut über sich selbst, richtete sich in seiner Koje mühsam auf.
Doch! Ich kannte die Regeln! Und die Konsequenzen! Ich wusste, dass
Telkom mit seinem Leben spielte!
Qui-Gon seufzte innerlich. Ganz leise sprach er nun weiter.
,,Telkom kannte sie aber auch, Obi-Wan! Als er dich bat, ihm das Kämpfen beizubringen, wusste er auch, was er tat - vielleicht besser als du! Er
entschied selbst, die Regeln zu brechen, nicht nur du.”
Sein Junge schüttelte verbittert den Kopf. ,,Aber ich habe es geradezu
provoziert, indem ich Tage zuvor versucht habe, ihm zu erklären, wie ich als
Jedi die Lage sehe. Ich habe ihn ja quasi aufgefordert, einen Knüppel in die
Hand zu nehmen und das Dorf zu verteidigen!”
Qui-Gon schwieg einen Augenblick, dann nahm er seinen Padawan fest in
die Arme. Noch immer schüttelten Weinkrämpfe den Jungen. ,,Ach Obi-Wan!
Du musst aufhören, dich für alles verantwortlich zu fühlen!”
,,Tragen wir denn nicht die Verantwortung für unser Handeln?”
,,Natürlich. Jedi-Ritter tragen immer große Verantwortung, und oft genug
hängt von unserem Handeln oder Nicht-Handeln das Leben so vieler anderer
ab. Aber wir sind nicht für alles zuständig und verantwortlich. Häufig können
wir nur Möglichkeiten aufzeigen, die andere zu übersehen drohen - so wie du
4.7. LEKTIONEN
199
Telkom gezeigt hast, dass es ein Denken außerhalb seines Codes gibt!” Ganz
in Gedanken setzte er hinzu: So, wie ich immer dir im Tempel zu zeigen
versuchte, dass es Regeln im Codex gibt, die einfach sinnlos oder unbrauchbar
geworden sind. ,,Telkom erkannte das und fällte seine Entscheidung danach.
Aber nicht immer sind alle Möglichkeiten gleich weise...” Wie oft habe ich mir
gewünscht, du würdest einmal einen Versuch außerhalb unseres Codex wagen.
Ich wünschte nur, es hätte beim ersten keine Toten gegeben... ,,Manchmal
enden sogar alle Wege in ein- und derselben Katstrophe!”
Er nutzte die MACHT, um Obi-Wan in einen Kokon aus Wärme und
Zuversicht einzuhüllen.
,,Hätte Telkom nicht gekämpft und angewandt, was du ihn gelehrt hast,
hätte die Ocsis ihn getötet - und sehr wahrscheinlich noch andere seiner Familie. Als er sich wehrte, musste er die Hinrichtung in Kauf nehmen. Er konnte sein Leben nicht retten.” Qui-Gon streichelte durch das borstige Haar des
Jungen. ,,Als er starb, hat er gelächelt, Obi-Wan...” Er fühlte, wie sein Padawan stutzte. Hatte er das nicht gewusst? Offensichtlich nicht... Vor Schmerz
musste er die Augen geschlossen haben, als... Qui-Gon beendete seine Rede
zuversichtlicher. ,,Er lächelte seine kleine Schwester an, die er beschützt hatte. Du erst hast ihm die Möglichkeit gegeben, eine Entscheidung zu fällen,
wie er sterben wollte. Ich gaube nicht, dass er das Gefühl hatte, umsonst
gestorben zu sein. ” Er wischte Obi-Wan die Tränen aus dem Gesicht. ,,Sie
haben dir erzählt, dass der Tod am Pfahl ehrlos ist, aber Telkom starb nicht
ehrlos. Du hast ihm Ehre gegeben, als du bei ihm geblieben bist.”
Obi-Wan schmiegte sich an Qui-Gons Hals, suchte in der körperlichen
Nähe zusätzlichen Trost. ,,Dann war es gar nicht so verkehrt, dass er die
Regeln brach?”
Sein Meister schluckte. Tief in sich bewunderte er Yodas Gespür für außergewöhnliche Lektionen - oder hatte der alte Jedi nur einer seiner Vision
zur Wirklichkeit verholfen?
,,Das ist eine Frage des Standpunktes, Obi-Wan! Aus Telkoms, deiner
und meiner Sicht war es richtig, was er tat; aber seine Familie, die übrigen
Dorfbwohner, ja, der Rest der Tschiwili werden es weiterhin für verkehrt
halten.” Er berührte noch einmal die Wange seines Padawan, selbst in der
sie umgebenden Dunkelheit hatte er das Gefühl, ihm tief in die Augen zu
sehen. Ein heißer Schauer der MACHT durchlief ihn. ,,Es gibt keine absolute
Wahrheit, Obi-Wan, es gibt nur Wahrheiten von einem gewissen Standpunkt
aus!”
200
4.8
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Einbrüche
Obi-Wan spürte, dass sein Meister schlief.
Er selbst hatte noch immer ab und an Schwierigkeiten, abends einzuschlafen. Manchmal gelang es ihm, wenn das Training in der hohen Kuppelhalle
etwa besonders anstrengend gewesen war, doch meistens sah er noch immer
Telkoms blasses Züge vor sich, den tiefen Blick, den der junge Fischer ihm
kurz vor seinem so unnützen Tod geschenkt hatte. Ab und an träumte er
auch noch davon. Und dann war es besser, gar nicht mehr einzuschlafen.
Mit der Zeit hatten andere Probleme seine Gewissensbisse zumindest teilweise überlagert. Noch immer führte er einen erbitterten Kleinkrieg gegen
seinen Mitschüler Peh. Zuerst hatte Obi-Wan sich der trügerischen Hoffnung
hingegeben, dass seine lange Abwesenheit den Konflikt begraben haben könnte, doch schon am zweiten Tag war es nach Meister Yodas Fechtstunde zu
einem heftigen Streit zwischen ihnen in der Halle gekommen. Mit nur einem Ergebnis: Beide durften sie ohne Abendessen in‘s Bett gehen und einen
zehnseitigen Aufsatz zum Thema ,,Warum ich mit meinem Lichtschwert keinen anderen Jedi schlagen darf” schreiben dürfen. Weder Qui-Gon Jinn noch
Mace Windu waren allerdings von den Ergebnissen überzeugt und beobachteten ihre Schützlinge aufmerksamer als zuvor.
Also musste sich Obi-Wan nicht nur eine besonders intelligente Rache
für die Demontage seines Lichtschwerts, das er dummerweise gestern Abend
in der Halle hatte liegen lassen, einfallen lassen - er musste auch ein Methode finden, seinen Gegenzug so zu inszenieren, dass er unmöglich zu ihm
zurückverfolgt werden konnte. Kein leichtes Unterfangen, einerseits gegen
einen Mitschüler, andererseits gegen seinen Meister zu agieren...
Vorsichtig schlug er die Bettdecke zurück und schlüpfte in seine warme
Robe. Leise und behutsam schlich er zur Zimmertür und hoffte, dass der
Versuch, die rostigen Scharniere mit von Meister Benjamin geliehenem Öl zu
schmieren, sie nun nicht mehr so aufdringlich quitschen ließ wie ehedem. Er
hatte Glück, dieses Mal kein entsetzliches Gekreische der Angeln. Ungehört
erreichte er den Flur, zog sich die weite Kapuze ins Gesicht und hastete den
abgedunkelten Gang entlang.
In seinem Klassenzimmer angekommen schloss er ebenso leise die Tür
hinter sich - auch hier hatte das Fett gute Dienste geleistet. Er lächelte zufrieden. Wozu der Logistikkurs bei Meisterin Scit-Warl doch alles gut war...
Wie oft hatte sie betont, dass eine gründliche Planung alles sei, und wie Recht
sie doch hatte.
Sofort berührte er das unterste Sensorfeld auf der rechten Seite des flachen
Pults, an dem die Lehrer saßen. Das Display leuchtete auf. Er gab Meisterin
Qui‘Ras Namen ein, dann erschien ein Passwortabruf. Hoffentlich hatte auch
4.8. EINBRÜCHE
201
Ki-Adi Recht mit seiner Behauptung, dass die meisten Nutzer des Daten–
und Programmsystems ihr Geburtsdatum, ihren Ehepartner oder sonstige
naheliegende Dinge als Code verwendeten. Diesbezügliche Informationen zu
sammeln, war in einem so familiären Bereich wie dem Tempel weder schwierig
noch besonders auffällig.
Er hatte drei Vesuche.
Als erstes versuchte er es mit dem neunstelligen Geburtsdatum seiner
Lehrerin.
Access denied... Zugriff verweigert.
Er kniff die Lippen zusammen und tippte den Namen ihrer Schülerin ein.
Access denied... Zugriff verweigert.
Wie unerfreulich. Obi-Wan zögerte. Sollte der dritte Versuch auch misslingen, würde sein Zugriffsversuch im Protokoll vermerkt werden. Wollte
er dies vermeiden, musste er abwarten, bis seine Lehrerin morgen früh den
Code richtig eingab und damit das Konto sozusagen wieder auf Null stellte.
Sicherer wäre es auf alle Fälle. Doch er wollte unbedingt heute in den Hauptcomputer, er musste heute da hinein, wenn sein Plan gelingen sollte. Seine
Finger schwebten über dem Display...
Negnide.
Das Display flackerte und gab den Zugriff auf das Hauptdatensystem frei.
Obi-Wan lächelte und dankte in Gedanken dem Cereaner für dessen Tipps in
Bezug auf einfache Verschlüsselungsmöglichkeiten. Wie praktisch, dass seine
Lehrerin so gern von ihrem Heimatplaneten, den sie nie wirklich gesehen
hatte, erzählte...
Er kannte das System rudimentär von Arbeiten, die er für Qui-Gon unter
dessen Aufsicht hatte übernehmen dürfen. Er rief das Noten- und Zensurenprogramm auf. Eine lange Liste von Namen und Daten erschien auf dem
Dispaly. Obi-Wan stockte der Atem. Er hatte nicht gewusst, wie viele Jedi es
gab. Erstaunt musste er feststellen, dass es keinen Unterschied zwischen alten Jedi, wie Meister Benjamin, und sich tatsächlich noch in der Ausbildung
befindenden Schülern wie ihm selbst gab: Alle Daten und Beurteilungen bis
zur Abschlussprüfung blieben bis über den Tod hinaus hier gespeichert. ObiWan rief Qui-Gons File auf, um sich einen ersten Überblick über den Aufbau
dieser Dateien zu verschaffen. Als er die Noten seines Meisters in Mathematik
und Navigation sah, musste er schmunzeln, ebenso über Meister Yodas vernichtenden Kommentar zum Abschluss des Codexstudiums seines Schülers.
Dafür erblasste er vor Neid, als er Meister Gordons Bericht zu einem privaten Meisterkurs im Umgang mit dem Lichtschwert las... eine traumhafte
Beurteilung. Kein Wunder, dass der Rat Qui-Gon so gern in brenzlige, fast
aus dem Ruder gelaufende Situationen entsandte: Da bestand wenigstens die
Hoffnung, dass der involvierte Jedi lebend zurückkam, wenn es zu Kämpfen
202
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
kam.
Er schloss diese Datei und rief seine eigene auf.
Mit den meisten Dingen konnte er zufrieden sein, nur die Mathematiknote entsprach nun so gar nicht seiner Selbsteinschätzung. Aber da er nunmal
dank fremder Hilfe so oft seine Hausaufgaben nicht vorweisen konnte, musste er das hinnehmen. Einen Augenblick war er versucht, die diesbezüglichen
Noten zu ändern, doch dann schloss er die Datei wieder - viel zu auffällig!
Stattdessen nahm er sich des Files seines Lieblingsfeindes an. Die gewünschten Änderungen waren rasch eingegeben. Er verließ das Notenprogramm.
Erheblich mehr Mühe bereitete ihm der Zugriff auf das Protokollprogramm. Es war nicht besser geschützt, aber es bestand im Grunde nur aus
einer laufenden Menge an Zahlen und Buchstaben. Die Suche nach einer bestimmten Information dauerte dem entsprechend wesentlich länger und war
sehr viel unerfreulich im Vergleich zum alten, aber praktischen Schulprogramm.
Hinter der Klassenzimmertür klirrte etwas.
Obi-Wan fuhr zusammen und hastete rasch zu der milchigen Glastür.
Vom Gang aus würde man das fahle Licht des Displays bestimmt ausmachen
können... Atemlos lauschte er.
Nichts.
Gar nichts - oder?
Er schloss die Augen und tastete mit Hilfe der lebendigen MACHT über
den Gang.
Nein, definitiv nichts.
Er schlich zurück und löschte hastig den Datenblock in den Aufzeichungen, der seine Änderungen in Pehs File verraten hätte. Dann löschte er den
Bildschirm und verließ schnell das Klassenzimmer. Auf Zehenspitzen huschte
er in Qui-Gons Quartier und hätte fast laut gestöhnt. Sein Meister lag auf
dem Rücken - und schnarchte!
Obi-Wan schlüpfte auf seiner warmen Robe, legte diese wieder genauso
über den Stuhl wie sie abends dort gelegen hatte und rüttelte Qui-Gon sanft
an dessen Schulter. Der Jedi-Meister rollte auf die linke Seite, und himmlische
Ruhe erfüllte den Raum. Obi-Wan kroch unter seine dünne Decke und war
gerade eingeschlafen, als das Sägewerk am anderen Ende des Raumes seine
Arbeit wieder aufnahm. Obi-Wan presste das Kissen über seine Ohren und
fragte sich verzweifelt, ob das schon die Strafe für seinen Einbruch in das
tempelinterne Computersystem sein sollte...
Je näher Meister Yoda im Alphabet seinem Namen kam, desto aufgeregter
wurde Obi-Wan. Noch eine wesentlich jüngere Schülerin und dann war er
an der Reihe. Yoda lächelte ihm zu und übergab ihm das Pad mit seinen
Abschlussnoten für dieses Schuljahr. Obi-Wan verneigte sich respektvoll und
4.8. EINBRÜCHE
203
ging dann zurück zu seinem Meister. Qui-Gon überflog den Datenblock und
strich dann über den Struppelkopf seines Padawan. Doch der sah fasziniert
zu Peh hinüber, der in diesem Augenblick vor dem alten Jedi-Meister stand.
Yoda starrte das Pad einen langen Moment an. Dann hob er beide Ohren
und sah den jungen Zabrak vorwurfsvoll an. Obi-Wan konnte sich nur mit
Mühe ein Lachen verkneifen. Noch sehenswerter war allerdings kurz darauf
das Gesicht seines Konkurrenten. Entgeistert starrte Peh auf seine Noten.
,,Das kann nicht sein!”
Mace nahm ihm das Pad ab und überflog es, seine Stirn legte sich in
Falten. Sein Blick wurde stechend. ,,So viel dann zum Thema Urlaub für
diesen Sommer, Peh!”
Man konnte dem jungen Zabrak dessen Frustration und langsam steigende
Wut deutlich ansehen. Er starrte wieder auf seine Noten - und blickte dann
zu Obi-Wan hinüber. Der konnte sich des Grinsens nicht ganz enthalten.
Bis er auf einmal Qui-Gons blaue Augen auf sich ruhen fühlte. Schlagartig
wurde er ernst.
Zwei Tage später erschien Qui-Gon nicht zum Abendessen im großen Saal,
obwohl er Obi-Wan extra mittels einer kleinen Notiz dorthin bestellt hatte.
Erst als fast alle anderen Jedi den Raum bereits wieder verlassen hatten,
stand er in der breiten Tür. Langsam kam er auf seinen Padawan zu, er hielt
ein Datenpad in der rechten Hand. Der Blick seiner blauen Augen traf ObiWan in‘s Herz. Gegenüber seines Platzes, auf der anderen Seite des Tisches,
blieb sein Meister stehen.
,,Als ich sagte, du könntest den Codex etwas weniger streng auslegen,
meinte ich eigentlich nicht, dass du die Zensuren deiner Mitschüler fälschen
solltest!”
Er warf Obi-Wan das Pad auf den Tisch. Wie kalt seine Stimme klang.
Dem jungen Jedi fröstelte. Er wollte alles abstreiten, doch Qui-Gon schnitt
ihm das Wort ab. ,,Belüg mich nicht noch, Padawan! Das macht die Sache
nur noch schlimmer! Ich weiß bereits, dass du es warst.” Er stützte sich mit
den Fingerknöcheln auf der Tischplatte ab und fixierte ihn weiterhin. ,,Ich
will nur noch eines wissen: Warum?”
Obi-Wan senkte den Blick. Er starrte auf das Pad, das einen Auszug
aus dem Protokollprogramm zeigte. ,,Peh, er hat mir die Mathematiknoten
versaut - immerzu hat er sich etwas ausgedacht, damit ich keine Aufgaben
hatte. Ich wollte, dass er auch spürt, wie das ist, wenn man hart arbeitet und
einem dann alles vernichtet wird...”
Qui-Gon setzte sich ihm gegenüber, doch sein Schüler wagte es nicht aufzublicken. ,,Ich habe dich schon einmal gefragt, ob du das beweisen kannst.”
Obi-Wan schüttelte wieder den Kopf. ,,Nun, dann haben wir jetzt ein Problem: Ich kann nämlich beweisen, dass du seine Zensuren geändert hast. Du
204
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
hättest auch deinen Zugriff auf meine und deine eigene Datei löschen sollen
- und dazu einen Satz anderer Daten in die Lücken einkopieren und zuvor
das Änderungsdatum in Pehs File zurücksetzen müssen, junger Padawan! So
war das Profil sehr eindeutig. Muss ich einen Vergleich der Fingerabdrücke
auf dem Display heranziehen, oder gibst du es zu?”
Obi-Wan nickte kläglich. Qui-Gon seufzte enttäuscht.
,,Woher weißt du eigentlich Qui‘Ras Passwort?”
Sein Schüler wagte einen kurzen Blick. ,,Ich habe einfach geraten - das
genügte.”
,,Oh... warum hast Du dann nicht über mich zugegriffen?”
Obi-Wan drehte das Pad unter seinen Händen. ,,Ich fand das erstens zu
offensichtlich, und zweitens weiß ich euer Passwort leider nicht!”
Qui-Gon lächelte innerlich - deshalb also die vielen Hinweise des Terminals in den letzten Wochen, er würde gerade seine dritten Zugangsversuch
beginnen - Obi-Wan war am Ende an dieser Hürde gescheitert. Es hatte eben
auch seine Vorteile, dass er niemals im Tempel über Javall gesprochen hatte...
Er nahm seinem Padawan das Pad fort und erhob sich wieder. Seine Stimme
wrude wieder eisig kalt.
,,Du wirst heute Abend noch zu Peh und Mace gehen und dich entschuldigen!”
Obi-Wan wollte protestieren, und Qui-Gon sah die Demütigung schon
jetzt in den Augen seines Schülers, doch er blieb unerbittlich. ,,Du wirst dich
entschuldigen, Obi-Wan! Oder ich löse das Trainigsband und du kannst und
wirst den Tempel noch heute nacht verlassen!”
Der Junge zuckte zusammen und nickte stumm. Doch Qui-Gon war noch
nicht zuende. ,,Außerdem wirst du die ganzen Sommermonate über hier in
der Küche helfen. Denn du scheinst ja jede Menge freie Zeit zu haben, die
du sinnlos an irgendwelchen Computern vertrödelst!” Der Meister wandte
sich zum Gehen, blieb in der Tür jedoch noch einmal stehen. Er vergewisserte sich, dass sie beide allein waren. ,,Ansonsten... bin ich beeindruckt von
deinen Fähigkeiten als Hacker! Ich werde Qui‘Ra überzeugen, dass deine Noten in den entsprechenden Fächern angehoben werden sollten... unter einer
Voraussetzung allerdings nur.”
Er fixierte seinen Padawan noch einmal.
,,Versuch so etwas nie wieder!”
Obi-Wan nickte ernst.
4.9
Rückkehr
Qui-Gon starrte Yodas Hologramm an, als sähe er einen dreibeinigen Mynock.
4.9. RÜCKKEHR
205
Eine ganze Weile schwieg er. Dann schob er seine Hände in die weiten
Ärmel seiner Robe und holte tief Luft.
,,Nein.”
Yodas sah ihn weiterhin über eine Entfernung von fast fünf Reisetagen
an. Er sagte nichts, aber das war gar nicht nötig. Qui-Gon kannte seinen
Lehrer nur zu gut.
,,Ich sagte nein, und ich meinte nein!”
Weiterhin schwieg Yoda. Der stille Kampf zwischen ihnen dauerte an.
,,Ich bin viel zu weit weg, ihr seid viel näher an Gestareesch als ich. Mich
würde es fast zwei Wochen kosten, dorthin zu kommen - in der Zeit kann
diese Krise längst eskaliert sein!”
Yoda senkte die Ohren, legte einen Finger über seine Lippen. Seine Augen
lächelten. Seine Stimme klange überraschend sanft, so, als spräche er zu
einem verschreckten Kind und nicht zu seinem erwachsenen Schüler. ,,Nicht
ewig du vor deiner Vergangenheit weglaufen kannst. Ihr in‘s Gesicht sehen
du musst, Master Jinn!”
Qui-Gon zuckte noch immer zusammen, wenn Yoda seinen dritten Namensteil derart betont aussprach. Er begriff, dass er noch Stunden mit seinem
Meister debattieren konnte, dass er aber ebenso gut sofort nachgeben konnte.
Er ließ die Arme sinken, sein Hände krallten sich in die langen Säume seiner
Samtrobe, als er sich demütig vor dem alten Jedi verneigte.
Auf dem Weg zur Küche - der arme Obi-Wan saß noch immer über seiner
Strafarbeit und schälte Tag für Tag bergeweise Kartoffeln oder putzte gesunden Salat - spürte Qui-Gon, dass er vor Wut kochte. Er blieb stehen und
lehnte sich gegen das Geländer einer der oberen Galerien des Lichtdoms, ein
durch Seitenfenster sonnendurchfluteter Raum inmitten des Tempels, über
dessen Gewölbe sich der mittlere und höchst Turm erhob. Unter ihm hasteten junge Schüler vorüber, einige alte Meister saßen rund um den plätschernden, uralten Springbrunnen in der Mitte und diskutierten oder genossen den
Trubel um sich herum, aktive Jedi-Ritter wie er selbst gingen gemessenen
Schrittes ihren Geschäften nach.
Qui-Gon nahm sie alle kaum wahr.
Wie konnte Yoda es wagen...
Im nächsten Augenblick war das fragile Gebäude aus Wut und Frustration
in ihm zusammengebrochen. Der tiefe Respekt vor seinem Lehrer setzte sich
endgültig durch. Qui-Gon schloss die Augen. Hatte der alte Meister denn
nicht Recht? Lief er nicht seit Jahren vor seiner Vergangenheit fort? Vielleicht
war er gerade deshalb - weil Yoda so zielsicher seinen wunden Punkt getroffen
hatte - derart in Wut geraten. Er wusste es nicht. Und was wusste Yoda
tatsächlich über das, was er auf dem Quarzplaneten zuückgelassen hatte? Er
hatte niemals über Javall innerhalb des Tempels gesprochen, dessen war er
206
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
sich sicher. Und doch schien der spitzohrige Jedi Bescheid zu wissen, schien
zumindest zu ahnen, dass sein Schüler damals doch nicht alles erzählt hatte.
Lief er vor sich selbst davon?
Warum hatte er sich so energisch gegen einen Besuch auf Javalls Heimatwelt gewehrt? Weil er es nicht glaubte ertragen zu können, sie neben Carnell
zu sehen? Sieben Jahre war es nun her, dass er sie verlassen hatte, das Holobild war unverändert geblieben, das dünne Band zwischen ihnen existierte
noch, aber sein Trainingsband zu Obi-Wan, das mit jedem Jahr fester und
inniger wurde, überlagerte es schon lange fast vollständig. Qui-Gon musste
sich nun sehr konzentrieren, um ihre Präsenz noch zu spüren. Lange hatte er
selbst das schon völlig vermieden.
Javall...
Er fand nur noch einen Schatten. Einen traurigen noch dazu. Er hatte
nicht einmal bemerkt, dass etwas passiert sein musste, dass sie so getroffen
hatte. Sein schlechtes Gewissen überfiel ihn, er hatte versprochen, sie nie zu
vergessen, aber wie nah war er bereits davor gewesen. Sicherlich sah er jeden
Tag ihr Bild, aber er hatte schon lange alle Gedanken an sie aus seinem
Alltag verbannt. Es war so einfach gewesen, nicht darüber nachzudenken. So
war der Schmerz, sie zu verlieren, erträglich geworden.
Umso härter traf ihn nun die Erkenntnis, dass er sie noch immer liebte.
Dass er alles dafür geben würde, sie noch einmal zu umarmen. Noch einmal
ihren Duft zu riechen, ihr Haar zu spüren, sie zu küssen - und noch immer
brach es ihm das Herz, wenn er sich daran erinnerte, dass sie nun die Frau
eines anderen Mannes war, die Frau eines guten Freundes noch dazu.
Wie sollte er nach Gestareesch zurückkehren, wie beiden gegenüber stehen, ohne eine Katastrophe heraufzubeschwören?
Yoda konnte all das nicht wissen - er mochte nur ahnen, dass Qui-Gon
einen persönlichen Konflikt ungelöst zurückgelassen hatte damals. Er schickte
seinen ehemaligen Schüler als Diplomaten auf einen Planeten, der den Rat
der Jedi um Hilfe gebeten hatte, sogar ausdrücklich um seine Hilfe. Und
Qui-Gon wusste, dass er in aller Augen die logische Wahl war: Er hatte die
letzte Krise bewältigt, er war durch die damalige Überbringung der Verträge
und Aufnahmeanträge so etwas wie der Geburtshelfer der jungen Demokratie
auf diesem Planeten geworden. Niemand würde ohne weitere Erklärungen
verstehen, warum er seine Hilfe nun so vehement verweigerte. Und Qui-Gon
wollte seine Gründe nicht offenlegen. Auch nicht nach all den Jahren. Wie
er nun über dem Geländer lehnte und die Wasserfontäne des alten Brunnens
beobachtete, wurde ihm klar, dass er den Schmerz, Javall zu verlieren - sie
freiwillig aufzugeben, um sie und ihr Volk zu schützen -, nie überwunden
hatte.
Noch immer musste er nur die Augen schließen, um ihren flehenden Blick
4.9. RÜCKKEHR
207
zu sehen, kurz bevor sie Carnells Frau wurde, und noch immer fühlte er sich
wie ein Betrüger. Wie viel hatte er ihr versprochen, und wie wenig hatte er
ihr gegeben, sah man vom Leben an der Seite eines Mannes ab, den sie nicht
liebte... Wie sollte er ihr gegenübertreten?
Lange Zeit später stand er immer noch an derselben Stelle.
Obi-Wan sah überrascht auf. Nicht nur, weil Qui-Gon überhaupt zum
ersten Mal seit Antritt seiner Strafe die Tempelküche betrat, sondern auch
auf Grund dessen, was er soeben gehört hatte.
,,Ich darf Euch auf einer Mission begleiten, Meister?”
Qui-Gon nickte. ,,Ich denke, du bist alt genug, um mit mir zu kommen.”
,,Aber verlässt ein Padawan den Tempel nicht erst, wenn er dreizehn ist?”
Qui-Gon berührte seine Schulter, nahm ihm das Küchenmesser aus der
Hand. ,,Du hast den Tempel bereits einmal verlassen, Obi-Wan. Und abgesehen davon: Ich denke, du weißt bereits mehr über das Leben, den Tod und
den Krieg als so mancher Jedi, der die Prüfung bereits hinter sich gelassen
hat. Du kannst an meiner Seite stehen.” Der Junge spürte, dass sein Lehrer
einmal mehr den Codex missachtete. Aber er fühlte sich auch geehrt, dass
Qui-Gon ihm solches Vertrauen entgegenbrachte. ,,Nun komm, es ist eine
dringende Angelegenheit, so wie ich Yoda verstanden habe, und es ist eine
weite Reise!”
Erleichterung huschte über Obi-Wans Züge - die unerwartete Mission
machte seiner Strafversetzung zu Küchenschaben und Mehlmilben endlich
ein Ende. Er musste sich arg zusammenreißen, um nicht breit zu grinsen.
Doch Qui-Gon schien nicht begeistert von ihrem baldigen Aufbruch zu sein.
Der Jedi-Padawan spürte eine tiefe Verunsicherung in der Aura seines Meisters. Obi-Wan wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass sein Lehrer diese
Mission am liebsten abgelehnt hätte.
Sie gingen zu ihrem Quartier und verstauten die wichtigsten Sachen in ihren Rucksäcken, machten sich auf den Weg zum Hangar des Tempels, in dem
schon ein Weitstrecken-Gleiter startbereit auf sie wartete. Obi-Wan übernahm den Pilotensitz, während Qui-Gon die Koordinaten ihres Ziel in den
Navigationscomputer eingab, die einzige Zahlenkombination, die er auswendig wusste. Der in der Botschafterfarbe - einem scheußlichen Altrosa - lackierte Gleiter sprang zu den Sternen.
Obi-Wan kniff die Augen zusammen und ließ keuchend die Luft entweichen - was für eine Hitze! Er sah seinen Meister kritisch an. Doch Qui-Gon
stand regungslos neben ihm am unteren Ende der Rampe, die Hände in den
weiten Ärmeln seiner Robe verborgen, die Augen geschlossen, tief die quarzhaltige Luft einsaugend. Der junge Jedi konnte seine Überraschung kaum
verbergen, aber er wurde sich mit einem Mal bewust, dass sein Lehrer gerade eine seltene, wenn nicht außerhalb des Tempels für einen Jedi eigentlich
208
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
unmögliche Erfahrung machte: Er kam nach Hause...
,,Ist dies Euer Heimatplanet, Meister?”
Qui-Gon atmete aus, sah dann schief grinsend auf Obi-Wan herab. Doch
das Lächeln erreichte seine Augen nicht. ,,Nein... aber dieser Planet erinnert
mich an mein Zuhause und meine tote Familie.”
,,Ihr wart schon einmal hier?”
Qui-Gon nickte. Dann fasste er kurz seinen ersten Besuch auf Gestae
zusammen. Sehr kurz. Er hatte kaum geendet, als sich ihnen eine kleine
Abordnung näherte. Der Jedi-Meister erkannte den Mann in der Mitte der
Gruppe. Er bedeutete Obi-Wan, sich im Hintegrund zu halten und ging dem
Begrüßungskommitee entgegen. Wie es sich für einen als Diplomaten gerufenen Jedi gehörte, verneigte sich Qui-Gon vor dem gewählten Präsidenten
der Republik.
Carnell lächelte und umarmte seinen Freund geschickt mit nur einem
Arm. ,,Willkommen auf Gestareesch. Ich freue mich, dich wiederzusehen!”
Qui-Gon erwiderte die Umarmung. ,,Die Staatsrobe steht dir, alter Krieger!”
Carnell lächelte resigniert. ,,Sie werden nicht müde, mich wiederholt in
dieses Amt zu wählen. Ich bin immer davon ausgegangen, Demokratie hieße
Machtwechsel, aber meine Mitbürger sehen das irgendwie anders!”
Sie lachten. Dann gab Carnell die Sicht hinter sich frei.
Ein kleines Mädchen stand dort, wartete schweigend ab
,,Meine Tochter.”
Qui-Gon spürte, als Carnell diese Worte aussprach, eine tiefe Erschütterung der MACHT. Die Berater und Leibwächter des Präsidenten sandten sie
aus, aber auch das Mädchen hatte etwas Besonderes. Er nickte ihr reserviert
zu.
Sie war groß für ihr Alter - Qui-Gon schätzte sie auf etwa sechs -, und
sie trug ihr aschgraues Haar - ein genetischer Kompromiss zwischen Javalls
weißblonden und Carnells pechschwarzen Haaren vermutete der Jedi - wie
ihre Mutter und Qui-Gon selbst. Nur war ihr winziger, dünner Zopf auf dem
Hinterkopf von bunten Schnüren eingefasst. Ihre strahlend blauen Augen
musterten den Jedi-Meister eingehend. Ein vager Gedanke durchzuckte ihn:
Wenn die Dinge anders verlaufen wären damals, könnte sie meine Tochter
sein...
Er schloss kurz die Augen und nickte dann Obi-Wan zu, der neben ihn
trat.
,,Mein Schüler, Obi-Wan.”
Carnell reichte ihm seine Hand. Der junge Jedi bemerkte erst jetzt, dass
dem Präsidenten der rechte Arm fehlte. Ungelenk schüttelte Oi-Wan ihm die
linke Hand. Qui-Gon schmunzelte. ,,Du bist und bleibst ein cleverer Mann,
4.9. RÜCKKEHR
209
Carnell. Das war nicht nett, meinen Padawan dermaßen in die Defendive zu
drängen!”
Der Reesch lachte warm und verwuselte Obi-Wan den Haarschopf. Seine
gelben Augen sprühte kurzfristig vor Funken. ,,Dein Meister hat Recht! Es
war unfair! Aber ich liebe es, auf diese Art und Weise Menschen zu begrüßen.
Es macht sie so herrlich verlegen - und manchmal brauche ich diesen kleinen
psychologischen Vorteil auch...”
Er wurde ernst. Qui-Gon spürte seine Sorge deutlich. Carnell sah ihn
lange an. ,,Wir haben viel zu bereden - gehen wir zu mir nach Hause.”
Die Gruppe schloss sich um die beiden Jedi und den Präsidenten und
seine Tochter, deren Hand der Vater ergriff. Wieder spürte Qui-Gon eine
Erschütterung in der MACHT. Ein Gleiter brachte sie zur Hauptsiedlung
des Planeten.
,,Wir haben jetzt einen Namen für die Stadt: Jarann-City.”
Er hob seine Tochter auf seinen Schoß. ,,Javalls Großvater ist vor drei
Jahren von uns gegangen. Es gab augenblicklich eine regelrechteBürgerbewegung, die ihn derart ehren wollte. Immerhin war er es, der dich damals
davon überzeugte, uns zu helfen - und ohne dich wäre der Vertrag nie zustande gekommen...” Qui-Gon spürte ehrliche Trauer in Carnell um den alten
Juristen der Gestae - und eine tiefe Resignation, als er den Vertrag erwähnte. Das Mädchen lehnte sich an die Brust ihres Vaters, musterte abwechselnd
Qui-Gon und Obi-Wan. Der Jedi-Meister wich dem abschätzenden Blick aus
den blauen Augen aus, sah über die Landschaft um sich herum.
Die Stadt war erstaunlich gewachsen. Dort, wo sie damals an die unfruchtbare Wüste gegrenzt hatte, waren neue Viertel entstanden. Carnell ließ den
Gleiter an einem neuen, großen Krankenhaus vorbeifliegen, an der Oberschule, die Jarann noch gegründet hatte, am neuen Parlamentssitz: Ein über alte
Gleiterstreben gespanntes, farbenfrohes Segeltuch schützte die im Kreisrund
sitzenden Abgeordneten vor Quarz, Regen und Sonne. ,,Wir dachten, diese
Lösung würde den Öffentlichkeitscharakter der Sitzungen des Rates unterstreichen.” Er schmunzelte wieder. ,,Außerdem wollten wir lieber ein festes
Krankenhaus als ein Regierungsgebäude von den ersten Steuern bauen... Als
wir damit dann fertig waren, reichte das Geld kaum mehr für das Tuch!”
Der Gleiter schwebte am damals für das junge Brautpaar erbauten Haus
vorbei, setzte vor Jaranns altem Wohnsitz im Quarz auf. Qui-Gon sah seinen
Freund fragend an. Carnell seufzte. ,,Ich wohne nicht mehr dort... Ich bin vor
zwölf Tagen hierher gezogen...”
Der Jedi runzelte die Stirn. An jenem Tag hatte Carnell auch den Obersten Kanzler kontaktiert und um Qui-Gons Hilfe bei einer Regierungskrise
gebeten. Welcher Art war diese Krise? Offensichtlich war eine Ehekrise damit
einhergegangen, denn im ganzen, kleinen Refugium gab es keinen Hinweis auf
210
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Javall - sah man von einem eingestaubten Schachspiel ab.
Carnell verschwand in der kleinen Küche, um den derweil in der ganzen
Republik berühmten Kaffee des Planeten aufzubrühen. Die Exproteinnahmen
sicherten den Ausbau der Siedlungen und die Integration der beiden Völker:
Die Gestae waren begnadete Züchter und Plantagenbesitzer, die Reesch nicht
nur begehrte Erntehelfer, sondern derweil auch Techniker, Veredler, Röster.
Qui-Gon sah sich weiter um. Viel hatte sich nicht verändert in dem alten
Anwesen, außer, dass an der Wand neben der Luftschleuse nun die traditionellen Waffen des Reeschkriegers hingen - ebenfalls eingestaubt. Der Jedi ging
zum runden Schachtisch. Vorsichtig berührte er eine der Figuren. Er wusste,
warum niemand mehr mit diesem Set gespielt hatte - denn eine Dame fehlte.
Fast bedauerte er, die blaue Figur mit in den Tempel genommen zu haben.
Obi-Wan gesellte sich zu ihm, sah ebenfalls die Lücke in der Figurenaufstellung. Fragend sah er seinen Lehrer an, denn er hatte wohl bemerkt, dass die
einzelne blaue Figur auf Qui-Gons Bücherregal im Tempel genau zu diesen
hier passte, dass hier gerade jene Dame fehlte, die sein Meister niemanden,
nicht einmal seinen Padawan, berühren ließ.
Qui-Gon griff unter seiner Robe in seinen Rücken, öffnete eine seiner
kleinen Ledertaschen und stellte die fehlende Dame zurück an ihren Platz.
Von der anderen Seite des Schachtischs sah Carnells Tochter ihm schweigend
zu.
Als Qui-Gon spürte, dass Carnell zurückkommen würde, wandte er sich
von dem niederigen Tischchen ab.
Die beiden Männer ließen sich in den bequemen Sesseln nieder, auch ObiWan und das Mädchen nahmen Platz. Carnell reichte Qui-Gon eine Tasse
Kaffee, den beiden Kindern je ein Glas Saft, gedankenverloren rührten die
beiden Freunde in ihren Tassen. Schließlich ergriff der Jedi das Wort.
,,Was ist passiert?”
,,Etwas, das nicht passieren durfte - aber ich war zu schwach, zu unentschlossen, um es zu verhindern...” Der Reesch stand auf, legte seine unversehrte Hand auf den Rücken, wanderte unruhig auf und ab - Qui-Gon fragte
sich, warum der junge Krieger nicht eine Protese nutzte. Der Jedi-Meister
wartete. Er wusste, dass sein Freund reden wollte, aber kaum den Mut aufbrachte, es nun wirklich zu tun.
,,Vor zwei Wochen ist meine Kleine in der Schule eine Treppe hinuntergestürzt. Es ist nicht viel passiert, aber sie hatte sich das Knie aufgeschlagen.
Die Lehrerin brachte sie in‘s Krankenhaus, ohne uns vorher zu fragen, und der
Arzt glaubte wohl, bei der Tochter des Präsidenten auf Nummer sicher gehen
zu müssen - er ließ ihr Blut auf eine mögliche Infektion durch den Quarz und
den Staub untersuchen. Dabei haben sie es dann endlich herausgefunden...”
Carnell starrte auf den gefliesten Boden. ,,Meine Tochter ist überhaupt nicht
4.9. RÜCKKEHR
211
meine Tochter, jedenfalls nicht, wenn man es biologisch betrachtet...”
Qui-Gon erstarrte. ,,Und deshalb bist du ausgezogen, weil du glaubst,
dass Javall dich betrogen hat?”
Der Reesch schüttelte den Kopf. ,,Nein... ich wusste schon in dem Moment, in dem Javall mir damals gestand, schwanger zu sein, dass ich nicht
der Vater sein konnte.” Er wandte sich um und sah den Jedi und seine Tochter gleichermaßen verlegen an. Ein leichtes Lächeln lag auf den schuppigen
Lippen. ,,Ich kann keine Kinder bekommen... ein genetischer Defelt, der ab
und an immer wieder bei einigen Reesch auftaucht. Es gilt als Schande, und
deshalb hält man es, wenn möglich, we ich geheim.” Er machte eine entschuldigende Geste, lächelte dann wieder und warf das schwere, schwarze,
in einem Zopf gebändigte Haar in den Rücken. ,,Ich wusste damals nicht,
was ich sagen sollte. Du musst wissen, bis zu jenem Abend hatte ich nicht
den Mut besessen, sie zu berühren, richtig ihr Mann zu werden. Sie saß mir
gegenüber, wunderschön und voller Angst. Sie wusste, dass ich das Recht
hatte, sie einfach zu töten... und doch flüchtete sie nicht von Gestareesch,
um sich und das Ungeborene zu retten, sondern blieb und vertraute sich mir
an. Sie sagte, sie wäre im vierten Monat schwanger - da blieben nicht viele
Möglichkeiten, wer der Vater sein konnte. Eine Blutprobe, die ich nach der
Geburt untersucht habe, hat es bestätigt - und bei ihren Fähigkeiten war es
dann eindeutig: Sie ist deine Tochter, Qui-Gon!”
Der Jedi-Meister war erblasst. Er löste den Blick von Carnell und sah
hinüber zu dem weiterhin schweigenden Mädchen. Jetzt wusste er, warum
er sich so unwohl gefühlt hatte, als dieses Kind ihn so eingehend gemustert
hatte: Er hatte quasi in seine eigenen Augen geblickt. Jetzt erkannte er das
Wesen der Erschütterung in der MACHT. Er sah zu Boden, holte tief Luft.
Erschüttert erinnerte er sich an seine kühle Begrüßung. ,,Das wusste ich
nicht...” Er sah das Mädchen hilflos an. ,,Wusstest du es?”
Carnell schüttelte den Kopf und antwortete an ihrer Stelle. ,,Nein. Javall
wollte offensichtlich nicht, dass ihr beide es erfahrt. Ich habe diesen Wunsch
respektiert. Wir haben es ihr erst vor ein paar Tagen gesagt, als wir sicher
waren, dass du kommen würdest.”
Der Reesch nahm seine Wanderung wieder auf. ,,Ihr beide solltet es eigentlich nie erfahren.” Er seufzte. ,,Ich habe meiner geliebten Javall damals
die Stirn geküsst und ihr gesagt, dass ich mich sehr über unser Kind freuen
würde - für mich war es immer auch meine Tochter, die ich großzog. Auf meinen Knien hat sie reiten geübt, ich habe ihr den Umgang mit Bogen, Blaster
und Stock gezeigt. Sie hat die besten Eigenschaften der Reesch gezeigt, war
immer ein Vorbild.”
Er lächelte seine Tochter an, ein Lächeln huschte auch über ihr Gesicht.
Qui-Gon spürte, wie verwirrt sie war. Kein Wunder, er selbst war verwirrt
212
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
und verunsichert. Er hatte ein Kind, ein kleines, wunderschönes Mädchen...
,,Und es hat nie jemand Verdacht geschöpft?”
Carnell lachte. ,,Nicht zu Beginn - sie war ja das erste Mischlingskind,
das wir hier hatten. Zumindest dachten das alle außer uns. In den letzten
zwei Jahren hat es ein paar weitere Kinder gegeben, und da wurden schon
ab und an mal Fragen gestellt, warum meine Kleine nicht auch wenigstens
ein paar der Merkmale der Reesch hätte, wie alle anderen Mischlingskinder.
Aber ohne medizinische Tests hatten sie nie einen Beweis!”
,,Bis vor zwei Wochen...”
Carnell nickte. ,,Ja.”
Er setzte sich traurig, wartete, bis seine Tochter es sich auf seinem Schoß
bequem gemacht hatte und streichelte über ihr aschefarbenes Haar. ,,Ich
habe versucht, es abzustreiten, die Sache, die Gerüchte wie immer bislang
im Sande verlaufen zu lassen. Aber irgendein Journalist hat Wind davon
bekommen - da ließ es sich nicht mehr unter den Teppich kehren. Leider war
es ein Reesch, der den Leitartikel dazu schrieb... Du kannst dir vorstellen,
was sie für ein Drama aus den falschen Genen gemacht haben?”
Qui-Gon nickte gedankenverloren. ,,Sie haben, genau wie ich, Javall unterstellt, die Ehe gebrochen zu haben...”
Carnel nickte, und der Jedi spürte, wie tief den Krieger dieser Vorwurf
selbst getroffen hatte. ,,Ich weiß, dass sie das nie getan hätte, aber wie soll
man gegen solche Vorwürfe anargumentieren, wenn jeder in meiner Tochter
den Beweis zu sehen glaubt!? Erst haben sie Javall ausgepfiffen, dann gab
es Drohbriefe, dass, würde ich sie nicht töten, dies ein anderer arrangieren
würde. Als sie damit nichts erreichten, bezogen sie politisch Stellung. Es gibt
derweil eine neue Bürgerbewegung: Annulierung des Vertrages, Seperation
der Reesch von den Gestae und so weiter und so fort... Ich musste schließlich
aus unserem Zuhause ausziehen, um die Zukunft meiner beiden Völker nicht
sofort zu gefährden. Der öffentliche Druck der Reesch wurde zu stark. Doch
nun geht das Spiel anders herum - die Gestae fühlen sich verraten, wie ich
meine geliebte Frau verraten habe... Da nützt es auch nichts, dass unsere
Tochter bei mir lebt...”
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. ,,Ich weiß nicht mehr weiter. Ich kann
mich nicht scheiden lassen - und ich will es auch nicht! Ich habe geschworen,
diese Ehe gemäß der Traditionen der Reesch zu führen. Also keine Scheidung.
Aber wenn ich das, dieses Prinzip nun weiter verfolge, bin ich gezwungen,
Javall zu töten. Das kann und will ich aber auch nicht...”
Qui-Gon starrte auf seine Hände. ,,Und wenn ich mich zu meiner Tochter
bekenne? Wenn wir die Wahrheit sagen? Wenn wir...” Carnell unterbrach
ihn, schüttelte wieder und wieder den Kopf.
,,Nein. Das würde nichts ändern - im Gegenteil, es würde den Verrat
4.10. SCHACH
213
Javalls nur noch größer erscheinen lassen: Sie brach die Ehe schon vor der
Zeremonie - kein Reesch würde eine Frau nehmen, die keine Jungfrau mehr
ist! Dann könnten sie mit Recht sagen, dass wir betrogen wurden, auch wenn
ich es wusste... Nein, Qui-Gon, was immer wir auch entscheiden, dass du der
Vater bist und wie diese komplizierte Situation damals zustande gekommen
ist, dürfen sie nie erfahren. Offiziell wird sie immer meine Tochter bleiben!”
Der Jedi spürte, dass der Präsident dies sagte, weil er das Mädchen
tatsächlich als seine Tochter ansah. Er liebte das Kind und er betrachtete
es nicht nur als Ehrenpflicht, ihm die Treue zu halten. Er wollte es schützen,
koste es, was es wolle...
Tief berührt erhob Qui-Gon sich und starrte - wie schon einmal - durch
das gewölbte Fenster im benachbarten Raum über die breite Straße vor Jaranns ehemaligem Haus. Nach einer ganzen Zeit erst kehrte er zurück.
,,Ich möchte auch mit Javall über die Situation reden...”
Carnell lächelte und erhob sich, seine Tochter rutschte von seinen Knien
und lächelte Qui-Gon ebenfalls an. Der Jedi erwiderte das Lächeln zaghaft.
,,Natürlich. Sie wird dich und deinen Schüler hinbringen!”
4.10
Schach
Das Mädchen sagte kein Wort. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt
hatte sie seine linke Hand ergriffen und zog ihn quer über den Platz zu ihrem
bisherigen Zuhause. Obi-Wan trottete nachdenklich hinter Qui-Gon und dem
kleinen Mädchen her.
Sein Meister hatte eine Tochter - und wusste dies nicht einmal... Und
dieser an sich schon groteske Tatbestand führte auf dieser trostlosen, bitterarmen Welt auch noch zu einer ernsten Regierungskrise - was für ein Chaos!
Und nun waren sie auf dem Weg zu einer Frau, mit der Qui-Gon offensichtlich
mehr verband als die von ihm knapp umrissene Mission vor sieben Jahren.
Doch was Obi-Wan am meisten mitnahm an der ganzen Geschichte war
der Umstand, dass er nichts von alledem gewusst hatte, nicht einmal gehant
hatte er von diesen Fakten im Leben seines Meisters. Er fühlte sich auf eine
merkwürdige Art und Weise betrogen. Warum hatte sein Lehrer niemals
darüber zu ihm gesprochen? Hatte er kein Vertrauen zu seinem Schüler?
Qui-Gon verlangsamte seine Schritte, bis Obi-Wan an seiner Seite war.
Er legte seine rechte Hand auf die Schulter des verletzten Jungen. ,,Ich habe
es niemandem erzählt, Padawan, nicht einmal Yoda, meinem Meister. Ich...
ich konnte es einfach nicht...”
Sie betraten das relativ große Haus, das die offizielle Residenz des Präsidenten darstellte. Gleich vom großen Empfangsraum hinter der Tür führte
214
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
eine breite Treppe in das obere Geschoss, in dem auch die privaten Räume
der Familie lagen. Das Mädchen lief voraus. Qui-Gon hielt die Seiten seiner
langen Robe vorsorglich zurück, als er die Treppenstufen hinaufschritt. Dann
trat er in das Zimmer, dessen Tür als einzige offen stand.
Sie saß auf einer niedrigen, breiten Fensterbank unter einem der für Gestareesch typischen gewölbten Fenster und umarmte gerade ihre kleine Tochter.
Ihr langes Haar war hochgesteckt, und obwohl sie wie Qui-Gon kaum älter als
dreißig war, bemerkte er zwei breite graue Strähnen an ihren Schläfen. Wie
groß mochte der Kummer gewesen sein, der dies zustande gebracht hatte?
Er blieb einfach mitten im Raum stehen und betrachtete sie weiter, beobachtete, wie sie ihrer Tochter den dünnen Haarzopf neu band, sie zärtlich
auf die Stirn küsste. Dann erst erhob sie sich. Ihr blausamtenes, enges Gewand fiel in einer weichen Welle über ihre Beine. Sie strich es nervös glatt.
Unsicher sah sie Qui-Gon an. Das bläuliche Licht des Spätsommers hüllte sie
ein. Obi-Wan erkannte in ihr die Frau von jenem Holobild über dem Tresor
seines Meisters.
Der Jedi-Meister sah sie, noch immer unfähig, zu ihr zu gehen, schweigend an. Dann flüchtete er ihr gegenüber in dieselbe Strategie wie gegenüber
ihrem Mann am Raumhafen: Er wählte die formelle Begrüßung und verneigte sich vor ihr, die zitternden Hände in den Ärmeln seiner schwarzen Robe
verborgen.
Javall lächelte zaghaft, ging ihm entgegen. Sie nickte ihm zu und wandte
sich dann an ihre Tochter. ,,Möchtest du dem jungen Jedi nicht den Steingarten zeigen?” Obi-Wan verstand den Wink mit dem Zaunpfahl - er war
bei dieser Unterhaltung mehr als nur unerwünscht. Resigniert verließ er mit
dem Mädchen den Raum. Javall wartete, bis sich das ehemalige Schott, das
die Tür zu diesem Raum bildete, hinter den beiden geschlossen hatte, dann
überwand sie die letzten zwei Schritte zwischen ihnen und hob ihre linke
Handfläche - so, wie sie sich damals immer begrüßt und verabschiedet hatten. Zögernd legte Qui-Gon seine rechte Hand auf ihre linke. Er zitterte noch
immer. Javall lächelte, als sie dies bemerkte, schloss ihre Finger um die seinen.
Er hatte erwartet, dass die räumliche und nun sogar körperliche Nähe das
alte Band zwischen ihnen verstärken würde, aber nichts dergleichen geschah.
Er spürte nur einen wagen Hauch in der MACHT, mehr nicht. Enttäuscht
senkte er den Blick.
,,Vielleicht ist es besser so, Qui.”
Ihre Stimme hatte sich nicht verändert. Nur resignierter, noch resignierter
als damals klang sie nun. Er hielt ihre Hand fest, gemeinsam gingen sie zu der
breiten Fensterbank und setzten sich. Unten ging Obi-Wan gemächlich hinter
dem kleinen Mädchen durch den kunstvollen Quarzgarten des Anwesens.
,,Warum hast du es mir nie gesagt? Warum bist du nicht nach Coruscant
4.10. SCHACH
215
gekommen, als...? Du musst doch am besten gewusst haben, dass ich... der
Vater bin...”
Sie schwieg eine ganze Weile, schaute auf ihre ineinanderliegenden Hände.
Sie schluckte, und Qui-Gon bemerkte, das sie Tränen herunterschluckte. Tief
getroffen sah er sie an. Ihre hellen Augen waren glasig, schnell schaute sie
durch das Fenster ihrer Kleinen hinterher.
,,Es gab mehrere Gründe...
Ich weiß, ich habe mich damals nicht von dir verabschiedet, aber ich konnte nicht. Es hätte einer Braut nicht zugestanden, sich mit einem Fremden...”
Er drückte ihre Hand. ,,Das wusste ich doch!”
Sie sah ihn verwirrt an. ,,Aber warum hast du dich dann nie wieder gemeldet? Ich dachte die ganzen Jahre, ich hätte dich verletzt. Ich konnte nicht
begreifen, dass ich, dass wir nie wieder ein Wort von dir gehört haben...!
Wochenlang habe ich gewartet. Ein winzige Nachricht hätte schon genügt.”
Er presste die Lippen zusammen. ,,Ich bin ein Jedi. Es ist nicht üblich,
dass wir engeren Kontakt zu den Welten aufrecht erhalten, denen wir einmal
geholfen haben. Es sei denn, diese wünschen das - aber auch das sieht der
Rat nicht gerne!” Er wusste, dass diese Antwort sie noch mehr verletzte als
sein jahrelanges Schweigen. Er verdrängte nun seine Tränen, sprach endlich
die Wahrheit - seine Wahrheit aus. ,,Außerdem... ich konnte es damals schon
kaum ertragen, als du mit Carnell tanztest. Ich wollte dich nicht auch noch
als Hologramm immer und immer wieder an seiner Seite sehen müssen. Und
ich hoffte, dass es so auch für dich einfacher werden würde. Ich wollte selbst
jetzt nicht hierher zurückkehren...” Er sah hinab in den Garten. ,,Ich konnte
ja nicht ahnen, dass ich eine Tochter habe.”
Javall seufzte. ,,Ich wusste nicht, was los war. Ich wusste nur sehr bald,
dass ich schwanger war, und irgendwann ließ es sich nicht mehr verbergen. Ich
hatte furchtbare Angst, dass Carnell mich und unser Kind töten würde, ich
trug dein Lichtschwert in der rechten Hand, versteckt in den Falten meines
Kleides, als ich es ihm sagte. Er konnte ja nicht der Vater sein. Das war nun
eindeutig. Und ich hätte ihn getötet, wenn er mich angegriffen hätte. Dann
hätte ich immer noch zu dir fliehen können. Aber zuerst wollte ich versuchen,
die Zulunft zu retten. Dazu hatten wir immerhin vier Monate zuvor geheiratet! Wäre ich einfach so - oder unter Hinweis auf die Gründe - gegangen, wäre
ein Auseinanderbrechen unserer fragilen Gesellschaft unvermeidlich gewesen.
Ich weiß nicht, was es gewesen ist, dass Carnell dazu brachte, das Kind
als seines auszugeben. Er saß lange schweigend auf der anderen Seite unseres einfachen Küchentischs, sah mich immer wieder an, starrte dann wieder
auf die Tischplatte. Und dann...” Sie schüttelte noch immer wie vor einem
Wunder den Kopf, eine Träne lief über ihre Wange. ,,... dann stand er auf,
küsste mich und sagte, er freue sich auf unser Kind. Er tat alles, um mir
216
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
die Schwngerschaft so angenehm wie möglich zu gestalten, er sorgte für ein
wunderbares Kinderzimmer, er berührte meinen Bauch und freute sich über
die Tritte, die die Kleine mir zunehmend versetzte. Und als unsere Tochter
endlich geboren war, wich er sogar von der Tradition der Reesch ab und
erlaubte mir, einen Namen auszusuchen...”
Qui-Gon berührte ihre Wange und fing die Träne sanft auf. ,,Wie heißt
sie?”
Javall stutzte, dann musste sie wider Willen lachen. ,,Das ist doch typisch
für Carnell - er hat es dir wirklich nicht gesagt?”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. Javall lächelte hintergründig. ,,Wir nannten
sie aus begreiflichen Gründen - Jinn.”
Der Jedi-Meister erstarrte. Sein Stimme wurde rau, als er nun zu seiner
Tochter hinab sah. ,,Das ist ein Witz, oder?”
Javall lachte leise. ,,Dasselbe haben wir auch gedacht, als wir drei Monate
später erfuhren, wie dein Name nun vollständig lautet - Meister Qui-Gon
Jinn. Ich würde meinen, es war der Wille der MACHT - ich habe zumindest
keinen Zweifel daran!” Sie erhob sich und wanderte ruhelos im Zimmer auf
und ab - hatte sie das im Laufe der Jahre von Carnell übernommen oder
er von ihr? ,,Und Jinn spürt die MACHT sehr viel stärker, als ich es je
vermochte. Sie wäre eine hervorragende Jedi geworden...”
Qui-Gon zog die Stirn kraus. ,,Das habt ihr aber gut geheim gehalten warum habt ihr euch nicht an uns, an den Tempel gewandt?”
Sie seufzte, machte eine Verlegenheitsgeste. ,,Ich wollte es schon tun, aber
Carnell war dagegen. Das heißt, eigentlich hat er sich der Stimmung der
Bevölkerung gebeugt. Jinn wurde all die Jahre von vielen hier als Unterpfand
des Friedens angesehen. Sie fortzugeben wäre einem Affront gleich gekommen
- auch wenn es wohl unsere jetzigen Probleme verhindert hätte. Im Tempel
hätte niemand nach ihrer biologischen Herkunft gefragt...”
Sie nahm wieder Platz, sah ihn fragend an. ,,Womit wir bei der eigentlichen Frage des Tages angekommen wären: Was machen wir jetzt?”
Obi-Wan war nicht weniger überrascht gewesen, als Jinn ihm ihren Namen
nannte. Das konnte ja nun wirklich kein Zufall sein. Sie hatte sein Gesicht
gesehen und gelächelt.
,,Dein Meister heißt genauso, nicht wahr?”
Er nickte. Nach der Besichtigung des Gartens spielten sie nun mit einem
Ball, Jinn begeistert, Obi-Wan zunehmend gelangweilt. Ihn interessierte viel
mehr das, was sein Meister und die Frau des Päsidenten dort oben hinter
der gewölbten Scheibe beredeten. Wozu war er mit hierher gekommen, wenn
Qui-Gon ihn nun ausschloss?
,,Sie lieben sich, Obi-Wan! Gönn ihnen ein paar Minuten allein nach all
den Jahren...”
4.10. SCHACH
217
Er starrte sie an, ließ den Ball überrascht fallen. ,,Kannst du meine Gedanken lesen?”
Sie grinste schief. ,,Nein, aber deinen Gesichtsausdruck!” Sie seufzte leise.
,,Aber die Gedanken meiner Eltern kann ich lesen! Meine Mutter hatte große
Angst, deinen Meister wiederzusehen, aber gleichzeitig war sie so glücklich
wie selten zuvor... Stundenlang hat sie überlegt, was sie heute anziehen soll,
wo sie auf ihn warten soll und so weiter. Sie hat erst die Tage, dann die
Stunden gezählt, bis er endlich hier war. Und dein Lehrer war mit seinen
Gedanken viel öfter bei ihr, als er uns glauben machen wollte den ganzen
Vormittag!”
,,Das konntest du auch lesen?”
,,Ja, in seinen Augen und in der Art, wie er es vermied, sie zu erwähnen...”
Obi-Wan seufzte. ,,Du bist eine gute Beobachterin, eine bessere zumindest
als ich!”
Sie grinste. ,,Nun, vielleicht hilft ja auch die MACHT ein wenig!”
Er sah sie wieder erstaunt an und nickte dann resigniert. Qui-Gons Tochter, kein Zweifel!
Qui-Gon zermarterte sich das Gehirn, aber er fand keine weitere Alternative. Javall lächelte gequält. Sie berührte ihn zärtlich. Er sah sie an, sah
ihren traurigen Blick.
,,Wir müssen diese Ehe auflösen, Qui. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben - und wir müssen es auf eine Art und Weise zuwege bringen, die beide
Seiten - Gestae wie Reesch - das Gesicht wahren lässt!”
Qui-Gon holte tief Luft. ,,Aber wie denn, Javall? Die Reesch kennen keine
Scheidung, zumindest nicht in diesem Fall. Eure Ehe ist unauflösbar!”
Sie sah ihn durchdringend an. ,,Ich weiß das besser als du, Qui! Aber der
Tod scheidet jede Ehe!”
Er schüttelte resigniert den Kopf. ,,Carnell liebt dich. Er wird dich nicht
töten, noch dazu nicht für einen Ehebruch, der seiner Meinung nach nie
stattgefunden hat! Du wirst ihn nie davon überzeugen können.”
Sie nickte nachdenklich. Qui-Gon begriff, dass sie all das wusste. Javall
blickte hinab auf ihre Tochter. ,,Erfüll mir einen letzten Wunsch, Qui...”
Er griff nach ihrer Schulter, sie spürte sein Entsetzen, zwang sich aber,
ihr Inneres weiter vor ihm zu verbergen. ,,Nein...! Ich werde es ebenfalls nicht
tun! Ich habe es damals schon nicht gekonnt, ich kann es jetzt auch nicht:
Ich werde dich nicht töten!”
Sein Stimme versagte. Sie lächelte ihn an, küsste ihn rasch auf die Stirn.
Er erstarrte unter der zärtlichen Berührung, sie erhob sich und wandte ihm
den Rücken zu. ,,Das brauchst du auch nicht! Ich möchte dich um etwas
Anderes bitten!”
218
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Sie spürte eine Erleichterung. Doch sie wandte ihm weiterhin den Rücken
zu. ,,Nimm Jinn mit nach Coruscant! Kümmere dich um sie, finde einen Jedi,
der sie ausbildet. Sie kann hier nicht bleiben , egal, wie diese Sache ausgehen
wird! Ich will nicht, dass sie die Verachtung ertragen muss, die mir in den
letzten zwei Wochen entgegenschlug. Sie hat das Zeug zu einer Jedi.” Sie
ging zu einem Regal, auf dem neben anderen Dingen auch ihr Lichtschwert
lag, reichte Qui-Gon ein Pad. Der Jedi-Meister blickte auf die Daten einer
Blutuntersuchung. Carnell und Javall mussten sehr viel Mühe und Überedungskünste aufgebracht haben, um diese Ergebnisse vor dem Orden geheim
zu halten. Solche Werte sprachen sich im Allgemeinen in Windeseile herum
und riefen schon bald nach der Geburt einen Jedi zu den betroffenen Eltern.
Nicht immer ließen diese ihr Kind - oftmals das einzige, wie Jinn es bleiben
würde in diesem Fall - frohen Herzens in der Obhut der Jedi-Ritter, oftmals
bedurfte es langer Gespräche, um einen neuen Padawan zu gewinnen. Aber
meistens waren die Eltern auch stolz, dass ihr Kind zu den Auserwählten der
Galaxis gehören würde. ,,Nimm sie mit, Qui. Und kümmere dich um sie, so
gut du kannst!”
Er zögerte.
Javall sah ihn bittend an.
Er seufzte. ,,Ich kann dir nicht garantieren, dass der Orden sie jetzt noch
akzeptieren wird - sie ist zu alt!”
,,Dann bilde du sie aus! Du hättest es damals bei mir gewagt, jetzt wage
es für deine Tochter!”
Er senkte den Blick. ,,Das ist nicht so einfach! Ich habe einen Padawan,
Javall, ich darf und will ihn nicht im Stich lassen.”
Sie seufzte. ,,Dann versuche es wenigstens, Qui! Ich... wir... wir alle hier
brauchen deine Hilfe! Es hat mich tagelanges Reden gekostet, Carnell von
dieser Lösung zu überzeugen. Bitte. Lass uns nicht im Stich!”
Er nickte. Mehr als verlieren konnte er nicht.Sie blickte wieder in den
Garten herab. ,,Am besten brecht ihr noch heute Abend auf...”
Qui-Gon sah sie durchdringend an. ,,Heute Abend? Und was ist mit eurer
Regierungskrise? Sollten wir die nicht vielleicht vorher lösen?”
Sie sagte eine ganze Weile nichts. Er hörte auch in den dann endlich
folgenden Worten ihr Zögern. ,,Es gibt eine ganz einfache Lösung, Qui...
Aber das geht nur, wenn ihr - du und Jinn - nicht mehr hier seid...” Sie war
den Tränen nahe. Er stand auf und wollte sie berühren, doch sie wich zurück.
Er fühlte, wie sie sich auch geistig gegen seine Berührung wehrte. Er hielt
mitten in der Bewegung inne, sah Tränen in ihren Augen. ,,Geh, Qui. Geh
jetzt, aber lass Jinn sich noch von Carnell verabschieden...”
Sie wandte sich voller Panik ab. ,,Und du?”
Sie schüttelte den Kopf, er hörte die Tränen, die ihr über das Gesicht
4.11. MATT
219
liefen, in ihrer brechenden Stimme. ,,Nein... sie soll mich so wie vorhin lachend - in Erinnerung behalten...”
Er wagte nicht, sie noch einmal zu berühren. Schweren Herzens wählte er den formellen Abschied, verneigte sich schweigend vor ihr und verließ
mit wehendem Mantel das Haus, um seine Tochter und seinen Padawan zu
suchen.
Kaum hatte er den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen,
ging Javall zum Fenster. Mit tränenverhangenem Blick sah sie erst Obi-Wan
und Jinn, dann Qui-Gon, wie er die beiden Kinder abholte und mit sich
nahm. Das bläuliche Licht schimmerte auf seiner Samtrobe, ließ sie mehr
violett als schwarz leuchten. Er strich Jinn über den Kopf.
,,Pass auf sie auf, Liebster...”
4.11
Matt
Carnell hatte schon einige wenige Sachen seiner Tochter in eine leichte Tasche
gepackt, erwartete sie bereits. Er war es auch, der Jinn erklärte, dass sie ihr
Zuhause für eine halbe Ewigkeit verlassen sollte. Qui-Gon spürte, dass sie
nicht gehen wollte. Kein guter Start für eine Jedi-Karriere...
,,Es ist doch nicht für immer, Jinn! Wir sehen uns bestimmt wieder. In
ein paar Jahren sieht die Welt ganz anders aus. Und jetzt musst du tapfer
sein und mit deinem richtigen Vater gehen!”
Sie starrte ihn trotzig an. ,,Du bist mein Dad!”
Fassungslos starrte Obi-Wan sie an. Wie konnte sie seinen Meister derart
brüskieren!? Doch Qui-Gonschien nicht beleidigt zu sein. Schweigend wartete
er in der Tür, versuchte, die beiden nicht zu stören in ihren letzten Minuten.
Er blickte auf das eingestaubte Schachspiel, dann auf den gefliesten Boden.
Carnell zerriss es fast das Herz, doch er umarmte Jinn nur und schickte
sie dann fort. Leidend, lautlos weinend aber gehorsam ging sie zu Qui-Gon
hinüber, sah ihn mit ihren großen dunkelblauen Augen an. Der Jedi legte ihr
eine Hand auf das Haar, nickte Carnell stumm zu. Der Reesch wandte sich
ab und ging zurück in die zum Platz hinaus gelegene Bibliothek - wie damals
Qui-Gon würde heute nun er sehnsüchtig über den Platz blicken.
Sie eilten zurück zum Raumhafen.
Obi-Wan fragte sich, warum sein Meister dem Plan zugestimmt hatte, das
Mädchen mit in den Tempel zu nehmen - der Rat würde ihr eine Ausbildung
nie erlauben. Und Qui-Gon musste das doch besser als jeder andere wissen.
Er hatte schon für Obi-Wans Zukunft bis an die Grenzen des Codex gehen
müssen.Hier würde der Rat ihm niemals folgen.
Gemeinsam machten die den Gleiter startklar, saßen schon in ihren Sitzen,
220
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
als Qui-Gon auf einmal nach Luft schnappte. Obi-Wan blickte hinüber, sein
Meister schien kurz vor einer Ohnmacht zustehen, leichenblass sank er in sich
zusammen. Dann atmete er heftig.
,,Nein...”
Mit aller Kraft stemmte er sich hoch, hielt sich einen Augenblick an der
Lehne fest. Als er sicher war, dass seine Beine ihn tragen würden, hastete er
aus dem Cockpit. Überrascht folgte Obi-Wan ihm. Er fühlte nur eine vage
Erschütterung in der MACHT, doch seinen Lehrer musste die unerwartete
Welle sehr viel intensiver getroffen haben. Er sah Qui-Gon durch ein Fenster
in Richtung Stadtmitte laufen, verwirrt folgte der Padawan seinem Meister.
Der Jedi rannte, als ginge es um sein Leben. Immer wieder lief die MACHT
wie ein eisiger Schauer durch ihn, und jede Welle war um etliches schwächer
als die erste. Er ahnte, nein, er wusste, was das bedeutete. Nein, das durfte
nicht sein, nicht Javall...
Er erreichte den offiziellen Wohnsitzdes Präsidenten, rannte die Treppe
- drei Stufen auf einmal nehmend - hinauf. Die Tür zu Javalls Zimmer war
verschlossen. Er konnte sie nicht öffnen. Kurzerhand zündete er sein Lichtschwert, stieß die gleißende Klinge in das ehemalige Metallschott und schnitt
wie mit einem Messer durch weiche Butter ein Loch hinein. Wieder eine, nun
schon unendlich schwache Welle der MACHT, die über ihn hinwegstrich.
Endlich fiel ein Teil des ehemaligen Schotts zuBoden, er zwängte sich durch
die Öffnung... und erstarrte.
Qui-Gon kniete nieder und starrte Javall fassungslos an. Er wusste, was sie
getan hatte, er hatte es bereits gewusst, als er losgerannt war, aber es jetzt
zu sehen, das war trotz allem, was das Leben als Jedi ihm bereits gezeigt
hatte, noch immer eine andere Sache. Sie trug wieder das weiße Gewand, in
dem er sie damals kennengelernt hatte, es lag wie eine zarte, weiße Wolke um
sie...
Vorsichtig bettete er ihren Oberkörper in seinen Schoß. Sofort spürte er
sie wieder - genau wie damals... Wie hatte er nur zweifeln können... Wie
sehr hatte sie ihn geliebt, wie sehr liebte sie ihn noch immer. Ihre letzten
Gedanken galten ihm und ihrer beider Tochter. Ihr Schmerz nahm ihm in
ihrem nun wieder festen Band in der MACHT fast das Bewusstsein. Sie hielt
sein altes Lichtschwert noch immer mit der rechten Hand umklammert. Die
Laserschneide hatte den Stoff des Kleides mit ihrer Haut verklebt, ein großes,
aber kaum blutendes Loch in ihre Brust gerissen. Er fühlte, wie das Leben
weiter aus ihr wich.
Nein... nicht so...
Er presste seine rechte Hand auf die Wunde, versuchte, Javalls Geist mit
all seiner Kraft und mit Hilfe der lebendigen MACHT bei sich zu halten. Mit
seinem Wissen aus dem Tempel nahm er ihr die Schmerzen.
4.11. MATT
221
Kämpfe, Javall! Verlass mich nicht!
Er spürte ihr Bewusstsein wieder, Erleichterung durchfuhr ihn.
Halte durch, Liebste! Bleib bei mir!
Sie öffnete ihre Augen. Er sah den Tod darin, nur seine Kraft hielt sie
noch hier... Mühsam hob sie die linke Hand, strich über seine blasse Wange.
Lass mich gehen, Qui... Du musst loslassen...
Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er bemerkte nicht, dass Obi-Wan
auf Javalls anderer Seite niederkniete und sie beide beobachtete, fassungslos
mitansah, wie sein Meister weinend zusammensank über der sterbenden Frau
des Präsidenten.
,,Nein... es gibt einen anderen Weg. Wir werden einen finden! Halte durch!”
Sie schloss - unendlich langsam und müde - ihre Augen. Dann schüttelte
sie den Kopf. Und er wusste, dass sie Recht hatte, das war das Schlimmste
daran. Trotzdem hielt er sie fest. Er spürte, wie die MACHT sie rief, wie die
lebendige MACHT das erste Mal in seinem Leben gegen ihn stand, gegen ihn
kämpfte, immer stärker wurde. Wie lange noch würde er dem standhalten
können? Wie lange würde ihr Band noch halten?
Javall wusste, dass es vorbei war, aber wie konnte sie es für ihn leichter
machen? Er war ein Jedi, er würde die Wege der MACHT verstehen... Sie
sah ihn noch einmal an, allein die kleine Bewegung ihrer Augenlider kostete
sie so viel Kraft... Sie sah seine Tränen, die langsam über sein Gesicht liefen.
Er verlor sie zum zweiten Mal... Diesen Schmerz würde sie ihm nicht nehmen
können, das begriff sie; aber vielleicht konnte sie ihm das Warum verständlich
machen. Noch einmal berührte sie seine Wange, spürte, wie seine Tränen über
ihre kalten Finger rannen...
,,Manchmal kann man mit... mit seinem Tod etwas erreichen, was... was
einem lebend niemals möglich gewesen wäre, Qui... Manchmal ist man im
Tod mächtiger, als...” Sie hustete, das Sprechen fiel ihr noch schwerer als
das Denken... ihre Hand glitt kraftlos herab. Er fing sie auf und hiel sie fest
gedrückt.
Für Gestae... lass mich gehen...
Sie fühlte, dass er sie verstand, dass er wusste, warum sie so gehandelt
hatte. Doch leichter macht es ihm das Wissen darum nicht.
Ich liebe dich, Javall. Und ich hätte dich nicht aufgeben dürfen. Nicht
einmal für den Frieden, nicht für ein Prinzip...
Sie lächelte in Gedanken nur für ihn.
Du und Schach - hoffnungslos...
Und du hast mich schon immer mit Leichtigkeit matt gesetzt!
Sie lächelte tiefer, entglitt ihm fast. Nur mit all seiner Kraft konnte er sie
bei sich halten. Wie stark die MACHT in ihr gewesen war. Wie stark SIE
jetzt nach ihr rief...
222
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
,,Jinn... Lass sie nicht im Stich, Liebster - Du bist jetzt ihre Familie!
Sorge dafür, dass sie eine Jedi wird!”
Er holte zitternd Luft und nickte ihr zu. Er hätte ihr alles versprochen,
nur, damit sie in Frieden sterben konnte.
Ich habe dich immer geliebt, Qui-Gon. Immer... jetzt... lass mich gehen,
Liebster... lasst mich gehen, Master Qui-Gon... Jinn...
Qui-Gon Jinn umfing sie mit beiden Armen, küsste sie zum Abschied.
Dann ließ er sie los und fühlte, wie die MACHT sie mit sich nahm... das
Band zwischen ihnen zerfaserte so schnell... er verlor sie, als es sich gänzlich
aufgelöst hatte...
Dann hielt er nur noch ihren toten Körper in seinen steifen Armen. Er
konnte sich nicht bewegen. Wie sollte er jemals aufstehen und fortgehen
können? Wie ohne ihr Bild in sich, ohne das, wenn auch in den letzten Jahren
nur dünne Band zwischen ihnen leben können? Wie?
Er verbarg sein Gesicht an ihrer Schulter, strich durch das weißblonde
Haar, hielt sie fest, so als könne die Wärme seines Körpers ihr das Leben
wiedergeben. Trotz besserem Wissen suchte er nach ihrem Geist, suchte nach
einem letzten Echo ihrer Gedanken in sich, aber da war nichts mehr - nur
noch tiefe Stille. Nur sehr langsam wurde ihm bewusst, dass es Javall wirklich
nicht mehr gab. Eine Zeit lang gab er der Trauer in sich nach, ließ die Tränen
laufen, gab der Verzweiflung Raum. Er wusste derweil, dass dies nötig war,
dass er es sowieso eines Tages verarbeiten würde müssen, dass es auch hier
und jetzt sein konnte.
Obi-Wan sah Qui-Gon weinen. Und er wusste nicht, was er tun sollte,
wie er ihm helfen konnte. Da war mehr zwischen dieser Frau und seinem
Meister gewesen, als er die ganzen Jahre auf Coruscant und jetzt hier auf
Gestareesch vermutet hatte. Sehr viel mehr. Mochte Javall auch die Ehefrau
eines anderen gewesen sein, ihr Herz hatte Qui-Gon gehört. Welchen Grund
hätte sie sonst gehabt, ihre Tochter nach ihm Jinn zu nennen? Das kleine
Mädchen hatte Recht gehabt.
Der Jedi-Meister hob Javalls Leichnam auf und trug ihn zur Steinbank
unter dem gewölbten Fenster, legte die Tote vorsichtig darauf. Wann immer
Carnell auch von ihrem Tod erfahren würde, er sollte sie nicht so finden, wie
Qui-Gon es musste. Er legte ihre kalten Hände über dem Bauch zusammen
und beließ den Schwertgriff unter ihren Fingern. Carnell und seine Berater
mussten wissen und eindeutig erkennen können, was sie getan hatte - sonst
wäre ihr Tod sinnlos gewesen. Am Ende blieb ihm nichts Anderes mehr übrig,
als seine Hand über ihre Augen zu legen und sie sanft zu schließen. Er zitterte,
als er seine Finger zurückzog. Er verbeugte sich stumm vor Javall, wie er es
vor einem toten Jedi-Ritter getan hätte, blieb dann aber - unfähig zu gehen
- steif stehen.
4.11. MATT
223
Obi-Wan fühlte, wie in Qui-Gon etwas zerbrach.
Er ergriff die zitternde Hand seines Meisters. Qui-Gon schrak zusammen,
bemerkte seinen Schüler erst jetzt. ,,Werdet ihr es Jinn erzählen, Meister?
Oder soll ich...?”
Trotz seiner Trauer musste der ältere Jedi lächeln. ,,Sie weiß es bereits,
Obi-Wan...” Sein Padawan runzelte die Stirn. ,,Javall hatte ein starkes Band
zur MACHT, obwohl sie keine ausgebildete Jedi war, und unsere... Tochter
hat es auch. Sie hat bestimmt gefühlt, dass ihre Mutter starb.” Er legte dem
Jungen seine Hand auf die Schulter. ,,Aber Du hast Recht, wir müssen uns
um sie kümmern. Sie hat etwas gefühlt, aber sie weiß wahrscheinlich nicht,
was sie gefühlt hat...”
Er warf noch einen Blick auf Javall, die nun im blauvioletten Quarzschimmer der hereinbrechenden Nacht lag. Es gab hier nichts mehr für ihn zu tun.
Er konnte nur noch dafür sorgen, dass Jinn nicht hier aufwachsen musste.
Aber wie sollte er das doppelte Versprechen einlösen?
,,Lass sie nicht im Stich - Du bist jetzt ihre Familie! Sorge dafür, dass sie
eine Jedi wird!”
Der Codex verbat ihm keine Familie, aber er verbat einen zweiten Schüler...
Wenn aus Jinn eine Jedi werden sollte, dann musste sie dem Code gemäß
Qui-Gon verlassen - den einzigen Menschen, der ihr im Augenblick geblieben
war. Mit ihren sechs Jahren musste sie in die Obhut eines Meisters gegeben
werden. Eines anderen Meisters.
Doch das wollte er nicht. Sie würde es schon so schwer im Tempel haben, warum ihr auch noch die Familie nehmen? Er hatte Javall versprochen,
sie nicht im Stich zu lassen. Er würde ihre Familie sein. Er würde die Jedi
überzeugen, dass er auch zwei Schüler ausbilden konnte. Er würde seinen
Ratskollegen klar machen, dass der Codex hier irrte. Dass der Code so alt
war, dass er geändert werden musste. Diese Regel stammte aus der Zeit der
Sith-Kriege, es gab keine Sith mehr - warum also daran festhalten? Tausend
Jahre hatte es die Regel nicht gegeben, jetzt gab es sie ebenso lange; es war
an der Zeit, sie wieder aufzugeben!
Obi-Wan spürte, wie aus der Trauer seines Meister Kampfgeist wurde.
Das hatte er befürchtet - Qui-Gon würde in den Kampf gegen den Rat zieheneinmal mehr. Warum nur konnte er sich dem Codex nicht einmal beugen?
Die über sie unvermittelt hereinbrechende Welle der MACHT hatte der
kleinen Jinn das Bewusstsein genommen. Qui-Gon war dankbar dafür. Er
bettete das Kind auf eine der Kojen und breitete eine warme Decke über
ihre Beine. Als sie wieder zu sich kam, begann die schwerste Unterhaltung
seines Lebens. Er brachte es kaum über sich, überhaupt an Javall zu denken,
wie sollte er nun auch noch seiner Tochter sagen, dass ihre Mutter tot war?
Jinn zog die Beine unter der Decke an sich und sah ihn an. Dann berührte
224
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
sie sein Gesicht. ,,Sie wollte sterben...”
Überrascht öffnete Qui-Gon den Mund, aber er brachte keinen Ton hervor. Jinns Hand glitt herab. ,,Sie hat mir nie geglaubt, wenn ich behauptet
habe, ich könne ihre Gedanken spüren, aber ich konnte es immer, solange ich
zurückdenken kann...”
Seine Tochter berührte vorsichtig Qui-Gons Lichtschwert. ,,Sie hat ihr
Lichtschwert benutzt, nicht?”
Qui-Gon nickte stumm, senkte den Blick, unter seinen Lidern liefen Tränen
herab. ,,Ich kam zu spät, ich konnte es nicht verhindern.” Jinn kletterte auf
seinen Schoß, umarmte den fremden Mann vorsichtig. Der Jedi umfing sie
mit seinen kräftigen Händen. Überrascht stellten sie beide nun fest, dass sie
ihre Gedanken ebenfalls gegenseitig spüren konnten.
Spontan zeigte er seiner Tochter, was ihn mit ihrer Mutter verbunden
hatte. Jinn sah ihre Liebe zueinander, die unmögliche Situation, die zu ihrer
Trennung geführt hatte, sie sah das Leben eines Jedi, der sich der MACHT,
der Gerechtigkeit, dem Frieden und Guten verschrieben hatte, der dafür
selbst bereit war, sein privates Glück zu opfern. Sie verstand es nicht ganz,
aber sie begriff zumindest so viel, dass sie das Warum verstand - und sie
konnte ihm zeigen, dass auch Javall es letzten Endes verstanden hatte. Durch
Jinns Augen erlebte Qui-Gon, wie seine Geliebte mit aller Kraft versucht hatte, ihre Entscheidung vor ihm zu verbergen, wie es ihr fast gelungen wäre.
Doch am Ende hatte die MACHT es ihm mitgeteilt, als sie sterbend zu Boden
sank und die mühsam aufrecht erhaltene Kontrolle über ihr Band verlor. Jinn
hatte gewusst, was ihre Mutter vorhatte und bezweckte, als sie mit Obi-Wan
den Raum verlassen hatte - und sie hatte gespürt, dass Javall es ihr ohne
einen tränenreichen Abschied nur leichter machen wollte. Aber das linderte
den Schmerz nur wenig. Doch hier glaubte Jinn zu sehen, dass Javall sich
Qui-Gons Lebensgrundsätze zu eigen gemacht hatte und ihr privates Glück
dem der Gemeinschaft untergeordnet hatte. Eine vage Vorstellung der Ideale der Jedi bildete sich in ihr. Und irgendwo tief in sich spürte das kleine
Mädchen, wie etwas sie in dieselbe Richtung zog, wie ein Feuer entbrannte,
dass sie kaum unter Kontrolle halten konnte.
Obi-Wan stand in der Tür zum Cockpit und beobachtete seinen Meister
und dessen Tochter. Über Qui-Gons Wangen liefen noch immer Tränen, doch
er wurde zusehens ruhiger. Das Mädchen ließ sich von ihm sanft im Arm
wiegen und verbarg das Gesicht an seiner Schulter. Der junge Jedi spürte, wie
eine mächtige Woge der MACHT die beiden Trauernden in einen schützenden
Kokon hüllte. Er schluckte. Er ahnte, dass er nie so mit seinem Meister eins
werden würde in der MACHT. Er würde nie mit irgendjemandem so vereinigt
sein. Zumindest befürchtete er das.
Traurig und ein klein wenig eifersüchtig auf das Mädchen ging er zurück
4.12. DEFYING
225
ins Cockpit, steuerte Coruscant an. Was bleib ihm auch anderes übrig? QuiGon war ja... beschäftigt...
4.12
Defying
Qui-Gon stand in der Mitte des Rates, die Hände ruhig neben seinen Seiten hängend, in jedes Wort seine ganze Überzeugungskraft legend. Obi-Wan
stand leicht versetzt rechts neben ihm, den Blick auf den Boden geheftet,
Jinn zwischen den beiden Jedi.
Der Meister berichtete über die Regierungskrise auf Gestareesch, die durch
den Tod Javalls an Schärfe verloren hatte: Neben das Entsetzen der Gestae
und Reesch einerseits war der Ehre beider Völker andererseits genügt worden.
Die Ehe war zwar geschieden worden, aber niemand hatte seine Schuld offiziell eingestanden. Carnell hatte seine Frau mit allen Ehren begraben, hielt ihr
auch nach ihrem Tod die Treue, machte in einer Regierungserklärung überaus
deutlich, dass Jinn nach wie vor seine Tochter sei, dass er sie nur zur Ausbildung fortgeschickt hatte. Der blasse Präsident, der öffentlich den Tod seiner
Frau beweinte, der sie als ehrenhafte Ehefrau und verantwortungsvolle Mutter darstellte, das Staatsbegräbnis, das die Gestae gefordert hatten, die stumme Anteilnahme der Reesch für den Witwer - Javall hatte Recht behalten.
Mit ihrem Tod hatte sie ohne ihre Schuld öffentlich einzugestehen doch den
Weg für ein weiteres Miteinander der beiden Völker freigemacht. Und Jinn
konnte das Unterpfand des Friedens bleiben - ihre zumindest vorübergehende
Abwesenheit von Gestareesch würde den Heilungsprozess nur beschleunigen.
Doch Obi-Wan spürte, wie schwer dieser Bericht seinem Lehrer fiel. So
sehr Qui-Gon sich auch bemühte, auf dieser politischen Ebene das Geschehen
wiederzugeben, die Trauer um die Frau, die er über alles in der Welt geliebt
hatte und seine Angst, seine Versprechen in Bezug auf seine Tochter nicht
halten zu können, weil er ihre Ausbildung unter seiner Federführung vielleicht
nicht im Rat durchzusetzen vermochte, beides umgab ihn wie eine düstere
Wolke. Die Ruhe und Gelassenheit angesichts brenzliger Situationen, die andere Jedi immer an seinem Meister bewundert hatten und die auch Obi-Wan
ab und an im Tempel gespürt hatte, fand der junge Jedi nicht wieder. Es
war, als stände er neben einem ihm völlig fremden Menschen.
Und dann dieses kleine Mädchen...
Er mochte Jinn nicht.
Was hatte sie für ein Theater daraus gemacht, als Qui-Gon ihr am Morgen
die Haare zu einem strengen Zopf zusammengefasst und zu einem Haarknoten
gebunden hatte. Selbst als sein Meister ihr geduldig erklärte, warum er das
tat - er wollte ihre Familienähnlichkeit nicht noch durch dieselbe Haarfrisur
226
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
unterstreichen -, hatte sie sich gesträubt. Obi-Wan bedauerte schon jetzt den
Jedi, der ihr die langen Haare würde kürzen müssen, wenn sie tatsächlich
ein Padawan im Tempel werden würde - Jinn würde demjenigen garantiert
eher die Augen auskratzen, als sich von der langen Mähne zu trennen. Nun
stand sie hier, völlig ruhig, die Arme vor der Brust verschränkt, neugierig
die Ratsmitglieder musternd. Obi-Wan war versucht, den Kopf zu schütteln.
Jinn schien überhaupt keine Angst vor einer Ablehnung durch diese Jedi zu
haben...
Aber warum auch sollte sie sich davor fürchten, wie er es getan hatte?
Sie konnte jederzeit nach Gestareesch zurückkehren, sie hatte im Gegensatz zu ihm eine Familie - sie hatte sogar zwei, wenn man es genau nahm.
Und er fühlte, dass sie eigentlich gar nicht hier bleiben wollte - was immer der
Rat auch entscheiden würde, der Tempel und die Ausbildung hier würden
nur ein Schritt auf ihrem Weg sein. Sie würde die Jedi und die fünf weißen Türme nie als ihre Familie und Heimat ansehen, auch in hundert Jahren
nicht! Obi-Wan tat diese Erkenntnis unendlich weh. Sein Meister kämpft hier
um etwas, das seiner Tochter nicht das Geringste bedeutete. Wie sinnlos...
welche Verschwendung!
Qui-Gon schloss seinen Bericht.
,,Ich habe die Verantwortung für Jinn übernommen und ich bitte den Rat
um die Erlaubnis, sie als meinen Padawan annehmen zu dürfen.” Er zog ein
Datenpad aus dem Ärmel. ,,Ich habe sie geprüft auf dem Weg hierher - sie
erfüllt die Bedingungen, eine Jedi werden zu können!”
Yoda nahm ihm das Pad nicht einmal ab. Er musterte das Mädchen aus
halb geschlossenen Augen. Aber er antwortete nicht. Stattdessen ergriff die
Meisterin Do-Rail Lith das Wort.
,,Selbst wenn wir ihr Alter unberücksichtigt lassen, Meister Qui-Gon,
es ist unmöglich, dass du sie zum Padawan nimmst. Du hast bereits einen
Schüler! Der Codex untersagt einen zweiten Padawan.”
Qui-Gon stemmte die Hände in die Hüften. ,,Ich kenne den Codex!”
Do-Rail Lith schaute ihn herausfordernd an. ,,Warum stellst du dann
diese Forderung? Du weißt, dass wir diese Bitte nur ablehnen können!”
Der Jedi-Meister holte tief Luft, Obi-Wan spürte die Verzweiflung in QuiGon. ,,Weil ich...” Über ihr Band hörte er seinen Meister fast schreien ‘weil
ich ihr Vater bin!’ - doch über seine Lippen kamen andere Worte... ,,weil ich
es ihrer Mutter versprochen habe, als sie starb!”
Yoda sah seinen ehemaligen Schüler weiterhin nur schweigend an.
Do-Rail Lith schüttelte den Kopf. ,,Du wirst dieses Versprechen nicht
halten können, Qui-Gon...”
Obi-Wans Lehrer erstarrte. Hilfesuchend sah er Yoda an, doch der sah
nur fragend zurück. Mit Hilfe der MACHT versuchte er, seinen Lehrer zu
4.12. DEFYING
227
erreichen, doch der alte Jedi-Meister kniff verärgert die Lippen zusammen
und sah Qui-Gon nur enttäuscht an. Einen kurzen Augenblick war der junge
Meister versucht, die Wahrheit zu sagen, doch dann kam ihm eine andere
Idee. Er trat gewandt hinter Jinn und war im Begriff seine Hände auf ihre
Schultern zu legen und einen zweiten Trainingsbund zu schließen.
Obi-Wan starrte seinen Lehrer mit vor Entsetzen offenem Mund an.
Yoda schloss die grünen Augen und griff nun seinerseits in die MACHT.
Seine Stimme hallte dröhnend durch den Kuppelraum.
,,Halt!!”
Qui-Gon verharrte mitten in der Bewegung. Nur Millimeter trennten seine Finger von Jinns Schultern. Er war versucht, gegen Yodas Blockade zu
kämpfen, doch dann gab er nach. Langsam hob er die Hände hoch, legte
dann vorsichtig eine Hand auf Jinns Kopf. Eindringlich sah er seinen Meister
an. ,,Ich wollte nicht respektlos erscheinen, aber ich werde Jinn ausbilden!
Ich habe versprochen, dass aus ihr eine Jedi wird, und ich werde dieses Versprechen nicht brechen.” Er machte eine Pause. ,,Wenn es sein muss, werde
ich den Orden verlassen und mein Versprechen ohne Einwilligung des Rates
erfüllen!”
Obi-Wan stockte der Atem.
Eisiges Schweigen erfüllte den Raum.
Fast alle Blicke der Anwesenden wanderten von Qui-Gon zu Obi-Wan,
dann zu Jinn, schließlich zu Yoda.
Der alte Jedi-Meister erhob sich - und er schien auf einmal unendlich
größer zu sein als sein ehemaliger Padawan. Sein Stimme war rau. ,,Vor der
Tür warte auf die Entscheidung des Rates, Qui-Gon von Kallon!”
Qui-Gon verharrte einen Augenblick, er spürte an der ihm jede Würde
eines Jedi verweigernden Anrede, wie sehr er Yoda gegen sich aufgebracht
hatte. Aber er konnte die Worte nicht zurücknehmen - schlimmer noch, er
wollte sie nicht einmal zurücknehmen. Er hatte sie genauso gemeint, wie er
sie gesagt hatte: Durfte er nicht innerhalb des Tempels Jinn ein Lehrer und
Vater sein, würde er den Orden eben verlassen, um ihr ihre verlorene Familie
zu ersetzen.
Er neigte den Kopf knapp vor seinem Lehrer und wandte sich um, wollte
die beiden Kinder mit sich nehmen. Doch Yoda hielt sie zurück. ,,Obi-Wan
und Jinn hier bleiben! Nur du gehst!”
Noch ein kurzes Kräftemessen in ihren Blicken, dann verließ Qui-Gon
mit riesigen Schritten, vor Entschlossenheit und verhaltener Verzweiflung
kochend, den Raum.
Zwei Stunden später saß er noch immer auf der Bank vor den großen
Türen des Rates und starrte über Coruscants Wolkenkratzer... nur dass die
Entschlossenheit derweil fast völlig der Verzweiflung gewichen war. Dann
228
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
endlich öffneten sich die hohen Türflügel. Langsam trat Qui-Gon in die Mitte
des Saals zurück. Obi-Wan mied seinen Blick. Über Jinns Wangen liefen
Tränen, doch Qui-Gon wagte es nicht, seine Tochter zu trösten. Er ahnte das
Urteil des Rates... Doch bevor er nur einen Ton sagen konnte, schnitt Yoda
ihm mit eisiger Stimme das Wort ab.
,,Dein Versprechen du halten wirst, Qui-Gon Jinn.” Eine Welle der Erleichterung durchlief den jungen Meister, doch Yoda war noch nicht zu Ende.
,,Jinn ausgebildet wird.”
Der alte Jedi erhob sich wieder und trat hinter das weinende Mädchen.
Sanft legte der Meister seine dreifingrigen Hände auf ihre schmalen Schultern.
,,Ich Jinn zu meinem Padawan nehme!”
Qui-Gon wollte protestieren, doch Yoda ließ ihn nicht zu Wort kommen.
Sein Blick traf den jungen Meister in‘s Herz - und seine geraden Worte trafen
wie Messerstiche. ,,Was du versucht hast, Qui-Gon Jinn, war nicht nur ein
grundlegendes Prinzip unseres Codex außer Kraft zu setzen - nein! Du hast
versucht, den Rat zu erpressen! Es ist eine Schande, dass wir dich hier erinnern müssen, dass du eine Verpflichtung gegenüber deinem Schüler hast! Du
hast Obi-Wan zum Jedi-Padawan erwählt! Du hast die Verantwortung für
seine Ausbildung zum Jedi übernommen! Wie konntest du auch nur daran
denken, einen zweiten Padawan zu wählen?”
Sein ehemaliger Schüler schwieg, doch eine tiefe Röte überzog seine Gesichtszüge. Yoda stand nun direkt vor ihm.
,,Dieser Rat gibt deiner Erpressung nicht nach! Denke nicht, dass Jinn
meine Schülerin wird, weil du uns drohst, Obi-Wan andernfalls im Stich zu
lassen! Sie wird es, weil - soweit ich es beurteilen kann - es der Wille der
MACHT war, dass sie hierher zu uns in den Tempel kam!”
Er machte eine lange Pause.
,,Dieser Rat lässt sich nicht erpressen. Und er duldet auch keine Erpressung - schon gar nicht aus seinen eigenen Reihen, Qui-Gon Jinn!” Die anderen
Ratsmitglieder standen ebenfalls auf, um Yodas Entscheidung auch symbolisch zu unterstützen. ,,Du wirst aus dem Rat der Jedi mit dem heutigen Tag
ausgeschlossen!”
Sowohl Obi-Wan wie Qui-Gon erblassten bei diesen Worten. Beide erkannten, wie einschneidend diese Worte waren: Noch nie hatte ein Jedi seinen
Sitz im Council anders als durch seinen Tod verloren...
Qui-Gon schloss die Augen. Schlagartig erkannte er, welche Schande er
über sich gebracht hatte, und wie sehr er gleichzeitig seine nun ehemaligen Ratskollegen beleidigt hatte. Er hatte vielleicht unbeabsichtigt einen so
unglücklichen Weg gewählt, dass sie nun den Codex missachten mussten und
einen Präzedenzfall schufen, um einen in ihren Augen weitaus schlimmeren
Frevel zu verhindern: Den Verrat an einem loyalen Schüler...
4.12. DEFYING
229
Yodas Schüler schluckte und schlüpfte aus der schwarzen Robe seiner
Meisterwürde. Er ließ sie - ohne sie rituell zusammenzulegen - vor seinem
Lehrer zu Boden gleiten. Yoda verstand die Geste und nickte stumm. ,,Deinen
Titel du behältst, Meister Qui-Gon Jinn, aber eine bescheidenere Robe und
ein bescheidenerer Umgang mit dem Codex sicherlich dir guttun würden!”
Der junge Meister senke stumm den Kopf.
Beschämt sah Qui-Gon danach Obi-Wan an, der blass und noch immer
zutiefst verstört neben ihm stand. Natürlich hatte er am Ende nicht mehr
vorgehabt, den Jungen mitzunehmen - sondern ihm einen anderen Lehrer zu
suchen... Und sein Padawan hatte es bestimmt gespürt...
Er ging in die Hocke und umarmte seinen Schüler zitternd. ,,Es tut mir
so leid, Obi-Wan. Ich wollte dir nicht weh tun...”
Der Junge senkte pflichtbewusst den Blick. ,,Ich weiß, Meister...” QuiGon hörte über ihr gemeinsames Band, wie der Junge hinzufügte: Ich weiß
auch, warum ihr es getan habt... Doch die Tatsache, dass sein Padawan seine
Umarmung nicht erwiderte, zeigte ihm überdeutlich, wie sehr er das Vertrauen des Jungen verletzt und missbraucht hatte. Er hatte ihn zerstört beinahe zumindest. Qui-Gon schloss die Augen und konnte nicht verhindern,
dass einmal mehr Tränen über seine Wangen liefen. Er hatte als Lehrer und
Partner vollkommen versagt...
,,Es tut mir so leid...”
Wie schwer würde es sein, dieses Vertrauen zwischen ihnen wieder aufzubauen! Wie tief würden die Narben sein, die der Junge zurückbehielt?
Dann sah er Jinn.
Seine kleine Tochter weinte ebenfalls. Einen kurzen Augenblick wollte
Qui-Gon auch sie trösten, doch Yoda schickte ihn und Obi-Wan fort. ,,Geht!
Genug zu bereden und zu meditieren ihr beide habt - und wir auch!”
Ohne Widerspruch erhob der junge Meister sich und ging zum Ausgang.
In der hohen Tür wandte er sich noch einmal um. Und er sah, wie Yoda Jinn
in seinen Armen tröstete... so als wüsste er, wie einsam das kleine Mädchen
sich gerade fühlte...
Qui-Gon ging in die Hocke und hob die Hand, um anzuklopfen, doch
Yodas Stimme erschallte bereits aus dem Inneren. ,,Komm rein, Padawan!”
Er drückte die kleine Tür auf und zwängte sich hindurch. Yoda saß, umgeben von kleinen Windlichtern, in der hinteren Ecke seines Raumes, den
Blick auf das kleine Bett an der Wand gerichtet. Jinns langes, aschgraues
Haar lukte unter der Decke hervor. ,,Schlafen sie wird, während wir reden,
setz dich hierher, Padawan!”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. ,,So lange werde ich nicht bleiben, Meister.
Ich habe nur eine einzige Bitte.” Er schaute kurz zu Boden. ,,Lasst ihr das
lange Haar.”
230
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Yoda sah ihn lange an. Qui-Gon spürte, dass sein Meister mit ihm über
seinen beschämenden Auftritt vor dem Rat zu sprechen wünschte, aber er
selbst war nicht bereit dazu. Es war nicht nötig. Er wusste, dass er versagt
hatte, er wusste, was er Obi-Wan und auch seinem Lehrer angetan hatte.
Schließlich schloss der alte Jedi seine Augen. ,,Warum?”
Sein ehemaliger Schüler holte tief Luft. ,,Auf ihrem Heimatplaneten tragen nur Kämpfer kurzes Haar. Diplomaten und Politiker tragen es lang, zu
einem einzigen Zopf geflochten. Jinn weiß das. Wenn sie die diplomatische
Ausbildung ernst nehmen soll, wäre es besser, wenn sie ihre langen Haare
behielte...”
Yoda sah ihn kritisch an. Doch seine Stimme war überraschend sanft.
,,Du noch einen Grund hast, nicht wahr, Qui-Gon?”
Sein Schüler schwieg eine lange Zeit. Dann nickte er. Seine Stimme war
rau. ,,Ja, mein Meister... Ihre Mutter trug ihr Haar in der gleichen Länge wie
sie nun, und ihrem Vater würde es gefallen, wenn ihr ihr erlauben würdet,
auf diese Weise die Erinnerung an ihre Heimat und ihre Familie aufrecht zu
erhalten...”
,,Ihr Vater, Du sagst.”
Er nickte. ,,Ja...”
Yoda senkte die Ohren und schüttelte leicht den Kopf. ,,So das erste, was
Jinn von mir lernen soll, ist, den Codex zu missachten - du unmöglich bist,
Qui-Gon!”
Der junge Meister senkte den Kopf. Dann tat er etwas, was Yoda noch nie
erlebt hatte: Er bat noch einmal, mit tonloser Stimme. Trotz der Ablehnung
seines Lehrers wiederholte er seine Bitte. Aber der alte Jedi wartete umsonst
auf eine Erklärung für dieses fast schon wieder an Respektlosigkeit grenzende
Verhalten. Qui-Gon wollte sie ihm offensichtlich noch immer nicht geben.
Yoda seufzte schließlich.
,,Deiner Bitte ich entsprechen werde - aber nicht für ihre Erinnerung und
die Reesch ich es gestatten werde, sondern ihres Vaters wegen und seiner
Erinnerungen.”
Qui-Gon zuckte zusammen. Er hob den Kopf nicht, sondern setzte sich
schweigend neben Jinns Bett auf den Boden. Vorsichtig strich er ihr offenes
Haar beiseite, flocht aus drei Strähnen im tiefen Nacken einen Padawanzopf.
Yoda ließ ihn gewähren. Der alte Jedi konnte die Tränen auf Qui-Gons Wangen zwar nicht sehen, aber er spürte, wie elend seinem ehemaligen Schüler
zumute war. Wie gerne hätte er ihm geholfen, doch der junge Meister wollte
partout nicht über sein Problem reden. Warum auch immer nicht... Yoda
wusste nur, dass der Versuch, ihn nach Gestae zurückzuschicken, um ihn zu
zwingen, sich seiner Vergangenheit zu stellen, reichlich schief gegangen war.
Anstatt endlich inneren Frieden zu finden, war sein Schüler mit größeren
4.13. ZUSAMMENBRÜCHE
231
Problemen zurückgekehrt.
Nicht immer gingen seine sorgsam eingefädelten, pädagogischen Pläne
auf.
Qui-Gon verneigte sich tief vor ihm, so weit das in der niedrigen Wohnung
überhaupt möglich war. Yoda sah ihm kopfschüttelnd nach. Gordon hatte
Recht gehabt: Ein codexverachtender Meister... und ein halsstarriger, die
Wahrheit von seinem eigenen Standpunkt aus betrachtender noch dazu...
4.13
Zusammenbrüche
Obi-Wan schlüpfte in die äußere Tunika - und zögerte. Auf seinem Stuhl lag
die Überschärpe. All die Jahre an Qui-Gons Seite hatte er sie stolz getragen, hatte sie jeden Morgen übergelegt und damit auf seine stille Art seinen
Respekt seinem Meister gegenüber gezeigt.
Heute war er sich nicht sicher, ob er sie anlegen wollte.
Er stand hinter seinem Stuhl, eine Hand auf dem weißen Stoff.
Qui-Gon stand in der Tür zu ihrem kleinen Bad und frottierte sich das
lange Haar. Er spürte Obi-Wans Konflikt über ihr Trainingsband. Er ahnte,
was in seinem Schüler vor sich ging. Wie oft hatte er sich in den letzten
Jahren gewünscht, der Junge würde anfangen, seinen eigenen Kleidungsstil
zu entwickeln - aber so hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt!
Leise schloss er die Tür wieder und hängte das Handtuch über den Haken
an der Wand. Sein Blick fiel in den Spiegel. Unwillkürlich strich er das wirre
Haar zurück, band den Zopf zurecht. Dann starrte er sich an.
Du hast versagt, Qui-Gon, nicht nur gegenüber Jinn und Javall, nein, vor
allem gegenüber Obi-Wan. Du musst ihm dein Vertrauen beweisen, du musst
ihm sein Selbstvertrauen wiedergeben... aber wie??
Es nützte nichts, er konnte sich nicht für alle Ewigkeiten hier im Bad
verstecken. Irgendwann würden sie wieder miteinander reden müssen. Warum
also nicht jetzt?
Qui-Gon stieß die Tür auf - doch Obi-Wan war bereits in seine Klasse
gegangen.
Der junge Meister begriff, dass er nicht der einzige war, der nicht wusste,
was er sagen sollte. Langsam ging er zum Stuhl seines Schützlings herüber.
Die Schärpe lag fein säuberlich zusammengelegt auf dem Sitz, neben dem
Lichtschwert seines Schülers. Qui-Gon ließ langsam die angehaltene Luft entweichen und seufzte. Der Tag fing ja gut an...
Obi-Wan schob vorsichtig die Tür zum Klassenzimmer auf. Er wusste,
dass er zu spät war, und er wollte Qui’Ra nicht wegen solch einer Lapalie
232
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
gegen sich aufbringen. Leise wollte er an seinen Platz huschen, doch aus dem
anderen Ende des Raumes hielt die Stimme seiner Lehrerin ihn auf.
,,Schön, dass du dich auch zu unserer Klassenarbeit gesellst!”
Obi-Wan verzog das Gesicht und setzte sich an sein Pult. Dann schaute er
auf das Aufgabenpad vor sich. Nun, er hatte zwar fast vier Wochen Unterricht
versäumt, aber er würde nicht untergehen ohne gekämpft zu haben...
Zwei Stunden später hatte er die meisten seiner Aufgaben gelöst und
grübelte über einem der letzten Teilprobleme. Qui’Ra wanderte weiterhin
durch den kleinen Unterrichtsraum und wandte ihm den Rücken zu, als Peh
sich plötzlich zu ihm hinüberbeugte und eine zusammengeknüllte Papierkugel
auf seinen Tisch fallen ließ.
,,Hey, was s...”
Die Lehrerin griff über seine Schulter und nahm den Ball an sich. Peh sah
sie mit Unschuldsmiene an. ,,Ich habe nur Obi-Wan den Zettel zurückgegeben, den er hat fallen lassen...”
Qui’Ra runzelte die Stirn, sah den entgeisterten menschlichen Padawan
an. Dann entfaltete sie den Zettel. Ihr Blick wurde ernst. ,,Hast du das geschrieben, Obi-Wan?”
Er konnte nicht einmal erkennen, was auf dem Papier stand. Er schüttelte
den Kopf. ,,Ich habe den Zettel noch nie gesehen!”
Peh verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Aber ich habe doch gesehen,
wie du ihn aus Versehen von deinem Pult gestoßen hast! Ist es ein Liebesbrief
Deiner Freundin?”
,,Nein...” Qui’Ra sah Obi-Wan nachdenklich an. ,,Es sind die Lösungen
der Aufgaben - inklusive der benötigten Formeln.”
Derweil hatten alle Jedi-Schüler ihre Stifte beiseite gelegt und verfolgten
das Geschehen in der ersten Reihe. Eine unheimliche Stille legte sich über
ihre Köpfe. Niemand wagte zu atmen. Die Lehrerin sah Obi-Wan weiterhin
an. ,,Scheint so, als hätte ein findiger Padawan wieder einmal Zugriff auf
meinen Computer genommen...”
Qui-Gons Schüler erblasste. Er wusste, worauf sie anspielte. Er schüttelte fassungslos den Kopf. ,,Nein...” Seine Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern. ,,Nein, Meisterin, ich war es dieses Mal nicht!”
Sie ließ ihn nicht aus den Augen. ,,Aber du bist der einzige Padawan, der
das bislang zustande gebracht hat - und der einzige, der jemals in meinem
Kurs Papier benutzt hat - und dies sieht deiner Handschrift verteufelt ähnlich!” Sie gewährte ihm einen kurzen Blick auf den Zettel. Obi-Wan wurde
noch eine Spur blasser - es war seine Handschrift, beziehungsweise eine sehr
gute Fälschung derselben...
,,Ich habe nicht versucht, Euch zu betrügen, Meisterin - ich war ja bis
gestern gar nicht hier! Ich wusste nicht einmal, dass wir heute eine Arbeit
4.13. ZUSAMMENBRÜCHE
233
schreiben würden!”
Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Er wusste nur eines, wenn
Qui’Ra und Qui-Gon ihm nicht glauben würden - und alles sprach offensichtlich gegen ihn - würde er den Tempel verlassen müssen. Er hatte Qui-Gons
Warnung in dieser Beziehung nicht vergessen. Und welchen Grund sollte Jinns
Vater haben, ihn nun noch zu decken, wo seine Tochter hier war?
Tränen sammelten sich in seinen Augen. Da war sie wieder - die Angst,
nie ein Jedi-Ritter zu werden!
Dann sah er Pehs Grinsen...
Kalte Wut durchfuhr ihn. Er stand auf, umkrallte seine Stuhllehne mit
der einen Hand und zeigte mit der anderen auf seinen Widersacher. ,,Ich
wette, Du warst es!”
Peh sprang ebenfalls auf, verbannte aber das Lächeln aus seinen Zügen,
bevor Qui’Ra sich zu ihm umwandte. ,,Ich? Was habe ich damit zu tun??”
Obi-Wan spürte den so lange verdrängten Hass in sich endlich zur Oberfläche durchdringen. Er stieß die nächsten Worte zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. ,,Du wolltest schon immer, dass ich den Tempel verlassen muss! Du hast mich schon immer um meine Mathematiknoten
gebracht! Du hast meine Hausaufgaben verbrannt und mich betrogen und
belogen - und jetzt versuchst du es schon wieder! Aber diesmal nicht! Und
wenn es das letzte ist, was ich hier in diesen Hallen tun werde, dafür wirst
du bezahlen!!”
Qui’Ra hatte Mühe, Obi-Wan festzuhalten. Halb überrascht, halb entsetzt
starrte sie den Jungen an. Und Qui-Gons Padawan durchlief die MACHT
eisigkalt... Schlagartig begriff der menschliche Junge, dass er seinem Widersacher nur in die Hände spielte... Ernüchtert verharrte er, schloss die Augen.
Seine Lehrerin spürte die Veränderung, ließ ihn vorsichtig los. Obi-Wan sank
auf den Stuhl zurück, legte die Arme auf die Tischplatte und vergrub das
Gesicht darin.
Aus...
Vorbei...
Qui’Ra musterte Peh einen Augenblick lang, sah auf den weinenden, einem Zusammenbruch nahen Padawan herab. Dann wählte sie drei Schüler
aus, die Yoda, Mace und Qui-Gon holen sollten, schickte die anderen fort,
nahm die Datenpads der beiden Kontrahenten an sich.
Yoda erschien als erster der Jedi. Qui’Ra bat ihn, mit Peh in den Nachbarraum zu gehen - den alten Jedi-Meister würde der Zabrak nie und nimmer
belügen können! Mace gesellte sich danach zu ihnen, zum Schluss betrat QuiGon den Raum.
Beide anwesenden Jedi zuckten zusammen. Obi-Wans Lehrer sah wie sein
Padawan furchtbar aus. Seit Tagen hatte er anscheinend nicht richtig ge-
234
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
schlafen, er war blass, und Mace hatte den Eindruck, sein Freund habe lange
und wiedergeholt geweint. Abgenommen hatte er, unter seinen Augen lagen
dunkle Ringe. Er schien auch den Bericht der Lehrerin nur halb wahrzunehmen. Sein entsetzter Blick haftete auf seinem Schüler. Dann schloss er
erschüttert die Augen.
Er ging auf den Flur, wo sie auch auf Yoda trafen.
Qui-Gon lehnte sich mitgenommen an die Wand, rieb sich die hohe Stirn,
als habe er schreckliche Kopfschmerzen. ,,Es ist meine Schuld... Ich hätte viel
eher zu Euch kommen müssen...”
Stockend erzählte er von Obi-Wans seit langem andauernden Kleinkrieg
gegen Maces Padawan. Sein Freund hörte schweigend zu, begann dann unruhig auf und ab zu wandern. Verstört sah er Qui-Gon an. ,,Ich hatte keine
Ahnung, welche Ausmaße das angenommen haben muss! Willst du etwa sagen, die kleinen Prügeleien vor so langer Zeit und der Computereinbruch vor
einem Jahr waren nur die Spitze des Eisberges?”
Qui-Gon nickte langsam und schuldbewusst. ,,Ich denke schon - ein solcher Wutausbruch wie Qui’Ra ihn uns beschrieb, passiert nicht ohne Grund.
Ich hätte Obi-Wans Verdacht nicht einfach so abtun dürfen. Ich hätte der
Sache auf den Grund gehen müssen - wir hätten das verhindern müssen!”
Mace sah Yoda fragend an. Doch der alte Jedi schüttelte den Kopf. ,,Peh
gar nichts sagt. Und solange er nicht redet, ich nicht wissen werde, ob er
lügt!”
Qui’Ra seufzte. ,,In einer Sache bin ich sicher: Obi-Wan lügt nicht. Zumindest empfindet er das, was er sagt, nicht als Lüge. Er ist fest davon überzeugt,
dass Peh ihm den Zettel absichtlich untergeschoben hat, um einen Rauswurf
aus dem Tempel zu provozieren.”
Qui-Gon starrte auf das kleine Blatt Papier. Obi-Wan hatte Papier benutzt, das stimmte, aber er selbst wusste nicht, ob dies nun die Handschrift
seines Schülers war oder nicht. Als er dies zugeben musste, war er sich der fragenden Blicke der anderen drei Jedi nur zu bewusst. ,,Was machen wir jetzt?
Wir glauben meinem Padawan, aber wir können die Schuld des anderen nicht
beweisen...”
Mace starrte zu Boden. Qui-Gon fragte sich, ob er sich ebenfalls als Versager auf der ganzen Linie fühlte. Den eigenen Schüler bei Betrügereien und
Feindlichkeiten zu erwischen, zählte nicht gerade zu den angenehmsten Erfahrungen im Leben eines Jedi-Ritters. Schließlich meldete sich Yoda zu Wort.
,,Es eine Möglichkeit gibt: Die MACHT wir entscheiden lassen.”
Qui’Ra holte tief Luft. ,,Ihr meint ein Ehrenduell, Meister Yoda?”
Der alte Jedi nickte.
Wieder schwiegen die vier Jedi lange Zeit.
Ein solcher Kampf wurde nur selten im Tempel ausgetragen - das Ritual
4.14. DUELL DER EHRE
235
einer Zeit, in der es viele Abweichler gegeben hatte, zu viele, um sie alle
einfach gehen zu lassen. Damals hatte so mancher Meister seinen Schüler
fordern müssen, hatte eine persönliche Katastrophe einer größeren vorziehen
müssen... In den letzten zwanzig Jahren hatte es nicht einen einzigen Vorfall
gegeben, der so gelöst hatte werden müssen. Erwachsene Jedi trugen diesen
Konflikt mit ihren Schwertern gegeneinander aus, Schüler mit den langen
Holzstangen des Anfängerfechtkurses. Ausgebildete Jedi kämpften bis zum
Tod eines der beiden Kontrahenten, Schüler bis einer aufgab - der Verlierer
verließ Tempel und Orden für immer, auf die eine oder andere Weise.
Qui-Gon dachte an die letzten Wochen, an den Obi-Wan, der heute morgen tief verletzt und erschüttert nicht einmal mit ihm frühstücken gegangen
war, an den Jungen, der weinend im angrenzenden Klassenzimmer saß. Wie
sollte sein Padawan diese Prüfung überstehen? Er wollte gerade den Kopf
schütteln, als eine zitternde Stimme über den Flur schallte.
,,Ich möchte das Duell der Ehre austragen, Meister Yoda!”
Obi-Wan stand aufrecht in der Tür und sah den alten Jedi zuversichtlich
an. Doch Qui-Gon spürte den Mut eines Verzweifelten über sein Band zu
dem Jungen.
Yoda stimmte nickend zu, wandte sich dann ab, um Peh zu informieren.
Qui-Gon ging vor seinem Padawan in die Knie. Nun war er so bereits einen
Kopf kleiner als der Junge. Vorsichtig legte er seine rechte Hand auf ObiWans Schulter. ,,Ich werde dich darauf vorbereiten, Padawan! Du wirst es
schaffen!”
Inständig hoffte er, dass der Junge seine eigenen Zweifel, seine Angst um
ihn nicht spüren würde.
Obi-Wan sah seinen Meister lange an. Dann verneigte er sich respektvoll
vor ihm.
4.14
Duell der Ehre
Qui-Gon beobachtete Obi-Wan durch den Spiegel.
Wenn ihm das einer noch vor drei Wochen prophezeit hätte - er hätte
demjenigen nicht geglaubt! Doch nun stand er hinter der durchscheinenden
Scheibe, die Hände in den weiten Ärmeln der dunkelbraunen Robe eines
einfachen Jedi-Ritters verborgen, und sah Obi-Wan zu.
Sein Schüler schien keinerlei Angst vor diesem Duell zu haben. Leichtfüßig,
geradezu anmutig tanzte er in einem endlosen Schattentanz mit dem Lichtschwert in der Hand durch die große Halle. Seine Drehungen waren geschmeidig, seine Sprünge gezielt und weit. Einmal wirbelte er um die eigene Achse
durch die Luft, landete sicher und angriffsbereit auf beiden Füßen. Seinen
236
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Kampfstil zeichnete jene Eleganz aus, die Qui-Gon schon bei Meister Yoda
bewundert hatte, die ihm selbst aber völlig fremd war. Er hatte schon immer
den geraden Stil, den einfachen und direkten Angriff bevorzugt.
Der junge Padawan schien ein sehr viel selbstbewussterer Kämpfer zu sein
als Qui-Gon in seinem Alter gewesen war.
Doch er wusste, dass der Schein trog, er wusste, dass Obi-Wan Angst
hatte. Er spürte sie jedes Mal, wenn er in die Halle trat: Sein junger Schüler
wurde in seiner Gegenwart unsicher, machte im wahrsten Sinne des Wortes
dumme Fehler, verlor sogar das Band zur MACHT.
Was Qui-Gon am meisten dabei erschütterte, war die Tatsache, dass er
selbst die Ursache für das Versagen des Jungen war. Das gegenseitige Vertrauen, die Grundlage für jeden Trainingsbund zwischen zwei Jedi, war zerstört.
Und Qui-Gon gelang es nicht, zu seinem verletzten Padawan durchzudringen. Er hatte es noch am selben Abend versucht, doch Obi-Wan hatte seine
langatmige Erklärung einfach mit den Worten ‘Ich weiß warum ihr es getan habt, Meister!’ abgewürgt. Er wollte oder konnte sich nicht von seinem
Meister trösten lassen. Aber er ging auch zu niemand anderem. Er mied das
Arboretum und den alten Ben genauso wie Do-Rail Lith’s Büro. Die Meisterin hatte sich als Psychologin angeboten, aber Obi-Wan ging nur in die große
Halle, wann immer sie unbesetzt war, übte und machte solange seine Sache
ausgesprochen gut, bis sein Meister dazu kam...
Qui-Gon beobachtete, wie sein Padawan das Lichtschwert deaktivierte, an
seinen Gürtel zurückhängte und eine der langen Stangen nahm, mit denen
der Kampf ausgetragen werden sollte. Auch damit kam er blendend zurecht.
Der Meister seufzte und verließ den kleinen Raum hinter dem Spiegel. ObiWan konnte gewinnen, wenn er nur seine Angst überwandt! Und Qui-Gon
wünschte sich nichts mehr, als dass sein Junge den Kampf siegreich zu ende
brachte. Der Padawan durfte nicht für die Fehler des Lehrers bezahlen, das
wäre nicht fair...
Die Trainingshalle war voll besetzt - ein Duell um die Ehre eines Jedi
musste öffentlich sein. Und doch herrschte geradezu eine Totenstille auf den
Tribünen. Niemand wagte zu sprechen, aller Augen waren auf den Raum
unter ihnen geheftet.
Und auf die beiden Jedi. Die beiden Schüler des Ordens...
Der junge Zabrak stand neben seinem Meister und wusch sich in einer
Schüssel kaltem Wasser die schweißnassen Hände. Mace ging in die Hocke
und sprach ein paar Worte zu seinem Schüler. War er auch nicht von der
Unschuld seines Schützlings überzeugt, so ließ er ihn doch nicht im Stich.
Die MACHT würde entscheiden, der Schüler, der ihre helle Kraft auf seiner
Seite hatte, würde siegen...
Obi-Wan war allein.
4.14. DUELL DER EHRE
237
Qui-Gon hatte ihn bis zur Tür, die in den Trainingsraum führte, begleitet.
Gestern Abend hatte er zusammen mit seinem Schüler hier in der Halle
meditiert. Zuvor hatte er Obi-Wan übersetzt, was in Mosaikschrift auf den
Wänden stand:
Frieden über Wut.
Ehre über Hass.
Stärke über Angst.
Dies seien die Prinzipien, nach denen alle siegreichen Jedi jemals hier
gegeneinander gekämpft hätten - Obi-Wan solle das nie vergessen!
Am frühen Morgen hatte er den Padawanzopf geöffnet und sorgfältig neu
geflochten, hatte ein extra ungefärbtes, weißes Band zur Erinnerung an die
helle Seite der MACHT hinein gewoben. Der Junge hatte es schweigend über
sich ergehen lassen. Genauso schweigend hatte er sich angezogen, hatte aber
die Schärpe wieder über dem Stuhl liegen gelassen. Schweigend war auch
ihr Abschied in der Umkleide gewesen. Obi-Wan hatte Qui-Gons Umarmung
kaum erwidert.
Der junge Meister hatte dann aus ihrem Quartier den verschmähten Überwurf geholt und saß nun, zwischen Yoda und Ben, die ihn beide seltsam
anstarrten, auf der untersten Bank der Tribüne, umkrallte den weißen Frotteestoff und hoffte, dass die Distanz Obi-Wan helfen würde...
Obi-Wan spürte Qui-Gons Präsenz nicht mehr. Sie ging unter im mentalen
Nebel der vielen hundert anwesenden Jedi auf der Tribüne. Er sah hinüber
zu Peh, der siegessicher seine feuchten Hände abtrocknete. Mace zog sich an
den Rand der Halle zurück.
Es gab keinen Schiedsrichter, weder eine Aufzeichnung des Kampfes durch
einen Droiden, noch eine Wertung, keinen Heiler oder Medidroiden, die Erste
Hilfe leisten würden, keine Pausen. Es war ein unerbittliches Kampf bis zum
letzten.
Peh und Obi-Wan griffen fast gleichzeitig zu ihren Stangen. Langsam
näherten sie sich der Mitte des hohen Raumes. Das frühe Sonnenlicht dieses
Tages malte bunte Muster auf den alten Holzboden der Halle. Je nach Stellung würden die noch schräg einfallenden Strahlen den einen oder anderen
der beiden Kontrahenten blenden.
Der Zabrak übernahm die Initiative zur ersten Attacke.
Obi-Wan nahm automatisch die Grundstellung ein.
Peh war Linkshänder und hielt die Holzstange für einen Scwertkämpfer untypisch waagerecht vor sich. Langsam näherte er sich seinem Gegner,
schnellte dann blitzschnell vorwärts, drehte die Stange und schlug nach ObiWans Verteidigung. Qui-Gons Padawan hatte Mühe, den heftigen Schlag
abzulenken, fing sich aber wieder.
Ein Raunen lief über die Reihen der zuschauenden Jedi.
238
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Obi-Wan kniff die Augen zusammen, versuchte eine Attacke gegen die
Beine seines Gegners, doch der stieß die Stange nach unten, blockierte den
Hieb und nutzte die Kraft des Menschen, um diesen von sich weg zu stoßen.
Qui-Gon spürte über ihr Band - die lange Erfahrung in der MACHT
ermöglichte es ihm trotz der vielen anderen Jedi um ihn herum, den Kontakt
zu halten - wie Obi-Wan erschrak und zurückwich. Konzentrier dich auf dein
Können, nicht auf deine Befürchtungen, Junge!
Obi-Wan beobachtete den Zabrak aufmerksam. Der hatte als Linkshänder
einen Vorteil - doch der Mensch wollte das nicht einfach so hinnehmen... Er
täuschte einen Schlag gegen den Kopf seines Gegners vor, Peh parierte, wie
sie es von Meister Yoda gelernt hatten, doch Obi-Wan setzte nicht einfach
nach, sondern nutzte seinen eigenen Schwung und wirbelte über den Kopf
des anderen Jungen. Bevor Peh sich umwenden konnte, traf ihn Obi-Wans
Stange hart im Rücken.
Der Zabrak stöhnte und starrte den Menschen kalt an. Dann lächelte
er grimmig. Seine Stimme konnte nur Obi-Wan hören. ,,Wird dein einziger
Treffer bleiben, kleiner Versager!”
,,Ich bin kein Versager - und hier und heute werden es alle sehen!”
Er holte weit aus - zu weit, denn Peh konnte den Hieb so ohne große
Mühe abfangen. Fast gelang es ihm mit einer raschen Wendung, Obi-Wan zu
entwaffnen.
Qui-Gon sah die Überraschung in Obi-Wans Gesicht und kniff die Lippen
zusammen.
Lässig ließ der Zabrak seinen Stab um das Handgelenk rotieren.
Obi-Wan umkreiste seinen Gegner vorsichtig.
Wieder übernahm der Zabrak die Initiative. Mit zwei riesigen Schritten
- Qui-Gon spürte, dass der Padawan dazu die MACHT nutzte - überwand
er die Distanz zwischen sich und dem Menschen und schlug kraftvoll und
zugegebenermaßen elegant nach seinem Widersacher. Obi-Wan wich zurück.
Immer wieder und in immer kürzeren Abständen prallten die Holzstangen
gegeneinander - und Qui-Gons Schüler wich immer weiter in eine der vier
Ecken zurück.
Qui-Gons Hände krallten sich in Obi-Wans Schärpe. Fall bloß nicht auf
diesen alten Trick herein, Junge!
Sein Schüler schien endlich ebenfalls die Strategie zu durchschauen. Mit
einem erneuten gewaltigen Satz war er über den Zabrak hinweg gesprungen
- doch einer der Hiebe traf ihn am rechten Knie. Wieder lief ein dumpfes
Raunen über die Ränge.
Qui-Gon spürte den Schmerz seines Schülers über ihr Band... Doch der
Junge bemühte sich, diesen zu ignorieren. Doch so verlor er automatisch
einen Teil seiner Konzentration auf die Gegenwart und damit auch auf die
4.14. DUELL DER EHRE
239
MACHT, die er so dringend zum Verbündeten brauchen würde.
Peh ließ sich nicht ablenken. Eins in sich trieb er seinen Gegner wieder
und wieder in die Enge. Wer würde länger die Kraft haben? Obi-Wan, um
immer wieder aus bedrängten Lagen mit einem Trick zu entkommen - oder
Peh, immer wieder nachsetzend, aber viel seltener getroffen werdend als sein
Widersacher?
Auch Qui-Gons Schüler durchschaute den Plan seines Gegners endlich.
Er griff selbst an und erwischte Peh mit einem Überraschungsschlag an der
Schulter. Wieder umkreisten die beiden Schüler sich ruhelos in der Mitte
des Saals. Obi-Wan begriff mit jedem weiteren Schlagabtausch, mit jeder
verstreichenden Minute, dass sein Widersacher keinen großen Fehler machen
würde. Peh gab sich nicht die geringste Blöße, etwas, was Obi-Wan von sich
selbst nicht behaupten konnte. Das Knie schmerzte immer noch - und ganz
langsam fühlte er eine aufsteigende Müdigkeit in seinen Beinen.
Und er begriff, dass Abwarten nicht helfen würde: Als Mensch würde er
schneller ermüden als sein Gegner. Wenn er so weiter kämpfte wie bisher,
würde der Zabrak am Ende ohne große Anstrengungen und Probleme gewinnen.
Zuversichtlich wechselte Obi-Wan den dünnen Holzstab in die rechte
Hand. Was hatte er schon zu verlieren? Energisch griff er seinen Widersacher an, ohne Pause, immer wieder. Die lange Stange war wie die lebendige
Verlängerung seines Armes, er beging den Fehler der zu langen und ausgefeilten Züge kein zweites Mal. Er ließ dem Zabrak keine Chance, seine
Strategie durch simple Beobachtung zu unterlaufen. Immer kürzer wurden
die Abstände zwischen seinen Hieben, immer mehr gelang es ihm, Peh in die
Defensive zu drängen.
Qui-Gon schrak aus seiner Konzentration auf.
Irgendetwas hatte ihn berührt, sowohl körperlich als auch in der MACHT.
Er sah sich verstohlen um.
Unter dir, du Riese!
Er musste leicht lächeln. Zu seinen Füßen saß Tarah. Die Merryth sah
ihn aus ihren großen Augen an.
Darf ich...?
Er hob seine Hände vom Schoß, und sie sprang elegant auf seine Knie.
Ihre Aufmerksamkeit wandte sich dem Geschehen unten im Saal zu.
Was ist denn hier los?
Qui-Gon seufzte.
Das ist eine lange Geschichte - wo warst du eigentlich die ganze letzte
Zeit?
Sie schnurrte.
240
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
In Yodas Wohnung... Ich wollte mir deine Tochter anschauen. Nettes
Ding, aber genauso halsstarrig wie du! Armer Meister Yoda - vom Regen
in die Traufe...!
Qui-Gon verzog das Gesicht. Tarah krallte genüsslich auf seinen Beinen.
Der junge Zabrak wirbelte um die eigene Achse, versetzte Obi-Wan einen
harten Schlag gegen dessen in diesem Moment ungeschützten rechten Arm.
Der ließ seine eigene Waffe fallen und keuchte vor Schmerz. Ein zweiter Schlag
traf seine Rippen.
Qui-Gon erhob sich vor Entsetzen halb von seinem Platz, Tarah krallte
sich jaulend in seine Oberschenkel. Dann sprang die Merryth auf die breite
linke Schulter des Jedi-Meisters, um gefahrloser einen besseren Überblick
über das Geschehen unter ihnen zu gewinnen.
Der junge Mensch konnte die rechte Hand nicht bewegen. Mace’ Schüler
wechselte die Haltung des eigenen Stabs in die Luft. Während Qui-Gons
Padawan noch immer nach Luft schnappend versuchte, in die Nähe seines
Holzstocks zu gelangen, ergriff Peh seine Waffe in der Mitte und ließ sie wie
einen zweiblättrigen Propeller rotieren. Siegesgewiss trat er mit einem Fuß
auf das Ende von Obi-Wans Stab, machte es dem verletzten Padawan so
unmöglich, wieder in den Besitz seines Steckens zu kommen.
Qui-Gon umkrallte den Überwurf seines Jungen und hielt den Atem an.
Peh ließ das eine Ende seines Stocks in Richtung von Obi-Wans Kopf
schnellen. Der Junge duckte sich darunter hinweg, doch das andere Ende traf
ihn in den Rücken. Er keuchte - und über die Ränge lief ein lautes Raunen.
Qui-Gon biss die Zähne zusammen, als er den Schmerz seines Schützlings
spürte. Sekunden später traf der Zabrak dieselbe Stelle noch einmal - und
eine von Obi-Wans Rippen splitterte.
Der Mensch wich instinktiv zurück, griff sich an den lädierten Brustkorb.
Qui-Gon versuchte seinen Padawan über die MACHT zu erreichen. Er
schloss die Augen, versuchte den Schmerz seines Jungen zu blockieren, doch
die Entfernung war zu groß beziehungsweise variierte andauernd.
Konzentrier dich auf die MACHT, lass dich von ihr führen, Padawan!
Obi-Wan hörte Qui-Gon regelrecht in seinem Inneren. Schwer atmend
blickte er auf, doch er konnte seinen Meister nirgends am Rand der Halle
entdecken.
Tarah sprang auf das Geländer der Tribüne. Ihre heftige Bewegung erweckte die Aufmerksamkeit des menschlichen Jungen. Er sah, dass sein Meister die Querstange derweil fest umklammert hielt.
Er war hier...
Obi-Wan holte tief Luft, der Schmerz malte sich in sein blasses Gesicht.
Dann konzentrierte er sich auf das Band zur lebendigen MACHT. Er
sah, dass Peh sich ihm weiter näherte - und damit lag Obi-Wans Stock frei
4.14. DUELL DER EHRE
241
weit hinter den beiden Jungen. Der menschliche Kämpfer lief schreiend auf
den Zabrak zu, wich ihm und der rotierenden Stange im letzten Augenblick
aus und hechtete unter dem Stecken mit einer Rolle durch, konzentrierte
sich auf den am Boden liegenden eigenen Stock. Im Fallen bereits erreichte
er seinen Stab mit der linken Hand und konnte den nachsetzten Peh und
dessen kraftvolle Hiebe gerade noch rechtzeitig abwehren.
Einige der Zuschauer klatschten anerkennend rhythmisch in die Hände.
Auch Ben tat dies. Qui-Gon wagte es, endlich wieder zu atmen.
Eine Stunde später wogte der Kampf noch immer hin und her in der
derweil stickigen Halle.
Obi-Wan schlug sich tapfer gegen seinen Gegner. Er hatte sich schnell auf
den nun quasi mit einer zweiendigen Stange kämpfenden Peh eingestellt, auch
wenn er die rechte Hand immer noch nicht wieder ganz belasten konnte. Er
hatte seinen eigenen Stab mit beiden Händen umklammert, wartete kleine
Unaufmerksamkeiten seines Widersachers ab, um ihm Schläge zuzusetzen.
Die MACHT war sein Verbündeter. Sie zeigte ihm, wann er auf einen Treffer
hoffen durfte.
In diesem Angriff nicht...
Peh wirbelte um ihn herum. Obi-Wan musste sich konzentrieren, den
Zabrak nicht aus den Augen zu verlieren. Dann traf ihn der Stecken seines
Gegners noch einmal über der zerschmetterten Rippe. Der Mensch stöhnte
und sackte in sich zusammen. Doch er konnte trotzdem den nächsten Schlag
abblocken. Er hieb nach unten, und der Stab seines Widersachers prallte
gegen den Boden. Obi-Wan änderte die Schwungrichtung, und obwohl er
kaum Luft bekam, gelang es ihm, Peh die Waffe aus den Händen zu drehen.
Doch der Zabrak benutzte die MACHT, um den Stock zu sich zurückzurufen.
Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass Qui-Gons Schüler dies durch die
Wellen in der MACHT vorhersehen konnte.
Obi-Wan umfasste seinen eigenen Stock wieder mit beiden Händen, warf
sich mit aller Kraft und der MACHT gegen den durch die Luft fliegenden
Stab Pehs - und dieser flog noch einmal mehr beschleunigt weiter und krachte
gegen die mosaikgeschmückte Wand. Der Aufprall zerschlug den Stecken in
zwei Teile, die laut polternd zu Boden fielen. Obi-Wan senkte seine eigene
Waffe. Er wartete darauf, dass Peh seine Niederlage eingestand und den
Kampf beendete. Denn fortsetzen konnte er ihn nun ja kaum noch, ohne
schwere Verletzungen zu riskieren.
Qui-Gon war aufgesprungen, und Tarah musste sich heftig in seine Tuniken und die Robe krallen, um nicht von seiner Schulter zu purzeln. Der
Jedi-Meister starrte erwartungsvoll den jungen Zabrak an.
Doch Peh senkte nicht den Kopf vor dem keuchenden Obi-Wan, um dem
Menschen so den Respekt zu erweisen und sich zu unterwerfen.
242
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Qui-Gon spürte eine Erschütterung in der MACHT.
Eine eisige Welle durchflutete den Saal, viele Jedi sprangen auf, und die
Totenstille wich einem entsetzten Aufschrei. Bruchteile von Sekunden später
hielt Peh sein Lichtschwert in der rechten Hand und zündete es. Qui-Gon
wollte über das Geländer springen, um seinem Padawan zur Hilfe zu eilen,
doch Yoda hielt ihn fest.
,,Nein, er allein durch diese Prüfung muss, Padawan!”
Qui-Gon starrte Yoda voller Angst an. ,,Aber wie soll er sich denn nun
verteidigen? Wie soll er jetzt noch gewinnen??”
Yoda senkte die Ohren. ,,Gewonnen er bereits hat!”
Sein ehemaliger Schüler begriff wohl: Dadurch, dass Peh die Regeln des
Ehrenduells mit dem Griff zu seinem Lichtschwert verletzt hatte, hatte er
sich selbst das Recht auf ein weiteres Leben im Orden genommen. Doch
nichtsdestotrotz schwebte Obi-Wan in akuter Lebensgefahr, wenn der Kampf
nicht unterbrochen wurde.
Peh schlug mit seiner dunkelroten Klinge nach seinem Gegner. Der menschliche Schüler wich vorsichtig zurück, warf den Stab beiseite. Dann griff er
unter seine durchgeschwitzte weiße Tunika. Zwischen den Stofflagen zog er
sein eigenes Schwert hervor. Qui-Gons Kinnlade fiel herunter. ,,Woher zum
Geier konnte er das wissen...?”
Yoda lächelte. ,,Du deinen Padawan immer noch unterschätzt. Er Peh
viel besser kennt, als du deinen eigenen Schüler!”
Obi-Wan zündete seine hellblaue Klinge, stellte sich wiederholt seinem
Gegner. Der Zabrak ließ ihn angreifen und drängte ihn dann immer weiter in die Defensive. Doch Qui-Gons Schüler ließ sich nicht beirren. Obwohl
sein Widersacher ihn wiederholt leise beschimpfte und versuchte abzulenken,
ruhte er tief in der MACHT. Und DIESE gab ihm die Kraft, trotz seiner
Erschöpfung und der angebrochenen Rippe weiterzukämpfen. Wir zuvor beobachtete er aufmerksam den Stil seines Gegners und nutzte die Unsicherheiten des Zabrak. Jetzt zahlte sich das Training mit seinem Meister an vielen
Abend hier in der Halle endlich aus: Obi-Wan war der erfahrenere Fechter
mit dem Lichtschwert von beiden.
Ganz allmählich drängte er Peh zur Wand. Dann drehte er ihm das
Schwert - ganz simpel, einfach und elegant sah es von der Tribüne her aus
- aus dem Arm. Pehs Griff flog quer durch die Halle in Mace’ ausgestreckte Hand. Der über seinen hinterhältigen Schüler enttäuschte und wütende
Mensch zerstörte es mit zwei Handgriffen. Der junge Zabrak stand mit dem
Rücken zur Wand. Er erwartete nur noch den tödlichen Hieb seines Gegners.
Obi-Wan wusste, dass er seinem ehemaligen Mitschüler nun das Leben
nehmen durfte. Peh hatte dieses Ende des Kampfes beim Aktivieren seiner
Klinge in Kauf genommen. Doch der Blick der menschlichen Jungen fiel auf
4.15. ENDE UND ANFANG
243
die kunstvollen Worte aus Mosaik über dem Kopf des Zabraks:
Peace over anger.
Honor over hate.
Strength over fear.
Langsam senkte er seine blaue Klinge und deaktivierte das Schwert.
Qui-Gon übersprang das Geländer und nutzte die MACHT, um seinen
Fall in den Trainingsinnenraum abzufedern.
Obi-Wan verneigte sich andeutungsweise vor Peh, wie es am Ende eines
ehrenvollen Kampfes üblich gewesen wäre.
Im nächsten Augenblick fühlte er sich hochgehoben und herumgewirbelt
- und über ihm brandete Beifall auf. Er fühlte, wie zwei starke Arme ihn
umfingen und erkannte seinen Meister. Instinktiv legte Obi-Wan seine nun
zitternden Hände um den Hals seines Lehrers. Qui-Gon verbarg sein tränennasses Gesicht in der Tunika seines Padawan.
,,Ich bin so froh, dass dir nicht viel passiert ist, Obi-Wan!” Erstaunt fühlte
der Junge, dass sein Meister Angst um ihn gehabt hatte, dass er nicht gewusst
hätte, was er getan hätte, läge Obi-Wan nun tot oder schwer verletzt am
Boden... ,,Und ich bin so stolz auf dich, dass du auf deine verdiente Rache
verzichtet hast!”
Er sah seinen Schüler aus nassen Augen an. Obi-Wan wischte ihm die
Tränen von der Wange. ,,Ihr habt mich gelehrt, dass Rache niemandem nützt
- nur dem Bösen, mein Meister!”
Ein klein wenig Respekt lag wieder in dieser leisen Anrede.
Qui-Gon begriff, dass Obi-Wan nie wieder so unbefangen wie vor Gestae
zu ihm wie zu einem Vater aufsehen würde, aber er vertraute ihm als Lehrer
und Freund. Dankbar schloss er seinen Jungen wieder in die Arme und hielt
ihn fest, während er ihn langsam durch die gratulierende Menge zu Doronn
brachte. Immerhin gab es mehrere schwere Prellungen und eine gebrochene
Rippe zu behandeln.
Als der Heiler den Verband angelegt hatte, schlüpfte Obi-Wan vorsichtig
in ein paar saubere Tuniken - und legte schweigend den Überwurf darüber,
bevor er Qui-Gon die Bauchschärpe wickeln ließ...
4.15
Ende und Anfang
Mace Windu saß am Rande des schlammigen Teiches, der nach dem Vorbild
der Vegetation auf Nal Hutta angelegt worden war. Es gab mehrere Dutzend
verschiedene Teiche im Arboretum des Tempels - weite ozonhaltige, grüne
voller Algen und Tang, von Seerosen bedeckte - aber dieses schleimige, übelriechende Gewässer passte hervorragend zu seiner Stimmung.
244
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Wie hatte er nur so blind sein können...
Peh hatte die dunkle Seite der MACHT im Ehrenkampf genutzt. Und
der junge Zabrak hatte SIE auf eine Art und Weise genutzt, die verriet, dass
er schon sehr lange Kontakt zu IHR hatte. Dass er im Umgang mit diesen
Aspekten der MACHT geübt war.
Wie nur hatte er die ersten Anzeichen übersehen können?
,,Vielleicht wolltest du sie übersehen?”
Mace schrak zusammen. Der alte Ben saß neben ihm. Vorsichtig legte der
Gärtner einer seiner großen Hände auf die Schulter des verstörten Meisters.
Mace seufzte. Er wusste, dass der Jedi-Meister zwar aussah wie ein Mensch,
aber gar keiner war. Der alte Gärtner war ein Merryth, einer der wenigen
männlichen Angehörigen dieses Volkes. Noch seltener war allerdings die Tatsache, dass er ein Jedi war - allerdings erst seit Beginn seines letzten Lebens,
für das er die äußere Form der Humanoiden gewählt hatte.
Benjamin - Mace hatte nie herausgefunden, wer dem Merryth diesen altertümlichen Namen gegeben hatte - war schon als ‘Erwachsener’ in den
Tempel gekommen. Und trotzdem hatten die Jedi, die damals im Rat gesessen hatten, ihm noch die Aufnahme in den Orden gestattet. Vielleicht hatten
sie wie Mace bei ihrer ersten Begegnung gespürt, dass die äußere Hülle dieses
Wesens nur Schein war, dass sie keine Rolle spielte.
Der Alte hatte schon immer die Gedanken der meisten anderen Jedi lesen
können. So wie heute auch die des trübsinnigen Mace. Wahrscheinlich war er
deshalb ein so guter Freund: Man war automatisch ihm gegenüber aufrichtig
- und damit auch sich selbst gegenüber. Denn es blieb einem nichts anderes
übrig.
,,Ich hätte es spüren müssen - wie nur konnte er die Verbindung zur
dunklen Seite der MACHT so lange vor mir, nein, vor uns allen geheim
halten?”
Ben verzog das Gesicht. ,,Das haben sich vor eintausend Jahren die Jedi,
die gegen die Sith kämpften, sicherlich auch so manches Mal gefragt. Und sie
haben auch keine Antwort darauf gefunden. Wir reden nicht oft darüber, aber
wir alle wissen, dass die meisten Sith damals im alten Tempel ausgebildet
wurden.”
Mace nickte. ,,Du weißt mehr als alle anderen lebenden Jedi über die
Sith.”
Benjamin verzog das Gesicht. ,,Wie auch nicht - ich habe damals bereits
gelebt!”
Der dunkelhäutige Mensch starrte ihn ungläubig an. Ben lächelte unscheinbar. ,,Mein erstes Leben führte mich auf viele Schlachtfelder der damaligen Zeit. Ich habe sie alle gesehen, die Sith wie die Jedi. Und oft genug
habe ich einen Schüler gegen seinen ehemaligen Meister kämpfen sehen – und
4.15. ENDE UND ANFANG
245
der Meister unterlag. Erst als die Jedi dazu übergingen, bewusst einen Fremden in den Kampf gegen den Abtrünnigen zu schicken, erst da gewannen sie
die Oberhand.” Er seufzte tief. ,,Wir sollten diese Lehre nie vergessen!”
Mace starrte weiterhin in den Teich. ,,Es gibt keine Sith mehr.”
Ben nickte. ,,Ja, so heißt es... Trotzdem sollten wir deinen Schüler nicht
einfach so gehen lassen!”
Der Mensch schüttelte den Kopf. ,,Nur Obi-Wan hat das Recht, ihm das
Leben zu nehmen. Und der Junge hat es abgelehnt.”
Benjamin nickte nachdenklich. ,,Ich weiß, aber ich halte das für einen
großen Fehler! In den Händen eines dunklen Machtbegabten könnte aus Peh
ein gefährlicher Gegner werden. Und er könnte dann vielleicht eines Tages
seine Rache an euch dreien nehmen - an dir, an Obi-Wan, an Qui-Gon. Vielleicht sogar an uns allen!”
Mace verzog das Gesicht. ,,Unwahrscheinlich - es gibt keine Sith mehr!”
Bens Hand lag weiterhin schwer auf der Schulter des Menschen. ,,Du hast
Recht!” Er seufzte. ,,Ich hatte schon immer einen Hang zur Dramatik - und
eine ausschweifende Fantasie... Was wird nun aus dem kleinen Peh?”
Der Mensch umklammerte seine Beine, starrte weiter über den stinkenden
Teich. ,,Ich weiß es nicht. Morgen früh muss er den Tempel verlassen, er hat
eine Schiffspassage frei - er kann gehen, wohin er will. Niemand von uns Jedi
wird ihn fragen, niemanden wird es mehr interessieren...”
Peh befand sich in einem der intergalaktischen Raumhäfen Coruscants
und wusste ebenfalls nicht wohin. Seit Stunden schon saß er nun hier in der
Abflughalle. Zuerst hatte er geplant, nach Zabrak zurückzukehren - aber er
wusste nichts über seine Familie. Mace hatte ihm ein Pad gegeben, auf dem
die Namen und die letzte bekannte Adresse seiner Eltern verzeichnet waren,
aber das waren nur Buchstaben, Zeichen, die nichts bedeuteten.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, spürte sein Lichtschwert am
Gürtel. Es funktionierte nicht mehr, aber er würde es reparieren, wenn die
Zeit gekommen war - wenn er wusste, was er bis zum Augenblick der Rache
an Obi-Wan anstellen wollte. Denn er würde seine Rache bekommen. Eines
Tages, irgendwo, irgendwann, irgendwie. Er konnte warten.
Die Halle versank im Dämmerlicht - der letzte Flug von Coruscant fort
war vor über einer Stunde gestartet. Was immer der junge Angehörige der
iridonianischen Rasse von Zabrak auch unternehmen wollte, es würde bis
morgen warten müssen.
Jemand setzte sich neben ihn.
Peh sah kurz auf.
Ein Mensch - oder zumindest jemand, der aussah wie ein Mensch.
Nicht sehr groß, in einen weiten Umhang gehüllt, der fast, aber nur fast an
die Kleidung der Jedi erinnerte. Eine kostbare Spange hielt den dunklen, ge-
246
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
riefelten Stoff unter dem Kinn, das ein tiefes Grübchen zeigte, zusammen. Die
Gesichtszüge des Mannes waren so unscheinbar, dass Peh sie im Nachhinein
nie hätte beschreiben können - ein Dutzendgesicht, unauffällig, nur die Nase
stach hervor. Die rechte Hand zeigte auffällige Venen auf dem Handrücken.
Peh ignorierte den Neuankömmling demonstrativ.
Der lachte dunkel.
Eine melodiöse Stimme erklang, leise, eindringlich.
,,Komm mit mir, Peh von Zabrak.”
Der Junge starrte den Fremden entgeistert an.
Der vertiefte sein Lächeln nur. ,,Der Jedi-Tempel hat keine Geheimnisse
für mich! Und du bist der vielversprechendste Junge, den ich seit langem
gesehen habe - werde mein Schüler, und ich werde dein Meister sein!”
Peh senkte verlegen den Blick. ,,Meinen letzten Lehrer habe ich enttäuscht...”
Der Fremde strich ihm über den gehörnten Kopf. ,,Mich wirst du nicht
enttäuschen! Mich nicht!”
Er hob die leichte Tasche des Jungen auf und streckte ihm die rechte
Hand hin. Peh begriff, dass er sich entscheiden musste. Instinktiv griff er zu.
Der Fremde zog ihn auf die Beine - und mit dieser ersten Berührung wuchs
zwischen ihnen ein Band, aber dieses Mal genährt in der dunklen Seite der
MACHT.
Obi-Wan lauschte den regelmäßigen Atemzügen seines Meisters. Qui-Gon
schlief tief und fest. Leise stand sein Padawan auf und huschte zum Schreibtisch. Seine Rippe protestierte, als er sich zu hastig bewegte. Keuchend hielt
er sich an der Wand fest, presste die Hand gegen die schmerzende Seite.
Als er wieder Luft bekam, ging er langsamer zu seinem Stuhl. Vorsichtig
aktivierte er das gemeinsame Computerterminal - nur weil er sein Wissen
nicht genutzt hatte in den letzten Monaten, hieß das nicht, dass er es nicht
erweitert hatte...
Dieses Mal brauchte er nur einen Versuch, um über Qui-Gons Login in
den Zentralrechner des Tempels zu gelangen. Dankbar sah er die tote Frau
auf dem Holobild über dem Tresorfach seines Meisters an. Er hatte viel über
seine dilettantischen Fehler beim letzten Einbruchversuch in die permanenten
Dateien des Ordens nachgedacht.
Zuerst hielt er im Zentralkern die innere Uhr des Systems an. Dann deaktivierte er das Sicherheitsprogramm - und erst dann nahm er Zugriff auf die
Personaldateien. Er rief zunächst keine einzige auf. Er löschte nur eine und
öffnete dann Mace’s File. Auch hier genügte die Entfernung eines einzigen
Satzes. Dann beendete er das Programm und startete das Sicherheitssystem
von neuem, stellte die Uhr wieder ein - Dank der Vorbereitung hatte er weniger als eine Minute gebraucht. Alles lief wie gewohnt weiter, nichts würde
4.15. ENDE UND ANFANG
247
verraten, dass er irgendwelche Informationen manipuliert hatte. Nicht dieses
Mal.
Er hatte gewonnen.
Und er hatte sogar seine Rache bekommen.
Peh mochte in Wirklichkeit am Leben geblieben sein, doch dieser Tod
war subtiler: Niemand würde je wissen, dass es jemals einen Jedi-Padawan
diesen Namens gegeben hatte. Der Zabrak existierte einfach im Leben des
Ordens nicht mehr.
Qui-Gon stellte sein Tablett vorsichtig auf den Tisch und setzte sich.
Schweigsam rührte er die corellianische Sahne in den Becher Kaffee von Gestareesch. Obi-Wan fühlte den prüfenden Blick seines Meisters unangenehm
lange auf sich ruhen. Dann legte der ältere Jedi den Löffel beiseite.
,,Heute morgen gab es eine Fehlfunktion im Computerkern.”
Obi-Wan nahm gerade einen Schluck Kakao und verschluckte sich beinahe. ,,Wirklich...?”
Qui-Gon ließ ihn nicht aus den Augen. ,,Ja, und sie war sehr seltsam noch
dazu - sie betraf nur eine einzige Datei.”
,,Ach... welche denn?”
,,Pehs File... Er... scheint sich in Luft aufgelöst zu haben!”
Obi-Wan stellte ruhig den Becher ab. ,,Ach, wirklich? Wie passend!”
Qui-Gon hob seine Tasse an und nahm einen Schluck Kaffee. Seine Augen
fixierten seinen Padawan weiterhin über den Rand. ,,Das dachte ich auch
zuerst. Aber dann regte sich in mir der Verdacht, jemand könnte die Datei
vielleicht mutwillig gelöscht haben!”
Obi-Wan sah ihn an. Doch mit seiner Antwort ließ er sich Zeit.
,,Und? Was habt ihr herausgefunden?”
Qui-Gon trank noch etwas Kaffee. ,,Nichts - das ist es ja.”
Sein Schüler senkte den Kopf über das Tablett -wagte er es etwa zu
lächeln? Er war sich nach wie vor nicht sicher...
Langsam erhob er sich. ,,Nun, wenn jemand in den Computerkern eingebrochen ist, war er sehr geschickt dabei - geschickter als ich und Qui’Ra
zusammen.” Er wartete noch ein paar Sekunden, doch sein Padawan wollte
sich offensichtlich nicht dazu äußern. ,,Nun, Qui’Ra und einige andere Jedi werden während der Winterferien unser Sicherheitssystem überarbeiten und ich denke mir so, dass du ihnen vielleicht dabei helfen solltest. Sicherlich
fällt dir eine Menge ein, was noch zu verbessern wäre! Auf alle Fälle habe ich
in deinem Namen schon mal zugesagt. Du hast doch nichts dagegen, oder?”
Obi-Wan sah seinen Meister an und schüttelte hastig den Kopf. Alles war
besser als in der Küche Kartoffeln zu schälen! Qui-Gon grinste von einem
Ohr zum anderen. Seine Botschaft war offensichtlich angekommen.
248
4.16
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Schlachtverlauf
Nur die Kinder und Teenager des Ratstisches saßen noch im Speisesaal. ObiWan gehörte noch immer zu ihnen - stillschweigend hatten die anderen sich
darauf verständigt, dem Padawan des ausgestoßenen Meisters dieses Privileg
nicht zu nehmen. Und Qui-Gons Schüler war sehr froh darüber, hatte er doch
in den vergangenen Jahren mit diesen Jedi Freundschaft geschlossen.
Der Rat tagte noch immer.
Und Qui-Gon war auch mit irgendeiner wichtigen Sache beschäftigt.
Also fiel Obi-Wan - mal wieder - die undankbare Aufgabe zu, für Jinn das
Kindermädchen zu spielen... Missmutig starrte er die Kleine an, die auf ihrem
Abendbrot herumkaute. Und den Teller alderaanische Kräuterflocken - ‘gut
für die geistige und körperliche Entwicklung humanoider Kinder’ - hatte sie
noch nicht mal angerührt. Die würde noch Stunden zum Essen brauchen. Und
er würde ihretwegen zu spät zum Football-Spiel im George-Lucas-Stadium
drei Blocks weiter kommen. Was für ein Jammer! Drei Wochen hatte er
auf Qui-Gon einreden müssen, bis dieser ihm erlaubt hatte, die Karte zu
kaufen. Und jetzt das! Missmutig traktierte er mit der Gabel seine gerösteten
Calamari-Algen.
Jinn lachte über einen Witz der etwas älteren Jiv-Neah und ließ die Gabel
sinken. Aufgeregt warf sie erst ihren langen Padawanzopf in den Rücken und
fing dann an, laut und ohne Punkt und Komma draufloszureden. Obi-Wan
grunzte und lehnte sich frustriert zurück. So kam sie nie zum Essen...
Er war eifersüchtig, und er wusste das auch.
Wie leicht es dem Mädchen fiel, hier Freunde zu finden.
Wie leicht ihr all das gemacht wurde, was er sich hart erkämpfen musste.
Der Padawanzopf war nur ein Beispiel dafür. Aus welchem Grund auch
immer - Obi-Wan redete sich ein, dass er das derweil gar nicht mehr wissen
wollte - hatte Yoda ihr das lange Haar stehen lassen. Im Nacken trug sie ein
paar zu einem für ihr Alter viel zu langen Zopf geflochtene Strähnen wie alle
Schüler des Ordens. Doch das wirkte, als sei sie zehn Jahre älter - und weiter
in der Ausbildung - als er. Den Rest der Mähne hatte sie am Hinterkopf
unter einem breiten Stoffband in einer Art Samurai-Zopf versteckt. Diese
Frisur betonte ihr offenes, hübsches Gesicht, aber auch die große Nase, wie
Obi-Wan hämisch feststellte.
Warum durfte sie so einfach den Codex brechen?
Sein Meister hatte es ihm genauso wie zuvor Yoda mit den Traditionen
der Reesch erklärt. Doch Obi-Wan war sich sicher, dass Qui-Gon diese Ausnahmeregelung durchgesetzt hatte, indem er eine ganz andere Begründung
gewählt hatte - genauso, warum er nun seit einem Jahr jeden Abend mit ihm
selbst und Jinn in der Trainingshalle verbrachte. Während Mace sich seit
4.16. SCHLACHTVERLAUF
249
Pehs Abschied aus dem Tempel verstärkt um Jinns Ausbildung zur Diplomatin kümmerte, Yoda ihr die Grundlagen der Meditation und der Theorien
um die MACHT nahezubringen versuchte, lag der Unterricht im Umgang mit
Lichtschwert und anderen Waffen in Qui-Gons Verantwortung. Und der nahm
seine Pflichten sehr ernst! Obi-Wan verstand ja, dass das Mädchen sehr viel
nachzuholen hatte, aber war das nicht Yodas Problem und Aufgabe? Warum
mussten sie daraus auch seines machen?
Er glaubte nicht, dass er selbst im vergangenen Jahr viel dazugelernt
hatte, sah man einmal von erweiterten Computerkenntnissen unter Qui’Ras
Obhut bei der Arbeit am zentralen Speicherkern und dessen Sicherheitssystemen im Winter ab... Qui-Gon war ja nun viel zu beschäftigt, seine Tochter
davon abzuhalten, sich mit dem eigenen Lichtschwert in den Fuß zu stechen...
Sie lachte schon wieder schallend und vergaß über einem alten Witz das
Essen.
Obi-Wan riss der Geduldsfaden. Er fasste über den Tisch und zog an ihrer
blütenweißen Tunika. ,,Du sollst deine alderaanischen Kräuterflocken essen
und keine Staatsreden schwingen!”
Sie sah ihn beleidigt an. Dann griff sie mit ihren kurzen Fingern in die
Müslischale, fischte eine Pettelbeere heraus und warf sie auf Obi-Wans Tablett. ,,Iss das Zeug doch selber!”
Die Beere zerplatzte auf seinem Teller, und Saft spritzte bis auf seine
Tunika. Obi-Wan biss die Zähne zusammen, nahm die Reste der Frucht mit
spitzen Fingern auf. ,,Qui-Gon hat gesagt, du sollst das essen - und ich werde
dafür sorgen, dass du es isst!” Er hielt ihr die Pettelbeere unter die große
Nase. ,,Jetzt!”
Jinn erhob sich halb aus dem Stuhl und starrte den älteren Padawan
wütend an. ,,Das Zeug ist grässlich. Ich krieg das nicht runter!”
Schnell stopfte er ihr die Frucht beim letzten Satz in den Mund. Jinn biss
ihm fast in die Finger vor Wut. Dann spukte sie die Beere quer über den
Tisch auf sein Tablett zurück. Obi-Wan hatte derweil ein weiteres Mal in
ihre Schüssel gegriffen und hielt nun zu grobem Pulver gemahlene Pflanzen
und Kräuter vom Planeten Alderaan in der Hand. ,,Mund auf!”
Jinn kreischte, wollte nach hinten ausweichen und stieß dabei gegen den
Krug mit corellianischer Milch auf dem Tisch - die Flüssigkeit ergoss sich
über Jiv-Neahs Kleidung. ,,Ja spinnt ihr denn jetzt völlig?”
Die Tallioserin stand ebenfalls auf, sah, wie Obi-Wan völlig genervt mit
dem komischen Müsli nach Jinn warf. Instinktiv griff sie nach den beiden
halbrohen Mynock-Eiern auf ihrem Tablett, warf eines nach Qui-Gons Padawan, verfehlte ihn allerdings und traf stattdessen Adi, die sich reichlich
konsterniert das Eiweiß aus den Augen wischte und völlig ruhig nun ihrerseits das eigene Tablett nach geeignetem Wurfmaterial absucht. Das zweite
250
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Mynock-Ei landete aber zielsicher auf Obi-Wans Hinterkopf, Jinn traf aus
Versehen Duncan, der wiederum sie verfehlte, dafür aber geschickt hinter einem der anderen Tisch Deckung suchte, ein halbleeres Limonadenglas fand
und den Inhalt über Adis hübschen Kopfschmuck leerte.
Fünf Minuten später hatten die Jedi-Schüler festgestellt, dass sich der
Gegner mit Hilfe der MACHT sehr viel genauer treffen ließ - und das Schlachtfeld hatte sich in Richtung der Essenausgabe verlagert, da von dort noch
Nachschub an wurffähigen Lebensmitteln zu erwarten war.
Ki-Adi Mund ahnte, was sich hinter der nächsten Ecke abspielte - Force
Food Fighting kam unter den besten Jedi-Schülern ab und an vor... Er überlegte nur krampfhaft, wie er das den Meistern erklären sollte, die er schon
auf dem Wege in den Speisesaal wusste. Immerhin hatten sie ihn vor einer
Stunde gebeten, ein wachsames Auge auf die Schüler der Ratsmitglieder zu
werfen, damit die keinen Unsinn veranstalteten. Er befürchtete, dass das,
was er nun vor sich sah - ein wildes Durcheinander von quiekenden und prustenden kleinen Jedi-Rittern zwischen mit derweil undefinierbar gewordenen
Lebensmitteln bedeckten Tischen und Vitrinen - nicht unbedingt das war,
was Yoda im Sinn gehabt hatte...
Na toll, Ki-Adi, bei deinem ersten Auftrag als Jedi-Ritter hast du gleich
versagt! Vollständig versagt, um es genau zu sagen!
Nun, jetzt galt es zu retten, was noch zu retten war...
Energisch marschierte er in die Mitte des Saales, erhob seine Stimme und handelte sich eine ruinierte Tunika und einen blauen Fleck auf seiner
extrem hohen Stirn ein: Die Flecken stammten von einer erneuten Ladung
Pettelbeeren, die Jiv-Neah ausfindig gemacht hatte, den blauen Fleck verursachte ein zielsicherer Wurf Adis mit einem talliosischen Brötchen. Ki-Adi
blieb einen Moment lang konsterniert stehen, blockierte dann mit Hilfe der
MACHT einen weiteren Wurf mit Mynock-Eiern ab und fing eines der Geschosse, in die Jinn den Vorrat des Tempels an melvischen Quarkbällchen
verwandelt hatte, auf - und beförderte es instinktiv in Obi-Wans erstauntes
Gesicht...
Jinn schlich sich mit einer Hand voll Mynock-Eier hinter dem dürftigen
Schutz mehrerer Stühle in Richtung der Saaltür. Sie musste Obi-Wan einfach
noch einmal treffen... Ganz vorsichtig hob sie den Kopf, warf den mit Quark
und alderaanischem Müsli verklebten Zopf in den Nacken und zielte - Treffer!
Kichernd duckte sie sich wieder, bewegte sich weiter in Richtung Tür.
Obi-Wan sah sich grimmig um. Die kleine Göre würde den Raum nicht
ungestraft verlassen, das schwor er sich. Zielstrebig huschte er hinüber zur
Kuchentheke, schnappte sich eine unberührte Sahnetorte und hastete geduckt
hinter Jinn her.
Irgendetwas traf ihn von hinten. Irritiert sah er sich kurz um, wurde aber
4.17. WAYS OF THE FORCE
251
aus den Augenwinkeln gewahr, wie Jinn versuchte, über die Türöffnung zur
anderen Seite des Raumes zurennen. Schnell holte er aus, versuchte dabei,
auch den Gegner hinter sich auszumachen, und warf...
Und traf...
Totenstille breitete sich im Speisesaal aus.
Obi-Wans linke Hand legte sich über sein entsetztes Gesicht.
Zögernd tauchten die anderen Jedi hinter diversen Tischen, Stühlen und
Vitrinen auf - und wussten nicht, wie sie sich das Lachen verkneifen sollten.
Meister Qui-Gon stand mitten in der Saaltür, die Sahnetorte im Gesicht,
sich langsam, sehr langsam, die Creme aus den Augen wischend.
Jinn brach zuerst in schallendes Gelächter aus, Ki-Adi Mundi folgte.
Am Ende stand nur noch Obi-Wan versteinert in der Mitte des Saales
und sah seinen Meister verunsichert an. Er ahnte, dass er eine sehr gute
Erklärung parat haben musste.
Qui-Gon trat auf ihn zu und hob die Augenbrauen, über denen sich kleine
Berge von Kuchenkrümeln und Sahnecreme türmten.
,,Kann mir hier irgendjemand erklären, was das hier soll? Und wie du
auf die irrwitzige Idee verfallen bist, mich mit einer geworfenen Torte zu
beehren?”
Er sah seinen Padawan erwartungsvoll an. Obi-Wan schluckte und setzte
eine toternste Miene auf, aber in seiner Stimme schwang der Schalk mit: ,,Die
MACHT erlaubte es, Meister...”
Irrte er sich, oder zuckte es um Qui-Gons Mundwinkel verdächtig?
Doch die Stimme seines Lehrers klang reserviert... ,,Nun, dann erlaubt
die MACHT sicherlich auch, dass ihr diesen Saustall hier wieder in Ordnung
bringt! Sofort! Wenn ich geduscht und mich umgekleidet habe, will ich hier
keinen einzigen Krümel mehr liegen sehen!”
Er warf einen irritierten Blick in Ki-Adi Mundis Richtung, schüttelte den
Kopf und verließ mit wehendem Mantel den Raum.
Feixend und kichernd machten die Jedi-Schüler sich zusammen an die
Aufräumarbeiten.
4.17
Ways of the force
Die Erschütterung in der MACHT weckte nicht nur Qui-Gon, aber ihn überraschte diese Tatsache wohl am meisten. Viele andere Jedi im Tempel drehten
sich grunzend auf die andere Seite und schliefen weiter, doch der Jedi-Meister
lauschte sowohl in die Dunkelheit um sich herum als auch in das ihn umgebende Feld allen Lebens.
252
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Die MACHT berührte ihn nur selten auf diese Art und Weise. Etwas Besonderes musste geschehen sein. Etwas, das seine Aufmerksamkeit verdiente.
Leise schlug er die Bettdecke zurück und schlüpfte in seine Hose und Tuniken. Obi-Wan schlief tief und fest. Sorgfältig zog der Meister die Decke über
dem Teenager zurecht, strich durch sein wie eh und je kurzes Haar. Dann
schlich er leise aus dem Raum.
Die Beleuchtung im Gang war der Tageszeit entsprechend gedämpft. Er
wandte sich nach links - und holte hinter der nächsten Biegung Meister Yoda
ein. Der alte Jedi sah ihn nickend an. ,,Du es auch gespürt, Qui-Gon?”
Er nickte. ,,Was ist passiert?”
Yodas Blick wurde ernst. ,,Etwas Furchtbares. Viele gestorben sind...”
Im Lichtdom des Tempels trafen sie auf viele andere Jedi und erfuhren
die schreckliche Neuigkeit von Do-Rail Lith. Die Heilerin kam ihnen entgegen, blass und verstört. ,,Es hat einen schlimmen Unfall einen Block weiter
gegeben - zwei Transporter sind zusammengerast und haben noch elf weitere
Schiffe mit herabgerissen!”
Mace fuhr sich mit beiden Händen über das müde Gesicht. ,,Tote?”
Die Jedi nickte. ,,Viele, so wie es scheint - und noch mehr Verletzte. Die
örtlichen Behörden unseres Blocks haben bereits um Hilfe bei der Bergung
ersucht. Machen wir uns auf den Weg!” Sie sah Yoda an. ,,Ihr übernehmt
hier die Organisation?”
Der alte Meister nickte und rief mehrere jüngere Jedi zu sich. Qui-Gon
und Mace schlossen sich der Heilerin und ihrer Truppe in Richtung Unfallort
an. Es war nicht weit mit einem Gleiter des Tempels, aber es genügte für
eine kleine Unterhaltung.
,,Gibt es schon Informationen, wie es dazu kommen konnte?”
Do-Rail schüttelte den Kopf. ,,Nichts Genaues. Es gibt ein Gerücht, dass
die automatische Navigationskontrolle über ganz Coruscant zusammengebrochen sein soll.”
Qui-Gon starrte in den Himmel. Noch immer flogen unzählige Frachter
und Transporter über ihren Köpfen in endlosen Bändern dahin. Seine Stimme
wurde dumpf. ,,Wenn das stimmt, können wir von Glück reden, wenn es bei
dem einen schweren Unfall heute Nacht bleibt! Ich kann mich noch lebhaft an
meine Erfahrungen mit dem maroden System vor ein paar Wochen erinnern
- mitten über dem Senatsgebäude die Kontrolle über unsere T-H-X 11 38 zu
verlieren, ist nicht gerade eine Erfahrung, die ich wiederholen möchte. Das
hätte verdammt in’s Auge gehen können!”
Mace nickte. ,,Ich hatte letzte Woche auch Probleme mit dem verdammten Leitstrahl! Am Ende habe ich unseren Hangar manuell angeflogen. Ich
habe einen Bericht an die zuständige Behörde geschrieben, sogar eine Eingabe an den Senat verfasst - ich habe nicht mal eine Antwort erhalten!”
4.17. WAYS OF THE FORCE
253
Do-Rail Lith grunzte. ,,Die wissen, dass das Navigationssystem völlig veraltet ist und dass es dringend ersetzt werden müsste, aber es fehlt das Geld
dazu! Was sie an Steuern und Abgaben nicht haben, können sie nunmal nicht
ausgeben.”
Sie erreichten den Rand der Absturzstelle. Qui-Gons Blick fuhr über die
rauchende Trümmerwüste eine Ebene unter ihnen, als Do-Rail den Gleiter
sinken ließ. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. ,,Sie sollten die Mittel
schnellstens auftreiben...”
Zehn Tote und dreizehn Verletzte später fühlte Qui-Gon sich wie ausgewrungen.
Noch immer entsetzt starrte er über die Trümmerwüste. Die herabstürzenden Schiffe - über die genaue Anzahl herrscht noch immer keine Klarheit hatten ein Bürogebäude und eine Schule getroffen. Viele Trümmer und mit
ihnen wohl auch etliche Einwohner der Gebäude oder Passagiere der verunglückten Schiffe waren einfach in die tiefen Schächte zwischen den Häusern
auf Coruscant gestürzt. Diese Leichen würde man nie alle finden... Aber QuiGon genügten bereits die, die er fand.
Drei Kinder und ihren Lehrer hatte er aus diesem Teil des Wolkenkratzers nur noch tot bergen können, sechs andere waren auf dem Weg in die
umliegenden Krankenhäuser oder auch in den Tempel - Doronn und dessen
Helfer würden eine Menge Arbeit bekommen in diesen Stunden. Nun stützte der große Jedi sich erschöpft gegen einen der umgestürzten Betonpfeiler.
Er versuchte mit Hilfe der MACHT weitere Überlebende zu finden, doch da
war nichts... Verzweiflung grub tiefe Falten in sein vor Erschöpfung graues
Gesicht. In der Schule sollten laut Listen der Verwaltung über zweitausend
Schüler gewesen sein, ein Internat der Diplomaten und Reichen. Es musste
noch weitere Überlebende geben...
Jemand berührte ihn.
Qui-Gon fuhr herum.
Do-Rail sah ihn besorgt an. ,,Alles in Ordnung, Qui?”
Er wollte schon nicken, doch dann begriff er, dass er der Heilerin nichts
vormachen konnte - und es auch nicht brauchte. Die wusste, wie sehr ihm
dies hier zusetzte. Ihre Frage hatte nur die Funktion, ihn zum Reden zu
animieren. Sie war eine gute Psychologin.
Er schüttelte den Kopf und wies um sich. ,,Gar nichts ist in Ordnung,
wenn so etwas passieren kann!”
Sie setzte sich auf den querliegenden Pfeiler und forderte ihn stumm auf,
es ihr gleich zu tun. Er zögerte, starrte kurz wieder über die Absturzstelle. ,,Wir hätten das verhindern können... Wir hätten die Tatenlosigkeit des
Senats in dieser Frage nicht einfach kommentarlos hinnehmen dürfen!”
,,Mace hat eine Eingabe gemacht, du hast bestimmt auch einen Bericht
254
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
geschrieben, oder?”
Er nickte. ,,Ja, einen sehr ausführlichen sogar!” Da sie seine Abneigung gegenüber jedem Papierkram kannte, musste sie beinahe lächeln. ,,Aber genützt
hat es nichts! Wir hätten diesen... diesen Phrasendreschern im Senat gehörig
Feuer unter ihren Hintern - oder auf was auch immer die sitzen - machen
sollen!”
,,Jedi sprechen nicht im Senat, Qui-Gon.”
Ihre Stimme war eindringlich und leise.
,,Wenn dies aber eine Möglichkeit ist, solche Katastrophen zu verhindern,
dann sollten wir damit vielleicht anfangen!”
,,Nein!” Er sah sie überrascht über ihre heftige Reaktion an. Ihre altgoldfarbenen Augen waren groß und ernst. ,,Nein, Qui-Gon Jinn! Wir Jedi haben
nie Partei im Senat ergriffen, auch wenn es uns so manches Mal schwer gefallen ist. Wir schützen die Republik, wir führen sie nicht! Wir verteidigen
die Demokratie, aber wir praktizieren sie nicht!”
Er deutete zu den zugedeckten Leichen der Kinder hinüber. ,,Auch wenn
das der Preis dafür ist!?”
Ihre eine Tentakel wickelte sich vorsichtig um seinen ausgestreckten Arm,
die andere legte sie wie einen Arm um seine Schultern. Ihre Stimme war kaum
zu verstehen. ,,Ja, Meister Jinn, auch dann...”
Er schloss die Augen und senkte den Kopf. Sie strich mit dem Ende der
Tentakel über sein verschmutztes, wirres Haar. ,,Du brauchst eine Pause. Du
bist seit über sechs Stunden hier auf den Beinen - ich kann deine Erschöpfung
geradezu spüren.”
Er schüttelte den Kopf. ,,Nein, ich...”
,,Auch Jedi sind nicht unendlich belastbar - und du brauchst dringend ein
paar Minuten Ruhe!” Sie zwang ihn, sie anzusehen. Er wusste, dass sie Recht
hatte. Do-Rail Lith brachte ihn in einer der am Rande des Trümmerfeldes
stehenden Zelte und sorgte für eine Decke. Sie sah ihn lächelnd an. ,,In einer
Stunde wecke ich dich wieder. Versprochen!”
Wider Willen musste er lachen. Dann rollte er sich in die Wolldecke und
schloss die schweren Lider. Doch er schlief schlecht, träumte von Kindern,
die er nicht erreichen konnte. Die Heilerin sah mehrere Male nach ihm und
seufzte. Ihre Arbeit würde noch viele Wochen nach Ende der Rettungsaktion
weitergehen - nicht nur die Geretteten und Hinterbliebenen, auch die Helfer
hier würden Hilfe brauchen.
Stunden später räumten Qui-Gon, Mace und drei andere Jedi noch immer Trümmer beiseite. Unter den übereinandergefallenen Deckenteilen und
Fensterfragmenten mussten mehrere Überlebende liegen - wenn die MACHT
sie nicht betrog. Gemeinsam wuchteten sie eine mitten aus einer Decke oder vielleicht einer Wand? - weggebrochene Betonplatte beiseite. Darunter
4.17. WAYS OF THE FORCE
255
verbarg sich ein kleiner Hohlraum. Mehrere bleiche Gesichter starrten in das
sie nun überraschend blendende Sonnenlicht. Eine zitternde Flosse streckte
sich ihnen entgegen. Qui-Gon und Mace griffen zu und zogen den ersten der
überlebenden Schüler aus dem Loch.
Es war ein Mon Calamari, kaum älter als sechs, dem sie da in’s Leben
zurückhalfen. Die dicke Staubschicht drohte ihn zu ersticken. Mace rief zu
den Feuerwehrleuten herüber, die noch immer versuchten, einige Plasmabrände unter Kontrolle zu bringen. Einer öffnete seinen Schlauch, schaltete
von Schaum zu Wasser um, und im nächsten Augenblick ergoss sich eine
Fontäne über die Jedi und das Calamari-Kind. Terja, eine Jedi vom Planeten Trexx, nahm den Kleinen auf ihre Arme und brachte ihn aus dem
Trümmerfeld. Nach und nach bargen die beiden Männer die restlichen Kinder.
Der letzte Junge war der Älteste. Er nickte den Jedi zu. ,,Danke... Was
ist hier eigentlich passiert?”
Qui-Gon erklärte es ihm, während Mace ihm half, sich zu setzen. ,,Sind
noch weitere Schüler dort unten?”
Der Junge nickte. Seine Stimme wurde leise. ,,Ja... drei haben es nicht
geschafft bis zum Türsturz... Was aus der Lehrerin geworden ist, weiß ich
auch nicht... Sie ist kurz vor... vor dem Unglück aus dem Raum gegangen.”
Mace sah sich um. Der Flur vor dem Klassenraum konnte überall sein.
,,In welchem Teil des Schulgebäudes wart ihr, als der Unfall sich ereignete?” Die oberen Stockwerke waren so in sich zusammengebrochen und ineinandergefaltet worden, dass die Rettungsteams auch einen ganzen Tag nach
der Kollision nur eine vage Vorstellung hatten, wo nun welcher Teil der Schule
und wo das Bürogebäude lag. ,,Ich habe die Hausaufgaben der Anfängerklasse beaufsichtigt. Das ist... das war im oberen Stock. Sektion Peth, Raum
eins-neun-sieben-sieben.”
Mace nickte und ließ ein Hologramm des Schulgebäudes entstehen, der
Junge zeigte ihm die Stelle. Qui-Gon strich dem Teenager - er mochte in
Obi-Wans Alter sein - über den Kopf. ,,Wir werden nach ihr suchen, Junge!
Du gehst jetzt dort rüber in’s Lazarett und lässt dich untersuchen, klar? Aber
zuerst sag uns noch deinen Namen für die offizielle Liste.”
Der Schüler sah ihn müde an. ,,Bail, Bail Organa von Alderaan...”
Mace trug den Namen in ihre kurze Liste ein. Dann sah er den Teenager
unsicher an. ,,Und die Namen der drei Toten, weißt du die auch?”
Der Junge nickte lethargisch und nannte sie leise. Qui-Gon legte ihm
einen Arm um die zuckenden Schultern und brachte den traumatisierten Diplomatensohn selbst zu Do-Rail Lith in’s Lazarett.
Als er auf dem Rückweg zu Mace war, berührte die MACHT ihn wieder...
Der große Jedi erstarrte förmlich und holte tief Luft.
256
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Nichts...
Er wollte weitergehen, wollte weiterhelfen - aber irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er bleiben sollte. Er verharrte mitten auf einer in den letzten
Stunden zusammengetragenen Schutthalde und lauschte in die MACHT.
Nichts...
Er zuckte irritiert mit den Schultern.
Da!
Eine fremde Präsenz in der MACHT... Ein Jedi. Eine Jedi vielmehr - wer
auch immer versuchte, ihn zu berühren, war weiblich. Qui-Gon erblasste.
Eine seiner Kameradinnen lag unter den Trümmern begraben... Und sie hatten nichts ahnend Berge von Geröll über ihr aufgetürmt! Er schrie geradezu
nach Mace und den anderen, begann sich durch den aufgetürmten Schutt
zu wühlen. Er brauchte nur wenige Worte, um seinem Freund die Situation
klarzumachen.
Es dauerte der Stunden, bis sie auf die eigentliche Trümmerschicht stießen. In dieser Zeit verlor Qui-Gon mehrmals den Kontakt zu der Verschütteten. Mace konnte sie gar nicht in der MACHT erreichen. Aber er zweifelte
nicht daran, dass sein Partner Recht hatte. Vorsichtig gruben sie sich weiter durch Metallfragmente und stießen endlich auf Teile eines Schiffes. Zwar
konnten sie keine Markierungen oder Nummern finden, aber die Außenhautteile, die sie nun beiseite schoben, trugen definitiv keine Botschafterlackierung. Mace sah Qui-Gon fragend an. Doch der zuckte auch nur mit den
Schultern. Wenn sie wirklich nach einer Jedi suchten, dann war diese privat
unterwegs gewesen.
Qui-Gon lauschte noch einmal in die MACHT - und er fühlte sie wieder.
Sie hatte Schmerzen und fruchtbare Angst. Aber sie fürchtete nicht um ihr
eigenes Leben, sondern... Er sah Mace überrascht an. ,,Sie ist schwanger...
glaube ich.”
Der dunkelhäutige Jedi runzelte die Stirn. ,,Also wenn eine von uns schwanger wäre, wüsste ich es! Bist du sicher, dass wir einen Jedi-Ritter suchen?”
Sein Partner strich sich ein paar der Haare, die sich aus dem Zopf gelöst
hatten, zurück. Sein Kopf war grau von Staub und Dreck. Er zuckte mit den
Schulter. ,,Wir suchen jemanden, der stark in der MACHT ist, so viel steht
wohl fest. Und eine Überlebende des Absturzes, das genügt mir vorerst!”
Eine halbe Stunde später hatten sie sich bis zum Frachtbereich des Schiffes durchgewühlt. Geplatzte Kanister und Servotonnen ließen keinen Zweifel
über diesen Tatbestand bestehen. Qui-Gon griff in das herumliegende Frachtgut. Nachdenklich hielt er die dünne, stiftartige Kapsel zwischen den Fingern.
Er ahnte, was darin war. Vorsichtig öffnete er den Druckverschluss und ließ
den Inhalt auf seine linke Handfläche fallen.
Die faserigen Fäden glimmten im Abendlicht über der Absturzstelle sofort
4.17. WAYS OF THE FORCE
257
auf.
Er brach ein winziges Stück ab und ließ es auf der Zunge zergehen. Auch
Mace sah auf das Produkt herab.
,,Glitzerstim?”
Qui-Gon nickte, spuckte die Probe aus. ,,Ja... und von hervorragender
Qualität!” Er sah auf die überall verstreuten Kapseln unter sich. ,,Das muss
ein Schmuggler gewesen sein! Die Ladung ist auf dem Schwarzmarkt ein
Vermögen wert, seit es die Anti-Drogen-Gesetzgebung in der Republik gibt...”
Er spürte Mace’ fragenden Blick, und er musste seinem Freund Recht geben: Eine Jedi auf einem Schmugglerschiff - das war noch unwahrscheinlicher
als eine schwangere Jedi-Ritterin, die privat unterwegs gewesen war... QuiGon warf den Rest der Droge von sich und fing an, weiter Trümmer beiseite
zu räumen. ,,Die Dame wird uns einiges erklären müssen!”
Sie fanden sie begraben unter zwei Deckstreben. Sie hatte unglaubliches
Glück gehabt, denn die beiden Metallpfosten waren so übereinander gefallen,
dass sie einen winzigen Hohlraum geschaffen hatten, in dem die junge Frau
- ein Mensch - nun zusammengekauert hockte. Sie blutete an der Stirn. Vorsichtig bargen die beiden Männer die Verletzte. Sie war so schwach, dass sie
kaum selbst stehen konnte. Verwirrt sah sie Qui-Gon an - wunderbare, große
zwischen aquamarin und jade schillernde Augen.
,,Wo ist... mein Mann... was ist mit Edan passiert...”
Dann verlor sie in seinen stützenden Armen das Bewusstsein. Geistesgegenwärtig fing er ihren Sturz auf und hob sie in seine kräftigen Arme. Mace
Blick sprach Bände. ,,Wenn das eine Jedi ist, fress ich mein Lichtschwert inklusive Kristalle!”
Qui-Gon sah ihn strafend an. ,,Sie muss zumindest mit der MACHT vertraut sein, so viel steht fest - such du ihren Mann...”
Langsam suchte er sich seinen Weg über die Trümmer zu Do-Rail Lith.
Derweil schien der halbe Tempel sich an den Bergungsmaßnahmen zu beteiligen. Qui-Gon fragte sich einen bangen Augenblick, ob auch die Schüler
hierher gekommen waren, doch er durfte erleichtert erkennen, dass Yoda zumindest das unterbunden hatte. Aber was die jungen Jedi allein im Tempel
sehen würden, würde für viele schon ein großer Schock sein: So viel Blut und
schwere Verletzungen, wie Qui-Gon selbst in den letzten Stunden gesehen
hatte, waren für niemanden einfach zu ertragen. Doch im Zelt der Psychologin und Heilerin fand er einen geschäftigen Obi-Wan vor. Sein Junge sortierte
Verbandszeug, verteilte Getränke und räumte Abfall und zerschnittene Kleidungsstücke fort.
Der Jedi-Meister legte seine Patientin auf eine der Liegen. Do-Rail trat
neben ihn und warf einen flüchtigen Blick auf die Stirnwunde. Qui-Gon deutete mit einer fahrigen Kopfbewegung zu seinem Padawan hinüber. ,,Was
258
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
macht er hier?”
Die Heilerin verzog das Gesicht. ,,Er hatte sich im letzten Krankentransport versteckt. Und ich dachte, ich beschäftige ihn lieber hier, als dass er Dir
hinterherläuft und bei der Bergung im Weg steht!”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. ,,Er sollte im Tempel sein! Ich werde ihn
nach Hause schicken - dies ist kein Ort für Kinder oder Teenager!”
Ihre Tentakel wickelte sich wieder um seinen Arm. Er sah die Heilerin an.
Do-Rails Blick war mehr als nur ernst. ,,Du erinnerst dich noch, wie er in
den Tempel kam?”
Der Meister nickte. ,,Ja, natürlich, aber was...”
Sie sah zu Obi-Wan hinüber, der einer Frau, die sich beide Arme gebrochen hatte, beim Trinken half. ,,Ich vermute, er verarbeitet hier gerade seine
Schuldgefühle.”
,,Schuldgefühle??” Qui-Gon starrte sie verständnislos an.
Sie nickte. ,,Ja... die Schuld, überlebt zu haben. Er lebt noch, während
seine Eltern tot sind - die Mutter unter den Trümmern eines einstürzenden
Krankenhauses begraben, der Vater durch einen Kampfdroiden erschlagen.
Andere kleine Jungen in seinem Alter können sich meist nicht daran erinnern
- aber als Jedi weiß er das alles noch!”
Sie versorgte vorsichtig die Platzwunde ihrer Patientin.
Qui-Gon blickte Obi-Wan schuldbewusst hinterher. ,,Darüber habe ich
nie nachgedacht!”
,,Du kannst ihm auch nicht viel helfen - ihm einzureden, dass er sich nicht
schuldig fühlen muss, bringt nur selten was! Vielleicht kann er hier lernen,
dass bei solchen Geschichten viel Zufall im Spiel ist, dass es viele Menschen
und Angehöriger anderer Spezies gibt, die dasselbe Trauma haben, dass es
manchmal recht verschlungene Wege sind, die die MACHT mit uns geht!
Wer weiß, wenn seine Eltern nicht umgekommen wären damals, wenn ich ihn
nicht unter Meister L’taths Leiche gefunden hätte, wäre er wohl nie zu uns
nach Coruscant gekommen, sondern ein Farmer wie sein Vater geworden.”
Sie lächelte Qui-Gon zu. ,,Und in einem bin ich mit dir einig: Er wird ein
großer Jedi werden, ein sehr wichtiges Glied in unserer Traditionskette...”
Sie tastete mit ihren dünnen Tentakeln über den restlichen Körper der
Verletzten und stutzte. ,,Da hast du ja gleich zwei aus den Trümmern gerettet!”
Er nickte. ,,Ja, ich weiß!”
Do-Rail runzelte die Stirn - was den Jedi-Meister bei ihrer schuppigen
Haut immer zum Lächeln animierte. ,,Wirst du schon wieder Vater?”
Das Lächeln auf seinen Lippen erlosch. Voller Panik sah er sich um. Dann
hielt er zur Abwechslung mal ihre Tentakel fest. ,,Woher weißt du es?”
4.18. MEDICHLORIAN-COUNT
259
Sie grinste. ,,Da muss man schon mit Blindheit geschlagen sein, um das
nicht zu vermuten!” Als sie sein Entsetzen sah, strich sie beruhigend über
seine Finger. ,,Ich bin Ärztin, schon vergessen? Ich habe Jinns medizinische
Datei angelegt. Und ich dachte mir, lernst du mal was über die Reesch, denn
eingetragen ist sie ja als Mischling. Tja, und dann habe ich festgestellt, dass
nicht nur komplett menschlich ist, sondern auch deine Blutgruppe hat. Ihr
Medichlorian-Count ist erstaunlich - höher als deiner! War ihre Mutter auch
eine Jedi?”
Qui-Gon schüttelte den Kopf. ,,Nein... keine ausgebildete zumindest.”
,,Aber sie war machtsensitiv?”
Er nickte - und die Heilerin spürte, wie unangenehm ihm dieses Gespräch
war. Sie lächelte beruhigend. ,,Keine Sorge, dein Geheimnis ist gut bei mir
aufgehoben! Pass nur auf, dass Jinn immer von mir behandelt wird! Doronn
würde deine Schwäche sicherlich gnadenlos ausnutzen - und er würde sich
Yoda gegenüber hundertprozentig verplappern, der alte Spötter!”
Sie verabreichte ein kreislaufstärkendes Mittel, dass für menschliche Schwangere ungefährlich war. ,,Woher wusstest du, dass sie schwanger ist?”
Er legte eine Hand auf die Stirn der bewusstlosen Frau. ,,Die MACHT. Ich
habe sie um Hilfe rufen gehört in der MACHT... und ich habe das Bewusstsein
ihres ungeborenen Kindes gespürt...”
Do-Rail runzelte wieder die Stirn. ,,Bist du sicher?”
Er nickte nachdenklich. ,,Ja, ganz sicher!”
Sie schob die Tunika der Schwangeren ein wenig hoch, tastete über den
leicht gewölbten Bauch. ,,Erstaunlich... Ich werde bei ihr und bei dem Kind
einen Medichlorian-Count machen. Mal sehen, was sich da ergibt!”
Qui-Gon nickte und ließ das Bewusstsein der Verletzten in eine Heiltrance
hinübergleiten. Do-Rail schüttelte den Kopf. ,,Wer ist hier der Arzt - du
oder ich? Werde Heiler, dann darfst du das jeden Tag mindestens dreimal
praktizieren!”
4.18
medichlorian-count
Mace und zwei andere Jedi hatten derweil den Besitzer des Frachters unter
dem Geröll ausfindig gemacht. Als sie wussten, wo in etwa das Cockpit gewesen war, hatten sie den Piloten schnell aus den Trümmern befreien können.
Passiert war ihm nicht viel. Verstört starrte er auf die Reste seines Schiffes
und schob dann mit dem Stiefel die Glitzerstimhülsen beiseite.
,,Bei allen Mynocks, das kostet mich ein Vermögen!”
Mace schüttelte verwundert den Kopf. ,,Ist das alles, was sie im Augenblick interessiert?”
260
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Der Schmuggler stemmte die Hände in die Hüften und giftete den Jedi an.
,,Was sonst? Haben sie irgendwas unbeschädigt von meinem Besitz bergen
können?!”
Mace verschränkt die Arme vor der Brust und musterte den Menschen aus
zusammengekniffenen Augen. ,,Wir konnten ihre Frau und ihr ungeborenes
Kind retten...”
Der Schmuggler sah verwirrt aus. ,,Meine Frau? Was für eine Frau? Ich
bin nicht verheiratet...!” Dann lachte er. ,,Ach so, du... ihr redet von dieser Schlampe Manjala... Die ist nicht meine Frau - das ist nur eine Sklavin!
Als würde der große Edan so einer minderwertigen Kreatur seinen Namen
geben...” Gleichgültig und kopfschüttelnd starrte er über die Trümmer hinweg. ,,Schade, dass sie das Kind nicht verloren hat - noch ein unnützer Esser
mehr...” Er kniff den Mund zusammen. Dann griff er in die verstreuten Glitzerstimhülsen. ,,Dann wollen wir mal sehen, was man hier noch retten kann!”
Mace kochte vor Wut. Er wusste wie jeder andere Jedi, dass es auf einigen Planeten der Republik noch immer Sklaverei gab, auch wenn die Gesetze
des Senats diese vor einem Jahrhundert endgültig abgeschafft hatten. Aber
die damals festgelegten Übergangsbestimmungen erlaubten es einigen Welten
noch immer, einen lukrativen Handel mit fühlenden und denkenden Wesen
zu führen - auch wenn sie offiziell keine Sklaverei duldeten. Fahrende Händler
wie dieser Edan profitierten davon: Auf ihren Schiffen und in den Schmugglerkolonien am Rande der Galaxis, im sogenannten Outerrim, fragte niemand
nach dem Status der Besatzung, und viele Welten dort lehnten einen Beitritt zur Republik sogar generell nur deshalb ab, weil sie damit die Sklaverei
aufgeben müssten.
Der vor kurzem in den Rat berufene Jedi-Ritter beschloss, es zumindest
diesem arroganten Typen nicht zu einfach zu machen. Er winkte einige der
republikanischen Ordnungshüter zu sich. Minuten später war der Schmuggler
wegen Drogenhandels verhaftet. Der Mensch protestierte nach Leibeskräften,
aber gegen Stunnerhandschellen und Blaster kam er nicht an. Hasserfüllt
starrte er den Jedi an. Doch dieses Mal war es Mace, der sich gleichgültig
abwandte. Er hoffte, dass dieser Edan die nächste Nacht in einer möglichst
unwirtlichen Zelle verbringen musste...
Die schwangere Frau erholte sich langsam.
Do-Rail hatte neben der Platzwunde auf der Stirn auch einige Knochenbrüche, Prellungen und Quetschungen behandelt. Qui-Gon starrte auf die
Zusammenfassung der medizinischen Untersuchung der Heilerin. Er saß der
M’tapesset schweigend gegenüber und wusste nicht, was er sagen sollte. Der
Bericht sprach eine eindeutige Sprache. Die junge Frau hatte sich die Mehrzahl ihrer Verletzungen nicht während des Absturzes zugezogen, sondern sie
war misshandelt worden: Verprügelt, geschlagen, missbraucht - und unte-
4.18. MEDICHLORIAN-COUNT
261
rernährt war sie ebenfalls. Das passte hervorragend zu dem Bild, das Mace
ihm von ihrem ,,Besitzer” gegeben hatte. Der Jedi-Meister war heilfroh, dass
der Schmuggler noch immer in Untersuchungshaft saß, denn sonst hätte er
der Versuchung, ihn zu selbst zu verprügeln, nur mit Schwierigkeiten widerstehen können.
Do-Rail reichte ihm ein weiteres Pad. Qui-Gon sah auf die Daten und
schmunzelte. Na also, er hatte sich das Ganze also doch nicht eingebildet:
Sowohl die Mutter und mehr noch der ungeborene Junge waren machtsensitiv! Das Kind würde einen exzellenten Kandidaten für eine Ausbildung im
Tempel abgeben. Die Heilerin las seine Gedanken.
,,Ich habe den Rat bereits unterrichtet, Qui-Gon! Sie überlassen dir die
Verhandlungen mit den Eltern.”
Mit den Eltern... eine verängstigte Sklavin und ihr prügelnder Besitzer.
Das konnte heiter werden...
,,Ich kümmere mich um die Mutter, schick bitte Mace zu ihrem... zu dem
Schmuggler!”
,,Mace wird begeistert sein.”
,,Ich kann’s mir lebhaft vorstellen! Aber teilen kann ich mich noch nicht!”
Die M’tapesset grinste von einem Ohr zum anderen. ,,Dann solltest du
daran arbeiten!”
Er lächelte zurück, schaute noch einmal auf das zweite Datenpad. Dann
sah er Do-Rail in die altgoldenen Augen. ,,Das Kind ist etwas Besonderes,
das spüre ich...”
Sie legte den Kopf schief. ,,Das hast du schon von Obi-Wan behauptet!”
Er nickte. ,,Ja, ich weiß - und ich denke, ich lag nicht falsch damit.”
Sie lachte leise. ,,Nur leider sehen das nicht alle Jedi-Ritter so wie wir
beide! Weißt du, die meisten denken, dass du einfach eine bemitleidenswerte
Kreatur nach der anderen aufliest und hier anschleppst...” Sie lachte leise.
,,Yoda formulierte es letztens besonders bildlich: Er meinte, ihr würdet auch
eine Ameise mit gebrochenem Bein auflesen, um ihr zu helfen.”
Er stand auf und legte die Hände auf dem Rücken übereinander, wanderte
zum Fenster, von dem aus man in die Krankenstation schauen konnte. ,,Und
weißt du was: Das ist mir sowas von egal!” Er sah über seine linke Schulte
zurück und lächelte, vielleicht etwas müder als sonst. ,,Und außerdem - was
ist so verkehrt daran, einer Ameise zu helfen?”
Die M’tapesset ringelte ihre Tentakel ineinander - ein untrügliches Zeichen
dafür, dass sie sich köstlich amüsierte. ,,Dann an die Arbeit, Meister Jinn!
Rettet eure Ameise!”
Mace begriff innerhalb von Sekunden, dass er einen Fehler gemacht hatte: In dem Moment, wo der Schmuggler wusste, welche Fähigkeiten sein
zukünftiger Sohn haben würde, sah er in dem Ungeborenen nicht länger
262
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
einen ‘unnützen Esser’, sondern ein Potential für sein Unternehmen. Der
Jedi-Ritter spürte, wie Edan schon die Vorteile im Handel abwog, wenn er
einen ‘Mitarbeiter’ haben würde, der eventuell die Gedanken oder doch zumindest die Gefühle des Verhandlungspartners lesen konnte...
,,Nein. Das Kind gehört mir, wie seine Mutter!”
Mace wagte noch einen Versuch. ,,Wir Jedi würden uns durchaus erkenntlich zeigen.”
,,Wie würde sich das in Zahlen ausdrücken?”
,,Machen sie einen Vorschlag!”
Der Schmuggler erhob sich und wanderte in seiner Zelle langsam auf und
ab. Dann nannte er eine astronomische Summe. Mace schwieg. Edan grinste
innerlich. ,,Und ich rede hier von Edelsteinen mit Wert in dieser Größenordnung. Nicht von republikanischen Credits! Die akzeptiere ich bei solchen
Geschäften nicht!”
Der Jedi erhob sich schweigend und verließ die Zelle. Die Forderung war
indiskutabel, und der Händler wusste das genauso gut wie er.
Qui-Gon sah schweigend zu, wie Manjala ihr hüftlanges Haar in einem
einfachen Zopf bändigte und dann ihre neue Kleidung glattstrich. Der weiche weiße Stoff aus Adi Galias Vorrat umschmeichelte ihre Figur so gut, dass
von ihrer Schwangerschaft kaum etwas zu bemerken war. Jetzt, wo die blauen
Flecken aus ihrem Gesicht verschwunden waren und sie auch etwas zugenommen hatte, war sie eine recht hübsche junge Frau. Dem Jedi-Meister tat es
in der Seele weh, wenn er daran dachte, dass sie bald wieder...
Er unternahm einen letzten Versuch.
,,Du könntest in der Republik um Asyl bitten, Manjala!”
Sie sah ihn nicht an und umwickelte den langen Zopf mit einem schmalen
langen Stoffband vom Haaransatz bis zu den Spitzen.
,,Ihr scheint es nicht zu begreifen, Meister Jinn. Ich bin Tangelianerin ich wurde als Sklavin geboren und ich werde als Sklavin sterben. Ich werde
niemals frei sein! Unser Planet existiert nicht mehr, also gelten die Gesetze
der Republik nicht für uns.”
Qui-Gon schüttelte frustriert den Kopf. Er wusste nicht mehr, wie oft
sie diese Unterhaltung in den letzten zwei Wochen bereits geführt hatten.
,,Dann bitte hier im Tempel um Asyl! Ich bekommen den Antrag durch den
Rat, vertrau mir!”
Sie sah ihn mit ihren zwischen hellem Blau und Grün changierenden Augen traurig an. ,,Du verstehst es wirklich nicht, nicht wahr? Ich liebe Edan
wirklich! Er ist alles, was ich habe...”
Er verstand es nicht. Da hatte sie allerdings Recht. Do-Rail Lith hatte versucht, es ihm zu erklären, aber was immer sie von Hörigkeit und Einsamkeit
auch erzählte, er begriff nicht, wie die junge Frau sich dem brutalen Schmugg-
4.18. MEDICHLORIAN-COUNT
263
ler so unterwerfen konnte. Wie sie jede Selbstachtung aufgeben konnte. Die
Psychologin meinte, dass die Tangelianerin überhaupt kein anderes Leben
kannte - und es sich auch jetzt nicht vorstellen konnte, weder für sich noch
für ihr Kind.
,,Er wird dich wieder schlagen - und auch den Jungen!”
Sie legte ihre abgearbeiteten Hände über ihren Bauch. Er sah die Angst
in ihren Augen, aber er spürte, dass sie eine noch größere Angst vor dem
Ungewissen hatte. ,,Nein... das würde er nie tun...” Sie wandte sich und
flüsterte nur noch. ,,Seinem Sohn würde er nie etwas antun.”
Qui-Gon erhob sich und trat hinter sie, legte seine großen Hände auf ihre
Schultern. Er wollte schon die MACHT nutzen, um die Frau zu überzeugen,
als sie sich halb umwandte und ihn wissend anlächelte. ,,Nein, Meister Jinn,
probiert es erst gar nicht.” Sie senkte den Blick ihrer schillernden Augen.
,,Ihr mögt stark in der MACHT sein, aber ich bin es auch. Ich kann spüren,
wenn ihr versucht, mich zu manipuliere. Und ich werde mich dagegen zur
Wehr setzen.” Sie sah ihn traurig an. ,,Ich weiß, dass ihr euch um uns beide
Sorgenmacht, aber ihr könnt die Dinge nun mal nicht ändern. Ich werde
Edan nicht verlassen. Findet euch drein! Er hat es aber auch abgelehnt, euch
den Jungen zu überlassen. Akzeptiert es. Und versucht erst gar nicht, ihn zu
manipulieren: Er würde es merken, bevor ihr zum Zuge kämt: Er spürt die
MACHT, auch wenn er nie gelernt hat, sie zu nutzen.”
Sie sah ihn bittend an. Aber er wollte nicht zustimmen. Er berührte ihr
zitterndes Kinn. ,,Wo ist sein Stützpunkt?”
Sie entwandt sich einen Armen. ,,Ich weiß es nicht.”
Sie log, er spürte es durch die MACHT - und sie wusste, dass er es wusste.
Er blieb hinter ihr stehen und wartete eine Zeit lang. ,,Ich will nur wissen,
dass es dir gut geht, dir und dem Kind. Das ist alles.”
Er log, und sie spürte es dieses Mal über die Wellen in der lebendigen
MACHT, die zwischen ihnen pulsierte. Und er hoffte, dass sei wusste, dass
er es wusste.
Sie schloss die Augen. ,,Wir sind im Di-Sahav-System.” Ihre Stimme war
kaum mehr als ein Flüstern. ,,Es ist ein Doppelsternsystem. Die eine Sonne
heißt Kadesh, die andere Barnea. Der Stützpunkt liegt auf einem Planeten,
der genau zwischen beiden Sonnen liegt. Er ist auf den meisten Sternkarten
nicht einmal verzeichnet.”
Sie sah ihn gehetzt an. ,,Ihr dürft nie kommen. Niemals! Versprecht es mir!
Edan hat den Stützpunkt mir Sensoren schützen lassen - und den Planeten
von Navigationsbojen. Ihr werdet nie einen Weg da hindurchfinden!”
Er sah sie ernst an und sagte, was sie hören wollte. ,,Ich werde nicht
kommen.”
Aber sie wusste, dass er wieder log.
264
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Er würde kommen und sie noch einmal um das dann geborene Kind bitten.
So leicht gab dieser Jedi nicht auf... dieser nicht.
Manjala schluckte. ,,Warum tut ihr das?”
Er sah sie ernst an. ,,Ich spüre, dass euer Sohn ein wichtiger Jedi werden
wird.”
Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. ,,Er wird ein Sklave sein,
und mit etwas Glück vielleicht einmal frei und Edans Erbe...”
Qui-Gon ließ sie bis zur Tür gehen, hinter der ihr auf Kaution freigelassener Besitzer wartete. Kurz bevor das Schott sich öffnete, antwortete er erst.
,,Aber könnte schon frei geboren werden, Lady Manjala.”
Doch sie ging ohne sich umzublicken oder noch ein weiteres Wort zu sagen.
4.19
Erschütterungen
Obi-Wan stand im Bad und starrte in den Spiegel.
Es führte kein Weg drum herum, er würde sich rasieren müssen, wenn
er den Codex nicht wie sein halsstarriger Meister brechen wollte. Nachdenklich strich er über den blonden Flaum am Kinn. In zwei Wochen würde er
seinen vierzehnten Geburtstag feiern. Ein bisschen früh für einen Vollbart.
Er verzog das Gesicht und öffnete den kleinen Wandschrank. Unter etlichen,
dünnen Lederbändchen, mit denen sein Lehrer sein langes Haar bändigte,
alten Kämmen und halbleeren Shampooflaschen fand er ein altes Rasierset.
Zögernd öffnete er es und starrte auf das auch zu Qui-Gons Padawanzeiten
sicherlich schon veraltet gewesene, lange Rasiermesser.
,,Damit kann ich eher eine Twi’lek enttakeln als meinen Bart entfernen.”
Unsicher suchte er nach der Rasiercreme und schäumte das Kinn ein. Zitternd
fuhr er mit dem scharfen Messer über die Haut.
Qui-Gon hörte vom Schreibtisch aus einen unterdrückten Schrei und einen
lauten Fluch. Er wandte sich halb um, lächelte dann. Es war beruhigend zu
erleben, dass sich gewisse Erfahrungen in jeder Generation von Jedi-Rittern
wiederholten. Er fragte sich, wie lange Obi-Wan diese allmorgentliche Tortur
mitmachen würde, bis er einen halbwegs plausiblen Grund fand, um den
Codex an diesem Punkt zu umgehen...
Er stand auf, trat an das nun im Hochsommer weit geöffnete Fenster ihres
Zimmers und blickte über Coruscant. Selbst ein halbes Jahr nach dem folgenschweren Absturz über der John-Williams-Schule mied er diese Aussicht an
den meisten Tagen. Gerüste und Kräne zeigten an, dass das Internat wieder
aufgebaut wurde. Das Bürogebäude stand bereits wieder an alter Stelle. Doch
Qui-Gon sah immer noch die Trümmerwüste vor seinem geistigen Auge.
4.19. ERSCHÜTTERUNGEN
265
Der Senat hatte die Mittel für die Instandsetzung und Erweiterung der
planetaren Flugkontrolle kurzfristig freigegeben - aber dafür den Justiz- und
Verteidigungsetat des Zentrums der Republik eklatant kürzen müssen. Nur
wenige Mitglieder des Gremiums hatten gegen diese Umverteilung der Mittel
gestimmt. Und doch hinterließ dies bei Qui-Gon ein ungutes Gefühl.
Entgegen Do-Rail Liths Rat war er bei den entscheidenden Verhandlungen
und der Abstimmung im Senat anwesend gewesen.
Nicht als Mitglied, nicht als Zeuge oder redeberechtigter Teilnehmer der
Sitzung, ja nicht einmal als Jedi, sondern als privater Bürger der Republik,
gekleidet in die unauffällige Kleidung eines Schmugglers, einen Poncho über
der Hose, die Haare zu einem Zopf geflochten, wie er ihn als Tanjara-Mönch
getragen hatte, hatte er auf der Zuschauertribüne zwischen anderen Bürgern
gesessen und den Verhandlungen gelauscht.
Niemand verbat den Jedi-Rittern den Zugang zum Senat - die jungen
Schüler des Ordens mussten sogar während der ersten Schuljahre regelmäßig
an Sitzungen des obersten gesetzgebenden Gremiums der Republik und seiner vielen Ausschüsse teilnehmen, um zu erleben und zu erlernen, wie die
Willensbildung im größten politischen Zusammenschluss der Galaxis erfolgte.
Doch wenn die Schüler des Ordens ihre Meister als Teenager zu verschiedenen
Missionen begleiteten, betraten sie den Sitzungssaal des Senats im Regelfall
nie wieder.
Die ersten Jedi, die vor vielen Jahrtausenden in den Anfangsjahren der
Republik hier auf Coruscant den Tempel errichtet und den Orden gegründet
hatten, waren der Überzeugung gewesen, dass nie ein in der MACHT ausgebildetes Wesen die politischen Geschicke leiten sollte. ‘Macht korrumpiert,
viel Macht korrumpiert viel.’ Koppelte man dieses Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Politik mit den Fähigkeiten, über die ein ausgebildeter Jedi verfügte,
konnten sich erschreckende Konsequenzen ergeben, wenn der- oder diejenige
möglicherweise die altruistischen Leitsätze des Ordens vergaß. Also hatten die
frühen Jedi-Ritter ihre eigenen , nur wenig an demokratischen Grundsätzen
ausgerichteten Strukturen entwickelt und die Hilfeersuchen der Republik beantwortet, aber nie ein Amt in derselben übernommen. Im Laufe der Jahrhunderte war es ihnen zum Grundsatz geworden, den nie ein Jedi-Ritter
gebrochen hatte. Und sie hatten die Umgangsweise mit diesen Postulaten
verfeinert, eben auch in Bezug auf den Ausschluss ihrer Selbst auch aus den
Sitzungen und Verhandlungen als Zuschauer.
Und doch hatte Qui-Gon auf der Tribüne gesessen, nicht als Jedi erkenntlich, sich aber des Codex-Bruchs permanent bewusst. Fast zwanzig Jahre war
es her, dass er das letzte Mal an einer Verhandlung des Senats teilgenommen
hatte. Geradezu ehrfürchtig sah er in die hohe Kuppel über sich, betrachtete dann die kaum zu überblickende Vielzahl an schwebenden Logen, die
266
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
je einem Planeten oder einer planetenübergreifenden Organisation zugeteilt
waren. Die Halle hatte eine wunderbare Akustik: Der Architekt Chiang - den
historischen Aufzeichnungen nach ein begnadeter Künstler von Chiamera , der das Gebäude vor Urzeiten entworfen hatte, hatte ihm ein natürliches
Echo mitgegeben, das jeden Wortbeitrag verstärkt in die Ränge der Sitzungsteilnehmer und Zuschauer zurückwarf.
Die Sitzung war stürmisch verlaufen, nur wenige Welten hatten keine Opfer unter den über zweihundert toten Verwaltungsbeamten, Schülern, Lehrern, Schiffsbesatzungen oder Passagieren gehabt. Und keine der betroffenen
Regierungen konnte abstreiten, bei der letzten Abstimmung über das Budget
der Zentralwelt gegen eine dauerhafte oder auch nur einmalige Aufstockung
votiert zu haben: Die Ablehnung des kaum ein Jahr zurückliegenden Antrags
war einstimmig gewesen. Die Totenstille, die sich über die Ränge der Abgeordneten legte, als die oberste Vertreterin der coruscischen Verwaltung das
Protokoll dieser vergangenen Sitzung und ihren Rechenschaftsbericht vorlegte, war gespenstisch. Qui-Gon spürte durch die MACHT, dass erschreckend
viele Delegierte sich die Frage stellen mussten, ob sie damals nicht dem Tod
der eigenen Kinder - viele Abgeordnete hatten Opfer in der Williams-Schule
zu beklagen gehabt - mitverantwortet hatten.
Nun waren sich alle einig, dass die gröbsten infrastrukturellen Mängel
schnellstens auf Coruscant beseitigt werden sollten. Doch über das wie gab
es erregte Diskussionen. Schon bald wurde klar, dass die Kassen der Republik
auch jetzt genauso leer waren wie vor einem Jahr. Wenn Credits für diese
dringenden Angelegenheiten freigestellt werden sollten, dann mussten sie an
anderer Stelle eingespart werden.
Die Lösung, die innere wie äußere Sicherheit Coruscants zu riskieren, war
schließlich der einzige Konsenz, der über den entrüsteten Protest des Senators
des Inneren, Bail Organas Vater, und seines Ausschusses durch die Abstimmung zu bringen war. Der alderaanische Diplomat - traditionell übernahm
immer ein pazifistisch eingestellter Politiker dieses Amt- hielt ein flammendes
Plädoyer gegen diese Art des Sparbeschlusses, verdeutlichte seine Sicht mit
Beispielen, Zahlen und Fakten, aber er konnte sich nicht durchsetzen. Am
Ende legte er aus Protest sein Amt nieder, da er die innere Sicherheit des
Zentrums der Republik so nicht garantieren könne.
Die Einwände, die er herausgestellt hatte - die Zunahme der Schmuggleraktivitäten seit der Verkündigung der Anti-Drogen-Gesetzgebung vor wenigen Jahren, die damit einhergehende schleichende Bewaffnung der ärmeren
Bevölkerungsschichten, die trotz umfangreicher Kontrollen bei der Einreise
auf den Planeten vehement zunahm, und als letzten Punkt die Bedrohung der
Republik von innen durch eine Revolution - all das hatten die Gegensprecher
als weitaus weniger besorgniserregend dargestellt als der gewählte Monarch
4.19. ERSCHÜTTERUNGEN
267
von Alderaan - und den letzten Grund hatte ein junger Senator einer Außenwelt, Palpatine von Naboo, als absolut lächerlich vom Tisch gefegt. Was er
mit gutem Grund tat: Noch nie hatte es einen bewaffneten Umsturzversuch
innerhalb der Republik gegeben, sah man vom Versuch der Sith ab, sich mit
den Jedi anzulegen. Aber selbst das fiel für die meisten Anwesenden eher in
das Reich der Fabeln und Märchen als in den der bewussten Geschichte. Und
einen politischen Versuch, die Institutionen der Republik zu übernehmen und
umzugestalten - niemand im Saal hätte sagen können, in was man die Republik denn verändern könne - war ebenfalls noch nie Tatsache geworden. Bail
Organas Vater setzte sich am Ende kopfschüttelnd und resigniert in seiner
Loge, wohl wissend, dass er die Mehrzahl der Delegierten wie Zuschauer mit
seinen Argumenten nicht erreichen konnte.
Auch der Jedi auf der Tribüne musste zugeben, dass diese durch den
Alderaaner plastisch an die Wand gemalten Gefahren sich lächerlich ausnahmen. So lächerlich, dass Nachwuchs-Senatoren wie dieser Palpatine und andere Männer und Frauen ohne Reputation und nennenswertes Gewicht in der
gesetzgebenden Versammlung, den Senator des Inneren ausbooten konnten
in der Debatte. Ihr stärkstes Argument - Palpatine verwies in jedem dritten
Satz darauf - war noch dazu, dass immer noch die Jedi über die Sicherheit
der Republik und ihrer Institutionen wachten, als letzter Garant der Freiheit,
wie auch mehrere andere Redner Organa entgegenhielten. Solange die Jedi
existierten, drohte der Republik keine Gefahr. Und der einsame Jedi auf der
Tribüne stimmte dem kopfnickend und lächelnd, aber schweigend zu.
Und doch...
,,Ich habe ein furchtbar schlechtes Gefühl bei der Sache!”
Qui-Gon hatte mit diesen Worten Meister Yoda und Do-Rail Lith als
Ratsvorsitzender einen Bericht über die Senatsdebatte überreicht - und sich
einen langen Vortrag über Jedi und politische Aktivitäten eingehandelt. Er
ließ die berechtigte Standpauke über sich ergehen und stimmte der offiziellen
Rüge - ,,Nicht deine Aufgabe es ist, herumzulungern im Senat!” - zu, was
Yoda ein Stirnrunzeln abrang. Dass sein ehemaliger Padawan den Codex
nicht sonderlich ernst nahm, war ja nun nichts Neues, und Yoda hatte sich
schon gefragt, wie sich die traumatische Bergungsaktion vor einigen Wochen
auf seinen ehemaligen Schüler auswirken würde - aber dass er so wissentlich
und völlig konform mit der Meinung des Rates am Ende doch gegen den
Codex verstieß - das war wieder eine neue Qualität. Auch Obi-Wan sah seinen
Lehrer verwundert an. Bislang hatte Qui-Gon noch immer eine, zumindest
in seinen Augen, plausible Erklärung gefunden, warum es sinnvoll war, die
Bestimmungen der Jedi zu umgehen - sah man von der verwickelten Situation
um seine Tochter einmal ab. Der alte Jedi stützte sein Kinn auf seine rechte
Hand und musterte Qui-Gon nachdenklich.
268
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
,,Sorgen du dir machst, Meister Qui-Gon. Große Sorgen. Warum?”
Der Meister schwieg und senkte den Blick. Dann holte er tief Luft und
sah Yoda und der Tatsache ins Gesicht, dass die ehemaligen Ratskollegen
überzeugen musste, wenn er einem Disziplinarverfahren entkommen wollte.
Er zögerte noch einen Augenblick. Dann versteckte er seine Hände in den
Ärmeln seiner Robe. ,,Ich spüre eine Erschütterung in der MACHT.”
Do-Rail Liths Tentakel verknoteten sich wieder. Die M’tapesset schmunzelte und beugte sich zu Yoda hinüber. ,,Seine neuste Ameise...”
Bevor der alte Jedi-Meister reagieren konnte, schüttelte Qui-Gon den
Kopf. ,,Nein, es ist nicht das Kind der Tangelianerin. Das ist es ja, was
es schwierig macht. Es begann fast zur selben Zeit, aber es ist nicht dieses
arme Würmchen. Ich... ich kann es noch nicht äquivalent beschreiben.”
Yoda kniff die Augen zusammen. ,,Ich spüre nichts dergleichen. Sicher du
dir bist, Meister Qui-Gon?”
Der Jedi-Meister verzog den Mund, denn genau das hatte er befürchtet,
wenn er ehrlich war. ,,Die Erschütterung ist leicht, aber sie ist definitiv da.
Ich habe keinen Zweifel daran.”
Do-Rail Lith stützte sich auf ihre Beine. ,,Und die Diskussion im Senat
über die Budgetumverteilung, sie hat deiner Ansicht nach etwas damit zu
tun?”
Qui-Gon schluckte. Das war das schwache Glied in der Kette seiner Argumentation. ,,Ich weiß es nicht genau, aber meine Instinkte sagen ja.”
Yoda schwieg eine lange Zeit. Dann erhob er sich und ging zu dem großen
Panoramafenster hinter ihm. Man konnte die Senatskuppel von hier aus nicht
sehen - neunzig Blocks dichter Wolkenkratzer befanden sich zwischen beiden
Gebäudekomplexen. Aber die anderen drei Jedi im Raum wussten, dass der
alte Meister das Meisterwerk des Architekten Chiang deutlich vor sich sah.
Qui-Gon spürte, wie sein ehemaliger Lehrer sich in die MACHT gleiten ließ.
Dann wandte Yoda sich wieder zu ihm um.
,,Für deinen Hinweis wir dir danken, aber bestätigen ich kann nicht deine Ahnung - noch nicht.” Seine Stimme wurde einen kleinen Hauch schärfer.
,,Aber wir die Sache regelkonform verfolgen werden. Adi Galia ihre Kontakte
nutzen wird, ich die meinen, jeder die seinen, aber du nichts weiter unternehmen wirst in dieser Angelegenheit. Womit ich explizit von keinen weiteren
Besuche deinerseits im Senat hören will!”
Qui-Gon wusste, dass er damit glimpflich davongekommen war. Er verneigte sich tief vor Yoda und der Vorsitzenden des Rates, und Obi-Wan folgte
seinem Beispiel. Aber dann siegte der Kampfgeist doch über die Bescheidenheit. ,,Ich möchte in die Untersuchungen einbezogen werden, mein Meister!”
Yoda kniff die Augen zusammen. ,,Du unterrichtet werden wirst - und
du lesen kannst, ich denke mich zu erinnern. Es mehr als einhunderttausend
4.20. AMEISENSUCHE
269
Berichte täglich zu Senat und Politik auf Coruscant gibt - du dort forschen
kannst nächtelang!”
Obi-Wan konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen, Qui-Gon nickte wenig
begeistert mit dem Kopf, raffte seine Robe zusammen und verließ, sich seiner
Niederlage durchaus bewusst, den Raum
Als die beiden jüngeren Jedi den Saal verlassen hatten, verknotete DoRail Lith ihre Tentakeln. ,,Nun kümmert er sich nicht nur um Ameisen, jetzt
liebt er auch noch Würmchen...”
Yoda grunzte. ,,Immer schöner das wird!”
4.20
Ameisensuche
Wäre der Anlass nicht so ernst gewesen, Qui-Gon hätte schallend gelacht.
Er lag, die Decke um sich herum gestopft, in seinem übergroßen Bett und
lauschte Obi-Wans Atemzügen - sich wohl und überaus deutlich bewusst, dass
die Situation in normalen Nächten regelmäßig genau andersherum war: Sein
Padawan wartete sehnsüchtig darauf, dass sein Meister einschlief, um sich
aus dem Zimmer zu stehlen und in der Bibliothek auf einem der Vid-Systeme
das letzte Football-Spiel anzusehen. Qui-Gon ließ ihn gewähren, solange seine
Leistungen nicht darunter litten, obwohl er nie richtig begreifen würde, was
sein Schüler an diesem Sport fand, bei dem das Hauptziel darin zu bestehen
schien, dass alle Spieler sich auf einmal aufeinander stürzten .
Endlich spürte der ältere Jedi, wie der jüngere in das Reich der Träume
entglitt. Leise schlug er die Decke beiseite, schlüpfte in seine Hauspantoffeln
- ein aufmerksames Geschenk seines ehemaligen Lehrers, damit er sich nicht
den Tod holte, wenn er seinem Padawan des nachts hinterher spionierte -,
streifte die Robe über den Pyjama und schlich aus dem Zimmer. Ohne einen
Laut zu verursachen, huschte er über die Gänge in den sichersten Teil des
Tempels. Vorsichtig drückte er die Tür zur Krankenstation auf, wandte sich
nach links zum Materiallager. Erst, als auch diese Tür sich hinter ihm wieder
schloss, betätigte er den Lichtschalter.
Endlose Regalmeter mit Verbandszeug und beinahe jedem erdenklichen
Medikament, Fässer voller Bacta neben originalverpackten medizinischen
Geräten, zusammengefaltete Ersatzliegen, Schienen für Arme, Beine, Tentakeln und Podien, zwei altmodische Krücken, ein komplizierter Flaschenzug
(Wozu brauchte man sowas? Aber Qui-Gon hatte Doronn ja schon seit langen Jahren im Verdacht, ein heimlicher Sadist zu sein!), ganze Batterien
mit Gläsern, in denen Kräuter, Pulver, klare und trübe Flüssigkeiten aufbewahrt wurden. Qui-Gon schritt langsam an den Regalen vorbei, musterte die
Bestände. Dann nahm er eine Feldtasche aus einem der Regale, öffnete sie
270
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
und sah sich suchend um. Verbandzeug, mehrere Salben, einige Standardmedikamente stopfte er hinein, dann wühlte er weiter in den Regalen.
,,Suchst Du das hier?”
Er fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Do-Rail Lith stand, einen
Tragebeutel in den Tentakeln haltend, lässig gegen eines der Regale gelehnt
hinter ihm und sah ihm schmunzelnd zu. ,,Schön, dass man selbst Dich noch
überraschen kann.”
Er musterte sie misstrauisch.
Sie hielt ihm den Beutel hin. Zögernd nahm Qui-Gon ihn und sah hinein.
Sie lächelte. ,,Ich wusste, dass du kommen würdest... Ich wusste es bereits
vor sechs Monaten.”
Qui-Gons linker Mundwinkel hob sich ein wenig. ,,Wie seltsam. Da wusste
ich es noch nicht!”
Die Heilerin ging an den Regalen entlang und vervollständigte zielsicher
seine Ausrüstung. Dann blieb sie vor ihm stehen. Ihr dünnes Tentakelende
strich über Qui-Gons errötende Wange. ,,Als Yoda mich zur Ratsvorsitzenden
vorschlug, war ich sicher, ich würde versagen. Er sah Dinge, die ich nie zu
sehen vermochte. Er war sich so sicher, dass es für uns beide genügte. Er gab
mir das Vertrauen, euch alle zu leiten, wenn es nötig ist.
Als du vom Balkon aus dem entschwindenden Schmugglerschiff nach sahst,
wusste ich, dass du noch nicht bereit warst, das Ungeborene aufzugeben. Und
nun müsste Manjala ihr kleines Kind bereits in den Armen halten.
Du wirst in dass Di-Sahav-System fliegen, um noch einmal mit ihr zu
reden.”
Er sagte nichts, versuchte in ihren altgoldenen Augen zu lesen. Dann
holte er tief Luft. ,,Fragst Du mich das als Freundin oder als Vorsitzende des
Jedi-Rats?”
Sie seufzte und wandte sich ab. ,,Ich wünschte, du hättest diese Frage
nicht gestellt...”
Er nickte schweigend. Dann hob er seine Bündel auf und wandte sich zum
Ausgang. ,,Ich werde nicht fliegen.”
Ihre Tentakeln verknoteten sich. Als er fast aus der Tür war, antwortete
sie ihm. ,,Ich beauftrage euch, Meister Jinn, Manjalas Kind zu uns zu bringen
- und nehmt euren Padawan mit auf diese Mission!”
Er starrte sie mit offenem Mund an - sie, die unbestechliche Psychologin
und Verteidigerin des Codex gegen seine Anträge im Hohen Rat seit über fünf
Jahren - sie brach die Regel, dass der Rat einer solchen Mission zuerst zustimmen musste, bevor ein Jedi-Ritter beauftragt werden konnte. Sie versteckte
ihre Tentakeln hinter ihrem Rücken. ,,Die Freundin würde mit dir fliegen,
Qui-Gon. Aber die Ratsvorsitzende kann soweit nicht gehen. Als Freundin
werde ich versuche, dir den Rücken freizuhalten im Rat, aber als Leiterin des
4.20. AMEISENSUCHE
271
Ordens werde ich dich heftig rügen müssen!” Sie schüttelte über das Dilemma, in das der große Jedi sie brachte, den Kopf. ,,Möge die MACHT mit dir
sein!”
Qui-Gon verneigte sich dankbar vor ihr und stürzte aus dem Lager, bevor
die M’tapesset es sich womöglich anders überlegte.
Bei seiner Rückkehr in sein Zimmer gab sich Qui-Gon keine Mühe mehr,
leise zu sein. Im Gegenteil, er stellte die beiden Taschen auf den Boden,
machte Licht und begann routiniert, sich für eine Mission anzukleiden. ObiWan wachte auf und rieb sich die Augen.
,,Müsst ihr fort, Meister?”
Qui-Gon wandte sich um, wickelte seine breite Schärpe fest. Er lächelte.
,,Wir müssen fort, Obi-Wan. Wir fliegen zum Di-Sahav-System. Heute Nacht
noch!”
Sein Junge schlug die Decke zurück und gähnte verstohlen. ,,Jetzt? Wir
gehen jetzt auf eine Mission? Wie lange werden wir fort sein?”
Qui-Gon runzelte die Stirn. Eine solche Frage hatte sein Padawan noch
nie zuvor gestellt. ,,Zwei Wochen, vielleicht ein wenig länger!”
Obi-Wan war in seine Tuniken geschlüpft, strich sich über die Schärpe
und wickelte den eigenen Gürtel um seine mageren Teenagerhüften. Zwei
Wochen... Er starrte in den Spiegel, als er im Bad seinen Jugendflaum vom
Kinn entfernt hatte. In eineinhalb Wochen würde er vierzehn sein. Also würde
es sich auf dieser Mission entscheiden. Entschlossen atmete er durch, stopfte
die wenigen Habseligkeiten, auf die er nicht zu verzichten können glaubte, in
seinen leichten Rucksack.
,,Was für eine Aufgabe haben wir, Meister?”
Qui-Gon verstaute die medizinischen Vorräte in seinem Rucksack, lächelte
hintergründig. ,,Wir suchen eine kleine Ameise!” Konsterniert starrte sein
Padawan ihn an. Der Jedi-Meister grinste schief. Dann strich er dem Jungen
durch das kurze rotblonde Haar. ,,Wir, das heißt ich hole Manjalas Kind. Es
gehört hier in den Tempel!”
Obi-Wan runzelte die Stirn. ,,Haben die Eltern eine Ausbildung zum Jedi
nicht abgelehnt?”
Sein Meister seufzte lautlos und nickte. ,,Doch, das haben sie - aber ich
werde Manjala überzeugen, dass es so besser ist!”
,,Nur Manjala? Was ist mit ihrem... Besitzer?”
Qui-Gon schwieg. Eine ganze Zeit lang rang er mit sich, ob er seinen
Padawan in seinen kompletten Plan einweihen sollte. Dann bemerkte er die
Schnittwunde am Kinn des Jungen. Nun, wenn sein Schüler alt genug war,
sich zu rasieren, dann war er auch alt genug, dass er ihm vertrauen konnte.
,,Mir genügt die Zustimmung der Mutter...”
272
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Obi-Wan öffnete den Mund, um seinen Lehrer darauf hinzuweisen, dass
dieser wohl den Codex vergaß - doch dann gelangte er zu der Erkenntnis,
dass Qui-Gon meistens ziemlich genau wusste, was er tat. Aber hatte der
Meister auch dieses Mal alle Konsequenzen durchdacht?
,,Wird der Schmuggler dann nicht gegen die Jedi klagen?”
Qui-Gon setzte sich geduldig auf sein eigenes Bett und bedeutete seinem
Schüler, sich neben ihm niederzulassen. Obi-Wan nahm zögernd Platz. ,,Du
hättest in dem Falle Recht, dass dieser Edan wüsste, dass wir sein Kind zu
uns genommen haben.”
Obi-Wan schwieg einen Moment, um den Inhalt dieser Nachricht zu überdenken. Sicherheitshalber fragte er nach: ,,Ihr werdet das Kind heimlich holen?”
Sein Lehrer verzog das Gesicht. ,,Nun ja, ich werde den Schmuggler schon
aufsuchen müssen, aber er kennt mich nicht, er weiß nicht, wie ich aussehe.
Also werde ich verkleidet gehen und mich hüten, irgendwelche Spuren, die
zu den Jedi führen könnten, zu hinterlassen.” Er sah seinen Schüler lange
an. ,,Meisterin Lith meinte, du solltest mich begleiten. Ich bin geneigt, ihr
zuzustimmen. Allerdings...”
Obi-Wan fühlte, wie eine eisige Hand nach seinem Herzen griff. Hatte
er seinen Meister enttäuscht? Hielt Qui-Gon ihn nicht für bereit? Doch sein
Lehrer schien seine Unsicherheit nicht zu bemerken. ,,Wir werden uns nur auf
uns verlassen können bei dieser Mission - nicht auf die MACHT. Das muss dir
klar sein! Edan spürt, wenn jemand die MACHT nutzt, und das auch noch
auf große Entfernungen! Wenn wir auf seinem Stützpunkt landen, müssen
wir uns wie ganz normale Menschen verhalten, wir werden nicht einmal mehr
meditieren, wir werden wie machtblinde Wesen leben müssen.” Er berührte
Obi-Wans Wange, eine seltene, den Jungen tief berührende Geste. ,,Denkst
du, du wirst dieser Aufgabe gewachsen sein?”
Er war versucht ja zu sagen, doch irgendetwas hinderte ihn daran. Er
begriff, dass dies eine der heiklen Missionen war, auf die Qui-Gon Jinn geschickt wurde, weil er die Erfahrung für ihre Durchführung besaß, eine der
Missionen, auf die man einen so jungen Padawan wie ihn normalerweise nicht
mitnahm. Er sah den tiefen Ernst in den blauen Augen seines Lehrers und
schluckte. ,,Ich weiß es nicht, Meister...”
Qui-Gon lächelte und streichelte über die Wange des Teenagers. ,,Ich
danke dir für deine Offenheit, Obi-Wan.” Sein Lächeln vertiefte sich, was
der Junge, als er die nächsten Worte hörte, noch weniger verstand. ,,Ich will
ehrlich sein, ich weiß auch nicht, wie uns das gelingen soll, aber wir werden
einen Weg finden - wir müssen ihn finden, des Kindes wegen!”
Die altbekannte Entschlossenheit konnte man hinter diesen Sätzen finden.
Qui-Gon erhob sich und packte seine Sachen zusammen. Obi-Wan nahm seine
4.21. PLÄNE
273
derweil schon wieder viel zu kurze Robe aus dem Schrank und schlüpfte
hinein. ,,Ihr habt aber einen groben Plan, oder?”
Sein Meister nickte. ,,Natürlich...” Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst,
dass er diesen Plan bereits seit vielen Wochen, nein, Monaten entworfen,
perfektioniert und durchgespielt hatte. Do-Rail Lith war eben eine weise
Frau. ,,Ich werde das Lager des Schmugglers aufsuchen, um mit Manjala zu
reden und sie zu überzeugen, dass ihr Kleines bei uns am besten aufgehoben
ist. Du wirst mir den Rücken freihalten.”
Der Teenager sah sichtlich enttäuscht aus. Qui-Gon seufzte. ,,Es geht
nicht anders. Edan wird wissen, dass die Jedi immer als Team arbeiten, nur
selten gehen wir allein auf eine Mission. Außerdem,” Er sah seinen Schüler
ernst an. ,,Außerdem übernimmst du eine wichtige Aufgabe, auch wenn es
dir nicht sehr schwierig vorkommen mag: Du bist mein Sicherheitsnetz, falls
etwas schief geht. Ich muss mich völlig auf dich verlassen können!”
Damit verließ der Meister ihr gemeinsames Quartier.
Obi-Wan holte tief Luft bevor er ihm folgte. Er hatte sich also nicht
getäuscht.
4.21
Pläne
Qui-Gon kniete im hinteren Raum der T-H-X 11 38 und meditierte.
Obi-Wan flog das Botschaftershuttle ruhig und sicher durch die inneren
Raumgebiete der Republik. Er war ein weitaus besserer Pilot, als Qui-Gon
je sein würde.
Der Jedi-Meister kontrollierte bewusst seine Atmung, lauschte in den
mächtigen Fluss der lebendigen MACHT, die ihn umströmte. In Augenblicken wie diesen vermisste er die Gabe seines Lehrers, in die immerwährende
MACHT eintauchen zu können, besonders. Die MACHT verbarg selbst die
nächste Zukunft vor ihm. Qui-Gon gab den unsinnigen Versuch, eine Vision
herbeizwingen zu wollen, auf. Kurz darauf verließ er auch den Strom der
lebendigen MACHT. Er musste sich daran gewöhnen, er musste die Stille
in seinem Ich akzeptieren lernen - und er musste es auch Obi-Wan ertragen
helfen. Das würde wohl der schwierigste Teil der Mission werden.
Einige Stunden später knieten sie einander gegenüber, Qui-Gon presste
seine Handflächen gegen die seines Schülers. Ganz behutsam versuchte er,
den Geist des Teenagers zu berühren.
Ich bin hier, Obi-Wan.
Der Junge starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. So mächtig wie in
diesem Augenblick hatte er die MACHT noch nie zwischen sich und seinem
Lehrer pulsieren spüren. Qui-Gon versuchte, ihn zu beruhigen.
274
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Verzeih mir, Padawan... Ich hätte dich viel früher darauf vorbereiten
müssen...
Er stabilisierte den Schutzschild um Obi-Wans untrainiertes Bewusstsein
erneut, wartete, bis sein Schüler bereit war.
Spürst du die lebendige MACHT?
Obi-Wan öffnete ehrfurchtsvoll den Mund, nickte schweigend. Vor vielen
Jahren hatte er unter Meister Yodas Aufsicht eine Reise in beide Sphären
der MACHT unternommen, seine Sensibilität für das Feld des Lebens damit
unter Beweis gestellt. Doch dies war anders... ganz anders. Meister Qui-Gon
testete ihn nicht, er machte ihm ein wunderbares Geschenk. Er fühlte die
lebendige MACHT, er spürte, wie sie ihn nun durchdrang, wie sie ihn zu lenken trachtete, und wie er sie dennoch formen konnte. Vorsichtig und unsicher
dehnte er ihr seinen Geist entgegen. Und Qui-Gon ließ ihn gewähren.
Es war ein Drahtseilakt, und er war sich dessen bewusst. Wie weit durfte
er seinen Schüler gehen lassen, wann musste er ihn leiten, wie viel musste er
vorgeben? Wie viel durfte Obi-Wan allein entdecken? Heute nicht sehr viel,
und diese Erkenntnis schmerzte den Meister zutiefst.
Vorsichtig baute er einen eigenen Wall gegen die MACHT auf. Obi-Wan
verharrte. Dann begriff er. Behutsam folgte er dem Beispiel seines Lehrers und verlor fast das Band zu ihm.
Qui-Gon half ihm.
Dann lösten sich ihre Hände voneinander.
Ehrfürchtig sah der Teenager ihn an.
,,Du wirst mich nicht verlieren, Padawan. Egal, was in den nächsten Tagen
passieren wird, das Band zwischen uns wird bleiben! Nur der Tod könnte uns
trennen.” Obi-Wan schluckte. ,,Vielleicht wird dir unwohl werden, wenn du
die MACHT so völlig aus deinem Geist ausschließen wirst, aber das geht
vorbei. Vertrau mir, Padawan!”
Sein Schüler holte tief Luft. ,,Ich vertraue Euch, Meister!”
Obi-Wan übergab sich.
Das war das dritte Mal an diesem Tag - wenn man den künstlichen Wechsel von heller und gedämpfter Beleuchtung im hinteren Teil des Raumgleiters
denn als Äquivalent von Tag und Nacht verstehen wollte.
Er versuchte es zu verbergen, aber Qui-Gon spürte selbst den Drang,
seinen Magen auf diese zweifelhafte Art und Weise zu beruhigen.
Er überforderte den Jungen, ganz eindeutig. Er hätte seinen Schüler schon
seit Monaten auf diese Mission vorbereiten müssen - und die Zeit wäre da
gewesen, wenn er die meisten Abende nicht mit der kleinen Jinn verbracht
hätte... Der Kloß im Magen wurde zu einem schweren Stein. Qui-Gon ließ
den Wall gegen die MACHT einbrechen, und das flaue Gefühl im Bauch
verschwand schlagartig. Das durfte in drei Tagen nicht mehr passieren! Er
4.21. PLÄNE
275
musste Jinn und seine Sorgen seine junge Tochter aus seinem Bewusstsein
verdrängen.
Der Jedi-Meister erhob sich aus dem Pilotensitz, trat langsam in die hintere Kabine. Obi-Wan lehnte bleich und starr in der kleinen Tür zum winzigen
Toilettenraum. Er schlug die Augen nieder, als er dem Blick seines Lehrers
begegnete. Qui-Gon nahm ihn in den Arm, doch der Junge versteifte sich
nur weiter. Der Meister ließ eine mächtige Welle der MACHT über ObiWans schwache Barriere laufen, der Junge kämpfte dagegen, aber am Ende
unterlag er. Entsetzt und bleich starrte er seinen Lehrer an. Der lächelte
beruhigend.
,,Schon gut, Padawan. Es ist meine Schuld.” Kaum war die MACHT
wieder Teil seiner Existenz, gewannen die Wangen des Teenagers ein klein
wenig Farbe zurück. ,,Du hast nicht versagt, es ist mein Fehler gewesen.”
Er rieb dem Jungen über den Rücken, holte dann eine Flasche Wasser
und ein Glas. ,,Hier, das wird dir gut tun.”
Obi-Wan setzte sich erschöpft auf die Kojenkante. Seine Hände zitterten
immer noch. Er fühlte sich wie ausgewrungen. ,,Und was jetzt?”
Qui-Gon setzte sich neben ihn und seufzte. ,,Ich werde ganz allein in
das Lager gehen. Wir werden weiter außerhalb landen, als ich zuerst geplant
hatte, und du wirst hier im Gleiter bleiben. Du wirst deine Verbindung zur
MACHT nicht unterdrücken, aber du wirst sie auch nicht nutzen!”
Der Junge nickte erleichtert. Dieser Aufgabe fühlte er sich gewachsen.
Doch Qui-Gon war noch nicht zuende.
,,Du darfst aber nicht versuchen, mich über das Trainingsband zu erreichen.”
,,Aber wie soll ich dann wissen, wann ihr mich braucht, Meister?”
Der ältere Jedi seufzte leise. ,,Das weiß ich auch noch nicht, Obi-Wan,
aber ich werde einen Weg finden.”
Der Teenager nickte ergeben.
Sie umflogen die dritte Navigationsboje in Folge in nur geringem Abstand.
Während Qui-Gon das Botschafterschiff mit Unterlichtgeschwindigkeit flog,
saß Obi-Wan an den Navigationskontrollen und fütterte den automatischen
Signalgeber und Navigationshelfer mit falschen Daten. Laut Protokoll würde
ein Müllfrachter ohne Möglichkeiten zum Hyperraumsprung hier vorbeigezogen sein, ein Routinetransport, der alle acht Tage stattfand - jedenfalls würde
jede Nachforschung im Sicherheitssystem dieses Ergebnisse liefern. Schon ihr
Anflug auf Di-Sahav würde keine Spuren hinterlassen, die ihr Auftauchen auf
dem Planeten mit dem Jedi-Tempel in Verbindung bringen konnten.
Obi-Wan machte seine Sache hervorragend, und Qui-Gon beglückwünschte sich zu seiner Entscheidung, Do-Rail Liths Befehl zu folgen und seinen Padawan mitzunehmen. Er lächelte dem Jungen zu, der aber nur konzentriert
276
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
über den Kontrollen saß und unaufhörlich Sequenzen eingab.
Dann blickten sie beinahe gemeinsam auf.
Vor ihnen tauchte das Doppelsternsystem auf. Kadesh war ein roter Riese, Barnea ein weißer Zwergstern. Warum sie umeinander kreisten war den
Wissenschaftlern ein Rätsel. Einige vermuteten ein schwarzes Loch als Gravitationszentrum, doch Qui-Gon ahnte, dass Edan den Grund durch Zufall
gefunden haben mochte - vielleicht auf der Flucht vor den Kontrollschiffen
des republikanischen Zolls? Wie auch immer. Hier hielt ein einzelner, im grellen Licht der sich überlappen Sterne nicht von den Sensoren auszumachender
Planet, das System stabil. Physikalisch noch immer ein Rätsel, doch Realität.
Obi-Wan deutete auf die Ergebnisse der Sensorabtastung. Der Schmuggler tarnte seine Nachrichtenbojen als wissenschaftliche Sonden. Raffiniert.
Der Padawan sandte dieselben Müllfrachterdaten an die Sonden wie zuvor,
Qui-Gon lenkte das Schiff vorsichtig durch die Lichtstrahlung des weißen
Zwergs. Der Planet war da, sie konnten ihn nur nicht sehen, aber die Gravitationsmuster sprachen eine eindeutige Sprache. Dann sahen sie ihn auch,
als undeutlichen Flecken vor der Korona des roten Riesen. Der Sonnenwind
würde sie vor der Entdeckung bis zum Eintritt in die Atmosphäre schützen
- Edan konnte nur außerhalb der heftigen Sonnenwinde hoffen, von seinen
Sonden brauchbare Daten übermittelt zu bekommen.
Trotz der Nähe beider Sonnen war die Oberfläche des kleinen Planeten
eher eisig als gemäßigt. Qui-Gon blieb in der oberen Atmosphäre, bis er sicher
war, das Lager der Schmuggler -kleine Stadt war allerdings eine passendere Bezeichnung -im Datenchaos ausfindig gemacht zu haben. Dann ließ der
Gleiter in einem nahen Wald zu Boden sinken, einen halben Tagesmarsch
vom äußeren Rand der Siedlung entfernt.
Drei Tage später waren sie sich sicher, dass niemand ihre Landung verfolgt hatte, denn niemand tauchte auch nur in entfernter Nähe des Schiffes
auf. Qui-Gon legte die Tuniken ab und schlüpfte in eine weiße Hemdbluse,
deren Kragen schon vor mehreren Jahrzehnten zu groß und altmodisch gewesen wäre. Aber Schmuggler trugen eben solch merkwürdiges Zeug. Darüber
streifte er eine weite Jacke und wand einen Schal um den Hals. Sein Blick fiel
auf sein Lichtschwert, dass Obi-Wan in den Händen hielt. Er zögerte. Doch
er war sich im Klaren darüber, dass Edan ihn durchsuchen lassen würde.
Und ein Lichtschwert deutete mit neunundneunzig prozentiger Sicherheit auf
einen Jedi hin. Er schüttelte den Kopf, griff stattdessen nach dem einfachen
Blaster, schob ihn hinten in den Bund seiner dunklen Hose.
Dann blieb ihm nichts Anderes mehr zu tun, als Obi-Wan zum Abschied
zuzunicken. Sein Schüler verneigte sich andeutungsweise vor ihm. ,,Möge die
MACHT mit euch sein, Meister!”
Qui-Gon lächelte verzerrt, verwuselte dem Teenager das Haar. ,,Dieses
4.22. SCHMUGGLERCAMP
277
Mal lieber nicht, Padawan. Dieses Mal nicht!”
Er stieg die kurze Rampe des Gleiters herab und marschierte in das dichte
Unterholz des Waldes. Obi-Wan schaute ihm lange nach. ,,Dann viel Glück,
Meister, ich werdet es brauchen!”
4.22
Schmugglercamp
Manjala hatte von einem ausgefeilten Sensorennetz rund um das Camp geredet, aber Qui-Gon konnte es nicht entdecken - doch die Schmuggler entdeckten ihn.
Er hörte sie erst wenige Augenblicke, bevor die fünf Männer und drei
Frauen durch das Unterholz brachen. Ohne die MACHT hatte er kaum eine
reelle Chance, ihnen zu entkommen. Er blieb ruhig stehen und musterte die
gemischte Gruppe: Fünf Menschen, eine Wookie, ein M’tapesset -was würde
Do-Rail dazu sagen, wenn sie davon erfuhr ? - und der Angehörige einer Rasse, die Qui-Gon nicht kannte. Sie alle sahen gepflegt aus. Wenn sie Edans
Sklaven waren, behandelte er sie gut, besser als seine Frau zumindest. Doch
Qui-Gon schätzte, dass sie eher seine Partner oder Angestellten waren. Wasserabweisende Hosen, feste Stiefel, weite Hemden der altmodischen Sorte, wie
er nun eines trug, drei trugen Westen, die anderen Menschen Lederjacken,
die Wookie nur ihren traditionellen Gürtel, der M’tapesset einen schillernden Umhang. Unangenehm anzusehen waren nur die Blaster, die auf den
Jedi-Meister gerichtet waren. Langsam, die Schmuggler nicht aus den Augen
lassend, hob er beide Hände, ohne eindeutig zu zeigen, ob er sich ergeben
oder nur seine Friedfertigkeit beweisen wollte.
Er fühlte und registrierte dann aus den Augenwinkeln, dass einer der
Männer ihm den Blaster aus dem Hosenbund zog. Wie seltsam... empfanden
die nicht Machtsensitiven das Geschehen um sie herum ihr Leben lang derart
zweidimensional?
,,Hey, was...” Er wollte sich, Ärger vortäuschend, umwenden, doch eine
rasche Bewegung, die von einer der Frauen mit einem Blastergewehr stammte,
ließ ihn verharren.
,,Vorsicht, Kleiner!” Qui-Gon war versucht zu lächeln - die Schmugglerin
war gut und gerne zwei Köpfe kleiner als er. Doch dann sah er den stahlharten
Blick aus den blaugrauen Augen. Die machte keine Scherze auf ihre eigenen
Kosten, die war gewohnt, dass man sie ernst nahm - und jetzt meinte sie
es tödlich ernst. ,,Keine Bewegung, oder ich puste Dir den Kopf von den
Schultern!”
Die Dame musterte ihn, trat dann unvermutet einen Schritt auf ihn zu
und presste das Ende des Gewehrlaufs von unten gegen seinen Kiefer. ,,Hast
278
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
du mich verstanden, Kleiner?!”
Er nickte langsam, soweit das noch möglich war. Sie presste stärker zu.
Ihre linke Hand griff nach seiner Hemdbluse, die Dame riss ihn halb von den
Füßen. ,,Ich kann dich nicht hören - bist du bereits stumm, oder willst du es
für den Rest deines Lebens sein!?”
So viel Kraft hatte er ihn der schmächtigen Person nicht vermutet. Aber
wenn sie hier die Wortführerin war, sollte ihn das eigentlich nicht verwundern:
Sie würde sich auf ihre Weise Respekt verschafft haben. Er holte tief Luft,
als sie schon begann, den Abzug zu berühren.
,,Lassen sie mich ihre Fragen der Reihe nach beantworten: Ja und Nein!”
Einen kurzen Augenblick schwieg sie und dachte über die Antwort nach,
dann umspielte ein schwaches Lächeln ihre Lippen. ,,Dumm bist du nicht.”
Sie senkte den Blaster, Qui-Gon bemerkte aus den Augenwinkeln, dass
die anderen es ihr gleichtaten. ,,Wer seid ihr?”
Er ließ offen , ob er nur die Anführerin oder die ganze Gruppe meinte.
Die Wärme aus ihren Augen verschwand schlagartig, sie presste ihm den Lauf
wieder ins Gesicht. ,,Ich stelle hier die Fragen, ist das klar?”
,,Ja.”
,,Wer bist du?”
Er hielt ihrem Blick stand. ,,Ein Händler , der einen anderen sucht.”
,,Deinen Namen!”
,,Search. Ethan Search.”
Er hatte seine Legende sorgfältig ausgewählt, Obi-Wan seine Daten so in
den Hauptrechner der republikanischen Polizei eingegeben, dass die Schmuggler ihn als Vorbestraften und wegen bewaffnetem Schiffsfriedensbruch Gesuchten - wer erfand derart dämliche juristische Wörter? - dort wiederfinden
würden. Wenn sie sich denn die Mühe machen würden, seine Geschichte zu
überprüfen. Wenn er überhaupt so lange leben würde.
Die Frau senkte das Gewehr nicht.
,,Wen suchst Du hier?”
,,Edan. Eskoh Edan!”
,,Kennst du ihn gut?”
,,Nein, ich bin ihm bislang nie begegnet.”
,,Woher hast du dann diese... Adresse?”
Ihr Griff um den Abzug verstärkte sich. Qui-Gon versuchte, sie mit seinem
Blick zu fesseln. Doch sie verzog nur das Gesicht, presste ihm den Lauf wieder
gegen den Unterkiefer. Sie war ein Profi und ließ sich ohne die Hilfe der
MACHT kaum durch einen einzelnen Blick beeinflussen. ,,Woher!?”
,,Von jemandem, der Edan gut genug kennt, um diese Adresse zu wissen.”
Sie schnaubte. ,,Wer?”
Er schwieg.
4.22. SCHMUGGLERCAMP
279
,,Wer!?”
Er schluckte.
,,Heraus mit der Sprache, oder du bist ein toter Mann!”
Er schüttelte den Kopf, langsam aber unmissverständlich. ,,Nein. Ich werde denjenigen nicht verraten!” Er sah sie wieder lange an. ,,Und ihr werdet
mich nicht töten, solange ihr nicht wisst, wer mir die Informationen, die ich
brauchte, gegeben hat!”
Wieder verzog sie den Mund, denn er hatte natürlich Recht. ,,Dumm
bist du offensichtlich wirklich nicht, Kleiner.” Sie senkte das Blastergewehr.
,,Aber nützen wird es dir nicht viel. Nicht auf lange Zeit jedenfalls!”
Eine kleine Bewegung des Kopfes, und die Wookie und der M’tapesset
hatten seine Hände auf den Rücken gezerrt und in Stunnerhandschellen gepresst. Die Ausrüstung der Schmuggler war vom Feinsten - aber wer mit
Glitzerstim arbeitete, konnte sich die technischen Finessen leisten, um die
derweil schon Beamte im Geheimdienst betteln mussten.
Qui-Gon ließ die junge Frau nicht aus den Augen. Er wagte noch einen
Versuch. ,,Da ihr nun wisst, wer ich bin, wüsste ich auch gern euren Namen!”
Sie blickte ihn eine ganze Weile an.
Dumm war der Fremde nicht. Wenn er die Wahrheit sagte, hatte sein Leben als ‘Händler’ frühzeitig gelehrt, wann Gewalt, wann Diplomatie angesagt
war. Und er verstand sich gut darauf - vielleicht besser als ihr Chef.
Doch eigentlich war es etwas ganz Anderes, das die junge Frau in den
Bann zog. Und sich das einzugestehen, fiel ihr schwer. Der Fremde besaß
wunderbar klare blaue Augen, eine markante Nase, einen durchtrainierten
Körper. Und trotz des halben Meters, den er sie überragte, fühlte sie sich
von seiner Gegenwart nicht wirklich bedroht.
Qui-Gon bemerkte, wie die Frau ein Auge - das linke - kurz zusammenkniff. Dann wandte sie sich hastig ab.
,,Se’ir.”
Der Name klang vertraut, vielleicht von Dantooine? Er würde im Tempel
weiter darüber Nachforschungen anstellen. ,,Und weiter?”
Sie fuhr herum, und ihr Blick traf ihn wie blanker Stahl. ,,Nichts weiter,
Kleiner!”
Se’ir selbst verband Qui-Gon die Augen. Der große Jedi-Ritter fragte
sich, wie die kleine Kriegerin das schaffte, doch sie erreichte, dass er durch
das dunkle Halstuch, das sie als Augenbinde verwendete, nicht das Geringste
sehen konnte. Er spürte, wie jemand - war es wieder die kleine Frau ? - die
Stunnerhandschellen öffnete, ihm aber die rechte Hand an den Gürtel seiner
Hose band.
,,Leg deine Rechte auf meine Schulter.”
,, Ich kann deine Schulter nicht sehen, Se’ir!”
280
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Ein simpler, aber meistens todsicherer Test: Hätte er noch etwas gesehen,
hätte er unwillkürlich nach ihr gefasst... Er spürte, wie sie seine Hand auf
ihrer Schulter plazierte. Langsam ging sie voran, er folgte ihr.
Der Weg war länger, als er vermutet hatte, und er verlor die Orientierung.
Mit Hilfe der MACHT hätten sie ihn tagelang im Kreis führen können und
er hätte trotzdem gewusst, aus welcher Richtung er gekommen war. Doch so
verlor er jedes Gespür für Distanz und Wahrnehmung. Eine Zeit lang schien
im die Sonne in’s Gesicht, doch er konnte nicht sagen, ob es das Licht des
Zwergsterns oder das des Roten Riesen war, dass ihn wärmte. Dann waren
sie wieder im Zwielicht des Waldes. Er spürte Wärme auf dem Rücken, dann
nur auf dem rechten Ohr – Se’ir führte ihn verschlungene Pfade. Nach den
Werten der Sensoren zu urteilen, war er nur einen halben, höchstens einen
Kilometer vom Basislager der Schmuggler entfernt gewesen, als er von den
Wächtern überrascht worden war, doch nun waren sie länger unterwegs, als
er für diese geringe Distanz gebraucht hätte.
Als er wieder eine, dieses Mal aber geringere, Wärme im Gesicht spürte
und loses Gestein unter seinen Stiefeln knirschte, schüttelte Se’ir seine Hand
ab, pferchte seine Handgelenke wieder beide in die starren Stunnerschellen
hinter seinem Rücken und öffnete erst dann die Binde. Qui-Gons Augen
brauchten einige Sekunden, bis er sich an die Helligkeit, die allerdings bereits kaum mehr als ein Zwielicht war, gewöhnt hatte. Die Sonne, er wusste
immer noch nicht welche der beiden, war gerade hinter den Baumwipfeln
verschwunden, die kurze, nur knapp vier Stunden währende Nacht, brach in
Kürze an. Se’ir deutete mit dem Kopf über den weiten Platz, auf dem sie
standen.
Qui-Gon bemerkte erst jetzt, dass er mit der Frau allein hier stand. Wann
immer die anderen Wächter auf ihre Posten zurückgekehrt waren, er vermochte es nicht zu sagen. Er beschloss, Do-Rail zu fragen, ob man das menschliche
Gehör auch ohne Zuhilfenahme der MACHT trainieren konnte. Doch er gab
sich keiner Illusion hin, das Blastergewehr lag locker im rechten Arm der
Schmugglerin und war entsichert. Ein hastiger Fluchtversuch wäre nicht riskant, sondern schlicht und ergreifend tödlicher Wahnsinn gewesen. Er sah
sich schnell neugierig um.
Den weiten, mit grobem Schotter bedeckten Platz umrahmten kleine
Riedhütten und Zelte. Die einzigen festen Bauwerke waren ein weites und
modern ausgestattetes Landefeld hinter dem größten Zelt - auf das Se’ir nun
zusteuerte - und ein fest eingemauerter, in der Mitte des Platzes stehender Mast, an dessem oberen Ende ein Stück Seidentuch wehte, das Edans
Wappen zeigte. Qui-Gon war nur mäßig überrascht. Schmuggler und Piraten waren sich in allen Teilen der Galaxis ähnlich: Ihre Stützpunkte waren
komfortabel, solange es um ihre Raumschiffe ging, ihr wichtigstes Hab und
4.23. BARRIEREN
281
Gut, doch ihre Stützpunkte waren sehr einfach, denn sie wechselten sie wie
andere Leute ihre Unterwäsche. Dass er Edan überhaupt nach einem halben
Jahr hier noch antraf, war an sich schon spektakulär.
Se’ir schlug eine Zeltplane zurück und stieß ihn unsanft in’s Innere. Hier
war das einsetzende Dämmerlicht nur von einigen Feuerschalen und drei synthetischen Fackeln erhellt. Mehrere Männer und andere Wesen konnte der
Jedi im Rund ausmachen. Qui-Gon erkannte Edan sofort, noch bevor er sich
auf Se’irs Ruf umwandte - Mace‘ Beschreibung war perfekt gewesen. Er senkte andeutungsweise vor dem Schmuggler den Kopf. Aus den Augenwinkeln
gewahrte er Manjala in einer Ecke des Zeltraums. Die Frau hielt ein Baby im
Arm - nun wenigstens in dieser Beziehung hatte er sich nicht verrechnet.
,,Ich grüße Euch, werter Eskoh Edan.”
Der Schmuggler kniff die Augen zusammen. Qui-Gon glaubte zu fühlen,
wie die Temperatur im Zelt um einige Grade sank. Edan griff nach dem
Blaster, der im Halfter über seinem Oberschenkel hing.
,,Woher kennt ihr mich, Fremder? Ich habe euch noch nie gesehen!”
Qui-Gon versuchte es mit derselben Strategie wie zuvor gegenüber Se’ir,
doch der Schmuggler ließ nicht so leicht locker - er hatte ein verständliches
Interesse daran, dass Loch in seiner Absicherung gegenüber den republikanischen Behörden ausfindig zu machen. Er war sofort so erpicht darauf, dass
er nicht einmal auf die Idee kam, Qui-Gon zu fragen, was er als ‘Händler’
überhaupt im Di-Sahav-System wollte.
Der Jedi-Meister fühlte, wie ihm trotz aller diplomatischer Erfahrung die
Situation aus der Hand glitt.
4.23
Barrieren
Qui-Gon starrte den Anführer der Schmuggler weiterhin wortlos an. Der
starrte zuerst grimmig zurück, dann lächelte er schief.
,,Na schön, wenn du uns nicht freiwillig sagen willst, wie du uns gefunden
hast, werden wir es eben auf anderem Wege in Erfahrung bringen!” Eine kleine Drehung des Handgelenks, ein kurzer Wink mit einem Finger und Qui-Gon
war umringt von sechs kräftigen Männern. Einen kurzen Augenblick erwog
der Jedi, ob er sich wehren und eine Schlägerei anfangen sollte - auch ohne
die Hilfe der MACHT sollte er ein ernst zu nehmender Gegner sein -, doch
dann entschied er sich dagegen. Er war in der Tarnung eines friedliebenden
Händlers hierher gekommen, und Manjala musste Vertrauen zu ihm fassen.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Se’ir das Gesicht verzog und das Zelt
durch den Vordereingang verließ.
Er selbst ahnte ebenfalls, was nun kam. Er schloss die Augen, versuchte,
282
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
wenn schon nicht sich selbst, so doch seinen Padawan zu schützen. Obi-Wan
durfte nicht in Panik geraten, das Beste würde sein, wenn er gar nicht erst
mitbekam, was nun hier vor sich gehen würde...
Die ersten gezielten Hiebe trafen seine Leisten, die Nieren und den Magen.
Der Jedi-Meister spannte die Muskeln an, verbannte den Schmerz aus seinem
Gesicht - doch die Schmuggler provozierte die schweigende Heroik nur noch
weiter. Am Ende verprügelten sie ihn sehr viel heftiger, als Edan das zuerst
vorgehabt hatte, zuerst mit bloßen Fäusten, dann nahmen sie die Griffe ihrer
Blaster zu Hilfe. Qui-Gon merkte recht bald, dass er es mit Profis zu tun
hatte. Sie wussten sehr genau, wo sie treffen mussten, um seine Schmerzen
nach und nach zu steigern. Einer der Männer zog ihm den Blaster quer über
das Gesicht. Keuchend holte er nun durch den Mund Luft, sah schließlich zu
Manjala hinüber.
Die Frau des Schmugglers aber blickte ihn nicht an. Sie starrte allein auf
das Neugeborene in ihren auffällig zitternden Armen, verbarg dessen Gesicht
an ihrer Brust. Wie nur sollte er ungestört mit ihr reden, ohne die MACHT
zu nutzen? Das lief so gar nicht nach Plan!
Sie rissen ihn vom Boden hoch. Edan trat auf ihn zu und musterte den
Fremden nachdenklich. ,,Bringt ihn raus - und dann wie immer! Eine Nacht
in der Kälte wird ihn vielleicht gesprächiger machen!”
Die Männer zerrten ihn in die Kühle, fesselten ihn an den Fahnenmast in
der Mitte des Lagers. Ein eisiger Abendwind zerrte an Qui-Gons Hemdbluse.
Einer der Schmuggler, Treptow, ein Schrank von Mann, trat auf ihn zu, in
seinen Händen hielt er einen armdicken Holzknüppel. Er grinste breit. ,,An
deiner Stelle würde ich das Maul aufmachen, ‘Händler’ ! Sonst werden wir dir
ganz schön weh tun müssen!” Er umfasste den Knüppel fester. Qui-Gon biss
sich auf die Lippen, wandte den Kopf ab. Der Riese grunzte. ,,Na gut, du
willst es wohl nicht anders!”
Er holte weit aus und traf genau. Qui-Gon fühlte überdeutlich, wie etwas
in seinem Brustkorb knackte. Er schnappte zitternd nach Luft, sackte zusammen. Stechender Schmerz brannte in seiner linken Seite, als er den Brustkorb
beim Atmen bewegte. Der Mann lachte dunkel. ,,Ich werde das Vergnügen
haben, dir jeden Abend eine weitere deiner Rippen zu brechen - bis du das
Maul aufmachst! Und du wirst reden, Mensch, das schwöre ich dir. Du –
wirst – reden!”
Qui-Gon reagierte nicht. Erst als die Männer ihn auf dem Platz im eisigen
Wind allein zurückgelassen hatten, ließ er sich am Mast herabgleiten und
stöhnte leise. Wie nur sollte er so an Manjala herankommen?! Der Schmerz
- ohne die MACHT zu nutzen, war eine wirksame Blockade kaum möglich entflammte bei jeder Bewegung des Oberkörpers. Außerdem bekam er durch
die Nase kaum noch Luft.
4.23. BARRIEREN
283
Zwei Stunden später spürte er seine Arme kaum noch - die eisige Nachtkälte
forderte ihren Tribut. Doch irgendetwas hatte ihn aus seinem Dämmerzustand gerissen. Er lauschte in die Dunkelheit - Schritte, zaghaft und leise,
soweit dies auf dem Schotter möglich war, näherten sich ihm.
,,Meister Jinn?”
Er hob den Kopf nicht, versuchte, die Gestalt im Dunkel neben sich auszumachen.
Erst als er Manjala erkannte, antwortete er und hob den Blick. ,,Ja... was
bin ich froh, dass ihr kommt, Lady Manjala!”
Sie schwieg, zerrte das Schultertuch enger um sich. Erst nach langem
Zögern kniete sie neben ihm nieder. ,,Warum seid ihr gekommen, Jedi?”
Er sah sie an. ,,Du weißt es, Manjala!”
Sie nickte. ,,Ihr wollt noch immer, dass Edaj im Tempel aufwächst?”
Er nickte ebenfalls. ,,Wenn das der Name eures Kindes ist, habt ihr Recht,
Lady!”
Sie schnaufte. ,,Hört auf, mich Lady zu nennen! Ich bin eine Sklavin! Ich
weiß das, und ihr wisst es auch!”
Qui-Gon wurde sich bewusst, dass er nicht wieder mit ihr darüber streiten
wollte. Er versuchte es von einer anderen Seite. ,,Aber dein Kind könnte frei
sein!”
Sie schnaubte wieder und schüttelte den Kopf. ,,Ihr und eure Ideale! Mein
Kind wird nur als Sohn seines Vaters frei sein! Wenn ich Glück habe und er
uns nicht vorher tötet. Ich sagte schon auf Coruscant, dass ich euch mein
Kind nicht übergeben werde. Und dabei bleibt es! Schließlich bin ich nicht
lebensmüde...”
,,So leicht gebe ich nicht auf, Manjala...”
Sie stand auf. Ihre Stimme wurde schneidend, obwohl sie weiter flüsterte. ,,Es wäre aber besser, ihr würdet es tun, Jedi! Oder diese Lektion hier
wird sehr schmerzvoll werden. Edan kennt keine Gnade bei seinen Feinden oder bei denen, die er für seine Feinde hält! Erzählt ihm irgendein plausibles
Märchen und seht zu, dass ihr wegkommt! Sonst wird er euch jeden Knochen
einzeln brechen lassen - und sich noch daran ergötzen!”
Er schwieg einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf. ,,Nein - ich
gehe nur, wenn ich Edaj in meinen Armen mitnehmen kann!”
Ohne ein weiteres Wort schlich Manjala fort. Qui-Gon lehnte den Kopf an
den Mast hinter sich und schloss die Augen. Inständig hoffte er, die richtige
Entscheidung getroffen zu haben.
Obi-Wan schreckte aus seinem leichten Schlaf auf.
Einen kurzen Augenblick dachte er, sein Meister sei zurückgekehrt, doch
das Band zwischen ihnen war viel zu schwach, als dass sich Qui-Gon in seiner
Nähe befinden konnte.
284
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Er lauschte noch ein paar Augenblicke in die Dunkelheit des Shuttles,
dann schlug er die Decke zurück und setzte sich in’s Cockpit. Durch das breite
Sichtfenster konnte er die gesamte Lichtung vor sich überblicken. Aber mitten
in der Nacht gab es da nicht viel zu sehen. Alles war ruhig, ein paar kleine
Tiere huschten am Gleiter vorbei, der kalte Nachtwind ließ die hohen Bäume
wild rauschen. Qui-Gon hatte ihn ermahnt, nicht die MACHT zu nutzen, und
Obi-Wan hielt sich an die Auflage. Doch er spürte auch so, dass irgendetwas
nicht stimmte. Aber er konnte nicht eruieren, was nicht stimmte. Da war
nur eine Erschütterung in der MACHT, aber wenn er nicht in sie eindringen
durfte, konnte er nicht herausfinden, welcher Art diese Erschütterung war,
was sie bedeutete, wie er reagieren sollte...
Zögernd griff er nach seinem Mathematikpad und vertiefte sich in irgendeinen komplizierten Beweis irgendeiner noch komplizierteren Theorie.
Als Treptow Qui-Gon die nächste Rippe brach, sah Edan ihm zu. Der
‘Händler’ stöhnte leise, aber er sagte nichts. Die in einem kompliziert geflochtenen Zopf zusammengefassten Haare des Fremden hatten sein Gesicht
den Strahlen des brennenden Doppelgestirns ausgeliefert - der Händler war
krebsrot.
Zurück in seinem weiten Zelt grübelte Edan weiter. Manjala saß in ihrer
winzigen Ecke, den Säugling an ihrer Brust. Der Schmuggler schüttelte den
Kopf. ,,Ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache, irgendetwas stimmt hier
nicht!” Ängstlich sah sie zu ihrem Mann hinüber. Der bemerkte ihren Blick.
,,Kennst du den Kerl vielleicht?”
Hastig schüttelte sie den Kopf, versuchte ihre aufkeimende Angst zu verbergen. Doch sie war keine ausgebildete Jedi, und auch wenn das auch auf
Edan zutraf, so spürte er doch die ungewisse Erschütterung in der MACHT.
Er sprang auf, riss sie ebenfalls hoch. Beinahe wäre Edaj zu Boden geglitten.
,,Was weißt du über ihn?”
,,Nichts...” Sie presste das Kind an sich.
Doch Edan schlug ihr brutal über das Gesicht. ,,Lüg mich nicht an!”
Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, doch sein Griff war wie der zweier
Schraubzwingen. ,,Ich kenne ihn nicht...”
Edan stieß sich von sich, sie stürzte. Nur durch einen glücklichen Zufall passierte dem kleinen Kind nichts. Er trat nach ihr. Dann schnaubte
er wütend und marschierte in Richtung des Ausgangs. Dort wandte er sich
noch einmal um, sah auf die weinende Sklavin herab, die zitternd vor ihm
zu fliehen versuchte. ,,Wage nicht, fortzulaufen! Und wenn du nicht reden
willst, dann werde ich es eben aus ihm herausprügeln!!” Er deutete durch die
Zeltwand in Richtung des Lagerplatzes. Manjala wandte den Blick ab.
Edan stürzte hinaus.
Qui-Gon sah den Schmuggler kommen - und seine Wut war, auch ohne sie
4.23. BARRIEREN
285
in der MACHT zu spüren, deutlich an seinen Zügen abzulesen. Der Mensch
baute sich vor seinem Gefangenen auf.
,,Woher kennst du Manjala?”
Qui-Gon war überrascht - und hoffte, dass er nicht erblasst war bei diesen
Worten. Er holte tief Luft, doch der Schmerz in der linken Seite machte das
Atmen zunehmend zur Qual. ,,Wer ist... Manjala...?”
Edan runzelte die Stirn. Er spürte nichts. Entweder war der große Händler machtblind, oder er sagte die Wahrheit. ,,Die Sklavin, die mir ein Kind
geschenkt hat!”
Der Fremde reagierte wieder nicht, er zuckte vielmehr mit den Schultern.
,,Möglich, dass sie mich irgendwo gesehen hat, ich komme viel herum!”
Edan griff nach dem Kinn des Gefangenen, zwang den Menschen, ihn
anzusehen. ,,Hat sie dir verraten, wo wir zu finden sind?!”
Qui-Gon erwiderte den Blick fest. Er war sich nicht sicher, was der Schmuggler wusste, was nicht. Aber er entschied sich, so wenig wie möglich preiszugeben. ,,Ich habe hervorragende Quellen - ich muss nicht auf Sklaven, Folter
und andere dermaßen unzuverlässige Mittel zurückgreifen!”
Edan kochte vor Zorn. Er schlug den Gefangenen zusammen. Als er den
Platz mit großen Schritten überquert hatte, sah Qui-Gon ihm mit schmerzverzerrten Gesicht nach. Aber immerhin würde er seine Wut nicht an Manjala
und ihrem Kind auslassen...
Obi-Wan war übel.
Zuerst glaubte er, sich an den kargen Notrationen - wieso hatte er nicht
die Vorräte überprüft vor ihrem Abflug? - den Magen verdorben zu haben.
Aber das hatte er bislang noch auf keiner Mission geschafft. Doch ihm wurde
jeden Abend schlecht. Regelmäßig zum Sonnenuntergang. Es war mehr als
auffällig, es war beunruhigend.
Der junge Jedi legte das Mathematikpad auf die Armaturen des Gleiters,
begab sich in den hinteren Teil des Shuttles, legte sich angezogen auf die
schmale Pritsche. Fünf Tage war Meister Qui-Gon nun schon fort. Viel länger,
als die angenommen hatten... Wollte Manjala ihr Kind nicht aufgeben? ObiWan verschränkte die Arme im Nacken und schüttelte den Kopf. Qui-Gon
wusste, dass er die Frau nur wenig beeinflussen durfte - ‘gezwungene’ Jedi
sollte es nicht im Tempel geben, so sah es der Codex vor... Oder ließ Edan ihn
nicht gehen? War er in Schwierigkeiten...? Obi-Wan fühlte, wie Angst in ihm
emporstieg. Er wünschte, er hätte es geschafft, die MACHT zu blockieren.
Wie konnte er seinen Lehrer derart allein und im Stich lassen?
Er setzte sich auf, atmete heftig. Die MACHT zerrte an seinem Ich. Er
versuchte, ruhig zu werden, seine Atmung zu kontrollieren.
Angst... diese Kälte... immer diese Kälte, die ihr folgte...
Wenn Qui-Gon zurück war, würde er mit ihm darüber reden. Er musste
286
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
endlich darüber mit jemandem reden. Er wollte wissen, woher diese Kälte
kam, warum er sie spürte, wie er damit umgehen sollte. Qui-Gon würde eine
Antwort haben, wenn er zurück war.
Wenn er zurück war...
Wie furchtbar das klang... aber je länger sein Meister fort war, desto
größere Sorgen machte der Junge sich. Wenn er doch nur die MACHT nutzen
könnte...
Obi-Wan erhob sich, seufzte schwer. Er wusste, er würde auch heute keinen richtigen Schlaf finden. Er öffnete die Shuttleluke und starrte auf den
Wald, genau auf die Stelle, wo sein Lehrer verschwunden war - die untergehende Sonne, im Augenblick der rote Riese, schuf unheimliche Schatten.
Qui-Gons Kopf ruhte am Mast.
Vorsichtig zog Manjala das feuchte, weil in heißes Wasser getauchte, Tuch
aus dem weiten Ärmel ihres Überkleides. Behutsam presste sie den Lappen
erst gegen die blutige linke Schläfe des Jedi, dann noch vorsichtiger in die
Wunde unterhalb des Haaransatzes.
Der Meister stöhnte leise, schlug die Augen auf. Er versuchte, Luft zu holen, doch der Schmerz nahm ihm fast das Bewusstsein. Sechs Abende... verzweifelt überlegte er, wie viele Rippen ein Mensch überhaupt besaß... Dann
erst bemerkte er die Frau.
,,Ihr bringt euch in große Gefahr, Lady...” Selbst wenn er gewollt hätte,
mehr als flüstern konnte er kaum mehr. Doch er sah, wie sie den Blick abwandte.
,,Viel weniger als ihr, Jedi... Der Wutausbruch meines Mannes heute
Abend sollte euch eine Lehre sein - das nächste Mal wird er euch den Blastergriff gegen den Kehlkopf schlagen...”
Qui-Gon schüttelte müde und zerschlagen den Kopf. ,,Nein... damit er
wartet so lange, bis er weiß, was er zu wissen glauben muss - und ich werde
auf keinen Fall reden!”
Sie holte verzweifelt tief Luft, wischte ihm Schweiß und Blut von der
Stirn. ,,Dann wird er euch zu Tode foltern!”
Qui-Gon sah sie mit seinem dunkelblauen Augen lange an. ,,Vielleicht...”
Dann bemerkte er den Schatten hinter Manjalas Rücken. Eisige Angst
durchlief ihn. Sekundenbruchteile später gewahrte er das Gesicht der sich
lautlos heranschleichenden Person.
Obi-Wan fühlte, wie der Nachttau sich auf sein Gesicht legte.
Er saß noch immer im Eingang des Schiffes und rang um eine Entscheidung.
Als die Sonne untergegangen war, hatte er sich heftig übergeben müssen.
Und das Band zu seinem Meister hatte für kurze Zeit heftig vibriert - jetzt
schlief es quasi wieder wie vorher, aber Obi-Wan wurde den Stein im leeren
4.23. BARRIEREN
287
Magen nicht los. Es war fast so wie vor einer Woche, als er versucht hatte,
die MACHT zu blockieren. Als würde jemand einen Schild um ihn errichten,
der ihn von irgendetwas Lebenswichtigem abschnitt...
Der Teenager stand auf und ging zurück in’s Shuttle. Langsam legte er die
Robe ab, legte das schmale Wickelband und die Schärpe darauf und schlüpfte aus den Tuniken und seiner weißen Hose. Zögernd zog er die bereitgelegten Sachen eines Händlergehilfen an: Dunkle Hose, dunkles Hemd, darüber
einen Holster mit einem kleinen Blaster, eine Lederjacke. Den auffälligen Padawanzopf versteckte er unter einem Hut mit breiter Krempe. Sehnsüchtig
betrachtete er die beiden Lichtschwerter, die nun vereint auf der Pritsche
neben seinen Padawankleidern lagen. Aber wie vor ihm Qui-Gon kam er zu
dem Schluss, dass er dieses Risiko besser nicht eingehen sollte.
Er verschloss die Luke des Shuttles und marschierte in der Dunkelheit
in die Richtung, in der Qui-Gon verschwunden war - das Band zu seinem
Meister wie einen Wollfaden benutzend, dem er nur durch das Labyrinth der
Bäume zu folgen brauchte...
Die kleine Kriegerin blieb einige Sekunden überrascht stehen.
Dann lachte sie leise, Manjala fuhr hastig herum, starrte die rechte Hand
ihres Mannes ängstlich an. Se’ir verstummte, doch das Lächeln auf ihren
Zügen erstarb nicht. ,,Ich hätte nicht gedacht, dass ihr eine so großartige
Schauspielerin seid, Manjala!”
Sie kniete neben Qui-Gon nieder und drehte sein geschundenes Gesicht
in’s fahle Nachtlicht. Jetzt erstarb ihr Lächeln. ,,Meine Güte, Edan ist aber
furchtbar sauer auf euch!” Ihre schmalen Finger tasteten vorsichtig über den
Brustkorb des Gefangenen, doch der Jedi stöhnte trotzdem vor Schmerzen.
Sie zog ihre Hände zurück, entschuldigte sich leise. Dann sah sie die verängstigte Sklavin an. ,,Worum geht es hier eigentlich?” Manjala senkte den Blick.
,,Ist er gekommen, um dich von hier fortzuholen?”
Sie schüttelte hastig den Kopf, schwieg. Se’ir musterte Qui-Gon, doch
auch der starrte nur Löcher in die Luft. Die kleine Frau seufzte leise. ,,Hört
mir mal zu, ihr zwei, wenn ich nicht hier wäre, um euch zu helfen, wärt ihr
bereits tot! Alles was ich tun muss ist schreien! Habt ein bisschen Vertrauen,
vielleicht kann ich euch ja wirklich helfen!”
Manjala suchte den Blick des Jedi-Meisters, Qui-Gon nickte ergeben. Die
letzten Nächte im eisigen Wind hatten ihn gelehrt, dass er aus eigener Kraft
nicht hier herauskommen würde. Die junge Mutter kniete wieder nieder, unsicher sah sie die Krigeirin an. ,,Er will mein Kind...”
Se’ir kniff die Augen zusammen. ,,Edaj?”
Manjala nickte hastig.
Die Kriegerin schüttelte belustigt den Kopf. ,,Dann muss seine Fähigkeit,
die MACHT zu spüren, ja tatsächlich recht ausgeprägt sein...Bislang hielt
288
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
ich solche Gerüchte immer für wildes Geschwätz. Ist da etwa etwas dran?”
Qui-Gon nickte. Er hoffte, dass auch Manjala seine wahre Identität weiterhin verleugnen würde. ,,Er wäre für jeden Händler von großem Nutzen...
Und bei mir wäre er frei - im Gegensatz dazu bliebe er hier ein Sklave, der
brutalen Willkür dieses Schmugglers ausgeliefert.”
Er sah Manjala eindringlich an. Se’ir sah von einem zum anderen.
,,Wirst du ihm deinen Sohn überlassen?”
Manjala zögerte, dann schloss sie die Augen. ,,Ja...” Ihre Antwort war
kaum mehr als ein Flüstern. ,,Ich will nicht, dass er eines Tages genauso
geschlagen wird wie ihr... Aber es ist dafür zu spät - wie wollt ihr nun mit
ihm entkommen? Ich kann die Stunnerhandschellen nicht öffnen...”
Qui-Gon sah Se’ir an. Die schüttelte den Kopf. ,,Tut mir leid, den Schlüssel
hat nun Edan...” Sie seufzte. ,,Aber vielleicht kann ich ihn entwenden. Dafür
brauche ich jedoch Zeit. Einen Tag oder auch zwei.” Sie musterte den Gefangenen.
Qui-Gon schloss die Augen. Dann nickte er müde. ,,Ich werde es überleben...” Er hustete, wie um seine eigenen Worte Lügen zu strafen.
4.24
Flucht
Obi-Wan spürte Qui-Gons Nähe weitaus schwächer, als er gewohnt war und
erwartet hatte. Das Band zwischen ihnen verstärkte sich zwar allmählich,
aber der Meister hatte einen Schild wie einen Wattebausch um sich gelegt
und schloss seinen Padawan aus seinen Gedanken und Gefühlen aus. Doch
sehr viel stärker als er seinen Lehrer wahrnahm, spürte der Teenager die
MACHT. Obwohl er SIE an sich abgleiten ließ wie einen Schwall Wasser,
umspülte SIE ihn immer wieder in heftigen Wogen. Und SIE rettete ihm das
Leben...
Obi-Wan wusste um das Sensorennetz wie sein Meister, und weil er die
MACHT zwar nicht nutzte, SIE aber nicht willentlich unterdrückte, spürte
er eine leichte Reflexion in seinem Inneren, als er sich einem Melder näherte.
Und es gelang ihm, unentdeckt zu bleiben. In der Abenddämmerung des
roten Gasriesen folgte er lautlos einem der schwerbewaffneten Wächter in
die Nähe des Camps der Schmuggler.
Kurz vor der Lichtung - Obi-Wan bemerkte bereits den Duft gebratenen
Fleisches in der Luft - wurde ihm speiübel. Das Band zu seinem Lehrer erbebte Sekundenbruchteile zuvor, er fühlte, wie sein Meister gegen die MACHT
ankämpfen musste, die dafür ihn selbst wie eine Welle überspülte. Lautlos
würgte er sein Mittagessen aus dem Magen, lehnte sich erschöpft an einen
der dürren Bäume. Was für ein Alptraum! Versuchte dieser Schmuggler et-
4.24. FLUCHT
289
wa mit Gewalt in Qui-Gons Gedanken einzudringen? Obi-Wan konnte sich
keinen Reim darauf machen. Noch nie hatte er solch seltsame und extreme
Erfahrungen mit der MACHT gemacht. Er wusste nur instinktiv, dass sein
Lehrer etwas Wesentliches vor ihm verheimlichte.
Der Junge wartete einige Minuten, bis sich sein nervöser Magen wieder
beruhigt hatte. Dann erst schlich er weiter.
Manjala liebkoste ihr Kind. Tränen ließen das kleine Gesicht vor ihren
aquamarinfarbenen Augen verschwimmen. Sie zwinkerte sie fort. Edaj sollte
sie nicht gramerfüllt in Erinnerung behalten... Sie war nicht sicher, ob ihr
Sohn sich genauso wie sie an alles seit seiner Geburt erinnern würde - Edan
war immerhin ein normaler Mensch -, aber vielleicht würde die MACHT ihm
helfen, sich an sie zu erinnern... Sie hoffte es zumindest. Dann nahm sie ihr
Schultertuch, ihre einzige Erinnerung an ihre Familie, das Tuch, welches ihre
Mutter ihr hastig umgelegt hatte, als sie auf dem Sklavenmarkt durch Edans
Hand und Geldbeutel getrennt wurden. Vorsichtig wickelte sie nun ihrerseits
ihr Kind hinein und küsste es noch ein letztes Mal zärtlich auf die Stirn.
Leise schlüpfte sie unter der weichen Zeltwand hindurch und huschte in
der Abenddämmerung zu Se’irs Unterkunft. Ihr Blick fiel über die Lichtung.
Noch immer schlug der Riese Treptow auf Qui-Gon ein. Hastig wandte sie
den Kopf ab.
Obi-Wan verharrte hinter dem letzten Busch, sein Atem ging hastig und
flach. Er konnte fast nicht glauben, was er sah... Sein Meister, festgebunden
an einen Mast, wehrlos ohne die MACHT. Und ein bulliger Mensch, der
seinen Lehrer brutal verprügelte.
Kein Wunder, dass ihm schlecht wurde... kein Wunder...
Er wollte zu Qui-Gon hinüberlaufen, aber er begriff in Bruchteilen von
Sekunden, dass das keinen Nutzen oder Sinn haben würde. Er konnte nur
abwarten, bis der Schläger den freien Platz verließ und die Schwärze der
kurzen Nacht ihm zum Verbündeten wurde.
Eine halbe Stunde später schlich er leise über den losen Schotter, so leise,
dass selbst Qui-Gon ihn nicht hörte. Obi-Wan erschütterte die Ahnungslosigkeit seines Meisters tief - wie groß mussten seine Schmerzen sein, dass er
nicht einmal mehr das sich nun durch die körperliche Nähe zueinander enorm
vertiefte Band zwischen ihnen bemerkte?
,,Master?”
Er berührte mit der rechten Hand die kalte Wange seines Lehrers und
Freundes. Der direkte körperliche Kontakt ließ ihn für wenige Augenblicke
die Pein des erfahrenen Jedi spüren. Beinahe wäre er zurückgezuckt, doch
dann entzog Qui-Gon ihm sein Gesicht. Die tiefe Stimme seines Meisters
klang brüchig und war so leise, dass er sie kaum verstehen konnte.
,,Obi-Wan... was machst du denn hier??”
290
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Die Missbilligung war deutlich zu hören.
,,Ich habe mir Sorgen um euch gemacht, Meister... nicht ganz zu unrecht,
wie es scheint...”
In Qui-Gons Augen trat eine kaum je zuvor dagewesene Härte. ,,Ich hatte dir einen Befehl gegeben: Du solltest im Shuttle auf mich warten! Wie
konntest du das ignorieren??”
Obi-Wan schluckte. Er starrte auf einen unbestimmten Punkt irgendwo
auf Qui-Gons Brustbein, als er antwortete. ,,Ich habe gespürt, dass ihr mich
braucht, Meister...”
Qui-Gon versuchte, tief Luft zu holen, doch der Schmerz bohrte sich in die
Lunge. ,,Ich brauche deine Hilfe nicht, Obi-Wan - im Gegenteil: Du bringst
mich - und was noch viel schlimmer ist den Tempel, Manjala und ihr Kind - in
große Gefahr.” Er keuchte und versuchte weiterzusprechen, den vorwurfsvollen Ton aber beizubehalten. ,,Ich sage es dir nur noch einmal, Padawan: Geh
zurück zum Shuttle, bereite einen schnellen Start vor. Morgen, spätestens
übermorgen früh, werde ich bei dir sein! Geh!”
Obi-Wan berührte eine Schulter seines Lehrers, der Schmerz schien unter
der Anstrengung des Sprechens noch explodiert zu sein. Der Junge schluckte.
Seine Stimme war nur ein Flüstern. ,,Morgen früh werdet ihr tot sein, Meister,
wenn ich euch nicht helfe.”
Qui-Gon starrte seine Schüler kalt an. ,,Das zu beurteilen ist nicht deine
Aufgabe. Deine Aufgabe war es vielmehr, meinen Anweisungen zu folgen.
Und die sind eindeutig, Padawan!”
Obi-Wan begriff, dass er so und hier gegen seinen halsstarrigen Lehrer
nicht ankommen würde. Und er spürte selbst, wie gefährlich seine Anwesenheit auf dem Platz war. Er nickte hilflos. Dann schlich er fort... aber nur eine
kleine Weile in den Wald hinein. Er würde nicht zurück zum Shuttle gehen,
nicht ohne Qui-Gon. Was immer sein Meister auch plante oder vorhatte, er
würde den Fußweg zurück zur Lichtung nie allein schaffen. Obi-Wan war sich
hundertprozentig sicher, dass er mit dieser Einschätzung richtig lag und die
korrekte Entscheidung getroffen hatte.
Se’ir nahm das Bündel und nickte Manjala zu. Sie würde eine Zeit lang
noch warten, bevor sie Qui-Gon befreien würde. Manjala sollte zurück zu
Edan gehen, damit sie ein Alibi haben würde, damit niemand sie verdächtigen
würde... vorerst.
Die kleine Kriegerin tastete nach dem Schlüssel für die Stunnerhandschellen in ihrer Hosentasche. Unwillkürlich musste sie lächeln - wie unvorsichtig
der große Held der Schmuggler wurde, wenn es um Liebe und Gefälligkeiten ging. Während sie ihn entkleidet und massiert hatte - nichts brachte den
Schmugglerkönig schneller in Wallungen- hatte sie ihm den Schlüssel entwendet. Sie hoffte, dass das, was sie noch dafür haben wollte, die Sache wert war!
4.24. FLUCHT
291
Drei Stunden hatte sie in der Badewanne ihres Quartier verbracht, um sich
nach dieser Erniedrigung wieder sauber zu fühlen.
Sie schlüpfte in ihre Lederjacke und nahm das Kind in den Arm. Der
Kleine würde nicht schreien, ein kleines Glas Wein hatte ihn regelrecht eingeschläfert. Ebenso lautlos wie Obi-Wan zuvor schlich sie über den Schotter.
Qui-Gon sah sie erwartungsvoll an. Sie verzog das Gesicht, legte das Kind
in seinen Schoß.
,,Bevor ich euch losmache, will ich die Wahrheit wissen. Ihr seid kein
Händler, oder?”
Er musterte sie lange. Bemerkenswert, wie klar er bei Sinnen schien trotz
des hohen Fiebers und der tagelangen Schmerzen. Langsam schüttelte er den
Kopf. ,,Nein.” Sie sah ihn auffordernd an. Er verzog das Gesicht, leicht, kaum
wahrnehmbar im Dunkel der Nacht. ,,Vielleicht bin ich ein Sklavenhändler?”
Se’ir lachte leise. Sie schüttelte den Kopf, halb belustigt, halb verärgert.
,,Jedi halten keine Sklaven, und sie lehnen im Allgemeinen die Sklaverei auch
ab!”
Er senkte den Blick. ,,Woher wisst ihr es?”
Sie kniete nieder und löste die Handschellen, Qui-Gon seufzte und rieb
sich die erstarrten Hände. ,,Ich bin schon einmal einer Jedi begegnet, einer
wunderschönen Frau. Sie kam zu einem früheren Stützpunkt - ich war damals
noch ein Teenager und Edans Sklavin noch dazu wie nun noch Manjala... -”
Sie zuckte mit den Schultern, als bedeute das nichts. ,,Sie wollte Edan zum
Aufgeben der Sklaverei bewegen. Ich kann mich nur noch an ihr weißes dichtes Haar erinnern, an ihre dunkle Kleidung, ihren Padawan, ein Mädchen in
meinem Alter mit schneeweißer Haut und grellrotem Haar...” Qui-Gon erkannte in der Beschreibung einen weiteren rebellischen Meister des Ordens:
die dunkle Frau... welche Tragödie, das Mädchen zu verlieren... die Meisterin
machte sich noch immer Vorwürfe... Se’ir sprach weiter. ,,Um sie in sein Bett
zu locken, ließ Edan mich frei... Ich weiß nicht, ob sie wirklich mit ihm...
er hat es zumindest immer behauptet, ich kann mir das doch nicht wirklich
vorstellen! Aber ich verdanke ihr meine Freiheit. Ich wollte ihr danken, ihr
dienen für eine Zeit lang, aber sie lehnte das ab. Sie sagte, es wäre im Gegenteil ihre Aufgabe, Menschen wie mir zu dienen. Und ihr tut dasselbe für
Manjala und ihr Kind...” Sie schüttelte den Kopf, weil sie das noch immer
nicht ganz verstand. ,,Als ich sie so nicht gehen lassen wollte, sagte sie, eines
Tages würde ich meine Schuld, wenn ich sie denn so verstünde, zurückzahlen
können und einem anderen Jedi zur Freiheit verhelfen können. Ich denke,
dieser Tag ist heute Nacht gekommen!”
Sie nickte ihm steif zu und erhob sich. Qui-Gon öffnete seine weite Bluse
und legte das Bündel mit Manjalas Kind unter den Stoff, knöpfte die Leiste
zu. Wie ein Sack würde die Bluse das Baby schützen auf dem Weg durch das
292
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
dichte Unterholz. Mühsam und unter Schmerzen - das Gewicht des Kindes,
das nun gegen die gebrochenen Rippen schlug, machte es nicht besser - erhob er sich. Se’ir sah ihn lange an. Dann legte sie urplötzlich ihre Arme um
seinen Hals und küsste ihn. Eine erstaunliche Leistung für eine so zierliche
Person... Qui-Gon war völlig überrascht und unfähig zu reagieren. Erst, als
Se’ir verschwunden war, begriff er, dass der Wunsch zur Begleichung einer alten Schuld nicht der einzige Grund für die Hilfe der jungen Kriegerin gewesen
war.
Er holte vorsichtig tief Luft und bewegte sich langsam auf den Wald zu,
die Richtung einschlagend, in die Obi-Wan verschwunden war.
Qui-Gon strauchelte zum dritten Mal.
Er konnte den Sturz gerade noch abfangen, indem er sich am einem jungen
Baum festklammerte. Erschöpft blieb er stehen - er war noch keine hundert
Meter weit gekommen... Der Schmerz wurde immer heftiger in seiner Brust.
Noch immer wagte er nicht, sich der MACHT hinzugeben. Edan könnte
ihn womöglich spüren, was das Todesurteil für ihn, das Kind, Manjala und
Se’ir bedeutet hätte. Doch die MACHT rief nach ihm, mit jeder Sekunde
stärker... Schon viel zu lange hatte er sich von ihr getrennt. Doch er musste
sie weiter blockieren. Noch ein bisschen, noch ein wenig länger... noch...
Qui-Gon wurde schwarz vor Augen.
Ohnmächtig sank er zu Boden.
Obi-Wan stockte der Atem. Innerhalb von Sekunden kniete er neben seinem Lehrer, nahm das Kind unter sein Hemd, berührte das Gesicht des bewusstlosen Jedi. Doch Qui-Gon konnte er kaum noch spüren. Ihr Band war
noch immer vorhanden, doch so unendlich schwach auf einmal. Er spürte die
Präsenz seines Meisters kaum noch...
Doch dann kam der große Jedi wieder zu sich.
,,Obi-Wan..”
Seine Stimme war nur noch ein kaum hörbares Flüstern, wie das Wispern
eines Geists.
,,Wir müssen hier fort!”
Qui-Gon nickte, aber sein Padawan musste ihm aufhelfen. So schnell der
Junge seinem Lehrer durch das Unterholz helfen konnte, bewegten sie sich
auf das Shuttle zu. Doch Mitten auf der Lichtung brach der Meister wieder
zusammen. Und dieses Mal kam er nicht wieder zu sich. Obi-Wan brachte das
Kind in den Gleiter und schleifte mit größter Anstrengung und aller Kniffe,
die Do-Rail Lith im Erste-Hilfe-Kurs erläutert hatte, dann den Bewusstlosen
die Rampe hinauf. Voller Panik setzte er sich an die Kontrollen und startete
den Gleiter.
Zuerst mussten sie den Planeten verlassen, denn irgendwann würde Edan
das Verschwinden des Kindes und vor allem Qui-Gons Flucht bemerken...
4.24. FLUCHT
293
Obi-Wan steuerte den Gleiter sofort in den heftigen Sonnenwind des Doppelgestirns, schaltete die elektronische Karte aus den beim Anflug aufgezeichneten Daten auf den vorderen Schirm. Langsam, viel zu langsam wie es ihm auf
einmal schien, näherte er sich der ersten Boje. Er übermittelte die manipulierten Datensätze. Dann eine Rechtskurve, abkippen nach unten, der zweite
Computer berechnete bereits die Koordinaten für den Hypersprung.
Obi-Wan hatte Qui-Gons Anweisungen zumindest in diesem Punkt nicht
missachtet. Start und erste Phase des Rückflugs hatte er perfekt geplant
und vorbereitet. Sicher umflog er die meisten Bojen aus Edans Sicherheitssystem, und den anderen übermittelte er die Daten ihrer Müllfrachterlegende.
Schließlich sprang der Gleiter in den Hyperraum. Obi-Wan warf einen letzten
Blick auf die Instrumente, dann rannte er geradezu in den hinteren Teil des
Shuttles.
Qui-Gon lag noch immer bewegungs- und bewusstlos auf dem kühlen
Metallboden. Obi-Wan hatte alle Mühe, seinen Lehrer auf dessen schmale
Pritsche zu hieven. Das Gesicht des älteren Jedi war totenblass und eingefallen. Der Teenager bemerkte, dass seine eigenen Hände zitterten. Was bei
allen Mynocks sollte er nun tun? Vorsichtig berührte er das vom Fieber heiße Gesicht des Meisters. Verwundert stellte er fest, dass sein Lehrer keine
Schmerzen mehr spürte. Doch auch das Band zu ihm verstärkte der körperliche Kontakt nicht mehr sonderlich.
Obi-Wan schob das von den Büschen und Dornen des Unterholzes nun
halb zerrissene Hemd beiseite und kniff die Lippen zusammen, als er die
verfärbten Blutergüsse auf dem Brustkorb des Bewusstlosen sah. Noch nie
hatte er sich so hilflos gefühlt, so ahnungslos, was er nun tun konnte, um
seinem Freund zu helfen. Immer hatte er ein Jedi-Ritter werden wollen, doch
nun wünschte er, ein machtbegabter Heiler zu sein. Voller Angst öffnete er
eines der Staufächer des Gleiters und hüllte Qui-Gon in mehrere wärmende
Decken, legte am Ende selbst noch ihre beiden Roben über den regungslosen
Körper.
Vier lange Tage später - Obi-Wan waren sie wie eine Ewigkeit vorgekommen - erblickte er die marmorne, erleuchtete Kugel Coruscants auf dem
Schirm. Er kontaktierte die Flugkontrolle des Jedi-Tempels und sendete ein
Notrufsignal. Als Do-Rail Liths Gesicht auf dem Kommunikationsschirm erschien, berichtete er kurz und knapp über ihre nur teilweise erfolgreiche Mission. Die Vorsitzende des Rates kniff ihre schuppigen Lippen zusammen und
versprach, Doronn zu benachrichtigen. Obi-Wan lenkte die T-H-X 1138 auf
den Landeleitstrahl.
294
4.25
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Verletzungen
Kaum hatte Obi-Wan den Gleiter zum Stehen gebracht und die Luke geöffnet,
stürzten Do-Rail Lith als Vorsitzende des Rates und Doronn hinein. Die JediMeisterin kümmerte sich um das Baby, während der Arzt sich neben Qui-Gon
niederließ. Am ganzen Körper vor Erschöpfung zitternd sah Obi-Wan, wie
der Heiler vorsichtig über Qui-Gons Körper tastete, nachdem er die Fetzen
des Hemdes beiseite geschoben hatte. Dann ruhte seine Hand auf der heißen
und blassen Stirn des Verletzten.
Fragend sah Doronn Obi-Wan an. ,,Wie lange ist er schon bewusstlos?”
Der Teenager schluckte. ,,Seit gut fünf Tagen... ich wusste nicht, was
ich...”
Der Heiler erhob sich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,,Du
hast das einzig Richtige getan, Obi-Wan: Du hast ihn so schnell wie möglich
hierher gebracht!”
Zusammen mit einem Pfleger betteten sie den Bewusstlosen auf eine
schwebende Liege, brachten ihn in den Tempel. Obi-Wan folgte ihnen, blieb
dann im Behandlungszimmer in einer Ecke auf dem kalten Boden sitzen,
bemüht, nicht im Weg zu sein, aber um keinen Preis seinen Meister verlassen
wollend, auch wenn es im Vorzimmer warm war und Stühle auf ihn warteten.
Er hörte, wie Doronn mit zwei anderen Heilern sprach. Sie redeten über innere Verletzungen, eine Fraktur der Nase, die vielen Blutergüsse, Prellungen
und Quetschungen. Doch am meisten Sorgen bereitete ihnen, dass sie den
Jedi-Meister nicht wieder zu Bewusstsein brachten. Auch Obi-Wan spürte
dies schon seit Tagen: Qui-Gon unterdrückte das Band zwischen ihnen nicht
mehr - es existierte vielmehr kaum noch...
Zuerst hatte der Teenager gedacht, sein Meister läge im Sterben, doch
in diesem Falle wäre das Band zwischen ihnen erst langsam zerfasert und
am Ende völlig verschwunden. Aber Obi-Wan wusste, dass etwas nicht in
Ordnung war. Mit Qui-Gons erstem Zusammenbruch im Wald hatte es begonnen.
Doronn schickte nach Yoda.
Der alte Jedi kam mitten in der Nacht in die Krankenstation, trug einen
uralten Morgenrock anstelle seiner alten Robe und auf dem Kopf zwischen
den herabhängenden Ohren eine Schlafmütze. Schweigend legte auch er eine
Hand auf Qui-Gons blasses Gesicht, schloss seine Augen, schüttelte dann
resigniert den Kopf. Doronn sah den erfahrenen Meister verzweifelt an. ,,Er
muss das Bewusstsein zurückerlangen - wir können ihn vorher nicht operieren!
In diesem labilen Zustand wird er eine Narkose niemals überleben! Von einer
Behandlung im Bakta-Tank ganz zu schweigen.”
Yoda schüttelte traurig den Kopf. ,,Seinen Geist - ich ihn nicht erreichen
4.25. VERLETZUNGEN
295
kann. Wie das passiert ist?”
Doronn zuckte mit den Schultern. ,,Vielleicht der Schock - allein die äußeren Verletzungen lassen auf ein äußerst brutales Verhör schließen... aber mit
Hilfe der MACHT hätte er in der Lage sein müssen, die Schmerzen zu unterdrücken und den Schock abzumildern...” Der Heiler schüttelte verständnislos
den Kopf.
Obi-Wan erhob sich mit steifen Beinen vom Boden und stakste herüber.
Yoda musterte den Padawan. Der Junge sah fast genauso schrecklich aus wie
sein Meister - völlig übermüdet, halb verrückt vor Angst um seinen Lehrer,
dunkle Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen - wahrscheinlich hatte
er in den letzten Tagen nicht einmal regelmäßig etwas gegessen geschweige
denn geschlafen. Jetzt hingen seine Blicke wieder über dem schweißnassen
Gesicht seines Lehrers, das im grellen Licht der Krankenstation noch hagerer
und gezeichneter als zuvor aussah.
,,Er hat die MACHT nicht benutzt, weil er wusste, dass der Schmuggler
dies sofort bemerkt hätte. Es war Teil seines Plans, mit keinem Hinweis
auf die Jedi das Kind zu holen! Deshalb hat er sich der MACHT gegenüber
verschlossen.” Er sah Yoda eindringlich an. ,,Und er schirmte mich vor seinen
Gedanken und Gefühlen und selbst den Schmerzen ab - ich weiß nicht wie,
aber irgendwie hat er das Band zwischen uns... unterdrückt?” Er wusste keine
bessere Beschreibung dafür.
Irrte er sich - oder erblasste Yoda bei diesen Worten? Der alte Jedi starrte
Qui-Gon wie einen Geist an. Instinktiv begriff Obi-Wan, dass sein Meister
entweder eine große Dummheit begangen hatte oder ein extremes Risiko eingegangen war - nun, so wie er selbst den großen Jedi kannte, womöglich beides. Yoda strich noch einmal mit seinen drei Fingern über Qui-Gons Wange,
nahm dann die Hände seines ehemaligen Schülers in die seinen. Schließlich
schüttelte er den Kopf. ,,Warum, Qui-Gon? Warum du dich hast getrennt
von der MACHT?”
Obi-Wan erschauderte. Er hatte schon davon gehört, dass Jedi, die sich
der MACHT verweigerten oder sich gewaltsam von ihr trennten - oder von ihr
getrennt wurden -, in den meisten Fällen innerhalb weniger Tage starben. Nur
wenige ertrugen ein MACHTvakuum - oder die Widerkehr des lebendigen
Feldes allen Lebens. Und Qui-Gon war nun schon seit über zwei Wochen
in diesem gefährlichen Zustand... Verzweifelt sah der Padawan die beiden
anderen Jedi an. ,,Nein... Er darf nicht sterben! Ich... ich brauche ihn doch...!”
Tränen sammelten sich in seinen hellen Augen. Doronn wandte den Blick
ab, konnte die Qual im Gesicht des Schülers nicht ertragen, doch wenn der
Padawan die Ursache für das tiefe Koma korrekt beschrieben hatte, gab es
für den stolzen Jedi-Meister kaum noch eine Chance. Obi-Wan sah Qui-Gon
wieder an. ,,Hört ihr Meister? Ihr habt versprochen, mich nicht im Stich zu
296
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
lassen! Ich spüre euch doch noch! Ihr dürft nicht aufgeben!”
Doronn fuhr herum. ,,Euer Band existiert noch?”
Obi-Wan sah ihn an, nickte dann zögernd. Seine Stimme versagte, er
konnte nur noch flüstern. ,,Ja... da ist noch etwas...”
Yoda nahm Obi-Wans Hände und legte sie auf Qui-Gons Gesicht. ,,Dann
du ihn erreichen musst!”
Der Junge wich in Panik zurück. ,,Ich weiß nicht wie!”
Yoda sah ihn eindringlich an. ,,Nutze das Band! Finde sein Bewusstsein,
berühre ihn mit der MACHT!”
Obi-Wan holte tief Luft. ,,Ich werde es versuchen...”
,,Nein!” Yodas Stimme traf ihn wie ein Schlag. ,,Es gibt kein Versuchen
für einen Jedi: Tue es - oder tue es nicht!” Dann sah der alte Meister Doronn
an. ,,Wir beide dir helfen werden, junger Padawan!”
Sie traten hinter ihn und legten jeweils eine ihrer Hände auf seine zitternden Schultern - und Obi-Wan spürte, wie die MACHT ihn einer warmen
Welle der Zuversicht durchlief. Vorsichtig berührte er Qui-Gons Gesicht...
Die MACHT umflutete ihn wie immer in einer seiner Meditationen. Ein
stetiger Fluss des Lebendigen um ihn herum - und des Leblosen. Doch dann
schwoll der Fluss unvermittelt an, die Wellen schlugen über ihm zusammen
. Obi-Wan begriff, dass die beiden Meister an seiner Seite dafür verantwortlich waren. Langsam ließen sie ihn in die MACHT hineingleiten, begleiteten
ihn auf seiner ersten Reise in diese Welt. Bilder, Gefühle, unendlich viele
Eindrücke stürmten auf ihn zu, doch Obi-Wan merkte, dass die beiden erfahrenen Jedi diese Flut an Visionen vehement einzudämmen versuchten. Er
hörte Yodas Stimme tief in sich widerhallen.
Stark in der immerwährenden MACHT er ist...
Der Teenager hatte keine Ahnung, was der alte Meister damit meinte,
aber er bemerkte, wie die beängstigenden Bilder zurückwichen, wie Yoda
einen festen Schild um ihn herum errichtete. Dann spürte er, wie Doronn
eine imaginäre Hand nach ihm ausstreckte.
Komm... nach Qui-Gon musst du mit der lebendigen MACHT suchen!
Er fühlte Qui-Gons klamme Haut unter seinen Fingern, sah das totenblasse Gesicht seines Meisters trotz der geschlossenen Augen vor sich, wich
zurück. Doch Doronn ging weiter. Zögernd folgte Obi-Wan dem Heiler. Und
mit der Zeit wurde er sicherer auf dem Weg durch die Wellen, Schleifen und
Muster des unendlichen Flusses der MACHT. Dann bemerkte der Junge,
dass Doronns Präsenz neben ihm immer schwächer wurde - und er begriff,
dass er allein weitergehen musste, dass er Qui-Gon nun allein helfen musste.
Vorsichtig versuchte Obi-Wan ihr gemeinsames Band zu nutzen, glitt daran
entlang auf Qui-Gons unendlich schwache Präsenz zu.
Doch da war nichts Greifbares...
4.25. VERLETZUNGEN
297
Obi-Wan fühlte nur eine Leere, eine tiefe Schwärze - und dann sah er
mit einem Mal Erinnerungsfetzen. Einen Planeten mit grünlichem Himmel,
ein Feld, auf dem reifes Getreide stand, eine brennende Scheune, einen jungen Farmer, der sich über Obi-Wan hinab beugte... Meister Yoda, der ihm
mit einem Lichtschwert gegenüberstand, eine jüngere Qui’Ra, die ein Briefchen mitten in der Mathearbeit hinüberschob, auf dem die Ergebnisse standen, ein junges Mädchen, erst lachend, dann tot auf einer Bahre liegend,
Gordons Lächeln nach einem gemeinsamen Kampf, Javall, jünger, lebend,
wunderschön... und dann sah er sich selbst... einen kleinen Jungen, der ihn
magisch anzog... Es dauerte eine ganze Zeit, bis der junge Jedi begriff, dass
dies die Erinnerungen seines Meisters waren und nicht seine eigenen. Doch
es waren nur schwache Bilder, und je näher sie der Gegenwart kamen, desto
undeutlicher wurde alles, desto weiter fort schien sein Meister zu sein. ObiWan drängte vorwärts, doch Qui-Gon konnte er nicht erreichen. Verzweiflung
breitete sich in ihm aus.
Aus weiter Ferne hörte er Yodas Stimme.
Geduld, Obi-Wan, Geduld du haben musst!
Er verharrte, streckte nur eine mentale Hand nach seinem Lehrer aus.
Und berührte mit einem Mal einen festen Schild.
Vorsichtig tastete er darüber. Irgendetwas hatte tiefe Spuren darin hinterlassen, war ähnlich seinem ersten Versuch mit Gewalt dagegen angerannt.
Es dauerte wieder eine ganze Weile, bis Obi-Wan begriff, dass sein Lehrer
den festen Schild gegen die Folter, die grausamen Schmerzen aufgebaut hatte
und als Schutz für Obi-Wan, damit der Junge nicht die Qualen seines Lehrers teilen musste - und als Schutz gegen die MACHT, die ihn verraten hätte.
Doch nun kapselte der Schild Qui-Gon vom Leben ab, sperrte selbst seinen
Padawan aus. Vorsichtig strich Obi-Wan über die Barriere. Er formte einen
einzigen Gedanken, ließ ihn über den Schild statt dagegen laufen.
Meister...
Nichts, nur der Schild verhärtete sich.
Obi-Wan war den Tränen nahe. Er spürte, dass Qui-Gon im Sterben lag.
Was sollte aus ihm werden, wenn sein Lehrer von ihm ging? Er wusste nur
zu gut, dass er dann den Orden würde verlassen müssen - keiner der anderen
Meister würde ihn zum Padawan wählen... Eine Welle aus Verzweiflung und
Trauer lief durch die MACHT.
Lasst mich nicht im Stich, Meister Qui-Gon Jinn!
Obi-Wan streckte seine geistigen Hände aus, strich über die Barriere und
ließ sich dagegen fallen... und der Schild formte eine Lücke und ließ ihn
durch...
Instinktiv hüllte der junge Jedi die fragile Präsenz seines Meisters ein
und zeigte ihm, dass sie in Sicherheit waren - sie alle, er selbst, Qui-Gon, das
298
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Baby.
Ihr habt gewonnen, Meister...
Ja...?
Die Antwort war kaum zu hören. Doch Obi-Wan schien es, als höre er
zum ersten Mal die dunkle Stimme seines Lehrers. Ganz behutsam holte er
Qui-Gon zurück in die Wirklichkeit.
Ja...
Dann spürte er Doronns Präsenz wieder deutlich neben sich. Der Heiler half ihm, unterstützte den schweren Weg seines Lehrers zurück in die
MACHT. Der Arzt hatte einen festen Schild errichtet, den er nun langsam
lockerte. Ganz behutsam brachten sie Qui-Gon wieder in Berührung mit der
MACHT. Ein Schaudern durchlief den verletzten Jedi. Einen bangen Moment
schien es, als würden sie Qui-Gon wieder verlieren.
Nein! Bleibt bei mir, Meister!
Und Qui-Gon ließ sich in die MACHT fallen...
Eine vierte ruhende Insel entstand wieder in der die Jedi umfließenden
MACHT, unendlich schwach, fragil, gefährdet, nach wie vor geschützt durch
Doronns Schild.
Erleichterung grub sich in die Züge der drei, die gemeinsam den vierten
der ihren gesucht hatten. Diskret löste Yoda seinen Griff, als er sicher war,
dass der junge Padawan aus der MACHT in dieWirklichkeit zurückgekehrt
war. Doronn registrierte kurz darauf wieder das gefestigte Band zwischen
Lehrer und Schüler und wich ebenfalls aus der Verbindung. Obi-Wan öffnete
die Augen. Über seine Wangen liefen Tränen.
Qui-Gon konnte sich nicht bewegen, doch sein Padawan war über alles
erleichtert, als er bemerkte, dass der Meister ihn aus seinen blauen Augen
anblickte. Obi-Wan lächelte zaghaft, wischte sich über das nasse Gesicht.
Doronn winkte nach zwei Medi-Droiden, die den Schwerverletzten in den
Operationssaal bringen sollten.
,,Was machst du hier, Padawan? Wieso hast du meinen Anweisungen
entgegen gehandelt...”
Qui-Gon verlor das Bewusstsein, als Doronn die Narkose einleitete. ObiWan sah seinem Meister verzweifelt nach - und sank dann ohnmächtig zu
Boden.
Qui-Gon erwachte auf der Krankenstation. Den Geruch würde er auch
auf Meilen gegen den Wind erkennen.
Er fühlte sich so schlecht wie selten in seinem Leben zuvor. Er konnte
kaum atmen. Als er versuchte, mit Gewalt Luft in die Lungen zu ziehen,
flammte Schmerz in der linken Seite auf. Er stöhnte gequält und öffnete
mühevoll seine Augen. Doch er konnte nichts erkennen, nur ein grünliches
4.25. VERLETZUNGEN
299
Schimmern um sich herum. Verwirrt schloss er die Lider wieder. Dann versuchte er eine Hand zu bewegen, aber es ging nicht.
Langsam begriff er...
Er lag unter einem Kraftfeld, das offensichtlich verhindern sollte, dass er
sich zuviel bewegte. Er hörte Schritte. Jemand beugte sich über ihn. Qui-Gon
öffnete müde noch einmal die Augen - und erkannte mit Mühe hinter dem
Kraftfeld Doronn.
,,Na, wie geht es meinem halsstarrigsten Padawan?”
,,Ich lebe noch... welche Überraschung und wie schön!”
,,Keine Selbstdiagnosen, bitte! Ich bin hier der Arzt.”
Doronns Lächeln wirkte hinter dem grünen Energiefeld noch verzerrter
als sonst schon. Doch dann wurde der Arzt ernst. ,,Viel hat nicht gefehlt,
Qui-Gon. Was ist denn passiert?”
Qui-Gon dachte einen Augenblick nach, verzog dann das Gesicht. ,,Ich
weiß es nicht, sag du’s mir!”
Der Heiler zögerte einen Moment, dann seufzte er. Eine seiner Hände stieß
durch das Kraftfeld und wischte dem Verletzten behutsam den Schweiß von
der blassen Stirn. ,,Du hast dir acht Rippen gebrochen - drei glatt durch,
der Rest wurde fachgerecht zertrümmert - und der linke Lungenflügel wurde
gequetscht. Deshalb die Schmerzen beim Atmen. Außerdem ist deine Nase
gebrochen... sieht wunderbar aus! Wir haben dich wieder zusammengesetzt,
aber...” Er zögerte. ,,Die Verletzungen deuten eindeutig daraufhin, dass du
fachgerecht gefoltert worden bist - größtmöglicher Schmerz bei möglichst wenigen lebensgefährlichen Verletzungen. Erst die letzten Schläge haben dich
im Zusammenhang mir deinem freiwilligen MACHTvakuum in akute Lebensgefahr gebracht. Wo und wie ist das passiert?”
Qui-Gon schloss wieder die Augen. Doronn spürte, wie erschöpft sein
Patient war. Vorsichtig zog er die wärmende Decke zurecht, verabreichte ein
kombiniertes Schlaf– und Schmerzmittel. Für Fragen und Antworten war
auch morgen noch Zeit.
Obi-Wan war wach, aber er wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Solange er
sich vorstellte, noch zu schlafen, konnte er die Konsequenzen seines Handelns
ignorieren - wenn er aufstand, war dies nicht mehr möglich. Er umkrallte das
Kopfkissen, verbarg sein Gesicht darin. Doch irgendwann musste er wieder
die Augen öffnen. Je stärker der Geruch der Krankenstation - auch durch das
dicke Kopfkissen wurde er nur wenig gedämpft - in sein Bewusstsein drang,
desto deutlicher stand ihm diese Tatsache vor Augen. Schließlich seufzte er
und sah sich um.
Er lag in einem der Betten, eine warme Decke über sich, einen altmodischen Tropf im linken Arm, durch den eine konzentrierte Nährflüssigkeit lief,
seine Tuniken und die Hose säuberlich zusammengelegt auf einem Ständer
300
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
neben ihm. Die anderen Liegen waren unbesetzt. Er richtete sich auf. Einen
Augenblick später trat Do-Rail Lith durch die schmale Tür.
,,Hallo!” Obi-Wan hustete und krächzte einen Gruß zurück. Die Meisterin
setzte sich neben ihm auf’s Bett. ,,Endlich ausgeschlafen?”
Er nickte unsicher. Dann rang er sich zu einer Frage durch. ,,Wie geht es
Meister Qui-Gon?”
Sie lächelte zaghaft. ,,Dank deiner Hilfe sehr gut - wenn es einem mit
mehreren gebrochenen Rippen und einer durchlöcherten Lunge überhaupt
gut gehen kann.” Als sie Obi-Wans besorgten Blick bemerkte, drückte sie
seine Hand mit ihren Tentakeln, löste dann den Tropf. Die winzige Einstichstelle juckte nur, Blut floss keines, dafür war die Nadel viel zu filigran. ,,Er
wird wieder werden, Padawan.” Das schien ihn zu beruhigen. Do-Rail erinnerte sich an den Tag, als Gordon sie zu sich gerufen hatte - um ihr zu
bestätigen, was sie bereits wusste durch die MACHT: Dass ihr alter Lehrer
L’tath tot war. Ihre Ausbildung unter dem Mendianer war seit zwei Jahrzehnten abgeschlossen gewesen, sie hatte ihn in den letzten Jahren nur noch
selten gesehen - und doch hatte sein Tod sie schwer getroffen. Wie furchtbar
mussten die Stunden und Tage allein im Shuttle für den Jungen gewesen sein
- immer allein mit der Angst, seinen Meister zu verlieren... ,,Du wirst noch
viele Jahre mit ihm zusammen verbringen.”
Sie spürte, wie er zusammenzuckte. Als hätte sie etwas Falsches gesagt.
Obi-Wans Lippen bildeten nur noch einen schmalen Strich. ,,Sicher...” Er
senkte den Blick, schlug dann die Decke zurück und begann sich anzukleiden.
Do-Rail Lith berührte ihn zaghaft. ,,Alles in Ordnung, Obi-Wan?”
Er sah sie an, aber er sah in Wirklichkeit durch sie hindurch. ,,Sicher...
alles in Ordnung, Meisterin Lith...”
Er ließ sie auf dem Bett einfach sitzen. Nachdenklich runzelte sie die
Stirn, sah ihm zu, wie er einen langen Blick zu Qui-Gon hinüber warf, der
unter dem grünlichen Kraftfeld nach wie vor tief schlief. Ohne zu seinem
Lehrer hinüberzugehen, verließ der Padawan die Krankenstation. Do-Rail
Lith schüttelte den Kopf.
,,Pupertierendes Ungeheuer...!”
Obi-Wan saß auf dem Geländer des Balkons.
Immer, wenn er Probleme hatte, war er bislang hierher gekommen.
Doch dieses Mal gab es keine Lösung.
Er hatte Qui-Gon enttäuscht - wieder einmal. Er hatte zweimal den ausdrücklichen Befehlen seines Meisters zuwider gehandelt. Und sein Lehrer war
nicht der Typ, der sich das einfach so bieten ließ, dessen war er sicher. Er hatte das Vertrauen, dass der Jedi-Meister in ihn gesetzt hatte - im Allgemeinen
wie in dieser Mission im Besonderen - bitter enttäuscht.
4.25. VERLETZUNGEN
301
Schlimmer noch: Er hatte die erste ernste Prüfung von Seiten seines Lehrers nicht bestanden. Monate schon wartete Obi-Wan nun bereits auf die
Bestätigung ihres Trainingsbundes durch Qui-Gon vor dem Rat der Jedi.
Aber nichts war geschehen. Sein Meister schien es nicht eilig zu haben, oder,
was Obi-Wan viel eher vermutete, er war sich des Jungen und seiner Eignung
zum Jedi-Ritter schon lange nicht mehr sicher gewesen. Diese Mission war
ein Test gewesen. Das hatte der Teenager von Anfang an gespürt. Und er
hatte trotzdem versagt. Er hatte auf die deutlichste Art versagt, indem er
einen direkten Befehl seines Meister ignoriert hatte.
Verweis aus dem Orden war die übliche Folge für ein solches Verhalten
von Seiten eines Schülers.
Und er hatte keine Ahnung, was er außerhalb des Tempels werden sollte.
Techniker, Mathematiker, vielleicht einfach ein Farmer?
Tief in sich wusste er, dass er nur eines wirklich werden wollte: Ein so
guter Jedi, wie Qui-Gon es in seinen Augen immer gewesen war.
Obi-Wan blickte in die Tiefe unter sich, beugte sich ziemlich weit über
den Rand des Geländers. Mit einem Mal fühlte er einen festen Griff um seinen Oberarm. Und die MACHT hielt ihn in seiner Stellung urplötzlich fest.
Überrascht sah er sich um - und Do-Rail Lith in die im Alter merklich nachgedunkelten goldenen Augen. Sie musterte ihn tiefbewegt. Dann schüttelte
sie den Kopf.
,,Das ist keine Lösung, Junge!”
Er runzelte die Stirn, dann begriff er. Er lachte. ,,Keine Angst, ich wollte
nicht springen.”
Sie sah ihn weiterhin eingehend an. ,,Bist du dir dessen sicher?”
Er schwieg. Vorsichtig löste sie den Griff ihrer beiden Tentakel, aber nicht
das Band in der MACHT zwischen ihnen. Obi-Wan glitt vom Geländer herab
und strich die helle Robe glatt. Dann verzog er den Mund, schaute zurück
über die in der Nachmittagssonne liegende Hauptstadt der Republik. ,,Sicher...”
Jetzt verzog sie den Mund. ,,Du versteckst dich hinter deinen Sprüchen,
Obi-Wan. Das praktizierst du schon seit einigen Tagen - in jeder unserer
kleinen Unterhaltungen beantwortest du alle Fragen stereotyp oder weichst
mir aus. Ich habe dein ewiges ”sicher,, ja sowas von satt!”
Er verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Und ich habe diese dämlichen
Fragen la ”Wie geht es uns denn heute?,, satt! Welchen Sinn haben denn
diese dummen... Therapiesitzungen?”
Sie schwang sich nun ihrerseits elegant auf das Balkongeländer, allerdings
die Beine und ihr Gesicht zur Tür des Tempels gewandt. ,,Nun, du hättest
beinahe deinen Meister verloren. Das ist eine traumatische Erfahrung, selbst
für eine so alte Jedi wie mich - ich dachte, du würdest vielleicht gerne darüber
302
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
reden?”
Obi-Wan starrte auf den Boden. ,,Nein. Ich will nicht darüber reden!
Nicht jetzt und nicht mit ihnen jedenfalls...”
Die Meisterin nahm die Kränkung gelassen hin. Nach den vielen Jahren, die sie nun schon pupertierende Ungeheuer im Jedi-Tempel betreute in
ähnlichen Fällen, hatte sie gelernt, dass hinter solchen Blockaden von den Betroffenen und Austeilenden meistens nur ernste Probleme versteckt wurden.
Sie wagte einen Schuss in’s Blaue.
,,Und warum redest du nicht mit Meister Qui-Gon Jinn darüber?”
Die Art, wie Obi-Wan wie von einer ningetischen Tarnspinne gestochen
zusammenfuhr und sein Gesichtsausdruck sich weiter verhärtete, zeigte ihr,
dass sie voll in’s Schwarze getroffen hatte. Aber würde er das von sich aus
zugeben? Wohl kaum - zumindest nicht ohne weiteren Druck von ihrer Seite
- wohl dosierten Druck. ,,Qui-Gon ist seit mehreren Tagen bei Bewusstsein,
und alle haben ihn bereits besucht: Yoda, die kleine Jinn, Mace, Adi Galia,
ich - nur du nicht...”
Er holte tief Luft und starrte an ihr vorbei über Coruscant. Aber er
antwortete nicht.
,,Warum nicht, Obi-Wan?”
Er biss die Zähne zusammen und starrte auf die Spitzen seiner Stiefel.
,,Ich hatte keine Zeit.”
Sie war versucht zu lachen. Doch sie gab ihrer Stimme einen traurigen
Klang. ,,Keine Zeit? Nicht mal fünf Minuten nach dem Abendessen, um ihm
ein Buch zu bringen, nach seinem Befinden zu fragen...?”
Obi-Wan wandte sich ab. ,,Wenn er mich hätte sehen wollen, hätte er
mich das sicherlich wissen lassen...”
Do-Rail Lith ließ sich vom Geländer gleiten und legte ihm ein Tentakelende auf die Schulter. ,,Qui-Gon kann sich unter dem Kraftfeld nicht nur
nicht bewegen - er kann auch die MACHT kaum nutzen. Er soll sich erst
langsam wieder an das Potential gewöhnen, indem Doronn nun nach und
nach die Stärke des Feldes reduziert. Deshalb erhält er auch keine Behandlung im Baktatank, sondern diese doch sehr altmodische Art der Heilung.
Für den Baktatank hätte man nämlich das Kraftfeld auflösen müssen.” Der
Junge reagierte immer noch nicht. ,,Er kann dich nicht erreichen über euer
Trainingsband, Padawan. Das wird auch noch ein paar Tage dauern!”
Noch immer kein Wort von Seiten des Schülers. Obi-Wan löste sich aus
Do-Rails Griff und ging auf die Tür zu. Dort erst wandte er sich um und sah
sie wirklich an. Seine Worte kosteten ihn unendlich viel Überwindung.
,,Und ich denke trotzdem, dass er mich gar nicht wirklich sehen will.
Nichts von dem, was ich getan habe, kann die Tatsache ungeschehen machen,
dass ich seine Anweisungen mehrere Male missachtet und sein Vertrauen
4.26. BESTÄTIGUNG
303
missbraucht habe. Ich denke, er ist froh, wenn ich gar nicht mehr hier sein
werde, wenn er endlich die Krankenstation verlassen kann!” Er holte tief
Luft und ließ auch den letzten Rest Frust heraus. ,,Und es wird ihm sogar gut
gefallen, denke ich: Dann kann er ja endlich Jinn zu seiner Schülerin nehmen.
Ihre Ausbildung interessiert ihn doch sowieso viel stärker als meine!”
Damit ließ er sie stehen und lief geradezu in den Tempel. Bestürzt sah
Do-Rail Lith ihm nach.
4.26
Bestätigung
Qui-Gon spürte, dass das eine Kraftfeld, das ihn ruhig hielt, allmählich
schwächer wurde, das andere, das ihn mit dem Leben und den anderen Mitgliedern des Tempels verband, dagegen immer mehr an Präsenz gewann.
Er spürte die MACHT wieder - und damit kamen langsam, aber schließlich
gewaltig einerseits die Erinnerungen wieder, andererseits wuchs seine Ungeduld. Er hatte Ärzte und die Krankenstation schon immer gehasst. Allein
dieser antiseptische Geruch machte ihn halb wahnsinnig. Doch Doronn hatte
ihm zu Beginn unmissverständlich klargemacht, dass seine Rippen hastige
Bewegungen oder größere Anstrengungen noch nicht vertrugen - mit mehreren Trümmerbrüchen und einem verletzen Lungenflügel sei nicht zu spaßen.
Und wenn der halsstarrige Jedi-Meister sich nicht an die Auflagen halten
sollte, würde der noch hartnäckigere Onkel Doktor ihn eben bis zum Ende
der Behandlung im Bett festbinden lassen!
Qui-Gon hatte nicht vor, es soweit kommen zu lassen. Er beging nicht
den Fehler, den selbstbewussten Corellianer zu unterschätzen.
Nun hörte er Schritte. Mühsam wandte er den nach wie vor schmerzenden
Kopf. Doch durch das Schimmern des Kraftfeldes konnte er den Besucher
nicht erkennen. ,,Obi-Wan?” Seine eigene Stimme war kaum mehr als ein
krächzendes Flüstern. Doch wenn er zu husten wagte, um den Nalafrosch im
Hals loszuwerden, rebellierte seine lädierte Lunge.
,,Nein, Padawan...”
Qui-Gon musste gegen seinen Willen lächeln und ließ dann die angehaltene Luft entweichen. ,,Meister Yoda...”
Sein Lehrer setzte sich auf einen hohen Stuhl an seine Seite. Er nahm
einen kühlen, feuchten Lappen vom Nachttisch des Krankenlagers und wischte seinem ehemaligen Padawan den Schweiß vom Gesicht. Dann legte er eine
Hand unter den Kopf der Menschen und half so sehr geschickt dem Verletzten
trinken. ,,Obi-Wan, er nicht kommen wird, befürchte ich!”
Qui-Gon erblasste vor Schreck. ,,Ist ihm etwas passiert?”
Yoda runzelte die Stirn, seine Ohren senkten sich - kein gutes Omen.
304
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
,,Das nur du beantworten kannst, Padawan. Dein Schüler glaubt, du ihm
nicht vertraust.”
Qui-Gon starrte seinen Lehrer verwirrt an. ,,Wie kommt er denn darauf?!”
Der alte Jedi-Meister verschränkte die Hände auf dem oberen Ende des
Stockes. ,,Nun, vielleicht, weil du eure gegenseitige Wahl vor dem Rat nicht
bestätigt hast an seinem dreizehnten Geburtstag?”
Der Verletzte seufzte tief. ,,Du weißt, was ich von solchen Ritualen halte...”
Yoda sah ihn unberührt an. ,,Als in seinem Alter du gewesen bist, du
mehr davon gehalten hast! Obi-Wan nur wie die anderen kaum erwarten
kann, dazu zu gehören...” Er ließ seine Worte eine ganze Weile wirken.
Qui-Gon brummte vor sich hin. ,,Er gehört doch längst dazu! Ich nehme
ihn schon seit geraumer Zeit mit auf meine Missionen. Wozu dieses dumme
Ritual, das nicht einmal eine Minute dauert? Es hat keinerlei Bedeutung in
der Ausbildung eines Jedi-Ritters... Es war und ist sinnlos!”
Sein ehemaliger Meister beugte sich über das Kraftfeld und suchte den
Blick des kranken Jedi. ,,Für Obi-Wan es ist weder sinnlos noch überflüssig.
Und das das Einzige ist, was wirklich für dich zählen sollte!” Er machte
eine lange Pause, damit Qui-Gon allein darüber nachdenken konnte. Dann
glitt er von seinem Stuhl und wandte sich zum Gehen - allerdings nicht,
ohne noch einen Punkt klarzustellen. ,,Eines du bedenken solltest - wenn
das Band du nicht bis zu seinem nächsten Geburtstag erneuern solltest, der
Rat verpflichtet ist, es ganz aufzulösen. Und da niemand bereit ist, Obi-Wan
zum Padawan zu nehmen außer dir, er den Tempel verlassen muss. Und...”
Wieder eine Pause, die seinen letzten Worten noch mehr Gewicht verlieh.
,,Denke nicht, du so dazu kommen wirst, deine Tochter auszubilden! Meine
Schülerin sie ist und bleiben wird!”
Er stakste zur Tür. Qui-Gon sah ihm bestürzt nach.
,,Seit wann wisst ihr bereits, dass Jinn... meine Tochter ist?”
Yoda sah ihn lange an. Dann verzog er das Gesicht. ,,Ich wusste es, lange
bevor du es auch nur ahntest!”
Qui-Gon lag wie versteinert unter dem grünlich schimmernden Kraftfeld.
Sein Versteckspiel war also sinnlos gewesen - mehr noch - Yoda, und leider
nicht nur Yoda, hatte bemerkt, dass er sehr viel mehr Anteil an Jinns Ausbildung nahm, als er selbst als ihr Vater sollte. So manches Mal hatte er ihr
mehr Zeit gewidmet als seinem Schüler, hatte Jinn eine Lektion bekommen,
die er lieber Obi-Wan hätte gönnen sollen!
Yoda hatte Recht.
So schwer ihm diese Erkenntnis auch fiel, sein alter Lehrer hatte ihn
durchschaut. Irgendwie hatte er gehofft, dass ein anderer Meister vielleicht
4.26. BESTÄTIGUNG
305
Obi-Wan zu seinem Padawan wählen würde, aber dergleichen war nicht geschehen.
Er durfte sich dieser Wahrheit nicht weiter verschließen.
Und was immer er zu seinem Padawan - ob halb im Delirium oder in
seinen ersten wachen Momenten hier im Tempel war eigentlich egal - gesagt
hatte, es musste Obi-Wan tief getroffen haben. Und sein Schüler zeichnete
sich nun sowieso nicht gerade durch ein enormes Selbstbewusstsein aus.
Und nur er wusste um die Zukunft des Jungen, nur er selbst wusste, welch
entscheidende Rolle der Teenager einmal für den Orden spielen würde - wenn
die Vision ihn nicht getäuscht hatte vor so vielen Jahren...
Qui-Gon schloss die Augen und konzentrierte sich auf das noch schwache
Band zur MACHT. Langsam ließ er seinen Geist in den Raum außerhalb
des Kraftfeldes wandern, berührte den Kontrollschalter, der die Energiezufuhr regelte. Es kostete ihn unendlich viel Mühe, aber schließlich erstarb das
grünliche Licht um ihn herum.
Sofort überrannte ihn die erste Welle der MACHT. Qui-Gon schnappte nach Luft. Wie vielen Jedi war dieses Glück wohl vergönnt? Das Glück,
sich noch ein zweites Mal ohne das Wissen um ihr Wesen in SIE versenken zu dürfen. Einen kurzen Augenblick schien die Energie allen Lebens ihn
überwältigen zu können, doch dann hüllte sie ihn nur wieder in die fluktuierende Wärme ein, an die er sich langsam wieder erinnerte. Von der Anstrengung erschöpft, in diesen entscheidenden Momenten die Kontrolle zu
behalten, blieb der Jedi-Meister noch eine ganze Zeit lang liegen. Dann versuchte er, sich langsam aufzusetzen. Brennender Schmerz flammte in der
linken Lunge auf. Qui-Gon verzog das Gesicht, atmete flacher, versuchte, die
Muskeln, die Doronn während der Operation hatte durchtrennen müssen,
nicht zu benutzen.
Vorsichtig richtete er sich auf, schwang die Beine über den Rand der Liege.
Noch behutsamer stand er auf, hielt sich vorsichtshalber an der Liege fest aus gutem Grund: Seine Beine knickten fast unter ihm ein. Qui-Gon seufzte.
Er würde wohl Wochen brauchen, um wieder in Form zu kommen... Er ließ
die MACHT durch sich hindurch strömen und gewann so die nötige Kraft,
um allein stehen und zur Tür laufen zu können. Erst dort blickte er an sich
herab.
Er trug eine weite lange weiße Leinenhose, einen breiten, den gesamten
Brustkorb umschnürenden Verband und darüber eine Art weiten und dünnen
Pullover. Damit auch jeder gleich bemerkte, dass er ein Patient auf Abwegen
war... Clever Doronn, wirklich clever - aber ich bin cleverer! Langsam schlurfte er zu seiner Liege zurück, griff nach seiner dunkelbraunen Robe, die über
einem Stuhl daneben gelegen hatte. Wieder der warnende Schmerz, als er den
Mantel überzog und die Seiten über der Krankenkleidung zusammenraffte.
306
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Leise schlich Qui-Gon aus der Station und schlurfte dann mühsam über
die Gänge.
Ich hätte mich auch um ein paar Schuhe kümmern sollen...
Er rieb sich die kalten Füße an den Waden.
Aber lange dauerte es nicht, bis er seinen Padawan gefunden hatte. Auch
ohne ihr Band in der MACHT hätte Qui-Gon gewusst, wo er nach dem
Jungen suchen musste. Leise schob er die Balkontür auf und näherte sich
seinem Schüler, der bewegungslos auf dem Geländer saß. Die untergehende
Sonne wärmte ihn. Auch Qui-Gon spürte die Kraft des Zentralgestirns. Einen
Augenblick genoss er einfach nur die Wärme der Strahlen und das Leben an
sich. Dann holte er tief Luft, griff sich dann an die Rippen - keine gute Idee,
die frische Luft zu genießen...
Vorsichtig trat er näher an den Teenager heran, berührte seinen Schüler
aber zuerst nur in der MACHT.
Obi-Wan...
Der Junge schreckte zusammen. Dann spürte Qui-Gon, wie er versuchte,
das Band zwischen ihnen zu trennen... Wie ein scharfes Schwert durchfuhr
den Jedi-Meister die Erkenntnis, dass Jinn nur ein Teil des Problems war.
Nicht, Obi-Wan, tu es nicht!
Der Junge wandte sich um, aber er sah seinem Lehrer nicht in die Augen.
Mühsam setzte sich Qui-Gon neben ihn auf das Geländer.
,,Warum willst du den Tempel und mich verlassen, Padawan?”
Obi-Wan schluckte, starrte weiterhin auf seine im Schoß verschränkten
Hände. ,,Weil ich... weil ich versagt habe...”
,,Wer sagt das?”
Der Teenager verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Das muss mir gar
keiner sagen, das weiß ich auch so! Peh hatte Recht, ich werde es niemals
schaffen, ein Jedi-Ritter zu werden. Er wusste es von Anfang an - und jetzt
wissen es alle, selbst ihr!”
Qui-Gon kniff die Augen zusammen, einen Augenblick lang war er versucht, seine Verwirrung seinem eigenen Zustand zuzuschreiben.
,,Obi-Wan, ich habe keine Ahnung, wovon du redest!”
Sein Schüler sah ihn entgeistert an. ,,Ich habe euch hintergangen, Meister!”
Qui-Gon starrte entgeistert zurück. ,,Hintergangen? Mich hintergangen?”
Obi-Wan nickte, sein Lehrer legte die Stirn in Falten. ,,Was meinst du damit?
Ich befürchte, das musst du mir genauer erklären.”
,,Ich habe euer Vertrauen nicht gerechtfertigt, sondern missbraucht. Ich
habe eure Befehle ignoriert und euren eindeutigen Anweisungen zuwider
gehandelt... Selbst als ihr mich wieder zurückgeschickt habt, bin ich nicht
zurück zum Shuttle gegangen, sondern in eurer Nähe geblieben.”
4.26. BESTÄTIGUNG
307
Die Stimme des Jungen brach. Qui-Gon nahm seine rechte Hand in die
seinen. Er drückte sie fest.
,,Obi-Wan - schau mich an.”
Sein Padawan hob langsam den Kopf. Doch er blickte nach wie vor zu
Boden.
,,Schau mir in die Augen.”
Zögernd kam er der Aufforderung nach. Qui-Gon sah ihn ernst, aber auf
keinen Fall verärgert an. ,,Ich bin sehr froh, dass du nicht getan hast, was
ich von dir gefordert habe! Ja, ich bin dir sehr dankbar für alles, was du
geleistet hast: Ohne deinen Mut wäre ich nicht mehr am Leben. Hättest du
meine Anweisungen, die offensichtlich kurzsichtig, nein, geradezu leichtsinnig waren, befolgt, wären das kleine Kind und ich nun tot!” Der Jedi-Meister
neigte in Respekt vor dem jungen Jedi den Kopf. ,,Du hast ein klares Urteilsvermögen bewiesen, du hast das Shuttle, ohne Spuren in den Aufzeichnungen
der Navigationsbojen zu hinterlassen, nach Hause geflogen. Ich bin sehr stolz
auf dich, Obi-Wan!”
Er spürte, dass der Junge es ihm kaum glauben wollte. ,,Du hast getan,
was du für richtig hieltest in dieser Situation. Du hast deine eigene Entscheidung gefällt, nach reiflicher Überlegung, nach Abwägung aller Fakten
und durchaus dem Codex der Jedi angemessen - und das war ein wichtiger Schritt auf deinem Weg zum vollwertigen Jedi!” Qui-Gon legte ihm eine
Hand auf die Schulter. ,,Aus dir wird ganz bestimmt ein großer Jedi werden,
und ich bin unendlich stolz, dass du mein Padawan bist!”
Obi-Wan sank an seiner Brust zusammen. Berührt rieb Qui-Gon über
den Rücken des Teenagers. Es erinnerte ihn an den Nachmittag, den sie im
Arboretum verbracht hatten, als der Junge mit ihm seinen Kummer geteilt
hatte. Wie damals schlang der Junge seine nun ellenlangen Arme um den Hals
des älteren Jedi und drückte sich an ihn, verbarg das Tränengases Gesicht
im Stoff der schweren Robe.
Qui-Gon musste husten, zog instinktiv seine Hände zurück und presste sie
wieder gegen die bandagierten Rippen, krümmte sich unter einem erneuten
Hustenanfall zusammen. Obi-Wan wich zurück und starrte ihn an. ,,Alles in
Ordnung, Meister?”
Sein Lehrer verzog das Gesicht. ,,‘Alles’ wäre wohl noch etwas übertrieben...”
Vorsichtig glitt er vom Geländer herab. Obi-Wan starrte nun auf seine
Füße. ,,Wo sind eure Schuhe?”
Qui-Gon grunzte. ,,Das wüsste ich auch gern! Doronn, dieses alte Schlitzohr, hat sie garantiert versteckt!”
Entsetzt sah sein Schüler ihn an. ,,Sagt nicht, ihr seid aus der Krankenstation abgehauen!?”
308
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Qui-Gon grinste verzerrt. ,,Na, sagen wir einfach, ich habe einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft gemacht , um ein paar wichtige Dinge
zu regeln...” Er griff nach Obi-Wans Arm und stützte sich dankbar darauf.
,,Komm, gehen wir zum Rat!”
Langsam wanderten sie durch die Gänge auf das Ratszimmer zu. Mit Hilfe
der MACHT öffnete Qui-Gon ihnen das doppelflügelige Tor. Leichenblass von
der Anstrengung trat er an der Seite seines Schülers in den in der Dämmerung
von rotem Licht durchfluteten Saal. Die Ratsmitglieder starrten sie beide
konsterniert an. Der Jedi-Meister ließ Obi-Wans Arm los und verneigte sich
knapp vor seinen ehemaligen und den neuen Ratskollegen.
,,Entschuldigt mein rabiates Eindringen, aber es gibt eine wichtige Angelegenheit zu erledigen, die keinen Aufschub duldet!” Yoda nickte ihm zu,
nicht ohne ihm einen Blick zuzuwerfen, der nur eines bedeuten konnte: Nun
tu bloß nicht so! Wann hättest du dich schon mal um das Protokoll und den
Codex geschert! - Und dann senkte der Älteste des Rates die Ohren. QuiGon lächelte ihm verzerrt zu. Wie viel hiervon hatte der alte Jedi wieder
einmal geplant oder geschickt in die Wege geleitet? Der kranke Meister trat
hinter seinen Schüler und legte seine großen Hände auf die Schultern des
Jungen. Er spürte, wie Obi-Wan erzitterte - wie viel ihm dieses schlichte Ritual, dieser flüchtige Augenblick bedeuteten... ,,Ich bestätige hiermit unseren
Trainingsbund vor euch allen als Zeugen! Obi-Wan wird seine Ausbildung
zum Jedi-Ritter unter meinen Händen vollenden. All meine Erfahrung werde ich geben, damit er die MACHT zum Verbündeten gewinnen mag. All
meine Aufmerksamkeit als Lehrender werde ich nur ihm als meinem Schüler
schenken.”
Und dieses Mal hatten diese Worte auch für Qui-Gon eine tiefere Bedeutung. Obi-Wan spürte das und wandte sich um. Er nickte seinem Meister zu.
Der war so blass wie nie zuvor. Schweiß perlte über seine Stirn. Vorsichtig
stützte der junge Jedi seinen Lehrer. Qui-Gon versuchte, tief Luft zu holen,
doch das verschlimmerte den Schmerz nur. Dann bemerkte er, dass ein zweiter Arm ihn aufrecht hielt. Wie durch einen Schleier erkannte er Doronn. Der
Corellianer schaute ihn wütend an. ,,Wunderbar, Qui-Gon! Du erinnerst dich
an unsere Abmachung?”
Müde und erschöpft nickte der Jedi-Meister. ,,Allerdings...”
Doronn schnaufte grimmig. ,,Und ich habe das ernst gemeint, du halsstarriger Padawan! Dieses Mal wirst du auf der Liege festgebunden!” Langsam
verließen sie den Saal. Seufzend nahm der Rat seine eigentlichen Beratungen
wieder auf.
In der Krankenstation schälte Doronn seinen schlimmsten Pflegefall aus
der Robe und half ihm auf die Liege. Vorsichtig schob er den Pullover hoch.
Qui-Gon runzelte die Stirn. ,,Was wird denn das nun?”
4.26. BESTÄTIGUNG
309
Der Heiler schüttelte den Kopf. ,,Ich werde einfach nachschauen, ob du
dir die Wunde aufgerissen hast - würde mich nicht wundern!”
Qui-Gon grunzte. ,,Gar nichts ist passiert!”
Doronn sah ihn wütend an. ,,Hast du den Verstand verloren? Allein schon
das Kraftfeld abzuschalten...Der erneute Schock hätte dich auf der Stelle
töten können! Und dann noch barfuß eine kleine Wanderung durch den halben Tempel mit deinen gebrochenen Rippen und einem zerlöcherten Lungenflügel! Das alles war in deinem Zustand verdammter Leichtsinn!”
Der Jedi-Meister sah seinen Arzt ernst an. ,,Ich weiß... Aber der Zustand
meines Schülers war wesentlich ernster!”
Doronn kniff die Lippen zusammen und schüttelte weiterhin den Kopf.
Dann nötigt er Qui-Gon, sich wieder flach hinzulegen. Ein schneller Handgriff
- und das Kraftfeld bildete sich wieder über dem Verletzten, doch diesmal in
wunderbarer blauer Färbung. Der Meister versuchte sich zu bewegen, doch es
ging nicht einen Zentimeter weit. Auch mit der MACHT, die das andersartige
Energiefeld nicht mehr abhielt, konnte er nicht dagegen ankommen. Obi-Wan
grinste breit, als er das entsetzte Gesicht seines Lehrers sah. Er winkte und
wandte sich zum Gehen.
,,Obi-Wan - du wirst mich hier doch nicht wieder allein lassen, oder? Wer
weiß denn schon, was der hier mit mir macht!?”
Sein Padawan kniff die Augenbrauen zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf. ,,Hey, das hier ist die Krankenstation! Was soll er denn da
mit dir machen??” Damit gab er seinem Meister unter den Kraftfeld einen
liebevollen Knuff und zwinkerte Doronn zu. Der lächelte grimmig über QuiGons vertrauens- und respektlose Bemerkung. Dann beugte er sich über seinen Patienten und entfernte mit einem heftigen Riss den Verband über der
Nase - ein Höcker zeigte sich. Der Arzt griff an das Nasenbein - und im
nächsten Augenblick schrie sein Patient gequält auf.
,,Doronn! Du sollst mich heilen, nicht foltern!”
Der Heiler grinste schadenfroh. ,,Na, ganz gerade werden wir deinen Zinken zwar eh nicht mehr bekommen, aber eine kleine Korrektur fand ich schon
angebracht! Außerdem... wenn du schon meckerst über die medizinische Betreuung hier im Tempel, dann sollst du wenigstens einen guten Grund dafür
haben! Und in ein paar Stunden wird der Schmerz ja wieder nachlassen.” Er
musterte Qui-Gon nachdenklich. ,,Leider viel zu früh, schätze ich mal, um
dich über den Sinn und Zweck einer ärztlichen Behandlung eines besseren zu
belehren...”
310
4.27
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Neue Wege
Qui-Gon lag in seinem Bett, den Kopf abgestützt durch ein Kissen, noch
immer blauverfärbte Ringe unter den Augen, aber längst nicht mehr so blass
und erschöpft wie in den ersten Tagen. Unter seinen großen Händen lag ein
ledergebundener Band aus der großen Bibliothek, doch der Jedi-Meister las
nicht.
Er hatte die Augen geschlossen, lauschte in die MACHT.
Die langsame Genesung - nur unterstützt durch Yodas Hilfe in der Heiltrance und unter Verzicht des Bactatanks - ermöglichte ihm auch intensive
Studien in der MACHT. Nach den ersten zaghaften Schritten in IHR drang
er nun tiefer als je zuvor ein.
Und nicht alles, was er fand, erfreute ihn.
Da war eine Störung in der MACHT. Er konnte sie spüren, aber sie nicht
fassen. Qui-Gon spürte Gefahr, eine kleine dunkle Welle, die in der Ferne
gegen seinen weitgedehnten Geist anrannte. Er versuchte, sich auf das seltsam
vertraute Muster zu konzentrieren. Er kannte das Muster, aber er erinnerte
sich einfach nicht. Doronn und Do-Rail hatten ihm versichert, dass die noch
durch Schock und Koma blockierten Reste seines Gedächtnis zurückkommen
würden, aber er brauchte sein Wissen nicht in ein paar Monaten, er brauchte
es jetzt... Verzweifelt verstärkte er sein Band zur MACHT, forschte in seinen
Gedanken nach schwachen Reminiszenzen. Da musste doch etwas sein...
,,Qui...”
Er schrak zusammen, kehrte heftig atmend zurück in die Gegenwart.
Schweiß lief über sein blasses Gesicht. Besorgt sah Do-Rail ihn an. ,,Du wolltest es doch mit Geduld versuchen!”
Er nickte erschöpft. ,,Ja, aber das Warten macht mich wahnsinnig!”
Sie reichte ihm die Tasse kühlen Yogi-Tea vom Nachttisch. Dankbar trank
er den gesamten Inhalt. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich schweigend
neben ihn. Er blickte sie nur zögernd über den Tassenrand hinweg an. Sie
lächelte.
,,Wie geht es Manjalas Sohn?”
Ihr Lächeln vertiefte sich. ,,Wunderbar. Er wird ein starker Jedi werden!
Aber du musst ihm noch einen Namen geben.”
Qui-Gon runzelte verwirrt die Stirn. ,,Aber er hat doch einen Namen:
Edaj!,”
Do-Rail nickte. ,,Der Rat hat beschlossen, dass er, um ihn zu schützen,
eine neue Identität bekommen soll. Ich habe vorgeschlagen, dir die Auswahl
zu überlassen. Sie haben murrend zugestimmt!”
Der Jedi-Meister schloss die Augen. Schließlich nickte er.
,,Jade, Meriw Jade...”
4.27. NEUE WEGE
311
Do-Rail lächelte weiter, strich dem erschöpften Jedi über die schweißnasse
Stirn. Qui-Gon war ein starker Jedi, aber gegen ihre alte Erfahrung in der
Heilkunst kam er nicht an. Langsam versank er im tiefen Schlaf der Genesung.
Die alte M’tapesset verließ den Raum und schrieb den neuen Namen in Edajs
Kartei. Dann holte sie warme Milch, um den kleinen Jungen zu füttern.
Die MACHT umfloss ihn in ruhigen Bahnen, und doch lag ein seltsamer
Schatten über seinen weichen Zügen. So als trüge er in sich den Samen für
tausendfachen Tod... Sie erschauderte. Ein besonderes Kind - aber würde es
Qui-Gons große Erwartungen erfüllen?
Sie war nicht sicher.
Der Jedi-Meister war ein großer Krieger und ein begnadeter Diplomat meistens zumindest. Aber seine Visionen waren... außergewöhnlich. Er sah
nur Dinge in weiter Zukunft und dann auch nur unscharf. Vielen anderen Jedi
erschienen Qui-Gons Ratschläge und Motivationen wie Schüsse in’s Blaue.
Do-Rail Lith war sich da selbst nicht ganz im Klaren drüber. Sie teilte QuiGons Meinung über Obi-Wan, aber in Bezug auf Meriw Jade zweifelte sie.
Doch der Jedi hatte sein Leben riskiert, um das Kind zu retten. Er glaubte
an den armen Wurm in ihren Armen.
Aber Do-Rail Lith fragte sich die ganze Zeit, ob die kleine Ameise nicht
zu einer Termite werden würde.
Mace Windu schaute durch den Türrahmen und bemerkte sofort, dass
sein Freund schlief. Leise schloss er die Tür wieder und ging hinüber in DoRail Liths kleines Büro. Die M’tapesset ließ ihre Tentakelenden geschickt über
den Computer wandern, löschte aber den Bildschirm, als der dunkelhäutige
Mensch ihr gegenüber Platz nahm.
,,Schön , dass du so schnell Zeit für mich hast, Mace!”
Er nickte. ,,Worum geht es?”
Do-Rail seufzte leise. ,,Ich mache mir Sorgen um Qui-Gon. Er kann sich
immer noch nicht an alles erinnern - und er hat hier in der Krankenstation
viel zu viel Zeit nachzudenken und zu grübeln!”
Mace lehnte sich zurück. ,,Warum behaltet ihr ihn auch noch hier? Entlass
ihn, und er wird bald wieder der alte sein!”
Sie schüttelte den Kopf. ,,Nein, er ist noch nicht wieder völlig gesund.
Wenn ich ihn hier einfach entlasse, wird er morgen wieder mit dem Lichtschwert in der Hand gegen das Dunkle im Universum kämpfen, und das
verkraftet seine lädierte Lunge noch nicht. Wir müssen uns etwas Anderes
ausdenken!”
Der dunkle Jedi grinste. ,,Wieso nur habe ich das Gefühl, du hast schon
genau geplant, was du ihm antun willst?”
Sie zuckte mit den Schultern. ,,Es gibt ein Sanatorium auf Refua, dort
wäre er in einer anderen Umgebung, in einer wunderbaren Naturlandschaft...
312
KAPITEL 4. JEDI-MASTER
Ich hoffe, dort findet er genug Abwechslung, um nicht andauernd in der
MACHT nach Dingen zu forschen, die er vielleicht nie wieder ergründen
kann...”
Mace blickte sie betroffen an. ,,Die Gedächtnisprobleme könnten bleiben?”
Do-Rail Lith senkte die Lider. ,,Möglich, aber eigentlich nicht wahrscheinlich. Er blockiert die Genesung unabsichtlich, indem er sich so sehr darauf
konzentriert. Meiner Erfahrung nach werden die noch fehlenden Erinnerungen von selbst wiederkommen - wenn er sich die Zeit und Ruhe dazu selbst
gönnt!”
Der dunkelhäutige Mensch nickte nachdenklich. Dann musterte er die
M’tapesset. ,,Und was soll ich dabei tun? Qui-Gon als Freund begleiten und
auf ihn aufpassen?”
Sie lächelte. ,,Nein. Ich dachte, du könntest es ihm vorschlagen. Wenn
ich damit zu ihm gehe, wird er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um
diesem Sanatorium zu entkommen. Du bist sein bester Freund hier - sieht
man von Obi-Wan einmal ab -, auf dich hört er vielleicht.”
Obi-Wan schlief.
Qui-Gon zog seine dunkelbraune Robe fester um sich. Er fror noch immer. Do-Rail versicherte ihm zwar immer wieder, dass dies ebenso wie seine
Gedächtnisprobleme nur ein vorübergehendes Phänomen war, aber unangenehm war es trotzdem. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante seines
Padawan.
Der dünne Zopf war derweil so lang, dass die Haarspitzen bis zu seinem
Gürtel reichten. Ob es dem Jungen gefiel oder nicht, er würde ihn ab jetzt
in regelmäßigen Abständen kürzen müssen, um nicht von ihm behindert zu
werden. Qui-Gon strich mit den Fingern behutsam über die Wangen seines
Schützlings. Kein Zweifel, aus dem Jungen wurde ein Mann. Das war kein
Kind mehr, und die letzten Wochen hatten Spuren im Gesicht des Teenagers
hinterlassen.
Die große Verantwortung, die der Junge auf seinen noch immer schmalen Schultern hatte tragen müssen, die Angst, seinen Lehrer zu verlieren, die
Befürchtungen, den Anforderungen im Tempel und Leben nicht gewachsen
gewesen zu sein. Qui-Gon lies seine kalte Hand auf der Stirn des jungen Jedi liegen. Er spürte, wie die Wärme ihres Bandes ihn selbst durchflutete.
Die MACHT umgab sie, selbst jetzt, wo der ihm anvertraute Junge schlief.
In diesem Moment entschloss der Jedi-Meister, Mace Windus Vorschlag anzunehmen. Sein Freund hatte Recht, der Obi-Wan brauchte einen Urlaub,
besser gesagt einen ausgedehnten Aufenthalt in diesem Kurort. Er musste zu
Kräften kommen, er musste ausspannen, er musste wieder er selbst werden.
Wie hatte er nur so blind sein können...