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I N S E L H Ü P F E N AU F D E N ÄU SS E R E N H E B R I D E N
Text und Bilder: Bruno Heinzer Rau und baumlos liegt die Inselgruppe der Äusseren
Hebriden nordwestlich von Schottland im Atlantik.
Es sind genau solch abgelegene, dünn besiedelte
Inseln, die es Bruno Heinzer und seiner Partnerin
Franziska besonders angetan haben. Auch wenn
es ab und zu Wind und Regen zu trotzen gilt.
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SCHOTTLAND
A
uch nach einem
zweiwöchigen Segeltörn, der uns
nach Greenock,
dem Hafen von
Glasgow, brachte,
haben Franziska
und ich vom Meer noch nicht genug.
Wenn schon Land, dann bitte in Verbindung mit einer gehörigen Menge Wind
und Wasser. Was bietet sich da besser an,
als die Äusseren Hebriden. So durchqueren wir
die schottischen Highlands im Eiltempo –
wenn man das, was der gemütliche schottische
Zug an Geschwindigkeit hergibt, als Eiltempo
bezeichnen kann. Durchs Eisenbahnfenster ähnelt die vorbeiziehende grüne Hügellandschaft
Schweizer Voralpenweiden.
Gegen Abend erreichen wir in Oban, dem
Zugangstor zu den Hebriden, weiter im Norden wieder die Küste. Zum Übernachten finden wir im schmucken Hafenstädtchen ein einfaches aber gemütliches Inn.
Kühle Einstimmung. Um uns auf das Inselhüpfen mit öffentlichem Verkehr einzustellen,
nehmen wir uns zuerst das kleine, Oban vorgelagerte Inselchen Kerrera vor. Doch so einfach, wie wir uns das vorgestellt haben, lässt
sich selbst diese «Vor-Hebriden-Insel» nicht
«entern». Die einzige Fährverbindung liegt vier
Kilometer ausserhalb der Stadt, und wir können trotz mehrfachem Nachfragen keinen Bus
finden, der uns zum Fähranleger bringt. Da wir
unsere Wanderlust für die Insel aufsparen wollen, nehmen wir notgedrungen ein Taxi. Doch
am Landesteg liegt kein Schiff, wir sehen nur
eins auf der Inselseite. Ortskundigere Ausflügler, die nach uns ankommen, wechseln die grosse weisse Tafel neben dem Steg auf schwarz –
schon setzt sich das kleine Schiff auf der andern
Seite in Bewegung. Natürlich, man muss die
Fähre erst rufen. Hätten wir das Kleingedruckte am Anschlag gelesen, hätten auch wir es begriffen. Schliesslich kommt aber das flossähnliche Gefährt an und nimmt das erste Dutzend
der Wartenden auf. «Den Fahrpreis bezahlen
Sie auf dem Rückweg. Sie werden ja kaum auf
der Insel bleiben wollen!», lacht der Bootsführer, als ich meinen Geldbeutel zücke.
Die hügelige, üppig-grüne Insel entschädigt
uns grosszügig für den nicht leichten Zugang.
Auf den zaunlosen Weiden tummeln sich unzählige Schafe, einzelne Pferde und schwarze
Bullen. Und endlich sehen wir die ersten Hochlandrinder mit ihren ebenso frech wie gemütlich wirkenden Stirnfransen, hinter denen
dunkle Augen hervorlugen. Im algen- und muschelreichen Ebbewasser der Buchten staksen
Austernfischer, Brachvögel und Möwen herum.
Am grasigen Ufer weiden Wildgänse. Ausser
wenigen Gehölzen und einzelnen oft halb verfallenen Höfen ist die Landschaft offen, von
Gras, Blumen, Schilf und niederen Büschen
bewachsen. Wir sind nicht wenig erstaunt, dass
die Wanderer, denen wir begegnen, oben ohne
ten müssen, dafür aber mit einer
Vielzahl menschlicher Kontakte
entschädigt werden.
Auf dem Schiff halten sich auffällig viele Vogelbeobachter mit
riesigen Feldstechern auf. Kein
Wunder, sind dafür doch sowohl
die Briten als auch die Hebriden
berühmt. Ich staune über eine sich
über zwei Zeilen hinziehende Be-
éé
é
ì
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ç
Oban. Hier beginnt die Reise mit der Fähre.
Im Rock. Typischer Schotte.
Nach Kerrera. Fähre auf Abruf.
Fährenboarding. Die Schiffe bieten
zwischen den Inseln gute Verbindungen für
Einheimische und Touristen.
Stornoway. Hauptstadt der Äusseren
Hebriden.
unterwegs sind. Ein älterer Mann sonnt sich
mit nacktem Oberkörper am Meeresufer. Uns
hingegen kommt es sogar im Langarmpulli
eher kühl vor.
Zurück in Oban durchstreifen wir am
nächsten Morgen das Hafenstädtchen und besuchen die lokale Whiskybrennerei. Für eine
Führung mit Degustation ist es uns jedoch
noch etwas zu früh. Der Kauf einer schön verpackten Flasche mit 14-jährigem Single Malt
soll für den Moment genügen.
Mit dem Einschiffen auf die «Caledonian
MacBrayne» beginnt unser eigentliches Hebridenabenteuer. Die Fähre trägt uns durch die
inneren Hebriden – zuerst durch den Sund von
Mull, die gleichnamige Insel zur Linken, dann
macht sie einen Zwischenhalt auf der Insel Coll.
Ein Dutzend vollbepackte Velofahrer und zwei
Kanuten, ihr Boot hinter sich herziehend, kommen an Bord. Ohne privates Verkehrsmittel
scheint ausser uns niemand unterwegs zu sein.
Wir sind trotzdem zuversichtlich, die geplante
Reise bis zur nördlichsten Hebrideninsel Lewis
zu schaffen. Wir werden zwar immer wieder
auf das nächste Schiff, den nächsten Bus war-
schriftung an der Innenwand unseres Schiffs.
Muss gälisch sein. Keine Chance, diese uralte,
direkt vom Keltischen abgeleitete Sprache verstehen zu können. Zwei Drittel der Einwohner
von Na h-Eileanan Siar, wie diese ihre Inselkette nennen, gebrauchen sie nach wie vor.
Die fünfstündige Schifffahrt führt an den
Felsinseln Eigg, Rhum und Canna vorbei. Kurz
vor Barra, der südlichsten Insel der Äusseren
Hebriden, durchschneidet die typische Dreiecksflosse eines Hais das Wasser. Wir staunen
nicht schlecht, als die dazugehörende Schwanzflosse erst einige Meter dahinter auftaucht. Das
muss ein Basking Shark, ein Riesenhai, sein.
Die bis zu zehn Meter langen Fische filtern mit
ihrem korbähnlichen Riesenmaul knapp unter
der Oberfläche Plankton aus dem Meer.
Auf Otterpirsch. Es ist schon früher Abend, als
wir in Castlebay auf Barra von Bord gehen und
uns auf die Suche nach einer Unterkunft machen. Alle B&Bs sind ausgebucht. Bleibt nur
noch das relativ teure Craigard Hotel. Dafür ist
das Zimmer wunderschön – mit Sicht auf eine
Bucht und ein daraus aufragendes Schloss. Wir
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Inseltypisch. Wechselhaftes Wetter.
Fahrradtour. Franziska unterwegs auf Barra.
ç Gemütliches B&B. Das Courthouse in
Lochmaddy auf North Uist.

die Felsen klettere, in die Richtung,
wo ich die Robbe gesichtet habe. In
einem ovalen Becken, das wie ein riesiger Swimmingpool durch einen natürlichen Wall grosser Steinblöcke
vom offenen Meer geschützt ist,
macht der Seehund Jagd auf darin zurückgebliebene Fische. Ich kann ihm
in aller Ruhe zusehen.
Als der Regen bindfädenartig
wird, mache auch ich mich auf den
Rückweg. Leichter gedacht als getan.
Jetzt, wo es südwärts geht, herrscht
steifer Gegenwind. Der Regen klatscht
mir ins Gesicht, unter die Ärmelenden, in die Schuhe. Alles ist in Kürze triefend
nass – da hilft auch der zwischen Jacke und
Pulli gestopfte Plastiksack nichts. Sogar bergab
heisst es gegen den Wind schuften wie ein Berserker.
schieben das Bett ans Fenster, sodass wir die
fantastische Aussicht im Liegen geniessen können.
Um die vom einen zum andern Ende kaum
zehn Kilometer messende Insel zu umrunden,
mieten wir anderntags ein Fahrrad. In jeder Bucht halte ich vergeblich Ausschau
S C H OT T L A N D /ÄU S S E R E H E B R I D E N
nach Ottern. Als wir an einem Häuschen
vorbeikommen, dessen Erdgeschoss zum
Schmuckladen umfunktioniert ist, kauft
Garenin LEWIS AND
Franziska der Künstlerin einen Armreif
HARRIS
aus Kuhhorn ab, während ich ihren Mann
Stornoway
frage, wie man am ehesten Otter zu Gesicht bekomme. «Am aktivsten sind sie in
ISLE OF HARRIS
der Dämmerung. Aber du siehst sie nur,
Tarbert
wenn du sie nicht sehen willst!», erklärt
mir der Insulaner schon fast philosoLeverburgh
phisch. «Gut. Dann kann ich mich jetzt
entspannen. Erstens ist nicht Dämmerung,
Lochmaddy
Uig
NORTH UIST
und zweitens darf ich ja gar nicht aktiv
spähen», sage ich zu Franziska, als wir wieBENBECULA
ISLE OF
der auf die Mieträder steigen.
SKYE
Bis zum Nordende gehts mit etwas RüSOUTH UIST
ckenwind locker. Hier liegt auf einem flaDaliburgh
chen Sandstrand der europaweit einzige
BARRA
Flughafen, dessen Öffnungszeit von den
Gezeiten abhängt, da nur bei Ebbe gestarCastlebay
tet und gelandet werden kann. Einige PeReiseroute der Autoren
dalumdrehungen weiter, in der Seal Bay,
setzt leichter Regen ein. Wie um die Namensgeber der Bucht nicht blosszustellen,
streckt ein Seehund seinen beschnauzten
Kopf aus dem Wasser. «Ich will nicht tropfInverness
nass werden. Ich fahr schon mal zurück»,
Fort
William
ruft mir Franziska zu, während ich über
Aberdeen
Oban
66
Glasgow
Edinburgh
ë
Plötzlich erspähe ich im Nebel ein Hotelschild. Gerettet! Bestimmt hat auch Franziska
hier Unterschlupf gefunden. Ich gehe rein, eine
Pfützenspur auf dem gediegenen Teppich der
Eingangshalle hinterlassend. Die junge Frau,
die alsbald am Empfang auftaucht, sieht
freundlich lächelnd darüber hinweg. Natürlich
könne ich eine heisse Schokolade bekommen
– auch ein Stück Kuchen, wenn ich wolle. Franziska finde ich hingegen nicht. Der Regen
nimmt nicht ab. Trotzdem breche ich nach einer halben Stunde auf. Die gute Seele vom
Empfang schenkt mir einen Regenschutz, der
die restlichen zehn Kilometer zurück nach
Castlebay halbwegs erträglich macht. Als ich
ankomme, ist Franziska schon geduscht, getrocknet und umgezogen. Ich begnüge
mich mit den zwei letzteren. Geduscht
fühl ich mich für heute genug.
Herzlichkeit. Gegen Abend bringt uns ein
Bus zum Nordende von Barra und eine
Fähre weiter auf die kleine Insel Eriskay,
die per Brücke mit South Uist verbunden
ist. Von hier wollen wir mit dem Bus nach
Lochboisdale, um eine nächste Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Am Fähranleger steht aber nur ein roter Kleinstbus,
auf dem «Royal Mail» steht. Etwas unsicher schauen wir uns nach einem offiziellen Bus um und fragen schliesslich die
Postfahrerin, ob sie per Zufall nach Lochboisdale fahre. «Ja, ja. Steigen Sie ein.»
Ausser uns ist niemand in Sicht. Sie fährt
los, fragt uns nach einer Weile, ob wir eine
Übernachtung gebucht hätten. «Nein.
Aber ich denke, wir werden schon etwas
finden», antworte ich. «Viel Auswahl gibts
dort allerdings nicht», entgegnet sie.
Nach einer Weile Schweigen und einigen Kilometern Fahrt vorbei an Meeresbuchten, Schilflandschaften, Weiden mit
Hochlandrindern, ausgestochenen Torfgräben und einzelnen Weilern sagt die
Fahrerin: «Ich hab früher ein B&B geführt.
Ist eine ganze Weile her. Aber ihr könnt
SCHOTTLAND
bei mir übernachten, wenn ihr wollt. Ich
wohne in Daliburgh. Den Bus behalt ich
über Nacht bei mir. Die restliche Fahrt
nach Lochboisdale kann ich mir sparen.
Ihr seid ja die einzigen Fahrgäste. Ich muss
aber morgen ganz früh wieder los. Und
mein Mann ist unfähig – oder zu faul –,
Frühstück zu machen. Ich bereite alles vor,
und ihr nehmt einfach, was ihr mögt, und
lasst die Haustür hinter euch ins Schloss
fallen, wenn ihr geht.» Wir sind überwältigt von dieser herben, aber warmherzigen
und wie selbstverständlichen Gastfreundschaft. Zimmer und Bett sind warm und
gemütlich, und am andern Morgen finden
wir in der Küche den Tisch reichlich gedeckt.
Wie von unserer Gastgeberin am Vorabend
beschrieben, finden wir die Bushaltestelle keine
zehn Minuten vom Haus entfernt. Ein etwas
grösserer Bus bringt uns vom katholischen Süden über Benbecula nach Lochmaddy, in den
streng protestantischen Norden. Unterwegs
kreuzen wir den kleinen roten Bus unserer
Schlummermutter und winken ihr zum Abschied dankend zu.
North Uist, wo wir jetzt sind, und die noch
vor uns liegenden Inseln Harris und Lewis, sind
geprägt von den Presbyterianern. Am Sonntag
herrscht Sabbatsruhe – da geht gar nichts: kein
Bus, keine Fähre. Auch Restaurants, Tankstellen und Fahrradvermietungen sind zu. Selbst
das Einchecken in B&Bs und Hotels sei nicht
kleine, aber gemütliche Gästezimmer im Obergeschoss. Wir machen
noch einen Abendspaziergang zur
Otter Bridge, einer langen Eisenbrücke, die eine fjordähnliche Meereszunge überquert. Hier müssten
doch Otter zu sehen sein! Nichts.
Nur alle Arten von Seevögeln, ein
paar fette Schafe und ein halb untergegangenes Fischerboot.
Wärmende Einkäufe. Das Früh-
Baumlose Weite. North Uist bietet Fernsicht
bis zum Horizont.
é Wollschaf. Sympathischer Inselbewohner.
éé
ohne Weiteres möglich. Zum Glück fällt unsere
Ankunft auf den Samstagabend. Wir fragen im
kleinen Dorfladen am Hafen nach einem B&B,
und die Verkäuferin weist uns den Weg zum
Gericht. «Keine Sorge, das Old Courthouse ist
jetzt eine sehr angenehme Unterkunft», lacht
die freundliche Frau. In der Tat, das aus grossen Quadern gebaute Steinhaus mit seinen
weiss gerahmten Sparrenfenstern und zwei
leuchtend blauen Türen sieht sehr einladend
aus. Und die ältere Lady, die uns zu einem der
Tore hereinwinkt, ebenso. Margret, wie sich die
Gastgeberin vorstellt, zeigt uns stolz die zwei
alten Arrestzellen und bringt uns dann ins
stück, das uns Margret am anderen
Morgen auftischt, ist sensationell:
geräucherter Hering, Black Pudding, Getreideschnitten, Milchreis,
Spiegelei, Porridge und selbst gebackene Oatcakes. Es ist so deftig, dass für den Rest des Tages kein echter Hunger mehr aufkommen kann.
Es regnet und ist windig. Trotzdem machen wir
einen Spaziergang durch die hügelige Umgebung. Immer wieder stossen wir auf Buchten,
Sandstrände und auf Süsswasserseen, in denen
sich Wildgänse, Austernfischer, Tauchenten,
Möwen und andere Vögel tummeln. Das sumpfige Gelände wird auch zum Torfstechen genutzt. Überall sehen wir kunstvoll zum Trocknen aufgeschichtete Reihen von Torfziegeln.
Die Pflanzenwelt erinnert mit bunten Kissen
winziger Blumen, Disteln und Wollgras in den
kleinen Seen an einen riesigen Patchworkteppich. Überall hats Weiden mit Schafen, Pferden
und Hochlandrindern.
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schauen wir Basstölpeln bei ihren akrobatischen Sturzangriffen auf Fische
zu.
In Tarbert haben wir eine gute
Stunde Aufenthalt, bis der Bus zur
nördlichen Teilinsel Lewis weiterfährt. Tarbert, der grösste Ort auf Harris, trägt den Übernamen Tweed City.
Er hat keine tausend Bewohner –
trotzdem sind mindestens ein halbes
Dutzend Läden zu finden, die Produkte aus dem Wollstoff Tweed anbieten. Der wird immer noch von
rund 400 Weberinnen auf ganz Lewis
and Harris aus naturgefärbter Schafwolle von Hand gesponnen, gewoben
und gewalkt. Ich nütze die Zeit und
erstehe einen Lammwollschal und
Lammwollhandschuhe, um den Hebridensommer ohne Erkältung zu
überstehen.
Dann geht es weiter – über eine
hohe Gebirgskette, die zu Zeiten der
Kelten unüberwindbar war – nach
Stornoway. Mit stolzen 8000 Einwohnern die einzige richtige Stadt der
Äusseren Hebriden. Wir stossen auf
einen unglaublichen Krämerladen,
der Trödel, Tweedtextilien und -stoffe,
aber auch alte Bücher und Stiche, Fischereiartikel, alte Walknochen, WebIn der Abenddämmerung versuchen
wir nochmals unser Glück an der Otterbrücke. Franziska verliert nach einer
knappen Stunde die Geduld und geht zurück ins Old Courthouse. Ich wende mich
dem Himmel zu, der begonnen hat, ein
grandioses Spektakel zu inszenieren.
Knapp über dem Horizont ist die fast
schwarze Wolkenschicht etwas aufgerissen
und wird von der Sonne glutgelb beleuchtet. Je tiefer diese sinkt, desto spektakulärer
wird die Stimmung: dunkelblau, violett –
sehr kontrastreich zum Goldgelb der untergehenden Sonne. Ich bin völlig versunken in das ständig wechselnde Farbenspiel.
Plötzlich schiesst direkt unter meinen Füssen
ein brauner, länglicher Schatten unter der Brücke hervor durchs Wasser. Das muss ein Otter
sein! Dann sehe ich weiter draussen einen dunkelbraunen Kopf mit hellem Schnurrbart auftauchen und auf mich zuschwimmen. Ein zweiter Fischotter. Als sich die beiden treffen, beginnen sie ein übermütiges Spiel. Sie machen
Seitwärtsrollen und schlagen Purzelbäume. Im
Licht der untergehenden Sonne leuchten ihre
markanten Köpfe wie mit Gold überzogen. Wie
verzaubert schlendere ich zurück Richtung
Courthouse. Verrückt – es war genau, wie es
der alte Mann auf Barra prophezeit hatte: Nicht
dran denken, und die Tiere tauchen auf.
Nach herzlicher Verabschiedung von Margret nehmen wir am Montag den Bus nach Berneray und von da eine kleine Fähre nach Leverburgh auf der Isle of Harris. Vom Deck aus
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GLOBETROTTER-MAGAZIN FRÜHLING 2015
maschinen und Kunst feilbietet. Ich erstehe
eine Harris-Tweed-Mütze, nach langem Abwägen, ob ich nicht doch die danebenliegende
karierte Sherlock-Holmes-Kopfbedeckung
nehmen soll. Der Ladenbesitzer sieht aus wie
sein Laden: ein Mischmasch aller Stile. Und
mit seinem Vollbart und seiner Leibesfülle ist
er altersmässig kaum einzuschätzen. Er erklärt
uns in wenigen Sätzen viel aus seinem Leben
und einiges über Stornoway. Die Robben und
die Möwen seien fast am Verhungern, weil das
küstennahe Meer leergefischt sei. Die Seemöwen kämen deshalb zum Fressen zu den
Fish&Chips-Buden und die Robben abends,
wenn die Fischerboote einlaufen, zum Hafen,
um den über Bord gekippten Beifang zu fressen. Er nennt uns auch noch das preiswerteste
Restaurant mit dem besten Seafood, bevor er
uns zwischen den im Garten verrostenden
Webstühlen verabschiedet.
Callanish-Steinkreis. Mystischer Kultplatz.
Blackhouse. Mit Torfheizung.
ç Stornoway. Die einzige grössere Stadt auf
den Äusseren Hebriden.
í Inselmode. Harris-Tweed-Mützen.

ë
Torfheizung. Ein halbes Dutzend stattliche Ke-
gelrobben stellen sich pünktlich zur Ankunft
der Fischerboote ein, und ihr Gezänk mit den
Möwen um die besten Fische bietet ein tolles
Schauspiel. Zum Übernachten haben wir ein
paar Strassenzüge von der Hafenpromenade
entfernt ein sympathisches B&B gefunden.
Nach dem Frühstück sehe ich im Eingangsbereich unseres im viktorianischen Stil gehaltenen Gästehauses zwei aufeinandergestapelte
grüne gestrickte Lammwollpullover. «Harris
Wool, Outer Hebrides – 30 Pfund» steht auf
dem Etikett. Ein fast schon schäbiger Preis für
den wunderschönen, offensichtlich handgestrickten Pullover. Ich nehme einen davon mit
ins Zimmer. Er passt wie angegossen, und ich
behalte ihn an, als ich runtergehe, um das Zimmer zu bezahlen. Die Landlady zuckt nicht mit
der Wimper, als sie mich in ihrem Pulli sieht,
schreibt mir nur eine Rechnung für das Zimmer. «Sie haben den Sweater vergessen!» Ich
tippe mit dem Zeigefinger auf meinen Bauch.
Sie lacht laut heraus. «Der steht Ihnen so gut,
dass er mir gar nicht aufgefallen ist.» Ihre
Schwester habe ihn gestrickt, erklärt sie mir.
«Er sieht nicht nur gut aus, sondern gibt auch
schön warm. Ich bin das windige Klima hier
im äussersten Nordwesten Europas nicht so
gewöhnt», erwidere ich. Jetzt, wo unsere Reise
bald zu Ende geht, bin ich von Kopf bis Fuss
für das Hebridenwetter gerüstet. Doch die ganze Harris-Wool-Ausrüstung mit Pulli, Mütze,
Schal und Handschuhen wird mir auch im
Schweizer Winter gute Dienste leisten.
Ein Postminibus bringt uns zum 5000-jährigen Callanish-Steinkreis. Die Menschen der
Jungsteinzeit nannten den mystischen Kultplatz «Die falschen Männer». Es geht eine besondere Ausstrahlung von den bis zu fünf Me-
SCHOTTLAND
Isle of Skye. Auf dem Rückweg aufs
schottische Festland.
ç Endlich. Die Otterpirsch hat sich gelohnt.
è Warm eingepackt. Autor Bruno Heinzer.
é
Zurück auf dem Festland. Da die Fähre zurück aufs schottische Festland nach Ullapool
sabbathalber ausfällt, müssen wir mit dem Bus
nach Tarbert zurück, von wo am andern Morgen eine Fähre nach Uig auf der Isle of Skye in
den Inneren Hebriden auslaufen wird. Das
© Globetrotter Club, Bern
ter aus dem grünen Boden ragenden, dunkelgrauen Gneismonolithen aus. Wir können den
magischen Platz alleine geniessen, kurz bevor
die Insassen eines Touristenbusses den Hügel
stürmen.
Nach einem einstündigen Spaziergang erreichen wir das Garenin Blackhouse Village in
einer wunderschönen Meeresbucht. Blackhouses waren bis vor wenigen Jahrzehnten die
übliche Behausung auf den nördlichsten Hebrideninseln. Die Blackhouses heissen so, weil
ihre Wände schwarz vom Russ des in der Hausmitte brennenden Torffeuers sind. Die reetgedeckten Steinhäuser verfügen über keine Fenster und keinen Kamin. Nur in der Mitte des
Daches befindet sich eine Öffnung, durch die
ein Teil des Rauchs abziehen kann. Für die Bewohner wars eine ständige Gratwanderung
zwischen Lungenentzündung und Rauchvergiftung. Aber die Birken- und Eichenwälder
waren längst abgeholzt – es blieb nur Torf als
Heizmaterial. Und die kalte Zeit dauert hier
acht Monate. 1973 haben die letzten Einwohner Garenin verlassen. Seither wird das Dorf
als Museum genutzt.
heisst also ein zweiter Kurzaufenthalt in der
City of Tweed. Und wieder kaufen wir kein
Harris-Tweed-Produkt, sondern den Rohstoff
davon – Franziska ein weisses, ich ein dunkelbraunes Schaffell. Wir picknicken im Sonnenuntergang auf ein paar Steinen über dem Hafen,
bevor wir in einem absolut unromantischen
Hotel, dem einzigen, in dem wir ein Zimmer
finden konnten, in die hässlichen, aber bequemen Betten kriechen.
In anderthalb Stunden bringt uns die Fähre
am nächsten Morgen nach Uig, wo bereits der
Lebenswerk weiterführen. Sein Frühstück am
Bus nach Portree an der Ostküste von Skye warandern Morgen ist hundertprozentig schottet. Bei Kyle of Lochalsh verlassen wir die Hetisch und schmeckt ausgezeichnet – einziger
Wermutstropfen: Statt des heimlich erträumten
briden über eine imposante Brücke endgültig.
Cappuccinos gibts schottischen Filterkaffee. So
In Fort Williams am Loch of Linnhe legen
wir den letzten Halt vor der Rückkehr nach
bleibt uns dafür die Vorfreude auf einen würGlasgow ein. Das Städtchen liegt an einem steizigen Espresso in einem der vielen italienilen Abhang zum Meeresarm, was wir bei der
schen Cafés in Glasgow, das wir nach ein paar
Suche nach einem Schlafplatz körperlich zu
Stunden Eisenbahnfahrt wieder erreichen werspüren bekommen. Erst hoch oben am Berg
den.
[email protected]
finden wir in einem B&B ein
freies Bett. Wir werden herzlich
empfangen – vom Italiener GiorREZEPT SCHOTTISCHE OATCAKES
gio Boggi. Als wir unser leicht
nach Margret Johnson vom Old Courthouse
angestaubtes Italienisch hervorin Lochmaddy, North Uist
kramen, taut er sichtlich auf und
erzählt uns seine Lebensge12 ounces / 500 g Oatmeal
schichte. Die Liebe zu einer
(in der Schweiz als Hafertau erhältlich)
Schottin hat ihn hierher in den
6 ounces / 250 g Weissmehl
kühlen und regnerischen Norden
6 ounces / 250 g Butter
geführt. Sie waren so glücklich,
½ tea spoon / TL Natriumbicarbonat (Natron)
dass er leichtherzig vom sonni½ pint / 3 dl
heisses Wasser
gen Italien Abschied genommen
Alles kräftig zu einem Teig kneten. Einen halben Zentimeter
hat. Doch nun ist sie gestorben,
dick auswallen, Plätzchen ausschneiden oder ausstechen.
und er vermisst doch zuweilen
Bei 180 Grad 20 Minuten backen.
die Wärme des Südens. Trotzdem
will er das gemeinsam aufgebaute
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